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13 th International Conference on Wirtschaftsinformatik, February 12-15, 2017, St. Gallen, Switzerland Ermittlung des Virtualisierungspotenzials von Beratungsleistungen im Consulting Volker Nissen 1 , Henry Seifert 2 1 TU Ilmenau, FG WI für Dienstleistungen, 98684 Ilmenau, Deutschland [email protected] 2 Mieschke Hofmann und Partner, Gesellschaft für Management- und IT-Beratung mbH, Königsallee 49, 71638 Ludwigsburg, Deutschland [email protected] Abstract. Die Beratungsbranche sieht sich, genau wie ihre Klienten, ständig neuen Herausforderungen und sich verändernden Rahmenbedingungen gegenüber. Beratungsanbieter sollten daher ihr Leistungsportfolio immer wieder kritisch infrage stellen. Obwohl sie die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Klienten durch innovative Lösungen stärken und dort maßgeblich an der Entwicklung neuer Konzepte zur Digitalisierung beteiligt sind, wird bei der Erbringung von Beratungsleistungen oft nur auf traditionelle Face-to-Face Ansätze zurückgegriffen. Ein virtueller Prozess ist demgegenüber ein Prozess, in dem die physische Interaktion verschwindet. Der Übergang eines physischen Prozesses hin zu einem virtuellen Prozess wird als „Prozess Virtualisierung“ bezeichnet. Virtualisierung ist ein Trend, dem sich Beratungsunternehmen auch hinsichtlich ihrer eigenen Geschäftsprozesse stellen müssen. Theoriegeleitet sowie auf Basis ergänzender empirischer Forschung leiten wir in diesem Beitrag ein mögliches Vorgehen ab, um das Virtualisierungspotenzial von Beratungsprozessen (oder deren Teilschritten) im konkreten Fall ex ante beurteilen zu können. Keywords: Virtualisierung, Digitale Transformation, Unternehmensberatung, Geschäftsmodellinnovation, Beratungsprozess, Beratungsforschung. 1 Grundlagen und Motivation Unternehmensberatung (Consulting) kann definiert werden als professionelle Dienstleistung, die durch eine oder mehrere, im allgemeinen fachlich dazu befähigte und von den beratenen Klienten hierarchisch unabhängige Person(en) zeitlich befristet sowie meist gegen Entgelt erbracht wird [18]. Sie hat zum Ziel, betriebswirtschaftliche Probleme des beauftragenden Unternehmens interaktiv mit den Klienten zu definieren, strukturieren und analysieren, sowie Problemlösungen zu erarbeiten, und auf Wunsch ihre Umsetzung gemeinsam mit Vertretern des Klienten zu planen und im Unternehmen zu realisieren [18]. In diesem üblichen Verständnis ist Unternehmensberatung ein „people business“. Dabei suchen Berater Klienten auf, um 1348 Nissen, V.; Seifert, H. (2017): Ermittlung des Virtualisierungspotenzials von Beratungsleistungen im Consulting, in Leimeister, J.M.; Brenner, W. (Hrsg.): Proceedings der 13. Internationalen Tagung Wirtschaftsinformatik (WI 2017), St. Gallen, S. 1348-1362

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13th International Conference on Wirtschaftsinformatik, February 12-15, 2017, St. Gallen, Switzerland

Ermittlung des Virtualisierungspotenzials von Beratungsleistungen im Consulting

Volker Nissen1, Henry Seifert2

1 TU Ilmenau, FG WI für Dienstleistungen, 98684 Ilmenau, Deutschland [email protected]

2 Mieschke Hofmann und Partner, Gesellschaft für Management- und IT-Beratung mbH, Königsallee 49, 71638 Ludwigsburg, Deutschland

[email protected]

Abstract. Die Beratungsbranche sieht sich, genau wie ihre Klienten, ständig neuen Herausforderungen und sich verändernden Rahmenbedingungen gegenüber. Beratungsanbieter sollten daher ihr Leistungsportfolio immer wieder kritisch infrage stellen. Obwohl sie die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Klienten durch innovative Lösungen stärken und dort maßgeblich an der Entwicklung neuer Konzepte zur Digitalisierung beteiligt sind, wird bei der Erbringung von Beratungsleistungen oft nur auf traditionelle Face-to-Face Ansätze zurückgegriffen. Ein virtueller Prozess ist demgegenüber ein Prozess, in dem die physische Interaktion verschwindet. Der Übergang eines physischen Prozesses hin zu einem virtuellen Prozess wird als „Prozess Virtualisierung“ bezeichnet. Virtualisierung ist ein Trend, dem sich Beratungsunternehmen auch hinsichtlich ihrer eigenen Geschäftsprozesse stellen müssen. Theoriegeleitet sowie auf Basis ergänzender empirischer Forschung leiten wir in diesem Beitrag ein mögliches Vorgehen ab, um das Virtualisierungspotenzial von Beratungsprozessen (oder deren Teilschritten) im konkreten Fall ex ante beurteilen zu können.

Keywords: Virtualisierung, Digitale Transformation, Unternehmensberatung, Geschäftsmodellinnovation, Beratungsprozess, Beratungsforschung.

1 Grundlagen und Motivation

Unternehmensberatung (Consulting) kann definiert werden als professionelle Dienstleistung, die durch eine oder mehrere, im allgemeinen fachlich dazu befähigte und von den beratenen Klienten hierarchisch unabhängige Person(en) zeitlich befristet sowie meist gegen Entgelt erbracht wird [18]. Sie hat zum Ziel, betriebswirtschaftliche Probleme des beauftragenden Unternehmens interaktiv mit den Klienten zu definieren, strukturieren und analysieren, sowie Problemlösungen zu erarbeiten, und auf Wunsch ihre Umsetzung gemeinsam mit Vertretern des Klienten zu planen und im Unternehmen zu realisieren [18]. In diesem üblichen Verständnis ist Unternehmensberatung ein „people business“. Dabei suchen Berater Klienten auf, um

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Nissen, V.; Seifert, H. (2017): Ermittlung des Virtualisierungspotenzials von Beratungsleistungen im Consulting, in Leimeister, J.M.; Brenner, W. (Hrsg.): Proceedings der 13. Internationalen Tagung Wirtschaftsinformatik (WI 2017), St. Gallen, S. 1348-1362

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mit ihnen gemeinsam vor Ort interaktiv (Face-to-Face) unternehmensrelevante Problemstellungen zu bearbeiten.

