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ZUSAMMENFASSUNG Am Beispiel von Salzburg wird die generelle Pro- blematik von Stadt-Umland-Beziehungen erörtert. Durch die Auslagerung städtischer Funktionen spe- ziell in die angrenzenden Umlandgemeinden wächst die Stadt weit über ihre administrativen Grenzen hinaus – es entsteht der so genannte „Speckgürtel“. Die neue Siedlungsstruktur (admi- nistrative Kernstadt plus hoch suburbanisierte Um- landgemeinden) wird als „funktionale Kernstadt“ bezeichnet. Es ist evident, dass die traditionellen Raumplanungsinstrumente nicht mehr in der Lage sind, die hier ablaufenden Prozesse zu koordinieren und planmäßig zu gestalten. Der Vergleich zweier auf Telefoninterviews basie- renden Erhebungen, durchgeführt 1994/95 und 2001 in insgesamt 246 Gemeinden des weiteren Um- landes, verdeutlicht den wachsenden Einfluss- bereich der Stadt Salzburg als Zentrum der Funk- tionalregion. Die empirischen Befunde belegen eine territoriale Ausweitung der Interaktionen und ein markantes Ansteigen der Interaktionsdichte auf bayerischem und oberösterreichischem Gebiet. Es zeigt sich auch eine ausgeprägte Verschiebung der Besuchszwecke der Umlandbevölkerung vom un- verbindlichen Bummeln und Ausgehen zu Einkau- fen und kulturellen Aktivitäten. Durch die komplementären Prozesse Globalisie- rung und Regionalisierung werden neue räumliche Bezugseinheiten beziehungsweise regionale Wirt- schaftssysteme geschaffen, die keine Rücksicht auf traditionelle administrative Grenzen nehmen und somit nicht mit den bestehenden Planungsregionen übereinstimmen. Diese neuen Regionalökonomien müssen sich dem neu aufkommenden Wettbewerb der Regionen stellen. Dabei geht es darum, mit den immobilen Faktoren einer Region um die mobilen Wirtschaftsfaktoren erfolgreich zu werben. Ein SIR-MITTEILUNGEN UND BERICHTE BAND 29/2001 SEITE 7 – 18 7 SIR-MB 29/2001 E uroparegion Salzburg Univ.-Prof. Dr. Peter W e i c h h a r t Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien A-1010 Wien, Universitätsstraße 7 E-Mail: [email protected] PETER WEICHHART E uroparegion Salzburg Grenzüberschreitende Kooperation als Chance für die Positionierung im Wettbewerb der Regionen

Europaregion SIR-MITTEILUNGEN UND ERICHTE • B …homepage.univie.ac.at/peter.weichhart/Homepage/P195Europareg.pdf · traditionelle administrative Grenzen nehmen und somit nicht

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ZUSAMMENFASSUNG

Am Beispiel von Salzburg wird die generelle Pro-blematik von Stadt-Umland-Beziehungen erörtert.Durch die Auslagerung städtischer Funktionen spe-ziell in die angrenzenden Umlandgemeindenwächst die Stadt weit über ihre administrativenGrenzen hinaus – es entsteht der so genannte„Speckgürtel“. Die neue Siedlungsstruktur (admi-nistrative Kernstadt plus hoch suburbanisierte Um-landgemeinden) wird als „funktionale Kernstadt“bezeichnet. Es ist evident, dass die traditionellenRaumplanungsinstrumente nicht mehr in der Lagesind, die hier ablaufenden Prozesse zu koordinierenund planmäßig zu gestalten.Der Vergleich zweier auf Telefoninterviews basie-renden Erhebungen, durchgeführt 1994/95 und2001 in insgesamt 246 Gemeinden des weiteren Um-landes, verdeutlicht den wachsenden Einfluss-bereich der Stadt Salzburg als Zentrum der Funk-tionalregion. Die empirischen Befunde belegen eineterritoriale Ausweitung der Interaktionen und einmarkantes Ansteigen der Interaktionsdichte aufbayerischem und oberösterreichischem Gebiet. Eszeigt sich auch eine ausgeprägte Verschiebung derBesuchszwecke der Umlandbevölkerung vom un-verbindlichen Bummeln und Ausgehen zu Einkau-fen und kulturellen Aktivitäten.Durch die komplementären Prozesse Globalisie-rung und Regionalisierung werden neue räumlicheBezugseinheiten beziehungsweise regionale Wirt-schaftssysteme geschaffen, die keine Rücksicht auftraditionelle administrative Grenzen nehmen undsomit nicht mit den bestehenden Planungsregionenübereinstimmen. Diese neuen Regionalökonomienmüssen sich dem neu aufkommenden Wettbewerbder Regionen stellen. Dabei geht es darum, mit denimmobilen Faktoren einer Region um die mobilenWirtschaftsfaktoren erfolgreich zu werben. Ein

SIR-MITTEILUNGEN UND BERICHTE • BAND 29/2001SEITE 7 – 18

7SIR-MB 29/2001

Europaregion Salzburg

Univ.-Prof. Dr. Peter W e i c h h a r t

Institut für Geographie und Regionalforschung der

Universität Wien

A-1010 Wien, Universitätsstraße 7

E-Mail: [email protected]

PETER WEICHHART

Europaregion Salzburg

Grenzüberschreitende Kooperationals Chance für die Positionierung imWettbewerb der Regionen

Schlüsselkriterium zum Erfolg stellt dabei die effizi-ente Steuerung und Koordinierung der immobilenStandortfaktoren einer Region dar. Um die Steue-rungsfähigkeit herzustellen, ist es unerlässlich, einequasi-gebietskörperschaftliche Struktur zu schaf-fen, mit deren Hilfe deckungsgleich zur Funktional-region eine eigenständige Planungsregion konstitu-iert wird. Im Falle der Salzburger Stadt-Umland-Region muss dabei ein Konzept gefunden werden,mit dem ein grenzüberschreitendes Koordinati-onssystem geschaffen werden kann. Ein solches Vorhaben kann nur dann gelingen,wenn ein interkommunales Verbandsmodell ent-wickelt wird, bei dem konsensbasierte Lenkungs-instrumente eingesetzt werden. Die räumliche undkonzeptionelle Ausweitung der bereits bestehen-den grenzüberschreitenden regionalen Kooperati-onsstruktur der EuRegio Salzburg – Berchtes-gadener Land – Traunstein wäre ein Erfolg ver-sprechender Weg, um die Wettbewerbsfähigkeitdes grenzüberschreitenden Salzburger Zentral-raums erheblich zu verbessern und langfristig zusichern.

