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Die physiologische Stimmgebung und die Rock/Pop- Gesangsstimme - ein Widerspruch?!

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Die physiologische

Stimmgebung

und

die Rock/Pop-

Gesangsstimme

- ein Widerspruch?!

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Von Claudia SteinBetreut von Judith Smit März 2005

Vorwort

Diese Facharbeit entstand im Rahmen der Weiterbildung zumFachtherapeuten Stimme bei Orca Kassel. Mein besonderer Dank giltallen, die bei der Entstehung dieser Arbeit mitgewirkt haben und michin meiner eigenen stimmlichen Entwicklung unterstützt haben:Dr. Kuschel (Phoniater in Bielefeld), Danny Lattrich (Sänger undRock/Pop-Gesangscoach in Hannover), Andrea Braband (Sängerin ausder Wedemark), Andrés Balhorn (Autor und Begründer derPOWERVOICE-Methode in Hamburg).

Durch meine freiberufliche Tätigkeit als Rock/Pop-Gesangscoachstehen ich und auch meine Kollegen immer wieder vor dem Phänomen,dass SängerInnen berichten, HNO-Ärzte würden Ihnen abraten,weiter Rock/Pop zu singen, da Ihre anatomischen oder physiologischenMöglichkeiten nicht ausreichen würden, bzw. sich durch eineÜberlastung der Stimmlippen Knötchen gebildet haben. Viele dieserSängerInnen haben Gesangsunterricht genommen, um einerstimmlichen Fehlfunktion vorzubeugen oder entgegenzuwirken – oftleider ohne großen Erfolg, was die stimmlichen Beschwerden angeht.Ich habe dann im Gesangsunterricht nach der POWERVOICE-Methodeerlebt, dass stimmliche Beschwerden verschwinden und dieSängerInnen keine stimmlichen Probleme mehr beim Singen haben.Auch längere Konzerte und häufige Auftritte führen nicht mehr zu derHeiserkeit die vorher so oft das Ergebnis des Singens war. Da lag esNahe, dass ich in dieser Arbeit zu klären versuche, worin dieProblematik besteht und ob es Möglichkeiten gibt Rock/Pop zu singen,ohne sich auf Dauer stimmlich zu schaden.Es würde mich freuen, wenn eine kreative Diskussion zwischen Ärzten,Klassischen Gesangslehrern, Rock/Pop-Gesangscoaches, Logopäden undallen die sich sonst mit der Stimme beschäftigen, entstehen würde undgute, den GesangsschülerInnen dienliche Konzepte entstehen könnten.

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Inhaltsverzeichnis:

Kapitel 1 Stimmgebung beim Sprechen und Singen1.1 Physiologische Sprechstimme1.2 Rock/Pop-Gesangsstimme1.3 Tabellarischer Vergleich der Rock/Pop-Gesangsstimme, der

klassischen Gesangsstimme und der physiologischenSprechstimme

1.4 POWERVOICE-Methodik

Kapitel 2 Phoniatrische Untersuchung der Rock/Pop-

Gesangstimme und der Sprechstimme

2.1 Werdegang und Befunde von Sängerin A. B.2.2 Werdegang und Befunde von Sänger D. L.2.3 Werdegang und Befunde von Sängerin C. S.2.4 Werdegang und Befunde von Sänger J. S.

Kapitel 3 Rock/Pop-Gesangsstimmen in der Logopädie

3.1 Atmungsumstellung3.1 Körperwahrnehmung, -haltung3.2 Toneinsatz, Tonsitz, Klang3.3 Interpretation3.4 Auditive Beurteilung des Gesangs

Literaturangaben

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Einleitung

Die Facharbeit soll Möglichkeiten beschreiben, die es im Rock/Pop-Gesang gibt, um mit einer kompensierten und dennoch physiologischenStimmgebung zu singen.Wie sonst würde eine Stimme wie z.B. die von Tina Turner mit ~60Jahren noch zu diesen Höchstleistungen fähig sein, wenn sie ihreStimme permanent überstrapazieren würde. Da der Rock/Pop-Gesangstil noch nicht so alt ist wie die klassische Gesangstimme, gibtes kaum Untersuchungen oder etwa DIE METHODIK die im Rock/Pop-Gesang an Gesangschulen gelehrt werden würde.Es hält sich auch weiterhin die Ansicht, dass für den Rock/Pop-Gesangeine besonders stabile Stimme vorhanden sein muss, um denAnforderungen zu Genügen. Aber auch mit einer sogenannten „kleinen“Stimme kann man Rock/Pop singen, denn im Gegensatz zur Klassik wirdhier ausschließlich mit technischer Verstärkung gesungen. Es gilt alsoMethoden zu finden, mit denen jeder der Rock/Pop singen will auchsingen kann (und die meisten der GesangschülerInnen wollen Rock/Pop-Gesangsunterricht und keinen klassischen Gesangsunterricht).

In Kapitel 1 wird daher auf die physiologische Sprechstimme, dieRock/Pop-Gesangsstimme und im Vergleich auch auf die klassischeGesangsstimme eingegangen. Und es wird die im gleichnamigen Buchverfasste Methode POWERVOICE – Die praxisorientierte Methode fürden Rock-/Pop-Gesang vorgestellt.

In Kapitel 2 werden phoniatrische Untersuchungen und Befunde derSprech- und Gesangstimme von 4 SängerInnen mit unterschiedlichemWerdegang und Gesangsbackground vorgestellt, die Rock/Pop nach derPOWERVOICE-Methode singen.

