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Einführung in die Digitale Transformation Tobias Kollmann und Holger Schmidt Inhalt 1 Einleitung ..................................................................................... 2 2 Die Technologien ............................................................................. 2 3 Die Gesellschaft .............................................................................. 7 4 Die Wirtschaft ................................................................................ 13 5 Fazit ........................................................................................... 22 Literatur ........................................................................................... 23 Zusammenfassung Dieser Beitrag skizziert die Auswirkungen technologischer Neuerungen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft. Die Digitalisierung ist dabei Kerntreiber der Digitalen Transformation. Der Beitrag baut zunächst auf der Erläuterung zu technologischen Neuerungen auf. Darauf aufbauend werden die Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft kontrastiert. Schlüsselwörter Digitale Transformation · Digitalisierung · Digitaler Wandel · Digitale Wertschöpfung · Verändertes Nutzungsverhalten T. Kollmann (*) Lehrstuhl für E-Business und E-Entrepreneurship, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland E-Mail: [email protected] H. Schmidt Liederbach am Taunus, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 T. Kollmann (Hrsg.), Handbuch Digitale Wirtschaft, Springer Reference Wirtschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-17345-6_67-1 1

Einführung in die Digitale Transformation...keit der Digitalen Transformation relevant sind. Dabei wird von Infrastrukturaspek-ten als Grundvoraussetzung weitestgehend abstrahiert,

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Einführung in die Digitale Transformation

Tobias Kollmann und Holger Schmidt

Inhalt1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Die Technologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Die Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

ZusammenfassungDieser Beitrag skizziert die Auswirkungen technologischer Neuerungen auf dieGesellschaft und die Wirtschaft. Die Digitalisierung ist dabei Kerntreiber derDigitalen Transformation. Der Beitrag baut zunächst auf der Erläuterung zutechnologischen Neuerungen auf. Darauf aufbauend werden die Auswirkungenauf die Gesellschaft und die Wirtschaft kontrastiert.

SchlüsselwörterDigitale Transformation · Digitalisierung · Digitaler Wandel · DigitaleWertschöpfung · Verändertes Nutzungsverhalten

T. Kollmann (*)Lehrstuhl für E-Business und E-Entrepreneurship, Universität Duisburg-Essen, Essen, DeutschlandE-Mail: [email protected]

H. SchmidtLiederbach am Taunus, DeutschlandE-Mail: [email protected]

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019T. Kollmann (Hrsg.), Handbuch Digitale Wirtschaft, Springer Reference Wirtschaft,https://doi.org/10.1007/978-3-658-17345-6_67-1

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1 Einleitung

Die Digitalisierung verändert die Technologie, die der Kerntreiber für die Verände-rungen der Gesellschaft und auch der Wirtschaft ist. Innnerhalb der Gesellschaftäußert sich dies durch die veränderte Art und Weise der Kommunikation zwischenIndividuen und in der Wirtschaft durch die Veränderung der zugehörigen Wert-schöpfung, der Geschäftsmodelle und auch der Arbeit.

Dabei stellt die Technologie den Kerntreiber für die Veränderungen in derGesellschaft und der Wirtschaft dar (Abb. 1). Aufgrund ihrer disruptiven Omni-präsens werden alle Strukturen umfasst und nicht lediglich spezifische Branchen,wie es in der Vergangenheit bei weitreichenden strukturellen Veränderungen der Fallwar.

Im Folgenden wird der Fokus auf diese drei Bereiche gelegt und erläutert, welcheTechnologien insbesondere vor dem Hintergrund der Reichweite und Reichhaltig-keit der Digitalen Transformation relevant sind. Dabei wird von Infrastrukturaspek-ten als Grundvoraussetzung weitestgehend abstrahiert, da sie als notwendige Bedin-gung anzusehen sind, ohne die innovative Technologie keine Mehrwerte entfachenkönnen. Darauf aufbauend werden die gesellschaftlichen Auswirkungen dieserTechnologien diskutiert. Anhand der immensen Nutzung digitaler Technologienwird dabei deren Bedeutung ebenso sichtbar wie die Notwendigkeit, rechtzeitigdiese Nutzung zu erlernen und digitale Kompetenzen zu vermitteln. Gleichzeitigwird die Wichtigkeit der Technologien in Form der Digitalen Transformation vordem Hintergrund ihrer Implikation für die Wirtschaft hervorgehoben. Diese sindbedeutsam, da die deutsche Wirtschaft massiven Aufholbedarf hat in puncto Akzep-tanz und proaktiver Instrumentalisierung der Digitalen Transformation und mit ihreinhergehender Möglichkeiten.

2 Die Technologien

Der Einzug der Digitalisierung auf Basis neuer Technologien hat Gesellschaft undWirtschaft in den vergangenen Jahre disruptiv verändert. Im Folgenden werden dietechnologischen Innovationen dargestellt, die Kerntreiber für gesellschaftliche und

Abb. 1 Die Technologie als Kerntreiber für Veränderungen der Gesellschaft und Wirtschaft

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wirtschaftliche Veränderungen sind. Dabei wird auf die Anführung verzichtet, dassComputer, Laptops & Co. zudem immer kleiner und schneller werden und sich ihreLeistungen stetig steigern.

SmartphonesDie Erfolgsgeschichte begann mit dem Verkaufsstart des iPhone im Jahr 2007. Dassind immerhin drei Jahre, nachdem in Deutschland die erste mobile UMTS-App mitgrafischer Content-Oberfläche, Navigationsfunktion und Bewegtbild-Optionen ineinem Feldversuch von einem Projektteam der Universität Kiel als Event-Portalzur Kieler Woche 2004 auf einem damals – zugegeben noch etwas klobigen –Motorola-Handy erfolgreich getestet wurde. Aber es war das US-UnternehmenApple, das dieses Konzept als integrativen Bestandteil des iPhone marktreif machte.Heute nutzen etwa 57 Millionen Menschen in Deutschland ein Smartphone; dasentspricht etwa 80 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahre. 2018 summierte sich dasGeschäft mit Endgeräten, Daten- und Sprachdiensten, Anwendungen und Infrastruk-tur in Deutschland auf rund 33 Milliarden Euro, hat der Branchenverband Bitkomerrechnet. Auch wenn sich der Smartphone-Markt angesichts dieser hoher Pene-tration auf seine Sättigungsgrenze zubewegt, ist diese Erfolgsgeschichte einzigartig.Für Deutschland und Europa bleibt allerdings ein bitterer Beigeschmack: Alle füh-renden Geräte-Anbieter kommen nach Angaben des Marktforschers Canalys inzwi-schen aus Asien (Samsung, Huawei, Honor) oder den USA (Apple). DeutscheAnbieter sind schon lange irrelevant; Nokia liegt mit einem Anteil von zuletzt3 Prozent immerhin noch in den Top 5, verliert aber weiter an Boden.

Tablet ComputerWas Apple im Handy-Bereich mit seinem iPhone geschafft hat, kopierte es quasiselbst mit dem iPad im dadurch neu geschaffenen Tablet-Markt. Wobei auch dieserMarkt mit dem Verkaufsstart 2010 eigentlich gar nicht so neu war, aber allevorangegangenen Versuche hatten sich nicht durchsetzen können. Nach Absatz-und Umsatzrekorden in den ersten Jahren hat sich der Markt allerdings stabilisiert.Inzwischen besitzen immerhin vier von zehn Deutschen einen Tablet-Computer, dieallerdings ebenso wie die Smartphones meist von Herstellern aus den USA (Apple,Microsoft) oder Asien (Samsung, Huawei, Lenovo) stammen.

Das iPad auf der Nachtkonsole oder auf dem Sofa ist ein weiterer digitalerBegleiter in den Haushalten geworden. Als „Second Screen“ wird er zunehmendals parallele Mediennutzung bzw. -ergänzung zum immer noch nicht ausreichendrückkanalfähigen und damit interaktiven TV-Gerät gesehen. Ergänzend verschwim-men hier die Grenzen zum sogenannten Phablet. Hierbei handelt es sich um einbesonders großes, internetfähiges Mobiltelefon mit einer Bildschirmdiagonale zwi-schen fünf und sieben Zoll (ca. 127 bis 177 mm). Es gilt damit als ein Hybridgerätaus Smartphone und Tablet Computer und wird von einigen Herstellern als eigeneGeräteklasse definiert.

Zudem befinden sich die Verkaufszahlen für TV-Geräte nach wie vor auf einemhohen Niveau. Das liegt nicht nur an immer neuen technischen Features für dieBildqualität, sondern auch daran, dass zunehmend digitale Steuerungs- und

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Entertainment-Elemente auch auf dieser Plattform Einzug halten. Set-Top-Boxenwie Apple-TV oder integrierte Multimedia-Angebote von Samsung & Co. oderVideo-Streamingdienste wie Netflix haben neben den Spielekonsolen wie der Play-station oder der Xbox den Kampf um die Vormachtstellung als Plattform im Wohn-zimmer aufgenommen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch hier die Appsnutzerfreundlich abgerufen werden können und Tele-Commerce massentauglichEinzug halten wird.

Smartwatches/WearablesAuch wenn Apple in diesem Bereich einmal nicht der Trendsetter war, so versuchtdas Unternehmen mit der Apple Watch auch hier seine Plattform-Strategie umzu-setzen. Mit einigem Erfolg, denn die Apple Watch liegt inzwischen klar an der Spitzeder Verkaufsranglisten, gefolgt von Xiaomi, Fitbit und Huawei, wie Zahlen desMarktforschers IDC zeigen. Noch ist die Peneration dieser Geräte allerdings über-schaubar: Der Anteil der Menschen in Deutschland mit einer Smartwatch amHandgelenk liegt noch im einstelligen Prozentbereich, auch wenn sich weit mehrMenschen für diese Uhren interessieren.

