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Einführung in die Didaktik des Sachunterrichts Universität Würzburg Prof. Dr. Andreas Nießeler

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Einführung in die Didaktik des Sachunterrichts

Universität Würzburg

Prof. Dr. Andreas Nießeler

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Didaktische Leitfragen

• Was sind typisch kindliche Aneignungsweisen von Wirklichkeit?

• Wie ist das Verhältnis von Kind und Sache?

• Gibt es eine bestimmte Struktur der Sache?

• Wie ist die Beziehung des Sachunterrichts zur Lebenswelt?

• Was ist das Typische des Sachunterrichts?

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Literaturempfehlung

• Joachim Kahlert, Maria Fölling-Albers, Margarete Götz, Andreas Hartinger, Dietmar von Reeken & Steffen Wittkowske (Hrsg.): Handbuch Didaktik des Sachunterrichts. Verlag Julius Klinkhardt. Bad Heilbrunn/Obb. 2007

• Duncker, L. / Popp, W. (Hrsg.): Kind und Sache. Zur pädagogischen Grundlegung des Sachunterrichts. 4. Aufl. Weinheim / München 2004.

• Kahlert, Joachim: Der Sachunterricht und seine Didaktik. Bad Heilbrunn / Obb. 2. Aufl. 2005.

• Kaiser, Astrid: Neue Einführung in die Didaktik des Sachunterrichts. Baltmannsweiler 2006.

• Richter, Dagmar: Sachunterricht – Ziele und Inhalte. Ein Lehr- und Studienbuch zur Didaktik. Baltmannsweiler 2. Aufl. 2005.

• Wagenschein, Martin / Banholzer, Agnes / Thiel, Siegfried: Kinder auf dem Wege zur Physik. Stuttgart 1973.

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• www.uni-wuerzburg.de/grundschuldidaktik/litlist.html

• www.sachunterricht-online.de

• www.widerstreit-sachunterricht.de

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1. Bildungsfeld Sachlernen: Aufgaben und Ziele des

Sachunterrichts

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Richtlinien und Lehrpläne der BRD

Sachunterricht: Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Rheinland-Pfalz

Heimat- und Sachkunde: Thüringen

Heimat- und Sachunterricht: Bayern, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein

Heimatkunde/Sachunterricht: Sachsen

Sachkunde: Berlin

Baden-Württemberg: Fächerverbund Mensch, Natur und Kultur, vormals Heimat- und Sachunterricht

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Sachunterricht im internationalen Vergleich

- Natur / teknik (Dänemark)- Lebenskunde (Japan)- Lernbereiche science / social studies (USA)- Oriëntatie op jezelf en de wereld - Orientierung Ich und

die Welt (Niederlande)- Découvrir le monde / Éducation

scientifique, Éducation civique(Frankreich)

- Einzelfächer: scienze, storia, geografia (Italien)- Schottland, Griechenland: environmental studies

(Umweltstudien)- Österreich: Sachunterricht

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Definition

„Sachunterricht ist ein Kernfach der Grundschule, das den Kindern helfen soll, sich der Welt, in der sie leben, geistig zu bemächtigen und die von ihnen erlebte Welt sachlich fassbar zu machen“

(Köhnlein 1994, 262)

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Aufklärung des gelebten Lebens und Erschließung der kindlichen Lebenswirklichkeit

Lehrplan für die Grundschulen in Bayern 2000

„Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Grundschule umfasst die Aufgabe, Kindern die Welt, in der sie leben, d.h. die natürlichen, kulturellen und sozialen Gegebenheiten und die sie umgebende Sachwelt zu erschließen.“

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Theorien der Lebenswelt

• Edmund Husserl: Transzendentales Bewusstsein

• Martin Heidegger: Das In-der-Welt-sein

• Alfred Schütz: Strukturen der Lebenswelt (Teilrealitäten)

• Peter Berger / Thomas Luckmann / Hansfried Kellner: alltagsweltlich gebundener Wissensvorrat

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2. Kind und Sache

2.1. Weltdeutungsversuche von Kindern

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Interpretationsmuster kindlichen Weltverstehens (nach Kay Spreckelsen: Wie Grundschulkinder physikalische Phänomene verstehen. In: Grundschule 10/1997)

• Animismus

• Täter-Tat-Schema

• Subjektiver Erfahrungsgrund

• Transduktives Verstehen (Verknüpfen mit bereits bekannten Phänomenen)

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Martinus J. Langeveld: Das Ding in der Welt des Kindes. In: Studien zur Anthropologie des Kindes.

