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5. Kapitel ITALIEN Die Ausführungen dieses Kapitels fassen nur das für das Verständnis der Etruskerfrage unbedingt Notwendige zusammen, da eine erschöpfende Behandlung aller hier in Frage kommenden Probleme einen zu breiten Raum einnehmen würde 1 ). Die italische Halbinsel ist in den unmerklich ineinander übergehenden Perioden des Neolithikums und des Kuprolithikums eine einheitliche Kultur- provinz 2 ), in der nur Apulien dank verschiedener fremder Einflüsse eine Sonder- stellung einnimmt. Die Bevölkerung, welche im allgemeinen in nur geringer Dichte siedelte, übte als charakteristischen Beisetzungsritus die Bestattung Hegender Hocker. Den Leichen wurden Beigaben mit ins Grab gegeben. Wie weit der kulturellen Fazies auch eine einheitliche ethnische entsprach, steht dahin. Jeden- falls fehlten aber noch indogermanische Beimischungen. Das beweist uns der unge- störte kulturelle Befund in seinem charakteristischen Gegensatze zu dem bewegten Spiele der vielfältig sich ablösenden und kreuzenden „Kulturen" Mitteleuropas, das nur unter der Voraussetzung zu erklären ist, daß sich hier bereits das indo- germanische Element mit der alteren Bevölkerung auseinanderzusetzen begann. Sehr nahe liegt die Annahme, daß die Urbevölkerung jener Rasse am nächsten stand, welche wir am besten als mediterrane bezeichnen. Von dieser haben sich als letzte Reste im Westen die Basken, im Osten die modernen Kaukasusvölker erhalten. Der mediterranen Rasse gehörte u. a. auch jene Völkergruppe an, welche ich als die ägäische bezeichne. Über sie wird im 5. Kapitel des zweiten Teiles eingehend gehandelt werden. Gemeinsam allen der mediterranen Rasse an- gehörigen Völkern war eine gewisse sprachliche Verwandtschaft, die aber nicht zu eng gefaßt werden darf 8 ). Zu den hier vorhandenen sprachlichen Gemein- samkeiten gehört wohl auch so manches, was P. Kretschmer 4 ) lieber als !) Um den Umfang des Buches einzuschränken, habe ich darauf verzichtet, das Kapitel in seiner ursprünglichen, auf alle Einzelfragen Rücksicht nehmenden Form aufzunehmen und werde es in anderem Zusammenhange veröffentlichen (s. aber die Nachträge). a ) Beste Darstellung v. Duhn, Italien S. ygff. und Gräberk. S. 8ff.; vgl. auch Peet, The stone and bronze ages in Italy S. 36 ff. 88 ff. 113 ff. 8 ) Für die Aufhellung dieser Zusammenhänge (vgl. dazu Bleichsteiner im Reall. d. Vorgesch. s. v. Kaukasische Völker) hat sich die „japheti tische" Schule verdient gemacht. Daß die von einzelnen Vertretern dieser Richtung verschuldeten Auswüchse abzulehnen sind, braucht wohl kaum betont zu werden. Wir halten uns am besten an das, was von den indo- germanistisch geschulten Forschern (z. B. Pokorny, Reall. d. Vorgesch. s. v. Iberer) hie- von gebilligt wird. *) Glotta XIV S. 3i4ff. Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 11/15/13 8:14 AM

Etruskische Frühgeschichte () || 5. Kapitel: Italien

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5. Kapitel

ITALIEN

Die Ausführungen dieses Kapitels fassen nur das für das Verständnis derEtruskerfrage unbedingt Notwendige zusammen, da eine erschöpfende Behandlungaller hier in Frage kommenden Probleme einen zu breiten Raum einnehmen würde1).

Die italische Halbinsel ist in den unmerklich ineinander übergehendenPerioden des Neolithikums und des Kuprolithikums eine einheitliche Kultur-provinz2), in der nur Apulien dank verschiedener fremder Einflüsse eine Sonder-stellung einnimmt. Die Bevölkerung, welche im allgemeinen in nur geringer Dichtesiedelte, übte als charakteristischen Beisetzungsritus die Bestattung HegenderHocker. Den Leichen wurden Beigaben mit ins Grab gegeben. Wie weit derkulturellen Fazies auch eine einheitliche ethnische entsprach, steht dahin. Jeden-falls fehlten aber noch indogermanische Beimischungen. Das beweist uns der unge-störte kulturelle Befund in seinem charakteristischen Gegensatze zu dem bewegtenSpiele der vielfältig sich ablösenden und kreuzenden „Kulturen" Mitteleuropas,das nur unter der Voraussetzung zu erklären ist, daß sich hier bereits das indo-germanische Element mit der alteren Bevölkerung auseinanderzusetzen begann.

Sehr nahe liegt die Annahme, daß die Urbevölkerung jener Rasse am nächstenstand, welche wir am besten als mediterrane bezeichnen. Von dieser haben sichals letzte Reste im Westen die Basken, im Osten die modernen Kaukasusvölkererhalten. Der mediterranen Rasse gehörte u. a. auch jene Völkergruppe an, welcheich als die ägäische bezeichne. Über sie wird im 5. Kapitel des zweiten Teileseingehend gehandelt werden. Gemeinsam allen der mediterranen Rasse an-gehörigen Völkern war eine gewisse sprachliche Verwandtschaft, die aber nichtzu eng gefaßt werden darf8). Zu den hier vorhandenen sprachlichen Gemein-samkeiten gehört wohl auch so manches, was P. Kretschmer4) lieber als

!) Um den Umfang des Buches einzuschränken, habe ich darauf verzichtet, das Kapitelin seiner ursprünglichen, auf alle Einzelfragen Rücksicht nehmenden Form aufzunehmenund werde es in anderem Zusammenhange veröffentlichen (s. aber die Nachträge).

a) Beste Darstellung v. Duhn, Italien S. ygff. und Gräberk. S. 8ff.; vgl. auch Peet,The stone and bronze ages in Italy S. 36 ff. 88 ff. 113 ff.

8) Für die Aufhellung dieser Zusammenhänge (vgl. dazu Bleichsteiner im Reall.d. Vorgesch. s. v. Kaukasische Völker) hat sich die „japheti tische" Schule verdient gemacht.Daß die von einzelnen Vertretern dieser Richtung verschuldeten Auswüchse abzulehnen sind,braucht wohl kaum betont zu werden. Wir halten uns am besten an das, was von den indo-germanistisch geschulten Forschern (z. B. Pokorny, Reall. d. Vorgesch. s. v. Iberer) hie-von gebilligt wird.

*) Glotta XIV S. 3i4ff.

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5. Kapitel. Italien 67

protindogermanisches Gut ansprechen möchte, so z. B. der Stamm taur (Taurus,Epit/dauros, Tauromenion). Dieser findet sich wieder im Ostalpenbereiche (Tau-risker, Tauern) und es führt uns das wie manch anderes zu der Annahme, daß auchdiese Gebiete ursprünglich von mediterraner Bevölkerung bewohnt waren. Trifftdies zu, so ist es höchst wahrscheinlich, daß allerlei Sprachgut, welches man hierbisher als etruskisch in Anspruch nahm, einfach mediterran und mit dem Etruski-schen nicht unmittelbar, sondern nur über die mediterrane Urgemeinschaft ver-wandt ist. Ähnlich verhält es sich mit verschiedenen sprachlichen Erscheinungenin Spanien, welche man ebenfalls irrtümlich in unmittelbaren Zusammenhangmit dem Etruskischen gebracht hat1).

Daß die mediterrane Rasse erst im Verlaufe einer schon etwas jüngeren Zeitihre so weite Verbreitung gewonnen habe, steht im Widerspruch mit jeder innerenWahrscheinlichkeit und wird uns auch durch den archäologischen Befund wider-legt, der keine hierauf deutbaren Zusammenhänge zwischen Ost und West auf-weist. Sie scheint vielmehr als Urbevölkerung im wahrsten Sinne des Wortesseit ältester Zeit, also wenigstens vom Beginn des Neolithikums an, allenthalbenvorhanden zu sein.

Das Verhältnis der Ligurer zur mediterranen Rasse ist noch ungeklärt. DasSchwergewicht dieses Volkes scheint mir viel mehr gegen Frankreich wie gegenItalien gelegen zu haben. Hier ist es uns sicher nur im ligurischen Alpen- bzw.Appenninenbogen greifbar. In der Poebene lassen sich ligurische Elemente schonnicht mehr exakt nachweisen, noch weniger im übrigen Italien. Auch ob dasvielzitierte sk-Suffix ligurisch ist, scheint mir nicht völlig gesichert.

Zur Zeit des Kuprolithikums wurde Apulien von jener Kulturströmung berührt,welche ich als litorale Megalithkultur bezeichne. Als charakteristische Megalith-formen finden sich hier Dolmen und Menhire. Noch deutlicher ist diese zeitlichsehr früh zu setzende Kulturströmung ausgeprägt im Bereiche von Spanien, inder Bretagne, in Großbritannien, in Nordafrika, auf Sardinien und im ägäischenBereiche. Ausläufer sind zu erkennen in Ägypten und Palästina2). In Italienblieb der Hauptteil der Halbinsel und auch Sizilien davon unberührt. Besonderscharakteristisch ist für diese Kulturströmungen übrigens das Auftreten der kon-zentrischen wie linearen Vorkragungsmethoden in der Architektur.