Neben der modischen Renaissance einer Digitaluhr am Handgelenk sind es auchhier die Apps, die einen Einsatz am Handgelenk motivieren sollen. Dabei stehen amAnfang vor allem Gesundheits-, Ticket- und Bezahlfunktionen im Mittelpunkt. Mitder Einführung von Apple Pay, die den digitalen Bezahlsystemen einen Schubgebracht hat, könnte auch die intelligente Uhr neue Abnehmer finden. Zudem hatApple in die vierte Version seiner Watch neue medizinische Funktionen wie dasErkennen von Herzrhythmusstörungen (Vorhofflimmern) eingebaut, die das Einsatz-gebiet dieser Uhr deutlich erweitern.

Eigentlich gehören die Smartwatches zur weiteren Gruppe der sogenanntenWearables. Dabei handelt es sich um tragbare Computersysteme, die während derAnwendung am Körper befestigt werden können. Neben iPhone, iPod & Co. undden Smartwatches sind die Fitness-Tracker die erfolgreichste Produktkategorie unterden Wearables. Zwar liegen die Absatzzahlen in Deutschland ebenfalls noch imunteren einstelligen Millionenbereich, zeigen aber ein stetiges Wachstum.

Smart GlassesDarf man alles und jeden über ein Computersystem in einer Brille mit der bildlichenProjektion der Informationen auf den Gläsern ungefragt beobachten, analysieren,aufnehmen und wiedergeben? Es gab viele Diskussionen rund um die Google Glass,zu der es 2014 die ersten Entwicklermodelle gab. Es waren aber nicht die techni-schen Möglichkeiten als solche, sondern deren Anwendung im gesellschaftlichenUmfeld, die Google (Alphabet) 2015 zu einem Umdenken veranlasste. Die Trägerwurden teilweise von ihren Mitmenschen angegangen, weil sie sich ungefragtbeobachtet fühlten. Dennoch legte Google dieses Thema nicht zu den Akten,sondern brachte 2018 eine neue Version auf den Markt, die mit Künstlicher Intelli-genz ausgerüstet ist und für den Einsatz in Unternehmen konzipiert ist.

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Virtual-Reality/Augmented-Reality-BrillenPersonalcomputer und Smartphones bedeuten für Mark Zuckerberg die Welt vongestern. Der Facebook-Gründer hat lieber die Zukunft im Blick: „Virtual-Reality-Brillen sind die nächste große Computing-Plattform. In zehn Jahren werden eineMilliarde Menschen diese Brillen nutzen“, sagte Zuckerberg. Wer die Brille einmalausprobiert, will am liebsten gar nicht mehr zurück in die reale Welt. Denn die klobigaussehenden Geräte vermitteln dem Betrachter das Gefühl, sich mitten in einervirtuellen Realität zu befinden. Man schaut keinen Film an – man ist Teil des Films,so der Eindruck. Die eingebauten Sensoren machen jede Kopfbewegung mit undändern das Blickfeld genau wie in der realen Welt. Ergebnis: Schon nach wenigenSekunden taucht man in die Handlung ein und vergisst seine eigentliche Umgebung.Mark Zuckerberg hat aber weit mehr als Spiele oder Filme im Sinn. Eines Tages sollman ein Headset aufsetzen und es wird die Art ändern, wie wir leben, arbeiten undkommunizieren.

Schneller zum Erfolg haben es die Augmented-Reality-Brillen gebracht. DieNutzer sehen eine erweiterte Realität, indem zusätzliche Bilder oder Informationenim Blickfeld angezeigt werden. Die Hololens von Microsoft oder die Brille vonMagic Leap gelten als Vorreiter für diese Geräteklasse, die im gewerblichen Einsatzzum Beispiel von Architekten oder Servicemitarbeitern immer häufiger eingesetztwerden.

Smarte KleidungDas Verarbeiten von Computer-Technologie in Kleidung steckt zwar noch in denAnfängen, aber die ersten Beispiele lassen sich am Markt schon beobachten. DasLawinen-Sicherheitssystem in der Ski-Ausrüstung, elektronische Etiketten (Tags)als Echtheitsnachweis in Markenkleidung oder Funktionsunterwäsche mit elektri-scher Muskelstimulation im Fitnessbereich – die Liste an Visionen und erstenPilotprojekten ist lang oder teilweise sogar schon am Markt. Die Möglichkeit,digitale Computertechnologie in Kleidung zu verwenden, lässt den Schritt hin zueiner allgemeinen Integration von Online-Verbindungen und Internet-Technologie injeder Form von Alltagsgegenständen von der Zahnbürste bis zur Waschmaschinenicht weit erscheinen.

Internet der DingeHierunter wird die allgemeine Vernetzung von Gegenständen des Alltags mit demInternet verstanden. Ziel ist es, dass diese Gegenstände dann selbstständig über dasInternet kommunizieren und so verschiedene Aufgaben für den Besitzer (teil-)automatisiert erledigen können. Der Anwendungsbereich erstreckt sich dabei voneiner allgemeinen Informationsversorgung über autonome Bestellungen bis hin zuWarn- und Notfallfunktionen. Ob nun Modebegriff oder stichhaltiger Hoffnungs-träger, das Internet der Dinge bedient einen immer stärker werdenden Trend zurConnectivity von Alltagsgegenständen. Lena Schipper hat die resultierende Visionin einem Artikel für die FAZ einmal so beschrieben: „Und nun stellen Sie sich vor,dass alle Dinge um Sie herum – das Besteck, der Toaster, die Hundeleine, derRegenschirm mit dem Internet verbunden sind und sich in ständigem Dialog mitei-

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nander befinden. Ihr Besteck ist mit Sensoren ausgestattet, die registrieren, was undwie schnell Sie essen, und sendet diese Daten an einen Cloud-Server, wo sie mit denDaten verknüpft werden, die Toaster, Kühlschrank und Kochtöpfe über Ihre Essge-wohnheiten sammeln. Essen Sie zu schnell, zu viel oder das Falsche, piepst IhreGabel. Oder der Toaster weigert sich, eine weitere Scheibe Toast zu produzieren,bevor Sie nicht eine Runde joggen waren – eine Information, die Ihre internetfähigenSocken sofort an den Toaster übermitteln. Das Hundehalsband registriert, dass derHund zum Tierarzt muss, gleicht die Datenbank der Arztpraxis mit dem Kalender abund macht eigenständig einen Termin. Der Regenschirm färbt sich eben blau, weil erdem Online-Wetterbericht entnommen hat, dass es gleich anfangen wird zu regnen.Das ist die Welt, die den Vordenkern des sogenannten ‚Internets der Dinge‘ – oderdes ‚Internet of Everything‘, wie besonders ambitionierte Vertreter sagen“ (Schipper2015) – vorschwebt. Es wird schnell deutlich, dass sich das Internet der Dinge imAlltag und für den Alltag etablieren soll und dabei insbesondere auch der häuslicheBereich im Mittelpunkt stehen wird. Stärker noch als im privaten Umfeld gewinntdas industrielle Internet der Dinge an Bedeutung. Die Verbindung von Maschinen,automatische Bestellfunktionen, intelligente Datenauswertung oder die Vernetzungder Lieferketten stellen enorme Automatisierungspotenziale gerade für die deutscheWirtschaft dar, die unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ schon einige Jahre erschlos-sen werden.

Smart-HomeDas vollautomatische Haus regelt die Wärme, das Licht und die Rollläden inAbhängigkeit von Tageszeit, Außentemperatur und der Anwesenheit der Bewohner.Im Zweifel wird das Haus wie ein PC hochgefahren, wenn sich der Besitzer mitseinem dafür verbundenen iPhone per Fernmeldung den heimischen vier Wändennähert. Und es wird heruntergefahren, wenn die Türsensoren erkennen, dass man dasHaus verlässt. Sensoren im Fußboden überwachen zudem, ob Sie gestürzt sind,längere Zeit reglos liegen bleiben und daher Hilfe brauchen. Das ist insgesamt keineZukunftsmusik, sondern heute schon möglich und dennoch konnte der Smart Home-Markt die an ihn gestellten Erwartungen (noch) kaum erfüllen. Noch als zu teuerempfinden viele Verbraucher die Ausstattung im Vergleich zum Nutzen. Allerdingssinken die Preise und neue Möglichkeiten, vorhandene Geräte nachzurüsten statt neuzu kaufen, senken die Eintrittsbarriere für viele Interessenten.

Es verspricht ein spannendes Rennen um die Digitalisierung des Hauses zuwerden und noch ist vollkommen offen, welche Plattform sich hier durchsetzenwird. Telekommunikationsunternehmen, Energieversorger und Startups konkurrie-ren ebenso um diesen Markt wie zuletzt auch Amazon, das sogar schon komplettevernetzte Häuser in den USA anbietet. Und wenn man dann sein Smart Homeverlässt, dann wartet schon das Connected Car vor der Tür, welches natürlich überIhr Eintreffen durch das Schließen der Haustüre informiert wurde.