ABSTRACT

Salzburg serves as an example for discussing thegeneral problems of the relations between core ci-ties and their surroundings. Due to the migrationof urban functions above all to the bordering mu-nicipalities, the cities grow far beyond their admi-nistrative boundaries – the so-called "Speckgürtel"(Wealth Belt) is evolving. The resulting new set-tlement structure (comprising the administrativecore city plus the highly suburban surrounding municipalities) is referred to as "functional core ci-ty". It is evident that the traditional instruments ofspatial planning are unsuitable for coping with theco-ordination and organisation of the processes involved.In the presented paper, the author refers to twosurveys based on telephone interviews which wereperformed in 1994/95 and 2001 among a total of246 municipalities of the wider surroundings.Their comparison illustrates the growing sphereof influence of Salzburg City as centre of the func-tional region. The empirical findings provide pro-of of the territorial extension of interactions and apronounced increase of the interaction density onBavarian and Upper Austrian territories. The rea-sons of the suburban population for visiting Salz-

burg are also characterised by a marked shift:They have changed from non-committal taking astroll and going out to shopping and cultural ac-tivities.The complementary processes of globalisation andregionalisations have created new spatial units ofreference and regional economic systems that dis-regard any traditional administrative borders and,in consequence, do not correspond with existingplanning regions. These new regional economieshave to meet the rising competition between re-gions. This implies that the immobile economicfactors of a region have to be successful in courtingfor the mobile factors. In this respect, the efficientsteering and co-ordination of a region's immobilelocation factors constitute a key criterion on theway to success. In order to acquire steering com-petence, it will be indispensable to create some-thing like a territorial authority structure whichwill help to constitute an independent planning re-gion in congruence with the functional region. Inthe case of the region Salzburg City and surroun-dings, a concept has to be found which is suitableto create a system of trans-border co-ordination. Such an endeavour will only be successful if a mo-del of inter-communal networks is developedwhich depends on consensus-based steering in-struments. The spatial and conceptual expansionof the EuRegio Salzburg – Berchtesgadener Land– Traunstein, the already existing cross-borderstructure of regional co-operation, might be a pro-mising way towards a considerable improvementand long-term securing of the competitiveness ofthe trans-border Salzburg agglomeration.

DIE STADT SALZBURG UND IHR UMLAND –EINE DISHARMONISCHE BEZIEHUNG?

Seit dem Sommer 2001 wird in der Salzburger Öf-fentlichkeit und in den Medien eine sehr engagierteDiskussion um die Wahl einer der neuen Flachgau-er Städte zur „regionalen Hauptstadt mit Verwal-tungs- und Gerichtsinstanzen“ (Flachgauer Nach-richten v. 26. 7. 2001, S. 4) geführt. In dieser aktuel-len Diskussion kommt wieder einmal eine markan-te Polarisierung zwischen der Kernstadt Salzburgund den Umlandgemeinden zum Ausdruck. Zu-sätzlich zeichnet sich schon ein Konkurrenzkampfzwischen den neuen Städten ab: Welche von ihnenwird denn bei der kommenden Auseinanderset-zung der „Sieger“ sein? Wer bietet mehr? Auch

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Wals-Siezenheim ist in der Zwischenzeit als mögli-che neue „Bezirkshauptstadt“ im Gespräch. Die wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mitSiedlungsstrukturen beschäftigen und die hier zu-ständige Theorie der Zentralen Orte gehen aller-dings mit Entschiedenheit davon aus, dass Städteder höchsten Zentralitätsstufen immer auchgleichzeitig die Funktionen von Viertelshaupt-städten wahrnehmen. Ein Oberzentrum wie dieStadt Salzburg übernimmt für sein engeres Um-land die Funktionen der nächst niedrigeren Zen-tralitätsstufen. Nur das macht auch regionalöko-nomisch einen Sinn. Lösungen, die dieser regio-nalökonomischen Gesetzlichkeit widersprechen,lassen sich nur als politische Kraftakte und gegendie Eigendynamik der Siedlungsentwicklungdurchsetzen. Sie stehen in Widerspruch zu denraumstrukturellen Sachzusammenhängen undder Logik der Standortsysteme von Stadt-Um-land-Regionen. Setzen wir doch einmal die Argumente, die für eineneue Bezirkshauptstadt vorgebracht werden, mitder empirisch vorfindbaren Realität der Standort-strukturen im Salzburger Zentralraum und ihreraktuellen Entwicklungsdynamik in Beziehung. Da-bei wird sich zeigen, dass in Wahrheit ganz andereProbleme auf der Tagesordnung stehen sollten,wenn es darum geht, verantwortungsbewusst undzukunftssichernd Wirtschaftskraft und Lebensqua-lität der gesamten Region zu erhalten, auszubauenund weiterzuentwickeln. Mehr Eigenständigkeit für die Umlandgemeinden.– Das war eine der Forderungen und Begründun-gen im Diskurs um die neue Bezirkshauptstadt. DieUmlandgemeinden müssten sich endlich emanzi-pieren und sich gleichsam aus dem Joch der Lan-deshauptstadt lösen. Wenn man die siedlungsstrukturelle und regional-ökonomische Sachlage betrachtet, dann lässt sichdiese Forderung nur als relativ massive Form derRealitätsverweigerung qualifizieren. Tatsächlichhaben die Gemeinden in Österreich und damit auchdie Umlandgemeinden der Landeshauptstadt einebesonders hohe Autonomie und Gestaltungsfrei-heit. Von diesen Entscheidungsfreiheiten könnenetwa die Gemeinden im benachbarten Bayern nichteinmal träumen. Das eigentliche Problem ist hier nicht die mangeln-de Eigenständigkeit der Gemeinden, sondern dievöllig ungenügende Koordination von Siedlungs-entwicklung und Standortplanung auf regionalerEbene. Genau dies ist ein Kernproblem aller Stadt-Umland-Regionen, nicht nur in Europa.

