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Europäisches und deutsches Kartellrecht (mit einem Überblick über das Regulierungs-, Beihilfen- und Vergaberecht) Dr. Erik Staebe Wintersemester 2015/16 Teil 1

Europäisches und deutsches Kartellrecht - Lehrstuhl für ... · • Steuerungs-und Ordnungsfunktion ... • Weitere Angleichung des deutschen Rechts an das EU-Recht (insbes. im Bereich

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Europäisches und deutsches Kartellrecht(mit einem Überblick über das Regulierungs-, Beihilfen- und Vergaberecht)

Dr. Erik Staebe

Wintersemester 2015/16

Teil 1

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

I. Einführung

� Dr. Erik Staebe, Syndikusanwalt� Leiter Regulierungsrecht in der Kartellrechtsabteilung der Deutschen Bahn AG (seit 2007)

• Europäisches, deutsches und ausländisches Regulierungsrecht (Eisenbahn, Energie, TK)• Europäisches und deutsches Kartellrecht, insbesondere Missbrauchsaufsicht• Competition Litigation

• Regulierungscompliance� Aufbau des Regulierungsmanagements der Deutschen Bahn AG (2005 bis 2007)� Rechtsanwalt (Kartell- und Regulierungsrecht) bei Gleiss Lutz, Berlin/Stuttgart (2002 bis 2005)� Referent (Fusionskontrolle) im Bundeswirtschaftsministerium (2001 bis 2002)� Assistententätigkeit und Promotion (Beihilfenrecht) an der Universität Hamburg (2000)� Referendariat in Hamburg, London und Brüssel (1996 bis 1999)� Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen und Bristol/Großbritannien (1990 bis 1995)� Kontakt:

c/o Deutsche Bahn AG - Potsdamer Platz 2 - 10785 BerlinTel. +49 (0)30 - 297-61420 - e-Mail: [email protected]

Zur Person

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

I. Einführung

� Warum Kartellrecht?• Vielseitigkeit• Praxisrelevanz

� Lernziele• Beurteilung wettbewerbsrelevanter Sachverhalte unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten• Überblick über die dem „allgemeinen Kartellrecht“ benachbarten Gebiete des Beihilfen-,

Regulierungs- und Vergaberechts

� Veranstaltungstermine• 14-tägig am Mittwoch jeweils von 15.00 bis 19.00 Uhr, Burgstr. 21, Raum 4.33• 14. und 28. Oktober, 11. und 25. November und 9. Dezember 2015 sowie

6. und 20. Januar und 3. Februar 2016• -> 8 Vorlesungseinheiten

� Veranstaltungsunterlagennach der Veranstaltung abrufbar unter https://handel.jura.uni-leipzig.de/lehrveranstaltungen/

Zur Vorlesung

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

� Gliederung

I. Einführung

Zur Vorlesung

I. Einführung (Vorstellung der Person und des Vorlesungskonzepts, Hinweise auf Gesetzestexte, Begleitmaterial und Literatur)

II. Grundlagen des Kartellrechts(Wettbewerbsbegriff und Wettbewerbstheorie, Historische Entwicklung, Wesentliche Regelungsmaterien, Anwendungsbereich des europäischen und des deutschen Kartellrechts, Unternehmensbegriff, Marktabgrenzung, Ausnahmen)

III. Kartellverbot (Art. 101 AEUV, §§ 1 ff. GWB) (Normadressaten, Tathandlungen, Wettbewerbsbeschränkung, Zweck oder Wirkung, Spürbarkeit, Tatbestandsrestriktionen, Freistellung vom Kartellverbot, ……, Besonderheiten des deutschen Kartellrechts, Rechtsfolgen des Kartellverstoßes, Kartellverfahren, Kartelldelikts- und Kartellbußgeldrecht, Rechtsschutz und private enforcement)

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� Gliederung (Forts.)

I. Einführung

Zur Vorlesung

IV. Missbrauchsverbot (Art. 102 AEUV, §§ 19 ff. GWB) (Normadressaten, Begriff der Marktbeherrschung, Tathandlungen, Besonderheiten der deutschen Missbrauchsaufsicht, Rechtsfolgen des Marktmachtmissbrauchs, Verfahrensrecht, Rechtsschutz)

V. Sektorspezifische Missbrauchsaufsicht durch Regulierungsrecht(Überblick über das Regulierungsrecht insbesondere des Telekommunikations-, Energie- und Eisenbahnsektors: Unternehmensorganisation, Zugangs- und Entgeltregulierung, Regulierungsverfahren, Rechtsschutz)

VI. Fusionskontrolle (FKVO, §§ 35 ff. GWB)(Zusammenschlussbegriff; gemeinschaftsweite Bedeutung, Aufgreifschwellen der deutschen Fusionskontrolle; Marktbeherrschungstest; SIEC-Test, Fusionskontroll-verfahren, Rechtsschutz)

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� Gliederung (Forts.)

