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2016

Vertretung der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino · Es handelt sich dabei um ein gemeinsames Projekt der Vertretung der Europaregion Tirol - Südtirol - Trentino in Brüssel

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2016

Vertretung der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino

45-47 Rue de Pascale

B-1040 Bruxelles

Tel.: +32 (0)2 743 27 00 – 01

Fax: +32 (0)2 742 09 80

[email protected]

http://www.alpeuregio.org

Foto des Titelblatts: Cédric Puisney, « L'habit fait le magistrat « , CC BY-NC-ND 2.0

CURIA-News Jahrbuch 2016

Seit September 2011, wird basierend auf dem gemeinsam durchgeführten Monitoring der

europäischen Gesetzgebung und des Rechtsetzungsprozesses, der Newsletter „Curia

News“ erstellt. Es handelt sich dabei um ein gemeinsames Projekt der Vertretung der

Europaregion Tirol - Südtirol - Trentino in Brüssel.

Gemeinsames Ziel ist es, die Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts zu

verfolgen, um eine periodische Sensibilisierung für das Recht der Europäischen Union zu

bewirken.

Dieses Jahrbuch ist neben dem periodischen Newsletter ein weiteres Instrument, um über

die Judikatur von 2016 zu informieren und als Nachschlagewerk die Erkenntnisse in den

bedeutendsten Sachbereichen aufzuzeigen.

Innsbruck, Bozen, Trient und Brüssel, Jänner 2017

Fritz Staudigl

Klaus Luther

Fabio Scalet

i

INHALTSVERZEICHNIS

DER EUROPÄISCHE GERICHTSHOF (EuGH) ......................................................... 1

URTEILE 2016 .................................................................................................... 3

Freier Warenverkehr .......................................................................................... 3

Die deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verstößt gegen das

Unionsrecht ........................................................................................................................ 3

Freizügigkeit und Freizügigkeit der Arbeitnehmer ............................................. 5

Die mit der Androhung der Nichtigkeit verbundene Verpflichtung, grenzüberschreitende

Rechnungen in einer bestimmten Sprache zu erstellen, verstößt gegen das Unionsrecht .............. 5

Luxemburg hat dadurch gegen Unionsrecht verstoßen, dass es die Gewährung einer

Studienbeihilfe für Kinder von Grenzgängern an die Bedingung geknüpft hatte, dass der

Grenzgänger zur Zeit des Beihilfeantrags mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen in

Luxemburg gearbeitet hat .................................................................................................... 6

Im Bereich grenzüberschreitender sozialer Vergünstigungen kann ein Kind in einer neu

zusammengesetzten Familie als Kind des Stiefelternteils angesehen werden. In diesem Bereich

wird das Kindsverhältnis nicht im rechtlichen Sinne, sondern im wirtschaftlichen Sinne definiert,

womit das Kind eines Stiefelternteils, der berufstätiger Grenzgänger ist, Anspruch auf eine soziale

Vergünstigung hat, wenn dieser Stiefelternteil tatsächlich zu seinem Unterhalt beiträgt ............... 8

Rechtsvorschriften über Ansprüche auf Altersruhegeld, die Wanderarbeitnehmer gegenüber

Arbeitnehmern, die den Staat nicht verlassen, benachteiligen, verstoßen gegen das Unionsrecht 10

Beendet ein Arbeitnehmer von sich aus sein Arbeitsverhältnis, hat er Anspruch auf eine finanzielle

Vergütung, wenn er seinen bezahlten Jahresurlaub ganz oder teilweise nicht verbrauchen konnte

...................................................................................................................................... 11

Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ............................................................... 12

Die neue Richtlinie der Europäischen Union über Tabakerzeugnisse ist gültig ............................ 12

Landwirtschaft und Fischerei ........................................................................... 14

Ein Gesetz zur Einführung eines Mindestverkaufspreises pro Alkoholeinheit verstößt gegen das

Unionsrecht, sofern weniger einschränkende steuerliche Maßnahmen erlassen werden können ... 14

Der Gerichtshof bestätigt, dass die Kennzeichnung von Zitrusfrüchten mit der Angabe von

Konservierungsmitteln und anderen bei der Behandlung nach der Ernte verwendeten chemischen

Stoffen verbindlich ist ........................................................................................................ 16

Die Kommission kann die Mitgliedstaaten verpflichten, alle Pflanzen, die von der Bakterie Xylella

fastidiosa befallen sein können, auch ohne Befallssymptome zu entfernen, wenn sie sich in der

Nähe von Pflanzen befinden, die bereits von dieser Bakterie befallen sind ................................ 18

Nichtdiskriminierung ........................................................................................ 20

ii

Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, alle Unionsbürger, die sich in seinem Hoheitsgebiet

aufhalten, in gleichem Maß vor Auslieferung zu schützen wie seine eigenen Staatsangehörigen .. 20

Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr ................................ 22

Die Niederlassungsfreiheit steht einer nationalen Regelung entgegen, die die Genehmigung für die

Ausübung eines Gewerbes auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt, wenn diese

Regelung nicht in kohärenter und systematischer Weise das Ziel des Schutzes der öffentlichen

Gesundheit verfolgt ........................................................................................................... 22

Nach dem Unionsrecht dürfen Konzessionen, die für die Ausübung von Touristik- und

Freizeittätigkeiten in im öffentlichen Eigentum stehenden Gebieten erteilt worden sind, nicht

automatisch verlängert werden, wenn kein Verfahren zur Auswahl der Bewerber stattgefunden hat

...................................................................................................................................... 24

Ein Geschäftsinhaber, der der Öffentlichkeit kostenlos ein WiFi-Netz zur Verfügung stellt, ist für

Urheberrechtsverletzungen eines Nutzers nicht verantwortlich ................................................ 26

Das Verleihen elektronischer Bücher (E-Books) kann unter bestimmten Voraussetzungen dem

Verleihen herkömmlicher Bücher gleichgestellt werden .......................................................... 27

Die Dienstleistungsrichtlinie steht dem Erfordernis entgegen, bei Stellung eines

Genehmigungsantrags die mit der Verwaltung und Durchsetzung der betreffenden

Genehmigungsregelung verbundenen Kosten zu zahlen ......................................................... 28

Öffentliche Aufträge ......................................................................................... 29

Ein offenes System von Vereinbarungen, das von einer öffentlichen Behörde für den Einkauf von

Gütern verwendet wird, entspricht nicht einem Auftrag im Sinne des Rechts der Europäischen

Union .............................................................................................................................. 29

Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ............................................ 30

Das Unionsrecht gestattet die Inhaftierung eines Asylwerbers, wenn dies aus Gründen der

öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist ....................................... 30

Ein Tatverdächtiger kann in einem Schengen-Staat erneut strafrechtlich verfolgt werden, wenn die

frühere Strafverfolgung in einem anderen Schengen-Staat ohne eingehende Ermittlungen

eingestellt worden ist ........................................................................................................ 32

Der Gerichtshof bekräftigt, dass Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten während der ersten

drei Monate ihres Aufenthalts bestimmte Sozialleistungen versagt werden dürfen ..................... 33

Die Dublin-III-Verordnung gestattet den Mitgliedstaaten, eine Person, die um internationalen

Schutz ansucht, in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen, unabhängig davon, ob es

sich um den für die Bearbeitung des Antrags zuständigen Mitgliedstaat oder einen anderen

Mitgliedstaat handelt ......................................................................................................... 34

Der Gerichtshof äußert sich zum Verhältnis zwischen der Freizügigkeit von Personen, denen

internationaler Schutz gewährt wurde, und den Maßnahmen, die darauf abzielen, die Integration

dieser Personen zu erleichtern ............................................................................................ 36

iii

Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf Familienzusammenführung ablehnen, wenn sich aus

einer Prognose ergibt, dass der Zusammenführende während des Jahres nach der Antragstellung

nicht über feste, regelmäßige und ausreichende Einkünfte verfügen wird ................................. 37

Rechtsangleichung ........................................................................................... 39

Ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht muss, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union

bereits eine eindeutige Antwort auf eine Frage gegeben hat, selbst alles Erforderliche tun, damit

diese Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird ................................................................ 39

Die Verpflichtung des nationalen Gerichts, von Amts wegen die Einhaltung der Vorschriften des

Unionsrechts auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes zu prüfen, findet auf Insolvenzverfahren

Anwendung ...................................................................................................................... 40

Das Unionsrecht schützt den europäischen Markt vor kosmetischen Mitteln, deren Bestandteile in

Tierversuchen bestimmt worden sind ................................................................................... 41

Der Betreiber einer Website kann ein berechtigtes Interesse daran haben, bestimmte

personenbezogene Daten der Nutzer zu speichern, um sich gegen Cyberattacken zu verteidigen 42

Soziale Sicherheit ............................................................................................. 44

Das Vereinigte Königreich kann verlangen, dass Bezieher von Kindergeld und der Steuergutschrift

für Kinder ein Recht auf Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet haben ......................................... 44

Sozialpolitik ..................................................................................................... 45

Der Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Verträge zur Deckung eines dauerhaften Bedarfs

im Bereich der Gesundheitsdienste verstößt gegen Unionsrecht .............................................. 45

Staatliche Beihilfen .......................................................................................... 46

Das Gericht bestätigt, dass eine Garantie, die ein Mitgliedstaat einer Bank im Rahmen ihrer Umstrukturierung

gewährt hat, eine staatliche Beihilfe darstellt, die jedoch mit dem Unionsrecht vereinbar ist ........................ 46

Das Gericht bestätigt die Entscheidung der Kommission, mit der die Rückforderung der von

Frankreich, Irland und Italien für die Tonerdegewinnung gewährten Steuerbefreiungen angeordnet

wurde .............................................................................................................................. 47

Das Gericht erklärt den Beschluss der Kommission, die implizite unbeschränkte Bürgschaft des

französischen Staates zugunsten des Institut Français du Pétrole als staatliche Beihilfe einzustufen,

für nichtig ........................................................................................................................ 49

Das deutsche Gesetz von 2012 über erneuerbare Energien (EEG 2012) umfasste staatliche

Beihilfen .......................................................................................................................... 50

Die Verlängerung der Gültigkeitsdauer einer bestehenden staatlichen Beihilfe ist als Umgestaltung

dieser Beihilfe und damit als neue Beihilfe anzusehen ............................................................ 51

Steuerrecht ...................................................................................................... 53

Flugscheine, die nicht benutzt wurden und für die keine Erstattung erfolgt, sind

mehrwertsteuerpflichtig ..................................................................................................... 53

iv

Umwelt und Verbraucher ................................................................................. 54

Das Gericht der EU bestätigt die Rechtmäßigkeit des Beschlusses, mit dem die Kommission einen

Antrag auf Überprüfung der Zulassung des Inverkehrbringens von Erzeugnissen, die genetisch

veränderte Sojabohnen enthalten, als unbegründet abgelehnt hat .......................................... 54

Unionsbürgerschaft .......................................................................................... 55

Das Gericht bestätigt, dass die geplante europäische Bürgerinitiative zur Förderung der

Entwicklung der von nationalen Minderheiten bevölkerten geografischen Gebiete nicht registriert

werden kann .................................................................................................................... 55

Verkehr ............................................................................................................ 56

Die nationalen Behörden üben eine allgemeine Aufsicht zur Gewährleistung der Fluggastrechte aus,

sind jedoch nicht verpflichtet, aufgrund individueller Beschwerden tätig zu werden ................... 56

Wettbewerb ..................................................................................................... 57

Der Lizenznehmer eines Patents muss die vereinbarte Gebühr auch dann zahlen, wenn er die

patentierte Technologie nicht verletzt .................................................................................. 57

1

DER EUROPÄISCHE GERICHTSHOF (EuGH)

Der EuGH ist das oberste Rechtsprechungsorgan der EU. Er gewährleistet, dass das EU-Recht in

allen Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt und angewendet wird und hat mit seinen Urteilen die

europäische Integration in vielen Bereichen vorangetrieben.

Aufgaben und Zuständigkeit

Die Regeln über die Errichtung und Tätigkeit des Gerichtshofs sind im Vertrag von Lissabon

enthalten. Das Verfahren wird hingegen in den Verträgen, dem Protokoll über die Satzung des

Gerichtshofs, der Verfahrensordnung und der zusätzlichen Verfahrensordnung des EuGH geregelt.

Der Gerichtshof kann in Rechtsstreitigkeiten zwischen Regierungen der EU-Mitgliedstaaten und den

EU-Organen entscheiden; aber auch Privatpersonen, Unternehmen oder Organisationen können

sich mit einer Rechtssache an den Gerichtshof wenden, wenn sie der Auffassung sind, dass ein

Organ der EU ihre Rechte verletzt hat.

Der Gerichtshof der Europäischen Union befasst sich vorwiegend mit:

1) Vorabentscheidungsersuchen, bei denen ein nationales Gericht, das Zweifel hinsichtlich

der Auslegung oder Gültigkeit einer Rechtsvorschrift der EU hat, den Gerichtshof zu Rate

zieht.

2) Vertragsverletzungsklagen, die von der Europäischen Kommission oder einem EU-

Mitgliedstaat eingeleitet werden, wenn ein (anderer) EU-Mitgliedstaat seinen

Verpflichtungen gemäß EU-Recht nicht nachkommt.

3) Nichtigkeitsklagen, die ein EU-Mitgliedstaat, der Rat, die Kommission oder auch das

Europäische Parlament gegen Rechtsvorschriften der EU beantragen können, wenn sie der

Ansicht sind, das diese rechtswidrig sind. Auch Privatpersonen haben die Möglichkeit die

Aufhebung eines bestimmten Rechtsakts zu fordern, wenn sie davon unmittelbar

beeinträchtigt werden. Für Nichtigkeitsklagen von Einzelpersonen, ist im ersten Rechtszug

das Europäische Gericht zuständig.

4) Untätigkeitsklagen, die zur Überprüfung der Untätigkeit eines Organs, einer Einrichtung

oder einer sonstigen Stelle der EU eingereicht werden können. Die Zuständigkeit für

Untätigkeitsklagen ist zwischen dem Gerichtshof und dem Gericht nach denselben Kriterien

aufgeteilt wie bei Nichtigkeitsklagen.

5) Rechtsmittel, die gegen Urteile und Beschlüsse des Gerichts eingelegt werden können.

