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EMDRinderBehandlungderBorderline-Störung
WolfgangWöller
Heinrich-Heine-UniversitätDüsseldorf
Rhein-KlinikBadHonnef
Traumatische Belastung bei Borderline-Persönlichkeitsstörung
§ Physische, sexuelle oder emotionale Miss-handlung bei bis zu 75 % der Patienten mit BPS § alle Formen der Kindesmisshandlung (Herman et al. 1989,
Yen 2003, Zanarini et al. 2002)
§ insbes. emotionale Misshandlung (Allen 2009, Kaehler u. Freyd 2009, Lobbestael et al. 2010, Widom et al. 2009)
Komorbidität der Borderline-Persönlichkeitsstörung mit ...
§ PTBS: 39,2 bis 51 % (McGlashan et al., 2000, Golier et al. 2003, Grant et al. 2008, Yen et al. 2002)§ à häufig intrusive Symptome (Flashbacks in
Form von traumatischen Bildern und Affektzustände)
§ dissoziativen Störungen: 53 % (Zittel et al. 2005) bis 72,5 % (Sar et al. 2006)
EMDR
Rhein-Klinik BadHonnef3
§ EyeMovementDesensitization and Reprocessing(Shapiro2002)
§ standardisiertepsychotherapeutischeBehandlungsmethodezurVerarbeitungtraumatischerlebterEreignisseundErfahrungen
§ alseinElementdesGesamtbehandlungsplans
EMDR (Eye Movement Desensitizationand Reprocessing) (Shapiro 1989)
§ Identifikation der traumatischen Szene sowie der zugehörigen stehenden negativen Überzeugung über die eigene Person
§ Prozessieren der traumatischen Szene durch „bilaterale Stimulation“§ Sequenzen von 20-30 seitenalternierenden
Augenbewegungen (oder akustischen bzw. haptischen Reizen) unter Beachtung unter Beachtung des subjektiven Erlebens des Patienten und der Körperempfindungen
à Reduktion der subjektiven Stressbelastung der traumatischen Szene
à Modifikation der negativen Überzeugungen
Wirksamkeit und Wirkmechanismus von EMDR
§ Die Wirksamkeit von EMDR ist erwiesen, der Wirkmechanismen jedoch noch immer nicht hinreichend bekannt (Schubert et al. 2010; Solomon u. Shapiro 2008).
§ Gesichert ist lediglich eine Parasympathikus-Aktivierung während des Prozessierens (Sack et al. 2006).
§ Zentrales Wirkelement von EMDR ist wahrscheinlich die bilaterale Stimulation, möglicherweise auch die gleichzeitige Fokussierung von traumatischer Vergangenheit und einer Sinneswahrnehmung, die die sichere Gegenwart repräsentiert.
WarumTraumabearbeitung beiderBorderline-Störung?
§ AuchwennTechnikenderAffektregulationundDistanzierungstechnikengutbeherrschtwerden,bleibendochmeistnachhaltigeEinschränkungenderLebensqualität,wennAlltagstriggerfrühereTraumatisierungenaktivieren
à symptomatischeDekompensationen§ affektiveDysregulationen§ wiederkehrendeIntrusionenundFlashbacks§ dissoziativeSymptome§ psychosomatischeSymptombildungen§ selbstschädigendeVerhaltensmuster
Warum Traumabearbeitung bei der Borderline-Störung?
§ Ziel:bessereFunktionsfähigkeitderpräfrontalenundhippokampalen Strukturen
§ à verbessertebiografischeEinordnungmiteinerklarerenUnterscheidungdesDort-und-DamalsvomHier-und-Jetzt.
§ DietraumatischenErinnerungenverlierenihreStressbelastung.§ DiehochstressbeladenenErinnerungsfragmentewerdenzu
„normalen“ErinnerungenunddamitzueinemTeileineskohärentenlebensgeschichtlichenNarrativs.
§ DieBetroffenenerlebendanndieGedankenantraumatischeEreignissealsschmerzhafteErfahrungen,dienunklarderVergangenheitangehörenundnichtmehrunmittelbarihreGegenwartbeeinflussen(vanderHartetal.1995;vanderKolketal.2000).
Rekonsolidierung von Erinnerungen(Dudai 2009;Dudai u.Eisenberg2004;Lee2009;Riccio etal.2006;Wangu.Morris2010)
§ IneinemMomentdesaktivenWiederaufrufens(„Erinnerns“)wirdeinebereitskonsolidierteErinnerunglabilisiert unddadurchmodifizierbar,d.h.ihrmolekularesSubstratwirdformbar.