Eine weitere Begründung, die Forderung nach De-zentralisierung, erscheint auf den ersten Blickdurchaus plausibel. Dezentralisierung ist ein posi-tiv besetzter Begriff, er verweist auf mehr Bür-gernähe, Selbstbestimmtheit und den Abbau „ob-rigkeitlicher“ Lenkung. Die Frage ist allerdings, obdie Verlagerung der Bezirkshauptmannschaft in ei-ne der neuen Städte tatsächlich diesem Sinn des Be-griffes „Dezentralisierung“ entspricht. Faktum ist,dass der bestehende Standort in unmittelbarerNähe zum Hauptbahnhof aus Erreichbarkeitsgrün-den als optimaler Standort bezeichnet werdenkann, weil die Summe aller Verkehrsaufwendun-gen hier minimiert ist. Eine andere wichtige Begründung war, dass dieWohnbevölkerung im Bezirk Salzburg-Umgebungextrem stark angewachsen ist. Sobald die Datender letzten Volkszählung vollständig vorliegen,wird sich zeigen, dass auch die Zahl der Arbeits-plätze in den Umlandgemeinden erheblich zuge-nommen hat. Davon sind vor allem die unmittel-baren Anrainergemeinden der Kernstadt, die Ge-meinden „im zweiten Glied“ und die höherrangi-gen Zentralen Orte im mittleren Bereich des Zen-tralraumes betroffen.

DIE ROLLE DER KERNSTADT

Was zeigt uns diese demographische Entwicklung?Nichts anderes, als dass sich die funktionale Kern-stadt räumlich immer stärker ausdehnt. Dieser Pro-zess führt genau zu jenem Phänomen, das wir als„Speckgürtel“ bezeichnen. Die Kernstadt wächstauf dem Territorium der Umlandgemeinden. Essind städtische Funktionen, die auf dem Gebiet deradministrativen Kernstadt keinen Platz mehr habenund im Zuge der Suburbanisierung auf das Gebietder Umlandgemeinden ausweichen. In früheren Zeiten wurde dieses Problem durchEingemeindungen gelöst. Die Städte konnten im ei-gentlichen Wortsinn räumlich wachsen, indem siesich die unmittelbar angrenzenden Kommunen ein-fach einverleibten. Heute findet dieses Wachstumdurch Auslagerung statt. Ein wesentlicher Hintergrund für die Wachstums-erfordernisse sind die veränderten Raumansprüchestädtischer Funktionen. So haben sich die Fläche-nerfordernisse für die Wohnfunktion seit den 60erJahren verdoppelt. Eine Suburbanisierung derWohnfunktion ist die Folge. Ähnlich rasant stiegendie Raumansprüche für Produktion, Lagerhaltung,

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Abb. 1: Besuchshäufigkeit der Landeshauptstadt Salzburg – INI 1994/95

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Abb. 2: Besuchshäufigkeit der Landeshauptstadt Salzburg – INI2001

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Abb. 3: Veränderung der Besuchshäufigkeit der Landeshauptstadt Salzburg von 1994/95 bis 2001

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Verkehr, Dienstleistungen und Einzelhandel. Inden engen administrativen Grenzen der Kernstädtekönnen diese Ansprüche immer weniger erfülltwerden, deshalb müssen die betreffenden Funktio-nen in das Umland abwandern. Dadurch kommt es zu einer Intensivierung tages-rhythmischer Interaktionen zwischen der Kernstadtund dem Umland. Weil von der Auslagerung be-sonders intensiv die unmittelbar angrenzenden Ge-meinden betroffen sind, entwickelt sich eine völligneue Siedlungsstruktur, die als „funktionale Kern-stadt“ bezeichnet werden kann. Sie besteht aus deradministrativen Kernstadt und den besonders starksuburbanisierten Nachbargemeinden. Dieser Pro-zess hängt sehr stark mit den Modernisierungs-,Rationalisierungs- und Kostensenkungserforder-nissen zusammen, die durch die Globalisierungverursacht wurden.Wenn man nun von der funktionalen Kernstadtdie administrative Kernstadt gleichsam subtra-hiert, bleibt genau jenes Phänomen übrig, das wirals „Speckgürtel“ bezeichnen. Es sind all jene un-mittelbar benachbarten Umlandgemeinden, dievom Suburbanisierungsprozess am meisten profi-tiert haben, die enorme Wachstumsraten bei der Be-völkerung und vor allem bei den Betriebsansied-lungen und Arbeitsplätzen aufweisen. Diese Entwicklungsdynamik ist schon seit einigenJahrzehnten im Gange. Betrachtet man das Musterder Siedlungsflächen im Kernbereich des Salzbur-ger Zentralraumes, so erhält man den Eindruck ei-ner weitgehend geschlossenen baulichen Struktur,die von Hallein im Süden bis Anthering im Norden,von Eugendorf im Osten bis inklusive Freilassingim Westen reicht. Die funktionale Kernstadt istauch im Siedlungsbild klar erkennbar.Das alles ist zunächst überhaupt nicht dramatisch.Eine solche Entwicklungsdynamik ist die einzigeMöglichkeit für eine Stadtregion, den Erfordernis-sen der globalisierten Marktwirtschaft gerecht wer-den zu können. Ohne diese Suburbanisierungsdy-namik würde die gesamte Region ökonomisch stag-nieren und marginalisiert werden. Zum Problemwird die Entwicklung aber dadurch, dass die tradi-tionellen Steuerungssysteme der Raumentwicklungnicht im Stande sind, die ablaufenden Prozesse zukoordinieren und planmäßig zu gestalten. UnsereRaumordnungssysteme stehen dieser „postfordisti-schen“ Entwicklungsdynamik so gut wie hilflos ge-genüber. Das ist natürlich nicht nur in Salzburg,sondern in ganz Europa der Fall. Besonders dramatisch und sozusagen „strafver-schärfend“ wirkt sich im Falle des Salzburger Zen-