Im Verlaufe des Kuprolithikums tritt im Norden Italiens, in der Poebene,ein anfangs in Pfahlbauten wohnendes Fremdvolk auf. Es bilden sich hier zweiKreise, einer im Umkreise des Komersees und des Lago Maggiore und einer etwazwischen Gardasee und dem Appennin. Im östlichen Kreise, den wir hier alleinbesprechen, ist die charakteristische Siedlungsform neben den Pfahlbausiedlungenim See die der „Terramare" genannten befestigten Wohnplätze: meist viereckige

*) E. Hommel, Klio XX 1926 8.484 mit im übrigen sehr dankenswerter Zusammen-stellung von sprachlichen Übereinstimmungen zwischen Ost und West; zur Möglichkeitdes Auftretens von Etruskern in Spanien vgl. auch S. 232.

") Vgl. Reall. d. Vorgesch. s. v. Megalithgräber B. D. E. F. und s. v. Tunis. In derÄgäis wird die neue Richtung vertreten durch die frühminoischen Kuppelgräber von Kreta,den Rundbau von Tiryns und verschiedene Bauten mit linearer Vorkragung. In Ägyptenjetzt auch ein richtiges Kuppelgrab mit konzentrischer Vorkragung (unpubl.; vgl. z. B. Deut-sche Zeitung vom 24. XII. 1927). Der nordwestdeutsche und der nordische Megalithkreishat mit unserer litoralen Megalithkultur nichts zu tun.

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68 Erster Teil. Der historische Rahmen

Anlagen, von Wall und Wassergraben umgeben, die Siedlung auf einer von Pfählengetragenen Plattform errichtet, welche aber auf dem Trockenen gegründet ist.Die Straßen schneiden sich rechtwinkelig1).

Der Beisetzungsritus ist ausschließlich Verbrennung (aber nur bis zur Kalzi-nation der Knochen), der Leichenbrand wird ohne Beigaben in Urnen beigesetzt.Die Nekropolen derTerramaresiedlungen2) bestanden anfangs aus terramareartigen,auf Pfählen errichteten Plattformen, auf denen die Urnen dicht gedrängt und inmehreren Lagen übereinander geschichtet waren. Später setzte man die Urnen,unter Verzicht auf solche Plattformen, im gewachsenen Boden bei, zuerst aberimmer noch dicht gedrängt und in Schichten übereinander. Erst im Laufe derZeit fällt die Überschichtung weg und tritt eine Auflockerung der Dichte ein,so daß jedes Urnengrab (ital. pozzo) für sich steht. Auch werden jetzt, je späterdesto mehr, dem Leichenbrand Beigaben mitgegeben und die Urnensetzung mit-unter durch stelenartig aufgerichtete Steine bezeichnet3).

Das Kulturniveau des Terramarekreises war ein verhältnismäßig hohes.Es übertraf bei weitem jenes, das gleichzeitig in Mittel- und Unteritalien herrschte,und bis zu einem gewissen Grade auch das des gleichaltrigen Mitteleuropa. ImTerramarebereiche wurde damals das zweischneidige Rasiermesser4) und m. E.auch die Violinbogenfibel (s. dazu weiter unten) erfunden.

Die Bevölkerung des östlichen Pfahlbaubereiches (sowohl der Terramare,wie der dortigen Seesiedlungen) hat schließlich zum größten Teile ihre bisherigenWohnsitze aufgegeben6) und ist nach Mittel- und Süditalien abgewandert. InSüditalien hat sie zeitweise das Gebiet von Tarent (Terramare von Punta del Tonno)und Timmari (Freilandsiedlung und Nekropole) gewonnen8), ist aber bald inder im Süden ja zahlreicheren älteren Bevölkerung aufgegangen. Der Hauptteilder Auswanderer hat sich dagegen in Mittelitalien, im Bereiche Umbriens undgegen dasPizenum zu, festgesetzt7) und saugte seinerseits die in diesen Gegendennur dünne Urbevölkerung auf. Der Hauptfundort ist hier Pianello8). DieKulturfazies, wie sie sich sowohl in den ausgehenden östlichen Pfahlbausiedlungen(besonders zu Peschiera) und Terramaren, wie in dem ältesten Fundstadiumvon Pianello, Timmari und zu Tarent findet, bezeichne ich als den „Peschiera-horizont".

Unsere nächste Aufgabe ist es nun, den Peschierahorizont chronologisch zu

a) Reall. d. Vorgesch. s. v. Pfahlbauten E; Terramare; Italien § 12 S. 98ff. Peet S. 331 ff.2) Grundlegend v. Duhn, Gräberk. S. n6ff.8) Zu Crespellano; gegen v. Duhn, Gräberk. S. 123 gesichert durch die Analogien

zu Timmari und Vetulonia.*) Zu dessen Typologie vgl. Montelius, Vorklass. Chron. S. 190ff.6) Nicht auch der westlichen Gruppe im Bereiche des Komersees und des Lago Maggiore,

da die Keramik z. B. Pianellos nicht die hierfür charakteristische Tonware, sondern die deröstlichen Gruppe fortsetzt.

e) Von v. Duhn zwar in Frage gezogen, die Befunde sind aber ganz eindeutig; Tim-mari M. A. 1906 XVI S. sff., Tarent Not. 1900 S. 411 ff.

r) Der Nachweis zuletzt und jeden Zweifel ausschließend bei v. Duhn, Gräberk.S. 18911.

8) BP XXXVIII S. iSifl; XXXIX S. igff.; XL S. 121 ff. (Colini); dall'Osso, Guidaill. del Museo di Ancona S. zSyff . ; Gräberk. S. igoff.; Reall. d. Vorgesch. s. v. Pianello(v. Duhn).

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5· Kapitel. Italien 69

fixieren. Wir gelangen mit Hilfe der folgenden Feststellungen zu einem annäherndgesicherten Ergebnis:

1. In der die Terramaresiedlung von Punta del Tonno überlagernden Schichthaben sich spätmykenische Scherben und zwei mykenische Idole gefunden1).

2. Auf Kreta werden in der LMIII a Nekropole von Zapher Papura (1400—1300)Bronzeklingen gefunden, welche denen des Peschierahorizontes entsprechen2).

3. An verschiedenen Fundorten Griechenlands haben sich, meist in Wohn-schichten, seltener in Gräbern spätmykenischer Zeit (1400—1200) Violinbogen-fibeln gefunden8). Die Abwandlungsformen, in denen die Violinbogenfibel hierauftritt, entsprechen ganz genau jenen des Peschierahorizontes: die einfache Form4),Bügelendknöpfe5), blattförmiger Bügel8), kleine Spiralfußscheibe7).

4. In den Fundkomplexen der submykenischen Zeit kommen diese Formennicht mehr vor, es herrscht jetzt, wie in Italien, die Rundbogenfibel, auf welchegerne auch Bügelendknöpfe übertragen werden8). Die Spiralfußscheibe, welchenur an einem einzigen spätmykenischen Exemplare von Mykene festzustellen war,wird in Griechenland nicht mehr verwendet oder gar weiterentwickelt.

5. Das Auftreten der Violinbogenfibel erfolgte in Sizilien, soweit wir sehen,erst nach Aufhören des hier wohl erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts aussetzen-den Importes mykenischer Keramik9).

Aus diesen Aufstellungen lassen sich eine Reihe von wichtigen Schlüssenziehen. So ergibt sich aus dem Verhältnisse der Fundschichten von Punta delTonno, daß die Terramareleute hier ihre Siedlung schon vor dem Eindringen desmykenischen Importes angelegt hatten. Letzterer mag aus der Zeit des Höhepunktesder politischen und kommerziellen Expansion der Achäer etwa um 1250 stammenund wir kommen dann mit dem Beginn der Terramaresiedlung etwa auf 1350 bis

*) BP XXVI 1900 S. 285!!; Not. 1900 S. 419!; Atti d. Congresso Storico, Rom 1903V S. 99; Fimmen S. 100.

2) Ein Exemplar eines Kurzschwertes mit olivenblattförmiger Klinge und aufgebogenenGriffrändern in sonst ausgeräumter Grabkammer von Zapber Papura (Evans, Prehistorictombs S. 82 Fg. 90), zwei in der Höhle von Psychro (B. S. A. VI S. uo Fg. 43); die ent-sprechenden Formen in den Terramaren und in der Siedlung auf der Punta del Tonno (Mont.6, 18 ganz gleich, Not. 1900 S. 464 Fg. 21 nahe verwandt). Auch bei den Langschwerternfinden sich Parallelen zwischen Italien und Mitteleuropa einerseits, griechischen und einemägyptischen Fundstücke (aus der Zeit Sethos II, 1209—1205) andererseits, doch sind sie fürunsere Zwecke nicht so brauchbar, da sie sich auf einen über 1200 herab reichenden Zeit-raum erstrecken, und manches hier auch auf unmittelbar aus Mitteleuropa wirkende Einflüssezurückzuführen sein könnte. Im allgemeinen vgl. Mont. Vorklass. Chronol. S. 162f.; zu demägyptischen Exemplar Prähist. Z. IV 1912 S. 233; Amtlicher Bericht d. k. Kunsts. XXXII1911 — 1912 S. I24ff.

3) Blinkenberg I 1 — 9.*) Blinkenberg I 1—2. 4.5) Blinkenberg I 5. 6. 9.·) Blinkenberg I 7. 8. g.7) Blinkenberg I 3.8) So zu Salamis, Muliana, Assarlik (vgl. die Liste Bl inkenberg II i —n), hierher

gehört natürlich auch die im Schutt außerhalb der mykenischen Gräber gefundene Rundbogen-fibel Blinkenberg XII la.

e) Das ist den italienischen Forschern und Montelius (falsch Vorklass. Chronol. S. 159)entgangen, doch macht, wie ich nachträglich sehe, P. Reinecke in der Götze-FestschriftS. 124 darauf aufmerksam.