Die Beratungsbranche ist, trotz positiver Umsatzentwicklung, mit neuen Heraus-forderungen konfrontiert. Einerseits nimmt die Konkurrenz mit Anbietern aus Billiglohnländern und Freelancern im Bereich von Standardleistungen zu. Daneben betreten neue Wettbewerber mit innovativen Geschäftsmodellen und technologie-getriebenen Beratungsansätzen den Markt. Auf der Klientenseite ist eine zunehmende Professionalisierung im Einkauf und Umgang mit Unternehmensberatung zu beobachten. Auch hat die Preis-Sensitivität zugenommen.

Die Virtualisierung von Beratungsleistungen kann, angesichts der beschriebenen Herausforderungen, eine innovative Strategie zur Sicherung des nachhaltigen Unter-nehmenserfolgs sein und klassische Angebote der Unternehmensberatung ergänzen. Virtualisierung zielt darauf ab, den Anteil direkter Face-to-Face Interaktion zwischen Berater und Klient durch den geeigneten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zu reduzieren [11] [20]. Sie kann damit als Strategie zur digitalen Transformation des Beratungsgeschäftes bezeichnet werden.

Notwendig zur Realisierung dieser ambitionierten Vision sind geeignete Artefakte, wie webbasierte Beratungsplattformen, mobile Beratungsapplikationen, semantische Technologien, Data Mining- und Kooperations-Werkzeuge. Ebenso werden Konzepte benötigt, wie die Virtualisierbarkeit von Beratungsprozessen beurteilt und Lösungen, die konventionelle und virtualisierte Beratung zu einem Ganzen verbinden, entwickelt werden können. Methoden und Techniken der Virtualisierung sind zu schaffen. Hier besteht noch erheblicher Forschungsbedarf [26].

Während die raumzeitliche Flexibilität bei der Virtualisierung zunimmt, kann die reduzierte persönliche Interaktion von Beratern und Klienten deren Beziehung beeinträchtigen. Ob Virtualisierung der richtige Ansatz ist, einen Beratungsprozess zu verändern und wie dies am besten geschehen kann, muss intensiv geprüft werden. Hier besteht heute jedoch ein Mangel an belastbaren Kriterien und Virtualisierungs-konzepten. Daraus leitet sich die Forschungsfrage des vorliegenden Beitrags ab: Wie kann das Potenzial zur Virtualisierung einer Beratungsleistung (oder eines Teilschrittes) anhand konkreter Kriterien ex ante beurteilt werden?

2 Inhaltliche Einordnung der Arbeit (Related Work)

Die hier bearbeitete Forschungsfrage ist dem Consulting Research [18] [19] zuzurechnen, worunter die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Dienstleistung Unternehmensberatung, den Beratungsunternehmen als Organisationen und dem Beratungsmarkt mit seinen verschiedenen Teilnehmern auf Anbieter- und Nachfragerseite verstanden wird. Consulting Research hat zwei Anliegen [18]. Erstens, die wissenschaftliche Durchdringung des Themas Unternehmensberatung, wobei der von einzelnen Beratungsprojekten abstrahierende wissenschaftliche Erkenntnisgewinn im Mittelpunkt steht. Zweitens, die Übertragung wissenschaftlicher Theorien, Erkenntnisse und Methoden auf die unternehmerische Praxis mit dem Ziel, Aufgabenstellungen und Probleme im Umfeld von Beratungsprozessen und

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Beratungsunternehmen besser als bisher zu lösen. Der vorliegende Beitrag ordnet sich schwerpunktmäßig beim zweiten Kernanliegen des Consulting Research ein, da letztlich eine Vorgehensweise entwickelt wird, die Beratungsanbieter bei der digitalen Transformation ihres Geschäftes unterstützen soll.

Gleichzeitig hat unser Beitrag eine gewisse Nähe zum Thema Service Modularisierung [7] [12] [25]. Durch die gezielte Anwendung von Standardisierung und Modularisierung wird die Virtualisierung von Einzelaufgaben und Teilprozessen in der Beratung vorbereitet. Diese Module können, gegebenenfalls bedarfsgerecht neu kombiniert, die Basis für innovative Beratungsleistungen bilden.

3 Methodik und Datengrundlage

3.1 Überblick

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird im ersten Schritt auf die theoretische Grundlage der process virtualization theory von Overby [23] [24] zurückgegriffen und diese in die Domäne Consulting übertragen. Ergänzend liefert eine großzahlige Studie zu den Einflussfaktoren des Virtualisierungspotenzials im deutschen Beratungsmarkt weitere Hinweise für ein sinnvolles Vorgehen. Im dritten Schritt wird eine strategische Perspektive eingenommen, die zusätzlich Chancen und Risiken der Virtualisierung auf Basis einer literaturgestützen Delphi-Studie mit Beratern und Klienten einbezieht. Im Ergebnis ergibt sich ein Analyseprozess in drei Schritten, der im weiteren Verlauf des Beitrages genauer dargestellt wird. Die methodischen Grundlagen dazu werden nachfolgend kurz dargelegt.