� Gesetzestexte • zum Kartell-, Beihilfen- und Vergaberecht: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen

Union (AEUV), EU-Verordnungen, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)• zum Regulierungsrecht: Telekommunikationsgesetz (TKG), Energiewirtschaftsgesetz

(EnWG), Postgesetz (PostG), Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG)

I. Einführung

Zur Vorlesung

VII. Beihilfenrecht (Art. 107 ff. AEUV)(Tatbestand der staatlichen Beihilfe, Legalausnahmen, Ermessensausnahmen, Grundzüge der Beihilfenaufsicht, Rückforderung gemeinschaftswidriger Beihilfen, Rechtsschutz)

VIII. Vergaberecht(Beschaffungswesen der öffentlichen Hand, Anwendungsbereich, Vergabegrund-sätze, Vergabearten, Vergabeverfahren, Nachprüfungsverfahren, Rechtsschutz)

IX. Perspektiven der Wettbewerbspolitik

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I. Einführung

� Lehr- und Handbücher (Auswahl)• Bunte/Stancke, Kartellrecht (mit Vergaberecht und Beihilfenrecht), 3. A. 2015 (angekündigt)• Emmerich, Kartellrecht, 13. Aufl. 2014• Glöckner, Kartellrecht - Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2011• Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2015 (angekündigt)• Lange/Pries, Einführung in das europäische und deutsche Kartellrecht, 2. Aufl. 2011• Lettl, Kartellrecht (Grundrisse des Rechts), 3. Aufl. 2013• Mäger, Europäisches Kartellrecht, 2. Aufl. 2011• Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014• Rittner/Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 8. Aufl. 2014• v. Wallenberg, Kartellrecht, 3. Aufl. 2010

� Kommentare (Auswahl)• Bechtold, Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 7. Aufl. 2013• Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2. Aufl. 2009• Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Kommentar, 5. Aufl. 2014• Säcker u.a., Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014• Schulte/Just, Kartellrecht, Kommentar, 2012

Zur Vorlesung

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

I. Einführung

� Fallsammlungen• Alexander, Fälle zum Kartellrecht, 2014• Emmerich/Sosnitza, Fälle zum Wettbewerbs- und Kartellrecht, 6. Aufl. 2011• Säcker/Wolf, Kartellrecht in Fällen, 2010• Schwintowski, Wettbewerbs- und Kartellrecht (PdW), 5. Aufl. 2012

� Zeitschriften• Wirtschaft und Wettbewerb (WuW)• Zeitschrift für Wettbewerbsrecht (ZWeR)• Wettbewerb in Recht und Praxis (WRP)• Neue Zeitschrift für Kartellrecht (NZKart)• Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW)• Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (EWS)

� Nützliche Links• www.bundeskartellamt.de• www.ec.europa.eu/comm/competition/index_de.html• www.curia.europa.eu

Zur Vorlesung

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II. Grundbegriffe des Kartellrechts

I. Einführung

II. Grundlagen des Kartellrechts

III. Kartellverbot (Art. 101 AEUV, §§ 1 ff. GWB)

IV. Missbrauchsverbot (Art. 102 AEUV, §§ 19 ff. GWB)

V. Sektorspezifische Missbrauchsaufsicht durch Regulierungsrecht

VI. Fusionskontrolle (FKVO, §§ 35 ff. GWB)

VII.Beihilfenrecht (Art. 107 ff. AEUV)

VIII.Vergaberecht

IX. Perspektiven der Wettbewerbspolitik

Gliederung

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

� Begriffe „Wettbewerb“ und „Wettbewerbsbeschränkung“• Definitionen str.• Wettbewerb = Abwesenheit von Wettbewerbsbeschränkung• Wettbewerbsbeschränkung = Beschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit der

Wirtschaftssubjekte durch Kooperations-, Behinderungs- oder Konzentrationsstrategien

� WettbewerbsfunktionenWirtschaftspolitische Wettbewerbsfunktionen• Steuerungs- und Ordnungsfunktion• Verteilungsfunktion (Allokationsfunktion)• Antriebs- und Leistungsfunktion

Gesellschaftspolitische Wettbewerbsfunktionen• Gleichmäßige Machtverteilung• Machtneutralisierende Wirkung