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7O Erster Teil. Der historische Rahmen

1400; höher hinaufzugehen verbietet sich, da wir die Dauer des Peschierahorizontesnicht zu sehr ausdehnen dürfen, sein Ende aber sicher erst um 1200 (s. u.) anzu-setzen ist. Damit ist, da der so weitreichende Vorstoß der Eroberer, der zur Grün-dung dieser Ortschaft geführt hat, nach Ausweis der Funde am Anfange der demPeschierahorizont entsprechenden Unternehmungen steht, der Anbeginn desPeschierahorizontes auf die Zeit um 1400 festgelegt.

Damit stimmen die Funde aus Griechenland aufs beste überein. Hier tretenauf dem Festlande die Violinbogenfibeln erst in späthelladischen Schichten, alsozwischen 1400 und 1200, in Kreta anscheinend in der Periode Late Minoan III a,also im 14. Jahrhundert, auf. Letzteres steht allerdings nicht vollkommen fest,da das Grab von Zapher Papura, in dem sich die Violinbogenfibel gefunden hat,zwar so gut wie die anderen des gleichen Fundortes im 14. Jahrhundert angelegtworden ist, im übrigen aber ausgeräumt vorgefunden wurde. Die Fibel kann alsoentweder aus dem Inventare der ursprünglichen Bestattung stammen oder aberetwas jünger sein, keinesfalls aber älter als das 14. Jahrhundert. Die Funde ausder Psychrohöhle lassen keine genaue Datierung zu.

Da wir die Ansicht vertreten, daß die Violinbogenfibel im Terramarebereicherfunden wurde, mit der Ausbreitung des Terramarevolkes nach Süditalien ge-kommen ist und erst von hier ihren Weg nach Griechenland gefunden hat (Näheresdarüber noch S. 73f.), so wird man ihr Auftreten im Bereiche der Ägäis am bestenetwa um 1350 ansetzen, also ca. 50 Jahre nach dem frühesten für Süditalien gewon-nenen Termin. Die noch in der Poebene erfolgte Erfindung der Fibel mag dannnoch etwa 50—100 Jahre weiter zurückliegen und in die Zeit 1500—1450 fallen.

Die untere Grenze des alleinigen Herrschens der Violinbogenfibel in Griechen-land ergibt sich aus dem Auftreten von Rundbogenfibeln zu Muliana, Vrokastro,Assarlik und Salamis. Durch diese ist schon im 12. Jahrhundert im Bereichder Ägäis die Violinbogenfibel so gut wie gänzlich verdrängt worden, welche daherin den erwähnten Fundkomplexen nicht mehr vorkommt. Man wird also denWechsel des Fibeltypus in Griechenland etwa mit dem Jahre 1200 ansetzen. DieMöglichkeit, daß sich vereinzelte Exemplare noch länger erhalten haben, mußfreilich offen gelassen werden, doch ist sie in den bisherigen Funden noch nichteingetroffen.

Mit unseren Annahmen stimmt der auf Sizilien gewonnene Befund aufs beste.Hier fehlen Fibeln während der Zeit des mykenischen Importes, der hier etwabis 1220 gereicht haben mag, vollkommen1). Erst mit dessen Aufhören tretensie auf und zwar Violinbogenfibeln, aber mit ihnen zugleich bereits auch die jün-geren Typen, so die Rundbogenfibel, primitive Schlangenfibeln und vor allemdie typologisch zwischen diesen und der Violinbogenform stehende sizilischeKniefibel (a gomitoa)). Also zeigt Sizilien ebenfalls für etwa 1200 oder eher

x) Also zu Thapsos, Floridia, in dem älteren Grabe Nr. 7 von Cozzo Pantano und in denübrigen vereinzelten Gräbern, welche Mykenisches bieten; Liste bei Fimmen S. gg.

8) Das zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit bei den jüngeren Gräbern von CozzoPantano, welche keine mykenische Keramik mehr führen, wohl aber Fibeln, so Grab 9 ver-gesellschaftet eine Violinbogenfibel und eine sizilische Kniefibel, Grab 13 und 23 nur sizi-lische Kniefibeln (M. A. II 1893 S. 5ff., bes. S. 13ff.). Dabei schließen diese Gräber, ihrerLage entsprechend, zweifellos an die älteren, am deutlichsten durch Nr. 7 repräsentierten an.Die Violinbogenfibel hat sich übrigens auf Sizilien neben der Kniefibel, der Rundbogen- und

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5. Kapitel. Italien 71

noch etwas früher das Aufhören der Alleinherrschaft der Violinbogenfibel undwir können für das benachbarte Süditalien das gleiche annehmen, ja, es mag Handin Hand damit in ganz Italien der Übergang von der Zeit der Violinbogenfibelzur Zeit der sekundären Grundformen (s. S. n8f.) vor sich gegangen sein.

Nachdem wir in unseren chronologischen Untersuchungen einmal so weitfortgeschritten sind, wollen wir es auch versuchen, die vorausliegende Zeit-dauer unserer Pfahlbausiedlungen wenigstens abzuschätzen. Ich möchte für dieDauer der Terramaresiedlungen vor der Erfindung der Fibel immerhin noch 200bis 300 Jahre annehmen. Damit kämen wir zu folgenden Ansätzen:

1800—1650: Beginn der Terramaresiedlungen;1500—1450: Erfindung der Violinbogenfibel im Terramaregebiete ;1400—1350: Beginn der Auswanderung der Terramareleute nach Mittel- und

Süditalien; Gründung der Siedlung von Punta del Tonno;Seit ca. 1350: Verbreitung der Violinbogenfibel in Griechenland;1250—1220: Mykenisches auf der Punta del Tonno;

ca. 1220: Ende des mykenischen Importes auf Sizilien;Kurz vor 1200: Neben die Violinbogenfibel treten, diese meist schnell ablösend,

die jüngeren Fibeltypen.Der mykenische Kulturkreis hat in die Nachbarländer in erster Linie Keramik

ausgeführt und auch die dort einheimische Tonware beeinflußt. In Italien hat nundie mykenische Keramik nur im äußersten Südosten festen Fuß gefaßt und istsicher nirgends bis nach Mittelitalien verbreitet gewesen oder nachgeahmt worden1).Diese Feststellung gestattet einen Rückschluß auf die Bronzefonnen. Es ist un-wahrscheinlich, daß sich mykenische Bronzetypen in ganz Italien bis zur Poebeneverbreitet hätten, wo solches nicht einmal bei der Keramik der Fall war. Es istdaher auch unwahrscheinlich, daß der bereits erwähnte Kurzschwerttypus unddie Violinbogenfibel im mykenischen Kreise entstanden wären und in Italien erstsekundär aufgetreten seien. Der Kurzschwerttypus ist zudem in Italien häufig,in Griechenland selten, fällt auch aus der typologischen Entwicklung der Schwert-formen in der Ägäis heraus. Im Hinblicke auf die Violinbogenfibel ist ein weiteresAusholen nötig.

Die Heimat der Violinbogenfibel wird von den verschiedenen Forschern inden verschiedensten Ländern gesucht. Man hat dafür in Anspruch genommenGriechenland2), die Poebene3), die Karstländer östlich der Adria und die Donau-länder4).

der Schlangentype, ziemlich lange gehalten und kommt noch in den Nekropolen vonGranmichele, Mte Dessueri und Pantalica (Nord) sporadisch vor.

1) Fimmen S. 100. in. Die bemalte Ware von Coppa della Nevigata hat gegen A.Mosso M. A. XIX 1908 S. 3ogff. und Fimmen a. a. O. nichts mit den ägäischen Sortenzu tun, sondern ist fremdartige, aber lokal hergestellte, in manchem der messapischen Kera-mik nicht ferne stehende Fabrik (vgl. M. Mayer, Apulien S. 29!).

2) So Patroni BP XXIII 1896 S. 47; Orsi, Montelius-Festschrift 1913 S. iSgfi.\P. Reinecke Götze-Festschrift S. i24ff . ; Blinkenberg S. 37ff.

3) Montelius, Vorklass. Chronol. S. 157, 192. 23Öff.; H. Schmidt A. A. 1907 8.490.4) v. Duhn, Reall. d. Vorgesch. s. v. Fibel B § i S. 301 (s. aber s. v. Rasiermesser A 2

S. 19); Hoernes, Z. Ethn. 1891 S. 334; Wilke, Z. Ethn. 1904 S. 42; Undset, Z. Ethn.1889 S. 205.

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72 Erster Teil. Der historische Rahmen

An Griechenland hat man in erster Linie wohl deshalb gedacht, weil die innereWahrscheinlichkeit dafür zu sprechen schien, daß eher das entwickelte Gewerbedes ägäischen Bereiches dasjenige Italiens beeinflußt habe, als daß der umgekehrteVorgang möglich gewesen sei. Darauf haben wir bereits erwidert, daß einmykenischer Einfluß in Italien — von der Südostküste abgesehen — überhauptnicht vorhanden gewesen sein kann, da er auf dem nächstliegenden, auf demkeramischen Gebiete fehlt. Zudem bedurfte die mykenische Mode der Fibel zumZwecke des Kleiderverschlusses nicht1), weshalb sich in Griechenland die Violin-bogenfibel in Gräbern auch nur sporadisch gefunden hat.

Von besonderem Gewichte ist schließlich noch folgendes Argument. Nacheinem ständig sich bewährenden Gesetze pflegen Ansätze zur Abwandlung einerbeliebigen Grundform schon an ihrem Ausgangsorte weiterentwickelt zu werden.Eine der markantesten Abwandlungen der Violinbogenfibel ist die Form mit kleinerSpiralfußscheibe, welche in Italien häufiger, in Griechenland nur ein einziges Mal2)vorkommt. In Italien wurde die Spiralfußscheibe konsequent bis zu den Diskus-formen (s. S. ngf.) weiterentwickelt, in Griechenland findet sich im ganzen Fibel-materiale keine weitere Spiralfußbildung. Diese Abwandlung war also von aus-wärts importiert, konnte in Griechenland aber nicht Boden fassen und wurde hierüberhaupt niemals in den zur selbständigen Weiterbildung dienenden Formen-schatz aufgenommen. Die wenigen derartigen Exemplare, welche in GriechenlandEingang gefunden haben mögen, können nur von Italien gekommen sein. Wennaber die Form mit der Spiralfußplatte ihren Weg von Westen nach Osten gefundenhat, so muß man solches schon für die Violinbogenfibel überhaupt annehmen,denn für einen wechselseitigen Austausch (Grundform von Ost nach West, Ab-wandlung von West nach Ost) waren die damaligen Verhältnisse doch wohl nochvon zu primitiver Natur3).