Tübingen 1956

Vier Ebenen der Sinngebung

1. Die offene Sinngebung

2. Die unverbindliche Sinngebung

3. Die kreative Sinngebung

4. Die persönliche Sinngebung

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Anthropologie = Lehre vom Menschen

• Max Scheler: Der Mensch als weltoffenes Wesen• Arnold Gehlen: Der Mensch als unspezialisiertes

Mängelwesen• Adolf Portmann: Der Mensch als normalisierte

Frühgeburt• Ernst Cassirer: Der Mensch als animal

symbolicum

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Ansätze und Ergebnisse der neueren Entwicklungspsychologie

• schon der Säugling und das Kleinkind eignen sich aktiv-entdeckend Wirklichkeit an und formen erste Vorstellungen

• Entwicklung = Auseinandersetzung mit der Welt und mit sich selbst

• Wissen baut auf Wissen auf (Entfaltung von Wissensdomänen)

• Wissenserwerb = Interpretationsgenese (Wissensbildung)

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2.2. Verstehen heißt (auch) Verändern

Der Conceptual-Change-Ansatz

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Konstruktivistische Ansätze

• Neurobiologie, Gehirnforschung (Maturana, Varela, G. Roth)

• Kognitionswissenschaft (Glasersfeld)• Kybernetik (v. Foerster)• Sozialwissenschaften (P. Heijl); Thomas Luckmann:

Gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit• Systemtheorie (Luhmann)• Evolutionäre Kultur- und Erkenntnistheorie (Riedl)

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Conceptual-change (Duit & Häußler 1997)

1. Die Lernenden müssen mit bereits vorhandenen Vorstellungen unzufrieden sein (dissatisfaction).

2. Die neue Vorstellung muss logisch verständlich sein (intelligble).

3. Sie muss einleuchtend sein (plausible).

4. Sie muss fruchtbar sein und sich in neuen Situationen als erfolgreich erweisen (fruitful).

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2.3. Kind- und Sachorientierung als grundlegende Parameter des

Sachunterrichts

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Aspekte der Kindorientierung

Vorläufer: „Pädagogik vom Kinde aus“ (Ellen Key, Maria Montessori, Berthold Otto)

• Personal begründete Individualisierung• Entwicklungspsychologisch und

kognitionspsychologisch begründete Differenzierung

• Anthropologisch begründete Aktivierung

nach Kurt Meiers: Stand und Perspektiven des Sachunterrichts. In: M. Rauch: Schulbuchforschung als Unterrichtsforschung. Frankfurt am Main 1997. S. 12-23.

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„Kinderforschung“

• Frühe Entwicklungspsychologie (Bühler, Hetzer, Clara und William Stern, Piaget)

• Anthropologie des Kindes und der Schule: Langeveld (1956), neuerdings auch Duncker/Scheunpflug/Schultheis (2004)

• Geschichte der Kindheit (van den Berg 1956, Ariès 1960, de Mause 1977, Postman 1982)

• Soziologische Kindheitsforschung (Rolff/Zimmermann 1985/Fölling-Albers 1989

• Phänomenologische Kinderforschung: Lippitz / Rittelmeyer (1989)

• „Kinderkulturen“: Duncker / Maurer / Schäfer (1990); Fatke (1994)

• Ethnographische Kinderforschung: Schäfer, Zinnecker, Scholz

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Formen der kindlichen Weltaneignung und Ausdrucksformen des Kinderlebens

In seinen Ausdrucksformen teilt sich das Kind „eher indirekt als direkt, eher verschlüsselt als offenbar, eher mehrdeutig als eindeutig, eher symbolisch als rational“ mit (Fatke 1994, 108)

