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Bauwelt 40--41 | 2007 9 Die Trierer Altstadt von Sü- den. Vorn der Thermenbe- reich mit dem Eingangsriegel, dahinter das Kurfürstliche Palais und der Ziegelbau der Basilika bzw. römischen Palastaula. Es war, so darf man es sagen, Ungers’ letztes Werk, die Entree- situation Kaiserthermen Trier, im April eröffnet. Kein volumi- nöses Werk; davon gibt es wahrlich nicht wenige in seinem Œuvre. Ein eher bescheidenes, aber eben sein letztes. Grund genug, eine Reise anzutreten, von Köln, Ungers’ Arbeits-, Wohn- und Sterbeort, in südwestlicher Richtung. Vor dem inneren Auge das Haus Glashütte, Ungers’ Rückzugsort der letzten Jahre, und an Kaisersesch denkend, seinen Geburtsort, beides eingebettet in die bewegte Landschaft der Eifel. Endbahnhof ist Trier, jene Stadt, von der OMU geprägt war wie von keiner anderen und die den mit historischen Bau- und Stadtbauwer- ken ein Leben lang vertrauten Spurensucher nie losließ. Wie auch die Kaiserthermen. Sie gehören zu den bedeutendsten Badearchitekturen der Römer nördlich der Alpen. 293 n. Chr. im Zuge der Verlegung der Kaiserresidenz von Rom nach Trier begonnen, ist diese 3,5 Hektar große Anlage nie fertig gewor- den. Ihre Geschichte ist umso wechselvoller: Bauruine, Ka- serne, Stadttorbefestigung, Müllkippe, Kloster. Die heute aus- gegrabenen und die zum Teil in den 1980er Jahren rekonstru- ierten Monumente sind Ziel täglicher Touristenscharen. So viel zur Vorgeschichte des am südlichen Rand der antiken Rö- merstadt gelegenen Bauplatzes für ein leistungsfähiges Ein- gangsgebäude mit allen erforderlichen Funktionen wie Kar- tenverkauf, Information, Lager und Technik. Der Weg dorthin durch die Innenstadt erinnert an zahllose ähnliche Wege durch Fußgängerzonen. Wären da nicht die einzigartigen Zeugen einer 1700-jährigen Geschichte abend- ländischer Baukultur: Porta Nigra, Dom, Konstantinsbasilika, Amphitheater, drei Thermenanlagen. Dieser „Lehrpfad“ vor der Tür hat schon den jungen Oswald Mathias fasziniert, ihn, der selbst zum fundierten Kenner der Baugeschichte wurde und 50 Jahre leidenschaftlicher Sammler ihrer Spuren war. In Trier begegnet er uns an drei Orten, mit seiner geometrisch- steinernen Platzarchitektur vor der Basilika (1983), einem rö- mische Dimensionen nicht scheuenden Glaskubus über den Ausgrabungen der Thermen am Viehmarkt (1996) und nun auch mit einem 169 Meter langen Riegel als Eingang zu den Kaiserthermen. Von der Basilika durch den Barockgarten des Kurfürstlichen Palais kommend, nähert sich der Besucher die- ser Arkade aus rotem Ziegelmauerwerk. Am Ende links ein etwas höherer Turm für den Gesamtüberblick, daneben acht offene Felder mit mannshohen beschnittenen Hecken aus Feldahorn, dann drei offene Kuben, vier verglaste mit dem Ein- gang, drei geschlossene, wieder fünf offene und ganz rechts dann zweieinhalb geschlossene Felder. „Ein kubisches Basis- modell in der Transformation zu einer morphologischen Reihe“, wie es Ungers nannte. Das Prinzip Würfel erinnert an den Arkadenvorbau der Resi- denz des Deutschen Botschafters in Washington (1988–94). Im Grunde erinnert es an nahezu alle Entwürfe und Realisie- rungen, vom Stuhl im Frankfurter Architekturmuseum bis zum Wettbewerbsentwurf für das Wallraf-Richartz-Museum in Köln. Die Auseinandersetzung mit Geometrie als Ordnungs- und Entwurfsprinzip, Ungers’ lebenslanges Exerzitium. Der Besucher in Trier bemerkt zunächst das Quadrat, der Vertraute mit seinem Werk wieder das Quadrat. Mancher Kritiker ist versucht, Ungers’ Architekturwelt darauf zu reduzieren, und vernachlässigt dabei zwei fundamentale Quellen: die Materia- lität und den Bezug zum Ort. Schon bei seinen frühen Wohn- bauten am Kölner Ring aus den späten 50er Jahren ist grob gefugtes Ziegelmauerwerk – in Verbindung mit Sichtbeton – maßstabgebender Teil der gesamten Kubatur. Das zieht sich in Varianten durch das Gesamtwerk, auch mal mittels Natur- steinplatte, doch sehr oft mit Ziegeln. Bis zuletzt hier in Trier. Die Abmessungen der Würfel-Kanten wie die geschlossenen Flächen werden bestimmt vom Ziegelmaß. Dass die Kanten- längen des Grundgerüstes sich zudem aus den römischen Be- standsmauern im Untergrund ableiten, wie der Erläuterungs- bericht ergänzt, lässt sich verständlicherweise nicht direkt ablesen. Aber wie man Ungers’ archäologische Akribie kennt, wird es wohl so sein. Womit wir beim Bezug zum Ort als seinem dritten Entwurfs- prinzip sind. Weniger die Ruinen der Thermen nebenan, die Oswald Mathias Ungers Text: Peter Rumpf Fotos: Stefan Müller In den Nachrufen der Tageszeitungen wurden das Lebenswerk des Kölner Baumeisters, seine Sammelleiden- schaft, seine Verdienste als Lehrer und auch sein lebenslanger Widerstand gegen die jeweils angesagten Trends hinreichend kommentiert. Nicht aber seine letzte Arbeit in Trier. betrifft Oswald Mathias Ungers