Wettbewerb und Wettbewerbsfunktionen

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

� Historische Ansätze• Klassische Nationalökonomie (Adam Smith):

Koordinierung der Märkte durch die „unsichtbare Hand“ / keine staatliche Intervention / Verengung auf Konzept des vollständigen Wettbewerbs

• Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs

� Heutige Ansätze• Harvard School: Workable Competition

• Chicago School (neoklassischer Ansatz): Consumer Welfare

• Austrian School (neoklassischer Ansatz): Wettbewerb als Entdeckungsverfahren

Wettbewerbstheorie

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

� Gewerbefreiheit in Preußen (1809)• Deutschland als „Land der Kartelle“

� Kartellverordnung (1923)• Beschränkung auf Missbrauchsaufsicht / Legalisierung des Phänomens

� Alliierte Dekartellierungsgesetze (1947)• Kartell- und Monopolisierungsverbot / „Klimawandel“

� Vorbereitung des GWB und der Verträge von Paris (EGKS) und Rom (EWG/EAG)• Ablösung der alliierten Dekartellierungsgesetze• Einführung einer neuen Wirtschaftsverfassung

� EGKS-Vertrag (1952)• Sektorspezifisches Kartellverbot und Fusionskontrolle

� Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen / EWG- und EAG-Vertrag (1958)• Allgemeines Kartellverbot und Missbrauchsaufsicht

� EWG-Kartellverfahrensverordnung 17/62 (1962)• Europäisches Verfahrensrecht

Historische Entwicklung in Deutschland und Europa

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

� 2. GWB-Novelle (1973)• Einführung der Fusionskontrolle in Deutschland

� Fusionskontrollverordnung 4064/89 (1989)• Einführung der Fusionskontrolle in Europa

� 6. GWB-Novelle (1998)• Ergänzung des GWB um das Vergaberecht

� Reform der EU-Kartellverfahrensverordnung durch die VO 1/2003 (2004)• System der Legalausnahme

� Reform der EU-Fusionskontrollverordnung durch die VO 139/2004 (2004)• Anpassung der Fusionskontrolle

� 7. GWB-Novelle (2005)• Angleichung des deutschen Rechts an das EU-Recht (insb. System der Legalausnahme)

� 8. GWB-Novelle (2013)• Weitere Angleichung des deutschen Rechts an das EU-Recht (insbes. im Bereich der

Fusionskontrolle)

Historische Entwicklung in Deutschland und Europa (Forts.)

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

„Drei Säulen des Kartellrechts“

↑Kooperations-

strategien

↑Behinderungs-

strategien

↑Konzentrations-

strategien

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

� Kartellverbot• Art. 101 AEUV: EU-Kartellverbot• EU-Gruppenfreistellungsverordnungen: Freistellung vom Kartellverbot• §§ 1 ff. GWB : Deutsches Kartellverbot• Art. 23 VO 1/2003: EU-Bußgeldnorm• § 81 GWB: Deutsche Bußgeldvorschriften• § 33 GWB: Schadenersatzanspruch (private enforcement)

� Missbrauchsverbot• Art. 102 AEUV: EU-Missbrauchsaufsicht• §§ 18 ff. GWB: Deutsche Missbrauchsaufsicht

� Fusionskontrolle• VO 139/2004: EU-Fusionskontrollverordnung• §§ 35 GWB: Deutsche Fusionskontrolle

Normative Grundlagen

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

� Räumlicher Geltungsbereich …• … des europäischen Kartellrechts: Gebiet der EU-Mitgliedstaaten (Art. 52 EUV)• … des deutschen Kartellrechts: Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (§ 130 (2) GWB)

� Anwendung des EU-Kartellrechts• Kartellverbot und Missbrauchsaufsicht: „Zwischenstaatlichkeitsklausel“

-> Wettbewerbsbeschränkung muss geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell spürbar zu beeinflussen

• Fusionskontrolle: „Gemeinschaftsweite Bedeutung“ eines Zusammenschlussvorhabens-> aufgrund absoluter Größe (Art. 1 Abs. 2 FKVO) oder -> aufgrund von Auswirkungen in mehreren Mitgliedstaaten (Art. 1 Abs. 3 FKVO)

Anwendungsbereich des europäischen / deutschen Kartellrechts

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

� Anwendungsvorrang des EU-Kartellverbots• Grundsätzlich parallele Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV und § 1 GWB

(vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 VO 1/2003 und § 22 Abs. 1 GWB)• Ergebnisidentität zwischen deutschem und europäischem Kartellrecht