• Malen und Zeichnen• Erfinden von Phantasiegeschichten• Sammeln und Ordnen• „Basteln“ und Gestalten• Spielerischer Umgang• Wundern / Staunen / Fragen („Philosophieren“)• Humor und Sprachwitz

=> Symbolisierung von Eindrücken = verdichten und verstehbar machen (individuelle Sinngebung)

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Beispiel einer kindorientierten Konzeption des Sachunterrichts: Das Nuffield Junior Science

Project

Plowden-Report 1967: „Das Kind ist der Mittelpunkt des Erziehungsprozesses.“

Englische Primarschulreform der 1960-70er Jahre– Individuell Interessen des Kindes– besondere Qualität des kindlichen Denkens– Schüler als Subjekte des Lernprozesses– individuelle Lernwege (mit Umwegen, Irrwegen, Risiko des

Scheiterns)– Lehren = Unterstützung von Lernen

Förderung von Formen eines „entdeckenden Lernens“

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Komplementarität von Kind- und Sachorientierung (LP Bayern 2000)

Kindorientierung• Entwicklungsstand des

Kindes• Kindliche Lebens- und

Lernformen• Themenaspekte aus der

Lebenswirklichkeit• emotionale und

motivationale Dimensionen• Erleben, Erfahren und

Handeln

Sachorientierung

• Aufzeigen inhaltlicher Strukturen

• Sachgemäßes methodisches Vorgehen

• Herstellen erster fachlicher Bezüge

• Vermittlung entsprechender Arbeitsweisen

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Sach- und fachgemäße Arbeitsformen (Kahlert 2002, S. 216-219)

• Ordnen – die Vielfalt von Eindrücken und Erfahrungen zweckmäßig strukturieren

• Beschaffen, Interpretieren und Bewerten von Informationen – sich systematisch kundig machen

• Gestalten von Informationen, Texten und Vorträgen – sich verständlich machen, Einfluss nehmen

• Gezielt Vermutungen prüfen – Experimente und technische Konstrukte planen, entwerfen und durchführen

• Aufgaben einteilen - Arbeiten planen

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2.4. Naturwissenschaftliche Grundbildung

– Scientific Literacy

Evaluation des Sachunterrichts

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Scientific literacy

• Paul De Hart Hurd (1958)– dominierende Rolle der Naturwissenschaften in

der Gesellschaft– Forderung nach Wissenschaftsverständnis

• Bildungsmisere in den USA– National Commission on Excellence in Education:

„A Nation at Risk“ (1993)– Schlechte Ergebnisse bei

• NAEP (National Assessment of Educational Progress)• TIMSS (Third International Mathematics and Science

Study)

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Begründungszusammenhänge (nach Marquardt-Mau 2001)

• Ökonomische Relevanz• Individuelle Relevanz• Kulturelle Relevanz• Gesellschaftliche Relevanz• Ökologische Relevanz

Ziel: Naturwissenschaftliche Allgemeinbildung Scientific literacy for all

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Naturwissenschaftliche Grundbildung im Sinne von Scientific Literacy (IGLU-E)

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3. Wörter – Bilder – Sachen: Anfänge des Sachlernens

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Klassische Bildung der septem artes liberales (Formalia und Realia)

• Trivium (lingua): Grammatik, Rhetorik, Dialektik

• Quadrivium (artes reales): Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik

Vorkurs der mittelalterlichen Universitäten „Artistenfakultäten“ und Philosophische

Fakultäten

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Der statische Bildungskanon des Mittelalters

• „Diese Konstanz hatte auch ein statisches Welt- und Wissenschaftsverständnis zur Voraussetzung: Was der Mensch überhaupt wissen konnte, war – jedenfalls dem Prinzip nach – bekannt. Worauf es erzieherisch und unterrichtlich ankommen musste, war Einübung und Nachfolge.“ (Blankertz 1981, S. 14)

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Der Beginn der Neuzeit

Geschichtliche Ereignisse– Entdeckung Amerikas– Erfindung des Buchdruckes– Reformation– Renaissance

Bahnbrechende neue Kenntnisse- Astronomie (Kopernikus, Tycho Brahe, Kepler,

Galilei)- Mechanik- Medizin- Botanik und Zoologie- Geografie

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Die Neuordnung des Wissens

• Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben (Galilei)

• Baco von Verulam: Novum organon scientiarium (1620) – Neues Wissen, das weder der Tradition

verpflichtet ist noch auf metaphysischen Konzeptionen beruht.