tralraumes nun die Tatsache aus, dass diese Stadt-Umland-Region von hochrangigen administrativenGrenzen gleichsam zerschnitten wird. Die funktio-nale Region wird nicht nur von einer Landesgrenze,sondern – schlimmer noch – auch von einer Staats-grenze durchschnitten. Das bedeutet, dass unter-schiedliche und inkompatible rechtliche Grundla-gen für die Steuerung der Raumentwicklung undvon Standortentscheidungen bestehen. Auch das istnatürlich keine singuläre Besonderheit des Salzbur-ger Zentralraumes, sondern kommt auch anderswoin Europa immer wieder vor.

ABGRENZUNG DER FUNKTIONALREGION

Einen aussagekräftigen Hinweis auf die Ausdeh-nung der funktionalen Region des Salzburger Zen-tralraumes geben die Pendlerbeziehungen. DerPendlereinzugsbereich der funktionalen KernstadtSalzburg reichte bereits 1991 weit in das südlicheInnviertel und in die Bezirke Vöcklabruck undGmunden. Man kann diesen Pendlereinzugsbe-reich als erste Annäherung an die Ausdehnung desSalzburger Zentralraumes auf österreichischemTerritorium betrachten. Gleichzeitig lässt sich dasBeispiel sehr gut als Illustration für das heute gän-gige Verständnis des Begriffes „Region“ verwen-den. In den planungs- und regionalwissenschaftli-chen Disziplinen geht man davon aus, dass „Regio-nen“ keine starren „Raumeinheiten“ sind, diedurch irgendwelche „natürliche“ oder administrati-ve Grenzen definiert sind. Regionen werden viel-mehr als Ergebnis der sozialen Praxis und als Stand-ort-Interaktions-Systeme verstanden. Ihr Außen-rand befindet sich dort, wo die Dichte der sozialenInteraktionen sprunghaft abnimmt. Wenn sich diesoziale Praxis ändert, verändert sich auch die Lagedes Außenrandes. Deshalb kann man für Stadt-Um-land-Regionen auch keine messerscharfen Grenzenangeben. Pendlerbeziehungen sind ein sehr aussa-gekräftiger Indikator für Stadt-Umland-Regionen.Zu den hier relevanten Interaktionen, welche alsAusdruck der sozialen Handlungspraxis angesehenwerden können, zählen auch zentralörtliche Bezie-hungen, Kaufkraftströme oder Bildungspendler. Für eine Abgrenzung der Funktionalregion desSalzburger Zentralraumes, welche auch den bayeri-schen Anteil berücksichtigt, können Daten verwen-det werden, die im Sommer 1995, also kurz nachdem EU-Beitritt Österreichs erhoben wurden. ImRahmen eines Geländepraktikums am Institut für

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Geographie und Angewandte Geoinformatik wur-de in der bayerischen Grenzstadt Freilassing eineKundenbefragung durchgeführt. An fünf Standor-ten des Einzelhandels wurden innerhalb einer Wo-che mehr als 2.200 Konsumenten interviewt, wobeiunter anderem die Wohnsitzgemeinde der Kundenerfasst wurde. Damit war es möglich, das Kun-deneinzugsgebiet von Freilassing recht genau abzu-grenzen. Es reicht im Westen bis an den Chiemseeund im Süden weit in den Pinzgau und Pongau. ImNorden und Osten deckt es sich erstaunlich exaktmit dem Pendlereinzugsbereich der funktionalenKernstadt (vgl. A. DALZIO, 1995). In einer anderen Erhebung, die Ende 1994 – Anfang1995 in Form einer telefonischen Befragung statt-fand, wurde die Häufigkeit ermittelt, mit der dieBewohner von 246 Gemeinden im weiteren Um-land die Stadt Salzburg für private Zwecke aufsu-chen (P. WEICHHART, 1996, S. 97–-99). Aus denProbandenreaktionen wurde ein Indikator konstru-iert, der als „Index der Nutzungsintensität“ (ab-gekürzt „INI“) bezeichnet wird. Mit diesen Datenkann für jede Gemeinde des Untersuchungsgebie-tes indikatorisch ein Maß für die Besuchshäufigkeitder Landeshauptstadt für nicht-berufliche Zwecke angegebenwerden. Für die Erhebung 1994/95 ergibtsich ein Verteilungsmuster derBesuchshäufigkeit, bei dem dieStaatsgrenze noch deutlich alsBarriere erkennbar ist (Abb. 1). Eszeigt sich, dass der Bereich derhöchsten Besuchshäufigkeit unddamit der höchsten Interaktions-dichte zwischen Umland undKernstadt mit der durch diePendlerverflechtung definierba-ren Außengrenze des SalzburgerZentralraumes zusammenfällt. In den Monaten März und Aprildieses Jahres wurde im Auftragder Stadt Salzburg eine Nacher-hebung dieses Indikators mit dergleichen Untersuchungsmethodik durchgeführt (P.WEICHHART, 2001 a). Unter anderem sollte damitgeklärt werden, ob sich die Interaktionshäufigkeitnach dem EU-Beitritt Österreichs verändert hat. Das Ergebnis dieser aktuellen Erhebung ist in Ab-bildung 2 dargestellt. Gegenüber dem Stand von1994/95 geht klar hervor, dass die Häufigkeit desBesuchs der Kernstadt erheblich zugenommen hat.Vor allem am Außenrand ist die Interaktionsdichte

