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Einführung in die Sprachvermittlung 4. Sitzung / 6.11. - Bemerkungen zur Organisation - 3. Module der Sprache: Schluss - ein Experiment - 4. Die irregulären Formen: Sprachgeschichte / Lautwandel Muster als Reste von Regeln

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Einführung in die Sprachvermittlung4. Sitzung / 6.11.

- Bemerkungen zur Organisation -3. Module der Sprache: Schluss

- ein Experiment -4. Die irregulären Formen:

Sprachgeschichte / Lautwandel Muster als Reste von Regeln

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Welcher Laut? (3)

Nasenhöhle durch Gaumensegel geöffnet: kein Obstruent!

Mundhöhle an den oberen Zahnwurzeln geschlossen: kein Vokal – unterer Luftstrom (blau) durch Schließung gestoppt; Luft kann nur durch Nase entweichen!

Artikulationsort: Zungenspitze an Zahnwurzeln - alveolar

Abb. Aus: Duden Bd. 4: Die Grammatik, 2005 7, S. 25

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Welcher Laut? (2)

Nasenhöhle durch Gaumensegel geschlossen: kein Sonorant!

Mundhöhle an den oberen Zahnwurzeln leicht geöffnet: kein Plosiv – Luftstrom (blau) kann entweichen: Laut sofort hörbar!

Artikulationsort: Zungenspitze an Zahnwurzeln - alveolar

Abb. Aus: Duden Bd. 4: Die Grammatik, 2005 7, S. 25

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Phonologische Regeln des Englischen

R 1: Stimmhaftigkeit im Silbenendrand„Befindet sich ein Konsonantencluster am Ende

einer Silbe, so passe den letzten Konsonanten in Bezug auf seine Stimmhaftigkeit an den linken Nachbarn an.“ (Pinker S. 48, vgl. auch S.123)

Coda (sthK1 ≠ sthK2) → Coda (sthK2 → sthK1)Coda = Silbenendesth = StimmhaftigkeitK = Konsonant

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Phonologische Regeln des Englischen

R 2: Vokaleinsetzung bei gleichlautendem Suffix: „Füge am Ende eines Wortes (den Reduktionsvokal) e ein, um benachbarte Konsonanten zu trennen, die in Bezug auf Artikulationsort und Artikulationsart gleiche Merkmale haben “ (Pinker S. 123, S. 50):

(Art-KSt = Art-KSuff) → KSt + 7 + KSuff

Art: artikulatorische Merkmale (Ort / Art)K: KonsonantSt: Stamm Suff: Suffix

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Vorteil phonologischer Regeln

• …müssen nicht für jeden morphologischen Kontext separat formuliert werden

• …müssen nicht für jedes Phonem einzeln formuliert werden, sondern können sich auch nur auf artikulatorische Merkmale beziehen

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Einführung in die Sprachvermittlung

4. Die irregulären Formen: Sprachgeschichte / Lautwandel Muster als Reste von Regeln

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4.1. Sprachwandel

• Weitergabe des Sprachsystems von Eltern an Kinder

• Veränderung des Sprachangebots (Input)• Rekonstruktion des Systems aus dem Input• Keine völlige Übereinstimmung im System• Überlieferte Formen nicht mehr transparent für

Regelanwendung → Teil des Lexikons

• Inwiefern haben Wörter ihre Geschichte?

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Sprachwandel Sprachverfall

Sprachnutzer (Normalbürger)

• Neue Formen setzen sich ungeplant im Sprachgebrauch durch

• Lautwandel• Regularisierung /

Irregularisierung• Maßstäbe: Einfachheit für

den Sprecher – Verständ-lichkeit für den Hörer

Sprachhüter (Kolumnisten, Englischlehrer u.a.)

• Ältere Sprachstufe als höherwertige Norm verteidigt

• Ästhetische Vorbehalte• Bewahrung kultureller

Vormachtstellung• Angst vor Verfall: keine

differenzierte Verständi-gung mehr möglich

• Sprache wichtiger als Bedürfnisse der Sprecher

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4.2. Irreguläre PluralformenViele Nomen ohne Plural: Mengen- und Stoffbe-

zeichnungen (mass nouns)1. Nomen mit Vokalwechsel: man – men

mouse – mice → Umlaut als Vokalangleichung

2. Nomen mit altem angelsächsischen Suffix (-en): ox – oxen / child - children (archaisch: „alberne Wortspiele“)

3. Best. Herdentiere: Plural = Singular: fish, sheep4. Reguläres –s, aber Umkehrung der

Stimmhaftigkeitsregel vom Suffix auf den Stamm (regressive Assimilation / Nomen mit zwei Stämmen)

5. Pluralformen von Fremdwörtern (alumnus – alumni, formula – formulae, datum – data…) (Streit um Normen: Pedanten gg Normalbürger, vgl. S. 71)

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4.3. Irreguläre Präteritumsformen

1. Suppletion: verschiedene Verben kombinieren ihre Formen: go – went

2. Familie auf –t/d: Stamm endet wie Dentalsuffix: Keine Suffigierung (eigentlich schwache Verben): „es missfällt“ „Vorstellung bereits erfolgter Flexion“ „ich weiß nicht, wann ich aufhören soll“„unaussprechliches Ergebnis verhindern“„von Kindern und bei Pseudowerttests vermieden“ – „bonefishing“ – „anti-Semitism“ (George W. Bush)

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3. Unregelmäßige Verben mit Vokalkürzung (S. 81ff.); Ausgangspunkt: Die englische Vokaloppositionbone – bonfire [ou] – [o]break – breakfast[ei] – [æ]child – children [ai] – [i]deep – depth [i:] – [e]

Vokalkürzung / „Große Vokalverschiebung“ (15. Jhdt.): Zusammenhänge nicht mehr transparent!