Zusammensetzung

Der EuGH verfügt über 28 Richter (einen pro EU-Mitgliedstaat) sowie elf Generalanwälte. Diese

haben die Aufgabe, öffentlich und in voller Unparteilichkeit und Unabhängigkeit zu den Rechtsachen

Stellung zu beziehen, mit denen sich der Gerichtshof befasst. Die Regierungen der EU-

2

Mitgliedstaaten ernennen sowohl die Richter als auch die Generalanwälte im gegenseitigen

Einvernehmen. Eine Amtsperiode dauert jeweils sechs Jahre und ist verlängerbar.

Verfahrenssprache

Um zu gewährleisten, dass jeder EU-Bürger Rechtshandlungen in seiner Sprache vornehmen kann,

kann der Kläger jede der 24 Amtssprachen der EU als Verfahrenssprache wählen. Bei

Vorabentscheidungsverfahren ist die Sprache des Mitgliedstaats des anfragenden Gerichts

Verfahrenssprache. Bei Verhandlungen gibt es je nach Bedarf Übersetzungen in die verschiedenen

Amtssprachen der EU. Die Richter beraten in einer gemeinsamen Sprache, traditionell dem

Französischen. Auch die Verfahrensdokumente werden zudem ins Französische übersetzt, das nach

wie vor die interne Amtssprache des EuGH ist.

Verfahrensspesen

Das Verfahren vor dem EuGH ist spesenfrei. Die Anwaltsspesen müssen hingegen von den

Prozessparteien selbst getragen werden. Falls eine Partei außerstande ist, die Spesen für das

Verfahren ganz oder teilweise zu bestreiten, kann sie Prozesshilfe in Anspruch nehmen.

Das Europäische Gericht (EuG) und das Gericht für den öffentlichen Dienst der

Europäischen Union

Das Gericht der Europäischen Union und das Gericht für den öffentlichen Dienst der EU bilden

gemeinsam mit dem EuGH das Gerichtssystem der EU.

Das Europäische Gericht (früher „Gerichtshof erster Instanz“) wurde 1988 – als Teil des Organs

„Gerichtshof“ – zur Entlastung des EuGH geschaffen. Jeder Mitgliedstaat stellt mindestens einen

Richter. Fälle, die keine besondere Komplexität aufweisen, können von einem Einzelrichter

entschieden werden. Das EuG entscheidet in Rechtsachen, die von Privatpersonen, Unternehmen

und bestimmten Organisationen vorgelegt wurden und Rechtsachen im Bereich des

Wettbewerbsrechts.

Für besondere Sachgebiete haben das Europäische Parlament und der Rat auch die Möglichkeit

Fachgerichte einzurichten.

Das 2005 geschaffene Gericht für den öffentlichen Dienst ist hingegen für Rechtsstreitigkeiten

zwischen der EU und ihren Bediensteten zuständig.

3

URTEILE 2016

Freier Warenverkehr

Die deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verstößt gegen das

Unionsrecht

(Urteil in der Rechtssache C-148/15 Deutsche Parkinson Vereinigung e.V./Zentrale zur Bekämpfung

unlauteren Wettbewerbs)

Eine deutsche Selbsthilfeorganisation, die die Lebensumstände von Parkinson-Patienten und

deren Familien verbessern möchte, hat mit einer niederländischen Versandapotheke ein

Bonussystem ausgehandelt, das ihre Mitglieder in Anspruch nehmen können, wenn sie bei dieser

Apotheke verschreibungspflichtige, nur über Apotheken erhältliche Parkinson-Medikamente

kaufen.

Ein deutscher Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs vertrat die Auffassung, dass

dieses Bonussystem gegen die deutsche Regelung verstößt, die einen einheitlichen

Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel vorsieht. Auf Antrag dieses

Vereins untersagte das Landgericht Düsseldorf der Selbsthilfeorganisation, das Bonussystem bei

ihren Mitgliedern zu bewerben. Diese wandte sich daraufhin an das Oberlandesgericht

Düsseldorf, das seinerseits den Gerichtshof mit der Frage befasst hat, ob die Festlegung

einheitlicher Apothekenabgabenpreise für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel mit dem

freien Warenverkehr vereinbar ist.

Mit seinem Urteil vom 19. Oktober 2016 antwortete der Gerichtshof, dass die betreffende

Regelung eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellt.

Die Festlegung einheitlicher Abgabepreise wirkt sich nämlich auf in anderen Mitgliedstaaten

ansässige Apotheken stärker aus, so dass der Zugang zum deutschen Markt für Erzeugnisse aus

anderen Mitgliedstaaten stärker behindert werden könnte als für inländische Erzeugnisse. Hierzu

führte der Gerichtshof aus, dass der Versandhandel für ausländische Apotheken ein wichtigeres

bzw. eventuell sogar das einzige Mittel darstellt, um einen unmittelbaren Zugang zum deutschen

Markt zu erhalten. Zweitens kann der Preiswettbewerb für Versandapotheken ein wichtigerer

Wettbewerbsfaktor für traditionelle Apotheken sein, die besser in der Lage sind, Patienten durch

Personal vor Ort individuell zu beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln

sicherzustellen.

Grundsätzlich kann zwar eine Beschränkung des freien Warenverkehrs mit dem Schutz der

Gesundheit und des Lebens gerechtfertigt werden, doch ist die betreffende Regelung zur

Erreichung dieser Ziele nicht geeignet.

Es konnte insbesondere nicht nachgewiesen werden, inwiefern durch die Festlegung einheitlicher

Preise eine bessere geografische Verteilung der traditionellen Apotheken in Deutschland

sichergestellt werden kann.

Zudem liegen keine Belege dafür vor, dass sich die Versandapotheken ohne die betreffende

Regelung einen Preiswettbewerb liefern könnten, so dass wichtige Leistungen wie die

4

Notfallversorgung in Deutschland nicht mehr zu gewährleisten wären, weil sich die Zahl der

Präsenzapotheken in Folge verringern würde. Andere Wettbewerbsfaktoren, wie die individuelle

Beratung der Patienten durch Personal vor Ort könnten den traditionellen Apotheken nämlich

eventuell dabei helfen, konkurrenzfähig zu bleiben.

Link zum vollständigen Urteil

5

Freizügigkeit und Freizügigkeit der Arbeitnehmer

Die mit der Androhung der Nichtigkeit verbundene Verpflichtung, grenzüberschreitende

Rechnungen in einer bestimmten Sprache zu erstellen, verstößt gegen das

Unionsrecht

(Urteil in der Rechtssache C-15/15 New Valmar BVBA/Global Pharmacies Partner Health Srl)

Diese Rechtssache betrifft einen Rechtsstreit zwischen einer Gesellschaft mit Sitz im

niederländischen Sprachgebiet Belgiens und einer in Italien ansässigen Gesellschaft wegen

unbezahlter Rechnungen. Die italienische Gesellschaft hat die Nichtigkeit dieser Rechnungen mit

der Begründung geltend gemacht, dass diese gegen Sprachvorschriften verstießen, die ihrer

Ansicht nach zwingendes belgisches Recht darstellen. Nach einer flämischen Regelung müssen

nämlich Unternehmen mit Sitz in dem genannten Sprachgebiet die niederländische Sprache

verwenden, wenn sie u.a. gesetzlich vorgeschriebene Urkunden und Papiere abfassen. Alle

Standardangaben und die allgemeinen Geschäftsbedingungen auf den genannten Rechnungen

waren aber nicht in niederländischer, sondern in italienischer Sprache abgefasst. Im Laufe des

Verfahrens übermittelte die flämische der italienischen Gesellschaft eine niederländische

Übersetzung der Rechnungen. Das mit dieser Sache befasste belgische Gericht wies darauf hin,

dass die streitigen Rechnungen gleichwohl nach wie vor nichtig seien.

Die flämische Gesellschaft machte geltend, dass die Sprachenregelung gegen das Unionsrecht,

insbesondere gegen die Vorschriften über den freien Warenverkehr verstoße. Vor diesem

Hintergrund hat die Rechtbank van koophandel te Gent (Handelsgericht Gent) dem Gerichtshof

eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.

In seinem Urteil vom 21. Juni 2016 stellte der Gerichtshof fest, dass die fragliche

Sprachenregelung tatsächlich eine Beschränkung des freien Warenverkehrs in der Europäischen

Union darstellt.

Indem eine Regelung den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern die Möglichkeit vorenthält, eine

Sprache, die sie alle beherrschen, für die Abfassung ihrer Rechnungen frei zu wählen, und indem

sie ihnen eine Sprache vorschreibt, die nicht zwingend derjenigen entspricht, deren Verwendung

sie für ihre vertraglichen Beziehungen vereinbart haben, kann eine solche Regelung die Gefahr

des Bestreitens und der Nichtzahlung der Rechnungen erhöhen.

Der Gerichtshof stellte außerdem fest, dass die fragliche Regelung über das hinausgeht, was zur

Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele erforderlich ist, und daher nicht als verhältnismäßig

angesehen werden kann.

Link zum vollständigen Urteil

6

Luxemburg hat dadurch gegen Unionsrecht verstoßen, dass es die Gewährung einer

Studienbeihilfe für Kinder von Grenzgängern an die Bedingung geknüpft hatte, dass der

Grenzgänger zur Zeit des Beihilfeantrags mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen in

Luxemburg gearbeitet hat

(Urteil in der Rechtssache C-238/15 Maria do Céu Bragança Linares Verruga u. a. / Ministre de

l'Enseignement supérieur et de la Recherche)

Nach luxemburgischem Recht konnten Kinder von Grenzgängern, die in Luxemburg

unselbständig oder selbständig beruflich tätig sind, eine finanzielle Studienbeihilfe unter der

Voraussetzung beantragen, dass der Grenzgänger zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens

fünf Jahre lang ununterbrochen in Luxemburg gearbeitet hat. Dieses Erfordernis eines

ununterbrochenen Mindestarbeitszeitraums von fünf Jahren wurde im Juli 2013 infolge eines

Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache Giersch eingeführt und im Juli 2014 durch eine

flexiblere Regelung ersetzt.

Der in der Rechtssache klagende Sohn von Grenzgängern (der selbst nicht in Luxemburg

wohnhaft ist) beantragte bei den luxemburgischen Behörden die Gewährung einer

Studienbeihilfe. Der Tribunal administratif Luxemburg, legte daraufhin dem Gerichtshof die Frage

vor, ob das Erfordernis der ununterbrochenen Mindestarbeitsdauer von fünf Jahren mit dem

Unionsrecht vereinbar ist.

In seinem Urteil von 14. Dezember 2016 wies der Gerichtshof darauf hin, dass es für Studenten,

die im luxemburgischen Hoheitsgebiet wohnen, kein solches Erfordernis gibt. Der Gerichtshof

nahm deshalb das Vorliegen einer Ungleichbehandlung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten

an.

Der Gerichtshof anerkannte, dass ein Mitgliedstaat berechtigt ist, mit der fraglichen Regelung

sicherzustellen, dass der Grenzgänger eine hinreichende Verbundenheit mit diesem Mitgliedstaat

aufweist, um der Gefahr von „Stipendientourismus“ entgegenzutreten. Der Gerichtshof erachtete

deshalb das Erfordernis der Mindestarbeitsdauer des in Luxemburg arbeitenden Elternteils, der

Grenzgänger ist, als solches für angemessen, da es dazu geeignet ist, eine Verbundenheit des

Arbeitnehmers mit der luxemburgischen Gesellschaft sowie die angemessene Wahrscheinlichkeit

dafür zu belegen, dass der Student später nach Luxemburg zurückkehren wird.

Dagegen stellte der Gerichtshof fest, dass das Erfordernis einer ununterbrochenen

Mindestarbeitsdauer von fünf Jahren über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten

Ziels erforderlich ist.

Dieses Erfordernis erlaubt den zuständigen Behörden nämlich die Gewährung einer Beihilfe nicht,

wenn die Eltern, von einigen kurzen Unterbrechungen abgesehen, in der Zeit vor der

Antragstellung für eine erhebliche Dauer in Luxemburg gearbeitet haben. Da solche

Unterbrechungen die Verbundenheit zwischen Luxemburg und dem Antragsteller der Beihilfe

nicht lösen, kam der Gerichtshof zum Ergebnis, dass das Erfordernis, fünf Jahre lang

ununterbrochen in Luxemburg gearbeitet zu haben, eine Beschränkung darstellt, das über das

hinausgeht, was zur Erreichung des von Luxemburg verfolgten rechtmäßigen Ziels (nämlich die

Zahl der Hochschulabsolventen in der luxemburgischen Bevölkerung zu erhöhen) notwendig ist.

Der Gerichtshof hat deswegen entschieden, dass das Erfordernis einer ununterbrochenen

Mindestarbeitsdauer von fünf Jahren eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellt und

somit gegen das Unionsrecht verstößt.

8

Im Bereich grenzüberschreitender sozialer Vergünstigungen kann ein Kind in einer neu

zusammengesetzten Familie als Kind des Stiefelternteils angesehen werden. In diesem

Bereich wird das Kindsverhältnis nicht im rechtlichen Sinne, sondern im wirtschaftlichen

Sinne definiert, womit das Kind eines Stiefelternteils, der berufstätiger Grenzgänger ist,

Anspruch auf eine soziale Vergünstigung hat, wenn dieser Stiefelternteil tatsächlich zu

seinem Unterhalt beiträgt

(Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-401/15 bis C-403/15 Noémie Depesme u. a. / Ministre de

l'enseignement supérieur et de la recherche)

Zwischen Juli 2013 und Juli 2014 konnten nach luxemburgischem Recht Kinder von

Grenzgängern, die in Luxemburg unselbständig oder selbständig beruflich tätig sind, eine

finanzielle Studienbeihilfe unter der Voraussetzung beantragen, dass der Grenzgänger zum

Zeitpunkt der Antragstellung mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen in Luxemburg

gearbeitet hatte.

Die KlägerInnen lebten jeder in einer neu zusammengesetzten Familie, die jeweils aus der

genetischen Mutter und dem Stiefvater besteht (der genetische Vater lebt entweder von der

Mutter getrennt oder ist verstorben). Alle drei beantragten für das Studienjahr 2013/2014 in

Luxemburg Studienbeihilfen, weil ihr jeweiliger Stiefvater dort seit mehr als fünf Jahren

ununterbrochen gearbeitet hatte (keine der Mütter arbeitete hingegen zu dieser Zeit dort). Die

luxemburgischen Behörden lehnten diese Anträge mit der Begründung ab, dass die KlägerInnen

rechtlich nicht „Kinder“ eines berufstätigen Grenzgängers seien, sondern nur „Stiefkinder“.