Connected CarDes Deutschen liebstes Kind in den Händen der amerikanischen oder chinesischenDigitalkonzerne? Unvorstellbar und doch (k)eine Zukunftsvision. Nämlich dann,

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wenn der Kunde sein Auto nicht mehr nach Kriterien der Fahrzeugtechnik kauft,sondern ihm die digitalen Services im Auto oder autonome und günstige Transport-leistungen mehr interessieren. Im Moment fließt der Großteil der Investitionen inneue Antriebstechnologien und den Aufbau von Ladeinfrastrukturen für die Elek-troautos. Langfristig wird aber wohl nicht mehr der Besitz des eigenen Autos imVordergrund stehen, sondern die schnelle Verfügbarkeit eines autonomen Transport-gerätes. In diesem Fall ist es den Nutzern egal, von welchem Hersteller das Fahrzeugstammt oder wieviel PS unter der Haube stecken, wenn die Geschwindigkeit ohne-hin für alle gleich ist und Statussymbole nicht mehr so wichtig sind.

Mit dem „digitalen Kampf“ um das Auto geht es für die deutsche Wirtschaft ansEingemachte. Dass so viele Digitalkonzerne (Google, Apple, Amazon oder Alibaba)in autonome Autos investieren, ist daher kein Zufall. In der gewonnenen Zeit imAuto können die Passagiere Filme schauen, einkaufen oder mit sonstigen digitalenDiensten versorgt werden. Die Konzerne versprechen sich ein weiteres Milliarden-Geschäft. Neben Navigations- und Infotainment-Lösungen rücken vor diesem Hin-tergrund auch Sicherheits- und Fahrerassistenzsysteme sowie der Fernzugriff auf dasFahrzeug in den Mittelpunkt. Auf die Spitze getrieben sind alle Autos so vernetzt,dass sie in gegenseitiger Abstimmung im Verkehrsfluss auch autonom fahren kön-nen. Die Vision vom „selbstfahrenden Auto“ macht die Runde und damit die Frage,wer baut es, wenn der Markt es haben möchte? In Deutschland erwarten Expertenerst in einigen Jahren selbstfahrende Autos im Straßenverkehr. In einigenUS-Bundesstaaten sind dagegen die ersten Autos schon ohne Fahrer unterwegs.

3 Die Gesellschaft

3.1 Die gesellschaftlichen Auswirkungen

Um das heutige Ausmaß dieser Digitalen Transformation unserer Gesellschaft zuverstehen, helfen Basiszahlen weiter, die unseren Alltag mit und über die digitaleKommunikation beschreiben. 63 Millionen Menschen in Deutschland sind im Inter-net unterwegs; das entspricht 90 Prozent der Erwachsenenbevölkerung über 14 Jahre,hat die ARD/ZDF-Onlinestudie 2018 ergeben. Die Zahl der Menschen, die sogartäglich im Netz aktiv ist, beträgt inzwischen 54 Millionen. Zwei Drittel der Inter-netnutzer sind in einem der sozialen Netzwerke aktiv und neun von zehn Deutschenkaufen im Internet ein, davon 40 % sogar regelmäßig. 80 % aller deutschen Unter-nehmen haben eine eigene Webseite und für die reine „Digitale Wirtschaft“ schätztder Branchenverband Eco für 2019 einen Umsatzanstieg auf 114 Mrd. Euro.Gemessen am Bruttoinlandsprodukt entspricht dies allerdings nur einem Anteilvon etwa drei Prozent, was im internationalen Vergleich ein niedriger Wert ist.

Die tägliche Online-Nutzungszeit der Menschen ist im Durchschnitt auf196 Minuten gestiegen; bei den unter 30-Jährigen sind es sogar sechs Stunden, weilauch Filme oder Musik aus dem Netz kommen. Nach Abzug des von Forschernempfohlenen Schlafpensums gehören demnach bis zu 38 % unserer Tageszeit demdigitalen Medium. Das heißt dann nichts anderes, als dass wir die gesellschaftliche

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Basiseinheit „Kommunikationszeit“ in den digitalen Raum verschoben haben unduns heute dort verstärkt für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Miteinanderaufhalten. Denn die bisherigen Ausführungen sind schon einmal Beweise dafür, dassdie Digitale Transformation nicht nur längst im Gange ist, sondern sich in Zukunftweiter verstärken wird. Der Grund ist ganz einfach: Wir haben eben nicht nur einenAnschlussboom und damit den massenhaften Zugang zum Internet erlebt, sondernauch einen Beteiligungs- bzw. Nutzungsboom im Hinblick auf die Zeit, die indiesem Medium verbracht wird. Angetrieben wird dieser Wandel von jungen Men-schen, die ihr Nutzungsverhalten mit zunehmendem Alter erfahrungsgemäß nichtmehr substanziell ändern. Das sind die beiden Schlüssel für gesellschaftliche, wirt-schaftliche, aber auch politische Veränderungen. Zurückdrehen lässt sich dieseTendenz nicht, denn jede Technologie, die schneller, kostengünstiger und komfor-tabler Probleme oder Bedürfnisse des Menschen lösen und befriedigen kann, hat sichauch durchgesetzt. Wer die Vorteile des Internet erst einmal für sich entdeckt hat,bleibt in der Regel auch dabei. Nur das Nutzungsverhalten ändert sich in Abhän-gigkeit von neuen Angeboten und Geräteklassen. Möglicherweise werden Sprach-dienste in den kommenden Jahren die heute dominanten Smartphones als wichtigstedigitale Computing-Plattform ablösen. Dahinter stellen dann voraussichtlich dieselben Digitalkonzerne wie heute: Google, Amazon, Apple, Alibaba und Xiaomiheißen die Hersteller der aktuell beliebtesten Geräte, mit denen die Menschen perSprache kommunizieren.

Die digitalen Informationstechnologien induzieren spätestens seit Beginn der1990er-Jahre einen sehr intensiven Strukturwandel in Gesellschaft und Wirtschaft.Waren bis dahin Computer und Netzwerke nur einigen Spezialisten vorbehalten,sind sie heute Bestandteil des täglichen Lebens. Die digitale Technik ist allgegen-wärtig und wird mit dem Internet der Dinge einen weiteren großen Schritt für dieMenschheit vollziehen. Der stetige Fortschritt und die wachsende Bedeutung derInformationstechnik waren und sind notwendige Voraussetzungen für die neueDimension des digitalen Miteinanders.

Mit Blick auf die technologische Durchdringung können folgende Ankerpunktegesetzt werden: Nach Ergebnissen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW)nutzen 86 % der Menschen in Deutschland regelmäßig Computer. Starke Unter-schiede gibt es zwischen den verschiedenen Altersgruppen. Mit 98 % nutzen fastalle 14- bis 29-Jährigen einen PC. Bei Menschen zwischen 50 und 64 Jahren sindes immerhin noch 79 %. Deutlich abwärts geht die Nutzungsrate bei den Älteren:Bei Menschen ab 65 Jahren gebraucht nur noch eine Minderheit von 41 % denComputer (auch wenn es statistisch gerade in dieser Gruppe die höchsten Zuwächsegibt). Zudem gibt es laut Umfrage einen Zusammenhang zwischen dem formalenBildungsgrad und dem Computereinsatz. Ein Drittel aller Menschen mit Haupt-schulabschluss können nicht mit dem Computer umgehen, aber nur sieben Prozentder Abiturienten und Hochschulabsolventen. Immer wichtiger wird neben demComputer aber der mobile Zugriff auf das Internet. Laut Pew Research Institutenutzen 2018 rund 78 Prozent der Deutschen ein Smartphone, weitere 16 Prozent eingewöhnliches Handy. Die Geräte sind inzwischen im Dauereinsatz: Unter denJugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren beträgt die tägliche Nutzungsdauer etwa

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3,5 Stunden, hat die JIM-Studie 2018 ermittelt. Mit zunehmendem Alter nimmt dieNutzungsdauer etwas ab.

3.2 Die gesellschaftlichen Anforderungen

Wenn die technologischen Möglichkeiten der Digitalisierung mit dem prinzipiellen,offenen und schnellen Zugang zum Internet die eine Seite der Medaille darstellen,dann ist die andere Seite mit der Kompetenz im Umgang mit diesen Möglichkeitenbelegt. Im Mittelpunkt steht hier das Wissen um den Aufbau, die Gestaltung und dieNutzung des Internet als Medienplattform. Kinder, die heute zur Schule gehen,werden nach ihrem Abschluss von einer Arbeits-und Lebenswelt umgeben sein,die in einem hohen Maß von Computern und digitalen Strukturen gezeichnet ist,sowohl im privaten Umfeld als auch im öffentlichen Bereich. Die Schule bereitet mitden derzeitigen Lehrplänen aber nur ungenügend auf diese Realität vor; bisherigeInformatik- und medienpädagogische Elemente sind nicht ausreichend. Der Umgangmit Computern und digitalen Medien wird in der Zukunft jedoch so fundamentalsein wie eine zweite Fremdsprache und sollte dementsprechend breit und verpflich-tend in den Lehrplänen verankert werden.

