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„Mehr als zwei Drittel aller technischen Neuerungen hängen direkt oder indirekt von den verwendeten Werkstoffen ab“, ist eine viel zitierte Aussage von ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz. Dies unter- streicht die Bedeutung von Informationssystemen für das Werkstoff- datenmanagement, dessen Einsatz und Nutzen am Beispiel von zwei Unternehmen der Luftfahrtindustrie beschrieben wird. tionen zur Entsorgung und Aspekten von Ökobilanzen. Die Luftfahrtindustrie ist ein gutes Beispiel für einen Hightech-Bereich, in dem ein Werkstoffdatenmanagement heute unverzichtbar ist. In der Produkt- entwicklung muss auf genaue und rück- verfolgbare Werte für Festigkeits- und Ermüdungseigenschaften der hoch ent- wickelten Legierungen und Verbund- werkstoffe zugegriffen werden, Bild 1. Auslegungsdaten werden hierfür aus statistisch abgesicherten Versuchsdaten – zusammen mit zusätzlichen Sicher- heitsfaktoren – ermittelt. Die klassischen Engineering-Lösungen wie CAD (Computer Aided Design) und PLM (Product Lifecycle Management) sind auf die Verwaltung von Geometrie- daten und Konfigurationen fokussiert. In CAE-Werkzeugen sind vereinzelt lo- kale Insellösungen für die Speicherung der notwendigsten Stoffdaten vorhan- den. Vielfach werden Werkstoffdaten noch in Excel-Tabellen oder PDF-Dateien gehalten. Bei erhöhten Anforderungen an die Qualität der Entwicklungsergeb- nisse und die Leistungsfähigkeit der Pro- dukte ist die geforderte Datenintegrität und -sicherheit so jedoch nur mit gro- ßem Aufwand zu erhalten. Letztendlich ist die Einführung eigenständiger Infor- mationssysteme für das Werkstoff- datenmanagement bereits aus Kosten- gründen eine konsequente Entwicklung, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Das internationale „Materials Data Management Consortium“ (MDMC) mit Mitgliedern wie Boeing, General Electric, Honeywell, NASA, Northrop Grumman, Raytheon, Rolls-Royce und Granta- Design unterstreicht diese Entwicklung. Zielsetzung dieser firmenübergreifen- den Arbeitsgruppe ist neben einem Er- fahrungsaustausch die Etablierung von „Best Practices“ auf dem Gebiet des Werkstoffdatenmanagements. Entwicklungsprozesse in der Luftfahrt beschleunigt Asco Industries ist ein mittelstän- disches Unternehmen der Luftfahrt- industrie mit drei Produktionsstand- orten und einem Jahresumsatz von 180 Millionen Euro in 2006. Wie viele Unter- nehmen mit ausgeprägter Produktent- wicklung setzt Asco auf etablierte und erstklassige Entwicklungswerkzeuge. Bis vor kurzem wurden Werkstoffdaten für die Finite-Elemente-Methode (FEM)-Si- mulationen und sonstige Berechnungen in Dateien gehalten, da in den bisher vorhandenen IT-Umgebungen keine spe- ziellen Funktionalitäten dafür vorhan- den waren. Damit verbunden waren die klassischen Probleme: Zeitaufwendiges Finden und Vergleichen der richtigen Daten und Schwierigkeiten bei der Si- cherung der Konsistenz und der Zu- griffsrechte. VDI-Z 151 (2009), Nr. 5 - Mai 62 Datentechnik D er Bereitstellung von abgesicherten und konsistenten Werkstoffdaten kommt eine hohe Bedeutung in der Pro- dukt- und Prozessentwicklung zu. Dem- zufolge erhalten zunehmend entspre- chende Informationssysteme Einzug in die industrielle Praxis. Sie ergänzen die bestehende Informationstechnik (IT)-In- frastruktur. Notwendige Ergänzung zum PLM Der Lebenszyklus von Werkstoffdaten reicht vom Prüflabor über freigegebene Auslegungs- und CAE (Computer Aided Engineering)-Daten bis hin zu Informa- Bild 1 Turbinen im Luftfahrzeug – Werkstoff- daten sind eine wichtige Grundlage für die Auslegung. Hersteller wie Rolls Royce setzen dafür auf ein eigenständiges Werkstoffdaten- management. Ein Schlüssel für Produkt- und Prozess-Innovationen Globales Werkstoffdatenmanagement Bild 2 Die Auswertung umfangreicher Testdaten im System „Granta MI“ erlaubt die Rückverfolgung von Auslegungsdaten zu einzelnen Versuchsreihen.