Kapitel 3 beschäftigt sich mit den Möglichkeiten der Logopädie mitSängerInnen aus dem Rock/Pop zu arbeiten, die mit Stimmproblemen indie Therapie kommen.

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1. Stimmgebung beim Sprechen und Singen

1.1 Physiologische Sprechstimme

Die physiologische Sprechstimme ist frei von Nebengeräuschen, Druck,Dauer-, Fehl- und Überspannungen. Ihr Klang ist in jeder Höhe beliebigkräftig oder leise, weittragend, resonanzreich, weich undanstrengungslos (aus: Günter Wirth: Stimmstörungen). Je nachGemütslage wird der Stimme ein ganz eigener Klang beigemischt. Durchverschiedene stimmliche Schattierungen bekommt der Hörer Hinweiseüber momentane psychische und emotionale Befindlichkeit desSprechers.Außerdem vermittelt sie mehr oder weniger Geschlecht, Alter,Herkunft, Temperament und einiges mehr.Es soll kein deutliches Atemgeräusch zu hören sein und diekostoabdominale Atmung eingesetzt werden, um durch Abspannen dasLuftvolumen immer wieder aufzufüllen.Der Tonsitz ist vorne, der Tonansatz physiologisch fest und derTonabsatz ist frei von einem knarrenden Geräusch. Beim Sprechen sollsich an der Indifferenzlage orientiert werden, da die Stimme in dieserLage am Leistungsfähigsten ist. Das Ansatzrohr schafft durch einenweiten Rachenbereich, eine angepasste Kieferöffnungsweite und eineelastische Spannung der Resonanzwände günstige Bedingungen für dieSchallabstrahlung. Die Spannungsverhältnisse von Lippen, Zunge undWangen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Stimmgebung.Je mehr und intensiver ein Sänger auch seine Sprechstimme nutzt, umso genauer sollte er auf einen physiologischen Stimmgebrauch achtenund seine Stimme durch stimmhygienische Maßnahmen pflegen.Ein Sänger der seine Sprechstimme optimal nutzt, hat die bestenVoraussetzungen, um seine Rock/Pop-Gesangsstimme zu verbessern undauszubauen. Ist schon die Sprechstimme in der Funktion gestört, hatdie Entwicklung der Rock-/Pop-Gesangsstimme oft Grenzen. Diephysiologische Sprechstimme ist also kein Widerspruch zur Rock/Pop-Gesangsstimme, sondern viel mehr eine gute Voraussetzung, umoptimale stimmliche Leistungen zu erbringen.

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1.2 Die Rock/Pop-Gesangsstimme

Die Rock/Pop-Stimme hat seine Wurzeln in den Sklavengesängen undder Volksmusik. Sie orientiert sich mehr an der natürlichen Stimme,während die klassische Gesangsstimme ein Kunstgesang ist. Daherbenötigt ein Sänger für die Rock/Pop-Gesangsstimme eine andereTechnik und kann mit der rein klassischen Stimmtechnik nur begrenzteLeistungen im Rock/Pop-Gesang bringen. Vergleichbar ist dieserUnterschied mit einem 100-m-Läufer und einem Langstreckenläufer.Beide laufen, brauchen aber eine andere Technik und ein anderesTraining, um Erfolg zu haben. Nina Hagen macht es vor, dass ein Sängerwenn er beide Techniken beherrscht, Klassik und Rock singen kann.Aber beide Stimmen hören sich völlig unterschiedlich an und werdenauch anders eingesetzt. Ein Rocksong mit der klassischen Stimmegesungen (wie Peter Hoffmann in den 80ern), klingt nicht mehr nacheinem Rocksong und die Stimme kann deutlich Schaden nehmen.Umgekehrt wird kein Rock-/Pop-Sänger dem klassischen Anspruchgenügen.Im Rock/Pop-Gesang gibt es kein einheitliches Stimmideal- imGegenteil. Jeder einzelne Sänger hat seinen ganz eigenenStimmcharakter, ob rockig, sanft, lieblich, kratzig,...Jeder Sänger kann und soll seinen eigenen individuellen Gesangsstilentwickeln und seine Stimme ist keinem Schönheits-, Klang- oderLeistungsideal unterworfen. Nur so erklärt es sich, warum so viele sehrklangunterschiedliche SängerInnen populär sind. Ein wichtiges Merkmalder Rock/Pop-Stimme ist, dass überwiegend mit der brustlastigenMischstimme gesungen wird. Diese ist der reinen Kopf- oderBruststimme in Ausdruck, Tonumfang und Dynamik weit überlegen. EinSänger der diese Mischstimme gut beherrscht, kann jeden Tonklanglich so färben, wie er es will.Im Rock/Pop- Gesang wird nicht nach Stimmlagen unterschieden.Grundsätzlich ist es jedem Sänger möglich sehr tief und sehr hoch zusingen, natürlich immer in Abhängigkeit von anatomischenGegebenheiten, Trainingsstand und Vorlieben.

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Der Stimmklang ist oft durch die Musik beeinflusst, die ein Sängerhört. Durch Imitation wird versucht dem favorisierten Klangnahezukommen.Dem eigentlichen Stimmklang werden oft andere Klänge beigemischt.So werden z.B. die Taschenfalten oder das Gaumensegel als zusätzlicheVentile genutzt, um den Klang zu verändern. Um dies so anzuwenden,dass es für die Stimme nicht schädlich ist, werden Hilfsspannungenverwendet. Der Einsatz einer übertriebenen Mimik hat zum Beispielentscheidenden Einfluss auf das Ventil Gaumensegel. Wenn bestimmteHilfsspannungen fehlen, wird es den Klang beeinflussen. Der Einsatzder Ventile wird dann anstrengend und es kann schnell zuMissemfindungen kommen.Eine entscheidende Rolle spielt hierbei auch die Interpretation. EinSänger der in seinem Song lebt, setzt ganz andere Gesten undmimische Ausdrücke ein, als ein Sänger der versucht einen song „schönund richtig“ zu singen.