– Wissen als Werkzeug (organon): Wissen ist Macht

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Johann Amos Comenius (1592-1670)

- geb. 1592 in Mähren- Studium der Theologie in Herborn und Heidelberg- Lehrer und Rektor an der Lateinschule in Prerau - Später Priester und Prediger- 1632: Bischof der Brüder-Unität - gest. 1670 in Amsterdam

Werke:– Orbis sensualium pictus– Didactica magna– Das Labyrith der Welt– Pampaedia – Allerziehung

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Didaktische Prinzipien

1. Niemand dürfe wegen des Lernens geschlagen werden.

2. Alles, was auswendig gelernt werden soll, muss den Schülern so klar vorgelegt werden, dass sie es wie ihre fünf Finger vor sich haben.

3. Sooft als möglich ziehe man die sinnliche Wahrnehmung zu, damit alles sich leichter einprägt.

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Prinzip der Anschauung:

„Der Anfang der Kenntnisse muss immer von den Sinnen ausgehen, denn nichts befindet sich in unserem Verstande, das nicht zuvor in einem der Sinne gewesen wäre; warum sollte also nicht die Lehre mit einer Betrachtung der wirklichen Dinge beginnen, statt mir ihrer Beschreibung durch Worte?“

Johann Amos Comenius:

Didactica magna [1638], S. 137)

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Pädagogische Grundsätze

• omnes (alle Menschen)

• omnia (alles)

• omnino (im Blick auf das Ganze)

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Aus der Gothaer Schulordnung von Reyhers (1657) Kurzer Unterricht I. von natürlichen Dingen, II. von etlichen nützlichen Wissenschaften, III. von geistlichen und weltlichen Landessachen, IV. von etlichen Hausregeln. I. Natürliche Dinge

Kap. 1: Himmelskunde, Sonne, Mond, Sterne Kap. 2: Vier Elemente, Meteore, Blitz, Donner, Wolken, Regen, Tau, Reif, Winde,

Regenbogen, Morgenröte, Sonnenhof Kap. 3: Erdkreis, Edelsteine, Perlen, Metalle, Mineralien, Bodenarten Kap. 4: Bäume und Kräuter, Heilkräuter für Mensch und Tier Kap. 5: Fliegende, schwimmende, gehende, kriechende Tiere Kap. 6: Vom Menschen, von seinem Körper Kap. 7: Von der Seele: Sinne, Begehren, Verstand, Willen

II. Etliche nützliche Wissenschaften

- Musik, Zweck, wichtigste musikalische Instrumente - Meßkunst, Masse, Winkel, Linien mit 35 geometrischen Figuren - Münz- und Landbeschreibung, verjüngter Maßstab, Visierschnur, Gewichte,

Geographische und zeitliche Maße - Baukunst - Maße als Beilagen, gefordert für die Schule sind Elle, Zirkel, Bleiwaage,

Strickrollen, Gewichte, Kompass - Zeitrechnung. Immerwährender Kalender wird angekündigt III. Geistliche und weltliche Landessachen

Land und Orte, Ämter, Berufsarten, Rechte und Vorteile, Zweck der Steuern und Zinsen, Landes-, Kirchen-, Polizei- etc. Ordnungen

IV. Hausregeln

Gute Lehren für Hausherren, Hausfrauen, über Sparen, Ausgaben und Einnahmen. Aushelfen für andere, Ordnung

(aus Josef Dolch: Der Lehrplan des Abendlandes. Ratingen 1959. S. 293 f.)