3.2 Prozessvirtualisierung – theoretische Fundierung

Ein virtueller Prozess ist ein Prozess, in dem die physische Interaktion zwischen den Menschen und/oder Maschinen verschwindet. Der Übergang eines physischen Prozesses hin zu einem virtuellen Prozess wird als „Prozess Virtualisierung“ bezeich-net. Overby [23] [24] entwickelte die generisch angelegte ‚Process Virtualization Theory‘ (PVT) und führte den Begriff der „Prozess Virtualisierbarkeit“ ein. Overby sieht die Nutzung/Akzeptanz und die Qualität der Prozessergebnisse als Basis, um die Virtualisierbarkeit eines Prozesses (als abhängige Größe) ex post messen zu können. Daneben benennt er eine Reihe von Einflussgrößen, die sich auf die Virtualisierbar-keit eines Prozesses auswirken und demnach für die hier angestrebte ex ante Beur-teilung des Virtualisierungspotenzials von Beratungsprozessen grundsätzlich geeignet erscheinen. Die PVT erscheint als der passende theoretische Anker für diese Arbeit, weil sie im Gegensatz zur Theorie des Task-Technology-Fit nicht der Evaluation der Eignung einer Technologie für eine bestimmte Aufgabe dient, sondern vielmehr der Erklärung, wie gut sich eine Aufgabe (als Teil eines Prozesses) prinzipiell für den Technologieeinsatz eignet. Sie ist hier auch dem Technology-Acceptance-Model (TAM) vorzuziehen, da Beratungsleistungen als Co-Kreation von Berater und Klient primär aus Prozessperspektive (und nicht im Sinne reiner Technologieakzeptanz) zu

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betrachten sind [24]. Auch wurde das TAM bezüglich seiner mangelnden Relevanz und Nützlichkeit, zukünftige Systeme besser zu gestalten, stark kritisiert [2].

Gemäß der PVT wirken sich insbesondere die folgenden Prozesseigenschaften negativ auf die Virtualisierbarkeit eines Prozesses aus: hohe sensorische Anforderungen (da physische Interaktion entfällt), hohe Anforderungen an die persönliche Beziehungsebene der Beteiligten und daran anknüpfende Konstrukte wie Vertrauen, hohe Anforderungen an die Synchronität von Aktivitäten in der Prozessausführung und hohe Identifikations- und Steuerungsanforderungen im Prozess (da bei Virtualisierung die tatsächlich Interagierenden leichter verschleiert werden können).

Demgegenüber mildern die folgenden Eigenschaften des (IT-basierten) Virtuali-sierungsmechanismus die genannten Prozesscharakteristika und wirken sich somit auf die Virtualisierbarkeit eines Prozesses aus: die Fähigkeit der IT prozessrelevante Informationen darzustellen („representation“), die Fähigkeit der IT eine zeit- und orts-unabhängige Prozessteilnahme zu ermöglichen („reach“), sowie die Möglichkeiten durch IT eine Authentifikation der Prozessbeteiligten und Überwachung des Prozess-ablaufes zu gewährleisten („monitoring capability“).

Balci und Rosenkranz [3] merken an, dass die Messbarkeit der Prozess-Virtu-alisierbarkeit bisher kaum empirisch untersucht ist. Sie finden in einer eigenen Unter-suchung empirische Bestätigung für die PVT, sehen jedoch gleichzeitig Hinweise auf deren Unvollständigkeit. Demnach spielen auch Faktoren eine Rolle, die Merkmale der Prozessteilnehmer (z.B. IT-Kenntnisse) betreffen.

3.3 Kriterien der Virtualisierbarkeit – empirische Studie

Der Aspekt einer möglichen Unvollständigkeit der PVT wird für den Anwendungs-bereich Consulting durch eine ergänzende großzahlige Befragung zu den Kriterien der Virtualisierbarkeit von Beratungsleistungen aufgegriffen. Befragt wurden, in Koope-ration mit dem Bundesverband Deutscher Unternehmensberater BDU e.V., Gesell-schaften aller Größen aus der gesamten Consultingbranche.

Im Rahmen der hier beschriebenen Studie wurden Daten online mit Hilfe der Umfragesoftware Unipark QuestBack erhoben. Mit Hilfe einer Online-Befragung ergeben sich zahlreiche Vorteile, wie die geringen Erhebungskosten, der Entfall der manuellen Dateneingabe oder die schnelle Verfügbarkeit der Daten [1]. Den Vorteilen bei Online-Befragungen stehen allerdings auch Nachteile gegenüber [13]. So entsteht aufgrund der Anonymität im Internet beispielsweise ein erhöhtes Risiko von Mehrfachteilnahmen. Dieser Aspekt wurde u.a. dadurch minimiert, dass der BDU aus seinen Kontakten Einladungen zur Teilnahme an die Mitglieder versendete. Da der BDU bezüglich seiner Mitglieder einen guten Querschnitt der deutschen Beratungs-landschaft darstellt, sind hier Verzerrungen des Ergebnisses kaum wahrscheinlich. Weiterhin wurde viel Wert auf die Verständlichkeit des Fragebogens gelegt und dies im Rahmen eines Pre-Tests verifiziert.

Die Befragung der Teilnehmer wurde im Zeitraum vom 23. November bis 18. Dezember 2015 durchgeführt. Insgesamt klickten 765 Teilnehmer auf den Link zur Startseite der Online-Befragung, der zuvor in einer E-Mail versendet wurde. 654

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Teilnehmer starteten die eigentliche Online-Befragung. In der anschließenden Editierung und Kodierung der Daten fand eine Datenbereinigung statt. Dabei wurden 102 Antworten ausgeschlossen, da sie die Anforderungen an Vollständigkeit nicht erfüllten. In Summe konnten so 552 Fragebögen für die weitere statistische Analyse berücksichtigt werden. Insgesamt wird der deutsche Beratungsmarkt nach Umsatz und Beratungsfeldern gut abgebildet, so dass von weitgehend repräsentativen Ergebnissen ausgegangen werden kann. Auch hinsichtlich Alter und Berufserfahrung der Befragten zeigte sich, dass das Meinungsbild von Beratern mit unterschiedlichen Erfahrungsniveaus erfasst werden konnte. Die Repräsentativität der Stichprobe ist in-sofern einzuschränken, weil die Datenerhebungsmethode bei allen Vorzügen nicht ganz unproblematisch. So setzt diese Methode voraus, dass Teilnehmer in der Lage sind, den Online-Fragebogen entsprechend zu nutzen. Teilnehmer, die wenig Internet-affin sind, könnten hier ausgegrenzt werden [13], was bei der Zielgruppe der Unternehmensberater jedoch kaum wahrscheinlich ist.