Gegen diese Entscheidungen erhoben die drei Studenten Klage. Der mit diesen Klagen befasste

Cour administrative du Luxembourg (Verwaltungsgerichtshof Luxemburg) hat daraufhin dem

Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob im Bereich sozialer Vergünstigungen der Begriff „Kind“ auch

Stiefkinder einschließen muss. Anders gesagt, geht es um die Frage, ob das Kindsverhältnis

nicht im rechtlichen, sondern im wirtschaftlichen Sinne aufzufassen ist.

In seinem Urteil vom 15. Dezember 2016 wies der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass nach

der Unionsverordnung Nr. 492/200131, Arbeitnehmer aus einem Mitgliedstaat in jedem anderen

Mitgliedstaat, in dem sie arbeiten, die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie

die inländischen Arbeitnehmer genießen müssen. Er führte weiter aus, dass auf dem Gebiet der

Unionsbürgerschaft Kinder durch die Richtlinie 2004/3842 als die Verwandten in gerader

absteigender Linie des Ehegatten oder des Lebenspartners definiert werden, die das 21.

Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird.

Der Gerichtshof stellte klar, dass die Kinder des Ehegatten oder des anerkannten

Lebenspartners eines Grenzgängers als dessen Kinder angesehen werden können, um in den

Genuss einer sozialen Vergünstigung wie einer Studienbeihilfe kommen zu können, zumal auch

die Richtlinie 2014/54/EU3, die nach den hier streitigen Fällen in Kraft getreten ist, bestätigt,

1 Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1). 2 Richtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt im ABl. 2004, L 229, S. 35). 3 Richtlinie 2014/54/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Maßnahmen zur Erleichterung der Ausübung der Rechte, die Arbeitnehmern im Rahmen der Freizügigkeit zustehen (ABl. 12014, L 128, S. 8).

10

Rechtsvorschriften über Ansprüche auf Altersruhegeld, die Wanderarbeitnehmer

gegenüber Arbeitnehmern, die den Staat nicht verlassen, benachteiligen, verstoßen gegen

das Unionsrecht

(Urteil in der Rechtssache C-515/14 Kommission/Zypern)

Das Unionsrecht gewährleistet die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union4. Für

Wanderarbeitnehmer besteht die Möglichkeit der Zusammenrechnung aller Versicherungszeiten,

um im Bereich der sozialen Sicherheit die Einheit ihrer beruflichen Laufbahn zu garantieren5.

Nach Ansicht der Kommission benachteiligen die zyprischen Rechtsvorschriften

Wanderarbeitnehmer gegenüber Arbeitnehmern, die ihre Beschäftigung nur in Zypern ausüben.

Nach diesen Rechtsvorschriften erhält ein Beamter, der, ohne das 45. Lebensjahr vollendet zu

haben, aus dem zyprischen öffentlichen Dienst ausscheidet, um eine berufliche Tätigkeit in einem

anderen Mitgliedstaat auszuüben oder eine Tätigkeit bei einem Unionsorgan oder einer anderen

internationalen Organisation aufzunehmen, nur einen pauschalierten Betrag und verliert seine

Anwartschaft auf das Altersruhegeld. Bei Beamten, die weiter in Zypern einer Berufstätigkeit

nachgehen, ist dies indessen nicht der Fall.

Nach Ansicht Zyperns könnten Änderungen der Voraussetzungen für die Gewährung von

Vorteilen bei der sozialen Sicherheit das Gleichgewicht des zyprischen Systems gefährden, das

das Gleichgewicht der dienstrechtlichen Regelung für die Beamten unter Beachtung des

Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit schützen soll.

Mit dem Urteil vom 21. Januar 2016, gab der Gerichtshof der Vertragsverletzungsklage der

Kommission statt.

Der Gerichtshof stellte zunächst mit Hinweis auf den Vertrag fest, dass Wanderarbeitnehmer

nicht deshalb ihre Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder geringere

Leistungen erhalten dürfen, weil sie das ihnen durch den Vertrag verliehene Recht auf

Freizügigkeit ausgeübt haben. Der Gerichtshof hob sodann hervor, dass die staatliche Regelung

der Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch Beamte entgegensteht oder die Ausübung für sie

weniger attraktiverscheinen lassen könnte und daher ein Hindernis für die Freizügigkeit der

Arbeitnehmer darstellt.

Der Gerichtshof wies darauf hin, dass eine nationale Regelung eine gerechtfertigte Beschränkung

einer Grundfreiheit darstellen kann, wenn sie durch wirtschaftliche Gründe, mit denen ein im

Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, bestimmt wird. Erlassen die zuständigen

nationalen Stellen eine Maßnahme, die von einem im Unionsrecht verankerten Grundsatz

abweicht, müssen sie in jedem Fall nachweisen, dass diese Maßnahme geeignet ist, zu

gewährleisten, dass das geltend gemachte Ziel erreicht wird, und sie nicht über das hierfür

Erforderliche hinausgeht. Nach Ansicht des Gerichtshofs fehlt es im vorliegenden Fall an einer

solchen Beweisführung.

Link zum vollständigen Urteil

4 Art. 45 Abs.1 AEUV. 5 Art. 48 AEUV.

11

Beendet ein Arbeitnehmer von sich aus sein Arbeitsverhältnis, hat er Anspruch auf eine

finanzielle Vergütung, wenn er seinen bezahlten Jahresurlaub ganz oder teilweise

nicht verbrauchen konnte

(Urteil in der Rechtssache C-341/15 Hans Maschek / Magistratsdirektion der Stadt Wien – Personalstelle

Wiener Stadtwerke)

Ein Beamter der Stadt Wien, wurde auf seinen Antrag mit Wirkung zum 1. Juli 2012 in den

Ruhestand versetzt. Nach seinem Eintritt in den Ruhestand verlangte der Beamte von seinem

Arbeitgeber, ihm eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu

zahlen; er sei nämlich kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand erneut erkrankt. Sein Arbeitgeber

wies diese Forderung mit der Begründung zurück, nach der Besoldungsordnung der Stadt Wien

habe ein Arbeitnehmer, der von sich aus das Arbeitsverhältnis beende – u.a. indem er die

Versetzung in den Ruhestand beantrage –, keinen Anspruch auf eine solche Vergütung.

Das angerufene Verwaltungsgericht Wien möchte vom Gerichtshof wissen, ob eine solche

Regelung mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Richtlinie 2003/886 vereinbar ist.

In seinem Urteil von 20. Juli 2016 wies der Gerichtshof darauf hin, dass nach dieser Richtlinie

jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat und

dass dieser Anspruch einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Union

darstellt. Wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde und es deshalb nicht mehr möglich ist,

bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zu nehmen, hat der Arbeitnehmer nach der Richtlinie

Anspruch auf eine finanzielle Vergütung, um zu verhindern, dass ihm wegen dieser fehlenden

Möglichkeit jeder Genuss des Urlaubsanspruchs, selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird.

Der Gerichtshof führte dazu aus, dass der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

keine Rolle spielt.

Der Gerichtshof stellte fest, dass die Richtlinie nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach

denen ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis infolge seines Antrags auf Versetzung in den

Ruhestand beendet wurde und der nicht in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub vor dem

Ende dieses Arbeitsverhältnisses zu verbrauchen, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung

für nicht genommenen Urlaub hat.

Damit die praktische Wirksamkeit dieses Anspruchs auf Jahresurlaub gewährleistet wird, hat der

Gerichtshof folgenden Grundsatz aufgestellt: Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis

beendet wurde und der nach einer mit seinem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung während

eines bestimmten Zeitraums vor seiner Versetzung in den Ruhestand weiterhin sein Entgelt

bezog, aber verpflichtet war, nicht an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen, hat keinen Anspruch

auf eine finanzielle Vergütung für den während dieses Zeitraums nicht genommenen bezahlten

Jahresurlaub, es sei denn, dass er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte.

Link zum vollständigen Urteil

6 Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte

der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9).

12

Grundsätze des Gemeinschaftsrechts

Die neue Richtlinie der Europäischen Union über Tabakerzeugnisse ist gültig

(Urteile in den Rechtssachen C-358/14 Polen/Parlament und Rat, C-477/14 Pillbox 38 (UK) Limited/Secretary

of State for Health und C-547/14 Philip Morris Brands SARL u.a/Secretary of State for Health)

Ziel der neuen Richtlinie von 2014 über Tabakerzeugnisse7 ist es, ausgehend von einem hohen

Schutz der menschlichen Gesundheit das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für

Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse zu erleichtern und dabei die Verpflichtungen der

Union aus dem Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs8

einzuhalten. Die Richtlinie sieht u.a. ein ab dem 20. Mai 2020 geltendes Verbot des

Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma und die

Vereinheitlichung der Etikettierung und der Verpackung von Tabakerzeugnissen vor. Sie führt

zudem eine Sonderregelung für elektronische Zigaretten ein.

Polen beanstandete mit Unterstützung durch Rumänien vor dem Gerichtshof das Verbot von mit

Menthol versetzten Zigaretten (Rechtssache C-58/14). In zwei weiteren Rechtssachen (C-477/14

und C-547/14) befragte der High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division

(Administrative Court) den Gerichtshof zur Gültigkeit einer Reihe von Bestimmungen der

Richtlinie über Tabakerzeugnisse.

Mit seinen Urteilen vom 4. Mai 2016 wies der Gerichtshof die Klage Polens ab und bestätigte die

Gültigkeit der Richtlinienbestimmungen.

Was zunächst das Verbot von mit Menthol versetzten Zigaretten betrifft, wies der Gerichtshof

darauf hin, dass Menthol durch sein angenehmes Aroma die Tabakerzeugnisse attraktiver für die

Verbraucher machen soll und dass die Verringerung der Attraktivität dieser Erzeugnisse dazu

beitragen kann, die Prävalenz des Tabakkonsums und die Abhängigkeit sowohl unter neuen als

auch unter kontinuierlichen Rauchern zu reduzieren.

Was die Vereinheitlichung der Etikettierung und der Verpackung von Tabakerzeugnissen betrifft,

stellte der Gerichtshof klar, dass das Verbot, auf der Kennzeichnung der Packung, der

Außenverpackung und dem Tabakerzeugnis selbst Elemente oder Merkmale anzubringen, die

geeignet sind, ein Tabakerzeugnis zu bewerben oder zu dessen Konsum anzuregen, zum einen

geeignet ist, die Verbraucher vor den mit dem Tabakgebrauch verbundenen Gefahren zu

schützen und zum anderen nicht über die Grenzen dessen hinausgeht, was zur Erreichung des

verfolgten Ziels erforderlich ist.

Die Sonderregelung für elektronische Zigaretten, die den Herstellern und Importeuren besondere

Pflichten auferlegt, wie z.B. die verpflichtende Anmeldung neuer Produkte bei den nationalen

Behörden, die Beifügung von Warnhinweisen und eines Beipackzettels, die Erstattung jährlicher

Berichte sowie das besondere Verbot von Werbung und Sponsoring, verstößt auch nicht gegen

den Grundsatz der Gleichbehandlung.

7 Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG (ABl. L 127, S.1). 8 Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation zur Eindämmung des Tabakgebrauchs, am 21. Mai 2003 in Genf unterzeichnet.

14

Landwirtschaft und Fischerei

Ein Gesetz zur Einführung eines Mindestverkaufspreises pro Alkoholeinheit verstößt gegen

das Unionsrecht, sofern weniger einschränkende steuerliche Maßnahmen erlassen

werden können

(Urteil in der Rechtssache C-333/14, Scotch Whisky Association u.a. / Lord Advocate)

2012 verabschiedete das schottische Parlament ein Gesetz über den Mindestpreis für

alkoholische Getränke in Schottland. Dieser Mindestpreis ist von jedermann einzuhalten, der in

Schottland aufgrund einer Konzession alkoholische Getränke im Einzelhandel verkaufen darf. Er

errechnet sich anhand einer Formel, die den Alkoholgehalt und das Alkoholvolumen in dem

Erzeugnis berücksichtigt.

Das schottische Gesetz soll die Gesundheit und das Leben von Menschen schützen. Ein

Mindestpreis pro Alkoholeinheit hätte nämlich zur Folge, dass der zurzeit geringe Preis

bestimmter stark alkoholhaltiger Getränke steigen würde. Diese Art von Getränken wird häufig

von Verbrauchern mit Alkoholproblemen gekauft. Nach Ansicht des schottischen Gesetzgebers

ließe sich dieses Ziel mit steuerlichen Maßnahmen nicht mit demselben Erfolg erreichen.

Hersteller alkoholischer Getränke haben gegen dieses Gesetz Klage erhoben. Ihrer Ansicht nach

sei das Gesetz eine mit dem Unionsrecht unvereinbare mengenmäßige Beschränkung des

Handelsverkehrs und ließen sich die mit dem Gesetz verfolgten Ziele auf weniger einschränkende

Weise durch steuerliche Maßnahmen verwirklichen. In diesem Zusammenhang möchte der

Oberste Gerichtshof Schottlands wissen, ob die Einführung eines Mindestpreises mit dem

Unionsrecht vereinbar sei.

In seinem Urteil vom 23. Dezember 2015 vertrat der Gerichtshof die Auffassung, dass sich die

schottischen Rechtsvorschriften sehr einschränkend auf den Markt auswirken. Dies könnte

vermieden werden, wenn anstelle einer Maßnahme, die einen Mindestverkaufspreis pro

Alkoholeinheit vorschreibt, eine steuerliche Maßnahme mit dem Ziel einer Erhöhung des Preises

für Alkohol eingeführt würde.

Der Gerichtshof wies darauf hin, dass diese Maßnahme geeignet ist, alkoholhaltigen Getränken

aus anderen Mitgliedstaaten den Zugang zum britischen Markt zu erschweren. Dieser Umstand

sei ausreichend, um sie als Hindernis für den freien Warenverkehr einzustufen. Nach der

Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt sich eine solche Maßnahme nur mit Gründen des

Gesundheitsschutzes rechtfertigen, wenn sie gemessen an dem mit ihr verfolgten Ziel

verhältnismäßig ist.9 Auch wenn die Vorgabe eines Mindestpreises pro Alkoholeinheit geeignet

ist, den Alkoholkonsum zu verringern, ist das Vorgehen wie das in Schottland nicht gerechtfertigt,

wenn die Gesundheit ebenso wirksam durch weniger einschränkende steuerliche Maßnahmen

geschützt werden kann.

