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Ulf Pindur Ein Fortschritt in der Arzneistoff- ganischen und pharmazeutischen Chemiker sind in dieser Hinsicht bei weitem nicht aus- reichend und der haufig beobachtetc Mange1 an Vielfalt (Molecular Diversity) bei der Aus- wahl der Testverbindungen ist grundsatzlich kontraproduktiv zur raschen Entdeckung von neuen Leitsubstanzen. In dcn letzten Jahren entwickelten Pharma- zeuten und Chemiker eine neue rationale L)rug-L)esign-'li.chnili, dir es nun ermiiglisht, kostcngimstig und relativ einiach cine grofic ~ ~~ Zahl von Produkten zu synthetisieren, wel- che den Anforderungen der strukturell-che- mischen Diversitat (Vielfalt) von Verbindun- gen entsprechen. Es handelt sich dabei um die sogenannte Kornbinatorische Cbernie in Ver- bindung mit dem biologischen Massenscree- forschung: Rationales Wirkstoffdesign mit der Kombinatorischen Chemie'; ning [16-191. Dicscs ncuc \'crfnhrcn crhtiht die Chance Jcr Auffindung \.on neurn Leit- 1. Einleitung und Zielsetzung Die Paradigmen der Wirkstofforschung ha- ben sich in den letzten Jahren grundlegend geandert. Die explosiven Entwicklungen der Biochemie und Gentechnologie haben dazu seit ca. 10 Jahren einen wesentlichen Beitrag geleistet. Auf vielen verschiedenen Gebieten wurden neue Instrumentarien und Techniken des Drug Designs entwickelt [l]. Seit vielen Jahren basierte die Arzneistoffindung in erster Linie auf dem ,,trial and error" Printip bzw. sie war dem rcinen Zufall uberlassen. (,,Scien- ce of Serendipity"). Durch die enorm ange- stiegenen naturwissenschaftlichen und medi- zinischen Erkenntnissc steht inzwischen das rationale Wirkstoff-Design im Vordergrund [l-151. Ein treibendes Element in For- schungsinstitutionen weltweit und insbeson- dere in der Pharmaindustrie ist die Beschleu- nigung der Wirkstoffindung und Wirkstoff- optimierung. Die state-of-the-art-Strategien fur ein ,,de novo drug design" und eine ,,Leit- struktur'l- bzw. ,Wirkstoff-Optimierung" sowie die dam notwendigen Entwicklungen der Instrumentarien sind inzwischen in meh- reren Ubersichten erschopfend beschrieben [1,2,4,5,8,10,13,15,26]. Sie lassen sich im we- sentlichen auf folgende Verfahren [1,2] zuriickfiihren: Kombinatorische Chemie (Kombichemie) Gentechnologie Mcthoden der Strukturanalyse: Protein- und Nucleinsaurc-Kristallographie mit und ohne Ligand; Multidimensionale NMR-Techniken an Biopolymer-Wirk- stoff-Komplexen. Herrn Prof. Dr. Hans Achenbach zum 65. Geburtstag gewidmet. - QSAR und 3 D QSAR - Computer Molecular Modelling und strukturbasiertes sowie computergestutz- tes Drug-Design. Nach wie vor haben es die Wirkstofforscher bci der Suche nach neuen Leitstrukturcn nicht aufgegeben, das ,,random screening'' von Verbindungen aus Synthese und natiirli- chcn Quellen systematisch voranzutreiben. Allerdings steht der Aufwand des biologi- schen Screenings von Tausenden von Verbin- dungen in den Forschungsinstitutionen in keinem Verhaltnis zum tatsachlichen Erfolg: die Treffcrquote des Entdeckens einer in jeder Hinsicht geeigneten Wirksubstanz, die dann schliefilich ein entwicklungsfahiger Arznei- stoff wird, der auch noch Chancen hat auf den Markt zu gelangen, ist nach wie vor auflerst gering. In den letzen Jahren wurden daher enorme Anstrengungen unternommen, die Kapazitat und die Vielfaltigkeit der Scree- ning-Programme zu verbessern. Unter Ein- beziehung der Erkenntnisse der Molekular- biologie wurde eine zunehmend wachsende Zahl von vielversprechenden biopolymeren Targets zur Entwicklung neuer Therapien entdeckt (z. B. Topoisomerase I, Protein- kinase C, Tyrosinkinase, HIV-Protease, En- zyme und Rczeptoren der Arachidonsau- rekaskade, Angiotensin-11-Rezeptor u.v.a.). Diese Ergebnisse werden kontinuicrlich in die Screeningprogramme implementiert. Da- rtiber hinaus ermoglichen inzwischen die Techniken zur Automatisierung und zur Mi- niaturisierung der Tcsts ein tagliches biologi- sches Screening von 10 bis zu tausend und mehr Verbindungen. Zur raschen ,,Fiitte- rung'' der Screeningprogramme mug natijr- lich laufend eine grofle Zahl von Testsubstan- zen zur Verfugung stehen. Die einzelnen Quellen der Natur und der Produkte-Output der konventionellen Laborsynthesen der or- strukturen betrachtlich, vor allem bei wesent- lich geringerem Aufwand im Vergleich zur klassischen Laborsynthese. Nach dem Konzept der ,,Kombinatorischcn Chemie" werden - praktisch die Natur nach- ahmend - im Mikromaflstab zahlreiche Sub- stamen parallel synthctisiert und zunachst noch in der Mischung und im Regelfalle noch ohne Kenntnis der genauen strukturellen Identitat ihre Wirkung (bzw. Nichtwirkung) getestet 1161. Die zunachst zeitaufwendige in- dividuelle organische Synthese und die in der Regel aufwendige Reinigung sowie Struktur- analytik der einzelnen Produkte entfallt. Denn erst am Ende der ,,Kombinatorischen Proze- dur" wird die bcstwirkende Komponente strukturell exakt identifiziert und in grofieren Mengen individuell synthetisiert. Danach er- folgen die iiblichen Entwicklungen zum ,,fer- tigen" Wirkstoff. Historisch gesehen stand fur die Kombinatorische Chemie die Merri- field-Synthese von Peptidcn Pate [20]. Die Idee zu dem Konzept der Kombinatorischen Chemie kommt aus der Natur, die durch die Kombination von nur 20 Grundbausteinen, den natiirlichen Aminosauren, eine unbe- schrankte Anzahl von Peptiden aufzubauen vermag. Die Kombination zu einem Hexame- ren liefert so bereits 206 = 64 000 000 verschie- dene Hexapeptide. Ausgehend von gut ausge- arbeiteten und automatisierbaren Pcptidsyn- thesen an festen Tragermaterialien ist es heute moglich, mit Syntheserobotern, die fir eine parallele Synthese ausgelegt sind, alle 64 000 000 Kombinationen herzustellen. Die Gesamtheit dieser ,,auf einen Streich" herge- stellten Peptide wird als Peptidbibliothek be- zeichnet. Die Herstellung solcher Peptidbi- bliotheken und deren Verwendung in den Screeninglaboratorien der Pharmaforschung ist die ,,Keimzelle" zur weitergehenden Ent- wicklung der Kombinatorischen Chemie (Kombinatorischen Synthese) fur die vielfalti- ge Gewinnung von groikn Arzneistoffvaria- blen aus den verschiedensten Strukturklassen. 24 Pharmazie in unserer Zeit / 26. Jahrg. 1997/ N,: 1 0 VCH Verlagsgesellrchaft mbH, 69469 Weinheim, 1997 0048-3664/97/054101-0024 $17.50 + SO/O