(vgl. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO 1/2003 und § 22 Abs. 2 Satz 1 GWB)• Ausnahmeregelungen (Art. 3 Abs. 3 VO 1/2003 und § 22 Abs. 4 GWB)

� Eingeschränkter Anwendungsvorrang der EU-Missbrauchsaufsicht• Grundsätzlich parallele Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV und § 19 ff. GWB

(vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VO 1/2003 und § 22 Abs. 3 GWB)• Zulässigkeit eines strengeren Maßstabs nach nationalem Recht

(vgl. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003 und § 22 Abs. 3 Satz 3 GWB)• Ausnahmeregelungen (Art. 3 Abs. 3 VO 1/2003 und § 22 Abs. 4 GWB)

� Fusionskontrolle• Grundsätzlich one stop shop

• Ausnahmen: Art. 21 Abs. 4 FKVO, Art. 4 Abs. 4 und 5, Art. 9 und 22 FKVO

Anwendungsbereich des europäischen / deutschen Kartellrechts (Forts.)

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

� Exterritoriale Anwendung des EU-Kartellrechts• Auswirkungsprinzip (vs. Personalitäts- oder Territorialitätsprinzip):

Maßgeblich sind die Auswirkungen einer wettbewerbsbeschränkenden Maßnahme innerhalb des Gemeinsamen Marktes

• Im Einzelnen str.: z.T. genügt jede Auswirkung (KOM), z.T. wird Durchführung der Maßnahme innerhalb des Gemeinsamen Marktes verlangt (EuGH)

� Exterritoriale Anwendung des deutschen Kartellrechts• Auswirkungsprinzip (§ 130 Abs. 2 GWB):

Maßgeblich sind die Auswirkungen einer wettbewerbsbeschränkenden Maßnahme „im Geltungsbereich dieses Gesetzes“

Anwendungsbereich des europäischen / deutschen Kartellrechts (Forts.)

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

� Kartellrecht richtet sich an „Unternehmen“ und „Unternehmensvereinigungen“• Institutioneller vs. funktioneller Unternehmensbegriff:

„jede Einheit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt“• Begriff der wirtschaftlichen Einheit:

natürliche und juristische Personen ohne Rücksicht auf Größe, Umsatz, Rechtsform, etc. • Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit:

jede selbständige Tätigkeit in der Erzeugung oder Verteilung wirtschaftlicher Güter

� Fragen• Arbeits- und Tarifverträge?• Sozialversicherung?• Freie Berufe?• Öffentliche Unternehmen (vgl. Art. 106 AEUB / § 130 Abs. 1 GWB)• Konzernunternehmen (vgl. § 18 AktG)

„Unternehmensbegriff“

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

� Bedeutung der Marktabgrenzung• … für die Anwendung des Kartellverbots:

Zwischenstaatlichkeitsklausel und Spürbarkeit sowie Freistellungsvoraussetzungen• … für die Anwendung der Missbrauchsaufsicht:

Ermittlung einer marktbeherrschenden Stellung• … für die Fusionskontrolle:• Prüfung der Auswirkungen eines Zusammenschlussvorhabens im Hinblick auf eine

Wettbewerbsbeeinträchtigung

� Methode der Marktabgrenzung• Marktabgrenzung erfolgt in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht …• … grds. nach dem Bedarfsmarktkonzept: Zum relevanten Markt gehören alle Erzeugnisse,

die aus Sicht der Marktgegenseite aufgrund ihrer Eigenschaften, ihres Preises und ihres Verwendungszwecks als austauschbar angesehen werden (Nachfragesubstituierbarkeit).

• Kritik

Abgrenzung des relevanten Marktes

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

� Ausnahmebereiche nach EU-Recht• Landwirtschaft (Art. 42 AEUV)• Kriegswaffen (Art. 346 AEUV)

� Ausnahmebereiche nach früherem deutschem Recht• Umfangreicher Katalog im GWB (§§ 99 bis 103 a.F.) • Weitere Ausnahmen in Sondergesetzen

� Ausnahmebereiche nach derzeitigem deutschen Recht• Landwirtschaft (§ 28 GWB)• Energiewirtschaft (§ 29 GWB)• Pressewesen (§ 30 GWB) • Wasserwirtschaft (§§ 31 – 31b GWB)• Bundesbank und Kreditanstalt für Wiederaufbau (§ 130 Abs. 1 Satz 3 GWB)• Weitere Ausnahmen in Sondergesetzen

(Wett- und Glücksspielmonopol der Länder und Wegemonopol der Gemeinden)

Ausnahmebereiche

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

Sachverhalt:

R ist Rechtsanwalt und betreibt in Leipzig ein privates juristisches Repetitorium. In seinen Veranstaltungen bereitet R Jurastudenten auf die Staatsprüfungen vor. Seine Kunden sind fast ausschließlich Studierende, die an der Leipziger Juristenfakultät (J) eingeschrieben sind.