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1.3 Vergleich der Rock/Pop-Gesangsstimme mit der klassischen Gesangsstimme und der SprechstimmeRock/Pop Klassik Physiologische Sprechstimme

Stimmsitz: vorn, Vornsingen, Vordersitz der Stimme Stimmsitz: "eingesaugt", zumeist mehrrückwärtsverlagert

Stimmsitz vorne, dialektal bedingt auch weiterhinten (z.B. bayrisch)

Mundstellung bei der Vokalartikulation:a. Rocksänger: breitrund, obere Schneidezähnemeist in voller Breite sichtbarb. Pop/Liedermacher: mehr umgangssprachlich

Mundstellung bei der Vokalartikulation: Hochrund(O-Stellung/Karpfenschnute), obere Schneidezähnemeist wenig sichtbar

Mundstellung natürlich, wie die Bildung der breitenund runden Vokale erfolgt

Vokalartikulation: dunkle Vokale werden in derMundstellung der hellen Vokale artikuliert

Vokalartikulation: helle Vokale werden in derMundstellung der dunklen Vokale artikuliert

keine Veränderungen der Vokalklänge, dunkle Vokalesollen dunkel klingen und helle hell

Stimmfärbung: hell, schlank, auch dialektgefärbtoder umgangssprachlich, auch interpretenbedingtmit Manierismen

Stimmfärbung: eingedunkelt, meist verfärbt, auchnasaliert

Stimmfarbe individuell

Vokalbildung: Vokalgenauigkeit - auch in hohen Lagen- angestrebt

Vokalbildung: Vokalangleich, -ausgleich, angenähert,indifferent („diphtongiert“), in hohen Lagen fast alsEinheitsvokal

Vokalgenauigkeit ist im hochdeutschen anzustreben,dialektal andere Schattierungen möglich

Klangideal: Ausdrucksgesang in breiter Skala vonwohlklingend-perfekt über hauchig, kratzig, dreckigbis aggressiv-schreiend; technisch-funktionell vonphysiologisch „richtig“ bis gestört

Klangideal: Belcanto-Schöngesang, stimmlicherWohllaut, Text dem Klang untergeordnet; technisch-funktionell immer physiologisch optimal gebildet

Ideal: klar, resonanzreich, stimmig, um denIndifferenzton

Dominanz: Ausdruck, Emotionalität, Kreativität,Individualität des Interpreten vor Stimmtechnik

Dominanz: Technik immer erster Schritt vorAusdruck/Interpretation

Dominanz: Ausdruck, Emotionalität, Kreativität,Individualität des Sprechers vor Stimmtechnik

Gesangsstil: von den Interpreten selbst bestimmtund gefunden

Gesangsstil: durch vorhandenes Musikrepertoirevorbestimmt und nachzuempfinden

Sprechstil bestimmt durch Persönlichkeit, Umwelt,Absicht und Imitation

(aus: Singen aus dem Bauch von Wolfgang Haubold, ergänzt durch Sprechstimme)

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1.4 Die POWERVOICE-Methode

Der Autor Andrés Balhorn gibt seit 1987 Rock/Pop-Gesangsunterrichtund hat nach mehrjährigem klassischen Unterricht diepraxisorientierte Methode für den Rock/Pop-Gesang entwickelt und imgleichnamigen Buch verfasst. Dieses wurde im Januar 2004 komplettüberarbeitet und als 7. Auflage neu gedruckt. Durch Beobachtung vonbekannten Sängern im Rock/Pop-Bereich und einem Selbststudium hater versucht, die wichtigsten Aspekte der Rock/Pop-Stimmeherauszufinden und durch gezieltes Stimmtraining mit verschiedenenKompensationsmöglichkeiten, die stimmlichen Leistungsfähigkeiten zuverbessern. Sein Ziel ist es, jedem das Singen von Rock und Pop-Musikzu ermöglichen, ohne dass die Stimme langfristig Schaden nimmt. Dassdies funktioniert, beweist er mit seiner eigenen Stimme, die nach 13Jahren Rock/Pop-Gesang keine Schwächen zeigt, und beweisen auch dievielen SchülerInnen und Workshopteilnehmer, die in dieser Zeit vonihm und seinem Team betreut wurden.Es folgen wesentliche Übungsbestandteile des Singen nach derPOWERVOICE-Methode, um den optimalen Trainingston zu erreichen.Vor der Übung steht die Theorie, d.h. die Gesangschüler lernen dieAnatomie und Physiologie der Stimmbildung kennen, damit sie jederzeitdie praktischen Übungen nachvollziehen können.

1. Die Atmung

Es wird zunächst eine sehr tiefe, forcierte Bauchatmung eingeübt, dadie Bruststimme vor allem im höheren Bereich ein hohes Maß an (Hilfs-)Spannung oder Kompensation benötigt. D.h., es wird ein Maximum anLuft durch ein weites Ansatzrohr und weit gestellte Stimmlippen in dieLungen aufgenommen und das Zwerchfell maximal tiefgestellt. Diesgeschieht zum Zeitpunkt des Spannung lösens (Abspannen), wenn derTon beendet wird. Bei der Tonabgabe wird im Gegensatz zurphysiologischen Phonationsatmung der Bauch in dieserEinatmungsstellung gehalten.