zwischen Umland und Kernstadt der Region deut-lich angestiegen. Die gesamte Region wächst stär-ker zusammen. Die höchsten Zuwachsraten gibt esdabei bei den bayerischen Gemeinden. Man kann diese Veränderungen gut sichtbar ma-chen, wenn man ein wenig „kartografische Arith-metik“ betreibt und pro Gemeinde von den INI-Werten 2001 die Werte der Vorerhebung subtra-hiert. Stellt man diese Differenz im Kartenbild dar(Abb. 3), dann wird noch deutlicher erkennbar,dass die Bewohner der bayerischen Nachbarge-meinden nach dem EU-Beitritt die Kernstadt Salz-burg erheblich häufiger aufsuchen. Sehr hohe Zu-wachsraten sind auch im oberösterreichischen An-teil des Zentralraumes zu erkennen. Bei dieser neuen Umfrage wurde auch nach demZweck des Besuches in der Kernstadt gefragt. Hiersind ebenfalls sehr erhebliche Veränderungen imSinne einer Nutzungsintensivierung erkennbar. Soergibt sich etwa für die bayerische Umlandbevölke-rung die in Abb. 4 erkennbare Veränderung. Bei der ersten Erhebung war das unverbindliche„Bummeln“ der wichtigste Besuchszweck unsererNachbarn, gefolgt von kulturellen Aktivitäten.

„Einkaufen“ war mit etwa 7% der Nennungensehr schwach vertreten. Die aktuelle Untersu-chung zeigt, dass die eher unverbindlichen Akti-vitäten „Bummeln“ und „Ausgehen“ stark zu-rückgegangen sind. Die Einkaufsaktivitäten habensich hingegen verdreifacht, und die kulturellen Be-suchszwecke haben von einem bereits hohen Aus-gangswert noch einmal zugelegt und nehmen jetztden ersten Rang ein.

Abb. 4: Die Veränderung der Besuchszwecke zwischen 1994/95und 2001 in den bayerischen Gemeinden

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Zusammenfassend können wir in grober Nähe-rung Folgendes festhalten: Der Salzburger Zentral-raum in seiner aktuellen Struktur umfasst ein Ge-biet im Radius von etwa 50 km Luftlinie rund umdie Kernstadt. Die innerregionale Interaktions-dichte nimmt im Zeitverlauf zu. Wir könnenaußerdem davon ausgehen, dass der Zentralraumtendenziell wächst und der Radius im Zeitverlaufgrößer wird. In grober Schätzung handelt es sichum ein Gebiet mit etwa 750.000 Einwohnern, fürwelche die Stadt Salzburg als Oberzentrum fun-giert. Rechnet man noch die Bewohner der Be-zirksgaue dazu, welche die Kernstadt auf der Lan-deshauptstadtstufe nutzen, dann umfasst der ge-samte zentralörtliche Bereich von Salzburg knappeine Million Einwohner.

GLOBALISIERUNG UND REGIONALISIERUNG

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Neu-strukturierung unserer Standortsysteme etwas mitdem Prozess der Globalisierung zu tun hat. Die„Globalisierung“ ist der Ausdruck eines fundamen-talen Umbaues unserer Sozial- und Wirtschaftssys-teme. In der Sprache der so genannten „Regulati-onstheorie“ wird dieser Umbau auch als Übergangvom „Fordismus“ zum „Postfordismus“ bezeich-net. Er hängt zusammen mit dem Verlust der Steue-rungskompetenz der Nationalstaaten, mit den neu-en Informations- und Kommunikationstechnologi-en, mit der Emanzipation der Geldwirtschaft undder Konzentration der ökonomischen Macht auf ei-nige wenige Global Players. Eine bedeutsame Aus-wirkung dieser fundamentalen Veränderung ist dieNeuordnung unserer Standortsysteme. Die „Le-benswelt“ wie die Wirtschaft werden zunehmendregional strukturiert. In der Agrar- und der Industriegesellschaft warensoziale und wirtschaftliche Prozesse sehr stark andie räumliche Bezugseinheit der Gemeinde gebun-den. Heute funktionieren sozioökonomische Syste-me auf der territorialen Basis großräumiger Regio-nen, die ihrerseits in die Gesamtdynamik der Welt-wirtschaft eingebunden sind. Diese „Regionalisie-rung“ ist ein komplementärer Prozess zur Globali-sierung. Man spricht daher auch von „Glokalisie-rung“. Die Regionalisierung der Wirtschaft ist eineder zentralen Voraussetzungen des Globalisie-rungsprozesses. Durch diese Regionalisierung ent-stehen neue räumliche Bezugseinheiten für unseresozioökonomischen Systeme.