Die Befragung zielte insgesamt darauf ab, den Status Quo und die Perspektiven der digitalen Transformation in der Unternehmensberatung in Deutschland zu klären. In diesem Beitrag sollen jedoch nur Kriterien betrachtet werden, um das Virtuali-sierungspotenzial von Beratungsleistungen zu bestimmen. Hierzu wurde vorab eine strukturierte Literaturanalyse nach Webster und Watson [27] durchgeführt, um mögliche Kandidaten für solche Kriterien zu identifizieren. Neben der originären Literatur zur Beratungsvirtualisierung wurde auch in den Themenbereichen Telearbeit, Telekooperation, Computer Supported * Work, Task Analysis, E-Government und E-Services recherchiert, um auf das Consulting potenziell übertragbare Resultate zu identifizieren. Weiterhin sind Beiträge, die von Overby zitiert wurden oder die Overby zitieren, berücksichtigt worden. Insgesamt konnten 41 Beiträge für die Recherche genutzt werden. Durch die anschließende Literatur-Synthese und Erstellung einer Konzeptmatrix wurde eine Liste an Kriterien der Virtualisierbarkeit erarbeitet. Diese Kriterien lassen sich in die drei Gruppen Klient, Beratung und Beratungsaufgabe clustern. Die besondere Relevanz dieser drei Gruppen bei der Untersuchung der Virtualisierung von Beratungsleistungen wird in der Literatur von Autoren wie Wurdack [28] herausgestellt. Darüber hinaus wurden diese Gruppierungen bereits im Kontext der Standardisierung von Beratungs-leistungen genutzt [10] und auch im Bereich der Modularisierung von Dienstleistungen als Schlüsselaspekte benannt [7].

Die Gruppe Klient beinhaltet alle Kriterien, die im Zusammenhang mit der Integration des Klienten stehen. Dies umfasst sowohl das Vertrauen des Klienten in das Beratungsunternehmen als auch die Akzeptanz des Klienten für die virtuelle Beratungsleistung. Ferner können die technischen Anforderungen des Klienten sowie die Erfahrung des Klienten mit virtuellen Beratungsleistungen genannt werden.

Die zweite Gruppe Beratung beinhaltet alle Kriterien, die im Zusammenhang mit der Beratungsorganisation, also dem Beratungsunternehmen selbst, stehen. Hierzu zählen sowohl die Erfahrung der Beratung mit virtuellen Beratungsleistungen als auch die Reife des Wissensmanagements. Weiterhin sind die Auslastung der Berater und die Seniorität der Berater bestimmend für die konkrete Virtualisierbarkeit.

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Die dritte Gruppe Beratungsaufgabe deckt die Kriterien ab, die eine Evaluation des Virtualisierungspotenzials auf Ebene der Beratungsaufgabe ermöglichen. Dies umfasst sowohl die Kritikalität, d. h. das Risiko und Konfliktpotenzial der Aufgabe, als auch die Komplexität und mithin die Veränderlichkeit, Vielzahl und Vielfalt der Aufgabe. Ferner gilt es, die Dringlichkeit, also den Termindruck der Aufgabe sowie die Wichtigkeit, dass bedeutet die individuelle Bedeutung der Aufgabe, zu bestimmen. Weitere Kriterien, die in diese dritte Gruppe gehören, sind die Vertrau-lichkeit der Informationen und Aufgabe und die Interaktivität, d. h. die Frequenz, Dauer, Art und Intensität d. Berater-Klienten-Interaktion. Ein wesentliches und abschließendes Kriterium der Gruppe Beratungsaufgabe ist die Individualität und mithin der Anspruch des Klienten an eine individuelle Lösung.

Nach der literaturgestützten Herleitung dieses initialen Kriterienkatalogs galt es, die Kriterien im Rahmen einer großzahligen Befragung von Unternehmensberatern zu evaluieren. Um das Virtualisierungspotenzial praxistauglich beurteilen zu können, ging es hierbei auch darum, die Anzahl der bislang 15 Kriterien auf ein in den Unternehmen handhabbares Maß zu reduzieren.

Die Ergebnisse der Literaturanalyse bildeten die Grundlage einer entsprechenden Frage in der Online-Studie, bei der die Teilnehmer einerseits die Relevanz dieser Kriterien anhand einer 6-stufigen Likert-Skala beurteilen sollten, andererseits aber auch die Freitext-Möglichkeit hatten, weitere Kriterien zu ergänzen und zu beurteilen. Insgesamt konnten in unserer Studie hierzu die Aussagen von 374 Teilnehmern ausgewertet werden.

Um die Kriterien der Virtualisierbarkeit von Beratungsleistungen zu charakteri-sieren, bietet sich die Faktorenanalyse (EFA) als dimensionsreduzierendes Verfahren an. Hierdurch können latente Faktoren identifiziert werden, die entsprechend fokussiert die Einflussfaktoren wiedergeben [9]. In diesem Zusammenhang wurde für die 15 initialen Kriterienkandidaten auch Cronbach’s Alpha berechnet, das grundsätzlich Werte zwischen 0 und 1 annehmen kann. Je höher der Wert von Cronbach’s Alpha, desto höher ist die Korrelation zwischen den Indikatoren und damit die Interne-Konsistenz-Reliabilität [8]. Dementsprechend sollte ein Cronbach’s Alpha Wert ≥ 0,7 vorliegen [22]. Bei uns beträgt dieser Wert 0,83.