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Realienunterricht in der Epoche der Aufklärung

Allgemein• Befreiung aus der selbstverschuldeten

Unmündigkeit • Umfassendes System menschlichen Wissens• Französische Enzyklopädisten (Voltaire,

Diderot, D’Alembert)• Neue Schulformen

– Real- und Fachschule– Industrieschule– Ecole polytechnique

=> Jahrhundert der Bildung

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Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) Werke:• Emile oder über die Erziehung• Abhandlung über den Ursprung und die Grundlage der

Ungleichheit unter den Menschen• Contrat social• Julie oder die neue Heloise

„Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt; alles entartet unter den Händen des Menschen.“

=> „Entdeckung“ der Kindheit=> Situiertes und sinnvolles Lernen

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Die Philanthropen

• Basedow, Salzmann, Campe, Trapp, Rochow und Iselin

• Schulgründungen in Dessau und Schnepfenthal

• Pädagogische InnovationenPragmatischer RealienunterrichtKindgemäßheit der ErziehungBedeutung des SpielsFörderung der kindlichen Neugierde und

EntdeckerfreudeKinder- und Jugendliteratur

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Wiliam H. Kilpatrick: Projektmethode – Auflösung aller Curricula – Orientierung an individuellen Interessen – Projekt als „herzhaftes absichtsvolles Tun“

John Dewey: learning by doing – Erfahrung / Lernen = Problemlösen

Deutsche Rezeption Reichwein / Kretschmann: Vorhaben Gaudig / Kerschensteiner: Arbeitsschule

Dagmar Hänsel: „Wir wissen – dank Knoll – nun endlich, was die Projektmethode wirklich ist, nämlich eine Methode des praktischen Problemlösens …“ (Hänsel 1993, S. 65)

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4. Prinzipien des Sachunterrichts

4.1. Handlungsorientierung

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Bedeutung handlungsorientierter Aneignungsformen (nach Möller 1987)

• Entwicklung des Kindes– Effektives Lernen– Ausbildung logischer, geistiger Operationen

• “Mediatisierung der Erfahrung” (Zimmermann / Rolff)

• Handlungsbegriff und Pragmatismus

• Materialistische Aneignungsmodelle

• Anthropologisch: Der Mensch als handelnd-kulturschaffendes Wesen

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Merkmale handlungsorientierten Unterrichts (nach Popp 1998)

Mitverantwortung und Kooperation selbständige Organisation des eigenen Lern- und Arbeitsprozesses konkret-praktisches Tun (Probieren, Experimentieren, Konstruieren,

Bauen, Gestalten, Produzieren) “ganzheitliche” Beteiligung mit allen Sinnen (vielfältige

Organerfahrungen, Affekte, körperliche Widerstands- und Gegenstandserfahrung

Selbstkontrolle und Selbstkorrektur Ordnen und Strukturieren kritische Reflexion Erfahrung eigener Ausdauer und Kompetenz, individueller

Vorlieben und Schwächen

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4.2. Lebensnähe und originale Begegnung

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Dimensionen der Lebensnähe im SU (Kaiser 1997, 118)

• Intentional/inhaltlich– Bezug zur kindlichen Lebenswirklichkeit (heimatnah,

situativ, interessenbezogen)

• Medial – Lernen an der Wirklichkeit– Bereitstellung der Wirklichkeit– Aufsuchen der Wirklichkeit

• Methodisch– Lebendige Unterrichtsgestaltung– Natürliches Lernen (Bewegung, Spiel)

• Organisatorisch– Schule und Klassenzimmer als Lebensraum – Schulleben als Lebensgemeinschaft

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Prinzipien

• originalen Begegnung (Roth 1957) • Forderung nach möglichst lebensnahen Lernsituationen (vgl.

Reichen 1991) • „Fühlung“ (Wagenschein 1967) und „Weltaufmerksamkeit“

(Rumpf 1991)• unstetige und überraschende Momente der Sachbegegnung

zulassen (Bollnow 1959)

„Die Menschen müssen soviel wie möglich ihre Weisheit nicht aus Büchern schöpfen, sondern aus Himmel und Erde, aus Eichen und Buchen, d.h., sie müssen die Dinge selbst kennen und erforschen und nicht nur fremde Beobachtungen und Zeugnisse darüber. Und das heißt wieder in die Fußstapfen der alten Weisen treten, wenn man die Kenntnis der Dinge nirgends anders her als aus dem Original (archetypus) selbst schöpft.“ (Comenius 1993 [1657], S.113)

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Methoden (vgl. Nießeler 2007)

„Das Leben im Bienenstock oder im Ameisenhaufen, die Spinne, die ihr Netz baut, das Leben auf einem Quadratmeter Waldboden unter dem Laub oder einem Stein, der Wassertropfen unter dem Mikroskop, die Wirbel im Wasserstrom, die Flugkünste des Mauerseglers, der junge Vogel, der sich aus dem Ei zur Welt bringt u.ä.“ (Popp 1999, S.95).