Ein Fortschritt in der Arzneistoff-forschung: Rationales Wirkstoffdesign mit der Kombinatorischen Chemie

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Page 1: Ein Fortschritt in der Arzneistoff-forschung: Rationales Wirkstoffdesign mit der Kombinatorischen Chemie

Ulf Pindur

Ein Fortschritt in der Arzneistoff-

ganischen und pharmazeutischen Chemiker sind in dieser Hinsicht bei weitem nicht aus- reichend und der haufig beobachtetc Mange1 an Vielfalt (Molecular Diversity) bei der Aus- wahl der Testverbindungen ist grundsatzlich kontraproduktiv zur raschen Entdeckung von neuen Leitsubstanzen.

In dcn letzten Jahren entwickelten Pharma- zeuten und Chemiker eine neue rationale L)rug-L)esign-'li.chnili, dir es nun ermiiglisht, kostcngimstig und relativ einiach cine grofic

~ ~~

Zahl von Produkten zu synthetisieren, wel- che den Anforderungen der strukturell-che- mischen Diversitat (Vielfalt) von Verbindun- gen entsprechen. Es handelt sich dabei um die sogenannte Kornbinatorische Cbernie in Ver- bindung mit dem biologischen Massenscree-

forschung: Rationales Wirkstoffdesign

mit der Kombinatorischen Chemie'; ning [16-191. Dicscs ncuc \'crfnhrcn crhtiht die Chance Jcr Auffindung \.on neurn Leit-

1. Einleitung und Zielsetzung

Die Paradigmen der Wirkstofforschung ha- ben sich in den letzten Jahren grundlegend geandert. Die explosiven Entwicklungen der Biochemie und Gentechnologie haben dazu seit ca. 10 Jahren einen wesentlichen Beitrag geleistet. Auf vielen verschiedenen Gebieten wurden neue Instrumentarien und Techniken des Drug Designs entwickelt [l]. Seit vielen Jahren basierte die Arzneistoffindung in erster Linie auf dem ,,trial and error" Printip bzw. sie war dem rcinen Zufall uberlassen. (,,Scien- ce of Serendipity"). Durch die enorm ange- stiegenen naturwissenschaftlichen und medi- zinischen Erkenntnissc steht inzwischen das rationale Wirkstoff-Design im Vordergrund [l-151. Ein treibendes Element in For- schungsinstitutionen weltweit und insbeson- dere in der Pharmaindustrie ist die Beschleu- nigung der Wirkstoffindung und Wirkstoff- optimierung. Die state-of-the-art-Strategien fur ein ,,de novo drug design" und eine ,,Leit- struktur'l- bzw. ,Wirkstoff-Optimierung" sowie die d a m notwendigen Entwicklungen der Instrumentarien sind inzwischen in meh- reren Ubersichten erschopfend beschrieben [1,2,4,5,8,10,13,15,26]. Sie lassen sich im we- sentlichen auf folgende Verfahren [1,2] zuriickfiihren:

Kombinatorische Chemie (Kombichemie)

Gentechnologie

Mcthoden der Strukturanalyse: Protein- und Nucleinsaurc-Kristallographie mit und ohne Ligand; Multidimensionale NMR-Techniken an Biopolymer-Wirk- stoff-Komplexen.