Nach Auffassung des Gerichtshofes kann eine fiskalische Maßnahme, mit der die Steuern auf

alkoholische Getränke erhöht werden, weniger einschränkend sein, da es den

Wirtschaftsteilnehmern die Freiheit belässt, ihren Verkaufspreis selbst festzulegen.

9 Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 26. April 2012, ANETT (C-456/10).

15

Der Gerichtshof wies darauf hin, dass es letztlich dem nationalen Gericht obliegt, festzustellen,

ob andere Maßnahmen als die, die das schottische Gesetz vorsieht, geeignet sind, die Gesundheit

und das Leben von Menschen ebenso wirksam zu schützen wie die derzeitige Rechtsvorschrift,

gleichzeitig aber den Handel von Waren innerhalb der Union weniger einschränken.

Link zum vollständigen Urteil

16

Der Gerichtshof bestätigt, dass die Kennzeichnung von Zitrusfrüchten mit der Angabe von

Konservierungsmitteln und anderen bei der Behandlung nach der Ernte verwendeten

chemischen Stoffen verbindlich ist

(Urteil in der Rechtssache C-26/15P, Spanien / Kommission)

Nach einer Unionsrechtsvorschrift über die Vermarktung von Zitrusfrüchten (nämlich Zitronen,

Mandarinen und Orangen) müssen Packstücke von diesen Früchten eine Kennzeichnung tragen,

die gegebenenfalls Angaben der zur Behandlung nach der Ernte verwendeten

Konservierungsmittel oder sonstigen chemischen Stoffe enthält.10 Mit Erlass dieser Vorschrift

wollte die Kommission die ordnungsgemäße Anwendung des Unionsrechts über

Lebensmittelzusatzstoffe gewährleisten. Hierzu wich sie von einer nicht zwingenden Norm11 der

UN/ECE12 ab, die vorsieht, dass die Angabe der Verwendung von Konservierungsmitteln nur

erforderlich ist, wenn die Vorschriften des Einfuhrlandes es vorschreiben. Die Klage Spaniens auf

Nichtigerklärung dieser Vorschrift hat das Gericht der Europäischen Union im Jahr 2014

abgewiesen.13 Gegen dieses Urteil hat Spanien beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt, mit

dem es seine Aufhebung begehrt.

Mit seinem Urteil vom 3. März 2016 wies der Gerichtshof das Rechtsmittel Spaniens in vollem

Umfang zurück.

Nach Auffassung des Gerichtshofs hat das Gericht zu Recht angenommen, dass die fragliche

Vorschrift in Bezug auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig ist. Er bestätigte die Feststellung des

Gerichts, dass es vernünftig ist, dass der Verbraucher über die Behandlung von Zitrusfrüchten

nach der Ernte aufgeklärt wird, da diese Früchte gegenüber anderen Früchten mit sehr viel

höheren Dosen chemischer Stoffe behandelt werden dürfen und ihre Schale auf verschiedene

Weise in Lebensmittel für Menschen gelangen kann.

Der Gerichtshof hob ferner hervor, dass das Gericht zu Recht angenommen hat, dass die Prüfung

eines etwaigen Wettbewerbsnachteils im Rahmen der Beurteilung, ob der

Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt wurde, keine Rolle spielt. Die von der streitigen Vorschrift

betroffenen Erzeuger von Zitrusfrüchten befinden sich nämlich nicht in einer Situation, die mit

jener von Erzeugern anderer Früchte und Gemüsesorten vergleichbar ist.

Im Übrigen hindert die Tatsache, dass weder die besonderen Rechtsvorschriften betreffend die

nach der Ernte verwendeten Konservierungsmittel und anderen chemischen Stoffe noch die

Rechtsvorschriften über die Information der Verbraucher, die eine besondere Kennzeichnung der

in der landwirtschaftlichen Behandlung verwendeten Pestizide vorschreiben, die Kommission

nicht am Erlass einer Vermarktungsnorm, die u.a. das Interesse der Verbraucher an einer

zielgerichteten und transparenten Information sowie Empfehlungen in Bezug auf die UN/ECE-

Normen berücksichtigt. Insbesondere steht diese Tatsache nicht dem Erlass einer Vorschrift

durch die Kommission entgegen, die eine Kennzeichnung von Zitrusfrüchten mit Angabe der nach

der Ernte erfolgten Behandlungen vorsieht.

10 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 123/2007 des Rates für Sektoren Obst und Gemüse und

Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse ABl. L 157, S. 1. 11 Norm UN/ECE FFV-14 über die Vermarktung und die Kontrolle der Handelsqualität von Zitrusfrüchten. 12 Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen. 13 Urteil des Gerichts vom 13. November 2004, Spanien/Kommission (T-481/11).

18

Die Kommission kann die Mitgliedstaaten verpflichten, alle Pflanzen, die von der Bakterie

Xylella fastidiosa befallen sein können, auch ohne Befallssymptome zu entfernen, wenn sie

sich in der Nähe von Pflanzen befinden, die bereits von dieser Bakterie befallen sind

(Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-78/16, Giovanni Pesce u. a./Presidenza del Consiglio dei Ministri

u. a., und C-79/16, Cesare Serinelli u. a./Presidenza del Consiglio dei Ministri – Dipartimento della Protezione

Civile u. a.)

Die Richtlinie 2000/2914 soll ein hohes Pflanzenschutzniveau gewährleisten, um das Verbringen

von Schadorganismen, zu denen Xylella fastidiosa gehört, in die Union zu verhindern. Xylella ist

eine phytopathogene Bakterie, die viele Pflanzen befällt und ihren Tod durch Austrocknung

verursachen kann. Sie wurde erstmals 2013 in Europa an Olivenbäumen in der Region Apulien

beobachtet.

2015 erließ die Kommission einen Beschluss,15 in dem sie die Mitgliedstaaten verpflichtete,

Wirtspflanzen der Bakterie Xylella unabhängig von ihrem Gesundheitszustand auf einer Fläche

mit einem Radius von 100 Metern um die von der Bakterie befallenen Pflanzen unverzüglich zu

entfernen. Im Einklang mit dem Beschluss wies der Servizio Agricoltura della Regione Puglia

(Landwirtschaftlicher Dienst der Region Apulien) mehrere Eigentümer von Olivenhainen an, die

von der Xylella befallenen Olivenbäume sowie alle Wirtspflanzen auf der genannten Fläche zu

fällen.

Das mit der Sache befasste Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht

für die Region Latium, Italien) hat den Vollzug der Anordnung, die in der Nähe der befallenen

Olivenbäume befindlichen Pflanzen zu entfernen, ausgesetzt und den Gerichtshof nach der

Vereinbarkeit des Beschlusses der Kommission mit dem Unionsrecht gefragt.

In seinem Urteil vom 16. Juni 2016 bestätigte der Gerichtshof die Vereinbarkeit des Beschlusses

der Kommission mit der Richtlinie im Licht des Vorsorgeprinzips und des Grundsatzes der

Verhältnismäßigkeit.

Der Gerichtshof hob hervor, dass wissenschaftliche Gutachten zwar keinen Nachweis eines

sicheren Kausalzusammenhangs zwischen der Xylella und der raschen Austrocknung der

Olivenbäume erbracht haben, doch besteht nach diesem Gutachten ein signifikanter

Zusammenhang zwischen der Bakterie und der Erkrankung der Olivenbäume. Das

Vorsorgeprinzip kann daher den Erlass von Schutzmaßnahmen, wie der Entfernung der

befallenen Pflanzen, rechtfertigen, auch wenn insoweit wissenschaftliche Ungewissheiten

fortbestehen. Die Entfernung der Wirtspflanzen in der Nähe befallener Pflanzen steht auch im

engeren Sinne in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem Pflanzenschutz verfolgten Ziel.

Schließlich hob der Gerichtshof hervor, dass ein Entschädigungsanspruch der Eigentümer der

gefällten Olivenbäume nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil weder die Richtlinie noch der

Beschluss der Kommission eine entsprechende Regelung enthält; die Charta der Grundrechte der

Europäischen Union könnte nämlich unter bestimmten Umständen die Zahlung einer

14 Richtlinie 2000/29/EG des Rates vom 8. Mai 2000 über Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaft gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Schadorganismen der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse (ABl. L 169, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 2002/89/EG des Rates vom 28. November 2002 (ABl. L 355, S. 45). 15 Durchführungsbeschluss (EU) 2015/789 der Kommission vom 18. Mai 2015 über Maßnahmen zum Schutz der Union gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Xylella fastidiosa (ABl. L 125, S. 36).

20

Nichtdiskriminierung

Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, alle Unionsbürger, die sich in seinem Hoheitsgebiet

aufhalten, in gleichem Maß vor Auslieferung zu schützen wie seine eigenen

Staatsangehörigen

(Urteil in der Rechtssache C-182/15, Aleksei Petruhhin)

Ein estnischer Staatsangehöriger war auf der Website von Interpol zur Fahndung

ausgeschrieben. Er wurde am 30. September 2014 in der Stadt Bauska (Lettland) festgenommen

und kam in Untersuchungshaft. Am 21. Oktober 2014 stellte Russland bei den lettischen

Behörden einen Auslieferungsantrag. Darin hieß es, dass die Strafverfolgung von dem Esten

eingeleitet worden sei und dass er wegen versuchten bandenmäßigen Handels mit einer großen

Menge von Betäubungsmitteln in Haft zu nehmen sei. Nach russischem Recht kann diese Straftat

mit einer Gefängnisstrafe von 8 bis 20 Jahren geahndet werden.

Die Generalanwaltschaft von Lettland genehmigte die Auslieferung des estischen Staatsbürgers

an Russland. Der betroffene Este beantragte jedoch die Aufhebung dieser Entscheidung, weil er

der Meinung war, aufgrund des zwischen den baltischen Staaten geschlossenen

Übereinkommens über Rechtshilfe und die Rechtsbeziehungen in Lettland die gleichen Rechte

wie ein lettischer Staatsbürger zu haben. Da das lettische Recht Auslieferungen eigener

Staatsbürger grundsätzlich verbiete und Lettland seine Bürger gemäß dem Abkommen mit

Russland nicht dorthin ausliefern dürfe, sei Lettland verpflichtet, ihn vor einer ungerechtfertigten

Auslieferung zu schützen.

Vor diesem Hintergrund wollte der Oberste Gerichtshof Lettlands vom EuGH wissen, ob bei der

Anwendung eines zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat geschlossenen

Auslieferungsabkommens die Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats im Hinblick auf

das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und das Freizügigkeits-

und Aufenthaltsrecht der Unionsbürger in den Genuss der Vorschrift kommen müssen, die eine

Auslieferung der eigenen Staatsangehörigen verbietet.

Im Urteil vom 6. September 2016 wies der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass der estnische

Staatsangehörige als Unionsbürger von dem Recht auf Freizügigkeit in der Union Gebrauch

gemacht hat, indem er sich nach Lettland begab, so dass seine Situation in den

Anwendungsbereich der Verträge und damit unter den Grundsatz des Verbots der

Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit fällt.

Mangels Unionsrechtsvorschriften über die Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten und einem

Drittstaat ist es jedoch wichtig, die Gefahr der Straflosigkeit zu bekämpfen und gleichzeitig die

Unionsbürger vor Maßnahmen zu schützen, die ihnen ihr Recht auf Freizügigkeit verwehren

können.

Ein Mitgliedstaat, in dem sich ein Unionsbürger, der Staatsangehöriger eines anderen

Mitgliedstaats ist, begeben hat, ist verpflichtet, im Fall eines Auslieferungsantrags eines

Drittstaats den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, zu

informieren und ihm gegebenenfalls auf sein Ersuchen den Unionsbürger zu übergeben, sofern

21

dieser Mitgliedstaat nach seinem nationalen Recht für die Verfolgung dieser Person wegen im

Ausland begangener Straftaten zuständig ist.

Link zum vollständigen Urteil

22

Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr

Die Niederlassungsfreiheit steht einer nationalen Regelung entgegen, die die Genehmigung

für die Ausübung eines Gewerbes auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt,

wenn diese Regelung nicht in kohärenter und systematischer Weise das Ziel des Schutzes

der öffentlichen Gesundheit verfolgt

(Urteil in der Rechtssache C-293/14, Gebhart Hiebler/Walter Schlagbauer)

Der Oberste Gerichtshof beschloss das Verfahren betreffend einer anhängigen Rechtssache zu

einer gewerberechtlichen Regelung auszusetzen und dem Gerichtshof zwei Fragen zur

Vorabentscheidung vorzulegen.

Zunächst wurde gefragt, ob die Richtlinie 2006/12316 dahin auszulegen ist, dass die Ausübung

eines Gewerbes wie des Rauchfangkehrers insgesamt vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie

ausgenommen ist, weil dieses Gewerbe auch die Erfüllung von Aufgaben der „Feuerpolizei“

umfasst. Mit der zweiten Frage wollt man wissen, ob die Art. 10 und 15 der Richtlinie 2006/123

einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Genehmigung zur Ausübung des

Rauchfangkehrergewerbes insgesamt auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt.

In seinem Urteil vom 23. Dezember 2015, stellte das Gericht fest, dass die Aufgaben der

„Feuerpolizei“ nur helfende Tätigkeiten bei der Ausübung öffentlicher Gewalt umfassen, da die

Rauchfangkehrer nicht über eigene Vollzugs-, Verbots- oder Zwangsbefugnisse gegenüber ihren

Kunden verfügen. Hieraus folgt, dass die von den Rauchfangkehrern durchgeführten Aufgaben

der „Feuerpolizei“ als solche nicht mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt verbunden sind und

deshalb nicht gemäß dieser Bestimmung vom Anwendungsbereich der Richtlinie

„Dienstleistungen“ ausgenommen sind. Darüber hinaus fielen diese Aufgaben selbst dann in

den Anwendungsbereich dieser Richtlinie, wenn sie als mit der Erfüllung einer Dienstleistung

von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse verbunden eingestuft werden müssten. Es wird in

der Richtlinie ausdrücklich angegeben, dass die aufgestellten Regeln grundsätzlich auf alle

Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse anwendbar sind, da von ihrem

Anwendungsbereich nur nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

ausgenommen sind.

Hinsichtlich der zweite Frage, stellte der Gerichtshof fest, dass unter bestimmten Bedingungen

sowohl Art. 10 als auch Art. 15 der Richtlinie die Möglichkeit vorsehen, eine territoriale

Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungstätigkeiten zu rechtfertigen.