Digitale GrundbildungDie Informatikfachgesellschaft Association for Computing Machinery (ACM) hat ineiner Untersuchung mit dem Titel „Informatics education – Europe cannot afford tomiss the boat“ (ACM 2013) schon 2013 festgestellt: „Europa droht aufgrundfehlender Fachkräfte in der Informatik den Anschluss an die technische Entwicklungzu verlieren.“ Daran hat sich seitdem wenig geändert. Zwar habe es Anfang der1970er- und 1980er-Jahre einige Anstrengungen zur Einführung von Inhalten derInformatik und der allgemeinen informatischen Bildung („digital literacy“) in schu-lische Lehrpläne und universitäre Curricula gegeben, jedoch hätten mittlerweile inetlichen Ländern diese Bestrebungen wieder nachgelassen und seien zum Teil sogarrückgängig gemacht worden. Eine solche Entwicklung sei unverantwortlich. AndereLänder bildeten die Schüler in der Informatik bedeutend gründlicher aus. DerBericht betont: „Keine angemessene Informatikausbildung anzubieten, bedeutet,dass Europa seiner neuen Generation von Bürgern in der Bildung wie auch wirt-schaftlich schadet.“

Auch in Großbritannien warnten die Experten, die hinter dem Report der RoyalSociety stehen, schon im Jahr 2012 (Schmundt 2013): „Wer Informatik nicht zurAllgemeinbildung zähle, versündige sich an der Chancengerechtigkeit.“ Menschendürfen nicht über fehlende Medienkompetenz von der digitalen Entwicklung ausge-schlossen werden. Schon in der Grundschule sollten die Kinder mit einfacherSoftware umgehen können. Andere Länder wie Indien, Südkorea, Israel, USAund/oder Neuseeland haben bereits umgesteuert und nationale Computer-Lehrpläneentwickelt. Estland lässt sogar Erstklässler programmieren. In Deutschland dagegengibt es derzeit kein übergreifendes Angebot. Hamburg gab 2013 sogar die Rück-nahme von Informatik als Pflichtfach bekannt. Mit der Einigung zwischen Bund und

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Ländern auf den „Digitalpakt“, der Geld für die Digitalausstattung der Schulenvorsieht, scheint die Bedeutung der Digitalbildung in den Schulen zwar etwas höhereingestuft zu werden, doch die Geschwindigkeit ist weiterhin viel zu gering. Hiermüssen neue Wege gegangen werden, um die digitale Medienkompetenz in derAusbildung zu stärken. Denn bei dieser Frage geht es nicht um eine rein technische,sondern eher um anwendungsorientierte Informatik, bei der nicht nur die Program-mierung, sondern auch die Nutzung der digitalen Medien unterrichtet wird. Daherhalten viele Experten die Bezeichnung „Digitalkunde“ für passender als „Compu-ting“ oder „Programmierung“. Auf der Webseite vom Bundesministerium für Bil-dung und Forschung (BMBF) ist entsprechend zu lesen: „Der sichere Umgang mitComputer- und Informationstechnik ist für die gesamte Bildungsbiographie beson-ders wichtig. Deutsche Schülerinnen und Schüler liegen im internationalen Ver-gleich von computer- und informationsbezogenen Kompetenzen [nur] im Mittel-feld.“Das hat schon die internationale Vergleichsstudie „International Computer andInformation Literacy Study“ (ICILS) 2013 (IEA 2013) gezeigt, in der Kinder aufcomputer- und informationsbezogene Kompetenzen hin getestet wurden. Auch hierist bis heute keine wesentliche Verbesserung erzielt worden.

Im Mittelpunkt der Studie standen „Kompetenzen zur Nutzung von Technologienzur Recherche von Informationen (zum Beispiel im Internet); die Fähigkeit, diegefundenen Informationen im Hinblick auf ihre Qualität/Nützlichkeit zu bewerten;die Kompetenz, durch die Nutzung von Technologien Informationen zu verarbeitenund zu erzeugen; die Kompetenz, neue Technologien zur Kommunikation vonInformationen zu nutzen; Kompetenzen für einen verantwortungsvollen und reflek-tierten Umgang mit ICT.“ Das Ergebnis aus der ICILS-Studie war für uns wenigerfreulich: „Die Achtklässlerinnen und Achtklässler in Deutschland erreichen einenLeistungsmittelwert von 523 Punkten. Deutschland befindet sich damit im mittlerenBereich der Rangreihe. Schülerinnen und Schüler in der Tschechischen Republik(553 Punkte), in Kanada (Ontario; 547 Punkte), Australien und Dänemark (jeweils542 Punkte), in Polen und Norwegen (jeweils 537 Punkte), in der Republik Korea(536 Punkte) sowie in den Niederlanden (535 Punkte) erreichen ein signifikanthöheres Leistungsniveau als Schülerinnen und Schüler in Deutschland.“ Stefanvon Borstel kommentierte dieses Ergebnis in DIE WELT passend so: „[Das] Internetüberfordert viele deutsche Schüler maßlos. Die Hälfte der deutschen Achtklässlerweiß nicht mal, wie man eine Internetadresse eingibt, haben Forscher herausgefun-den. Etwa ein Drittel der Schüler der Jahrgangsstufe acht kommt in Deutschlandüber die untersten beiden Stufen nicht hinaus und verfügt damit nur über ‚rudimen-täre‘ bzw. sehr grundlegende Fertigkeiten im Umgang mit den digitalen Technolo-gien.“ (von Borstel 2014). Die beiden Leiter der Studie Willfried Bos und BirgitEickelmann warnten entsprechend: „Diese Schülergruppe werde es voraussichtlichschwer haben, erfolgreich am privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Leben im21. Jahrhundert teilzuhaben.“ Die Kommunikation per Whatsapp und Instagramdürfen eben nicht mit Digitalkompetenz gleichgesetzt werden. Computerspieleersetzen keine Digitalbildung!

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Digitalkunde als SchulfachAndere Länder sind weiter: Frankreich bietet das Coding und Programming schon inder Frühphase der weiterführenden Schulen an. Belgien ist ebenso schon in denGrundschulen aktiv wie Finnland. Portugal, Bulgarien, Zypern und Tschechienbieten das Fach dagegen erst in den späteren Phasen der weiterführenden Schulenan. Japan setzt das spezielle Fach „Information Technology“ dagegen schon in derGrundschule und in der Frühphase der weiterführenden Schulen ein. Die USA habenein nationales IT-Curriculum entwickelt und Estland bietet sogar schon den Erst-klässlern in der Grundschule das Fach „Programmierung“ an. Wann, und das ist diezentrale Frage, wird auch Deutschland endlich ein Fach „Digitalkunde“ in denSchulen einführen? Und wann wird in Deutschland „Programmierung“ als zweiteFremdsprache angeboten? Es ist zu befürchten, dass es noch lange dauern wird, dennDeutschland ist nur in einer „Digitalstatistik“ vorne, nämlich bei den Bedenken vonLehrpersonen hinsichtlich des IT-Einsatzes im Unterricht (Platz 1). Stattdessenfinden „Gefahrenstudien“ wie die von Peter Vorderer im Jahr 2015 (Knop et al.2015) immer ein großes Echo. Die Rheinische Post schreibt hierzu unter derSchlagzeile „Das Smartphone wirkt auf Kinder wie eine Droge“ (Stempel 2015),dass jeder zweite Schüler einräumte, er könne der Anziehungskraft des Handys auchwährend den Hausaufgaben nicht widerstehen. Kein Wunder, wurde ihnen dieNutzung auch nie richtig beigebracht. Digitale Medienerziehung findet heute aufdem Schulhof und nicht in der Schulklasse statt. Wer im Übrigen meint, dass dieGeneration „Kopf runter“ über die zu intensive Handy-Betrachtung den sozialenKontakt verlieren würde, der sollte sich mal alte S/W-Fotografien aus den dreißigerund vierziger Jahren ansehen. Dort wird man viele Menschen am Straßenrand stehensehen, die alle für sich alleine in eine Zeitung schauen. Es ist nie das Medium, dasuns vor Probleme stellt, sondern die Art und Weise, wie wir es nutzen. Schließlichhat schon der griechische Philosoph Platon, etwa 390 vor Christus, über die Erfin-dung der Schrift geschrieben: „Das neue Medium ist höchst gefährlich, weil es dasGedächtnis schwächt, Unbefugten den Zugang zu weit reichenden Informationenerlaubt, zu läppischen Spielchen verführt, die von der Realität ablenken und dazuverführt, Realität und ihr mediales Abbild zu verwechseln.“Umso wichtiger sind dieSchulung und Ausbildung unseres Nachwuchses im medialen Bereich. Das hat sichauch für die digitalen Medien nicht geändert.

Digitale Ausbildung an HochschulenWas an den Schulen versäumt wird, wird an den Hochschulen nur teilweise wiederaufgeholt. Zwar gibt es zahlreiche Informatik- und Wirtschaftsinformatik-Studien-gänge an deutschen Hochschulen, aber sie bilden immer noch nicht genügendAbsolventen für den Arbeitsmarkt aus. Immerhin studieren laut dem StatistischenBundesamt (Destatis 2019) im Wintersemester 2017/2018 insgesamt 217.679 Stu-dierende das Fach Informatik. Das ist aber nur ein kleiner Teil aller eingeschriebenenStudierenden in unserem Land. Wenigstens steigt die Zahl der Studienanfänger indiesem Bereich. International gesehen liegt der Anteil von Informatik-Studentenallerdings deutlich höher. Die Folge ist der immer wieder zitierte Mangel an IT-Fach-kräften in Deutschland. Laut einer Studie der OECD (2019) liegt der Anteil an

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Beschäftigten im ICT-Sektor (= IKT, Informations-, Kommunikations- und Tele-kommunikationsbranche) in Deutschland bei 3,9 %. Zum Vergleich: In Finnlandsind es als Spitzenreiter 6,4 % und in Schweden 5,2 %. Daneben wird aber auch indenWirtschaftswissenschaften kaum bis gar nicht speziell für die Digitale Wirtschaftausgebildet. Online-Marketing als Anhängsel an die klassische Marketing-Vorlesung oder einzelne Masterstudiengänge bleiben hier die Ausnahme. In derFolge gibt es somit kaum „EBusiness-Manager“ aus den Hochschulen heraus, diein den Unternehmen eine Digitale Transformation im Hinblick auf neue elektroni-sche Geschäftsmodelle und -prozesse meistern könnten.