Ungarn und die westliche Hälfte des Balkan scheiden als Heimat der Violin-bogenfibel ebenfalls aus. Daß man gerade an diese Gebiete des öfteren dachte,hat eine merkwürdige psychologische Begründung. Viele Forscher habennämlich eine ihnen selbst wohl kaum bewußte Abneigung dagegen, eine unvor-bereitet auftretende Neuschöpfung als spontane Erfindung anzuerkennen und suchenvielmehr in einem solchen Falle, Entlehnung aus einem anderen Lande glaubhaftzu machen. Mit besonderer Vorliebe schiebt man derartige Erfindungen dannnoch wenig erforschten Ländern zu, da es anscheinend weniger Mißbehagen ver-ursacht, solchen Gebieten Erfindertätigkeit zuzubilligen, als in einem reichlichfließenden Materiale eine die kontinuierliche Entwicklung bis zu einem gewissenGrade durchbrechende geniale Schöpfertat menschlichen Geistes anzuerkennen.Aus solchen Gründen hat man wohl auch in unserem Falle an das methodischnoch nicht erforschte Ungarn gedacht. Hier haben sich aber nur wenige primäreFormen der Violinbogenfibel gefunden, alles andere ist bereits über die Typik des

l) Vgl. G. Karo, Reall. d. Vorgesch. s. v. Fibel C S. 314.·) Bl inkenberg I sä.8) Der von Blinkenberg in seinem trefflichen Fibelbuche S. 40 geäußerten Ansicht,

daß sich auf Kreta Vorstufen von Violinbogenfibeln fänden, kann ich nicht zustimmen.Die von ihm angeführten gebogenen Drähte finden sich auch anderwärts, so habe ich einigeim Museum zu Bologna unter den Terramarefunden feststellen können.

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5. Kapitel. Italien 73

Peschierahorizontes hinaus abgewandelt1). Nun sind die Fundmaterialien ausder ungarischen Bronzezeit, wenn auch vielfach unkontrolliert ausgegraben, vielzu umfangreich, als daß, wenn die Violinbogenfibel wirklich in Ungarn erfundenworden wäre, nicht eine bereits größere Anzahl von Primärformen zutage getretensein müßte. Ähnlich steht es auch mit dem nordöstlichen Balkan, wo die Violin-bogenfibel primärer Form bisher nur in Bosnien in ganz wenigen Exemplarenzutage trat und zudem in recht junger Vergesellschaftung2), ferner ein Exemplarin Makedonien8). Hier ist zu bedenken, daß die geographisch nicht günstig ge-legenen Länder östlich der Adria auch sonst niemals initiative Formen zeugten,sondern eher ein Rückzugsgebiet für anderwärts schon aufgegebene Typen bilden.

Unglaubhaft erscheint mir auch die Annahme, daß die Fibel schon zur Aunje-titzer Periode, also zu Anfang der Bronzezeit, irgendwo im Bereiche der östlichenAlpenländer erfunden worden sei, wie solches G. Ekho lm auf Grund eines aunje-titzer Grabbefundes von Gemeinlebarn (Niederösterreich), dem auch ein fibel-artiges Drahtgebilde beigesellt war, annimmt4). Diese „Fibel" steht am nächstenden ungarischen Exemplaren mit vermehrten Kopfspiralen, die um viele Jahr-hunderte jünger sind als die Aunjetitzer Zeit. Entweder handelt es sich also,wie Reinecke6) annimmt, um ein Spiel des Zufalles, der in dem etwa nicht un-gestörten Befunde heterogene Elemente zusammenführte, oder es liegt, wie ichvermuten möchte, in dem Exemplare von Gemeinlebarn ein vorzeitiger Versucheines erfinderischen Kopfes vor, der dann aber wieder in Vergessenheit geriet,so daß die Erfindung der Fibel später noch einmal gemacht werden mußte.

So bleibt Italien als Heimat der Violinbogenfibel und hier kann nur derBereich der östlichen Pfahlbauten in der Poebene in Frage kommen. Dort trittsie am frühesten auf; die Fundorte in Mittel- und Süditalien, welche ebenfallsViolinbogenfibeln führen, sind alle jünger"). Aus ihrer ursprünglichen Heimat,

a) Mont., Vorklass. Chronol. S. 229 Fg. 761; Prähist. Z. XVII 1926 S. 92. Alle anderenFibeln sind hier aus der Peschieratype mit Spiralfuß entwickelt, indem man diesen ver-größerte oder Bügelschlingen einführte oder aber die Windungen der federnden Schleife ver-mehrte (Harfenfibel). Nach dem diesen ungarischen Formen innewohnenden dekorativen Ge-schmacke dürfte m. E. dann die Brillenfibel erfunden worden sein, welche Form sich spätervon Ungarn in südlicher Richtung bis nach Griechenland verbreitete.

*) Mitt. d. Anthr. Ges. Wien. 1889 S. 138 f. Fg. 175; Korrbl. Wien. Anthr. Ges. 19048.41; WMBH I 1893 S. 89 Fg. 90; das. VI 1899 S. 54 Fg. 59 ist bereits eine jüngere Ent-wicklungsstufe.

«) A. A. A. XII 1925 M. ig, 12.*) Wien. Prähist. Z. XI 1924 S. zgii.; danach Beltz, Reall. d. Vorgesch. s. v. Fibel,

S. 288.·) Götze-Festschrift S. 122!·) Das hat Reinecke (a. a. O. S. 124ff.), der die Fibel über Süditalien nach der Poebene

kommen läßt, übersehen, auch irrt er in der Ansicht, Violinbogen- und Rundbogenfibelnseien in Süditalien durchaus gleichzeitig. Freilich kommen sie hier in den gleichen Nekro-polen, bes. Timmari, vor, aber nur, weil diese aus der Zeit der Violinbogenfibel in die der Rund-bogenfibel hineinreichen. Wer klar sehen will, muß sich also an den Befund der Terramarehalten, wo gegen Reinecke nur Violinbogenfibeln vorkommen und zweifellos ein älteresStadium als etwa in Timmari vorliegt, auch alle Bronzetypen, z. B. die Rasiermesser, jadie ganzen Grabanlagen älter sind als im Süden. Die Violinbogenfibeln sind also so gut wiedie Rasiermesser von Norden nach Süden gewandert und mit ihnen das ganze andere Pe-schierainventar, das sich überhaupt nicht beliebig auseinanderreißen läßt, sondern gemein-sam behandelt werden muß. Daß auch der in Griechenland gewonnene Befund gegen Rei-

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74 Erster Teil. Der historische Rahmen

der Poebene, mögen dann einzelne Exemplare auch nach Ungarn, Bosnien undam Balkan weiter bis nach Makedonien gewandert sein. Doch ist es bei dem inletzterem Lande gefundenen Exemplare (A. A. A. XII 1925 Tfl. 19, 12) nichtganz ausgeschlossen, daß es über Griechenland hierher gelangt ist.

Wir haben uns bei der Frage nach der Heimat der Violinbogenfibel längeraufgehalten, als es für ein historisch eingestelltes Werk ziemlich erscheinen mag.Ich glaubte aber, aus folgenden Gründen meine Ausführungen nicht kürzer haltenzu dürfen. Einmal scheint mir schon Montelius in überzeugender Weise dieThese von der Erfindung der Fibel in Oberitalien vertreten zu haben1), ohne daßdie z. T. ablehnende Forschung es für notwendig gefunden hat, zu seinen Gründenim einzelnen Stellung zu nehmen. Es ist mir daher daran gelegen, seine Ansichtnoch mit weiteren Argumenten zu stützen. Weiter spielt die Violinbogenfibel auchfür die Frage nach der Chronologie des Peschierahorizontes eine sehr bedeutungs-volle Rolle. Schließlich werden wir durch das Fibelproblem selbst wieder auf dasengere historische Gebiet zurückgeführt, da die merkwürdige Tatsache, wieso dieFibel aus dem barbarischen Italien in den hochkultivierten mykenischen Kultur-kreis Eingang finden konnte, noch der Erklärung harrt.

Wir haben bereits früher ausgeführt (S. yff., uff.), daß die Jahrhundertevor der ägäischen Wanderung (also vor 1200) den östlichen Mittelmeerländerneine Periode reifster Kulturentwicklung gebracht haben. Zu solchen Zeiten pflegenim Kriegswesen ausländische Söldner eine gewisse Rolle zu spielen und in der Tatkönnen wir feststellen (s. S. 226ff.), daß im 14. und 13. Jahrhundert in Kyrene,Ägypten und in Vorderasien Söldner in nicht geringer Anzahl im Dienste standen8).Auch im Bereiche der Ägäis dürfte also das Söldnerwesen nicht ganz unbekanntgewesen sein und ein Beleg hierfür mag sich schon darin finden, daß auf einemkretischen Fresko aus der Zeit der kretischen Paläste ein offenbar zu einer Negerrassezählender Krieger abgebildet ist8). Da die äthiopischen Söldner im ägyptischenHeerwesen des neuen Reiches eine große Rolle gespielt haben4), so will es scheinen,als ob solche Leute auch auf Kreta mitunter in Dienst gestanden hätten.