Dies hat unangenehme Folgen. Unsere traditionel-len administrativen Grenzen, die gleichzeitig auchdie Grenzen von Planungsregionen sind, passennun nicht mehr mit den aktuellen Funktionalregio-nen zusammen, die im Gefolge der Glokalisierungentstanden sind. Das bedeutet, dass die bestehen-den Instrumente der Koordination und Steuerungvon Standortsystemen in immer stärkerem Maßewirkungslos und ineffizient werden. Sie sind nichtan die neue Situation anpassbar. Genau das ist daszentrale Problem aller Stadt-Umland-Regionen.Und dieser Mangel eines regionalen Koordinations-instrumentariums führt unter anderem dazu, dasswir mit den Fehlentwicklungen im Umland unsererKernstädte nicht zu Rande kommen.

DER WETTBEWERB DER REGIONEN – URSACHEN UND FOLGEN

Das alles wäre bereits schlimm genug. Gleichsamverschärfend kommt nun aber noch eine besonderswichtige und wirksame Besonderheit der postfordis-tischen Wirtschaftssysteme zum Tragen, welche dieSteuerungsfähigkeit der regionalökonomischen Sys-teme zum Schlüsselkriterium für ihren wirtschaft-lichen Erfolg macht: Es ist der Wettbewerb der Re-gionen.Die Globalisierung und die weltweite Ausbreitungder Marktwirtschaft haben dazu geführt, dass auchder Wettbewerb globale Dimensionen angenommenhat. Zusätzlich wird der ökonomische Wettbewerbdurch eine neue Austragungsform qualitativ erwei-tert. Mit der Regionalisierung der Wirtschaft werdenKonkurrenz- und Wettbewerbsbeziehungen nichtmehr nur auf der Ebene der Betriebe wirksam, son-dern finden zunehmend zwischen Regionen statt. Was sind eigentlich die Hintergründe für den Wett-bewerb der Regionen? Nach dem heutigen Verständnis der Regionalöko-nomie müssen Regionen als „Standortsysteme“aufgefasst werden. Sie stellen räumlich struktu-rierte Gefüge von Menschen, Bauten, Anlagen,Maschinen, Institutionen, Regeln und Organisa-tionen dar. Dabei muss man zwischen mobilenund immobilen Standortfaktoren unterscheiden.Mobile Faktoren lassen sich mit relativ geringenKosten problemlos räumlich verschieben, immo-bile sind ortsfest. Das heißt, ihre Verschiebung aneinen anderen Ort würde extrem hohe Kostenverursachen oder ist schlicht nicht möglich. Fürdie Funktionsfähigkeit der Wirtschaft bedeutet

dies, dass immobile Faktoren um mobile Faktoren„werben“ müssen. Zu den mobilen Faktoren zählt man Unternehmer,Betriebe, qualifizierte Arbeitskräfte und vor allemKapital. Mobile Faktoren wandern genau dorthin,wo sie möglichst attraktive standortspezifischeProduktionsbedingungen vorfinden. Verschlech-tern sich die Produktionsbedingungen vor Ort,wandern sie nach den Prinzipien der ökonomi-schen Rationalität sehr rasch ab.Immobile Faktoren sind all jene Grundlagen undVoraussetzungen der Wirtschaft, die man nichtoder nur mit sehr hohen Kosten räumlich verlagernkann. Es handelt sich hier um sesshafte Arbeitskräf-te, investiertes Sachkapital, Boden, Infrastruktur,rechtliche, gesellschaftliche und ethische Normen,Gesetze und alle so genannten „weichen“ Standort-faktoren. Dazu zählen etwa Wirtschaftsfreundlich-keit, soziales Klima, Image, Kostenstruktur, Versor-gung, Verkehrssystem, Kultur, Bildungseinrichtun-gen, Sport- und Freizeitinfrastruktur, Ambienteund städtisches Flair, Bodenpreise (besonders wich-tig) oder Umweltqualität.Der Wettbewerb der Regionen findet nun auf derGrundlage des so genannten „Arbitrage-Prozes-ses“ statt. Unter „Arbitrage“ versteht man in derÖkonomie die Nutzung von Preisunterschieden,die für ein bestimmtes Gut auf verschiedenenTeilmärkten beziehungsweise an unterschiedli-chen Standorten existieren. Der „Wettbewerb derRegionen“ kommt dadurch zu Stande, dass Wirt-schaftssubjekte Qualitäts- und Kostendifferenzender immobilen Faktoren nutzen. Sie verlagern ih-re Aktivitäten in jene Region, die ihnen den größ-ten Nutzen verschafft. In Anlehnung an STRAUBHAAR (1996, S. 225)kann man daraus Folgendes ableiten: Regionenhaben auf der Grundlage immobiler Produkti-onsfaktoren „... die Möglichkeit, durch eine at-traktive Standortgestaltung mobile Produktions-faktoren anzuziehen. ... Eine schlechte Standort-politik wird durch Abwanderung bestraft, einegute durch Zuwanderung belohnt.“ Die Pointe dieser Geschichte lautet: Ein erhebli-cher Teil der immobilen Standortfaktoren einerRegion wird vom Raumordnungssystem produ-ziert und ist das Produkt effizienter Koordinati-ons- und Steuerungsmaßnahmen. Damit wird dieSteuerungsfähigkeit von Regionalökonomienzum entscheidenden Schlüsselkriterium für ihrenwirtschaftlichen Erfolg. Die Gretchenfrage lautet nun: Wie lässt sich dieSteuerungsfähigkeit einer Regionalökonomie her-