J stellt in vielen Universitätsgebäuden Werbeflächen zur Verfügung. Aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit J hat die T-GmbH (T) Hausverwaltung und Management für alle Universitätsgebäude übernommen. Unter anderem vermietet T Wechselrahmen für Plakate in der Mensa. Abschluss und Ausgestaltung der entsprechenden Mietverträge übernimmt T in eigener Verantwortung. Von den durch die Vermietung erzielten Einnahmen erhält J von T einen anteiligen Betrag.

R hatte seit 2011 drei Wechselrahmen in der Mensa gemietet und dort Plakate angebracht, um für sein Repetitorium zu werbe. Im April 2013 wies J die T an, Werbung von privaten juristischen Repetitorien in Universitätsgebäuden künftig zu unterbinden. T kündigte daraufhin den Vertrag mit R über die Anmietung der Werbeflächen und entfernte die noch vorhandenen Plakate.

Übungsfall: Der Repetitor

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

R hält die Weisung von J gegenüber T für kartellrechtswidrig. Er meint, er müsse weiter in Universitätsgebäuden werben können. J ist der Auffassung, es gebe in Leipzig genügend Möglichkeiten, mit Werbeplakaten und sonstiger Werbung Studenten anzusprechen.

Fragestellung:

Wie ist die Position von R aus kartellrechtlicher Sicht zu beurteilen?

Quelle: • OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.5.2009, 6 U 50/08 Kart• Alexander, Fälle zum Kartellrecht (2014)

Übungsfall: Der Repetitor (Forts.)

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

Lösungsskizze:

I. Verstoß der J gegen § 19 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 GWB (Marktmachtmissbrauch durch „unbillige Behinderung“)

1) J = Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 1 GWB), die als „Unternehmen“ am Wirtschaftsverkehr teilnimmt (kommerzielle Verwertung von Flächen)

2) R = „Unternehmen“ i.S. des funktionalen Unternehmensbegriffs

3) Marktbeherrschende Stellung der J

a) Sachlich relevanter Markt: mindestens Markt für Werbeflächen

b) Räumlich relevanter Markt: Einzugsgebiet der Universität

c) Marktbeherrschende Stellung? vgl. § 18 GWB

4) Erstes Zwischenergebnis: Kein Marktmachtmissbrauch der J i.S.v. § 19 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 GWB

Übungsfall: Der Repetitor (Forts.)

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

II. Verstoß der J gegen § 20 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 GWB (Missbrauch der „relativen Marktmacht“ durch unbillige Behinderung)

1) Abhängigkeit des R von J?

• Erscheinungsformen der Abhängigkeit: Abhängigkeit kann sortimentsbedingt, unternehmensbedingt, mangelbedingt oder nachfragebedingt sein

• Subsumtion: R ist nicht von J abhängig, weil R auf anderweitige Werbemöglichkeiten ausweichen kann

2) Zweites Zwischenergebnis: Kein Verstoß gegen § 20 Abs. 1 GWB mangels Abhängigkeit

Übungsfall: Der Repetitor (Forts.)

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

II. Grundlagen des Kartellrechts

III. Verstoß gegen § 21 Abs. 1 GWB („Boykottaufruf“)

1) R, J und T als beteiligte Unternehmen

2) Aufforderung an T (Adressatin) durch J (Verrufer) zu einer Liefersperre ggü. R (Verrufener)

3) Versuch einer Einflussnahme auf die Willensbildung des Adressaten

4) Absicht der unbilligen Behinderung: Interessenabwägung

• Interessen der J

• Interessen des R

5) Drittes Zwischenergebnis: Kein Verstoß gegen § 21 Abs. 1 GWB mangels Unbilligkeit

IV. Ergebnis: Entgegen der Einschätzung des R ist die Weisung von J gegenüber T kartellrechtlich nicht zu beanstanden.

Übungsfall: Der Repetitor (Forts.)

Dr. Erik Staebe: Vorlesung „Europäisches und deutsches Kartellrecht“ (WS 2015/16)

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Vielen Dank für Ihr Interesse an Teil 1 der Vorlesung!

Nächster Termin:28. Oktober 2014, 15.00 bis 19.00 Uhr,

Burgstr. 21, Raum 4.33