Für die Durchführung der EFA wurde zunächst der Datensatz mittels einer Complete-Case Analyse bereinigt und auf seine prinzipielle Eignung für die Analyse untersucht. Zentrale Kriterien, die darüber Aufschluss geben, ob ein Datensatz für eine EFA grundsätzlich geeignet ist, sind das KMO Kriterium und der Bartlett-Test [4]. Hierbei deutet ein KMO-Wert von über 0,5 daraufhin [15], dass die Daten grundsätzlich eine gewisse Korrelation aufweisen und damit für eine EFA genutzt werden können. Im vorliegenden Fall beträgt der KMO-Wert 0,81. Der Bartlett-Test deutet seinerseits bei einer Ablehnung der Nullhypothese auf eine grundsätzliche Eignung der Daten für eine EFA hin. Für die vorhandenen Daten ist dieser signifikant (p < 0,001) von Null verschieden. Die Nullhypothese, dass die Korrelationsmatrix nur zufällig von der Einheitsmatrix verschieden ist, kann also abgelehnt werden, womit auch der Bartlett-Test die Eignung der Daten für eine EFA bestätigt.

Der Tabelle 1 ist zu entnehmen, dass sich die Items recht trennscharf den einzelnen Faktoren zuordnen lassen, da jedes Item, mit zwei Ausnahmen, bei einem cutoff-Wert

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von 0,5 lediglich auf einen Faktor lädt. Gleichzeitig liegen bei den meisten Items Faktorladungen über 0,7 vor. Im Ergebnis lassen sich die 15 Kriterienkandidaten auf 7 Faktoren reduzieren, denen wir aussagekräftige Namen zu ihrem jeweiligen Fokus gegeben haben. Diese bilden nun die wichtigste Grundlage, um die Virtualisierbarkeit von Leistungen der Unternehmensberatung ex ante zu beurteilen.

Tabelle 1. Faktoranalyse zu den Kriterien der Virtualisierbarkeit von Beratungsleistungen.

3.4 Chancen und Risiken der Virtualisierung – Literatur- und Delphi-Studie

Die klientenbezogenen Chancen und Risiken virtueller Beratungsleistungen wurden durch Nissen et al. [20] mittels einer Kombination aus strukturierter Literaturrecher-che und einer Delphi-Studie mit Teilnehmern verschiedener Branchen untersucht. Es ergaben sich die folgenden, auf der strategischen Analyseebene relevanten Ergebnisse.

Klienten verknüpfen mit virtualisierten Beratungsangeboten die Chance auf größere Flexibilität und Verfügbarkeit, höhere Arbeits- und Reaktionsgeschwindig-keit im Projekt sowie die Hoffnung, Beratungsleistungen zu günstigeren Preisen zu erhalten. Weiterhin erhoffen sich die Klienten durch die intensivere Nutzung der Digitalisierung, Ergebnisse einfacher verarbeiten und wiederverwenden zu können. Auch sieht man die Chance, besonders innovative und teilweise automatisierte Beratungslösungen in Anspruch nehmen zu können.

Dem stehen jedoch Befürchtungen und Risiken auf Klientenseite gegenüber. Diese beziehen sich einerseits auf mögliche Kommunikations-, Koordinations- und Kooperationsprobleme sowie die stärkere Abhängigkeit von technischen Aspekten bei

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der Zusammenarbeit und damit verbundenen Gefahren wie Datenmissbrauch und Kontrollverlust. Andererseits wird befürchtet, die Ergebnisqualität könnte leiden, da die Beziehung zwischen Beratern und Klienten sich verschlechtert, Vertrauen und Loyalität sinken und die Individualisierung der Leistungserbringung abnimmt.

Die gewonnenen Erkenntnisse fließen nun in einen mehrstufigen Vorschlag zur Analyse des Virtualisierungspotenzials von Beratungsleistungen ein. Akzeptanz auf Kundenseite wird dabei in Übereinstimmung mit Overby [23] [24] und Bruhn [5] primär als Ergebnis der erfolgreichen Umsetzung von Virtualisierungspotenzialen angesehen, ist also ein Ziel.

4 Ermittlung des Virtualisierungspotenzials von Beratungsleistungen

4.1 Überblick

Die Erfolgskette [5] virtueller Beratungsleistungen beschreibt die Stufen, die zu absolvieren sind, um Virtualisierung in der Unternehmensberatung erfolgreich umzusetzen (Abb. 1). Das Angebot und die Gestaltung virtueller Beratungsprodukte führen im Idealfall zu einer hohen Akzeptanz seitens der Kunden. In Abhängigkeit von alternativen Beratungsmöglichkeiten, empfundenen Risiken und Vorteilen, kommt es dann zu einer Nutzung des Beratungsproduktes. Während der Inanspruch-nahme der Leistung beurteilt der Klient die Qualität. Entspricht diese seinen Erwar-tungen, entsteht Zufriedenheit. Die Zufriedenheit der Kunden stellt eine Voraus-setzung dafür dar, dass auf der letzten Stufe das Beratungsunternehmen einen Erfolg mit dem angebotenen virtualisierten Beratungsleistungsportfolio realisiert.

Um eine möglichst hohe Akzeptanz der Kunden zu erzielen und deren Nutzungs-absicht zu erhöhen, ist die Gestaltung der virtualisierten Beratungsdienstleistung von großer Bedeutung. Hierzu gilt es, das Virtualisierungspotenzial zunächst in der Analyse- und Gestaltungsphase einer virtuellen Beratungsleistung fundiert zu analy-sieren.

Im Ergebnis erscheint es sinnvoll, die Ermittlung des Virtualisierungspotenzials im Bereich der Unternehmensberatung in drei separaten Teilschritten vorzunehmen, die nun näher dargestellt werden (Abb. 1). Die erste Stufe, die Evaluation des prozes-sualen Virtualisierungspotenzials, basiert auf der Process Virtualization Theory von Overby und untersucht, wie die Eigenschaften des Beratungsprozesses das Virtuali-sierungspotenzial beeinflussen. Die zweite Stufe, die unternehmensbezogene Analyse, untersucht zentrale Faktoren innerhalb des Beratungsunternehmens und wie diese auf das Virtualisierungspotenzial wirken. In der dritten und strategischen Stufe werden Chancen und Risiken der Virtualisierung aus Kunden- und Beratungssicht im Rahmen eines Business Case untersucht. Für die spätere projektbezogene Umsetzung spielen dann die Qualitätserwartungen des Kunden eine erfolgsentscheidende Rolle.