Herrn Prof. Dr. Hans Achenbach zum 65. Geburtstag gewidmet.

- QSAR und 3 D QSAR

- Computer Molecular Modelling und strukturbasiertes sowie computergestutz- tes Drug-Design.

Nach wie vor haben es die Wirkstofforscher bci der Suche nach neuen Leitstrukturcn nicht aufgegeben, das ,,random screening'' von Verbindungen aus Synthese und natiirli- chcn Quellen systematisch voranzutreiben. Allerdings steht der Aufwand des biologi- schen Screenings von Tausenden von Verbin- dungen in den Forschungsinstitutionen in keinem Verhaltnis zum tatsachlichen Erfolg: die Treffcrquote des Entdeckens einer in jeder Hinsicht geeigneten Wirksubstanz, die dann schliefilich ein entwicklungsfahiger Arznei- stoff wird, der auch noch Chancen hat auf den Markt zu gelangen, ist nach wie vor auflerst gering. In den letzen Jahren wurden daher enorme Anstrengungen unternommen, die Kapazitat und die Vielfaltigkeit der Scree- ning-Programme zu verbessern. Unter Ein- beziehung der Erkenntnisse der Molekular- biologie wurde eine zunehmend wachsende Zahl von vielversprechenden biopolymeren Targets zur Entwicklung neuer Therapien entdeckt (z. B. Topoisomerase I, Protein- kinase C, Tyrosinkinase, HIV-Protease, En- zyme und Rczeptoren der Arachidonsau- rekaskade, Angiotensin-11-Rezeptor u.v.a.). Diese Ergebnisse werden kontinuicrlich in die Screeningprogramme implementiert. Da- rtiber hinaus ermoglichen inzwischen die Techniken zur Automatisierung und zur Mi- niaturisierung der Tcsts ein tagliches biologi- sches Screening von 10 bis zu tausend und mehr Verbindungen. Zur raschen ,,Fiitte- rung'' der Screeningprogramme mug natijr- lich laufend eine grofle Zahl von Testsubstan- zen zur Verfugung stehen. Die einzelnen Quellen der Natur und der Produkte-Output der konventionellen Laborsynthesen der or-

strukturen betrachtlich, vor allem bei wesent- lich geringerem Aufwand im Vergleich zur klassischen Laborsynthese.

Nach dem Konzept der ,,Kombinatorischcn Chemie" werden - praktisch die Natur nach- ahmend - im Mikromaflstab zahlreiche Sub- stamen parallel synthctisiert und zunachst noch in der Mischung und im Regelfalle noch ohne Kenntnis der genauen strukturellen Identitat ihre Wirkung (bzw. Nichtwirkung) getestet 1161. Die zunachst zeitaufwendige in- dividuelle organische Synthese und die in der Regel aufwendige Reinigung sowie Struktur- analytik der einzelnen Produkte entfallt. Denn erst am Ende der ,,Kombinatorischen Proze- dur" wird die bcstwirkende Komponente strukturell exakt identifiziert und in grofieren Mengen individuell synthetisiert. Danach er- folgen die iiblichen Entwicklungen zum ,,fer- tigen" Wirkstoff. Historisch gesehen stand fur die Kombinatorische Chemie die Merri- field-Synthese von Peptidcn Pate [20]. Die Idee zu dem Konzept der Kombinatorischen Chemie kommt aus der Natur, die durch die Kombination von nur 20 Grundbausteinen, den natiirlichen Aminosauren, eine unbe- schrankte Anzahl von Peptiden aufzubauen vermag. Die Kombination zu einem Hexame- ren liefert so bereits 206 = 64 000 000 verschie- dene Hexapeptide. Ausgehend von gut ausge- arbeiteten und automatisierbaren Pcptidsyn- thesen an festen Tragermaterialien ist es heute moglich, mit Syntheserobotern, die f i r eine parallele Synthese ausgelegt sind, alle 64 000 000 Kombinationen herzustellen. Die Gesamtheit dieser ,,auf einen Streich" herge- stellten Peptide wird als Peptidbibliothek be- zeichnet. Die Herstellung solcher Peptidbi- bliotheken und deren Verwendung in den Screeninglaboratorien der Pharmaforschung ist die ,,Keimzelle" zur weitergehenden Ent- wicklung der Kombinatorischen Chemie (Kombinatorischen Synthese) fur die vielfalti- ge Gewinnung von groikn Arzneistoffvaria- blen aus den verschiedensten Strukturklassen.

24 Pharmazie in unserer Zeit / 26. Jahrg. 1997/ N,: 1 0 VCH Verlagsgesellrchaft mbH, 69469 Weinheim, 1997 0048-3664/97/054101-0024 $17.50 + S O / O

Page 2: Ein Fortschritt in der Arzneistoff-forschung: Rationales Wirkstoffdesign mit der Kombinatorischen Chemie

In der vorliegenden Ubersicht werden die einzelnen Prinzipien und spczielle Methoden der Kombinatorischen Chemie zur Darstel- lung groger ,,Substanzbibliotheken" aus vcr- schiedenen chemischen Wirkstoffklassen vor- gestellt. Die sequenziellen chemischen Syn- theseoperationen werden an typischen Wirkstoff-Serien aufgezeigt und die einzelnen Spezifika der Gewinnung an Beispielcn naher erlautert. Dariiberhinaus sollen aber auch die Grcnzen dieser Technik einschliefllich zukiinftiger Entwicklungen angesprochen werden.