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Dies ermöglicht die Luft während der Tonproduktion zurückzuhalten(bzw. das Zwerchfell in der Einatmungstendenz zu halten). Weiterhinwird durch die hohe Spannung der Stimmlippen eine optimale Basisgeschaffen, um hohe Bruststimmtöne zu produzieren, ohne dass Druckauf den Stimmlippen entsteht und diese als Ventil gegen den enormenÜberdruck arbeiten müssen.

2. Die Stimmlippen

Die SchülerInnen erlernen anatomische Grundlagen und dietheoretischen Zusammenhänge der Stimmgebung. Es werden Ihnen dieverschiedenen Schwingungsverhältnisse der unterschiedlichen Registerund der Unterschied zwischen Sprech- und Singstimme aufgezeigt.Weiterhin erlernen sie stimmhygienische Maßnahmen.Durch gezieltes Stimmtraining soll die Bruststimmfunktion in der Höheerweitert und ein druckloser Übergang in die Kopfstimme, jedoch ohneCharakterveränderung erreicht werden. So wird die Voraussetzunggeschaffen, der Bruststimme die Leichtigkeit der Kopfstimme und derKopfstimme die POWER der Bruststimme zu verleihen. Der Sänger istso stimmlich in der Lage, alle Gefühlsäußerungen stimmlich umzusetzen,ohne dass der Stimme geschadet wird. Im Gesangstraining wird miteinem extremen Trainingston gearbeitet. Dieser Ton beinhaltet alletechnischen Aspekte, die für eine brustlastige Mischstimme gebrauchtwerden. Wenn der Sänger diesen ökonomischen Ton produzieren kann,ist es ihm möglich beim Singen eines Songs, den Klang so abzuändern,wie er es für seine Interpretation braucht.Während des Singens soll im Kehlkopf und Hals keine (Ver-) Spannungauftreten. D.h. die Halswirbelsäule soll immer beweglich sein. Dies wirddurch Kopfdrehen, nicken, wackeln während des Singens überprüft undgeübt.

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3. Mund-und Rachenraum

Da festes Material kernige Bruststimmtöne besser reflektiert, sollenalle Muskeln im Mundraum angespannt sein. Dies ermöglicht denSchallwellen eine optimale Reflektion. Als Vergleich kann man denKlangkörper eines Instrumentes heranziehen, der auch aus festemMaterial besteht.Die SchülerInnen lernen, den weichen Gaumen aufzustellen, um denMundraum zu vergrößern und den harten Gaumen sozusagen zuverlängern. Es kommt so bei Tonerzeugung eine große Resonanzplattezum Schwingen. Diese versetzt die kleinen Resonanzräume oberhalbdieser Platte in Schwingung und ein obertonreicher Klang kannentstehen.Die Zunge wird an die unteren Schneidezähne gestaucht, um die Zungemöglichst weit nach vorne zu bringen. Da die Formen und Größen derZunge, sowie ihre Bewegungsmöglichkeit sehr unterschiedlich ist, mussbei jedem Sänger individuell trainiert werden.Es soll auf den Ton gebissen werden und mit zunehmender Tonhöhe denUnterkiefer nach vorne/unten geführt werden. Die Zahnreihen werdendabei nicht aufeinander, sondern es soll auf einen gedachtenrechteckigen Gegenstand gebissen werden. Dadurch ist immergenügend Platz im Mundraum und ausreichend Spannung vorhanden.Die Lippen werden als Rahmen für den Ton gespannt.

4. Tonsitz und Tonklang

Der Tonsitz befindet sich kurz hinter den oberen Schneidezähnen undkann sich so über den festen Gaumen in die kleinen Resonanzräumeausbreiten. Der Tonklang ist metallisch, dicht und gebündelt. ÜberVorstellungshilfen und Körperbewegungen wird der richtige Tonsitzeingeübt. Der Luftverbrauch soll minimal sein, d.h. in der Vorstellungwird der Ton nach vorne gebracht und gleichzeitig die Luft„eingesaugt“. Damit hat der Begriff der „stehenden Luftsäule“ sowohlin der Klassik wie auch im Rock-/Pop-Gesang eine hohe Bedeutung.

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5. Stimmtraining

Das POWERVOICE-Buch enthält Übungen auf einer CD, mit denen dieSchüler autodidaktisch üben können. Optimalerweise nehmen sie aberauch Unterricht, damit Fehler gar nicht erst auftreten oder sofortkorrigiert werden können. Im Unterricht werden stets alleStimmregister trainiert, um eine flexible Stimmgebung mit allenKlangfarben produzieren zu können, wobei der Schwerpunkt zunächstauf der brustlastigen Mischstimme liegt.

6. Karaoke, Mikrofon-Handling, Auftritte

Im Unterricht wird sofort mit dem Übertrag der Technik auf dasInterpretieren eines Songs begonnen. D.h. ein Unterrichtsbestandteilbesteht im Singen eines Songs, entweder Playback oder mit einerKaraokeanlage. Dies ist für die SchülerInnen auch für zu Hause vonVorteil, da nicht viele die Möglichkeit haben, mit einer Band zu übenbzw. sie in keiner Band singen. Sie erlernen die Mikrofonhandhabung,da im Rock/Pop-Gesang nicht ohne Musikanlage gesungen wird.Außerdem werden die SchülerInnen ermutigt, möglichst häufigaufzutreten. Eine gute Möglichkeit besteht z. B. beiKaraokeveranstaltungen die schon in vielen Städten angeboten werden.Abschließend bleibt zu sagen, dass die Stimmtechnik beim Singen nur~20% ausmachen soll. Die Technik soll so verinnerlicht werden, dassder Körper sie automatisch abrufen kann. Im Rock/Pop-Gesang ist dieInterpretation eines Songs immer der wichtigste Aspekt. Je nachStilistik und Ausdruck werden verschiedene Spannungen im Gesichterzeugt und die Zunge weicht für bestimmte Klänge auch mal zurück.Die Taschenfalten oder der weiche Gaumen können als Ventil dienen,um die Stimme rau klingen zu lassen. Es gilt aber, dass durch eine guteTechnik grundsätzlich mehr Möglichkeiten offenstehen, mit seinerStimme zu spielen. Außerdem wird die Stimme durch die richtigeTechnik geschont und die SchülerInnen können sich auf sie verlassen,auch wenn die Tagesform nicht so gut ist.