Es war, so darf man es sagen, Ungers’ letztes Werk, die

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Bauwelt 40--41 | 2007 9

Die Trierer Altstadt von Sü-den. Vorn der Thermenbe-reich mit dem Eingangsriegel, dahinter das Kurfürstliche Palais und der Ziegelbau der Basilika bzw. römischen Palastaula.

Es war, so darf man es sagen, Ungers’ letztes Werk, die Entree-situation Kaiserthermen Trier, im April eröffnet. Kein volumi-nöses Werk; davon gibt es wahrlich nicht wenige in seinem Œuvre. Ein eher bescheidenes, aber eben sein letztes. Grund genug, eine Reise anzutreten, von Köln, Ungers’ Arbeits-, Wohn- und Sterbeort, in südwestlicher Richtung. Vor dem inneren Auge das Haus Glashütte, Ungers’ Rückzugsort der letzten Jahre, und an Kaisersesch denkend, seinen Geburtsort, beides eingebettet in die bewegte Landschaft der Eifel. Endbahnhof ist Trier, jene Stadt, von der OMU geprägt war wie von keiner anderen und die den mit historischen Bau- und Stadtbauwer-ken ein Leben lang vertrauten Spurensucher nie losließ. Wie auch die Kaiserthermen. Sie gehören zu den bedeutendsten Badearchitekturen der Römer nördlich der Alpen. 293 n. Chr. im Zuge der Verlegung der Kaiserresidenz von Rom nach Trier begonnen, ist diese 3,5 Hektar große Anlage nie fertig gewor-den. Ihre Geschichte ist umso wechselvoller: Bauruine, Ka-serne, Stadttorbefestigung, Müllkippe, Kloster. Die heute aus-gegrabenen und die zum Teil in den 1980er Jahren rekonstru-ierten Monumente sind Ziel täglicher Touristenscharen. So viel zur Vorgeschichte des am südlichen Rand der antiken Rö-merstadt gelegenen Bauplatzes für ein leistungsfähiges Ein-gangsgebäude mit allen erforderlichen Funktionen wie Kar-tenverkauf, Information, Lager und Technik.Der Weg dorthin durch die Innenstadt erinnert an zahllose ähnliche Wege durch Fußgängerzonen. Wären da nicht die einzigartigen Zeugen einer 1700-jährigen Geschichte abend-ländischer Baukultur: Porta Nigra, Dom, Konstantinsbasilika, Amphitheater, drei Thermenanlagen. Dieser „Lehrpfad“ vor der Tür hat schon den jungen Oswald Mathias fasziniert, ihn, der selbst zum fundierten Kenner der Baugeschichte wurde und 50 Jahre leidenschaftlicher Sammler ihrer Spuren war. In Trier begegnet er uns an drei Orten, mit seiner geometrisch-steinernen Platzarchitektur vor der Basilika (1983), einem rö-mische Dimensionen nicht scheuenden Glaskubus über den Ausgrabungen der Thermen am Viehmarkt (1996) und nun auch mit einem 169 Meter langen Riegel als Eingang zu den

Kaiserthermen. Von der Basilika durch den Barockgarten des Kurfürstlichen Palais kommend, nähert sich der Besucher die-ser Arkade aus rotem Ziegelmauerwerk. Am Ende links ein etwas höherer Turm für den Gesamtüberblick, daneben acht offene Felder mit mannshohen beschnittenen Hecken aus Feldahorn, dann drei offene Kuben, vier verglaste mit dem Ein-gang, drei geschlossene, wieder fünf offene und ganz rechts dann zweieinhalb geschlossene Felder. „Ein kubisches Basis-modell in der Transformation zu einer morphologischen Reihe“, wie es Ungers nannte.