Und noch viel deutlicher werden die Mängel im Bereich der Entwicklung vondigitalen Innovationen als Basis für neue Unternehmen in diesem Bereich. Schon dieVorgabe aus der Schule ist nicht ermutigend, denn Startups haben bei deutschenLehrern keinen guten Ruf. Rund zwei Drittel (64 %) würden ihren Schülern davonabraten, nach ihrer Ausbildung ein Startup zu gründen. Gerade einmal jeder vierteLehrer (24 %) würde eine Gründung empfehlen – wie eine repräsentative Befragungvon 505 Lehrern der Sekundarstufe I im Auftrag des Digitalverbands BITKOM zeigt(BITKOM 2016). Gründer aus der Hochschule in Deutschland unterliegen speziellim Bereich des IKT-Sektors vor diesem Hintergrund einer doppelten Problematik.Zum einen kommt man schon ohne Gründermotivation aus der Schule und erlebtdann als immer noch williger Gründer innerhalb der Hochschulen weiterhin eherwenig Unterstützung, wenn man eine eigene Unternehmensidee studienrelevant indie Tat umsetzen möchte. Zum anderen wird das Fach „Unternehmensgründung“oder „Entrepreneurship“, sofern es überhaupt an der Hochschule vertreten ist, in denmeisten Fällen als horizontales Ergänzungsfach neben anderen Schwerpunktfächernwie „Marketing“ oder „Organisation“ behandelt. Eine notwendige vertikale Inte-gration von „E-Entrepreneurship“ in das universitäre Curriculum mit einer direktenVerbindung zu der IKT-relevanten Ausbildung in den Bereichen Informatik undWirtschaftsinformatik ist dagegen kaum zu beobachten. Damit wird das notwendigeGrund- und Gründungswissen hier und im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik,Naturwissenschaft und Technik) allgemein nicht ausreichend verknüpft und dassicherlich auch in Deutschland vorhandene Potenzial für neue Unternehmen imBereich der „Jungen Digitalen Wirtschaft“ in Form von Ausgründungen aus derHochschule nicht gehoben. Beide Problemkreise ergeben in der Schnittmenge einenklaren Handlungsauftrag für die Stärkung des Schnittstellenfachs „E-Entrepreneur-ship“, um studentischen (Aus-)Gründungen auch in Deutschland einen ähnlichenStellenwert zu geben, wie dies in der führenden IKT-Nation USA der Fall ist.

Zudem gibt es kaum kompetente und vor allem aktive Ansprechpartner speziellfür Gründer der Digitalen Wirtschaft auf Seiten der Hochschullehrer. Entwedersprechen die Entrepreneurship-Vertreter der BWL nicht die Sprache der IT-Weltoder können Gründungspotenziale aufgrund fehlender ITKenntnisse nicht ausrei-chend fördern. Oder aber die IT-Kollegen verfügen über die Programmierkenntnissehinaus nicht über das Wissen, relevante IT-Entwicklungen zusammen mit denStudierenden in marktfähige Produkte zu überführen. Dass diese Schnittstelle kaumoder in wenigen Fällen nur mit Hilfe von fächerübergreifenden Kooperationenkonstruiert wird, zeigt ein Blick in die Statistik: Der Förderkreis Gründungs-For-

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schung (FGF) zählt aktuell rund 90 Professuren für Entrepreneurship an Univer-sitäten, Fachhochschulen und sonstigen Hochschulen, davon „nur“ 20 mitIKT-relevanten Themen- oder Forschungsfeldern und nur zwei explizit mit „E-Entrepreneurship“ als Thema (Fachhochschule Göttingen und Universität Duis-burg-Essen). Was bedeutet das alles im Ergebnis? Wir haben in unserer Gesellschaftviel zu wenig „digitale Köpfe“, die entweder mit den digitalen Medien richtigumgehen können oder sie wirtschaftlich für bestehende oder neue Unternehmungenim IT- oder E-Business-Kontext einsetzen können. Und das ist gerade für Deutsch-land als Wirtschaftsnation fatal, denn ein Gegensatz zwischen „realer“ und „virtu-eller“ Welt existiert nicht – so lautet zumindest ein Grundsatz der Digitalpolitik derBundesregierung. Deswegen sind digitaler Wandel, digitale Transformation, digitaleWirtschaft, digitale Gesellschaft, digitale Zukunft und viele andere „Digitalthemen“kein Sonderfeld oder gar nur ein vorübergehendes, tagespolitisches Momentum,sondern die elementare Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaftfür diese und die nächsten Generationen. Die zugehörigen Veränderungen sind dabeileider kein „technischer Knopf“, den man so einfach drücken kann, sondern in ersterLinie ein „evolutionärer Kopf“, der benötigt wird, um digitale Geschäftsprozesseund -modelle wirklich zu verstehen und anzugehen. Es geht dabei nicht um einwenig mehr IT in den Unternehmen unter dem Deckmantel „Industrie 4.0“ und auchnicht um ein Mehr oder Weniger an Bandbreite in der Spitze der digitalen Infra-struktur. Das seit vielen Jahren und vielleicht schon seit Jahrzehnten prinzipielleFehlen von „digitalen Köpfen“ aus unseren Ausbildungssystemen heraus macht sichnatürlich heute und auch in Zukunft im Wirtschaftssystem Deutschland negativbemerkbar.

4 Die Wirtschaft

In der Wirtschaft wird digitales Know-how für die Entwicklung, den Aufbau undden Betrieb von elektronischen Wertschöpfungen in Online- und Offline-Geschäfts-modellen dringend gebraucht. Dieses digitale Know-how bildet sich in den Köpfender handelnden Akteure und da gibt es massiven Nachholbedarf – gerade auch fürund in der Digitalen Wirtschaft. Die „Digitale Wirtschaft“ bezeichnet dabei allge-mein den wirtschaftlich genutzten Bereich von elektronischen Datennetzen (E-Business) und ist damit eine digitale Netzwerkökonomie, welche über verschiedeneelektronische Plattformen die direkte oder indirekte Abwicklung oder Beeinflussungvon Informations-, Kommunikations- und Transaktionsprozessen erlaubt. Kurz: Die„Digitale Wirtschaft“ umfasst jede Form von elektronischen Geschäftsprozessen und-modellen auf Basis von digitalen Netzwerken. Zu den digitalen Netzwerken ge-hören insbesondere das Internet u. a. mit den Aspekten Einkauf (E-Procurement),Verkauf (E-Shop) und Handel (E-Marketplace) sowie der Aufbau und Betrieb vonKommunikations- (E-Community) und B2B-Kooperationsplattformen (E-Company)als soziale Netzwerke aber auch der Mobilfunk u. a. mit den Aspekten MobileCommerce, Mobile Services/Apps und dem Mobile Payment. In Zukunft werdenOnline-Geschäftsmodelle auch zunehmend über das sogenannte Interaktive Fernse-

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hen (ITV) vertreten sein. Vor diesem Hintergrund lassen folgende Meldungen dieAlarmsirenen für unsere Wirtschaft laut aufheulen:

• Alarmsirene Nr. 1: Inzwischen sehen schon 25 Prozent der Unternehmen ihreExistenz wegen der Digitalisierung bedroht. Gleichzeitig geben 37 Prozent derUnternehmen zu, Probleme zu haben, die Digitalisierung zu bewältigen. Auchdieser Wert ist gegenüber dem Vorjahr deutlich gestiegen, zeigt eine Repräsenta-tivumfrage des BITKOM unter deutschen Unternehmen mit mindestens 20 Be-schäftigten. Während zumindest die größeren Unternehmen die Digitalisierunginzwischen ernsthaft angegangen sind, scheinen immer mehr kleine und mittlereUnternehmen in eine digitale Schockstarre zu fallen, weil sich die Spielregeln invielen Märkten zu ihren Lasten gewandelt haben. In der zweiten Welle derDigitalisierung steht der digitale Systemwechsel nun deutschen Kernbranchenwie der Autoindustrie, dem Maschinenbau und auch den Banken bevor. Das iminternationalen Vergleich geringe digitale Entwicklungstempo erweist sich immerklarer als Schwachstelle der deutschen Wirtschaft. Nur Automatisierung oderdigitale Optimierung bestehender Produktionsprozesse, was von der Mehrheitder Unternehmen unter „Industrie 4.0“ verstanden wird, reicht nicht, um inter-national konkurrenzfähig zu bleiben. Drei von fünf Unternehmen berichten überneue Wettbewerber aus der Digitalbranche, die in ihren Markt eindringen. Ebensoviele betrachten sich selbst als Nachzügler beim Thema Digitalisierung, was sichdeutlich beim Einsatz digitaler Technologien zeigt. Zwar sehen 49 Prozent derBefragten die künstliche Intelligenz als eher/sehr bedeutsam für deutsche Unter-nehmen, aber nur 7 Prozent setzen diese Technologie auch ein. Zwar haben sichzwei Drittel der Befragten eine Digitalstrategie gegeben. In 37 Prozent der Fällegilt sie zentral für das gesamte Unternehmen, 31 Prozent haben sie zumindest ineinzelnen Bereichen. 3 von 10 Unternehmen geben allerdings an, über keinerleiDigitalstrategie zu verfügen.