Unter den Söldnern der damaligen Zeit spielten auch die S-k-rw- , Sj-k-rw-§?,Si-k>-rw-§j = Sekelesa6) der ägyptischen Texte eine Rolle8), denn sie warengegen Ende des 13. Jahrhunderts neben Achäern, Tyrsenern und Sardana imDienste jenes libyschen Fürsten, der damals von Kyrene aus Ägypten angriff(s. S. 226ff.). Man hat sie mit , Siculi identifiziert7), wozu auch paßt, daß

n ecke s Annahme der Gleichzeitigkeit von Violinbogen- und Rundbogenfibel spricht, verstehtsich von selbst, denn auch dort tritt, wie bereits früher ausgeführt, zuerst die Violinbogen-fibel und erst nach 1200 die Rundbogenfibel auf.

*) Zuletzt in der Vorklassischen Chronologie. Montelius hat auch eingehend über dieFrage des Verhältnisses der eingliedrigen zur zweigliedrigen (nordischen) Fibel gehandelt,worauf ich natürlich nicht eingehen kann.

*) S. jetzt auch E. Meyer, Gesch. d. Altert. II i S. 57. 43of. 444.s) J. H. S. XLIV 1924 S. 224 Abb. i.*) O. Weber, Anmerkungen zu den El Amarnatafeln (Vorderasiatische Bibliothek II)

S. noof. 1154!*} Ägypt. in Fremdvölkernamen = s.e) A. r. III 574. 579. 588. 595. 601; nachher haben sie sich während der ägäischen Wan-

derung gleich den Sardana den Raubvölkern angeschlossen (s. S. 48!.).7) Bilabel S. 240. Für frühe Beziehungen zwischen Ägypten und Sizilien spricht

auch die zu Syrakus gefundene Porphyrpyxis (v. Duhn, A. A. 1921 S. 17).

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5. Kapitel. Italien 75

mit ihnen zugleich gewöhnlich die Sardana = , Sardi auftreten. AusKleinasien können ja weder die einen noch die anderen stammen, da sowohl aufSardinien wie in Sizilien und Süditalien kleinasiatische Kulturelemente vollkommenfehlen (s. S. Soff). Die Sekelesa haben daher auch nichts mit Sagalassos, dieSardana nichts mit Sardes zu tun1).

Nun sind die Sikeler, wie noch die den Griechen zugängliche Tradition zuberichten wußte2), ursprünglich in erster Linie in Süditalien gesessen und haben«rst nicht allzulange vor Beginn der historischen Zeit das Schwergewicht ihrerSiedlungen nach Sizilien verlegt. In Süditalien scheinen sie schon in der Zeitvor 1400 gesessen zu sein, denn die Endung -sä in Sekelesa ist wie -na in Sardanatypisch ägäisch und kann den beiden Volksnamen lediglich durch die minoischenKreter zugefügt worden sein 3), was nur bis 1400 möglich war. Die Sekelesa bildetenim südöstlichen Italien also bereits vor Ankunft der Terramareleute die herrschendeBevölkerung, die ihrerseits allerdings wieder aus verschiedenen Bevölkerungsele-menten, so u. a. aus der unindogermanischen Urbevölkerung und vielleicht auchaus balkanischen Zuschüben gemischt war. Die Terramareleute kamen seit etwa1400 nach Süditalien, doch gelang es ihnen anscheinend nicht, sich auf die Dauerals herrschendes Element durchzusetzen. So erklärt es sich denn wohl auch, daßin Süditalien die Leichenverbrennung wieder verschwindet und daß sich auchder Name Sikeler (Sekelesa) bei den Völkern des östlichen Mittelmeeres zur Be-zeichnung der Bewohner Süditaliens trotz des Einbruches der Terramareleuteweitererhalten hat. Ja, ich halte es keineswegs für ausgeschlossen, daß man damitnun alle süditalische Söldner bezeichnete, nicht nur, wenn sie der älteren Be-völkerung angehörten, sondern auch, wenn sich Terramareleute zu diesem Berufehergaben. Der Name war eben schon von früher her eingeführt und wurde schließ-lich nur mehr mit Rücksicht auf die Herkunft, nicht aber auf die Nationalitätangewendet, wie das später ähnlich bei den aus der Schweiz stammenden Söldnern,gleichgültig ob sie Franzosen oder Deutsche gewesen, der Fall war. Wenn wir an-nehmen, daß süditalische Söldner auch nach Griechenland gekommen sind4),oder wenn wir wenigstens in Rechnung ziehen, daß Achäer und Sikeler nachweis-lich in Kyrene (s. S. 226 ff.) und wohl auch noch anderwärts gemeinsam als Söldnergedient haben, so ist es hinreichend erklärt, wieso die Fibel aus Italien nach demmykenischen Kulturkreis gelangen konnte. Freilich wurde sie von den Achäernals Kleiderverschluß nicht benötigt, doch war die Erfindung als Notbehelf — alsoganz dem Gebrauche unserer Sicherheitsnadel entsprechend — viel zu praktisch,

1) Zudem hat Sardes nach Ausweis der lydischen Inschriften ursprünglich Sfard ge-heißen (s. S. 82).

2) Hauptstelle bei Dion. Hal. I 22 mit Zitaten aus Antiochos, Hellanikos, Thukydides(VI 2) und Philistos.

8) S. dazu S. 48; durch kretische Vermittlung sind die Namen dann auch zu denÄgyptern gelangt.

*) Dafür sprechen auch die im ägäischen Kreise gefundenen Terramareschwerter unddas Auftreten von Originalfibeln aus dem Terramarebereiche — eine solche ist sicher dieeinzige hier gefundene Fibel mit Spiralfuß, s. S. 72 — erklärt sich so leichter. Wenn dieAchäer nur in der Fremde mit Sikelern zusammengekommen wären, so hätten wir aus demmykenischen Bereiche wohl mykenische Imitationen, aber kaum echte Terramareexemplare.Das Schweigen Homers bietet natürlich keine Handhabe, um die Möglichkeit des Auf-tretens sikelischer Söldner im mykenischen Bereiche abzulehnen.

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als daß man sie, nachdem man sie einmal kennengelernt hatte, nicht übernommenhätte. So erklärt sich auch, warum man sie im mykenischen Bereiche öfter inSiedlungsschichten als in Gräbern findet; die Toten wurden eben in Feiertagskleidergehüllt bestattet und bedurften natürlich 'keiner Kleidverschlüsse mit Hilfe vonFibeln, wohl aber fanden diese im Alltagsleben ihre Verwendung. Jetzt wirdauch verständlich, warum man in Griechenland für die Abwandlungsform mitSpiralfuß kein Verständnis hatte. Den Achäern galt die Fibel im Gegensatz zuden Terramareleuten nicht als Schmuck, sondern als Gebrauchsgegenstand, derkeiner übertriebenen Verzierung bedurfte. Die Type mit Spiralfuß ist aber eineausgesprochene Zierform, aus Italien gekommene Originalexemplare dieser Artwurden daher nicht nachgeahmt1).

Etwa um 1200 scheint auch das Abströmen süditalischer Bevölkerungs-elemente nach Sizilien begonnen zu haben. Das stimmt auch mit den Angabender Alten über die Sikelerwanderung vortrefflich überein. Daß unter diesen Er-oberern nur oder in erster Linie Nachkommen von Terramareleuten gewesenseien, möchte ich nicht mit Sicherheit behaupten. Zwar fällt nicht so sehr insGewicht, daß sie nach Sizilien statt Leichenverbrennung den Bestattungsritusmitgebracht haben — dieser Wechsel im Ritus ließe sich ja durch den Einflußder älteren Bevölkerung des südlichen Italien zur Not erklären (s. u.) — doch gebendie sizilischen Sprachreste keinen genügenden Anhalt, um die Bedeutung deritalischen Komponente in der sikelischen Sprache richtig abschätzen zu können2).

Belege zu dieser Volksbewegung werden uns in erster Linie durch die sizili-schen Grabfunde geboten. In diesen zeigt sich nach Aufhören des mykenischenImportes ein deutlicher Wechsel in der Typik der Bronzebeigaben, welche jetztauf einmal den Charakter der Terramareinventare nachahmen. Besonders zeigtsich dies in der Übernahme des Rasiermessers, in der Form, wie es etwa in Timmariauftritt8), dann auch der flammenförmigen Messer4), der Beinkämme6), Anhänger6),Nadelköpfe7) und schließlich der Violinbogenfibel, neben die sich allerdings schonjüngere Formen8) stellen (s. S. 70 f.). All dies könnte auch im Handelswege nachSizilien gekommen sein. Doch zeigen die Gräber von Molino della Badia bei Catanianicht nur diese Beigaben des Peschierainventares, sondern auch neue in Siziliendurchaus fremde Bestattungsformen, Fossagräber mit gestreckten Skeletten9).Freilich besteht die eine Schwierigkeit, daß die Beisetzungsart im südlichen Italien,von dem Verbrennungsritus der Terramareleute natürlich ganz abgesehen, bisher

J) Blinkenberg I 3a.') In den sizilischen ON fehlen nach Kretschmer, Glotta XIV 1925 S. 314 lateinische

Elemente. Illyrische Elemente in Süditalien und auf Sizilien Kretschmer, Glotta XIV1925 S. Sjif. Ganz anderer Meinung ist E. Meyer, Gesch. d. Altert. II i S. 574, der dieAnsicht vertritt, daß das Sikelische dem Lateinischen ganz nahe gestanden habe. Träfe dieszu, so müßte das Terramare-Element sich auf Sizilien stärker durchgesetzt haben, als ichanzunehmen wagte; vgl. auch Thu rneysen , Zeitschr. f. vergl. Sprachf. 1899 S. 212ff.