Das Prinzip Würfel erinnert an den Arkadenvorbau der Resi-denz des Deutschen Botschafters in Washington (1988–94). Im Grunde erinnert es an nahezu alle Entwürfe und Realisie-rungen, vom Stuhl im Frankfurter Architekturmuseum bis zum Wettbewerbsentwurf für das Wallraf-Richartz-Museum in Köln. Die Auseinandersetzung mit Geometrie als Ordnungs- und Entwurfsprinzip, Ungers’ lebenslanges Exerzitium. Der Besucher in Trier bemerkt zunächst das Quadrat, der Vertraute mit seinem Werk wieder das Quadrat. Mancher Kritiker ist versucht, Ungers’ Architekturwelt darauf zu reduzieren, und vernachlässigt dabei zwei fundamentale Quellen: die Materia-lität und den Bezug zum Ort. Schon bei seinen frühen Wohn-bauten am Kölner Ring aus den späten 50er Jahren ist grob gefugtes Ziegelmauerwerk – in Verbindung mit Sichtbeton – maßstabgebender Teil der gesamten Kubatur. Das zieht sich in Varianten durch das Gesamtwerk, auch mal mittels Natur-steinplatte, doch sehr oft mit Ziegeln. Bis zuletzt hier in Trier. Die Abmessungen der Würfel-Kanten wie die geschlossenen Flächen werden bestimmt vom Ziegelmaß. Dass die Kanten-längen des Grundgerüstes sich zudem aus den römischen Be-standsmauern im Untergrund ableiten, wie der Erläuterungs-bericht ergänzt, lässt sich verständlicherweise nicht direkt ablesen. Aber wie man Ungers’ archäologische Akribie kennt, wird es wohl so sein.Womit wir beim Bezug zum Ort als seinem dritten Entwurfs-prinzip sind. Weniger die Ruinen der Thermen nebenan, die

Oswald Mathias UngersText: Peter Rumpf Fotos: Stefan Müller

In den Nachrufen der Tageszeitungen wurden das Lebenswerk des Kölner Baumeisters, seine Sammelleiden-schaft, seine Verdienste als Lehrer und auch sein lebenslanger Widerstand gegen die jeweils angesagten Trends hinreichend kommentiert. Nicht aber seine letzte Arbeit in Trier.

betrifft Oswald Mathias Ungers

Bauwelt 40--41 | 200710

aufragenden wie die ausgegrabenen, geben das farbliche und formale Vorbild für das Eingangsgebäude ab, sondern das rö-mische „Pendant“ am anderen Ende der Zugangsachse: die mit ihren aufragenden roten Ziegelwänden einfache und dadurch umso mächtigere Architektur der Basilika, genauer: der Aula Palatina, erbaut als Festsaal von Konstantin dem Großen, der hier von 306 bis 312 residierte. Hier in Trier wird es sichtbar, das Prinzip Spurensuche, sei es durch Sichtachsen oder – wie andernorts – im direkten oder geistigen Bezug zum Nachbarn: bei der Landesbibliothek in Karlsruhe war es Weinbrenner, für das Wohnprojekt in Marburg war es die Einzelhaustypologie

der Altstadt, und bei Ungers’ eigenem Bibliothekskubus in Köln war es die Idee des studiolo Francescos I. Medici im Pa-lazzo Vecchio in Florenz.

Ungers: „Die Einbeziehung des wie auch immer gearteten Ortes und die räumliche Auseinandersetzung mit den vorgefunde-nen Gegebenheiten und Bezügen sind Inhalt und zugleich Thema der Architektur.“ Seiner Architektur. Die Krönung die-ses Glaubenssatzes wäre der Umbau des Pergamonmuseums auf der Berliner Museumsinsel geworden. Oswald Mathias Ungers starb am 30. September im Alter von 81 Jahren.

Die Apsis des Caldariums von außen. Durch die Bögen erscheinen Teile des Unger’-schen Neubaus; rechts im er-höhten Kubus die Aussichts-plattform.

betrifft Oswald Mathias Ungers

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