• Alarmsirene Nr. 2: Die Manager in den Chefetagen der klassischen Industrieunterschätzen immer noch den Einfluss von digitalen Geschäftsprozessen und-modellen auf das reale Kerngeschäft. Vor allem Plattform-Anbieter wie Amazonoder Alibaba können mit den Daten, die sie in anderen Märkten sammeln, in neueMärkte eintreten. Das beste Beispiel ist Amazon: Einst als Online-Buchhändlergestartet steht nun der Einstieg in den Gesundheitsmarkt ein. Eine Online-Versandapotheke hat Amazon bereits gekauft; über den Sprachdienst Alexa undKI-gestützte Ferndiagnoseverfahren wird nun versucht, den direkten Kontakt zuPatienten aufzubauen. Die Mechanismen sind immer gleich: Amazon schafft mitHilfe digitaler Technik einen besseren Kundenservice, für den sich das Unter-nehmen meist die Hilfe externer Kooperationspartner holt. Auf diese Weise kanndas Unternehmen schneller wachsen und bessere Services anbieten als aus eige-ner Kraft. Es ist vor allem dieses Plattform-Modell, das viele Märkte schondisrupted hat. Umso erstaunlicher, dass die meisten Unternehmen über Anpas-sungen ihres Modells kaum nachdenken. Nur jedes fünfte befragte Unternehmeninvestiert in diesem Jahr gezielt in die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle.

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• Alarmsirene Nr. 3: Laut Vodafone Institute Survey (Vodafone Institute for Societyand Communications 2014) will kaum ein junger Deutscher seine Karriere in derDigitalen Wirtschaft machen oder etwa in einem zugehörigen Startup arbeiten.33 % der Deutschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren schließen eine Karrierein der Digitalen Wirtschaft für sich aus. Umgekehrt beantworten nur 13 % derBefragten die Frage nach einem möglichen Berufseinstieg im digitalen Sektor miteinem eindeutigen „Ja“. 70 % der „Digital Natives“ in Deutschland können sichzudem nicht vorstellen, für ein Startup zu arbeiten oder gar ein Unternehmen derDigitalenWirtschaft zu gründen (77 %). Das bedeutet, wir werden nicht nurkurzfristig, sondern auch mittel- und langfristig nicht über ausreichend „digitaleKöpfe“ als Manager für etablierte Unternehmen sowie Gründer für Startupsverfügen.

E-Commerce-GegenwartDass der mit Abstand größte – gleich umsatzstärkste – Online-Shop in Deutschlandvon einem US-Unternehmen betrieben wird, kommt nicht von ungefähr. Amazon hatzusammen mit den drei weiteren großen US-Digitalfirmen (Apple, Facebook undGoogle (Alphabet)) einen nahezu gleichen Börsenwert (i. S. der Marktkapitalisie-rung) wie die deutschen DAX30-Unternehmen zusammen und die nächsten Online-Riesen aus dem Ausland stehen mit Alibaba und Tencent auch schon vor der Tür.Amazon erzielt zusammen mit seinen mehreren Zehntausend Marktplatzhändlerneinen Umsatz von etwa 25 Mrd. Euro in Deutschland und besitzt damit einen Anteilam E-Commerce von mehr als 50 Prozent. Als wäre Amazon nicht schon starkgenug, drängt nun auch Alibaba auf den deutschen Markt. Das chinesische Unter-nehmen baut gerade eigene Logistikstrukturen auf, um chinesischen Händlern undHerstellern den Weg nach Deutschland zu ebnen. Alibaba verkauft als reinrassigePlattform keine Waren selbst, sondern vermittelt ausschließlich zwischen Kundenund externen Anbietern. Am chinesischen „Single-Day“ (11.11.2018) verkaufteAlibaba Produkte imWert von 30,8 Mrd. Dollar innerhalb von 24 Stunden. Deutsch-land gehört übrigens zu den Top-5-Herkunftsländer dieser Produkte, (ZDNet 2018).Die größten deutschen Online-Händler Otto und Zalando sind inzwischen ebenfallsauf das Plattform-Modell umgestiegen, stehen dabei aber noch am Anfang undkönnen mit Amazon und Alibaba im Moment ebenso nicht mithalten wie die vielenkleinen Anbieter.

E-Commerce-ZukunftNeben diesem aktuellen Stand sieht auch die Prognose nicht viel besser aus: Unterden weltweit 100 wertvollsten nicht-börsennotierten Internet-Startups (Stand01/2019), den sogenannten Unicorns mit einer Bewertung von mehr als einerMilliarde Dollar, finden sich neben den dominierenden US-Unternehmen wie Uber,WeWork und Airbnb sowie der neuen chinesischen Online-Macht mit zum BeispielBytedance, Didi Chuxing oder Lu.com nur 7 Startups aus Europa (CB Insights2019). Davon kommen mit Auto1, Otto Bock und NuCom nur drei aus Deutschland.Und während in den USA pro Jahr etwa 100.000 neue Online-Startups angeschobenwerden, zählen wir in Deutschland insgesamt gerade einmal 5000 junge Unterneh-

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men in der Digitalen Wirtschaft. Es ist daher schlichtweg nicht zu erwarten, dass esin naher Zukunft digitale Weltmarktführer aus Deutschland geben wird. Selbst wennes deutsche Unternehmen in die europäische Spitze schaffen, werden sie häufig vonamerikanischen oder chinesischen Unternehmen finanziert oder ganz aufgekauft.Noch größer als das Problem der fehlenden Geschäftsmodellinnovationen ist die zugeringe Risikobereitschaft, denn nur noch 7 Prozent des weltweiten Risikokapitalsfür Digitalfirmen stammt aus Europa (Wall Street Journal 2018).

Nun könnte man auf die Idee kommen, dass dies nicht weiter tragisch ist, dennwir haben unsere Stärke traditionell in der Industrie mit den vielen mittelständischenWeltmarktführern. Doch diese Position ist gefährdet, denn die Player der digitalenEbene dringen zunehmend auch in die klassischen Branchen ein. Bestes Beispiel istdie Automobilindustrie, in der Dutzende neue Wettbewerb, angefangen bei GoogleWaymo und Mobilitätsplattformen wie Uber, Lyft und Didi Chuxing bis zu neuenElektroautoanbietern wie Tesla, Byton, Nio oder BYD den etablierten Herstellernaus Deutschland Konkurrenz machen. Die Liste digitaler Konkurrenten ist aber viellänger: Flexport (USA) oder Freightos (Israel) greifen als Plattformanbieter dieLogistiker ebenso an wie Amazon, das mit eigenen Flugzeugen, Lastwagen undselbstfahrenden Autos massiv in Infrastruktur investiert.

Ein Großteil der Investitionen in Künstliche Intelligenz fließt in das Gesundheits-wesen, was deutsche Medizintechnik unter Druck setzen wird. Apple Pay, Wirecard,PayPal, N26 oder Revolut sind Beispiele für die Herausforderer der Banken, dieimmer größere Teile der Wertschöpfung an sich ziehen. Entspannt zurücklehnenkönnen sich nicht einmal die deutschen Maschinenbauer, denn die Konkurrenz ausAsien hat technologisch aufgeholt.

Wenn es diesen Digitalunternehmen gelingt, die digitalen Wertschöpfungspro-zesse mit den dahinterliegenden realen Produkt- und Plattformentscheidungen zu

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verbinden, dann werden Nachfrageströme umgeleitet, neue Handelsstrukturen eta-bliert und die Wahl zu bestimmten Endgeräten oder Plattformen diktiert. Wenn daspassiert, verlieren wir neben den Konsumentenmärkten bald auch noch unsereÜberlegenheit in B2B-Märkten, was dann erheblichen Einfluss auf ihre Wohlfahrthaben wird.

Dass in der zweiten Welle der Digitalisierung mit höheren Einsätzen gespieltwird, weil nicht mehr nur geringe Teile, sondern möglichst die ganze Wertschöpfungdigitalisiert werden, zeigt sich am Risikokapital, das in Digitalfirmen fließt. 2018wurden 254 Mrd. Dollar in aller Welt investiert, 50 Prozent mehr als im Jahr zuvor.Ein wachsender Anteil fließt in Form sehr großer Beträge in schon reife Unterneh-men, die nach der Weltmarktführerschaft greifen (KPMG 2019). Und alle finanziellbestens ausgestatteten Unternehmen haben ein Ziel: „Die Techies, die Startupper, jasogar die Nerds an der Stanford-Universität wollen nicht einfach nur ihr eigenesUnternehmen. Sie wollen nicht einfach nur reich werden oder erfolgreich sein. Wernach ihrem ureigenen Motiv fragt, erhält stets dieselbe Antwort: ‚I want to changethe world.‘ So lautet das Credo des kalifornischen Entrepreneur-Clubs und seinerAnhänge“, stellte Guido Bohsem schon 2015 in einem Artikel für die SüddeutscheZeitung fest (Bohsem 2015). Und das eben nachweislich erfolgreich, denn so ist indem Artikel weiter zu lesen: „Junge Unternehmer aus dem Silicon Valley haben dieWelt bereits verändert und dabei ehemalige Konzernriesen und ganze Branchen vomFeld gekickt. Und sie werden es wieder tun.“ Entsprechend sollten sich alle Verant-wortlichen in der Deutschen Wirtschaft jeden Tag aufs Neue die folgende Fragestellen: Mit welchem innovativen digitalen Geschäftsprozess/-modell würde einUnternehmen aus dem Silicon Valley mit sehr viel Kapital die nächste/eigeneBranche disruptiv verändern?

Digitale Vorteile der USADie Gründe für den Erfolg der US-amerikanischen Startups gerade in Digitalmärktensind im Detail vielfältig, können aber unter der Annahme eines prinzipiell gleichenqualitativen Kreativitätspotenzials für innovative Ideen sowohl dort als auch hier aufdrei wesentliche Aspekte reduziert werden:

• Eine allgemein starke Gründungsneigung und zugehörige Gründungsausbildungmit einer vergleichsweise hohen Risikobereitschaft in der (jungen) Bevölkerung.

• Eine enorme Verfügbarkeit von Risikokapital für die Finanzierung gerade vonden jungen Unternehmen und deren Wachstum im nationalen und internationalenKontext.