2. Prinzipien der Kombinatorischen Chemie

Das allgemeine Prinzip der Kombinatori- schen Chemie ist in Abb. 1 skizziert. Nach der konvcntionellen (d.h. individuellen klassi- schen) Laborsynthese werden ,,singularc" Reaktanten (bzw. Reagenzien) A und B (im Sinne einer ,,Einmolekiil-Spezies") umgc- setzt. In dcr haufig miihselig optimierten La- borsynthese kann man dann ein einziges Pro- dukt oder zumindest ein Hauptprodukt A-B gewinnen. Bei der Kombinatorischcn Chemie (im Sinne von kombinatorischer Synthese) werden statt ,,Einmolekiil-Reaktionspartner" Gruppen von Synthesebausteinen in einem Ansatz zusammen zur Reaktion gcbracht. Setzt man z.B. simultan eine Gruppe von n Synthesebausteinen (A, bis A,) mit einer an- deren Gruppe von n'-Synthesebausteinen (B, bis B,.) um, so fuhrt dies zu eirier Produktmi- schung aller moglichen Kombinationen (A,B, bis A,B,,) (Abb. 1). Ausgehend von (n + n') Synthesebausteinen werden (n x n') Produkte erhalten. Schlieflich fiihrt die Wiederholung der verschiedenen Stufen der Kombinatori- schen Synthese zu einer betrachtlichen Zahl neuer Verbindungen (man erreicht ,,moleku- lare Viclfdtigkeit", im engl. ,,diversity of molecules"). Auf diese Weise wird in der Tat praktisch unbegrenzte strukturelle molekula- re Mannigfaltigkcit erreicht. In der nachsten Stufe werden die erhaltenen Mischungen ge- zielt auf biologische Aktivitat gepriift. Nach dem Auffinden biologisch aktiver Mischun- gen erfolgt die strukturelle Charakterisierung (Identifizierung) derjenigen Substanz, wclche fur den biologischen Effekt ausschlaggebcnd ist. Der Typ der chemischen Reaktion mui3 allerdings sehr sorgfaltig ausgewahlt werdcn, denn hohe und selektive Umsatzraten sind essentiell, um klar definierbare Produktmi- schungen zu erhalten. Vor diesem Hinter- grund haben sich die Verfahren der Festpha- sen-Techniken (in1 Prinzip Varianten der Merrifield-Strategie [2O] wesentlich weiter- entwickelt. In der Abb. 2 ist das allgemeine Prinzip der Kombinatorischen Chemie auf der Basis der Festphasenmethode aufgezeigt. Einer der Synthesebausteine A (oder eine Fa- milie von Bausteinen A, bis A,) ist kovalent an ein unlosliches Material (Trager) gekniipft.

masiache Svnthere

A + B - A-B

Kombinatorisebe Svnthwc

AI B1

Ai B1

A3 B3

A4 B4

AS Bs

'% B6

An Bn'

alle m0glichen Kombinationen

& - Bj + .___)

(n x n' Molekiile)

Abb. 1. Allgemeines Konzept der Kombina- torischen Synthese im Vergleich z u r klassi- schen Synthese.

Der zweite Baustein B (oder eine Familie von Bausteinen B, bis B,, aus Abb. 1) wird in 16s- licher Form zugesetzt. Die chemische Umset- zung von A mi[ B fiihrt schliefllich zu einer Verbindung A-B, welche kovalent am festen Trager gebunden bleibt. Diese Technik er- moglicht es, daf ein Ubcrschui3 von Reagenz B, der evtl. notwendige Katalysator und das Losungsmittel leicht durch einfache Stan- dardoperationen (2.B. Filtration) nach Been- digung der Synthese abgetrennt werden kon- nen (Abb. 2). Der eindeutige Vorteil der Fest- phasen-Organischen-Synthese (solid-phase organic synthesis, SPOS) [16] beruht darin, daf infolge des leichten Eliminationsprozes- ses ein groi3er aberschui3 an Reagenzien mr Komplettierung der Umsemmg eingesetzt werden kann, was insbesondere auch die Komplexizitat der Produktmischung redu- ziert. Ein Verlust an ,,Ausbeute" wird durch