àWennsicheinegespeicherteErinnerungsichindiesem formbarenZustandbefindet,kannsieverändertwerden.
à DieLabilisierung derzuvorkonsolidiertenErinnerungen machtdieInkorporationundIntegrationneuer
Informationenmöglich.§ WennindiesemZustandderLabilisierung eineInformationmitentgegengesetzterBotschafteintrifft,z.B.eineInformationmitpositivemRessourcenbezug,kanndieszurModifikationderErinnerungführen.à kontinuierlichesUpdating desGedächtnisses
OptimalestherapeutischesFensterfürdieAssoziationdertraumatischenErinnerungenanadaptiveNetzwerke
§ OptimaleErregungszonezwischendenbeidenextremenphysiologischenZuständenderÜber-undUntererregung(“window of tolerance”;Siegel1999) erlaubtdieAssoziationtraumatischerErinnerungsfragmenteanadaptiveneuronaleNetzwerke§ keinepotenziellretraumatisierende Überaktivierung§ keineunwirksameUnterstimulation
Störungs- und Therapiemodelle in der psychodynamischen Therapie
Rhein-Klinik BadHonnef10
Störungsmodell Therapiemodell
ModelldesunbewusstenKonfliktes(„Konfliktmodell“)
Bewusstmachung desunbewusstenKonfliktes(freieAssoziation,Sicherheit,Abwehranalyse)
ModelldesstrukturellenDefizits(„Strukturmodell“)
- Nachentwicklung defizitärerIch-Funktionen- AktivierungadaptiverNetzwerke
ModellderAssoziationsstörung(„Assoziationsmodell“)
Assoziationunverarbeiteter psy-chischer Inhalte an die Reprä-sentanzenwelt des Alltagslebens
Rhein-Klinik BadHonnef11
Strukturmodell-----------------à
Konfliktm
odell---à
Stabilisierung/Ressourcenaktivierung vs. Traumabearbeitung
Rhein-Klinik BadHonnef12
Stabilisierung/Ressourcenaktivierung
Traumabearbeitung
Assoziation aktivierterpositiverpsychischerInhalteandieRepräsentanzenweltdesAlltagslebens
AssoziationunverarbeiteterbelastenderundbedrohlicherpsychischerInhalteandieRepräsentanzenwelt desAlltagslebens
VoraussetzungenfürdieAnwendungvonEMDR(Hofmann2009;Shapiro1998)
Rhein-Klinik BadHonnef13
§ hinreichendeäußereSicherheit§ Alltagsfunktionalität§ BeherrschungvonTechnikenderEmotionskontrolle
§ Cave:WennesdenPatientinnenwedermöglichist,eineninnerensicherenOrtzuinstallierennochihreFlashbacksimaginativzu»verpacken«à VerdachtaufanhaltendenTäterkontakt
§ KeineunangemessenenÜbertragungserwartungen(Retter- oderTäter-Übertragungen)
Bindungsmuster und therapeutische Beziehung
§ Desorganisiertes Bindungsmuster§ häufigstes Bindungsmuster bei der Borderline-
Störung (neben unsicher-ambivalentenBindungsstilen)
§ entsteht, wenn Schutz/Rettung und Bedrohung von derselben Bezugsperson ausgehen
§ Grundlage für die Enwicklung von Täter- und Retter-Übertragungen
Problematik des EMDR-Standard-Protokolls bei Borderline-Patienten
§ Gefahr der Überflutung durch traumatisches Material, insbesondere bei § labiler Emotionsregulierung§ schwankender Alltagsstabilität § dissoziativer Komorbidität (bei 50-60 % der
Borderline-Patienten)§ umfangreichen und unübersichtlichen
Traumanetzwerken (insbes. der Kindheit)
UmfangreichesTrauma-Netzwerke bei der Borderline-Störung§ Hebb’sches Gesetz:„What fires together,wires together“(Hebb 1949):EinNetzwerkkanninseinerGesamtheitaktiviertwerden,wenneinesseinerElementeaktiviertwird.