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2. Phoniatrische Untersuchung der

Rock/Pop-Gesangstimme und der Sprechstimme

2.1. Werdegang und Befunde von A. B.

Geboren wurde sie am 02.09.67 und ließ sich ihre Stimmlippen am31.01.2001 bei einem HNO-Arzt untersuchen, da sie das Rock-/Pop-Singen erlernen wollte. Die Untersuchung ergab eine hypofunktionelleDysphonie und der Arzt riet von einer intensiven Stimmbelastung mitSingen ab, da die Stimme dies langfristig nicht verkraften würde.Im März 2001 besuchte sie einen POWERVOICE-Workshop und nahmseit dem regelmäßig alle 2 Wochen eine Einzel-Unterrichtsstunde. Sieerlernte die physiologische Sprechatmung und das Singen mit derbrustlastigen Mischstimme, die ihr bis zum Workshop noch kein Begriffwar.Im Frühjahr 2002 begann sie mit einem Solo-Showprogramm, in denensie mit Playback (Musik mit Backing-Gesang ohne Melodiestimme)auftrat. Sie hatte ca. 1x im Monat einen Auftritt. Es folgten Probenund Auftritte mit einer Big Band seit Dezember 2002 (2x monatlich)und im Februar 2003 trat sie in die firmeneigene Band ein, die 1xwöchentlich probt. Dazu kamen noch Proben mit einer Cover-Band Ende2003, die etwa 15 Auftritte im Jahr haben. Stimmliche Problemetraten zu keinem Zeitpunkt auf.Am 21.02.2003 ließ sie erneut ihre Stimmlippen von einem Phoniateruntersuchen und eine Videoaufnahme anfertigen. Diese flexibleLaryngoskopie ergab reizlose, glatte Stimmlippen. Bei Phonationnormale Randkantenverschiebung mit dorsal inkomplettenStimmlippenschluss, der für die Funktion der Stimmlippen jedoch außerAcht gelassen werden kann.Mit dem regelmäßigen Unterricht hörte sie im Oktober 2003 auf undnimmt jetzt sporadisch eine Unterrichtsstunde zur Überprüfung undWeiterbildung ihrer stimmlichen Leistungen.Sie hat die POWERVOICE-Methode verinnerlicht und wendet siesicher an. Durch diese Technik ist ihre anfängliche funktionelle

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Dysphonie mit Spaltbildung verschwunden und sie ist in der Lagesemiprofessionell aufzutreten, ohne danach an stimmlichenBeschwerden zu leiden.

2.2 Werdegang und Befunde von D. L.

Die Gesangsausbildung begann bei er in einem Schulchor, in dem er inder Zeit von 1993-1998 mitgesungen hat. In diesem Chor sang er in derTenorstimme überwiegend klassische Werke. 1996-1999 spielte erzusätzlich in der Schauspielgruppe der Schule mit. Dabei nutzte erseine Stimme sehr intensiv und sang unter anderem auch Stücke vonShakespeare. Stimmprobleme traten in dieser Zeit noch nicht auf.Zwischen 1998 und 2000 trat er als Leadsänger in die Rock-Cover-Band„Kerngesund“ ein und wechselte damit gesanglich in den Hardrock- undRockbereich. In dieser Zeit bekam er stimmliche Probleme und warnach einem 2-stündigen Konzert für mindestens 3 Tage stark heiser.Zusätzlich agierte er Ende 1999-2001 an der Studiobühne Paderbornund übte dabei Schauspiel und Gesang aus in verschiedenen Genres.2001 ließ er sich bei POWERVOICE als Gesangscoach und Sängerausbilden. Und unterrichtet seit 2002 in seiner eigenen Gesangsschuleund in der POWERVOCIE-Schule. Er bildet neue Coaches mit aus undunterrichtet dabei zusätzlich im Fach Schauspiel und Technik.Er singt in Showprogrammen und Karaokeveranstaltungen verschiedeneStilistiken von AC/DC über Bon Jovi, Joe Cocker bis hin zu AndreaBocelli. Stimmliche Probleme traten zu keinem Zeitpunkt mehr auf.Die Untersuchung beim Phoniater am 21.02.03 mit der flexiblenLaryngoskopie ergaben reizlose, glatte Stimmlippen. Bei Phonationseitengleiche, normale Stimmlippenschwingungen mit komplettemStimmlippenschluss. Kein Hinweis auf sekundäreKehlkopfveränderungen. Es wurde eine Video-Aufnahme angefertigt.

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2.3. Werdegang und Befunde von C. S.

