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TREFFPUNKT FORSCHUNG | 6 | © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2008, 42, 6 – 11 Das Sequenzieren vollständiger Genome ist inzwischen so schnell und erschwinglich, dass bereits die ersten Sequenzen einzelner Personen vorliegen und die Forscher die Genomik der Taufliege Drosophila in- zwischen im Dutzendpack untersuchen. Nicht ganz so schnell mithalten konnte jedoch die Pflanzengenomik. Die Weinrebe Pinot Noir, deren Genom im vergangenen Jahr entschlüsselt wurde, war erst die vierte Blütenpflanze, der diese Ehre widerfuhr [1]. Aufgrund der relativen Knappheit an Genomdaten aus dem Pflanzenreich stellte das Erbgut der Weinrebe nicht nur für die Winzer, sondern auch für die Evolution der Pflanzen einen wichtigen Meilenstein dar. Dass das Genom trotz klarem wirtschaftlichen Interesse an der Weinrebe in Ländern wie Italien und Frankreich, wo die Sequenzierung durchgeführt wurde, erst jetzt vollen- det wurde, lag vor allem an techni- schen Schwierigkeiten.Weinreben weisen einen ungewöhnlich hohen Anteil an heterozygoten Genen auf, was bedeutet, dass die beiden Exem- plare eines Gens, die jede Zelle trägt, sich voneinander unterscheiden. Bei der heute üblichen Schrotschuss-Me- thode führt diese Vieldeutigkeit in- nerhalb des Genoms einer Art zu Konfusion, sobald die sequenzierten Zufallsfragmente zusammengesetzt werden sollen. Deshalb griffen die Forscher erst einmal auf traditionelle Züchtungs- techniken zurück, um eine genetisch einheitlichere Variante der Pinot- Noir-Rebe zu erzeugen, die sich dann auch einfacher sequenzieren ließ. Geschmacksvielfalt genetisch nachweisbar Ein Vergleich der so erhaltenen Ge- nomdaten mit den anderen bereits sequenzierten Blütenpflanzen, näm- lich der Reispflanze, der Pappel, und der Acker-Schmalwand Arabidopsis thaliana, hat es den Forschern be- reits ermöglicht, die Evolution der Blütenpflanzen in ein neues Licht zu setzen und historische Genomver- dopplungen zeitlich einzuordnen. Am nächsten verwandt ist die Weinrebe mit der Pappel, und beide stehen der Ackerschmalwand deutlich näher als dem Reis. Was die Besonderheiten der Weinrebe selbst angeht,so fanden die Genomforscher umfangreiche Hinweise darauf, warum Wein eine solche Vielfalt an Geschmacksvaria- tionen hervorbringen kann.Terpen- synthasen, zum Beispiel, sind für die Herstellung gewisser Terpene zustän- dig, welche den meisten Pflanzen zur Abwehr von Schädlingen dienen, aber beim Wein auch entscheidend zum Aroma beitragen. Die anderen drei bereits sequenzierten Blüten- pflanzen weisen jeweils 30 bis 40 Gene für solche Enzyme auf. Die Weinrebe hat 89 funktionierende Synthasen und darüber hinaus noch Pseudogene, die ihre Funktion offen- bar verloren haben. Ähnlich ist die Situation auch bei den Polyphenolen, denen wir ver- mutlich die gesundheitsfördernde Wirkung mäßigen Weingenusses ver- danken. Für Stilbensynthasen, die für die Herstellung von Verbindungen wie Resveratrol erforderlich sind, fin- den sich im Weingenom 43 Gene, weitaus mehr als bei anderen Pflan- zen. Winzer, die sich über Jahrtausen- de hinweg bei der Züchtung auf ihre Geschmacksnerven verlassen muss- ten, können demnächst auch per Gentest erkennen, welche Züchtun- gen interessante Geschmacksvarian- ten, Schädlingsresistenz, oder positive „Nebenwirkungen” versprechen. Doch wie in anderen Bereichen der Biologie haben die Umweltbedingun- gen, vom Wetter bis hin zur Lagerung des Weins, bei der Umsetzung der ge- netischen Information ein paar Worte mitzureden. Somit werden die Buch- staben in den Genomdatenbanken die lange Erfahrung der Winzer zwar wissenschaftlich untermauern und ergänzen, aber nicht überflüssig ma- chen. [1] O. Jaillon et al., Nature 2007, 449, 463. Michael Groß www.michaelgross.co.uk PFLANZENZÜCHTUNG | Ein Prosit dem Wein-Genom Das Genom der Weinrebe Pinot Noir wurde 2007 entschlüsselt.