Der Evaluationsprozess startet also in Schritt 1 mit den PVT-orientierten Einfluss-faktoren. Die folgenden Evaluationsschritte wenden die restlichen Kriterien an und ergänzen sie um Ergebnisse zu Chancen und Risiken der aktuellen Virtualisierungs-

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entscheidung. Der Evaluationsprozess wird im Verlauf immer spezifischer und mündet in einen Business Case des jeweiligen Beratungshauses.

Abbildung 1. Schrittweise Analyse des Virtualisierungspotenzials von Beratungsleistungen

4.2 Analyse des prozessualen Virtualisierungspotenzials

Einfluss der Komplexität. Der erste Faktor, der für die Analyse des prozessualen Virtualisierungspotenzials entscheidend ist, ist die Komplexität der Beratungsleistung. Das prozessuale Virtualisierungspotenzial einer Beratungsleistung wird durch die sensorischen, beziehungsbezogenen, synchronitätsbezogenen und die kontroll-bezogenen Eigenschaften des Prozesses bestimmt. Hierauf wirkt maßgeblich die

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Komplexität der Beratungsleistung. Komplexe Beratungsleistungen zeichnen sich u.a. durch eine Vielzahl von heterogenen Projektzielen, Stakeholdern, Projektstandorten und Technologien aus. Eine hohe Komplexität wirkt sich negativ auf das Virtualisierungspotenzial aus. In komplexen Beratungsszenarien sind die Anforde-rungen, die der Beratungsprozess an die Beziehung zwischen Berater und Klient stellt, hoch. Notwendig ist eine starke Berater-Klienten-Beziehung, die in der Lage ist, die Zusammenarbeit auch in kritischen Phasen innerhalb des Projektes zu gewährleisten. Zudem ist die Kritikalität oder das Risikopotenzial des Projektes zu beachten. Auch wenn in der Literatur bisher kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Projekt-Komplexität und Projekt-Risiko nachgewiesen werden konnte, existiert eine verbreitete Vermutung, dass es eine Verknüpfung zwischen beiden Aspekten gibt [17]. Die Komplexität stellt zudem hohe synchronizitätsbezogene Anforderungen an den Beratungsprozess. Die Lösung komplexer Problemstellungen mit einer Vielzahl von heterogenen Informationen erfordert es häufig, zeitlich synchron miteinander zu arbeiten. Das bedeutet, Problemstellungen und Lösungen werden beispielsweise in Workshops kooperativ untersucht und generiert. Es ergeben sich zudem oft hohe sensorische Anforderungen, wenn Informationen unterschiedlichster Art verarbeitet werden müssen. Dazu zählen Sprachinformationen ebenso wie Grafiken oder Texte und insbesondere die Mimik und Gestik der verschiedenen Akteure. Komplexe Beratungsleistungen setzen auch die Kenntnis darüber voraus, wer mit wem gerade interagiert. Einfluss der Interaktivität. Der zweite Faktor, der für die Analyse des prozessualen Virtualisierungspotenzials entscheidend ist, ist die Interaktivität der Beratungs-leistung. Die Interaktivität der Beratungsleistung umfasst die Art, Dauer und Häufigkeit der Interaktion von Kunde und Berater sowie zwischen Beratern im Projekt. Eine hohe Interaktivität impliziert hohe sensorische und synchronizitäts-bezogene Anforderungen, ebenso wie erhöhte kontroll- und identifikationsbezogene Anforderungen. Eine hohe Interaktivität schränkt somit die Virtualisierbarkeit ein. Durch die Wahl geeigneter Medien und Technologien kann dies teilweise ausgeglichen werden. Die Analyse der Antworten der Teilnehmer zeigte, dass die Interaktivität tendenziell höchstens mittelstark ausgeprägt sein sollte, damit man von einer guten Virtualisierbarkeit sprechen kann. Dieses Ergebnis ist in guter Übereinstimmung mit Erkenntnissen aus der Forschung zur Service Modularisierung. So verweisen z.B. Carlborg und Kindström [7] darauf, dass die Perspektive der Co-Kreation von Dienstleister und Kunden nicht vernachlässigt werden sollte. Starke Interaktionsanforderungen bauen auch aus Sicht der Service Modularisierung Hürden auf.

Interaktion umfasst ein breites Spektrum an Formen. Hier sollten Beratungs-anbieter prüfen, welche grundsätzlichen Interaktionsformen bisher (traditionell) in einer gegebenen Beratungsleistung vorkommen: direkte persönliche Interaktion, mediale bzw. indirekte Interaktion oder automatisierte Interaktion. Häufige direkte, persönliche Interaktion zwischen Berater und Kunde deutet darauf hin, dass hier Virtualisierungspotenzial für synchrone Technologien, wie Konferenzsysteme, vorliegt [6].