die kovalente Fixierung der Produkte am feswn Polymer weitgehend vermieden, da die bei klassischen Synthesen haufig anfallenden Substanzverluste durch die I'rozesse der Extraktion und Fallung entfallen. Die Uber- tragung chemischer Reaktionen auf festem Trager bringt gegeniiber der Chemie in Losung Vorteile: Die auf dem festen Trager immobilisierten Molekiile konnen im Ideal- fall nicht mitcinander reagieren (Pseudover- diinnungsprinzip, bei Beladungen mit ca. 1 mmol/g), was einerseits z.B. den Einsatz von ungeschutzten bifunktionellen Edukten, z.B. Diaminen oder Disauren, ermoglicht. Andercrseits konnen in Losung entstehende Nebenprodukte einfach entfernt werden. Der hohe Uberschufl der in Losung verwendeten Edukte erlaubt dariiberhinaus die Ausnut- zung kinetischer Vorteile. Zwischenprodukte werderi nicht mehr isoliert, Reinigungs- und Trcnnoperationen wcrden durch das Waschen des beladenen Tragermaterials ersetzt. Kon- ventionelle organische Reaktionen auf den Tragern konnen so, in Analogie zu den Pep- tidsynthesen, automatisiert und parallel (= parallele Synthese) durchgefiihrt werden. Die parallele Synthese von cinzelnen Verbindun- gen bzw. projektspezifischen Substanzbiblio- theken sollte dariiberhinaus ebenfalls zur Optimierung einer gefundenen Leitsubstanz hilfreich sein. In den letzten Jahren wird auch bei der individuellen organischen Synthese eine Zunahme an Arbeiten der Festphasen- unterstiitzten Darstellungsverfahren (solid phase supported synthesis) beobachtet [21J

3. Chemische Prozesse der Kombinatorischen Synthese mit Anwendungsbeispielen

Die chemischen Basisstrategien, um ein Maxi- mum an Strukturvielfalt zu erreichen, lassen sich nach [16] auf wenige Grundkonzepte re-

r Glasfritte

B (UberschuB)

Reaktion ____)

0 = unloslichesPoymer I I

Waschen -

ijberschun an B / R B D \ I

(nicht reagiert) < B B P

Abb. 2. Allgemeines Prinzip der Festphasen-Synthese

Pburmazie in unserer Zed / 26. Juhrg. 1997 / N,: 1 25

Page 3: Ein Fortschritt in der Arzneistoff-forschung: Rationales Wirkstoffdesign mit der Kombinatorischen Chemie

Generierung kombinatorischer molekularer Diversitat I

6 Oligomerer Bereich Monomerer Bereich & I I

1 1

Chemische Synthese Biochemische Synthese

- Peptide - Peptoide - RNA - Phage-Proteine - Oligonucleotide - PNA* - DNA - Peptid-Plasmide - Ohgosaccharide - vinyloge peptide - Polysome - bakterielle

- te,+ue h i n e - modifiz. DNA/RNA Memhranproteine - Morpholine ~ Oligomere aus ZU- - ~ * i ~ d ~ ~ ~ l ~ Pdlliger chemischer - Carbamate Reaktion - Pyrrolinone - p-tw-Peptidomimetika - HlV-Protease-Hemmer - Hydroxymethylpyrrolidinone - Peptidylphosphonate

(Themolysin-Hemmer)

' [ PNA = Pepad-Oligonucleotide]

- Benzodiazepine - Zucker-Denvate - Hydanlnine ~ Monomere Bus zu- - Piperazindionc Blliger chemischer - Biphenyle Reaktion - Zucker-Analoge - pMercaptoketone - Aqiessigsitunn - Acylpiperidinc - Benzopyrane - Cubane - Xanthinc - Aminimide - Oxazolone - 3-Chinolnncarbnns&mn - Benzoisothiawlone - Azinomycine - Prostaglandine - HIV-Protease-Hemmer - p-laclame

ibb. 3. Generierungsschema ,,Molekularer Diversitat" rnit den Methoden der Kombina- torischen Chemie.

duzieren: Dimerisation, Oligomerisation, die Template-Strategie und die Heterocyclen- Synthese. In der Abb. 3 ist ein Entwicklungs- schema zur Gewinnung ,,strukturellcr Diver- sitat" aufgezcigt. Einige der Grundverfahren sollen in diesem Zusammenhang naher erlau- tert werden.

Die Dimerisierung von Reaktionspartnern zahlt zu den einfachsten Methoden der Kom- binatorischen Synthese. Ein aktuelles Beispiel stellt die Generierung einer Substanzbiblio- thek von 1600 dimeren Piperazinderivaten dar, welche in zwei Serien von 40 Subbiblio- theken aufgeteilt ist [16,22] (Abb. 4)

In der ersten Serie werden 40 verschiedene Saurechloride individuell mit der selben Mi- schung von 40 nucleophilen Reaktionspart- nern (2.B. Alkohole oder Arnine) umgesetar. Dies fuhrt zu 40 Subbibliotheken von jeweils 40 dimeren Substanzen vom 0-X-Typ (Abb. 4). In der zweiten Scrie werden dicsclben Nucleophile mit der Mischung von den 40 Acylchloriden umgesetzt. Dies h h r t eben- falls zu 40 Subbibliotheken von jeweils 40 di- meren Verbindungen des X - 0 Typs (Abb. 4, rechts). Die so produziertcn 80 Mischungen wurden getcstet und daraus ein (schwacher) Inhibitor des NK,-Rezeptors gefundcn (IC50 = 60 pLh/l) (Abb. 4)

Im Zuge des Oligomerisievungs-Konzepts werden Stoffserien eingesetzt, die mindcstens Bifunktionalitat aufweisen miissen. Da in die- sen Fallen die Zahl der kombinatorischen Stufen wesentlich anwachst, ist der Einsatz der Festphasen-Methode unumganglich.