") BP XXXI 1905 S. 129 Fg. 33.*) BP XXXI 1905 S. 127 Fg. 31.8) BP XXXI 1905 S. 119 Fg. 23; S. I2i Fg. 25.«) BP XXXI 1905 S. 122 Fg. 26.') BP XXXI 1905 S. 188 Fg. 22.8) M. A. II 1893 S. isf.; BP XXXI 1905 S. io5ff. Fg. 9-19.») BP XXXI 1905 S. 96ff.

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die Hockerbestattung war. Da die zu Molino Begrabenen dem Bestattungsritusnach aber sicher keine alteingesessenen Sikeler gewesen sind, so können sie kaumvon irgendwo anders her als aus Italien gekommen sein, von wo allein sie ja auchdie Typen des Peschierahorizontes mitbringen konnten. Man wird sich alsobis auf weiteres mit der Annahme behelfen müssen, daß, etwa verursacht durchethnische und kulturelle Verschiebungen, wie sie der Einbruch der Terramare-leute bewirkte1), in Süditalien der neue Bestattungsritus ausgestreckter Leichenentstanden sei, der bei Ausbreitung des sikelischen (bzw. Terramare-)Elementesnach Sizilien dahin übertragen wurde, um allerdings gar bald dem hier einmaleingewurzelten Ritus der Hockerbestattung wieder zu weichen. Die Einwandererhaben sich also schließlich zu dem Ritus der älteren Bevölkerung bekehrt, eineauch sonst häufig auftretende Erscheinung.

Nach unserer Darstellung hat sich also das Vordringen der Terramareleutenach Süditalien bis über die Grenzen der Halbinsel hinaus, wenn auch vielleichtnur indirekt ausgewirkt, da wenigstens die ältere Bevölkerung Süditaliens dadurchin Bewegung gebracht wurde. Sie tritt nun vor Beginn der ägäischen Wanderungin den östlichen Mittelmeerländern im Solddienste auf, stand während derselbensogar mit den Raubvölkern im Bunde und griff auch nach Sizilien hinüber.Daß bei all diesen Unternehmungen auch Terramareleute selbst beteiligt waren,ist keineswegs unwahrscheinlich, nur läßt sich ihr Anteil daran noch nicht ab-schätzen. Ich möchte zum Schluß aber ausdrücklich auf den hypothetischenCharakter unserer zuletzt geäußerten Annahmen von einer Expansion der süd-italischen Bevölkerung über die Halbinsel hinaus hinweisen. Das Material reichthier nur für Vermutungen aus, denen ich wohl einige Wahrscheinlichkeit zubillige,deren Beurteilung aber immerhin noch von dem subjektiven Standpunkte deseinzelnen abhängig sein mag. Sicher ist dagegen alles, was über die Expansionder Terramareleute innerhalb der italischen Halbinsel gesagt wurde.

Die Terramarebevölkerung, welche nun allerdings überall die bisherige Sied-lungsform des Pfahlbaudorfes aufgab, aber die Leichenverbrennung und die Anlagevon Urnengräbernekropolen (pozzetti) beibehielt, dehnte sich im Verlaufe der Zeitvon ihrem mittelitalischen Siedlungsbereiche gegen die Küste des tyrrhenischenMeeres zu nach Südetrurien (Tolfa und Allumiere) und Latium aus. In Latiumbesiedelte sie zuerst die Albanerberge, dann im Gebiete des späteren Rom denPalatin und Esquilin2).

Die Annahme Paretis3), daß die Terramarebevölkerung etruskischen Stammesgewesen sei, entbehrt jeder Grundlage, da die Nachkommen der Terramarebevölke-rung im Stadtbereiche von Rom und in den Albanerbergen das älteste Siedlungs-element gewesen sind. Wir müßten uns also zu der verzweifelten Auffassung

x) Und vielleicht auch schon der illyrisch-balkanischen Elemente ? Deren Hauptmassescheint allerdings erst um 1000 gekommen zu sein.

8) Material Gräberk. S. 201—205; 391—436. Die Chronologie ergibt sich aus den Fibeln.Deren älteste sind zu Pianello noch solche der Violinbogentype, zu Allumiere, die der „sekun-dären Grundformen", auf den Albanerbergen gerade noch einige Exemplare mit schwachemKnick (Mont. 138, 13; M. A. XV 1905 S. 341 Fg. 127) und mit noch kleiner Fußspirale(Mont. 135, 13; 138, 2). In Rom kommt derartiges auch bei den ältesten Fibeln nicht mehrvor (zu meiner Fibelterminologie vgl. S. n8ff.).

3) In den origini etrusche I; dagegen auch Schuchhardt , Prähist. 2.1926 8.275.

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entschließen, daß in Latium die Etrusker das ältere, die Latiner dagegen dasjüngere Element gewesen wären, eine Annahme, deren Unmöglichkeit eines weiterenBeweisverfahrens nicht bedarf. Geht doch aus dem gesamten uns von der antikenÜberlieferung und der Sprachforschung gelieferten Materiale eindeutig hervor,,daß in Latium die Etruskerherrschaft eine nur vorübergehende war und von denalteingesessenen Latinern erst ertragen und dann wieder abgeworfen wurde.

Unter diesen Umständen liegt es am nächsten, die Terramarenachfolge imBereiche von Latium mit den Latinern zu identifizieren. Damit werden die Terra-maresiedler selbst zu Vorfahren der letzteren und somit zu Italiken.

Diese These des italischen Nationalcharakters der Terramareleute läßt sichnoch durch eine Reihe von weiteren Argumenten stützen:

Das Lateinische läßt im Gegensatz zu den griechischen Dialekten keinerleivorindogermanisches Substrat erkennen, auch sind hier keine Rudimente einerälteren indogermanischen, aber nichtitalischen Sprache festzustellen. Die Latinerkönnen also bei ihrem Einrücken in Latium auf keine sehr dichte Urbevölkerunggestoßen sein. Das paßt trefflich zu unserer Annahme, da nach dem archäologi-schen Befund die Terramareleute in Mittelitalien und besonders in Latium einenur ganz spärliche Urbevölkerung angetroffen haben.

Andererseits wird durch diese Überlegung auch noch die andere Möglich-keit, die sonst etwa vorhanden wäre, ausgeschlossen: Es ist nun unmöglich,daß die Terramareleute ein nichtitalisches Volk gewesen wären, das die erwähntenEroberungen in Mittel- und auch in Süditalien gemacht hätte, daß dagegen dieItaliker in ihrer Gesamtheit erst noch später eingerückt wären, die Terramareleuteunterworfen und sich zu Herren der Halbinsel aufgeschwungen hätten. Ständen,wir doch bei einer solchen Annahme der Unmöglichkeit gegenüber, daß die Sprachedes Terramareelementes trotz seines durch die Urnenfelder bewiesenen Volk-reichtumes im Lateinischen keine erkennbaren Spuren zurückgelassen hat.

Natürlich ist auch die Annahme unmöglich, daß sich die Terramareleute ausder Poebene überhaupt niemals entfernt hätten und daß das Auftreten der Urnen-grabfelder auf der italischen Halbinsel lediglich auf die Übernahme des Brandritusund etwa des Terramareinventares (Bronzen u. Keramik) durch die kuprolithischeUrbevölkerung zurückzuführen sei. Wer das behauptet, übersieht — vom Wechseldes Beisetzungsritus ganz abgesehen — vollkommen, welch unüberbrückbarerGegensatz zwischen der kuprolithischen und der Terramarekultur Mittel- undSüditaliens besteht: Die zu den mittelitalischen Urnengrabfeldern gehörigenSiedlungen sind ausschließlich Neugründungen und setzen niemals kuprolithischeOrtschaften fort, sie haben ferner niemals auch nur die geringsten Spuren deskuprolithischen Inventares. Auch ist es ganz ausgeschlossen, daß allein durch„nachbarliche Entlehnung" die merkwürdige Siedlungsform der Terramare biszur Punta del Tonno nach Apulien gedrungen wäre. Schließlich bleibt wiederungeklärt, wieso sich denn die Sprache der Urbevölkerung, die sich nach dieserso falschen Theorie, den Urnenfeldern entsprechend, ja sehr stark vermehrthaben müßte, in den italischen Dialekten nicht ausgewirkt hat und warum sichwiederum eine spätere Italikereinwanderung in den Bodenfunden nicht ent-sprechend ausdrückt.

Positive Argumente lassen sich für den italischen Nationalcharakter derTerramareleute noch gewinnen aus Übereinstimmungen von nur oder wenigstens·

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am besten aus der Terramarekultur erklärbaren Kulturelementen, wie wir sie imalten Rom feststellen können. In diesen Belangen war schon H e l b i g bahnbrechend1)und förderten dann die Beobachtungen v. Duhns ungemein2).

So scheint noch verschiedenes an die einstige Terramaresiedlungsform zu er-innern. Vielleicht kehrt das viereckige Terramareschema mit seinen sich recht-winkelig kreuzenden Straßen im Grundrisse des römischen Lagers wieder, vielleichtfanden die Grundgedanken der Limitation schon bei Anlage mancher Terramareihre Anwendung. Trifft letzteres zu, so wäre die Limitation eine italische Erfin-dung, die von den Etruskern in dem bei ihrer Ankunft von Italikern bewohnten Etru-rien übernommen und in jenem zelotischen Geiste ausgestaltet wurde, der sich in deretruskisch beeinflußten Limitationslehre der Römer widerspiegelt. Dafür sprichtauch die Überlegung, daß sich die Etrusker bei ihrer Ankunft in Etrurien fast überallin bereits vorhandenen Italikerortschaften angesiedelt haben (s. S. 200 f). Sie hattenalso anfangs gar keine ausreichende Gelegenheit zu mit Neugründungen verbundenenLimitationen. Sie könnten aber die italische Limitationssitte ohne weiteres über-nommen haben, wenn etwa die von ihnen besetzten italischen Ortschaften bereitsrituell limitiert waren, was sich auf die Dauer der Aufmerksamkeit der Eroberernatürlich nicht zu entziehen vermochte.