Diesen Bedingungen wären: die Beschränkung stellt keine Diskriminierung aufgrund der

Staatsangehörigkeit dar; sie ist ferner durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses

gerechtfertigt; sie ist zur Verwirklichung des verfolgten Ziels geeignet. Schließlich geht sie nicht

über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist und kann nicht durch andere

weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zu dem gleichen Ergebnis führen.

Das Gericht wies auch darauf hin, dass die staatliche Regelung die Abgrenzung der

geografischen Gebiete nicht unmittelbar festlegt und für diese Abgrenzung nicht mittels

kohärenter Kriterien einen Rahmen mit dem Ziel festlegt, eine gleichmäßige Verteilung der

Wahrnehmung sowohl der privatwirtschaftlichen Tätigkeiten als auch der Aufgaben der

„Feuerpolizei“ durch die Rauchfangkehrer in diesen Gebieten sicherzustellen. In Ansicht des

Gerichts besteht daher die Gefahr, dass bei der Umsetzung der Regelung keine gleichmäßige

Verteilung der Ausübung der privatwirtschaftlichen Rauchfangkehrertätigkeiten über das

16 Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt

23

gesamte betroffene Gebiet und somit auch kein entsprechendes Niveau des Schutzes der

öffentlichen Gesundheit auf der Gesamtheit dieses Gebiets sichergestellt ist.

Link zum vollständigen Urteil

24

Nach dem Unionsrecht dürfen Konzessionen, die für die Ausübung von Touristik- und

Freizeittätigkeiten in im öffentlichen Eigentum stehenden Gebieten erteilt worden sind,

nicht automatisch verlängert werden, wenn kein Verfahren zur Auswahl der Bewerber

stattgefunden hat

(Urteil in der Rechtssache C-458/14, Promoimpresa Srl / Consorzio dei comuni della Sponda Bresciana del

Lago di Garda e del Lago di Idro u. a.)

Die Dienstleistungsrichtlinie17 erlaubt den Mitgliedstaaten, die Ausübung einer

Dienstleistungstätigkeit einer Genehmigungsregelung zu unterwerfen und die Zahl der

verfügbaren Genehmigungen aufgrund der Knappheit der natürlichen Ressourcen oder der

verfügbaren technischen Kapazitäten zu begrenzen.

In Italien sieht die nationale Regelung eine generelle automatische Verlängerung der Laufzeit

von Konzessionen vor, die ohne vorheriges Auswahlverfahren für die touristische Nutzung von

im öffentlichen Eigentum stehenden Gütern an Meeren und Seen (u. a. von Stränden) erteilt

worden waren. Trotz dieser Rechtsvorschriften wurde privaten Touristikunternehmen von den

italienischen Behörden die Verlängerung ihrer Konzessionen verweigert. Die betroffenen

Unternehmen erhoben dagegen Klage. Die mit diesen Klagen befassten italienischen Gerichte

haben an den Gerichtshof die Vorabentscheidungsersuchen gerichtet, um die Gesetzauslegung

des Artikels 12 der Dienstleistungsrichtlinie zu erhalten.

Mit dem Urteil vom 14. Juli 2016 betonte der Gerichtshof zunächst, dass es dem nationalen

Gericht obliegt zu prüfen, ob die Zahl der italienischen Konzessionen aufgrund der Knappheit

der natürlichen Ressourcen begrenzbar ist. Der Gerichtshof wies sodann darauf hin, dass die

Vergabe von Konzessionen zur wirtschaftlichen Nutzung von in öffentlichem Eigentum

stehenden Gebieten an Meeren und an Seen aufgrund eines neutralen und transparenten

Verfahrens zur Auswahl der Bewerber (das u. a. angemessen bekannt zu machen ist) erfolgen

muss.

Artikel 12 der Richtlinie erlaubt zwar den Mitgliedstaaten, bei der Festlegung der Regeln für das

Auswahlverfahren zwingende Gründe des Allgemeininteresses zu berücksichtigen – wie u. a.

das berechtigte Vertrauen der Inhaber von Genehmigungen, die von ihnen getätigten

Investitionen amortisieren zu können –. Solche Gründe können jedoch keine automatische

Verlängerung von Genehmigungen rechtfertigen, wenn bei deren erstmaliger Vergabe kein

Auswahlverfahren durchgeführt worden ist.

Der Gerichtshof stellte schließlich klar, dass Artikel 12 der Richtlinie einer nationalen Maßnahme

entgegensteht, die vorsieht, dass Konzessionen, die für die Ausübung von Touristik- und

Freizeittätigkeiten in im öffentlichen Eigentum stehenden Gebieten am Meer und an Seen erteilt

worden sind, automatisch verlängert werden, ohne dass ein Verfahren zur Auswahl der

Bewerber stattgefunden hat.

Falls die Richtlinie nicht anwendbar ist, ist Artikel 49 AEUV dahin auszulegen, dass er nationalen

Rechtsvorschriften, die vorsehen, dass laufende Konzessionen, die in Bezug auf im öffentlichen

17 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen

im Binnenmarkt (ABl. L 376, S. 36).

25

Eigentum stehende Güter zum Zweck der Ausübung von Touristik- und Freizeittätigkeiten erteilt

worden sind, automatisch verlängert werden, soweit an diesen Konzessionen ein eindeutiges

grenzüberschreitendes Interesse besteht.

Link zum Urteil des Gerichtshofs

26

Ein Geschäftsinhaber, der der Öffentlichkeit kostenlos ein WiFi-Netz zur Verfügung stellt,

ist für Urheberrechtsverletzungen eines Nutzers nicht verantwortlich

(Urteil in der Rechtssache C-484/14 Tobias Mc Fadden/Sony Music Entertainment Germany GmbH)

In Deutschland betreibt ein Bürger ein Geschäft für Licht- und Tontechnik, in dem er kostenlos

ein öffentlich zugängliches WiFi-Netz bereitstellt, um die Aufmerksamkeit potentieller Kunden

auf seine Waren und Dienstleistungen zu lenken. Über dieses Netz wurde im Jahr 2010 ein

musikalisches Werk, für das ein japanischer Elektronikkonzern die Rechte innehat, rechtswidrig

zum Herunterladen angeboten. Das mit dem Rechtsstreit zwischen dem japanischen

Elektronikkonzern und dem Bürger befasste Landgericht München I vertrat die Ansicht, dass der

Bürger selbst die betreffenden Urheberrechtsverletzungen nicht begangen habe. Es hielt jedoch

seine mittelbare Haftung für diese Rechtsverletzungen für denkbar, da er sein WiFi-Netz nicht

gesichert hatte. Da es Zweifel hatte, ob die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr18

einer solchen mittelbaren Haftung entgegensteht, hat es dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen

vorgelegt.

In seinem Urteil vom 15. September 2016 stellte der Gerichtshof fest, dass ein Anbieter, der der

Öffentlichkeit unentgeltlich ein WiFi-Netz zur Verfügung stellt, um die Aufmerksamkeit

potentieller Kunden auf die Waren oder Dienstleistungen eines Geschäfts zu lenken, damit einen

„Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne der Richtlinie erbringt. Die Haftung von

Vermittlern, die Dienste der reinen Durchleitung von Daten anbieten, ist durch die Richtlinie

allerdings beschränkt, und zwar dann, wenn Dritte eine rechtswidrig begangene Handlung

vornehmen und folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt haben: 1. Der Anbieter von

Diensten hat die Übermittlung nicht veranlasst. 2. Er hat den Adressaten der Übertragung nicht

ausgewählt. 3. Er hat die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert. Diese

drei Voraussetzungen liegen bei dem Bürger vor, daher hat der Urheberrechtsinhaber gegen ihn,

den Anbieter, keinen Anspruch auf Schadenersatz. Der EuGH wies in seiner Entscheidung aber

nochmal ausdrücklich darauf hin, dass es der Richtlinie nicht zuwiderläuft, wenn

Urheberrechtsinhaber bei einer innerstaatlichen Behörde oder einem innerstaatlichen Gericht die

Anordnung beantragen, mit der dem Anbieter aufgegeben wird, jeder Urheberrechtsverletzung

durch seine Kunden ein Ende zu setzen oder solchen Rechtsverletzungen vorzubeugen.

Der Gerichtshof stellte auch fest, dass eine Anordnung, mit der dem Anbieter die Sicherung des

Internetanschlusses durch ein Passwort aufgegeben wird, geeignet erscheint, ein Gleichgewicht

zwischen den Rechtsinhabern an ihrem geistigen Eigentum einerseits und dem Recht der

Anbieter von Internetzugangsdiensten auf unternehmerische Freiheit und dem Recht der

Internetnutzer auf Informationsfreiheit andererseits herzustellen. Um den Abschreckungseffekt

zu gewährleisten, ist es allerdings erforderlich, dass die Nutzer, um nicht anonym handeln zu

können, ihre Identität offenbaren müssen, bevor sie das erforderliche Passwort erhalten.

Link zum vollständigen Urteil

18 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche

Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt

(„Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. L 178, S. 1).

27

Das Verleihen elektronischer Bücher (E-Books) kann unter bestimmten Voraussetzungen

dem Verleihen herkömmlicher Bücher gleichgestellt werden

(Urteil in der Rechtssache C-174/15 Vereinigung Openbare Bibliotheken/Stichting Leenrecht)

In den Niederlanden fällt das Verleihen von E-Books nicht unter die Regelung, die für das

öffentliche Verleihen herkömmlicher Bücher gilt. Zurzeit stellen die öffentlichen Bibliotheken E-

Books über das Internet auf der Grundlage von Lizenzvereinbarungen mit den Rechtsinhabern

zur Verfügung.

Ein niederländischer Verband, in dem alle öffentlichen Bibliotheken in den Niederlanden

zusammengeschlossen sind, ist der Ansicht, dass die Regelung für herkömmliche Bücher auch

für das Verleihen von E-Books gelten müsse. Vor diesem Hintergrund erhob sie gegen eine

Stiftung, die mit der Erhebung der Urhebervergütung betraut ist, eine entsprechende

Feststellungsklage. Die Klage des Verbandes betrifft das nach dem „One-copy-one-user“-Modell

organisierte Verleihen, bei dem eine digitale Buchkopie in der Form verliehen wird, dass diese

Kopie auf dem Server einer öffentlichen Bibliothek abgelegt und es dem Nutzer ermöglicht wird,

diese durch Herunterladen auf seinem eigenen Computer zu reproduzieren, wobei nur eine

einzige Kopie während der Leihfrist heruntergeladen werden kann und der Nutzer nach Ablauf

der Leihfrist die von ihm heruntergeladene Kopie nicht mehr nutzen kann.

Eine Richtlinie der Union aus dem Jahr 200619, die unter anderem das Vermiet- und Verleihrecht

in Bezug auf Bücher behandelt, sieht vor, dass das ausschließliche Recht, das Vermieten oder

Verleihen eines Buchs zu erlauben oder zu verbieten, dem Urheber des Werks zusteht. Die

Mitgliedstaaten können jedoch hinsichtlich des öffentlichen Verleihwesens Ausnahmen von

diesem ausschließlichen Recht vorsehen, sofern zumindest die Urheber eine angemessene

Vergütung erhalten. Damit stellt sich die Frage, ob diese Ausnahme auch auf das Verleihen von

E-Books nach dem „One-copy-one-user“-Modell Anwendung findet.

In seinem Urteil von 10. November 2016 stellte der Gerichtshof zunächst fest, dass es keinen

zwingenden Grund dafür gibt, das Verleihen von digitalen Kopien und von unkörperlichen

Gegenständen in jedem Fall vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen. Diese

Schlussfolgerung wird im Übrigen durch das mit der Richtlinie verfolgte Ziel gestützt, wonach

das Urheberrecht an neue wirtschaftliche Entwicklungen angepasst werden muss. Außerdem liefe

ein vollständiger Ausschluss des digitalen Verleihens vom Anwendungsbereich der Richtlinie dem

allgemeinen Grundsatz zuwider, der ein hohes Schutzniveau für die Urheber vorschreibt.

Dem Gerichtshof zufolge erfasst der Begriff des „Verleihens“ im Sinne der Richtlinie auch das

„One-copy-one-user“-Modell.

Link zum vollständigen Urteil

19 Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und

Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. 2006, L 376, S. 28).

28

Die Dienstleistungsrichtlinie steht dem Erfordernis entgegen, bei Stellung eines

Genehmigungsantrags die mit der Verwaltung und Durchsetzung der betreffenden

Genehmigungsregelung verbundenen Kosten zu zahlen

(Urteil in der Rechtssache C-316/15 Timothy Martin Hemming, unter der Firma „Simply Pleasure Ltd“

handelnd, u. a. / Westminster City Council)

Der Rekursbewerber ist Inhaber einer Lizenz, die ihm den Betrieb von Sexshops in Westminster

gestattet. Für die Erteilung von Lizenzen für solche Etablissements ist in dieser Gemeinde der

Stadtrat von Westminster zuständig. Nach britischem Recht hat jeder, der einen Antrag auf

Erteilung oder Verlängerung einer Lizenz stellt, eine von der zuständigen Behörde festgelegte

angemessene Gebühr zu entrichten. Diese Gebühr besteht aus zwei Teilen, einem für die

Antragsbearbeitung (der bei einer Ablehnung des Antrags nicht erstattet wird) und einem (sehr

viel höheren) für die Verwaltung der Lizenzregelung (der bei einer Ablehnung des Antrags zu

erstatten ist).

Nach Auffassung des Rekurswerbers hat der Stadtrat von Westminster, indem er die Zahlung

des zweiten Teils der Gebühr vorschrieb, gegen die Dienstleistungsrichtlinie20 verstoßen. Gemäß

dieser Richtlinie müssen die Kosten, die sich aus den Genehmigungsverfahren ergeben,

vertretbar und zu den Kosten des Verfahrens verhältnismäßig sein und dürfen diese nicht

übersteigen. Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs fragt, ob der zweite Teil der

Gebühr für einen Antragsteller gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstoßende

„Kosten“ darstellt, soweit der Betrag dieser Gebühr die Kosten der Antragsbearbeitung

übersteigt.

In seinem Urteil von 16. November 2016 antwortete der Gerichtshof, dass das Unionsrecht der

Erhebung einer Gebühr, von der ein Teil den mit der Verwaltung der Genehmigungsregelung

verbundenen Kosten entspricht, entgegensteht, und zwar auch dann, wenn dieser Teil bei einer

Ablehnung des Antrags zu erstatten ist.