§ ProblematischerFall:§ ProzessiereneinerTraumaerinnerung,dieeinemumfangreichenundverzweigtenTraumanetzwerk angehört§ Umfangwurdeunterschätzt,weilTeilevonihmdurchDissoziation
demBewusstseinentzogensind.§ +unzureichendeintegrativeKapazitätderAlltagspersönlichkeit
§ à Ressourcen-NetzwerkwirdandasTrauma-Netzwerkassoziiertundvondiesem„absorbiert“à ÜberflutungdurchtraumatischesMaterial
EMDR-Varianten
§ EMDR-Protokoll zur Verarbeitung dysfunktionaler Erinnerungen§ Standard-Protokoll (Shapiro)
§ EMDR-Protokoll zur Verankerung aktivierter Ressourcen§ RDI = Resource Development and Installation (Korn & Leeds)§ Stress-Absorptions-Technik (Hofmann)
§ Mischformen zur schonenden Traumaverarbeitung
EMDR-Varianten
EMDR-Ressourcenprotokoll
MischformenundModifikationen
EMDR-Standardprotokoll
Traumatisierungsmuster bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung
§ IKlarheitder
ErinnerungenundZugänglichkeitfürTraumabearbeitung
Bindungs- undBeziehungstraumati-sierungen derpräverbalen Zeit
(+)
Misshandlungs- undMissbrauchstraumenderKindheit
+(+)
Traumatisierungen imErwachsenenalter
++(+)
Alltagsbelastung mittraumawertigemBelastungsgrad(„Trigger“)
+++(+)
§ Beginnnichtmitdererstenoder„schlimmsten“traumatischenErinnerung,sondernmiteher„einfachen“,klarumschriebenenundguterinnerbarenTraumenoderbelastendenErfahrungenderjüngerenVergangenheit
§ SchrittweiseZuwendungzufrüherenTraumeninAbhängigkeitvonderStabilitätundAffekttoleranz
UmgekehrtesEMDR-Standard-Protokoll(A.Hofmann)
Modifiziertes Protokoll: Modifizierung hinsichtlich des Ablaufs der Sitzung und der Intensität der Ressourceneinwebung
§ Traumaexposition im Zustand der Ressourcenaktivierung durchführen
§ vorsichtig dosierte und fraktionierte Exposition gegenüber dem traumatischen Material
§ Expositionszeit des traumatischen Materials an verminderte Affekttoleranz anpassen
§ Drittel-Einteilung der Therapiesitzung
Modifiziertes Protokoll: Nutzung von Distanzierungstechniken während der EMDR-Behandlung
§ Container-Technik§ Sicherer Ort§ „Fernbedienung“ der Bildschirmtechnik§ doppelte Beobachtertechnik
Modifiziertes Protokoll: Prozessieren aktiv begrenzen
§ aktives Unterbrechen von Affektbrücken zu nicht zum Prozessieren geeignetem Material („Wegpacken“ mit der Container-Technik)
§ nur so viel neues Material kontaktieren wie zum jeweiligen Zeitpunkt verkraftet werden kann
§ traumabearbeitende Sitzungen mit ich-stärkenden Sitzungen abwechseln lassen
Modifiziertes Protokoll: Aktives Einführen von Ressourcen in die EMDR-Behandlung
§ Zwischenzeitliches Aufsuchen ressourcenreicher Zustände
§ Ressourcenbilder (Helferfiguren) in die zu bearbeitende traumatische Szene einarbeiten§ die ressourcenreiche erwachsene Person kann das traumatisierte
Kind in die Vergangenheit begleiten und ihm hilfreich zur Seite stehen§ imaginativ die Erinnerungen im positiven Sinne
modifizieren
Modifiziertes Protokoll: Tip-of-the-Finger-Technik(D. Mosquera)
§ Fraktioniertes Prozessieren mit bewussten und klar erinnerten peripheren Ausläufern eines Trauma-Netzwerkes§ traumabezogene negative Kognitionen§ traumabezogene Affektzustände
§ ohne das gesamte Netzwerk zu aktivieren, d.h. ohne die gesamte Erinnerung durchzuprozessieren!
§ u.U. Ausprobieren, ob bilaterale Stimulationen zu einer Entlastung führen
Modifiziertes Protokoll: Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen integrieren
§ Beim Prozessieren von Traumen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwartstriggern z.B.§ innere Kindanteile imaginativ in Sicherheit bringen
(„innerer sicherer Kinderort“)§ „Stillhalte-Absprachen“ mit potenziell destruktiven
Persönlichkeitsanteilen
EMDR-Pendeltechnik
§ KombinationeinerausgiebigenRessourcenaktivierungmiteinersehrkurzenTraumaexposition§ „Pendeltechnik“(Fineu.Berkowitz2001;Levine1998;Reddemann etal.2011)
§ CIPOS-Technik(ConstantInstallationof ofPresent Orientationand Safety;Knipe 2011).