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Einfluss der Dringlichkeit. Die Dringlichkeit der Beratungsleistung, zu der auch die Priorität aus Kundensicht gehört, wirkt sich im konkreten Projektfall positiv auf das Virtualisierungspotenzial aus. Der Einsatz von Technologie zur örtlich unabhängigen Zusammenarbeit bringt zeitliche Vorteile mit sich, die bei dringlichen Problem-stellungen tendenziell positiv wirken. Die örtliche Unabhängigkeit, die durch den Einsatz geeigneter Kollaborationswerkzeuge erreicht werden kann, fördert die schnelle und flexible Zusammenarbeit verschiedener, örtlich verteilter Projektmitglieder und ermöglicht einen schnellen Austausch von Informationen, die zur Lösung kritischer Problemstellungen benötigt werden. Einfluss des Vertrauens. Das Vertrauen zwischen Berater und Kunde ist eines der Kernkriterien zur Beurteilung von Beratungsqualität. Die Virtualisierung von Beratungsleistungen führt zu einem veränderten Beratungsprozess, der den direkten Kontakt zwischen Berater und Kunde reduziert. Daraus resultiert ein Risiko für die Qualität der Beziehung von Beratung und Klient und insbesondere das dem Berater auf Kundenseite entgegengebrachte Vertrauen [20]. Das Vertrauen ist aus Sicht der Klienten besonders wichtig, da bei einer traditionellen wie auch einer virtuellen Beratungsleistung eine dienstleistungsspezifische Qualitäts- bzw. Informations-unsicherheit vorliegt und zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme nur das Leistungs-versprechen der Beratung existiert [20]. Großes Vertrauen der Kunden in den Beratungspartner, einerseits in das Beratungsunternehmen als Organisation und andererseits in den projektbezogenen, konkreten Berater als Person, wirkt sich positiv auf das prozessuale Virtualisierungspotenzial aus. Für die Virtualisierbarkeit von Beratungsleistungen ist es entscheidend, dass bei etablierter vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen Berater und Klient die beziehungs- und kontrollbezogenen Anforderungen des betroffenen Beratungsprozesses eher gering sind, da bereits eine entsprechende Berater-Klienten-Beziehung vorliegt. Die Akteure der Beratungs-prozesse können daher weniger oft synchron und ohne den Bedarf häufiger Kontrollen der Zusammenarbeit miteinander interagieren. Bei stark virtualisierten Beratungsleistungen spielt vor allem das Vertrauen auf der organisationalen Ebene, also in das Beratungsunternehmen, eine Rolle. Hier kann das Reputationsmanagement der Unternehmensberatung einen wichtigen Beitrag leisten [14].

Es wird deutlich, dass die PVT alleine nicht genügt, um das Virtualisierungs-potenzial praxisgerecht und nutzenstiftend bewerten zu können. Die Kriterien der PVT ermöglichen es jedoch, eine erste Einschätzung der grundsätzlichen Eignung einer Beratungsleistung für die Virtualisierung vorzunehmen. Im nächsten Schritt gilt es, dieses Urteil weiter zu schärfen und vor allem die unternehmensspezifischen Rahmenbedingungen sowie die Erwartungshaltung der Klienten zu berücksichtigen.

4.3 Analyse des unternehmensbezogenen Virtualisierungspotenzials

Einfluss des Reifegrads der Beratungsorganisation. Von großer Bedeutung für die Virtualisierbarkeit einer Beratungsleistung auf Unternehmensebene ist der Reifegrad des Beratungshauses in dieser Hinsicht. Ein hoher virtualisierungsbezogener Reifegrad eines Beratungsanbieters wirkt sich positiv auf das Virtualisierungs-potenzial im konkreten Einzelfall aus. Weisen Beratungsfirmen einen hohen Reife-

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grad auf, dann impliziert das Erfahrungen und Know-how in der Digitalisierung von eigenen Geschäftsprozessen und Prozessen der Klienten. Dieses Wissen ist förderlich für die Entwicklung weiterer virtueller Beratungsprodukte. Firmen mit einem hohen Reifegrad können ihre Entscheidungen für oder gegen die Virtualisierung einzelner Prozesse/Prozessschritte basierend auf den schon vorliegenden eigenen Erfahrungen treffen. Das erleichtert es, das Virtualisierungspotenzial einzelner Leistungen nach Maßgabe der oben genannten Einflussfaktoren richtig zu bewerten. Einfluss der Verfügbarkeit geeigneter Berater. Sollen virtualisierte Beratungs-angebote in das eigene Leistungsportfolio integriert werden, so stellt dies Anforde-rungen an die Qualifikation der betroffenen Mitarbeiter. Virtuelle Beratungs-leistungen erfordern neben den sozialen und fachlichen Fähigkeiten insbesondere Wissen in der Auswahl und Nutzung von passenden Informations- und Kommuni-kationstechnologien sowie Know-how über Formen und Besonderheiten der virtuellen Zusammenarbeit. Damit das prozessuale Virtualisierungspotenzial ausge-schöpft werden kann, müssen Berater die Wahl der passenden Medien und Werkzeuge unter Berücksichtigung der zuvor beschriebenen prozessualen Faktoren treffen. Bei der Zahl an relevanten Technologien ist hierfür fundiertes Wissen notwendig. Der Berater muss folglich in der Lage sein, die richtige Technologie für den richtigen Prozessschritt bei einem Kunden auszuwählen. Verfügt ein Beratungs-anbieter über Mitarbeiter, die diesen Anforderungen gerecht werden, wirkt sich das positiv auf die Bewertung des Virtualisierungspotenzials aus. Ist das nicht der Fall, wäre es sinnvoll, zunächst in den Aufbau solcher Ressourcen zu investieren.

4.4 Analyse des strategischen Virtualisierungspotenzials

Der strategische Fit in Bezug auf das bestehende Leistungsportfolio des Beratungs-anbieters ist wichtig für die Virtualisierung von Beratungsleistungen [28]. Demnach müssen Anbieter das in den bisherigen zwei Schritten identifizierte Virtualisierungspotenzial in der dritten Analysestufe auf die strategische Relevanz und Passfähigkeit prüfen. Hoher strategischer Fit wirkt sich positiv auf das Virtualisierungspotenzial aus. Die Idee einer Bestimmung des strategischen Virtualisierungspotenzials geht auf den Ansatz des strategischen Service Portfolio Managements zurück und zielt darauf ab, neue Beratungsleistungen im Hinblick auf die strategische Passgenauigkeit zum Service Portfolio des Beratungsunternehmens hin zu überprüfen und basierend darauf die Beratungsleistung und/oder das Portfolio strategisch neu auszurichten [16].