Der Gerichtshof wies darauf hin, dass der Umstand, dass eine Gebühr zu zahlen ist, eine

finanzielle Verpflichtung und damit „Kosten“ im Sinne der Dienstleistungsrichtlinie darstellt,

unabhängig davon, dass der Betrag bei einer Ablehnung des Antrags später zurückerlangt

werden kann. Keinesfalls darf, so der Gerichtshof, der Betrag solcher Kosten die Kosten des in

Frage stehenden Genehmigungsverfahrens übersteigen. Der Gerichtshof hatte nämlich bereits

die Gelegenheit, im Hinblick auf eine Bestimmung des Unionsrechts klarzustellen, dass die

berücksichtigten Kosten nicht die Ausgaben für die allgemeine Überwachungstätigkeit der

betreffenden Behörde einschließen dürfen. Diese Erwägung gilt erst recht für die in der

Dienstleistungsrichtlinie genannten „Kosten der Verfahren“.

Link zum vollständigen Urteil

20 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36).

29

Öffentliche Aufträge

Ein offenes System von Vereinbarungen, das von einer öffentlichen Behörde für den

Einkauf von Gütern verwendet wird, entspricht nicht einem Auftrag im Sinne des Rechts

der Europäischen Union

(Urteil im Fall C-410/14, Dr. Falk Pharma GmbH/ DAK-Gesundheit)

Eine deutsche Krankenkasse wendet ein Vergabeverfahren an, bei dem eine unbegrenzte Zahl

an Teilnehmern während der gesamten Laufzeit der Ausschreibung in den Vertrag einsteigen

kann. Dieses Verfahren sieht den Einstieg aller an der Ausschreibung interessierten

Unternehmen, die die Zulassungsbedingungen erfüllen, in die Vereinbarungen vor. Somit ist es

möglich mit all diesen Unternehmen identische Verträge mit vorbestimmten und nicht

verhandelbaren Konditionen abzuschließen. Des Weiteren können auch nach dem ersten

Vertragsabschluss andere Unternehmen, die die Zulassungsbedingungen erfüllen, zu den

gleichen Konditionen während der gesamten Laufzeit der Ausschreibung in den Vertrag

einsteigen.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat den Fall dem EuGH vorgelegt, mit der Frage, ob die

Richtlinie 2004/18/EG so zu interpretieren ist, dass es sich bei dem beschriebenen

Vergabeverfahren (und dem einzigen Vertragsabschluss) um eine öffentliche Ausschreibung

handelt.

Im Urteil vom 2. Juni 2016 bemerkte der EUGH, dass es das Ziel der Richtlinie 2004/18/EG ist,

der Bevorzugung inländischer Wirtschaftsteilnehmer entgegenzuwirken. Der EuGH stellte fest,

dass das Risiko, inländische Wirtschaftsteilnehmer zu bevorzugen, eng mit der Auswahl

verbunden ist, die der öffentliche Auftraggeber unter den zulässigen Angeboten vorzunehmen

beabsichtigt, sowie mit der Ausschließlichkeit, die sich für den Wirtschaftsteilnehmer, dessen

Angebot angenommen wurde, oder – im Fall einer Rahmenvereinbarung – für die

Wirtschaftsteilnehmer, deren Angebote angenommen wurden, aus dem erteilten Zuschlag ergibt,

was Sinn und Zweck eines öffentlichen Vergabeverfahrens ist.

Strebt folglich eine öffentliche Einrichtung an, mit allen Wirtschaftsteilnehmern, die die

betreffenden Waren zu den von ihr vorgegebenen Bedingungen anbieten wollen, Lieferverträge

zu schließen, so hat die fehlende Auswahl eines Wirtschaftsteilnehmers, an den ein Auftrag mit

Ausschließlichkeit vergeben wird, zur Folge, dass das Tätigwerden dieses öffentlichen

Auftraggebers nicht den präzisen Regeln der Richtlinie 2004/18 unterworfen werden muss, um

zu verhindern, dass er bei der Auftragsvergabe inländische Wirtschaftsteilnehmer bevorzugt.

Ein solches Verfahren unterliegt, soweit sein Gegenstand ein eindeutiges grenzüberschreitendes

Interesse aufweist, den Grundregeln des AEUV, insbesondere den Grundsätzen der

Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer sowie dem sich daraus

ergebenden Transparenzgebot, das eine angemessene Bekanntmachung verlangt. Die

Mitgliedstaaten verfügen dabei in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede

stehenden über einen gewissen Gestaltungsspielraum beim Erlass von Maßnahmen zur

Gewährleistung der Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und des

Transparenzgebots.

Link zum Urteil des Gerichtshofs

30

Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

Das Unionsrecht gestattet die Inhaftierung eines Asylwerbers, wenn dies aus Gründen der

öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist

(Urteil in der Rechtssache C-601/15, J.N./Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie)

Im Jahr 1995 stellte ein Asylwerber in den Niederlanden einen ersten Asylantrag, der im Jahr

1996 abgelehnt wurde. In den Jahren 2012 und 2013 stellte derselbe Asylwerber erneute

Anträge. Im Jahr 2014 lehnte der Staatssekretär den letzten dieser Anträge ab und verhängte

ein Einreiseverbot für die Dauer von zehn Jahren. Von 1999 bis 2015 wurde der Asylwerber in

21 Fällen wegen verschiedener Straftaten (insbesondere Diebstähle) zu Geld- und

Freiheitsstrafen verurteilt. Zuletzt wurde er 2015 festgenommen. Er wurde erneut zu einer

Freiheitsstrafe verurteilt und nach deren Verbüßung als Asylwerber inhaftiert. Während der

Verbüßung der Freiheitsstrafe hatte er nämlich einen vierten Asylantrag gestellt.

In diesem Kontext hat der mit der Klage befasste niederländische Staatsrat dem Gerichtshof eine

Frage vorgelegt. Er fragt nach der Gültigkeit der Richtlinie 2013/3321, nach der ein Asylwerber

inhaftiert werden kann, wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen

Ordnung erforderlich ist.

Der Gerichtshof stellte in seinem Urteil vom 15. Februar 2016 zunächst fest, dass die in der

Richtlinie vorgesehene Inhaftierung einer von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl

dienenden Zielsetzung tatsächlich entspricht. Er wies darauf hin, dass der Schutz der nationalen

Sicherheit und der öffentlichen Ordnung auch zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer

beiträgt. Nach der Grundrechtecharta der EU hat jeder Mensch nicht nur das Recht auf Freiheit,

sondern auch auf Sicherheit.

Angesichts des Rechts auf Freiheit und der Schwere des in einer Inhaftierung bestehenden

Eingriffs hebt der Gerichtshof hervor, dass sich die Einschränkungen der Ausübung dieses Rechts

auf das absolut Notwendige beschränken müsse.

Er fügte hinzu, dass der Begriff der öffentlichen Sicherheit sowohl die innere als auch die äußere

Sicherheit eines Mitgliedstaats umfasst. Infolgedessen können die Beeinträchtigung des

Funktionierens der Einrichtung des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das

Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen

Beziehungen die öffentliche Sicherheit berühren.

Der Gerichtshof führte schließlich aus, dass die den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie 2013/33

eingeräumte Befugnis, Personen aus Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen

Ordnung zu inhaftieren, nicht gegen das Schutzniveau der Europäischen

Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt, die die Inhaftierung einer Person gestattet, gegen

die ein Ausweisungsverfahren „im Gange“ ist.

Im Ergebnis stellte der Gerichtshof fest, dass die Gültigkeit der Richtlinie 2013/33 durch die

Gestattung solcher Inhaftierungsmaßnahmen, deren Umfang aufgrund der Erfordernisse der

Verhältnismäßigkeit eng begrenzt sind, nicht in Frage gestellt wird.

21 RL 2013/33/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen.

32

Ein Tatverdächtiger kann in einem Schengen-Staat erneut strafrechtlich verfolgt werden,

wenn die frühere Strafverfolgung in einem anderen Schengen-Staat ohne eingehende

Ermittlungen eingestellt worden ist

(Urteil in der Rechtssache C-486/14 Piotr Kossowski)

Die Staatsanwaltschaft Hamburg wirft einem Beschuldigten vor, in Hamburg eine schwere

räuberische Erpressung begangen zu haben. Das Landgericht Hamburg lehnte die Eröffnung des

Hauptverfahrens jedoch mit der Begründung ab, dass dem der Grundsatz ne bis in idem, wie er

im Schengen-Raum gilt, entgegenstehe. Nach diesem Grundsatz darf eine Person wegen

derselben Straftat nicht zweimal verfolgt oder bestraft werden. Im vorliegenden Fall hatte die

Kreisstaatsanwaltschaft Kołobrzeg in Polen, wo der Beschuldigte wegen einer anderen Straftat

festgenommen worden war, wegen derselben Tat bereits ein Ermittlungsverfahren gegen ihn

eröffnet und dieses mangels hinreichenden Tatverdachts endgültig eingestellt. In Polen wurden

keine eingehenderen Ermittlungen durchgeführt.

Das von der Staatsanwaltschaft Hamburg angerufene Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg

ersucht den Gerichtshof um Präzisierung der Tragweite des Grundsatzes ne bis in idem. Es

möchte insbesondere wissen, ob der Beschuldigte der Beschluss der polnischen

Staatsanwaltschaft, welcher ohne eingehende Ermittlungen22 erlassen wurde, einer erneuten

Strafverfolgung wegen derselben Tat in Deutschland entgegenstünde.

In seinem Urteil vom 29. Juni 2016 stellte der Gerichtshof fest, dass der Grundsatz ne bis in

idem das Ziel verfolgt, einem Betroffenen zu garantieren, dass er sich, wenn er in einem

Schengen-Staat verurteilt worden ist und die Strafe verbüßt hat oder gegebenenfalls endgültig

freigesprochen worden ist, im Schengen-Raum bewegen kann, ohne befürchten zu müssen, dass

er in einem anderen Schengen-Staat wegen derselben Tat verfolgt wird. Dieser Grundsatz

verfolgt jedoch nicht das Ziel, einen Verdächtigen davor zu schützen, dass er möglicherweise

wegen derselben Tat in mehreren Schengen-Staaten aufeinanderfolgenden Ermittlungen

ausgesetzt ist.

Die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem auf einen Einstellungsbeschluss, den die

Justizbehörden eines Schengen-Staates ohne jede eingehende Prüfung des dem Angeschuldigten

vorgeworfenen rechtswidrigen Verhaltens erlassen haben, liefe dem Zweck des Raums der

Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, der in der Bekämpfung der Kriminalität besteht,

offensichtlich zuwider und könnte das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander

gefährden. Daher hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass der vorliegende Beschluss der

Staatsanwaltschaft, mit dem das Strafverfahren beendet und das Ermittlungsverfahren gegen

eine Person (ohne die Auferlegung von Sanktionen) endgültig eingestellt wird, nicht als

rechtskräftige Entscheidung im Sinne des Grundsatzes ne bis in idem eingestuft werden kann,

wenn aus der Begründung dieses Beschlusses hervorgeht, dass dieses Verfahren eingestellt

wurde, ohne dass eingehende Ermittlungen durchgeführt worden wären.

Link zum vollständigen Urteil

22 Nach Ansicht des Oberlandesgerichts unterscheidet sich die vorliegende Rechtssache im Hinblick hierauf von der

Rechtssache, in der das Urteil des Gerichtshofs vom 5. Juni 2014, M, (C-398/12), ergangen ist.

33

Der Gerichtshof bekräftigt, dass Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten während der

ersten drei Monate ihres Aufenthalts bestimmte Sozialleistungen versagt werden dürfen

(Urteil in der Rechtssache C-299/14 Vestische Arbeit Jobcenter Kreis Recklinghausen / Jovanna García-Nieto

u.a.)

Deutsche Rechtsvorschriften sehen vor, dass Ausländer während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts

grundsätzlich von sozialen Leistungen ausgeschlossen sind. Deswegen hat ein deutsches Jobcenter

abgelehnt, einem spanischen Bürger und seinem Sohn für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in

Deutschland Leistungen der Grundsicherung nach deutschem Recht zu gewähren.

Im Rahmen der Klage, die der spanische Staatsangehörige gegen die Entscheidung des Jobcenters erhoben

hat, fragte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen den EuGH, ob Art. 24 der Richtlinie 2004/3823 und

Art. 4 der Verordnung Nr. 883/200424 der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der

Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger

Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, die auch eine Leistung der

„Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 darstellen, ausgeschlossen werden.

Mit seinem Urteil von 25. Februar 2016 bekräftigte der Gerichtshof seine neuere Rechtsprechung25, wonach

ein Mitgliedstaat Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten während der ersten drei Monate ihres

Aufenthalts von bestimmten Sozialleistungen ausschließen kann.

Der Gerichtshof wies darauf hin, dass Unionsbürger nach der „Unionsbürgerrichtlinie“ das Recht auf

Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten haben, wobei sie

lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein müssen und ansonsten keine

weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen brauchen. Da die Mitgliedstaaten von

Unionsbürgern während dieses Zeitraums nicht verlangen dürfen, dass sie über ausreichende Mittel zur

Bestreitung des Lebensunterhalts und eine persönliche Absicherung für den Krankheitsfall verfügen, erlaubt

die Richtlinie den Mitgliedstaaten, zur Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts ihrer Systeme der sozialen

Sicherheit den betreffenden Unionsbürgern während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts jegliche

Sozialhilfeleistungen zu verweigern.

Link zum vollständigen Urteil

23 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG. 24 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. 25 Urteile des Gerichtshofs vom 15. September 2015, Alimanovic (C-67/14) und vom 11. November 2014, Dano (C-333/13).

34

Die Dublin-III-Verordnung gestattet den Mitgliedstaaten, eine Person, die um internationalen

Schutz ansucht, in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen, unabhängig davon,

ob es sich um den für die Bearbeitung des Antrags zuständigen Mitgliedstaat oder einen

anderen Mitgliedstaat handelt

(Urteil in der Rechtssache C-695/15 PPU Shiraz Baig Mirza/Bevándorlási és Állampolgársági Hivatal)

Im August 2015 reiste ein pakistanischer Staatsangehöriger rechtswidrig aus Serbien in das

ungarische Hoheitsgebiet ein und stellte dort einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Während das Verfahren lief, verließ er den ihm von den ungarischen Behörden zugewiesenen

Aufenthaltsort. Mit Bescheid vom 9. Oktober 2015 schlossen diese Behörden die Prüfung seines

Antrags mit der Begründung ab, dass der Antragsteller ihn stillschweigend zurückgenommen

habe.