Vokalkontraste auch in Fremdwörtern (oft keine andere Vokalschreibung!):semen - seminal [i:] – [e]crime – criminal [ai] – [i]sane – sanity [ei] – [æ]brief – brevity [i:] – [e]

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4. Starke Verben im engeren Sinne (86ff.)- 5500 Jahre Geschichte- Prinzip des Ablauts (Apophonie)- Reste von 7 Ablautreihen und 4 Ablautstufen

des Proto-Indoeuropäischen- Einheitlichkeit geht im Laufe der Jahrhunderte

durch Lautwandel verloren „Mühlen des erbarmungslosen Schicksals“ (S.89)

- Hermann Paul: Prinzipien der Sprachgeschichte (51920, 1975): „Der Symmetrie des Formensystems ist also im Lautwandel ein unaufhaltsam arbeitender Feind und Zerstörer gegenüber gestellt.“ §138

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Stammbaum des Germanischen5000-3500 v. Chr.

1000 v. Chr.

450-1100 n. Chr.

1100-1450 n. Chr.

1450-1700 n.Chr.

Ab 1700

Indoeuropäisch

Germa- Balto- Italisch…nisch Slawisch

Alt-Englisch Alt-Hochdt Niederld…

Mittelenglisch Mittelhochdt

Früh-Neuenglisch Früh-Neuhochdt

Neuenglisch Neuhochdt

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Klassen starker englischer Verben

I II III

Present [ai] risewrite

[ou] blowknow

[i] sing

Past [ou] rosewrote

[u:] blewknew

[æ] sang

Perfect Parti-ciple

[i] risenwritten

[ou] blownknown

[a] sung

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Klassen starker deutscher Verben

Ia (23) IIa (11) IIIa (19)

Präsens [ai] reiten [i:] biegenziehen

[i] singenklingen

Präteri-tum

[i] ritt [o:] zogzog

[a] sangklang

Partizip Perfekt

[i] geritten [o:] gebogengezogen

[u] gesungengeklungen

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weitere Klassen starker deutscher Verben

IVa (7) V (6) VIa (6)

Präsens [e] dre-schen

[e:] geben [a:] fahren

Präteri-tum

[o] drosch [a:] gab [u:] fuhr

Partizip Perfekt

[o] gedro-schen

[e:] gegeben [a:] gefahren

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„Zerzauste Regeln“

Ablaut-stufen

1 2 4

Indogerm e-Normalstufe

*bhénd*kélb

o-Abtönungsstufe

*bhónd*kólb

Schwundstufe

*bhnd*klb

Ahd IIIa bind- band gi-bund-an

Ahd IIIb helf- half gi-holf-an

Hebung des é vor Nasal (m, n,

Senkung des u vor Liquid (l, r)

„kombinatorischer Lautwandel“Quelle: Nübling et. al. (2006): Historische Sprachwissenschaft des Deutschen, S. 202

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„Unvollständige“ Verben

Past / Prät Präs Regelanwendung• wrought wreak ?

wring ?work ! 1. r-Metathese: work – wrok

2. k-Schwächung3. t-Anfügung

• erkoren ??

Die Verselbständigung einer Präteritumsform ohne Bezug zum Präsens (und umgekehrt) spricht für ihre separate Speicherung im Lexikon!

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4.4. Bilanz der Sprachentwicklung

Alt- Mittel- Neu-

Englisch 325 irreg 161 irreg

Deutsch 349 stark 339 169 stark

-8 st sw-41 †

-54 st sw -119 †

Quelle: Pinker, S. 102Nübling et al., S. 207

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Gebrauch starker neben schwachen Formen (Korpuslinguistik)

Klassiker Zeitung

reg irreg reg irreg reg irreg

glimmte glomm 28 21 6 2

schallte scholl 99 135 17 0

gärte gor 14 9 8 0

fragte frug >1000 661 1975 0

schwörte schwor

schwur0 123

263

4 70

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Grammatikalisierung

• Theorie, die die Entstehung morphologischer Elemente (Präfixe, Suffixe) aus ehemals selbständigen Wörtern ableitet, die im Laufe der Sprachentwicklung semantisch verblassen und phonologisch reduziert werden.

• Herleitung des Dentalsuffixes von tun / do, das zusammen mit dem Verb eine syntaktische Konstruktion bildete, bevor es zu einem morphologischen Element wurde. „Ich arbeiten tat“ – „ich arbeitete“

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Ikonische Funktion des Ablauts

• Ablaut als Mittel zur Präteritumsbildung evt. mit Konnotation von „tiefer“ und „weiter hinten artikuliert“ mit „Vergangenheit“

• Analog: räumliche Deixis: hier – daici – lá…

• Ikonisch = bildhaft (im Sinne der Abbildung außersprachlicher Beziehungen)

• Infragestellung der Theorie von der Beliebigkeit des Sprachzeichens (Saussure) u. a. durch Jakobson, Kurylowicz und Swadesh (vgl. Pinker S. 104 und Lit.!)