Zunachst wurden diese Tkrfahren bei Peprid- synthesen weiterentwickelt, und es konnte damit auch unter dem Einsatz unnaturlicher

Aminosauren die rnolekulare Vielfalt in der Peptidchemie wesentlich crweitert werden. Da Peptide bckanntlich in vitro wie in vivo Stabilitatsprobleme und eine begrenzte Bio- verfugbarkeit aufweisen, hat die Forschung nach ,,Peptidomimetica" gesucht, die auch ein peptidahnliches oder gar selektiveres biologi- sches Wirkspektrum erwarten lassen. Als vielversprechende Oligomere sind unter die- sem Aspekt insbesondere die neuentdeckten Peptoide von Interesse [23] (Abb. 5). Diese Verbindungen werden als Polyglycine aus N- substituierten Glycin-Einheiten aufgebaut. Die N-Substitution ist auf dcr Basis der Kombinatorischen Synthese aui3erst vielfaltig variierbar. Da das Oligomerskelett keine Ste- rcozentren auheist, ist hier das Problem des Einsatzes optisch reiner Edukte oder etwa der asymmetrischen Synthese und dcr Raccrnisie- rung kein Thema. Die physikalische Stabilitat ist im physiologischen Milieu bewiesen, und man kann nach dern jetzigen Stand dcr Pep- toid-Forschung davon ausgehen, dai3 die klassischen Peptid-Pharmaka ernst zu neh- mende Konkurrenz bekommen werden [23]. In der Literatur ist inzwischen der ,,kom- binatorische" Zugang zu weiteren interessan- ten Oligomeren wie z.B. Ethylenglycol- Oligomere, Polypyrrolinone, vinyloge Pep- tide und Oligocarbamate beschricben [16] (Abb. 5).

40 Subbibliotheken von 40 Verbindungen ( 0-X )

+ - - - Die Subbibliothek, welche die 40 rrans-Zimts&mamide enthat, ist biologisch aktiv:

0

40 Subbibliotheken von 40 Verbindungen ( X-0 )

2 x 40 Tests am 1 1 1 1 I . * NK3-Rezeptor

+ - - Die Subbibliothek, welche 40 Carboxamide des 4-(4-Chlorbenzhydryl)piperidins enthtdt, ist aktiv:

- -

c1

Identi fizierung

IC50 = 60 WM

Abb. 4. SubstanzbibEothek von ,,dimeren" 1,4-disubstituierten Piperazin-Derivaten [22].

26 Pbamazie in unserer Zeit / 26. Jahrg. 1997 / Nz 1

Page 4: Ein Fortschritt in der Arzneistoff-forschung: Rationales Wirkstoffdesign mit der Kombinatorischen Chemie

~ ~

Peptoide Ethylenglykol-Oligomere Polyp yrrolinone

Vinyloge Peptide Oligocarbamate

Abb. 5. Oligomere chemisch-synthetische Wirkstoffe der Kombinatorischen Synthese [16].

6

Abb. 6. Shemisches Verzieren" einer Norbornen-Schablone [16,24].

* * I BBl

* I i"' BB2

/ I BB3 J

r> BB2

* I p"' r BB3

I

Spaltung 1 Spaltung 2 Spaltung 3

Abb. 7. Allgemeines Prinzip der Festphasen-Organischen Synthese mit Angaben von drei Typen von Abspaltungsreaktionen der Produkte. Grundkonzept der DIVERS0MERm- Methode [25].

Bei der Template-Strategie wird im Regelfall ein basisch funktionalisiertes all-cis Cyclo- pentan-Geriist sequentiell mit einer groflen Variationsbreite von Bausteinen ,,kombinato- risch" urngesetzt [24]. Das Cyclopentan- Gerust hat die Aufgabe, die Geometrie des molekuiaren Raums zu kontrollieren und in Abhangigkeit von der Natur der am Geriist fixierten chemischen Punktionalitat geeignete Baustein-Familien kovalent ,,einzufangen" (Abb. 6) .

Der ,,Starnmbaum" in Abb. 3 zeigt, dafl auch heterocyclische Wirkstofie nach der Kombina- torischen Synthese zuganglich sind. Ein in diesem Zusammenhang interessantes Verfah- ren ist die Parke-Davis DIVERSOMERm- Methode auf der Basis der Festphasen- Organischen-Synthese (SPOS) [16,25]. Das Grundprinzip der organischen Festphasen- Synthese ist fur die Produktion spezieller Verbindungsklassen nach der DIVERSO- MERTM-Technologie in Abb. 7 skizziert. Ein unlosliches Polymer wird mit einer reaktions- spezifischen chemischen Gruppe kovalent beladen. Diese Funktionalitat am Polymer wird irn Zuge der Synthese mit einem Rea- genz chemisch funktionalisiert. Dieses Rea- genz kann auch als Starter fur eine sequentiel- le Vielstufensynthese dienen. In Abb. 7 ist dies schernatisch bei der Addition des Rea- genzes (Reaktionspartner) BB, in der ersten Stufe angegeben. Eine nachfolgende chemi- sche Reaktion mit dem Reaktionsbaustein BB, bzw. BB, modifiziert schlief3lich das Startmaterial weiter. Im Regelfall ist eine Ab- spaltung des Reaktionsprodukts von der fes- ten Phase fur das biologische Screening not- wendig, da vide biologische Assays durch den festen Trager in der heterogenen Phase blockiert werden ( s . Typ I-, Typ 2- und Typ 3-Spaltungsprozedur in Abb. 7). Die Typ 1- Abspaltung des Produkts (cyclisierende Spal- tuns) baut (technisch z.B. durch Erhitzen oder Reagenszusatz) eine ,,Funktionalitat" am wachsenden Produkt auf, welches eine Spaltung der BB,-Polymerbindung unter Cy- clisierung zum Produkt herbeifuhrt. Danach kann das cyclisierte Produkt (BB, -BB, )cyclis.