In der Folge wurde er in der Tschechischen Republik aufgegriffen, als er versuchte, nach

Österreich zu gelangen. Die tschechischen Behörden ersuchten Ungarn, ihn wiederaufzunehmen;

Ungarn entsprach diesem Ersuchen. Der pakistanische Staatsangehörige stellte daraufhin in

Ungarn einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Am 19. November 2015 wiesen die

ungarischen Behörden diesen Antrag ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig zurück. Sie

vertraten nämlich die Ansicht, dass Serbien für den Antragsteller ein sicherer Drittstaat sei.

Der pakistanische Staatsangehörige hat dagegen Klage erhoben. Das beauftragte Gericht möchte

vom Gerichtshof wissen, ob ein Asylwerber in einen sicheren Drittstaat zurück- oder ausgewiesen

werden kann, obwohl die tschechischen Behörden offenbar nicht über die ungarische Regelung

und Praxis der Überstellung von Personen, die um internationalen Schutz ansuchen, in sichere

Drittstaaten unterrichtet wurden.

In seinem Urteil vom 17. März 2016 stellte der Gerichtshof zunächst fest, dass ein Mitgliedstaat

das Recht, eine Person, die um internationalen Schutz ansucht, in einen sicheren Drittstaat

zurück- oder auszuweisen, auch ausüben kann, nachdem er im Rahmen eines

Wiederaufnahmeverfahrens seine Zuständigkeit nach der Dublin-III-Verordnung26 für die

Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz bejaht hat, der von einer Person gestellt wurde,

die diesen Mitgliedstaat verlassen hat, bevor über ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz

in der Sache entschieden worden war.

Sodann stellte der Gerichtshof fest, dass die Dublin-III-Verordnung im Rahmen des Verfahrens

zur Wiederaufnahme einer Person, die um internationalen Schutz ansucht, den zuständigen

Mitgliedstaat (in diesem Fall Ungarn) nicht verpflichtet, den überstellenden Mitgliedstaat

(Tschechische Republik) über den Inhalt seiner nationalen Regelung im Bereich der Zurück- oder

Ausweisung von Antragstellern in sichere Drittstaaten oder seine Verwaltungspraxis in diesem

Bereich zu unterrichten.

Schließlich entschied der Gerichtshof, dass das Recht der um internationalen Schutz

ansuchenden Person darauf, dass in einer Situation wie der hier in Rede stehenden abschließend

über ihren Antrag entschieden wird, sei es im Rahmen des unterbrochenen Verfahrens oder sei

26 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L180, S.31)

35

es im Rahmen eines neuen Verfahrens, in dem sein Antrag nicht als Folgeantrag behandelt wird,

nicht impliziert, dass der zuständige Mitgliedstaat daran gehindert

ist, den Antrag für unzulässig zu erklären, oder dass er die Prüfung des Antrags in einem

bestimmten Verfahrensstadium wiederaufnehmen muss.

Link zum vollständigen Urteil

36

Der Gerichtshof äußert sich zum Verhältnis zwischen der Freizügigkeit von Personen,

denen internationaler Schutz gewährt wurde, und den Maßnahmen, die darauf abzielen, die

Integration dieser Personen zu erleichtern

(Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-443/14 und C-444/14, Kreis Warenhof / Ibrahim Alo und Amira

Osso / Region Hannover)

Nach der Richtlinie der Union27 müssen die Mitgliedstaaten die Bewegungsfreiheit von Personen,

denen sie den subsidiären Schutzstatus28 zuerkannt haben, in ihrem Hoheitsgebiet unter den

gleichen Bedingungen und Einschränkungen gestatten wie für andere Nicht-EU-Bürger, die sich

rechtmäßig dort aufhalten.

Nach deutschem Recht wird die Aufenthaltserlaubnis von Personen mit subsidiärem

Schutzstatus, die soziale Leistungen beziehen, mit der Auflage verbunden, ihren Wohnsitz an

einem bestimmten Ort zu nehmen (im Folgenden: Wohnsitzauflage). Mit dieser Auflage kann

unter anderem das Ziel verfolgt werden, die Integration von Nicht-EU-BürgerInnen in die

deutsche Gesellschaft zu erleichtern.

Zwei syrischen StaatsbürgerInnen wurde in Deutschland subsidiärer Schutz gewährt. Ferner

wurde ihnen eine Wohnsitzauflage erteilt, die sie vor den deutschen Gerichten anfechten.

Mit seinem Urteil vom 1. März 2016 stellte der Gerichtshof zunächst fest, dass die Richtlinie die

Mitgliedstaaten verpflichtet, den Personen, denen sie den subsidiären Schutzstatus zuerkannt

haben, nicht nur zu gestatten, sich in ihrem Hoheitsgebiet frei zu bewegen, sondern auch, dort

ihren Wohnsitz zu wählen. Folglich stellt eine diesen Personen erteilte Wohnsitzauflage eine

Einschränkung der durch die Richtlinie gewährleisteten Freizügigkeit dar.

Der Gerichtshof hob weiters hervor, dass Personen mit subsidiärem Schutzstatus in Bezug auf

die Wahl ihres Wohnsitzes grundsätzlich keiner strengeren Regelung unterworfen werden dürfen

als andere Nicht-EU-BürgerInnen, die sich regelmäßig im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten.

Gleichwohl hielt der Gerichtshof es für zulässig, eine Wohnsitzauflage nur Personen mit

subsidiären Schutzstatus zu erteilen, wenn diese sich im Hinblick auf das mit der fraglichen

nationalen Regelung verfolgte Ziel nicht in einer Situation befinden, die mit der Situation anderer

Nicht-EU-BürgerInnen, die sich regelmäßig in den betreffenden Mitgliedstaaten aufhalten, oder

von Angehörigen dieses Staates objektiv vergleichbar ist.

Das Bundesverwaltungsgericht wird prüfen müssen, ob Personen mit subsidiärem Schutzstatus,

die Sozialhilfe beziehen, in stärkerem Maß mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert sind als

andere Nicht-EU-BürgerInnen, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten und Sozialhilfe

beziehen. Sofern sich diese beiden Personengruppen im Hinblick auf das Ziel, die Integration von

Nicht-EU-BürgerInnen in Deutschland zu erleichtern, nicht in einer vergleichbaren Situation

befinden, steht die Richtlinie einer Wohnsitzauflage für Personen mit subsidiärem Schutzstatus

zur Förderung ihrer Integration nicht entgegen. Dies gilt auch dann, wenn die Auflage nicht für

andere Nicht-EU-BürgerInnen gilt, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten.

Link zum vollständigen Urteil

27 Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337, S. 9). 28 Der subsidiäre Schutzstatus kann Nicht-EU-Bürgern gewährt werden, die nicht als Flüchtlinge eingestuft werden, aber aus ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen internationalen Schutz benötigen.

37

Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf Familienzusammenführung ablehnen, wenn

sich aus einer Prognose ergibt, dass der Zusammenführende während des Jahres nach der

Antragstellung nicht über feste, regelmäßige und ausreichende Einkünfte verfügen wird

(Urteil in der Rechtssache C-558/14, Mimoun Khachab / Subdelegación del Gobierno en Álava)

Die Familienzusammenführungsrichtlinie29 soll die Zusammenführung von Familienangehörigen

fördern, die keine EU-BürgeInnen sind. Nach der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten u.a. dem

Ehegatten des Zusammenführenden die Einreise und den Aufenthalt gestatten, sofern bestimmte

Bedingungen erfüllt sind. Die Mitgliedstaaten dürfen einen Antrag auf Familienzusammenführung

ablehnen oder gegebenenfalls den Aufenthaltstitel eines Familienangehörigen entziehen oder

seine Verlängerung verweigern, wenn die in der Richtlinie festgelegten Bedingungen nicht oder

nicht mehr erfüllt sind.

Nach spanischem Recht darf eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung nicht

erteilt werden, wenn zweifelsfrei festgestellt wird, dass keine Aussicht auf eine Beibehaltung der

finanziellen Mittel des Zusammenführenden im Laufe des ersten Jahres nach dem Tag der

Antragstellung besteht.

Einem Angehörigen eines Nicht-EU-Staates, der in Spanien wohnt und dort eine Erlaubnis zum

langfristigen Aufenthalt besitzt, wurde im März 2012 der Nachzug seiner Ehegattin zwecks

Familienzusammenführung verweigert. Der Widerspruch und die Klage gegen die

Ablehnungsentscheidung wurden u.a. mit der Begründung abgewiesen, dass nichts darauf

hindeute, dass der Antragsteller während des Jahres nach Stellung des Antrags auf

Familienzusammenführung über ausreichende Einkünfte verfügen werde.

Das zuständige Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Obergericht für das Baskenland) hat

Zweifel, ob die spanische Regelung mit der Richtlinie vereinbar ist. Es fragt sich, ob es für einen

Anspruch auf Familienzusammenführung ausreichen muss, dass der Zusammenführende zum

Zeitpunkt der Antragstellung über feste, regelmäßige und ausreichende Einkünfte verfügt, oder

ob auch die Frage berücksichtigt werden darf, ob er über diese Einkünfte noch während des

Jahres nach diesem Zeitpunkt verfügen wird.

Mit seinem Urteil vom 21. April 2016 erklärte der Gerichtshof die spanischen Rechtsvorschriften

für mit der Richtlinie vereinbar.

Auch wenn die Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich die Befugnis einräumt, zu prüfen,

ob die Voraussetzung fester, regelmäßiger und ausreichender Einkünfte des

Zusammenführenden über den Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf

Familienzusammenführung hinaus fortbestehen wird, kann sie nicht dahin ausgelegt werden,

dass sie einer solchen Befugnis entgegensteht. Die Richtlinie sieht nämlich ausdrücklich vor, dass

die Mitgliedstaaten die Regelmäßigkeit der Einkünfte prüfen müssen. Der Zusammenführende

muss nicht nur nachweisen, dass er zum Zeitpunkt der Prüfung seines Antrags auf

Familienzusammenführung über ausreichende Einkünfte verfügt, sondern diese Einkünfte

müssen auch fest und regelmäßig sein, was eine prognostische Prüfung dieser Einkünfte durch

die zuständige nationale Behörde voraussetzt.

29 Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251, S. 12).

39

Rechtsangleichung

Ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht muss, nachdem der Gerichtshof der

Europäischen Union bereits eine eindeutige Antwort auf eine Frage gegeben hat, selbst

alles Erforderliche tun, damit diese Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird

(Urteil in der Rechtssache C-689/13, Puligienica Facility Esco SpA (PFE)/Airgest SpA)

Im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen zwei Unternehmen über die Rechtmäßigkeit der

Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags hat der Consiglio di giustizia amministrativa

per la Regione siciliana (Rat der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Region Sizilien) beschlossen,

das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof verschiedene Fragen zur Vorabentscheidung

vorzulegen.

Unter anderem möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 267 AEUV dahin auszulegen ist,

dass es, nachdem der Gerichtshof eine von ihm gestellte Frage nach der Auslegung des

Unionsrechts beantwortet hat oder wenn aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits eine

eindeutige Antwort auf die Frage hervorgeht, selbst alles Erforderliche tun muss, damit diese

Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird.

In seinem Urteil vom 5. April 2016 hielt der Gerichtshof fest, dass die praktische Wirksamkeit

von Art. 267 AEUV geschmälert würde, wenn es dem nationalen Gericht verwehrt wäre, das

Unionsrecht nach Maßgabe der Entscheidung oder der Rechtsprechung des Gerichtshofs

unmittelbar anzuwenden.

Das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts

anzuwenden hat, ist angehalten, für ihre volle Wirksamkeit zu sorgen, indem es

erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende nationale Rechtsvorschrift aus

eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung

dieser Vorschrift auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes

verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste.

Mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen wäre nämlich jede Bestimmung

einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis

unvereinbar, die dadurch zu einer Schwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde,

dass dem für dessen Anwendung zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits

zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um von innerstaatlichen

Rechtsvorschriften abzuweichen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit

der Unionsnormen bilden.

Abschließend stellte der Gerichtshof fest, dass Art. 267 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine

Kammer eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts, nachdem der Gerichtshof eine ihm von

ihr gestellte Frage nach der Auslegung des Unionsrechts beantwortet hat oder wenn aus der

Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits eine eindeutige Antwort auf die Frage hervorgeht,

selbst alles Erforderliche tun muss, damit diese Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird.

Link zum vollständigen Urteil

40

Die Verpflichtung des nationalen Gerichts, von Amts wegen die Einhaltung der Vorschriften

des Unionsrechts auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes zu prüfen, findet auf

Insolvenzverfahren Anwendung

(Urteil in der Rechtssache C-377/14, Ernst Georg Radlinger und Helena Radlingerová / Finway a.s.)

Im August 2011 schloss ein tschechisches Ehepaar mit der Gesellschaft Smart Hypo einen

Vertrag über einen Verbraucherkredit in Höhe von umgerechnet ca. 43 300 Euro. Sie

verpflichteten sich, an die Kreditgeberin den Kredit in 120 Monatsraten zurückzuzahlen und ihr,

für den Fall, dass es ihnen nicht gelänge, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen,

bedeutende Vertragsstrafen zu zahlen. Im September 2011 forderte die Gesellschaft Finway, an

die Smart Hypo ihre Forderungen gegen das Ehepaar abgetreten hatte, das Ehepaar auf, ihr

unverzüglich die gesamte Schuld einschließlich Zinsen, Kosten und Vertragsstrafen

zurückzuzahlen. Dies wurde damit begründet, dass die Eheleute sie bei Abschluss des Vertrags

nicht darüber informiert hätten, dass eine Zwangsvollstreckung wegen eines Betrags von

umgerechnet ca. 160 Euro in ihr Grundeigentum angeordnet worden sei.

Im April 2013 eröffnete der Krajský soud v Praze (Regionalgericht Prag, Tschechische Republik)

ein Insolvenzverfahren über das Ehepaar.

In diesem Zusammenhang hat das zuständige Gericht dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur

Vorabentscheidung vorgelegt. Erstens, ob die Vorschriften des Unionsrechts über den

Verbraucherschutz den tschechischen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die es dem

Insolvenzgericht nicht erlauben, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer in einem

Verbrauchervertrag festgelegten Vertragsklausel zu prüfen. Zweitens, ob das nationale Gericht

von Amts wegen zu prüfen hat, ob die Informationen über Verbraucherkreditverträge, die in

diesen aufgeführt sein müssen, klar und prägnant angegeben worden sind.