Ein Prosit dem Wein-Genom

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T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

6 | © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2008, 42, 6 – 11

Das Sequenzieren vollständiger Genome ist inzwischen so schnell underschwinglich, dass bereits die ersten Sequenzen einzelner Personenvorliegen und die Forscher die Genomik der Taufliege Drosophila in-zwischen im Dutzendpack untersuchen. Nicht ganz so schnell mithaltenkonnte jedoch die Pflanzengenomik. Die Weinrebe Pinot Noir, deren Genom im vergangenen Jahr entschlüsselt wurde, war erst die vierteBlütenpflanze, der diese Ehre widerfuhr [1].

Aufgrund der relativen Knappheit anGenomdaten aus dem Pflanzenreichstellte das Erbgut der Weinrebe nichtnur für die Winzer, sondern auch fürdie Evolution der Pflanzen einenwichtigen Meilenstein dar.

Dass das Genom trotz klaremwirtschaftlichen Interesse an derWeinrebe in Ländern wie Italien undFrankreich, wo die Sequenzierungdurchgeführt wurde, erst jetzt vollen-det wurde, lag vor allem an techni-schen Schwierigkeiten.Weinrebenweisen einen ungewöhnlich hohenAnteil an heterozygoten Genen auf,was bedeutet, dass die beiden Exem-plare eines Gens, die jede Zelle trägt,sich voneinander unterscheiden. Beider heute üblichen Schrotschuss-Me-thode führt diese Vieldeutigkeit in-nerhalb des Genoms einer Art zuKonfusion, sobald die sequenzierten

Zufallsfragmente zusammengesetztwerden sollen.

Deshalb griffen die Forscher ersteinmal auf traditionelle Züchtungs-techniken zurück, um eine genetischeinheitlichere Variante der Pinot-Noir-Rebe zu erzeugen, die sich dannauch einfacher sequenzieren ließ.

Geschmacksvielfalt genetischnachweisbarEin Vergleich der so erhaltenen Ge-nomdaten mit den anderen bereitssequenzierten Blütenpflanzen, näm-lich der Reispflanze, der Pappel, undder Acker-Schmalwand Arabidopsisthaliana, hat es den Forschern be-reits ermöglicht, die Evolution derBlütenpflanzen in ein neues Licht zusetzen und historische Genomver-dopplungen zeitlich einzuordnen.Amnächsten verwandt ist die Weinrebe

mit der Pappel, und beide stehen derAckerschmalwand deutlich näher alsdem Reis.

Was die Besonderheiten derWeinrebe selbst angeht, so fandendie Genomforscher umfangreicheHinweise darauf, warum Wein einesolche Vielfalt an Geschmacksvaria-tionen hervorbringen kann.Terpen-synthasen, zum Beispiel, sind für dieHerstellung gewisser Terpene zustän-dig, welche den meisten Pflanzen zurAbwehr von Schädlingen dienen,aber beim Wein auch entscheidendzum Aroma beitragen. Die anderendrei bereits sequenzierten Blüten-pflanzen weisen jeweils 30 bis 40Gene für solche Enzyme auf. DieWeinrebe hat 89 funktionierendeSynthasen und darüber hinaus nochPseudogene, die ihre Funktion offen-bar verloren haben.

Ähnlich ist die Situation auch beiden Polyphenolen, denen wir ver-mutlich die gesundheitsförderndeWirkung mäßigen Weingenusses ver-danken. Für Stilbensynthasen, die fürdie Herstellung von Verbindungenwie Resveratrol erforderlich sind, fin-den sich im Weingenom 43 Gene,weitaus mehr als bei anderen Pflan-zen.

Winzer, die sich über Jahrtausen-de hinweg bei der Züchtung auf ihreGeschmacksnerven verlassen muss-ten, können demnächst auch perGentest erkennen, welche Züchtun-gen interessante Geschmacksvarian-ten, Schädlingsresistenz, oder positive„Nebenwirkungen” versprechen.Doch wie in anderen Bereichen derBiologie haben die Umweltbedingun-gen, vom Wetter bis hin zur Lagerungdes Weins, bei der Umsetzung der ge-netischen Information ein paar Wortemitzureden. Somit werden die Buch-staben in den Genomdatenbankendie lange Erfahrung der Winzer zwarwissenschaftlich untermauern undergänzen, aber nicht überflüssig ma-chen.

[1] O. Jaillon et al., Nature 22000077, 449, 463.

Michael Großwww.michaelgross.co.uk

P F L A N Z E N Z Ü C H T U N G |Ein Prosit dem Wein-Genom

Das Genom derWeinrebe PinotNoir wurde 2007entschlüsselt.