stellen? Wie kann sie verbessert werden? Die ak-tuell existierenden Planungsregionen, deren Zu-schnitt auf der Grundlage der administrativenGrenzen vorgenommen wurde, lassen eine Pro-blemlösung nicht zu. Denn die neuen Regionalöko-nomien haben eben die Eigenheit, sich unbeküm-mert über die administrativen Territorialgrenzenhinweg auszubreiten. Die aktuellen Planungsregio-nen spiegeln die Territorialstruktur sozioökonomi-scher Systeme wider, wie sie vor einem Jahrhundertwirksam waren, sie passen einfach nicht mit denwesentlich weiträumigeren Interaktionsformen derGegenwart zusammen. Noch dazu sind die Gren-zen der aktuellen Verflechtungsbereiche instabilund können sich mit dem Wandel der sozioökono-mischen Praxis rasch verändern.Um für den aktuellen Verflechtungsbereich derneuen Regionalökonomie Steuerungsfähigkeit her-zustellen, gibt es nur eine Handlungsoption: DieSchaffung einer quasi-gebietskörperschaftlichenStruktur, mit deren Hilfe deckungsgleich zurFunktionalregion eine eigenständige Planungsre-gion konstituiert wird. Nur dadurch ist es möglich, gemeinsame Manage-ment- und Lenkungsaktivitäten zu setzen, einenKooperationsverbund zu schaffen und damit dieimmobilen Faktoren der Gesamtregion und ihreStandortstruktur zu optimieren. Eine solche Vorgangsweise ist nicht das Hirnge-spinst weltfremder Planungstheoretiker, sondernwurde in einer ganzen Reihe besonders erfolgrei-cher neuer Regionalökonomien in Europa bereits indie Realität umgesetzt. Als konkretes Beispiel kanndie Region Stuttgart genannt werden. Dort trat 1994ein Landesgesetz in Kraft, auf dessen Grundlage einsehr effizienter Regionalverband konstituiert wur-de, der die knapp 180 Gemeinden der aktuellenFunktionalregion umfasst und mit hochrangigenPlanungskompetenzen ausgestattet ist. Diese Region Stuttgart weist eine sehr wichtige Be-sonderheit auf, die als entscheidende Vorausset-zung für das Funktionieren einer solchen Planungs-und Entwicklungsregion neuen Stils angesehenwerden muss. Sie hat sich nämlich auch als „politi-sches Subjekt“ konstituiert. Es gibt ein eigenes Re-gionalparlament, dem ein Regionalpräsident vor-steht, und es finden Regionalwahlen statt. Damit istdiese Planungsregion demokratiepolitisch abgesi-chert und es gibt damit auch politische Instanzen,die sich auf der regionalen Ebene profilieren undden großen Erfolg der neuen Regionalpolitik „ein-fahren“ können. Die politische Eigenständigkeit derStadt-Umland-Region wird auch dadurch erkenn-

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„EUROPAREGION SALZBURG“ – GRENZÜBERSCHREITENDE KOOPERATION ALS CHANCE FÜR DIE POSITIONIERUNG IM WETTBEWERB DER REGIONEN

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bar, dass erst im Juli 2001 von der Regionalver-sammlung ein „europapolitisches Maßnahmenpa-ket“ beschlossen wurde. Dadurch wird es unter an-derem möglich, eine ständige Repräsentanz der Re-gion in Brüssel einzurichten. Die Stadt-Umland-Re-gion Stuttgart macht also ernst mit dem Schlagwortvom „Europa der Regionen“. Die Existenz eines Re-gionalparlaments beziehungsweise die damit er-folgte Konstituierung der Region als „politischesSubjekt“ war für diesen Schritt natürlich eine ent-scheidende Bedingung.Es ist völlig klar, dass das Modell Stuttgart nichteins zu eins auf den Salzburger Zentralraum über-tragen werden kann. Dies ist schon wegen derStaats- und Landesgrenzen nicht möglich, welcheunsere Funktionalregion durchschneiden. Aberman kann aus Beispielen wie Stuttgart eine ganzeMenge lernen. Aus den bisherigen Überlegungen lassen sich eineReihe von Folgerungen und Forderungen ableiten. Die Problemlage der Salzburger Stadt-Umland-Re-gion reicht weit über die Kontroversen zwischenKernstadt und dem „Speckgürtel“ der Nodalregionhinaus. Die eigentliche Dramatik liegt in den heutewirksamen Rahmenbedingungen der Globalisie-rung und dem daraus resultierenden „Wettbewerbder Regionen“. Es besteht die akute Gefahr, dassder Salzburger Zentralraum den Herausforderun-gen dieses Wettbewerbs nicht mehr gewachsen ist.Der gesamte Standortkomplex kann zum Schadender regionalen Bevölkerung und Wirtschaft seinedurchaus hohen Potenziale nur ungenügend inWert setzen, falls es nicht gelingt, eine zeitgemäßeModernisierung der Raumordnung im Sinne einerregionalen Entwicklungsplanung in die Wege zuleiten.Im Verlaufe des Globalisierungsprozesses kam eszu einer massiven Umgestaltung von Standort-strukturen. Diese Prozesse sind weltweit wirksam.Man kann ihnen weder durch nationalstaatlicheMaßnahmen noch durch restriktive Regelungen aufLandesebene begegnen. Als besonders bedeutsa-mes Charakteristikum der neuen sozioökonomi-schen Systeme ist der Aufschwung regionaler Wirt-schafts- und Standortsysteme anzusehen. Diese„Regionalisierung“ stellt einen immanenten Be-standteil der Globalisierungsdynamik dar. Als spe-zifische Merkmale regionaler Wirtschaftssystemegelten dabei Clusterbildung, kreative Netzwerke,flexible Spezialisierung, innerregionale Kooperati-on, regionale Identität sowie die „weichen Standort-faktoren“. Aus dem Zusammenspiel dieser Fakto-ren kann das Entstehen neuer Regionalökonomien

oder so genannter „New Industrial Districts“ abge-leitet werden.Diese regionalen sozioökonomischen Systeme ste-hen untereinander in einem massiven Wettbewerb.Als eigentliche Ursache für den Wettbewerb der Re-gionen kann dabei die zunehmende Mobilität einerReihe von Produktionsfaktoren identifiziert wer-den. Dadurch steigt die Bedeutung der immobilenStandortfaktoren erheblich, denn die mobilen Fak-toren können sich heute die jeweils attraktivsteStandortregion „aussuchen“. Daraus folgt, dass Re-gionen, die sich dem Wettbewerb nicht stellen undihre Chancen nicht nutzen, unweigerlich schwerenSchaden erleiden müssen. Positiv formuliert, heißtdies: Eine Region muss mit ihren Pfunden wuchern,sonst wird sie untergehen. Grundlegende Voraus-setzung dafür ist die Schaffung eines effizientenSteuerungssystems für die Standortproduktion.

