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1 Ethische Fragen bei der Behandlung von Demenzkranken

Ethische Fragen bei der Behandlung von - kvberlin.de · – Kein Hinweis auf ADL-Verbesserung (Finucane ea 1999) – Fremdeinschätzung (Angehörige): keine Veränderung ... PEG Pragmatik

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Ethische Fragen bei der Behandlung von Demenzkranken

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Vier Prinzipien der Bioethik(„Georgetown Mantra“, nach Beauchamp & Childress)

• Nonmalefizienz (Non-maleficence)Das Prinzip des Nicht-Schadens.

• Benefizienz (Beneficence)Das Prinzip ausschließlich zum Wohl des Patienten zu handeln.

• Autonomie (Autonomy)Das Prinzip, den Patienten als eigenständiges Entscheidungssubjekt zu behandeln.

• Verteilungsgerechtigkeit (Justice)Das Prinzip, Leistungen und Ressourcen gerecht unter den Patienten zu verteilen.

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Einschränkungen der vier Prinzipien

NonmalefizienzNebenwirkung vs. therapeutischer Nutzen; PEG?BenefizienzWohl des Patienten vs. Verlängerung von LeidenAutonomieDemenzkranke als autonome Entscheidungssubjekte?VerteilungsgerechtigkeitDer Einzelfall verbietet oft eine wirtschaftliche Einschätzung medizinischer Leistungen im Sinne einer verteilungsgerechten Allokation

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Fragen im Krankheitsverlauf

Beginn der ErkrankungEinleitung eines ArztkontaktesDiagnostikAufklärungTherapiemaßnahmen

Im Verlauf der ErkrankungWohnung oder Heimaufnahme„Nahrungsverweigerung“Verhaltensstörungen mit Aggressivität, „Wegläufer“Schmerzbehandlung

Am Ende der ErkrankungUmgang mit dem Sterben, Reanimation („DNR“), Behandlung von Begleiterkrankungen?

Zu JEDER ZeitWas sichert die Lebensqualität?

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Erleben und Einschätzung von Demenzkranken

• Demenzkranke sind wesentlich weniger in der Lage, auf eine Verletzung ihres unmittelbaren Nahbereichs gegenüber einem Eindringling zu reagieren als ihre Altersgenossen (Rapp u. Gutzmann 2000)

– Möglicherweise haben Demenzkranke die Fähigkeit verloren, ihren unmittelbaren Nahbereich als Filter gegenüber unwillkommenen und zu starken Umweltreizen zu benutzen (Cave: pflegerische Interventionen - besonders bei „geduldigen und liebenswürdigen“ Demenzkranken )

• Demenzkranke können über Stimmung und Lebensqualität verlässliche Aussagen treffen

– Hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit neigen sie zur Überschätzung (Leipold u. Zank 2002)

• Wenn genauer hingeschaut wird, sind selbst schwerer Demente in der Lage, verläßlich über Aspekte ihrer Lebenssituation Auskunft zu geben (Mozley et al. 1999)

• ...und zu wählen (Appelbaum et al 2005)

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Problemfeld Aufklärung

• Die meisten Patienten in frühen Demenzstadien wollen die Diagnose wissen (De Lepelaire et al. 2004)

• Die Patienten sollten gefragt werden, ob sie die Diagnose wissen wollen und wer noch informiert werden sollte (Pinner and Bouman 2003)

• Aufklärung bedeutet für die Aufklärenden, mit den Reaktionen verantwortlich umgehen zu können und Fragen zu antizipieren (National Audit Office 2007)

• Eine frühe Aufklärung ermöglicht- Patient und Angehörigen eher die Adaptation an das

Krankheitsgeschehen – emotional und praktisch –- die Übernahme von Verantwortung für die eigene Zukunft

• Zu kurze Aufklärung ohne weiter gehende Information und follow-up ist ungünstig (Clare 2003)

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Problemfeld „Nahrungsverweigerung“

Hunger und Durst anderer zu stillen ist ein Grundelement unseres Sozialverhaltens und zudem ein symbolischer Akt der Mitmenschlichkeit

Das Wort „Verweigerung“ beinhaltet den selbst bestimmten Vorgang einer bewussten willentlichen Ablehnung der Nahrungsaufnahme

Mögliche Probleme bei Demenzkranken:Fehlendes Bewusstsein für Essen und TrinkenKeine Einsicht über die Folgen längeren NichtessensAntriebsstörung bei DepressionFehlende Fähigkeiten zum Schlucken

Bis zu 30% aller PEG-Anlagen erfolgen bei Demenzkranken

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Erhoffte Effekte einer PEG I)

• Überlebenszeit verlängern• Lebensqualität erhalten oder wieder

herstellen• Aspirationspneumonie verhindern• Druckulzera verhindern• Folgen von Mangelernährung

verhindern

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Erhoffte Effekte einer PEG II

• Überlebenszeit verlängern?– Mortalität : <1 Mo bis 54%, 3 Mo 78%, 6 Mo 81%

(Sanders ea 2000)

– Unabhängiger Risikofaktor für verkürzte Überlebenszeit (Bourdel-Marchasson ea 2000)

• Lebensqualität erhalten oder wieder herstellen?– Kein Hinweis auf ADL-Verbesserung (Finucane ea 1999)

– Fremdeinschätzung (Angehörige): keine Veränderung (McNabney ea 1994)