• Erkunden und Erleben• Beobachten und Betrachten• Befragen• Versuchen und Explorieren• Sammeln

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Außerschulische Lernorte (nach Keck & Feige 2001)

• Zielsetzung– Lebensnähe, konkrete Praxis, Ganzheitlichkeit des

Lernens, („situiertes Lernen“)– Strukturen des Lernens werden gefördert, die im

Unterricht zu kurz kommen – Förderung der Eigenaktivität durch neue

Informations- und Beratungsformen – Anbahnung neuer Kooperationen für die Schule

(Aktivierung durch Kontakte mit Eltern, Behörden, Betrieben, Serviceinstitutionen wie Museum, Theater u.a.)

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4.3. Problemorientierung und Erfahrung des Denkens:

Philosophieren mit Kindern

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Philosophieren mit Kindern im Lernbereich Sachunterricht

Bundesland Zielsetzung Beispiele

Baden-

Württemberg „Die integrative Ausrichtung des Fächerverbundes gibt Schülerinnen und Schülern die Chance, sich als Erfinder, Künstler, Musiker, Dichter, Schriftsteller, Entdecker, Forscher und Philosophen einzubringen.“ (S. 96)

Philosophieren „fördert das gegenseitige Zuhören sowie die Dialog- und Urteilsfähigkeit. Es setzt an bei den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler zu staunen und zu fragen und ermöglicht ihnen, Sinnfragen zu stellen und miteinander nach Antworten zu suchen

1./2.: „Gespräche und Darstellungen zu Sinnfragen“, „Nachdenken über Freundschaft und Liebe, Glück und Gerechtigkeit“

3./4.: „Die eigene Endlichkeit, Sinnfragen, Lebensphasen, Tod“, „Fragen nach Endlichkeit und Unendlichkeit von Raum und Zeit“

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Bundesland Zielsetzung Beispiele

Hamburg „Im Sachunterricht wird das kindliche Vermögen gefördert, zu staunen, zu fragen und den Dingen auf den Grund zu gehen.“ (S. 5)

=> Anregungen für

Nachdenkgespräche

Bsp.: Die technisch gestaltete Welt (3./4.)

Kann das Leben der Menschen mit technischen Geräten besser gemacht werden?

Wie wäre ein Leben ohne Technik?

Kann eine Maschine denken?

Wäre es denkbar, einen Menschen technisch herzustellen?

Würdest du ihn von einem echten Menschen unterscheiden können?

Ist es möglich, dass alles, was wir im Fernsehen sehen oder in der Zeitung lesen, nur erfunden ist?

Gibt es Dinge in der Welt, die völlig unberührt von menschlichen Einflüssen sind?

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Bundesland Zielsetzung Beispiele

Bayern „Heimat- und Sachunterricht lässt Raum zur Entfaltung von Neugierde und Kreativität, zum Sich-Einlassen auf Menschen, auf die Natur, auf Sachen. Die Schüler müssen Gelegenheit bekommen, über die Schönheit und Einzigartigkeit der Umwelt zu staunen und sich zu freuen, sollen aber auch Störungen und Zerstörungen spüren, erkennen und kritisch hinterfragen.“

Keine konkreten Beispiele, aber Anknüpfungspunkte innerhalb der Themenbereiche (z.B.)

1./2.: Zeit / Leben mit der Natur / Ich und meine Erfahrungen / Zusammenleben

3./4.: Sinnesleistungen (Sinnestäuschungen) / Medien / Zusammenleben / Leben mit der Natur / Vorstellungen von der eigenen Zukunft / Wir in der Welt – die Welt bei uns

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Bundesland Zielsetzung Beispiele

Mecklenburg-Vorpommern

-ausgehend von kindlichen Frageinteressen, ihren emotionalen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Erfordernissen

-Hilfe zum besseren Verständnis von Welt und Orientierung

1./2.:

Mit anderen SS gemeinsam lernen und die Freizeit gestalten

Mit der Natur verantwortlich umgehen

3./4.