DIE EUROPAREGION SALZBURG – LÖSUNGSVORSCHLÄGE

Eine nachhaltige Lösung der Raumordnungspro-bleme und eine gedeihliche Weiterentwicklung derStadt-Umland-Region Salzburg wird nur dannmöglich sein, wenn es gelingt, eine grenzübergrei-fende Lenkungsstruktur zu entwickeln, diedeckungsgleich ist mit der aktuellen und potenziel-len Funktionalregion. Als Lösungsweg kommt eigentlich nur eine Hand-lungsoption in Frage, nämlich ein interkommunalesKooperationsmodell, bei dem auf dem Weg überdie freiwillige Selbstbindung und privatrechtlicheVerträge konsensbasierte Lenkungsinstrumenteeingesetzt werden (vgl. P. WEICHHART, 2001 b). Als Arbeitsbezeichnung für eine solche regionaleBündelung der Kräfte wurde vor einiger Zeit derName „Europaregion Salzburg“ vorgeschlagen (P. WEICHHART, 2000). In der Zwischenzeit ist auf Anregung der Salzbur-ger Stadtplanung und in Kooperation mit allen re-gional bedeutsamen Akteuren im November 2000tatsächlich eine „Initiative Europaregion Salzburg“begründet worden, die seither bereits sehr intensiveBeratungen durchgeführt hat. Ihr Ziel ist es, Mög-lichkeiten zu erkunden, wie ein grenzüberschrei-tendes Kooperationsmodell der Regionalplanungfür den gesamten Salzburger Zentralraum ent-wickelt und implementiert werden könnte. Wie könnte eine solche „Europaregion“ konkretaussehen? Hier sollen nur einige Andeutungen ge-

macht werden, um den laufenden Diskurs nicht zustören. Als eine denkbare Lösung wäre ein Verbandsmo-dell vorstellbar. In Salzburg, Bayern und Oberöster-reich werden nach dem Muster von Gemeindever-bänden Entwicklungskooperativen gegründet, diesich zu einem Dachverband zusammenschließen.Die Landeshauptstadt und jene Umlandgemein-den, die zusammen der funktionalen Kernstadt ent-sprechen, bilden dabei eine eigene Teilregion, dieals „Salzburg Zentral“ bezeichnet wird. Als gleich-sam politische Struktur wird eine Regionalkonfe-renz gebildet, in der Repräsentanten aller gesell-schaftlichen Kräfte der Teilregionen vertreten sind.Der Regionalkonferenz sollte eine wichtige Rollefür die Leitbildentwicklung und die Erarbeitungder gesamtregionalen Zielsetzungen zukommen.Als operative Organe werden ein Regionalmanage-ment und ein Regionalmarketing gegründet. Eine zweite Lösungsvariante, die für besonders Er-folg versprechend angesehen werden kann, würdeeine bereits bestehende grenzüberschreitende re-gionale Kooperationsstruktur nutzen, die EuRegioSalzburg – Berchtesgadener Land – Traunstein. DieEuRegio müsste dazu allerdings räumlich wie kon-zeptionell und organisatorisch weiterentwickeltwerden. Neben der Erweiterung auf den Gesamtbe-reich der Verflechtungsregion (unter Einbeziehungdes oberösterreichischen Anteils des Zentralrau-mes) wäre es dabei besonders wichtig, die gesell-schaftlich relevanten Kräfte in die Entscheidungs-gremien einzubeziehen und Management- undMarketingagenden für die Gesamtregion zu über-nehmen. Die Probleme der Stadt-Umland-Beziehung sindin Wahrheit Sekundärerscheinungen und Sympto-me tiefer liegender Ursachenzusammenhänge. Esgilt, einen regionalpolitischen Masterplan zu fin-den und zu realisieren. Im Rahmen einer solchenumfassenden Lösung geht es vor allem um einePositionierung der Gesamtregion im Konzert dereuropäischen Regionen. Nur dann wird es mög-lich sein, aus dem grenzüberschreitenden Salzbur-ger Zentralraum eine „stolze“ Region1 zu machen.Eifersüchteleien und Polarisierungen zwischenden Teilgebieten der Gesamtregion, wie sie etwain der Diskussion um eine eigene Bezirkshaupt-stadt für den Flachgau zum Ausdruck kommen,müssen dabei zweifellos als kontraproduktiv an-gesehen werden.

LITERATURVERZEICHNIS

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Verflechtungen im bayerisch-salzburgisch-oberöster-

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unveröffentlichtes Gutachten. 68 S., 4 Tab., 26 Abb. und 3

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die Herausforderungen des globalen Standortwettbe-

werbs? – In: Informationen zur Raumentwicklung,

9/10.2000, S. 549–566.

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1 „... denn Europa ist kein Staat, sondern ein Zusammen-schluss von Nationalstaaten mit selbstständigen und stolzenRegionen, die mitreden möchten“ – dies stellte der Salzbur-ger Landeshauptmann Schausberger bei einem Treffen derVertreter der europäischen Regionalregierungen in Uppsalafest (Salzburger Nachrichten v. 10. 11. 2001).