Der Erdwall der Terramareanlagen hat vielleicht im murus terreus Carinarumeinen späten Abkömmling (Varro 1. 1. V 48). Daß in den Terramaresiedlungen diegrößte Vorsicht in der Verwendung des Feuers geboten war, könnte sich möglicher-weise in der Satzung des Zwölftafelgesetzes ausdrücken: hominem mortuom inurbe ne seppellito neve urito.

Auch bei dem Priesteramte der Pontifices spricht die innere Wahrscheinlich-keit dafür, daß hier die Erinnerung an obrigkeitliche Befugnisse jener sei es geist-,licher, sei es weltlicher (am ehesten wohl beides zugleich) Beamte vorliegt, diezur Terramarezeit für die Erbauung und Instandhaltung der Pfahlbauanlagenzu sorgen hatten3).

An die Beisetzungssitten der Terramarezeit scheinen verschiedene römischeGebräuche der späteren Zeit noch zu erinnern. Besondere Beachtung verdienendie am 21. Februar eines jeden Jahres in Rom gefeierten Feralia. Die gemeinsamenTotenfeste dieser Feier mögen an ähnliche Feste erinnern, wie sie wohl schon zurälteren Terramarezeit abgehalten wurden und etwa mit der feierlichen Beisetzungder im Verlaufe des letzten Jahres hinzugekommenen Urnen4) in der Toten-terramare verbunden waren.

Im allgemeinen drückt sich in der Anlage der Terramaresiedlungen und auchin der ursprünglichen Beisetzungsart bereits jener Geist der Ordnung, Organisation

*) Die Italiker in der Poebene S. 41 ff.a) Gräberk. passim, bes. n8f. 211. 415^ 428; vgl. auch v. Skala S. 8.8) Strikte Beweise werden sich bei dem geringen zur Verfügung stehenden Material e

natürlich niemals führen lassen. Wichtig zur Beurteilung der Frage ist der Umstand, daßnach Ausweis des Grabungsbefundes die Terramareanlagen wiederholt dem Feuer zumOpfer gefallen sind und durch Neubauten ersetzt wurden. Das gibt uns erst das rechte Ver-ständnis für die einstige Bedeutung der Pontifikalwürde. Im übrigen vgl. zum Pontifikat diebesonnenen Ausführungen K. Glasers, Mitteilungen des Vereins klass. Philologen Wien III1926 S. 68 ff.

*) Vgl. dazu v. D ü n n , Gräberk. S. 211.

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8 Erster Teil. Der historische Rahmen

und des Aufgehens des Einzelnen im staatlichen Gemeinwohle aus, der den Römernauch in späterer Zeit noch lange geblieben ist und sie zu ihrem Aufstiege befähigthat. Beachtung verdient weiter, daß unter den Terramarefunden Kultgegenstände,z. B. auch Idole, fehlen, letzteres ganz den religiösen Anschauungen des älterenRom entsprechend. Auch die Einfachheit des ausschließlich bäuerlichen Lebensin den Terramare und deren unmittelbaren Folgestufen finden wir im alten Romwieder.

Gegen eine spätere Einwanderung wenigstens der Latiner spricht auch die inRom so deutlich erkennbare konservative Gesinnungsart. Diese erklärt sich ambesten durch die Annahme, daß das latinische Element bereits seit dem Aus-gange des zweiten Jahrtausends in Latium heimisch war.

Um ein Wesentliches später als zu Tolfa und Allumiere, aber nicht langenach dem Beginn der Besiedlung der Albanerberge1) tritt im ganzen BereicheEtruriens eine Urnenfelderkultur auf (zu Caere, Corneto, Vulci, Vetulonia undPopulonia2*; sie knüpft nirgends an die kuprolithische Vorbevölkerung an), welchein der Anlage der Nekropolen, in Grabformen und Ritus mit dem uns aus dem Kreiseder Terramaredeszendenz Bekannten so bis ins einzelne übereinstimmt und zudemmit der Urnengräberkultur Latiums eine Reihe von so charakteristischen Einzel-zügen gemeinsam hat (bes. die Hüttenurnen), daß wir uns zur Annahme gezwungensehen, es handle sich hier um nichts anderes als um eine weitere Expansion derNachkommen des einstigen Terramarevolkes, also von Stämmen, welche wir zuden Italikern rechnen müssen. Damit stimmt überein, daß wir auch nach literari-schen Angaben (über diese S. 211) in Etrurien mit einer voretruskischen Be-völkerung italischer Nationalität zu rechnen haben, nämlich mit den Umbrern8).

Eine weitere Urnenfelderkultur entwickelte sich etwa gleichzeitig im Norden,im Bereiche von Bologna. Auch hier spricht manches dafür, daß es sich um Terra-marenachkommen handle, doch läßt sich das in diesem Falle nicht bis zur völligenGewißheit beweisen. Zwischen den Urnengräberkulturen Bolognas und Etruriensgibt es in Keramik und Metallurgie einige Züge engerer Verwandtschaft, die sichaus der nachbarlichen Lage der beiden Bereiche, nicht aber durch engere ethni-sche Beziehungen zu erklären scheinen, da die Urnengräber Etruriens durchÜbereinstimmungen in den Grabgebräuchen, die natürlich viel schwerer wiegen,mit Latium und nicht mit Bologna verbunden erscheinen4).

Auf Sizilien wohnten in historischer Zeit die Sikeler und die Sikaner. Sikelerhat es, wie wir gesehen haben, früher in Süditalien gegeben. Enge Beziehungenzwischen Sizilien und Süditalien können wir schon seit der jüngeren Steinzeit

x) Im Verlaufe der Periode der Diskusfibel; hierzu S. 119f.2) Material Gräberk. S. 205 bis 391, doch sind s. v. Vetulonia die circoli continui und

die ripostigli, da sicher etruskisch (s. S. I39ff. I54ff.), auszuscheiden.s) Für die außerordentlich schwierige Frage des Verhältnisses der beiden italischen

Dialektgruppen zueinander und zu dem etwa im ausgehenden n. Jahrhundert in Umbrien,Latium und im oskischen Bereiche auftretenden italischen Bestattungsritus (Fossagräber)kann aus räumlichen Gründen hier nicht Stellung genommen werden (s. auch meine Be-merkungen im Vorwort). Für die Etruskerfrage genügt ja auch, daß die Feststellung einervoretruskischen und zugleich umbrischen Bevölkerung, die Urnengräber anlegte, in Etrurienals gesicherte Tatsache zu betrachten ist. (Vgl. hierzu das in den Nachträgen Gesagte.)

*) Gegen Sundwall in seinen Villanovastudien (S. 62ff.), einer in typologischer Hin-sicht vortrefflichen Arbeit, deren historischen Ergebnissen ich aber nicht beistimmen kann.

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feststellen, doch läßt sich nicht sagen, von welcher Zeit an sie unter derBezeichnung „sikelisch" gebucht werden dürfen. Sicher ist dies erst seit derzweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends der Fall (s. S. 75). Es ist wahrschein-lich, daß die Sikeler infolge balkanischer, etwa schon illyrischer, oder aberitalischer Einflüsse im Wege Süditaliens in nicht geringem Maße indogermanischesBlut in ihre Adern bekamen. Über die Sikaner läßt sich nichts auch nur einiger-maßen Sicheres sagen. Vielleicht waren sie die eigentliche Urbevölkerung vonSizilien. Auf die Theorien der klassischen Schriftsteller hierzu1) gehe ich nicht ein,da ich nicht glaube, daß sie über die Herkunft und Volkszugehörigkeit der Sikaneretwas wissen konnten.

In Sardinien wohnten die Sarden2) ( , Sardi), sicher der Rest einernichtindogermanischen Rasse, der sich auf der Insel leichter erhalten konnte underst im späteren Altertume einer nur äußerlichen Latinisierung unterlag.

Manche Forscher nehmen für die Sarden Einwanderung aus Kleinasien an');andere lassen sie bzw. die Sikeler von Anfang an in Italien und dessenInseln beheimatet sein und von dort Raubfahrten unternehmen, welche bis nachÄgypten führten4). Einige Forscher lassen die Sardana wegen des Anklanges anSardes aus Lydien, die Sekelesa aus dem kleinasiatischen Sagalassos kommen undtrennen sie vollkommen von den Sikelern und Sarden, deren Namen dann nureinen zufälligen Gleichklang böte6).

Vor allem ist der aus verfehlter Interpretation der ägyptischen Texte ent-standene Irrtum einer Schicksalsverwandtschaft der Turusa, Sardana und Sekelesaaufzuklären. Hier kommen zwar die Sardana und die Sekelesa ständig neben-einander vor, nicht aber die Turusa. Angehörige aller drei Völker treten zwarin der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Kyrene als Söldner auf6), dochkonnten solche aus ganz verschieden gelegenen Heimatländern herbeigeströmt sein.Gerade die Halbinsel Barka ist ja so exponiert gelegen, daß sie sowohl aus demöstlichen wie aus dem westlichen Mittelmeer kommende Söldner aufnehmen konnte.Bestätigt wird unsere Anschauung dadurch, daß sich in Kyrene auch Achäer ein-gefunden haben, die doch sicherlich mit keinem der drei Völker etwas gemein hatten.Anders verhält es sich in der ägäischen Wanderung. Auch da stehen die Sardanaund Sekelesa nebeneinander, doch fehlen die Turusa7). Daraus ergibt sich, daßnicht der mindeste Anlaß zur Annahme vorliegt, daß etwa die erstgenannten Völkeroder wenigstens die Sardana mit den Turusa in ihren Heerfahrten eine engere

!) Nissen I S. 54& .*) Vgl. vor allem v. Bissing, Die Überlieferung über die Schirdani. Wien. Ztschr.

f. d. Kunde d. Morgenlandes XXXIV S. 230«.3) Taramelli , M. A. XXV 1918 S. Ujjii.; Ducati I S. 38; Lehmann-Haupt G-N,

S. 9; Hall, Cambridge Ancient History II S. 282; Wilcken S. 43.*) E. deRougo, Extrait d!un memoire sur les attaques dirigees contre l'igypte S. igff .