• Ein sehr großer (Online-)Binnenmarkt für den schnellen und homogenen Markt-eintritt.

Neben der laut dem Global Entrepreneurship Monitor (Kelley et al. 2016)allgemein höher ausgeprägten Gründungsneigung in den USA steht den jungenStartups vor allem ein ausgeprägter Venture-Capital-Markt zur Verfügung, um dasoft benötigte Gründungs- und Wachstumskapital um ein Vielfaches schneller undum ein Vielfaches höher aufzunehmen als in Deutschland. Laut EY Start-up-Baro-

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meter 2018 Deutschland flossen 2018 rund 4,6 Mrd. Euro in deutsche Startups, rund7 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Auch die Zahl der Investitionen erreichte mit621 einen neuen Höchststand, nachdem EY im Jahr zuvor 507 Transaktionen gezählthat. Die Zuwächse können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass etwa zweiDrittel der weltweit 250 Mrd. Dollar Risikokapital, die 2018 investiert wurden, inamerikanische Unternehmen fließen, wie KPMG in seinem „Venture Pulse 2018“errechnet hat. Auch in der Relation werden diese Zahlen nicht besser: In den USAwerden 18,77 Euro pro Kopf investiert; in Deutschland sind es dagegen nur1,67 Euro.

Vor allem die großen Investitionsrunden fließen weitgehend an Europa vorbei:Von den 382 „Gigantenrunden“ mit mehr als 100 Mio. Dollar Finanzvolumengingen 188 in die USA und 142 nach Asien, aber nur 26 nach Europa. In derKategorie darüber mit mehr als einer Mrd. Dollar Volumen flossen 5 der 16 Dealsin die USA und 11 nach Asien. Mit diesem Geld werden künftige Weltmarktführerfinanziert – und Europa war 2018 (wieder) nicht dabei.

In den USA erwirtschaften ursprünglich mit Venture Capital finanzierte Unter-nehmen heute ein Fünftel des Bruttoinlandproduktes und beschäftigen 11 Prozentaller Arbeitnehmer in der US-Privatwirtschaft. Venture Capital ist und bleibt derbeste Hebel für das Hervorbringen und Finanzieren disruptiver Innovationen. Vondiesen hat Deutschland in seiner Digitalen Wirtschaft in der Vergangenheit zuwenige hervorgebracht. Vielleicht auch deswegen, weil Geld geben und Geld ver-dienen in den USA vor dem Hintergrund der rechtlichen, steuerlichen, aber auchgesellschaftlichen Akzeptanz einen deutlich höheren Stellenwert aufweisen als inDeutschland. Und so wird der Spieß umgedreht: Während Europa über seineEinwanderer in den USA den realen „Wilden Westen“ eingenommen hat, erobertdie USA nun mit seinen Internetunternehmen den digitalen „Zahmen Osten“ inEuropa: Auf rund 30 Milliarden Euro ist das „digitale Handelsbilanzdefizit“Deutschlands mit den USA inzwischen gewachsen.

Trotzdem hat die IT-(Hardware/Software) oder eben in Erweiterung dieIKT-Branche (Informations- und Kommunikationstechnologien mit den zusätzli-chen Bereichen Internet, E-Business und Web Services) in den vergangenen Jahrenaber auch in Deutschland eine signifikante Bedeutung für die deutsche Wirtschafterreicht. So wird nach Informationen des Branchenverbandes Bitkom imIKT-Bereich ein Umsatz von 168,5 Mrd. Euro im Jahr 2019 erwirtschaftet, wovonder Großteil auf Telekommunikationsdienste entfällt. Der IKT-Bereich hat damiteine höhere Wertschöpfung als der Automobilbau in Deutschland.

E-Business ist auf Basis einer Querschnittstechnologie ein zentraler Wirtschafts-faktor geworden, der nicht mehr wegzudenken ist. Darüber hinaus kann „eineWirtschaft“, die im Internet stattfindet, kaum mehr sinnvoll abgegrenzt werdenvon solcher, die nicht im Internet stattfindet. Digitalisierung der Landwirtschaft,Robotereinsatz in der Altenpflege oder Online-Marktplätze für Handwerker sind nureinige Phänomene, die auch traditionelle Branchen auf den Kopf stellen. EineNetzpolitik für die Digitale Wirtschaft und darüber hinaus sichert entsprechend dieFreiheit für die weitere Entfaltung und wohlfahrtssteigende Produkt- und Prozessin-novationen im E-Business. Das E-Business bzw. die zugehörige IKT-Branche ist

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dabei stark von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt. Gerade jungenund neugegründeten Unternehmen (Startups der Jungen Digitalen Wirtschaft;E-Entrepreneurship) kommt dabei eine besondere Rolle als Innovationstreiberzu. Erfahrungsgemäß werden gerade im IKT-Sektor viele Innovationspotenzialevon etablierten Unternehmen vernachlässigt. Junge und neugegründete Unterneh-men erfüllen in diesem Zusammenhang die volkswirtschaftliche Funktion, solcheInnovationspotenziale zu nutzen und in marktfähige Geschäftsmodelle umzusetzen.

Digitalisierung als WirtschaftskraftBei den reinen Internet-Startups, also den Unternehmen mit einem Geschäftsmodellim Netz, weist Deutschland seit Jahren – je nach Schätzung – eine Unternehmens-basis von 5000 bis optimistisch 8000 auf. Diese Basis ist viel zu klein, um von einerkonkurrenzfähigen Startup-Szene im internationalen Vergleich zu sprechen. Noch-mals zur Erinnerung: In den USA wurden und werden 100.000 neue Unternehmenim Jahr gegründet. Der Bundesverband Deutsche Startups e. V. (BVDS) (Bundes-verband Deutsche Startups e. V. 2018) stellt im aktuellen Startup-Monitor 2018 fest,dass diese jungen Unternehmen im Durchschnitt 12,3 Arbeitsplätze (inklusive Grün-der) geschaffen haben und für das kommende Jahr mit durchschnitlich 6,5 Neuein-stellungen planen. Wir sprechen hier also von einem Bereich, der als wertvolleQuelle für neue Technologien, Unternehmen und Arbeitsplätze dienen kann unddessen Entwicklung der Politik am Herzen liegen sollte. Auch hier ist der Grundoffensichtlich, denn gerade Startups begreifen Veränderungen als Mut zum Fort-schritt und lassen sich von den Risiken nicht den Blick auf die Chancen verwehren.Sie stellen sich dem globalen Wettbewerb im digitalen Netz und versuchen mit Fleißund Kreativität eine individuelle Verantwortung für den eigenen Erfolg zu überneh-men.

Neben den Startups ist aber auch die Digitalisierung von Mittelstand und Indus-trie unausweichlich. Dafür sprechen drei Gründe:

1. Der (potenzielle) Kunde nutzt das Internet zunehmend für geschäftliche Entschei-dungen, auch in B2B-Märkten.

2. Der nationale und internationale Wettbewerb nutzt zunehmend das Internet fürdie Abwicklung von Geschäftsprozessen.

3. Die Anbieter von digitalen Geschäftsmodellen beeinflussen, wie bereits darge-stellt, zunehmend die reale Handelsebene und werden auch zu realen Produktan-bietern und Dienstleistern. Das bedeutet, dass das Internet die nachfragerelevan-ten Entscheidungsprozesse im Hinblick auf Information, Kommunikation undTransaktion sowie die Wahrnehmung von relevanten Wettbewerbern nachhaltigverändert hat.

Digitale KaufentscheidungMit Blick auf den ersten Punkt weist zum Beispiel der Global New Products Reportvon Nielsen (2013) schon vor einigen Jahren nach, dass der „Digital Influence“, alsoder Einfluss des Internet und der sozialen Medien auf die Kaufentscheidung für neueProdukte in Kategorien wie Elektronik, Haushaltsgeräte, Bücher oder Musik einen

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Anteil von 70 bis 80 % aufweist und seitdem sicher nicht gesunken ist. Auch imBereich Kleidung und beim Kauf eines neuen Autos ist den Befragten das Internetbesonders wichtig (69 %). Außerdem waren die Befragten viel eher dazu bereit, neueProdukte zu kaufen, nachdem sie sich die Informationen aus dem Internet, etwa vonder Hersteller-Webseite, dem Social-Media-Auftritt oder in Internetforen, eingeholthatten. 45 % der Befragten gaben an, dass sie sich auf der Hersteller-Webseiteinformieren, 30 % über Social-Media-Kanäle wie Facebook oder YouTube. Zudemist das direkte Kaufverhalten seit Jahren zunehmend

Digitale TransformationInzwischen ist die Notwendigkeit einer digitalen Transformation in fast allen Unter-nehmen angekommen. Die Händler müssen gegen Amazon ums Überleben kämp-fen, die Autohersteller ihre Position gegen Tesla, Waymo oder Uber verteidigen, dieBanken den Verlust ihrer Kunden an Paypal/Google/Apple verhindern und dieMaschinenbauer ihre Produkte intelligent machen. Egal, welche Strategie die Unter-nehmen im Moment verfolgen: Alle haben ihr Digitalisierungstempo im vergange-nen Jahr spürbar erhöht und dafür auch mehr Geld ausgegeben. Der für Digitalisie-rungsprojekte ausgegebene Umsatzanteil ist 2018 von durchschnittlich 4,6 auf 4,9Prozent gestiegen, zeigt eine Repräsentativbefragung von 954 Unternehmen vonBitkom Research in Deutschland mit mindestens 100 Beschäftigten.