Mit dem Singen begonnen hat sie, geb. am 26.06.1969, schon als Kind inKinderchören. Dann folgten Gospelchor und Jugendchor. 1993 gab eseinige Auftritte als Duo und 1994 begann sie in einer Band zu singen.Stimmliche Probleme traten nicht auf, aber sie konnte nie das „Singenaus dem Bauch“ nachvollziehen, da es kein Sänger oder Chorleitererklären konnte. Da dieser Chor, sowie die meisten Chöre, einenklassisch ausgebildeten Chorleiter haben, wird den Sängern auch eineklassische Gesangsgrundlage vermittelt. Die Stilrichtung des Choresfindet dabei meistens keine Beachtung, bzw. es wird angenommen, dassdie Grundlagen des Singens immer die gleichen sind.Nach ihrer Logopädie-Ausbildung begann sie die POWERVOICE-Gesangscoach Ausbildung und unterrichte seit 2000 Rock-/Popgesangin ihrer eigenen Schule und bei der POWERVOICE-Schule. DerUnterricht findet als Einzelcoaching oder in Gruppen statt und eswerden Workshops angeboten. Außerdem wird auch Stimmbildung fürGospel-, Rock- und Popchöre übernommen. Die POWERVOICE-Methodewurde durch einige funktionelle Stimmübungen erweitert und dasTrainingsbuch 2004 komplett überarbeitet. Es wird neben derGesangsstimme auch auf eine physiologische Sprechatmung bei denSängern geachtet, damit sie ihre Stimme möglichst immer optimalökonomisch nutzen.Seit 2000 bildet sie die neuen Gesangsscoaches mit aus undunterrichte sie in relevanten Bereichen der Anatomie und Physiologie,theoretische Grundlagen des Rock-/Pop-Gesangs, in Stimmbildung,Unterrichts- und Workshopgestaltung.Ihre eigene Stimme konnte sie durch die brustlastige Mischstimmeerweitern. Dadurch ist der Stimmumfang erweitert und dieAusdrucksmöglichkeiten sind vielfältiger. Dadurch ist es ihr jetztmöglich, verschiedene Rock-/Pop-Stilistiken zu singen und zuperformen. Auftritte hat sie ca. 1-2 mal im Monat, ohne stimmlicheBeschwerden. Gesangsunterricht nimmt sie zur Zeit noch alle 6-8Wochen.

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Phoniatrische Untersuchungen mit der flexiblen Laryngoskopie am21.03.03 und 10.12.04 ergaben beiderseits reizlose glatte Stimmlippen.Die Randkantenverschiebung war seitengleich und symmetrisch. DerStimmlippenschluss komplett, bzw mit einem kleinen dorsalen Spalt,der für die Stimmfunktion jedoch zu vernachlässigen ist. Es gab keinHinweis auf sekundäre Kehlkopfveränderungen, obwohl es beiforcierter Phonation (gleichzusetzen mit dem Einsatz der Brustimme inhöheren Stimmlagen) eine supraglottische Engstellung und prominentelaterale Pharynxwände zu befunden gab. Dies ist als Hinweis zu sehen,dass bei optimaler Kompensation und dadurch ökonomischerStimmgebung die brustlastige Mischstimme bis in Extrembereicheeingesetzt werden kann ohne dass die Stimme dabei Schaden nimmt.Es wurden Videoaufnahmen angefertigt.

2.4. Werdegang und Befunde von J. S.

Geboren am 14.06.1974 fing er mit 14 Jahren an zu singen. 1994 beganner eine Chorleiterausbildung, die er 1996, durch einen Unfallunterbrochen, abschließt. Nach Abtragung eines Intubationsgranulomsrechts bekam er im Dezember 1995 20 Stunden Stimmtherapie. DieStimme war danach gebessert. Eine Hörgeräteversorgung aufgrund derhochgradigen Schallempfindungsstörung misslang.Bei Kontrolluntersuchungen bis 1999 wurde eine zunehmend kratzigere,behauchte und resonanzarme Stimme festgestellt. DasSchwingungsverhalten war unregelmäßig bei regelrechterRandkantenverschiebung. Die Larynx-Schleimhaut war gerötet. Eineweitere Stimmtherapie wünschte er jedoch nicht.Weitere Untersuchungen bis 2002 ergaben unterschiedlicheStimmbefunde:Im März 2003 wurde der Stimmklang mit R2 B2 H2 bewertet. DieStimme klang belegt, behaucht heiser, rau, kratzig und die MSL lag beiH und war damit erhöht. Der Larynx war unauffällig und dasSchwingungsbild war unregelmäßig und unsymmetrisch.

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Im November desselben Jahres wurde der Stimmklang mit R0 B1-2 H1-2 befundet. Die Stimme klang behaucht, belegt und angestrengt. Diemittlere Sprechstimmlage war nicht verändert und es wurdenregelmäßige und symmetrische Schwingungen festgestellt.Im Sommer 2002 stieg er in eine Tanzband ein, die regelmäßigeAuftritte hat. Seitdem habe er große Schwierigkeiten mit der Stimme.Nach einem Auftritt war er bis zu 3 Tagen stark heiser bis aphon.Die Kontrolluntersuchung im November 2002 ergaben einen Infekt mitetwas schleimig belegten Stimmlippen. Es konnte kein Granulomnachgewiesen werden. Der Schwingungsablauf wies eine Tendenz zurUnregelmäßigkeit auf, bei normaler Amplitude und Randkante.Im Mai 2003 wurde die Stimme mit R1 B1 H1 befundet. Die Stimmeklang kopfig und war mit einem Sprechstimmumfang von c-f überhöht.Die Stimmlippenschwingung war unregelmäßig und unsymmetrisch undwies einen posterior dreiecksförmigen Phonationsspalt auf, der beideutlicher Phonation schloss.Die Granulomabtragungsstelle war leicht verdickt und die rechteStimmlippe walzenförmig. Daraufhin wurden ihm 10 logopädischeTherapieeinheiten verordnet, die er im Juni begann.Begleitend dazu nahm er ab Juli POWERVOICE Gesangsunterricht.Nach den 10 Einheiten Stimmtherapie ergab der Befund eine Abnahmeder funktionellen Dysphonie mit einem regelmäßigem Schwingungsbild.Der Stimmklang war noch überhöht und wurde mit R1 B1 H1 bewertet.Die Stimmlippen und die Abtragungsstelle erschienen schlanker. Eswurden nochmals 10 Therapieeinheiten verordnet.Während dieser Zeit setzte er mit den Tanzband-Auftritten nicht aus,berichteteaber, dass er nach den Auftritten nicht mehr so heiser wäre.Im Jahr 2004 nahm er nur noch unregelmäßig Gesangsunterricht, gababer an, dass er keine stimmlichen Schwierigkeiten mehr habe. DieKontrolluntersuchungen finden weiter statt, ergaben aber bis Ende2004 keinen auffälligen Befund mehr.