Konfliktbewältigung und Auseinandersetzung mit Anderen

Fernseh- und Computerwelten

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Aussagen von Philosophen

• Philosophie als Quelle der Belehrung und Anleitung zum rechten Leben und Sterben sowie als geistige Tradition (Epikur, Montaigne, Kant)

• Philosophie verdankt sich selbst metaphysischen Urerlebnissen in der Kindheit und kindlichen Fragen (Jaspers)

• Kindern wird die Fähigkeit zum Philosophieren abgesprochen bzw. es wird angeraten, sie von Philosophie fernzuhalten (Aristoteles, Schopenhauer)

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Anfänge

• Fritz Gansberg: Die “wunderlichen” Fragen der Kinder (1911)

• Herman Nohl: Die Philosophie in der Schule (1922)• Leonard Nelson: Die sokratische Methode (1931)• Matthew Lipman (ca. 1975): Wie Philosophie

Schule macht– Pixie – Harry Stottlemeiers Discovery

• Gareth B. Matthews: Dialogues with children (1984)

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Aktuelle Ansätze

• Hans-Ludwig Freese: Kinder sind Philosophen– Ausgangspunkt: Das kindliche Staunen und Sich-Wundern

– Thaumazein (Staunen) als Anfang der Philosophie– Ernstnehmen von Kinderfragen

• Ekkehart Martens: Orientierung im Denken• Vier Hauptwege

– Dialog-Handeln– Begriffs-Bildung– Sich-Wundern– Aufklärung

=> Sich mit Kinder im Denken orientieren=> eine Gesamtperspektive der Lebenswelt gewinnen (Kant: einen

„Kompass“)Orientierung durch SelbstdenkenPhilosophieren als Basiskompetenz

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Helmut Schreier: Gesprächskultur der Nachdenklichkeit

• Schulpädagogische Konkretisierung einer dialogischen Pädagogik

• „Nachdenkliche Gespräche mit Kindern“1. Einspielen des Motivs

2. Durchspielen von Varianten

3. Wechsel von Engführung und Ausfaltung

4. Coda der Einheit

• Himmel, Erde und ich. Geschichten zum Nachdenken über den Sinn des Lebens, den Wert der Dinge und die Erkenntnis der Welt (1993)

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Lern (-und Bildungschancen) nach Ragaller 2001, S. 211

• Sachunterrichtliches Lernen wird nicht auf bloße Wissensaneignung reduziert.

• Es wird eine komplexe denkerische Herangehensweise kultiviert.

• Echte Entscheidungsspielräume werden geboten.• Die Kinder können persönliche Sichtweisen und

Wertungen in den Unterricht einbringen.• Lehrer und Schüler lassen sich gemeinsam auf ein

offenes Gespräch ein.• Es findet ein Lernen ohne Belehrung statt.

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Literaturhinweise

• Hans-Ludwig Freese: Kinder sind Philosophen. Weinheim und Berlin (3. Aufl.) 1990.

• Martens, Ekkehard: Sich im Denken orientieren. Philosophische Anfangsschritte mit Kindern. Hannover 1990.

• Helmut Schreier (Hg.): Nachdenken mit Kindern. Aus der Praxis der Kinderphilosophie in der Grundschule. Bad Heilbrunn 1999.

• Ludwig Duncker & Andreas Nießeler: Philosophieren im Sachunterricht. Imagination und Denken im Grundschulalter. Münster u.a. 2005.

• Kerstin Michalik, Andreas Nießeler & Hans-Joachim Müller (Hg.) Philosophie als Bestandteil wissenschaftlicher Grundbildung? Möglichkeiten der Förderung des Wissenschaftsverständnisses in der Grundschule durch das Philosophieren mit Kindern. Münster 2009.