• Aspirationspneumonie verhindern?– Nasensonde und PEG sind im Gegenteil

unabhängige Risikofaktoren für eine Aspirationspneumonie (Pick ea 1996)

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Erhoffte Effekte einer PEG III

• Druckulzera verhindern?– Keine Hinweise auf das Lindern bestehender oder das

Verhindern neuer Druckulzera (Finucane ea 2004)

• Folgen von Mangelernährung verhindern– In der Mehrzahl der Studien konnte ein solcher - oft

erwarteter - Effekt nicht belegt werden– Bei Einzelfällen wurde aber auch eine Gewichtszunahme

beschrieben

• ABER: Der fehlende Nachweis eines Nutzen ist kein Beweis eines fehlenden Nutzens (“The absence of proof is no proof of absence“)

• Gerade die hoch individualisierte Fragestellung entzieht sich üblichen Studiendesigns

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Schadensrisiken einer PEG (nach Synofzik 2007)

• Häufigste Komplikationen:– Okklusion (2-35%)– Undichte (13-20%)– Lokale Infektion (4-16%)

• Schäden durch PEG-Ernährung:– häufig Diarrhöen und Übelkeit

• Indirekte Folgeschäden– Bis zu 71% der sondenernährten Demenzkranken werden

mechanisch fixiert (Peck ea 1990)

– Dadurch erhöht sich nicht nur das Leiden (Stress der Fixierung) sondern auch das Decubitusrisiko (Mitchell ea 1997)

– Pflegekontakte werden verringert und eine Möglichkeit positiver Erlebnisse (Geschmack) wird verstellt

• Isolierung und Stress vermehrt, Genuss vermindert

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PEG und Autonomie (nach Synofzik 2007)

• Jede medizinische Maßnahme ist durch den Willen oder mutmaßlichen Willen legitimationsbedürftig

• Wenn kein eindeutiger Hinweis vorliegt, stellt eine PEG einen Akt der ungerechtfertigten Körperverletzung dar. In diesem Fall wäre es ethisch geboten, auf die Ernährung zu verzichten - auch wenn dies den Tod des Patienten zur Folge hätte (Deutscher Juristentag 2006)

• Ist eine Trink- oder Nahrungsverweigerung ein nonverbaler Willensakt?

• Nur wenn weder ein erklärter noch ein mutmaßlicher Wille zu ermitteln ist, sollte nach allgemeinen Wertvorstellungen entschieden werden

• Eine PEG kann bei fortgeschrittener Demenz nicht als lebenserhaltende Maßnahme gelten (Lacey 2004)

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PEG Pragmatik

Indikation: Hilfe zum Leben bei nachweislicher Unfähigkeit.selber oder mit ausreichender personeller HilfeNahrung und Flüssigkeit aufzunehmen.

Zielsetzung: Hilfe für die Patienten - nicht für die Pflege

Fehlindikation: Pflegevereinfachung,mangelnde Ressourcen der Pflege,Verlängerung eines Sterbeprozesses

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Problemfeld Schmerzen

1. Üblicherweise werden Schmerzen verbal oder durch deutliche Gesten Ärzten und vor allem Pflegenden vermittelt.

2. Bei allen Zuständen, die üblicherweise mit Schmerzen einhergehen, z.B. postoperativ ausreichende Schmerztherapie.

3. In Bezug auf die Schmerzwahrnehmung gilt auch bei Demenzkranken die Empfehlung, dass die Selbstauskunft Vorrang vor der Fremdeinschätzung hat.

4. Auch wer nicht klagt oder klagen kann, kann Schmerzen haben!

5. Bei jedem auffälligen Verhalten , z.B. Aggressivität, an Schmerzen denken.

6. Im Zweifel voll ausreichende Schmerztherapie.7. Jeder Patient mit fortgeschrittener Demenz ist in der Regel ein

Patient, der nach palliativmedizinischen Regeln zu behandeln ist. Nur ist dieses leider in den seltensten Fällen den Beteiligten bewusst.

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Sterben bei Demenzkranken

Wann ist ein Demenzkranker als Sterbender anzusehen?

Übergang von der lebens- in die Sterbephase?

Welche Bedeutung haben prinzipiell behandelbare Begleiterkrankungen?

z.B. Behandlung einer Pneumonie o. einer Sepsis?

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Sterben bei Demenzkranken.

Ziel: Lebensqualität bis zum letzten Atemzugkeine Schmerzenkein Durst ( selten!)kein Ersticken ( ggf. Absaugen oder O2-Gabe) keine Angst oder quälende Unruhewürdevolle Umgebung

Verzicht auf:Prophylaxen ( Heparin, ASS)keine weiteren Medikamente (EBM ?)Keine Kosmetik von Laborwerten o. techn. Befundenkeine überflüssigen Infusionen (z.B. ohne Durst)

Eine Exsikkose ist ein Untersuchungsbefund ohne Relevanz für die Lebens- oder Sterbequalität

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Hilfreiche Fragen

Was sollte geschehen, wenn ich selber in der Lage wäre, in welcher sich mein Patient befindet?

Weiß ich, ob ich als Demenzkranke(r) unglücklich sein werde ?

Was wünschte ich für meine Eltern oder andere liebe Angehörige in dieser Situation?

Ehrfurcht vor dem Leben bedeutet auch Ehrfurcht vor dem Sterben. Ist dafür die kognitive Kompetenz von Bedeutung?

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Die „Würdemaschine“

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!