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3. Die Rock/Pop-Gesangsstimme in der Logopädie

3.1. Atmungsumstellung

Da für die Rock/Pop-Gesangsstimme eine tiefe Bauchatmung vonVorteil ist, sollte die kostoabdominale Atmung eingeübt werden. Dabeiist es hilfreich, wenn auch die unteren Bauchmuskeln eingesetztwerden, da es bei hohen Bruststimmtönen unbedingt erforderlich isteine hohe Körperspannung einzusetzen, damit der Stimme nichtgeschadet wird.Der Sänger sollte in der Lage sein, die kompletten Bauchmuskeln zuentspannen und anzuspannen. Das Luftvolumen und die erreichteSpannung wird durch die tiefe der Atmung entscheidend beeinflusst.Da ein Sänger diese enorme Atemspannung auch halten muss, sollte dieKoordination von Spannung, Entspannung, aber auch das Halten derSpannung gut geübt sein. Wenn die physiologische Sprechatmungerlernt ist und der Sänger sie anwendet, wird ihm die Umsetzung imGesang leichter fallen. Der Sänger sollte weiterhin beim Singen in derLage sein, die Bauchspannung plötzlich zu lösen, damit er jede kleineGesangspause sofort zum Nachatmen nutzen kann.Das gilt auch für die Entspannung der Artikulationswerkzeuge und derStimmlippen. Sind diese nicht entspannt, stehen sie bei der Einatmungeng beieinander, bilden ein Ventil und verengen so die Luftröhre. Damitist das aufgenommene Luftvolumen kleiner, das Zwerchfell wird nichtso tief abgesenkt und die Körperspannung ist geringer. Das wirkt sichauch auf den Stimmeinsatz und –klang negativ aus.Wenn jede Atempause während des Singens somit zur Entspannung derStimmlippen genutzt wird, kann einer Überbelastung der Stimmmuskelnvorgebeugt werden.Um für die Kopfstimme feinere Spannungen zu nutzen ist es sinnvollauch die Flankenatmung einsetzen zu können und weniger die tiefeBauchatmung. Sollte ein Sänger dabei Schwierigkeiten haben, ist eingesondertes Training notwendig. In der Regel wendet ein Sänger beigut erlernter Bauchatmung und guter Körperwahrnehmung aber vonselber weniger Spannung ein.

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3.2 Körperwahrnehmung, -haltung

Da für das Singen in der brustlastigen Mischstimme hoheKörperspannungen benötigt werden, kommt es häufig zu deutlichenVerspannungen oder unerwünschten Hilfsspannungen. Daher ist eswichtig, dass ein Sänger seinen Körper gut wahrnehmen kann, um sichMöglichkeiten zu erarbeiten, diesen Überspannungenentgegenzuwirken.Das Stimmtraining sollte in einer aufrechten Haltung, ohnedurchgedrückte Knie stattfinden. Als Hilfe hat sich das Sitzen auf demBall, auf einer Stehhilfe (Barhocker) oder in der leichten Sitzhaltungan der Wand bewährt.Eine Kontrolle im Spiegel kann hierfür sehr nützlich sein.Eine große Aufmerksamkeit sollte auf die Kopfhaltung gelegt werden,da oft eine Kompensation im Atlasgelenk stattfindet. Der Kopf sollnicht nach vorne oben geschoben werden oder im Gelenk festgehaltenwerden.Spannungen und Bewegungen, wie Unterkiefer vorbewegen, Wangen-,Zungen- und Gaumensegelspannung sollten isoliert werden. So dassdiese benötigten Spannungen beim Singen ohne zusätzlicheKompensationen eingesetzt werden können. Beim Einüben kann einekleine Bewegung im Atlasgelenk (nicken, rotieren, seitliches drehen)hilfreich sein, damit der Sänger nicht festhält.

3.3 Toneinsatz, Tonsitz und Klang

Grundsätzlich wird mit einem physiologisch festen Stimmeinsatztrainiert.Anders als im klassischen Gesang wird der Ton nicht eingeschwungen,sondern es soll sofort ein voller Klang entstehen. Beherrscht einSänger diesen Stimmeinsatz, ist es ihm möglich während des Singensauch gehauchte oder sehr feste Stimmeinsätze zu produzieren.