§ PriorisierungderTraumabearbeitung§ BeginnmitklarenErinnerungen§ BeginnmitErinnerungen,dieheftigeSymptomeoderDekompensationenauslösenkönnen§ Intrusionen§ SelbstverletzendesVerhalten
EMDR bei der Borderline-Störung: Praktisches Vorgehen
EMDR bei der Borderline-Störung: Praktisches Vorgehen
§ Dreischritt zur sicheren Erprobung der Assoziationsmöglichkeiten1. Schritt: EMDR-Ressourcenprotokoll (Stress-Absorptions-Technik)2. Schritt: Pendeltechnik/CIPOS3. Schritt: Umgekehrtes Standardprotokoll mit Ressourceneinwebung
1. Stress-Absorptions-Technik
§ Evaluation der subjektiven Belastung durch einen aktuellen Stressor (SUD 1-10).
§ Ressourcenbedarf: Welche Ressource (Kompetenz) brauchen Sie zur Bewältigung des aktuellen Stressors?
§ Ressourcensuche: Wann in Ihrem Leben stand Ihnen diese Ressource (Kompetenz) einmal zur Verfügung?
§ Ressourcenaktivierung: Erinnern Sie diese Situation möglichst lebendig. Spüren Sie auch das zugehörige positive Körpergefühl.
§ Verankerung der Ressourcenerinnerung und des positiven Körpergefühls mittels langsamer bilateraler Stimulation
§ Erneute Evaluation der subjektiven Belastung durch den aktuellen Stressor (SUD 1-10).
2. EMDR-Pendeltechnik (1)
§ FestlegungeinesRessourcenbildes(positiveErinnerungoderRessourcen-Imagination)
§ Klärung,anwelchertraumatischenErinnerunggearbeitetwerdensoll
§ EvaluationdersubjektivenBelastungdurchdietraumatischeErinnerungaufderSUD-Skalavon0bis10.
§ DiePatientinsolldasRessourcenbildlebhaftimaginierenunddasmitihmverbundenepositiveKörpergefühldeutlichspüren.
§ SiesolleinSignalgeben,sobaldderpositiveKörperstatespürbargewordenist.
§ MeististderRessourcenkontaktanderentspanntenGesichtsmimikerkennbar.
EMDR-Pendeltechnik (2)
§ VerankerungdespositivenKörpergefühlmiteinemodermehrerenSetsvon5-6langsamenbilateralenAugenbewegungenoderseitenalternierendentaktilenStimulationen.
§ AnschließendwirddiePatientingeben,sichfürdieDauereinerSekunde inihrerVorstellungmitderzuvorvereinbartenTraumaerinnerung zukonfrontierenunddanachsofortwiederindenRessourcenstate zuwechseln.
§ EskanneinenMomentdauern,bisderpositiveRessourcenstate wiederinvollemUmfangerlebbarist.ErstdanachwirddasRessourcenbildmitlangsamenbilateralenStimulationenverankert.
3. Umgekehrtes Standard-Protokoll
§ Beginn mit § klar umschriebenen und gut erinnerbaren
Traumen oder belastenden Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit
§ mit persönlichkeitsspezifischen Alltagsstressoren mit traumawertigemBelastungsgrad (Triggern)
§ ggf. mit notwendigen Ressourceneinwebungen§ später Prozessieren klar erinnerter Traumen der
jüngeren Vergangenheit und der Kindheit (mit Anfang und Ende)
Grundprinzipien der EMDR-Behandlung von Borderline-Patienten
§ optimale Ressourcenlage herstellen§ nur so viel traumatisches Material kontaktieren, wie
gut assoziierbar ist§ neben Erinnerungen auch aktuelle Trigger und
Kognitionen als EMDR-Ziele in Betracht ziehen§ aktives Steuern des Assoziationsprozesses§ Ausbalancieren von Ressourcenaktivierung und
Stimulation traumatischer Elemente§ erproben und experimentieren, immer unter
Einbezug der Patientenentscheidungen§ Auch unvollständiges Prozessieren kann Entlastung
bringen
RessourcenbasiertePychodynamischeTherapie(RPT)zurBehandlungvonPatientenmitBorderline-Persönlichkeitsstörung§ Allgemeines§ SpezifikaderBeziehungsgestaltung§ Komorbide Störungen§ Familien- undpaartherapeutische
Aspekte§ StationärePsychotherapie
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