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4.4. Vielperspektivität

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Der vielperspektivische Sachunterricht

Vorläufer: - Martin Wagenschein ("Die beiden Monde")- Der Mehrperspektivische Unterricht

Allgemein: • Pluralismus der Lebensstile und

Erkenntnismöglichkeiten• Postmoderne: Vielfältigkeit, Pluralität• „Mehrfachcodierung“ (W. Welsch)• aber: Gefahr der Beliebigkeit (Neue

Unübersichtlichkeit; Jürgen Habermas)

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Mehrperspektivität als Prinzip der Allgemeinen Didaktik (Duncker 2005)

 „Gebildet sein heißt sich selbst und seine privaten Zwecke mit Abstand sehen können“ (Hans-Georg Gadamer)

– Überschreitung der Enge und Zufälligkeit des eigenen Erfahrungshorizontes

– angemessene Beurteilung einer Sache oder einer Situation

– Erschließung neuer Horizonte (Lernen)– „Die Welt mit anderen Augen sehen“ (Plessner)– Interkulturelle Aspekte: Aufeinandertreffen einer

Vielfalt ethnischer und nationaler, religiöser und sprachlicher Unterschiede (Heterogenität)

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Grundsätze vielperspektivischen Lernens

• keine Beschränkung auf gewohnten Schulkanon

• Kerncurriculum und exemplarische Themenkomplexe

• Offenheit für Interessen, Denkweisen, Vorstellungen, Konzepte und Fragen der Kinder

• Freiheit im Umgang mit Unterrichtsinhalten• Gesprächsmöglichkeiten und dialogisches

Lernen

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Die didaktische Funktion der Vielperspektivität mit Blick auf lebensweltbezogene Dimensionen und fachlich ausgerichtete Perspektiven (nach Feige 2007, S. 270-272)

• Eröffnung von vielfältigen Bezügen eines Inhaltes

• Erschließen von unterschiedlichen Sichtweisen auf ein Ganzes

• Hilfe bei der Auswahl von Zielen und Inhalten des Sachunterrichts und damit bewusste Schwerpunktsetzung möglich

• Vermeidung inhaltlicher Einseitigkeiten und „Leitfächer“ wie Erdkunde oder Biologie

• Entfaltung der Vielperspektivität eines Inhaltes und Verweis auf dessen Ergiebigkeit

• Verdeutlichung des exemplarischen Potentials

• Produktives Verhältnis von Kind und Sache

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Inhaltliche Potentiale: Beispiel der Wald. Nach: B. Feige: Der Sachunterricht und seine Konzeptionen. 2004. S. 109

• Lebensweltliche Dimension: Spiel-, Erholungs- Freizeitraum; mystisch-magischer Ort in Märchen/Geschichten/Romanen; Persönlicher Naturbezug

• Historische Perspektive: Waldbau früher-heute; Entwicklung der Forstwirtschaft, Entwaldung

• Raumbezogene Perspektive: Geographische Dimension: Wälder im Landkreis, Waldgebiete in Deutschland, Wald und Klimazonen (z.B. Regenwald)

• Sozial- und Kulturwissenschaftliche Perspektive: – Ökonomisch: Wald als Rohstoffreservoir, Tourismus, Besitzverhältnisse

– Gesellschaftlich: Regenerationsraum, Landschafts- und Artenschutz als gesellschaftliche Aufgabe, Waldsterben

• Naturbezogene Perspektive: Wasserkreislauf; Photosynthese, saure Böden; Stockwerke des Waldes, Wald als Lebensraum, Flora und Fauna des Waldes

• Technische Perspektive: Maschinen zum Holzeinschlag, (alternative) Waldbautechniken

• Ökologische Perspektive: Wald als Wasserspeicher, Sauerstofflieferant, Nachhaltigkeit

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Der Perspektivrahmen der GDSU

Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektive

Raumbezogene Perspektive

Naturbezogene Perspektive

Technische Perspektive

Historische Perspektive

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Voraussetzungen fruchtbaren Lernens (Köhnlein 1999)

1. Dominierende Faktoren für Lernprozesse2. Neugierde an den Dingen3. Orientierung am Gespräch und am argumentativen

Dialog (dialogisches Lernen)4. Das Medium der Sprache