gereinigt oder direkt dem biologischen Test unterworfen werden. Der Spaltungsprozess 1 setzt allerdings geeignete Funktionalitaten an BB, und BB, voraus, die chemisch von Haus aus zur induzierten Cyclisierung befahigt sind (Beispiele dazu s. Abb. 8 und 9). Zur Entwicklung und Kontrolle der Festphasen- Synthesen ist es notwendig, ausreichende Mengen fur die Strukturaufklarungen der Zwischenprodukte und Endprodukte 2.B. mit der Massen- und NMR-Spektroskopie zur Verfiigung zu habcn. Es existieren auch Methoden die noch am Polyrnerharz gebun- dene Zwischenprodukte/Produkte mit der Gelphasen-'3C-NMR-Spektroskopie (irn ProzeiS) kontrollieren bzw. strukturell absi- chern [25]. Der bei der Firma Parke-Davis

Pbana.zie in unserer Zeit / 26. Jabrg. 1997/ NK 1 27

Page 5: Ein Fortschritt in der Arzneistoff-forschung: Rationales Wirkstoffdesign mit der Kombinatorischen Chemie

R2 R1 CF3COOH 'A

NH2 P oder

O H Piperidin

R = tert.-Butyloxycarbonyl (BOC) Fluoren-9-ylmethoxycarbonyl (Fmoc)

= Polymer-Harz

R3NC0

R2 R' 0 aq. HCl / A P

NHR3 O H Rl

Abb. 8. Kombinatorische Synthese van Hydantoinen [25].

(USA) entwickelte Miniatur-Syntheseroboter DIVERSOMERm (Details zur Technik s. [25]) erlaubt inzwischen die gleichzeitige

bzw. parallele Umsetzung von mehr als 40 Reaktanten an geeigneten Polymerkugelchen. In 40 kleinen rohrenartigen Reaktionsgefaflen

(Gas-Dispersions-Rohren, die sog. PINS) er- folgen mit Hilfe computergesteuerter Labor- automaten alle Manipulationen der organi- schen Synthese. Die Prozesse der Beladung des Polymers, Reaktionscyclus-Monitoring, Waschcyclus und Parallelreinigung uber die Fest-Phasen-Extraktion durch einen x, y, z- Roboter verlaufen an diesem System voll- automatisiert.

Im folgenden sollen einigc typische Beispiele der erfolgreichen Applikation der DIVER- SOMERTM-Synthese aufgezeigt werden. Es ist bekannt, dafl Hydantoin-Derivate zur symptomatischen Therapie von Epilepsie eingesetzt werden [6]. Es besteht in der ZNS- Forschung nach wie vor ein grofler Bedarf an umfassenden Substanzbibliotheken von dic- sen Derivaten fur die pharmakologischen Testungen. Die Syntheseschritte zu einer umfassenden Hydantoin-Substanzbibliothek sind in Abb. 8 aufgezeigt. Nach kovalenter Fixierung einer N-geschiitzten Aminosaure am Polymer-Harz wird zunachst die Amino- schutzgruppe entfernt. Danach erfolgt die Reaktion der primaren Aminfunktion mit ei- ner Serie von verschiedenen Isocyanaten zum polymer-gebundenen Harnstoff-Derivat. Saurekatalysierte Cyclisierung (Spaltungs- Typ 1 in Abb. 7) fiihrt schliefllich zu den Hy-

= Polymer-Harz

"FA = CF3CO- b m . CF3COOH

Abb. 9. Kombinatorische Synthese von 1,4Benzodiazepinen [25].

28 P b a m z i e in un~erer Zeit / 26. Jahrg. IVV7/ Nx I

Page 6: Ein Fortschritt in der Arzneistoff-forschung: Rationales Wirkstoffdesign mit der Kombinatorischen Chemie

1. Et3N/Pyridin 50 "C, 2 h -

2. 2% TCAICH2C1, 20 "C, 15 min

3. MSNTPyridin 50 "C, 3 h

= Polymer-Harz

DMT = 4,4'-Dimethoxytriphenylmethyl TCA = Trichloressigz

ClPh = p-Chlorphenyl

DIC = 5-(3,3-Dimethyl-l-triazenyl)-

re

MSNT = 1 -(Mesitylensulfonyl)-3-nitro-

W O H : D' l 0Xan

( 1 : l )

/ c0Lo ,O, 0 0 Base

~-imidazol-4~carboxamih I Abb. 10. Kombinatorische Synthese z u cyclischen Dinucleotiden [25].

dantoinen. Zur Realisierung dieser letzten Stufe wurden alle Reaktionsgefdc im DI- VERSOMERT"-Automaten mit 6 N HC1 behandelt, wobei cs zur cyclisierenden Ab- spaltung der Substanzen vom Harz kommt. In der Praxis konnten nach dieser Methode ,in einem Wurf" 40 verschiedene Hydantoine fur die biologischen Testungen produziert werden.