Die Forschung zur Service Modularisierung betont, dass es essentiell für Dienst-leistungsanbieter ist, die Kundenwünsche zu verstehen und schon bei der Service-entwicklung einzubeziehen [25]. Für die Entscheidung im konkreten Einzelfall ist es daher notwendig, neben den Vorteilen der Virtualisierung insbesondere deren Risiken aus Klientensicht, aber auch die Risiken der Beratung im Auge zu behalten und das Gesamturteil durch einen Business Case, der kurzfristige und langfristige Potenziale der Virtualisierung aufzeigt, weit möglichst zu objektivieren.

Die Bedeutung dieses strategischen Evaluationsschrittes wird auch durch die Analyse der Hemmnisse der Virtualisierung deutlich. So gaben 34 % der befragten

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Teilnehmer der BDU-Studie an, dass der mangelnde strategische Fit ein Hemmnis der Virtualisierung in der Unternehmensberatung sei (n=493) [21].

4.5 Qualitätsanforderungen der Kunden an virtualisierte Beratung

Abschließend soll noch einmal die Perspektive des Beratungskunden betrachtet werden. Unternehmensberatungen vermarkten Leistungsversprechen in Bereichen, die für Klienten im Allgemeinen große Bedeutung haben und erhebliche Risiken mit sich bringen. Ein virtualisiertes Beratungsangebot kann langfristig nur dann erfolgreich sein, wenn die erbrachten Leistungen in ihrer Qualität die Erwartungen der Klienten erfüllen. Notwendig ist daher eine Qualitätsmessung. Dadurch kann überprüft werden, ob die Klientenerwartungen verfehlt, erfüllt oder sogar übertroffen wurden und somit die Beratungsleistung erfolgreich virtualisiert wurde oder nicht. Im letzteren Fall sollte kritisch evaluiert werden, ob die Virtualisierung generell unangemessen ist oder nur ein besserer Virtualisierungsmechanismus gefunden werden muss.

Die Untersuchung der Qualitätserwartungen von Klienten an virtualisierte Beratungsleistungen erfolgte in Nissen et al. 2015 [20] anhand einer strukturierten Literaturanalyse sowie einer anschließenden klientenbezogenen Delphi-Studie. Die von den Experten durchgeführte Evaluation und Priorisierung resultierte in einem integrierten Kriterienkatalog, der Kriterien traditioneller Beratungsleistungen und Kriterien elektronischer Dienstleistungen kombiniert. Die Delphi-Studie ergab auch, dass die Bedeutung der Qualitätskriterien für die Gesamtzufriedenheit der Kunden in Abhängigkeit des Virtualisierungsgrades variiert. So wird die Qualität einer hoch-virtualisierten Beratungsdienstleistung stärker anhand von Kriterien für die Qualität elektronischer Dienstleistungen gemessen, wohingegen eine Dienstleistung mit einem geringeren Virtualisierungsgrad stärker durch Qualitätskriterien von traditionellen Beratungsdienstleistungen bewertet wird.

5 Fazit und Ausblick Die Akzeptanz, Nutzung und Zufriedenheit mit einer virtuellen Beratungsleistung sind gemäß Overby [23,24] die entscheidenden (ex post) Indikatoren für die Virtuali-sierbarkeit einer traditionellen Beratungsleistung. Damit wird aber vorausgesetzt, dass die virtuelle Beratungsleistung bereits entwickelt und im Einsatz ist. Sollen Beratungsleistungen erst noch konzipiert werden, lässt sich der zu erwartende Erfolg vorab nur schwer bestimmen. Folglich braucht es Indikatoren und ein analytisches Vorgehen zur ex ante Bestimmung der Virtualisierbarkeit einzelner Leistungen oder Prozessschritte.

Das vorgestellte dreistufige Vorgehen ist dazu ein theoretisch und empirisch fundierter Vorschlag, der sich allerdings im praktischen Einsatz erst noch bewähren muss. Hierzu sind Kooperationsprojekte mit Beratungspartnern gestartet worden, die in Kürze zu ersten konkreten Produkten führen werden. Im Ergebnis werden so Fallstudien entstehen, die den praktischen Wert der vorgestellten Methode in unterschiedlichen Beratungskontexten überprüfen und auch zeigen, inwieweit das

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Vorgehen unternehmens- oder projektspezifisch konfiguriert werden muss, um den größten Nutzen zu erzielen.

Die Ergebnisse dieses Beitrags sind insofern einzuschränken, als die untersuchte Stichprobe nur den deutschen Beratungsmarkt betrachtet. Die Ergebnisse der zitierten Delphi Studien sind insoweit zu relativieren, als sie zwar den in der Literatur geforderten methodenspezifischen Umfang an Teilnehmern erreichen, dennoch aber nur das Meinungsbild einer überschaubaren Gruppe von Beratern und Klienten wiederspiegeln. Diese Ergebnisse gilt es in größer angelegten Studien in der Zukunft weiter zu vertiefen. In theoretischer Hinsicht erscheint es lohnenswert, die Themen Standardisierung und Modularisierung von Beratungsleistungen im Kontext der Virtualisierung noch einmal stärker aufzugreifen. Dabei existieren interessante Querbezüge, insbesondere zum Thema Service Modularität [7, 12, 25], wo schon verwertbare Ergebnisse vorliegen.

Virtualisierte Beratungsleistungen werden konventionelle Vor-Ort-Beratung nicht generell ersetzen. Sie sollten, dem dargestellten Entscheidungsprozess für oder gegen Virtualisierung folgend, aber als mögliche Ergänzung des Portfolios von Beratungs-produkten gesehen und fundiert analysiert werden.

Die digitale Transformation in der Beratungsbranche ist ein komplexes Unter-fangen und schafft damit Barrieren gegen Wettbewerber. Wer frühzeitig relevantes Wissen akkumuliert und erfolgreiche, innovative Pilotprojekte vorweisen kann, wird langfristig voraussichtlich einen erheblichen Wettbewerbsvorteil generieren und über längere Zeit verteidigen können. Hier wird ein hohes Maß an Kreativität und strategischem Denken verlangt, das über die reine 1:1-Übertragung konventioneller Beratungsabläufe in die virtuelle Welt am Ende weit hinausreicht.

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