Ein Schlüssel für Produkt- und Prozess-Innovationen

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Page 1: Ein Schlüssel für Produkt- und Prozess-Innovationen

„Mehr als zwei Drittel aller technischen Neuerungen hängen direkt oder indirekt von den verwendeten Werkstoffen ab“, ist eine viel zitierte Aussage von ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz. Dies unter-streicht die Bedeutung von Informationssystemen für das Werkstoff-datenmanagement, dessen Einsatz und Nutzen am Beispiel von zwei Unternehmen der Luftfahrtindustrie beschrieben wird.

tionen zur Entsorgung und Aspekten von Ökobilanzen.

Die Luftfahrtindustrie ist ein gutes Beispiel für einen Hightech-Bereich, in dem ein Werkstoffdatenmanagement heute unverzichtbar ist. In der Produkt-entwicklung muss auf genaue und rück-verfolgbare Werte für Festigkeits- und Ermüdungseigenschaften der hoch ent-wickelten Legierungen und Verbund-werkstoffe zugegriffen werden, Bild 1. Auslegungsdaten werden hierfür aus statistisch abgesicherten Versuchsdaten – zusammen mit zusätzlichen Sicher-heitsfaktoren – ermittelt.

Die klassischen Engineering-Lösungen wie CAD (Computer Aided Design) und

PLM (Product Lifecycle Management) sind auf die Verwaltung von Geometrie-daten und Konfigurationen fokussiert. In CAE-Werkzeugen sind vereinzelt lo-kale Insellösungen für die Speicherung der notwendigsten Stoffdaten vorhan-den. Vielfach werden Werkstoffdaten noch in Excel-Tabellen oder PDF-Dateien gehalten. Bei erhöhten Anforderungen an die Qualität der Entwicklungsergeb-nisse und die Leistungsfähigkeit der Pro-dukte ist die geforderte Datenintegrität und -sicherheit so jedoch nur mit gro-ßem Aufwand zu erhalten. Letztendlich ist die Einführung eigenständiger Infor-mationssysteme für das Werkstoff-datenmanagement bereits aus Kosten-gründen eine konsequente Entwicklung, die zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Das internationale „Materials Data Management Consortium“ (MDMC) mit Mitgliedern wie Boeing, General Electric, Honeywell, NASA, Northrop Grumman, Raytheon, Rolls-Royce und Granta- Design unterstreicht diese Entwicklung. Zielsetzung dieser firmenübergreifen-den Arbeitsgruppe ist neben einem Er-fahrungsaustausch die Etablierung von „Best Practices“ auf dem Gebiet des Werkstoffdatenmanagements.

Entwicklungsprozesse in der Luftfahrt beschleunigt

Asco Industries ist ein mittelstän-disches Unternehmen der Luftfahrt-industrie mit drei Produktionsstand-orten und einem Jahresumsatz von 180 Millionen Euro in 2006. Wie viele Unter-nehmen mit ausgeprägter Produktent-wicklung setzt Asco auf etablierte und erstklassige Entwicklungswerkzeuge. Bis vor kurzem wurden Werkstoffdaten für die Finite-Elemente-Methode (FEM)-Si-mulationen und sonstige Berechnungen in Dateien gehalten, da in den bisher vorhandenen IT-Umgebungen keine spe-ziellen Funktionalitäten dafür vorhan-den waren. Damit verbunden waren die klassischen Probleme: Zeitaufwendiges Finden und Vergleichen der richtigen Daten und Schwierigkeiten bei der Si-cherung der Konsistenz und der Zu-griffsrechte.

VDI-Z 151 (2009), Nr. 5 - Mai 62

Datentechnik

Der Bereitstellung von abgesicherten und konsistenten Werkstoffdaten

kommt eine hohe Bedeutung in der Pro-dukt- und Prozessentwicklung zu. Dem-zufolge erhalten zunehmend entspre-chende Informationssysteme Einzug in die industrielle Praxis. Sie ergänzen die bestehende Informationstechnik (IT)-In-frastruktur.

Notwendige Ergänzung zum PLM

Der Lebenszyklus von Werkstoffdaten reicht vom Prüflabor über freigegebene Auslegungs- und CAE (Computer Aided Engineering)-Daten bis hin zu Informa-

Bild 1

Turbinen im Luftfahrzeug – Werkstoff-

daten sind eine wichtige Grundlage

für die Auslegung. Hersteller wie

Rolls Royce setzen dafür auf ein

eigenständiges Werkstoffdaten-

management.

Ein Schlüssel für Produkt- und Prozess-Innovationen

Globales Werkstoffdatenmanagement

Bild 2

Die Auswertung umfangreicher Testdaten im System „Granta MI“ erlaubt die Rückverfolgung

von Auslegungsdaten zu einzelnen Versuchs reihen.