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In der Praxis haben sich Bewegungen aus der funktionalenStimmtherapie bewährt.Bewegungen für das Unterdrucksystem, können dem Sänger helfen,einen festen Stimmeinsatz ohne Druck zu produzieren. Hier mussindividuell ausprobiert werden, welche der Übungen dem Sänger ambesten hilft. Manchmal sind auch Bewegungen für dasÜberdrucksystem sinnvoll, um bestimmte Sounds (wie z.B. dasTaschenfalten- oder Gaumensegelventil, aber auch nur einen festenStimmschluss bei hohen Bruststimmtönen) zu erreichen.Der Ton sitzt vorne hinter den Schneidezähnen, da er von dort ambesten geführt werden kann und den typischen Rock/Pop-Sound bildet.Hierbei können Vorstellungshilfen und Visualisierung des Tonsitzmittels einer Handführung vor dem Mund zum Einsatz kommen. Ist derSänger in der Lage, bei jeder gewählten Tonhöhe den Ton sicher nachvorne zu bringen, so kann er ihn von dort aus auch weiter nach hintenplazieren, ohne dass der Ton geknödelt klingt. Dies ist z.B. im Soulgewünscht.Da die Spannung und Beweglichkeit der Zunge, den Tonklangentscheidend beeinflusst, ist ein isoliertes Zungentraining oft einentscheidender Auslöser, um im Gesang gewünschte Klänge produzierenzu können. Die Zungenspitze soll vorne an den unteren Schneidezähnengehalten werden können. Dies stellt sich oft als Problem dar, vor allembei zunehmender Tonhöhe. Die Zunge sollte schnelleArtikulationsbewegungen ausführen können, da harte Konsonanten nichtklingen und den Gesang unterbrechen. Je schneller die Konsonantengebildet werden können, um so weniger rutscht der Tonklang weg undum so fließender hört sich der Gesang an.Im Training kommen Zungenbrecher zum Einsatz und es werdenzwischen zwei aufeinanderfolgenden Konsonanten ein kaum hörbarerVokal gesetzt (z.B. Knock-ä-knock-ä-knockin‘ on-ä-heavens-ä-door). Sokann eine Gesangsphrase in einem Fluss gesungen werden und Tönebrechen nicht so leicht weg.Artikulationsübungen können also ein wichtiger Bereich in derStimmtherapie eines Sängers sein.

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Dazu gehört auch der Einsatz mimischer Muskulatur beim Gesang. BeimSprechen wird die Mimik lebhaft eingesetzt, aber im Gesang ist oft eineher starrer und gleichbleibender Gesichtsausdruck eingeübt. Das istauch im Tonklang zu hören, der schnell eintönig und langweilig wird.Über die mimische Muskulatur erreichen die Schallwellen auch diekleinen Resonanzräume im Kopf, so dass der Ton brillanter wird.

3.4 Interpretation

Gedanklich Bilder abrufen zu können, ist für die Interpretation einesSongs von hoher Bedeutung. Ein Sänger sollte in der Lage, sein in jederemotionalen Verfassung ein Lied so zu interpretieren, wie es derStimmung und der Absicht des Autors entspricht. Er erzählt somiteine vorgegebene Geschichte, die durch seine eigene Persönlichkeitergänzt wird. Wenn er Bilder zu den Texten hat, wird es ihm leichterfallen, z.B. einen fröhlichen Song zu singen, auch wenn dies nicht seinermomentanen Stimmung entspricht.Dem Sänger muss klar werden, dass der Stimmklang deutlich abhängigist von seiner Intention, seinem Gefühl und dem Körpereinsatz.So kann ein Therapiebereich sein, Hilfestellung zu geben, Grundgefühlein der Stimme auszudrücken. Die Erarbeitung gedanklicher Bilder kannhelfen, diese Gefühle stimmlich umzusetzen ohne schadhaft mit derStimme zu kompensieren. Sprechübungen mit Gedichten und Textenkönnen ein erster Schritt sein, um zu erfahren, welche Körperspracheund Intention nötig ist, um einen Text zu interpretieren.Das Auswerten von Videoaufzeichnungen kann helfen herauszufinden,welche Körpersprache zu dem Sänger passt und authentisch wirkt.

3.5 Auditive Beurteilung des Gesangs

Ein wesentlicher Bestandteil, um sich gesanglich zu verbessern, stelltdie Beurteilung der eigenen Stimme dar. Es ist wichtig, dass ein Sängerlernt, stimmliche Charakteristika zu benennen und den Klang zubeurteilen. Das kann über das Hören von Sprechstimmen und

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Singstimmen anderer Personen, wie auch der eigenen, aufgezeichnetenStimme erfolgen. Es bedarf einiger Übung, um die verschiedenenSchattierungen der Stimme heraus zuhören und auszuwerten. Das istbei anderen Personen in der Regel leichter als bei der eigenen Stimme.In einem zweiten Schritt kann die Stimme dann mit Bild beurteiltwerden. D.h. es wird der Tonklang mit der Körpersprache zusammenbeurteilt, um zu sehen warum ein Ton so klingt wie er klingt. DasStudieren von live Aufnahmen bekannter Sänger gehört genauso dazuwie eigener Videoaufzeichnungen.In der Therapie ist das Einüben der Beurteilung vonKlangcharakteristiken ein wichtiger Bereich, um dem Sänger dieMöglichkeit zu geben, die Ursache eigener stimmlicher Schwierigkeitenzu erkennen und diesen entgegenzuwirken.

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Literaturangaben:

POWERVOICE- Die praxisorientierte Methode für den Rock-/Pop-Gesang; Andrés Balhorn

Singen aus dem Bauch; Wolfgang Haubold (im Internet veröffentlicht)

Leitlinien der Stimmtherapie; Marianne Spiecker-Henke

Stimmstörungen; Wirth