Es ist seit langem bekannt, dafl 1,4-Benzodia- zepine 0-turn-Peptidomimetika darstellen [25]. Auch in diesem Fall besteht bei der ZNS-Wirkstofforschung ein grofler Bedarf an diesen Verbindungen mit umfassender struktureller Diversitat. Als ein eleganter Lo- sungsweg bietet sich auch hier die Kombina- torische Synthese an (Abb. 9, [25]). Als funk- tionalisierte Startmatrix werden Aminosau- ren-beladene Merrificld-Harze verwendet. Bei der Transiminierungs-Reaktion mit 8 ver- schiedenen Benzophenoniminen wurde ein Satz von 40 harzgebundenen Iminen erhalten. Auch bei dieser Synthesestrategie war die cy- clisierende Spaltung zu insgesamt 40 neuen Benzodiazepinen erfolgreich [25]. Die Sub-

stanzen wurden noch ungereinigt auf Benzo- diazepin-Rezeptoraffinitat nach der Methode der kompetitiven Verdrangung von radiomar- kierten (3H) Flunitrazepam an dcr bovinen Hirnrindenmembran getestet. Die erhaltenen IC,,-Werte in nM wurden mit denen von Diazepam (1.46 nM), Nordiazepam (0,2 nM) und Nitrazepam (0,67 nM) verglichen. Aller- dings zeigten die 40 neuen Verbindungen hohere IC,o-Werte (> 6 nM bis > 100 pM), sie sind also weniger aktiv als dic Handelsprapa- rate.

In Abb. 10 ist die Synthesesequenz zur Dar- stellung pharmakologisch intcressanter cycli- scher Dinucleotide aufgezeigt [25]. Bei dieser Arbeit wurde die Festphasen-Phosphortrie- ster-Mctliode aus der Oligonucleotid-Syn- these zugrunde gelegt. Als Ausgangsmaterial hat man kommerziell zugangliches Amino- methylpolystryrol-Harz eingesetzt. Das Po- lymer wurde zunachst mit einer Bern- steinsaure-Funktionalitat beladen, welche fur die Anbindung der Base des ersteii Nucleo- tids benotigt wird. Uber die folgenden Me- thoden der Immobilisierung und Schutz-

gruppenabspaltung konntc schliefllich ein Satz von 8 linearen Dinucleotiden gewonnen werden (Abb. lo), wobei genuine und auch modifizierte Nucleoside als 2. Reaktionsbau- steine fungierten. Die 5'- und 3'-Enden der ii- nearen Dimere wurden schliefllich entblockt und cyclisiert. Aus diesem Vorgang resultie- ren schliefllich die ,,vorletzten" harzgebunde- nen Zwischenprodukte der Synthesesequenz. Die Abspaltung der cyclischen Produkte vom Harz unter Freisetzung der p-Chlorphenyl- Schutzgruppe fuhrte zu einem Satz von 8 ncuen cyclischen Dinucleotiden. Eine Reini- gung der Substanzen erfolgte iiber automati- sche parallele Synthese und Festphasen-Ex- traktions-Technik.

Parallel mit der Enwicklung der einzelnen Verfahren der Kombinatorischen Synthese haben sich auch je nach Aufteilung der Pro- duktmischungen in Bibliotheken und Subbi- bliotheken verschiedene Strukturaufkla- rungs-Strategien bei den biologisch aktiven Mischungen etabliert (zu Einzelheiten der Methoden s. [16,25].

Pbarmazie in unserer Zeit / 26. Jahrg. 1997 / Nr. 1 29

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4. Zusammenfassung und Bilanz

Wie im ,,Stamrnbaum" in Abb. 3 ersichtlich, hat die Kombinatorische Synthese den vielfal- tigen Zugang zu einer Reihe interessanter Wirkstoffe und Varianten von Biornolekulen eroffnet. Uber die geschilderten Angaben hinaus sind fur die Pharmdorschung bereits breite Spektren interessanter Stoffe zugang- lich geworden, wie z.B. Antibiotika (Azi- nomycine, i3-Lactam-Verbindungen), klassi- sche Chemotherapeutika (Benzisothiazolone, 4-Chinolon-3-carbonsiiuren), Cytostatika, HIV-Protease-Hemmer, Prostaglandine und Peptidylphosphonate [25]. Nach dem jetzigen Stand der Technik kann man fur die nihere Zukunft erwarten, da8 bei fast allen wesentli- chen Stoffgruppen von Wirkstoffen/Arznei- stoffen eine breite strukturelle Vielfalt zu- ganglich sein wird. Bereits die bisher etablier- ten Verfahren zeigen, dai3 der Vielfalt der chemischen Synthesechemie auch was die einzelnen Synthesemethoden betrifft inzwi- schen keine Grenzen gesetzt sind. So sind schon jetzt fast alle gangigen Synthesekon- zepte der organischen Chernie in der Kombi- natorischen Synthese realisiert [17,25]. Das Problem wird sich nur noch auf die konkre- ten Schritte der Optimierung und Effektivitat der Kombinatorischen Verfahren reduzieren.

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