(Sardana und Sekelesa); W. M. Mül ler , Asien und Europa S. 376ff. (Sardana); E. Meyer.Gesch. d. Altert. II i S. 457! 566. 574f. (Sardana u. Sekelesa); vgl. Bilabel S. 240!.(Sekelesa).

*) Weber S. 45; v. Duhn , A. A. 1921 S. 2ogf.; Dussaud, Les civilisations prehollo-niques 2. Aufl. 1914 S. 453; vgl. im übrigen die Literaturnachweise Cambridge AncientHistory II S. 661 — 663.

·) Alles Nähere hierüber S. 226 ff.7) Der Nachweis hierzu findet sich S. 228 ff.

Schachermeyr , Etrusklsche Frühgeschichte 6

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Page 17: Etruskische Frühgeschichte () || 5. Kapitel: Italien

82 Erster Teil. Der historische Rahmen

Einheit gebildet hätten und damit fällt auch die Veranlassung weg, ihnen benach-barte Heimat und verwandte Wanderungsziele zuzuschreiben. Es bieten daherdie ägyptischen Texte auch keine Veranlassung zur Annahme einer kleinasiatischenHeimat der Sardana und Sekelesa. Der Gleichklang von Sardana und Sardes darfebenfalls nicht in diesem Sinne ausgenützt werden, da diese lydische Stadt eigent-lich Sfard hieß1), so daß also die Ägypter, welche ja im Gegensatze zu den Griechenin ihrer Schrift über einen labialen Spiranten verfügten, wohl Safardana geschriebenhätten2). Auch die Gleichung Sekelesa = Sagalassos erscheint mir nicht unver-dächtig, da die Ableitung des Namens eines Seevolkes von dem eines unbedeuten-den pisidischen Binnenstädtchens wenigstens nicht als zwingend angesehen werdenkann.

Demgegenüber ist die Ableitung von Sardana aus , Sardi und vonSekelesa aus , Siculi sprachlich und sachlich einwandfrei. Die Suffixe,welche den ägyptischen Prägungen anhaften, sind genau so zu erklären wie das-sä in Aquaiwasa, nämlich als vorgriechisch-kretische Elemente8), die uns nahe-legen, daß diese Namen durch kretische Vermittlung zu den Ägyptern gelangtsind4). Die Wortstämme stimmen in beiden Prägungen restlos überein. Zudembetrifft die Gleichung hier und dort Völkernamen. Der insulare Charakter ihrerHeimat mußte die Sardinier zur Seefahrt veranlassen und ihr kriegerischer Sinnwird uns durch die sardinischen Befestigungsanlagen und Waffenfunde der Frühzeitimmer wieder aufs neue bewiesen. Bei den Sikelern mag der Anreiz zur Seefahrt,auch wenn sie damals in erster Linie noch im südlichsten Italien saßen (s. S.75 ff.), kaum geringer gewesen sein, da der dortige Halbinselcharakter ähnlichauf die Bevölkerung wirken mochte, wie eine reine Insellage. Es ist also nachall' dem Gesagten sicherlich möglich, m. E. sogar das wahrscheinlichste, daß dieSardana und Sekelesa in Süditalien, Sizilien bzw. Sardinien beheimatete Sikelerbzw. Sarden waren, die mit Kleinasien nie etwas zu tun gehabt hatten.

Auch vom archäologischen Standpunkte aus läßt sich aus dem reichen sar-dinischen und sizilischen Materiale nichts Positives für eine Einwanderung klein-asiatischer Volkselemente gewinnen. Im Gegenteile ist die sardinische Kulturseit Anbeginn der Bronzezeit und bis zum Auftreten des punischen Einflussesdermaßen einheitlich und nahezu weltabgeschlossen, daß man wohl annehmenkann, die Insel sei seit frühester Zeit immer von dem gleichen Volke ohne Zu-wanderung fremder Elemente bewohnt gewesen6). Die Megalithbauten der Sarden6)zeigen in Bautypen und Bautechnik allerdings vieles den ägäischen Bauwerken der

*) Die in den lydischen Inschriften vorkommenden Formen sind ofardak, ardent, ar-dStak, öfardetav, §fardetik , vielleicht gehört auch §farvad hierher; s. Sardi s VIpart II Lydian inscriptions v. W. M. Buckler 1924 S. 79.

a) Oder, falls der Name von Kreta über Kypros bez. Syrien und durch keilinschriftlicheVermittlung nach Ägypten gelangt wäre, Sapardana.

3) Auch das -n-Suff ix der griechischen Form, mag als kretisch-ägäisches Element be-trachtet werden.

<) Näheres hierüber s. S. 48.6) Besonders glücklich hierüber v. Duhn, Italien S. 94ff.; vgl. auch Gräberk. S. 94ff.;

die archäologische Erschließung der Insel ist das Werk des unermüdlichen Forschers Tara-melli, dem wir auch die meisten Fundberichte (größtenteils in der M. A. und Not.) verdanken.

') Zusammenfassend v. Duhn im Reall. d. Vorgesch. s. v. Nurage; Italien S. 94ff.und Megalithgrab D S. 105 f.

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5· Kapitel. Italien 83

vormykenischen und mykenischen Zeit Verwandtes, doch tritt im prinzipiellenGegensatze zu Etrurien (s. S. 179ff.) der Steinbau mit linearer oder konzentri-scher Vorkragung, das gemauerte gangartige Grab und manches andere nicht erstin jüngerer Zeit plötzlich auf, sondern ist auf der Insel seit ältester Zeit üblichund so wie in Malta, auf den Balearen, in der Ägäis, Ägypten und anderwärtsals Erbe der einstigen europäischen megalithen Litoralkultur (s. S. 67) zu werten»Auch lassen sich somit zwischen Ägäis und Sardinien in der Architektur zwarzahlreiche verwandtschaftliche Züge nachweisen, doch finden sich auf Sardinienim Gegensatze zu Etrurien keine spezifisch kleinasiatischen Einzelzüge. Die Be-waffnung der auf den ägyptischen Denkmälern abgebildeten Sardana stimmt incharakteristischen Zügen mit der der alten Sarden überein, so besonders in demmerkwürdigen Hörnerhelme1). Einwenden könnte man allenfalls, daß trotzdes Auftretens der Sardana in Kyrene, Ägypten und Vorderasien2) die dortigenHochkulturen nicht stärker auf die Insel rückgewirkt haben. Es ist aber immer-hin wahrscheinlich, daß die Mehrzahl der einmal in die Fremde ausgewandertenSarden nicht mehr in ihre frühere Heimat zurückgekehrt sind.

Auf Sizilien ist in Keramik, Bronzeformen, Grabritus und Grabtypen nicht dermindeste kleinasiatische Einfluß zu erkennen. Ich halte es geradezu für ausge-schlossen, daß hier kleinasiatische Elemente zu irgend einer Zeit eine größere Rollegespielt haben»).

Es scheint mir daher die Auffassung am wahrscheinlichsten zu sein, welchedie Sekelesa und Sardana mit den Sikelern und Sarden identifiziert, sie aberständig in Italien und dessen Inseln beheimatet sein läßt. Die beiden Völkergaben im 14. und 13. Jahrhundert Söldner in die östliche Mittelmeerwelt abge-heben und, als in der ägäischen Wanderung das dortige Staatensystem größten-teils zusammenbrach, sich an den Beutezügen der Raub Völker beteiligt. Für dieseAuffassung diene zum Schlüsse noch folgendes Argument. Der Parteiwechselder beiden Völker läßt sich um so besser verstehen, wenn ihre Heimat nicht vonder ägäischen Wanderung selbst betroffen wurde. Sie waren somit im Gegensatzezu den kleinasiatischen Etruskern nicht gezwungen, gegen die Raubvölker Frontzu machen, konnten vielmehr die Gunst der Situation ausnützen und mit denBarbaren leicht gemeinsame Sache machen. Das Ausschwärmen der Sikeler nachden östlichen Mittelmeerländern würde, wie schon S. 75 f. hervorgehoben wurde, auchdas Auftreten der Violinbogenfibel, dann nachher das der Rundbogentype undder vereinzelten sizilischen Kniefibeln im Bereiche der Ägäis hinreichend er-klären. Über die Möglichkeit, daß bei dem Ausschwärmen der Sikeler auch dasitalische Terramarevolk eine Rolle gespielt habe, wurde bereits S. 76 ge-sprochen.

*) Die Bewaffnung der alten Sarden ist uns durch die auf der Insel gefundenen Krieger-figuren aus Bronze genau bekannt; vgl. z. B. BP XXX 1904 Tfl. n; M. A. XI 1901 Tfl. 10bis 14 und jetzt bes. v. Bissing, A. M. XLIII 1928 S. 19 ff.

2) Hierüber werde ich Reall. d. Assyriol. s. v. Serdanu eingehender handeln.*) Das wenige, was E. Brandenburg, Die Felsarchitektur bei Jerusalem 1926 S. 272

an Übereinstimmungen der Felsbearbeitung anführt, ist so allgemeiner Art, daß sich darauskeinerlei Abhängigkeitsverhältnis Siziliens von Kleinasien ableiten läßt.

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