Page 2: Ein Schlüssel für Produkt- und Prozess-Innovationen

Kundenanforderungen nach verkürz-ten Entwicklungszeiten bei eindeutiger Rückverfolgbarkeit der Informationen sorgten für Anpassungen im gesamten Produktentwicklungsprozess. Eine Kon-sequenz für Asco war die Einführung ei-nes neuen Werkstoffinformationssys-tems. Dieses sichert den unternehmens-weiten Zugriff auf alle Metall-, Kunst-stoff- und Verbundwerkstoffdaten und wurde auf Basis des Produkts „Granta MI“ implementiert. Aus einer Anwen-dung wird der Zugriff sowohl auf eigene Daten als auch auf externe Referenz-daten – zum Beispiel die in der Luftfahrt bekannte MMPDS-Datenbank für Luft-fahrt-Legierungen – möglich.

Traceability im Turbinenbau

Rolls-Royce ist ein Hersteller von Gas-turbinen mit 38 000 Mitarbeiten in 50 Ländern. Höchste Anforderungen an die Sicherheit erfordern sehr gut abge-sicherte und rückverfolgbare Daten in der Produktentwicklung.

Die Rückverfolgbarkeit der freigegebe-nen Auslegungsdaten muss zurück bis zu den Messdaten der Prüfmaschinen gewährleistet sein. Ein Datenpunkt kann

dabei auf einer Vielzahl von Prüfungen basieren und ein einzelner Werkstoff wiederum durch hunderte von Daten-punkten für unterschiedliche Betriebs-temperaturen, Orientierungen von Ver-bundwerkstoffen oder Wärmebehand-lungen beschrieben werden. Bild 2 zeigt exemplarisch die Auswertung von Le-bensdauerwerten in Granta MI.

Bereits 2002 wurde die strategische Entscheidung getroffen, die bisher ge-wachsenen Insellösungen für das Werk-stoffdatenmanagement in einer gemein-samen Standardsoftware zusammen-zuführen. Gründe waren zunächst die geringeren Kosten im Vergleich zum Be-trieb der bisherigen heterogenen „IT-Landschaft“. Die mit der Einführung der Standardsoftware erreichte Reduktion der Komplexität erlaubte darüber hi-naus deutliche Prozessverbesserungen in der Entwicklung.

Umweltaspekte: „Reach“, Le bens -zyklusanalysen, CO2-Bilanzen

Eine neue Herausforderung für viele Unternehmen sind Umwelt-, Gesund-heits- und Sicherheitsrichtlinien. Zum Beispiel können durch die EU-Reach-

Richtlinie Werkstoffe oder Prozesse ganz von der Verwendung ausgeschlossen werden oder es können Verzögerungen beziehungsweise Kosten durch Zulas-sungsprobleme entstehen. Lebens-zyklusbewertungen und CO2-Bilanzen sind weitere Aspekte, die bei der Einfüh-rung neuer Produkte – zum Beispiel im Umfeld der Automobilindustrie – zuneh-mend an Bedeutung gewinnen.

Nach Ansicht von Rolls-Royce haben diese umweltbezogenen Fragen eine ho-he strategische Bedeutung. Durch eine Integration von Werkstoff-Auslegungs-daten mit Gefahrstoffdaten können bei-spielsweise Verzögerungen bei der Zu-lassung neuer Produkte vermieden wer-den. Rolls-Royce ist daher Gründungs-mitglied des internationalen „Emit“- Konsortiums, das an der Entwicklung geeigneter Werkzeuge und Prozesse für diese Thematik arbeitet. Bild 3 zeigt als Beispiel die Verwaltung von Gefahrstoff-daten entsprechend der „Reach-Direkti-ve“ im System Granta-MI.

Stephen Ward, Matt Beaton und Uwe Diekmann

VDI-Z 151 (2009), Nr. 5 - Mai 63

Datentechnik

Bild 3

Auch neue EU-Richtlinien für Werkstoffe oder Prozesse werden berücksichtigt: im Bild die

Verwaltung von „Reach“-Stoffdaten. Bild (3): Granta Design

7 Info

Granta Design, Martin Zier, Materials

Information Consultant, 300 Rustat House,

62 Clifton Road, Cambridge/GB, CB1 7EG,

Tel. (kostenlos in Deutschland):

0800 / 1825026, E-Mail:

[email protected],

Internet: www.grantadesign.com

Stephen Ward ist Vertriebsleiter, Matt Beaton Business

Development Manager bei Granta Design in Cambridge/UK,

Dr. Uwe Diekmann ist Geschäftsführer der Metatech GmbH in

Kamen.