Die befragten Unternehmen sehen die größten Potenziale der Digitalisierung ineinem verbesserten Kundenservice und einer optimierten Kundenakquise. An dritterStelle folgt eine schnellere Internationalisierung des Geschäfts. Viele Organisationenwollen mit dem Einsatz digitaler Technologien ihre Effizienz steigern und dieKosten senken, indem sie die betrieblichen Abläufe vereinfachen, beschleunigenund flexibilisieren. Großes Potenzial sehen die Unternehmen zudem in der Entwick-lung neuer Produkte und Dienstleistungen. Der Anteil der Unternehmen, der großesPotenzial in der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle sieht, beträgt dagegen nur12 Prozent, obwohl 44 Prozent einen Effekt der Digitalisierung auf das eigeneGeschäftsmodell sehen. Für die Mehrheit der Unternehmen ist dieses Ziel alsoweiterhin nicht relevant, obwohl die Verschiebungen in der digitalen Ökonomie inden vergangenen zwei Jahrzehnte überwiegend von neuen Geschäftsmodellen aus-gelöst wurden.

Entsprechend groß ist inzwischen die Enttäuschung über den ausbleibendenErfolg der digitalen Transformation in vielen Unternehmen. In den kommendenJahren wird es entscheidend darauf ankommen, neue Geschäftsmodelle wie Platt-formen, Subskriptionsmodelle (auch in der Industrie) sowie daten-/KI-getriebeneServicemodelle zu entwickeln, die dauerhaft die Wertschöpfung eines Unterneh-mens erhöhen.

Digitaler WettbewerbIm Hinblick auf den dritten Punkt (Wettbewerb) spüren sowohl Industrie als auchMittelstand, wie der Online-Wettbewerb die Spielregeln auch für den realen Handelbeeinflusst. Schon heute beherrschen große Internet-Unternehmen aus den USA diewesentlichen Handelsebenen und zwingen gerade kleineren realen Händlern ihre

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Marktmacht auf. Schon ein Zehntel des Welt-Bruttoinlandsprodukts ist inzwischenin den Plattform-Layer verschoben worden, der weitgehend von amerikanischenoder asiatischen Unternehmen beherrscht wird. Die europäischen Spieler, die sichdem Online-Handel zugewendet haben, müssen also in einem nicht geringem Maßederen Spielregeln akzeptieren.

Auch die großen Industrie-Unternehmen werden in Zukunft nur dann wettbe-werbsfähig bleiben, wenn sie auch auf der digitalen Handelsebene tätig werden. Siemüssen mit Hilfe von elektronischen Geschäftsprozessen und -modellen in der Lagesein, ihre Wertschöpfung auch im Wettbewerb gegenüber den weltweit führendenInternet-Unternehmen aus den USA und zunehmend auch Asien zu behaupten. DieAntwort kann nicht alleine „Industrie 4.0“ sein! Typische Antworten der deutschenIndustrie zu dem Einsatz von digitalen Technologien sind, dass diese die Produkti-vität steigern und die Kosten senken sollen. Zu diesem Ergebnis kommen zahlreicheUmfragen, die über die vergangenen Jahre weitgehend identische Ergebnisse her-vorgebracht haben. Die Unternehmen haben zwar die Bedeutung digitaler Ge-schäftsmodelle erkannt, aber im Vordergrund stehen weiterhin straffe Prozesse inVerkauf und Marketing, in der Lieferkette und der Beschaffung und nicht einerisikoorientierte Innovationskultur im Hinblick auf neue digitale Geschäftsprozesseund -modelle. Vor diesem Hintergrund suchen Konzerne gerne die Nähe zu innova-tiven Startups, um von deren disruptiven Innovationen mit Blick auf die Anforde-rungen der Digitalen Transformation zu profitieren. Entsprechend kann beobachtetwerden, wie über Inkubatoren, Acceleratoren oder Corporate Venture Capital eineSchnittstelle zwischen Konzernen und Startups aufgebaut wird. Es geht hierbeivielmehr um ein externes Innovationsmanagement in Form einer „Innokubation“,um gemeinsam mit jungen Gründern an deren spannenden Ideen zu arbeiten.

Allzu intensiv ist diese Zusammenarbeit allerdings nicht. Aktuell arbeiten zweiDrittel der Unternehmen (67 Prozent) in Deutschland nicht mit Startups zusammen.Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage unter 606 Unternehmen aus allenBranchen im Auftrag des Digitalverbands Bitkom. Überraschend sind die Gründe,weshalb Unternehmen auf eine Zusammenarbeit mit Startups verzichten. So gibtjeder zweite der Geschäftsführer (53 Prozent) an, keine Zeit für Startup-Kooperationen zu haben. Vor zwei Jahren lag der Anteil mit 39 Prozent deutlichdarunter. Rund drei Viertel (73 Prozent) nennen aktuell als Grund fehlende Kontaktezu Startups. Jeweils 3 von 5 Unternehmen sagen, sie sehen keinen Mehrwert in einerKooperation mit Startups (59 Prozent) oder s gebe kein geeignetes konkretes Projekt(56 Prozent). Nur jedes vierte Unternehmen beklagt fehlende finanzielle Mittel(24 Prozent). Bitkom-Präseident Achim findet die ablehnende Haltung bedenklich:„Wer keine Zeit für eine Zusammenarbeit mit Startups hat, hat offenbar keine Zeitfür die Zukunft seines Unternehmens.“1

1https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Unternehmen-haben-keine-Zeit-fuer-Startups

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Digitale WettbewerbsfähigkeitInsgesamt ist Deutschlands digitale Wettbewerbsfähigkeit bestenfalls im Mittelfeldanzusiedeln. Nach einer Untersuchung des IMD World Competitiveness Center ausdem Jahr 2018 landet Deutschland auf Rang 18 von 63 analysierten Ländern, einenPlatz niedriger als noch 2017.2 Besonders schlecht schneidet Deutschland in denKategorien „Digital-/Technologiefähigkeiten“ und „Investitionen in Telekommuni-kationsinfrastruktur“ ab, in denen jeweils nur Rang 54 erreicht wurde. Auch in denDisziplinen „Unternehmensgründung“ (Rang 52) oder der Nutzung von „Big Dataund Analytics“ (Rang 41) liegt Deutschland weit hinter der Weltspitze zurück, dieaus den USA, Singapur, Schweden, Dänemark und der Schweiz besteht. Deutsch-lands Stärken werden dagegen in der Fortbildung, den Forschungsausgaben unddem Patentschutz gesehen.

Im „Digital Economy and Society Index 2018“ der EU-Kommission schafft esDeutschland nur noch auf Rang 14 der 28 untersuchten EU-Länder, fünf Plätzeschlechter als 2016.3 Mit dem Index misst die EU die Fortschritte ihrer Mitglieds-staaten in der Digitalisierung auf fünf zentralen Feldern: Konnektivität, DigitaleBildung/Humankapital, Internetnutzung der Menschen, Einsatz digitaler Technolo-gien in den Unternehmen und Nutzung der E-Government-Angebote (soweit vor-handen). Gut schneidet Deutschland mit Rang 8 im Bereich „Digitale Bildung/Humankapital“ ab. Trübe sieht es dabei im Feld „Digitale öffentliche Dienste/E-Government“ aus, in dem Deutschland wie im Vorjahr den 21. Platz erreicht. ImBereich „Konnektivität“ ist Deutschland um zwei Plätze auf Rang 13 abgerutscht.Beim Einsatz digitaler Technologien in Unternehmen ging es von Rang 14 auf12 nach oben; die private Internetnutzung erreichte Platz 14 nach Platz 18 im Jahrzuvor.

5 Fazit

Die Digitale Transformation hat größere ökonomische und soziale Implikationen alsjede bisherige industrielle Revolution. Dies zeigt sich insbesondere durch den Faktder Konzentration der Digitalen Transformation auf Konsumentenseite, die in denvergangenen Jahren notwendige Technologien Milliarden Menschen zugänglichbzw. nutzbar machte. Unternehmen hingegen konnten neue Bedürfnisse bzw. bereitsdigitalisierte Nutzer nur befriedigen, wenn sie ein entsprechendes Verständnis für diedisruptiven Technologien besaßen, entsprechende Kompetezen zu nutzen wusstenund digitale Plattformen anboten.

Nicht vor diesem Hintergrund allein wird der Technologie als Treiber mit Aus-wirkungen und Anforderungen an Gesellschaft und Wirtschaft enorme Bedeutsam-keit zugewiesen. Da die disruptive Wirkung dieser Technologie im Sinne der

2https://www.imd.org/wcc/world-competitiveness-center-rankings/world-digital-competitiveness-rankings-2018/3https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/desi

22 T. Kollmann und H. Schmidt

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Digitalen Transformation außer Frage steht, ist es vornehmlich relevant und not-wendig, digital zu denken, die Digitalisierung als Wirtschaftskraft zu erkennen undvorteilhaft zu nutzen. Dies beginnt bereits bei grundlegender Bildung von Kompe-tenzen, aber auch politischen Rahmenbedingungen und dem Zugeständnis, dassDigitalisierung und Digitale Transformation nicht nur die Computerwelt betreffen.Denn diese Computerwelt ist überall und der technische Fortschritt mithin nichtaufzuhalten sowie die damit verbundenen digitalen Geschäftsmodelle und -prozesseebenso nicht aufzuhalten sind. Ist diese Gewahrsamkeit erst geschaffen, kann undwird die Digitale Transformation durch Technologien weiterhin Auswirkungen undAnforderungen an Gesellschaft und Wirtschaft stellen. Diese können dann jedochauch aktiv und gewinnbringend zur Gestaltung der Zukunft genutzt werden.

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