Mit seinem Urteil vom 21. April 2016 bejahte der Gerichtshof diese Fragen. Er befand, dass die

Richtlinie über missbräuchliche Klauseln30 der nationalen Regelung entgegensteht, welche es

dem Gericht im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nicht erlaubt, den missbräuchlichen

Charakter einer in einem Verbrauchervertrag festgelegten Klausel zu prüfen, obwohl das Gericht

über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt.

Außerdem stellte der Gerichtshof fest, dass nach der Richtlinie über Verbraucherkreditverträge31

ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit über Forderungen aus einem solchen Vertrag

anhängig ist, ebenfalls von Amts wegen prüfen muss, ob die Informationen über den Kredit (wie

beispielsweise der effektive Jahreszins), die in diesem Vertrag aufgeführt sein müssen, in klarer

und prägnanter Form angegeben worden sind.

Link zum vollständigen Urteil

30 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S.29). 31 Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. L 133, S. 66, und Berichtigungen im ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40, und ABl 2011, L 234, S. 46).

41

Das Unionsrecht schützt den europäischen Markt vor kosmetischen Mitteln, deren

Bestandteile in Tierversuchen bestimmt worden sind

(Urteil in der Rechtssache C-592/14 European Federation for Cosmetic Ingredients/Secretary of State for

Business, Innovation and Skills u. a.)

Drei Mitglieder des Wirtschaftsverbandes, welcher Hersteller von in kosmetischen Mitteln

verwendeten Bestandteilen in der Europäischen Union vertritt, führten außerhalb der Union

Tierversuche durch, um kosmetische Mittel, die bestimmte Bestandteile enthalten, in China und

in Japan verkaufen zu können. Der Wirtschaftsverband erhob bei einem britischen Gericht eine

Klage, um klären zu lassen, ob sich die drei Unternehmen strafbar machen, wenn sie kosmetische

Mittel auf den britischen Markt bringen, deren Bestandteile durch diese Tierversuche bestimmt

wurden.

Die Verordnung über kosmetische Mittel32 untersagt das Inverkehrbringen von Mitteln, deren

Bestandteile zur Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung durch Tierversuche bestimmt

worden sind. Der Wirtschaftsverband machte geltend, dass kein Verstoß gegen diese Verordnung

vorliege, wenn die Tierversuche durchgeführt worden seien, um die Rechtsvorschriften von

Drittländern einzuhalten. Der High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division

(Administrative Court) ersucht den Gerichtshof um Klärung dieser Frage.

Mit seinem Urteil vom 21. September 2016, gelangte der Gerichtshof zu dem Schluss, dass das

Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln auf dem Unionsmarkt, bei denen einige Bestandteile

durch Tierversuche außerhalb der Union bestimmt worden sind, um diese Mittel in Drittländern

vermarkten zu können, verboten werden kann, wenn die bei diesen Versuchen gewonnenen

Daten verwendet werden, um die Sicherheit der betreffenden Mittel im Hinblick auf ihr

Inverkehrbringen auf dem Unionsmarkt nachzuweisen.

Unter Berücksichtigung des Zusammenhangs und der mit der Verordnung verfolgten Ziele führte

der Gerichtshof aus, dass diese darauf abzielt, Bedingungen für den Zugang von kosmetischen

Mitteln zum Unionsmarkt festzulegen und ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten,

wobei zugleich durch das Verbot von Tierversuchen für das Wohlergehen der Tiere gesorgt

werden soll. Der Gerichtshof stellte hierzu fest, dass nur bei den Tierversuchsergebnissen, die in

dem Sicherheitsbericht für das kosmetische Mittel angeführt sind, davon ausgegangen werden

kann, dass sie sich auf Versuche beziehen, die zur Einhaltung der Bestimmungen der Verordnung

durchgeführt worden sind. Unerheblich ist daher, dass es dieser Tierversuche bedurfte, um die

Vermarktung kosmetischer Mittel in Drittländern zu ermöglichen.

Link zum vollständigen Urteil

32 Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel (ABl. 2009, L 342, S. 59).

42

Der Betreiber einer Website kann ein berechtigtes Interesse daran haben, bestimmte

personenbezogene Daten der Nutzer zu speichern, um sich gegen Cyberattacken zu

verteidigen

(Urteil in der Rechtssache C-582/14 Patrick Breyer / Bundesrepublik Deutschland)

Ein deutscher Bürger klagt vor deutschen Gerichten dagegen, dass die von ihm abgerufenen

Websites von Einrichtungen des Bundes seine Internetprotokoll-Adressen („IP-Adressen“)

aufzeichnen und speichern. Von diesen Einrichtungen werden die IP-Adressen der Nutzer

aufgezeichnet und gespeichert, um sich gegen Cyberattacken zu wappnen und eine

Strafverfolgung zu ermöglichen.

Der deutsche Bundesgerichtshof möchte vom Gerichtshof wissen, ob in diesem Zusammenhang

auch „dynamische“ IP-Adressen33 für den Betreiber der Website personenbezogene Daten

darstellen, so dass sie den für solche Daten vorgesehenen Schutz genießen.

Mit seinem Urteil von 19. Oktober antwortete der Gerichtshof zunächst, dass eine dynamische

IP-Adresse, die von einem „Anbieter von Online-Mediendiensten“ (d. h. vom Betreiber einer

Website, hier den Einrichtungen des Bundes) beim Zugriff auf seine allgemein zugängliche

Website gespeichert wird, für den Betreiber ein personenbezogenes Datum darstellt, wenn er

über rechtliche Mittel verfügt, die es ihm erlauben, den Nutzer anhand der Zusatzinformationen,

über die dessen Internetzugangsanbieter verfügt, bestimmen zu lassen.

Zweitens antowortete der Gerichtshof, dass das Unionsrecht einer Regelung eines Mitgliedstaats

entgegensteht, nach der ein Anbieter von Online-Mediendiensten personenbezogene Daten eines

Nutzers dieser Dienste ohne dessen Einwilligung nur erheben und verwenden darf, soweit ihre

Erhebung und ihre Verwendung erforderlich sind, um die konkrete Inanspruchnahme der Dienste

durch den betreffenden Nutzer zu ermöglichen und abzurechnen, ohne dass der Zweck, die

generelle Funktionsfähigkeit der Dienste zu gewährleisten, die Verwendung der Daten über das

Ende eines Nutzungsvorgangs hinaus rechtfertigen kann.

Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist nach dem Unionsrecht u. a. rechtmäßig, wenn

sie zur Verwirklichung des berechtigten Interesses, das von dem für die Verarbeitung

Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten

übermittelt werden, erforderlich ist, sofern nicht das Interesse oder die Grundrechte und

Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen.

Die deutsche Regelung schränkt nach ihrer in der Lehre überwiegend vertretenen Auslegung die

Tragweite dieses Grundsatzes ein, indem sie es ausschließt, dass der Zweck, die generelle

Funktionsfähigkeit des Online-Mediums zu gewährleisten, Gegenstand einer Abwägung mit dem

Interesse oder den Grundrechten und Grundfreiheiten der Nutzer sein kann. Der Gerichtshof hob

in diesem Zusammenhang hervor, dass die Einrichtungen des Bundes, die Online-Mediendienste

anbieten, ein berechtigtes Interesse daran haben könnten, die Aufrechterhaltung der

33 Eine „dynamische“ IP-Adresse ist eine IP-Adresse, die sich bei jeder neuen Internetverbindung ändert. Anders als statische IP-Adressen erlauben dynamische IP-Adressen es nicht, anhand allgemein zugänglicher Dateien eine Verbindung zwischen einem Computer und dem vom Internetzugangsanbieter verwendeten physischen Netzanschluss herzustellen.

43

Funktionsfähigkeit der von ihnen allgemein zugänglich gemachten Websites über ihre konkrete

Nutzung hinaus zu gewährleisten.

Link zum vollständigen Urteil

44

Soziale Sicherheit

Das Vereinigte Königreich kann verlangen, dass Bezieher von Kindergeld und

der Steuergutschrift für Kinder ein Recht auf Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet haben

(Urteil in der Rechtssache C-308/14 Kommission/Vereinigtes Königreich)

Bei der Kommission gingen zahlreiche Beschwerden von sich im Vereinigten Königreich

aufhaltenden nicht britischen EU-Bürgern ein. Diese beschwerten sich darüber, dass sich die

zuständigen britischen Behörden weigerten, ihnen bestimmte soziale Leistungen zu gewähren,

weil sie kein Aufenthaltsrecht in diesem Land besäßen.

Die Kommission hat daraufhin gegen das Vereinigte Königreich eine Vertragsverletzungsklage

erhoben, da die britischen Rechtsvorschriften eine Ungleichbehandlung aus Gründen der

Staatsangehörigkeit bewirken würden. Sie hat darauf hingewiesen, dass die britischen

Rechtsvorschriften bei einem Antrag auf bestimmte soziale Leistungen eine Prüfung

vorschreiben, ob sich der jeweilige Antragsteller rechtmäßig im Vereinigten Königreich aufhalte.

Die Kommission hielt diese Bedingung für diskriminierend und für mit dem Geist der genannten

Verordnung unvereinbar, die lediglich auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Antragstellers

abstelle.

In seinem Urteil vom 14. Juni 2016 wies der Gerichtshof die Klage der Kommission ab. Er stellte

zunächst fest, dass die in Rede stehenden Leistungen solche der sozialen Sicherheit sind und

damit in den Geltungsbereich der Verordnung fallen.

Sodann wies der Gerichtshof das Hauptargument der Kommission zurück, wonach die britischen

Rechtsvorschriften eine zusätzliche Voraussetzung zu der in der Verordnung vorgesehenen

Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts aufstellten. Er wies insoweit darauf hin, dass das

Kriterium des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der Verordnung keine notwendige

Voraussetzung für den Anspruch auf die Leistungen ist, sondern eine „Kollisionsnorm“, die die

gleichzeitige Anwendung verschiedener nationaler Rechte vermeiden und verhindern soll, dass

Personen, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben, der Schutz vorenthalten wird. Sie legt

somit nicht die inhaltlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anspruchs auf die

Leistungen fest. In diesem Rahmen spricht nichts dagegen, dass die Gewährung von

Sozialleistungen an Unionsbürger, die nicht erwerbstätig sind, von dem Erfordernis abhängig

gemacht wird, dass diese die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im

Aufnahmemitgliedstaat erfüllen. Zu dem von der Kommission hilfsweise vorgetragenen

Argument, dass die Prüfung des Aufenthaltsrechts eine Diskriminierung darstelle, stellte der

Gerichtshof fest, dass die Voraussetzung des Rechts auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich

eine Ungleichbehandlung bewirkt, weil die Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats sie

leichter erfüllen können als die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten.

Diese Ungleichbehandlung kann jedoch durch ein legitimes Ziel wie etwa die Notwendigkeit, die

Finanzen des Aufnahmemitgliedstaat zu schützen, gerechtfertigt werden, sofern sie nicht über

das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

Link zum vollständigen Urteil

45

Sozialpolitik

Der Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Verträge zur Deckung eines dauerhaften

Bedarfs im Bereich der Gesundheitsdienste verstößt gegen Unionsrecht

(Urteil in der Rechtssache C-16/15, María Elena Pérez López / Servicio Madrileño de Salud)

In Spanien hat eine Krankenschwester mittels identisch formulierter befristeter Arbeitsverträge

zwischen Februar 2009 und Juni 2013 ununterbrochen für ein Krankenhaus gearbeitet. Ihre

Ernennung wurde mit der „Ausführung bestimmter zeitlich begrenzter, konjunktureller oder

außerordentlicher Dienste“ gerechtfertigt.

Als sie von der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses informiert wurde, erhob sie Klage gegen

die Entscheidung. Nach ihrer Auffassung dienten ihre aufeinanderfolgenden Ernennungen nicht

der Deckung eines konjunkturellen oder außerordentlichen Bedarfs der Gesundheitsdienste,

sondern entsprachen in Wirklichkeit einer dauerhaften Tätigkeit. Das spanische

Verwaltungsgericht hat den Gerichtshof gefragt, ob die spanische Regelung, die die

Verlängerung befristeter Arbeitsverträge im Bereich der Gesundheitsdienste zulässt, gegen die

Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (eine Vereinbarung, nach der die

Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen müssen, um Missbräuchen durch die Verwendung

aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge vorzubeugen und die Prekarisierung der Lage

der Beschäftigten zu verhindern) verstößt.

Mit seinem Urteil vom 14. September entschied der Gerichtshof, dass das Unionsrecht einer

nationalen Regelung entgegensteht, die die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge zur

Deckung eines zeitweiligen Personalbedarfs ermöglicht, während dieser Bedarf in Wirklichkeit

ständig besteht.

Der Gerichtshof erkannte, dass die vorübergehende Vertretung eines Arbeitnehmers zur

Deckung eines zeitweiligen Bedarfs einen sachlichen Grund der Verlängerung befristeter

Arbeitsverträge darstellen kann. Er stellte jedoch fest, dass die Verträge nicht für ständige und

dauerhafte Aufgaben verlängert werden können, die zur normalen Tätigkeit des festen

Krankenhauspersonals gehören. Der sachliche Grund muss die Erforderlichkeit der Deckung

eines zeitweiligen und nicht eines ständigen Bedarfs konkret rechtfertigen können.

In diesen Fall ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die aufeinanderfolgenden Ernennungen

offensichtlich nicht auf einem bloß zeitweiligen Bedarf des Arbeitgebers beruhen. Der

Gerichtshof wies ferner darauf hin, dass für die spanische öffentliche Verwaltung keinerlei

Verpflichtung zur Schaffung von Planstellen besteht und dass es ihr freisteht, die Stellen durch

die Ernennung von für eine Übergangszeit beschäftigten Kräften zu besetzen, und zwar ohne

eine Beschränkung der Dauer der Verträge oder der Anzahl ihrer Verlängerungen.

Daher entschied der Gerichtshof, dass die spanische Regelung, indem sie trotz eines

strukturellen Mangels an Planstellen die Verlängerung von befristeten Verträgen zur Deckung

eines ständigen und dauerhaften Bedarfs zulässt, gegen die Rahmenvereinbarung verstößt.

Link zum Urteil des Gerichtshofs

46

Staatliche Beihilfen

Das Gericht bestätigt, dass eine Garantie, die ein Mitgliedstaat einer Bank im Rahmen ihrer

Umstrukturierung gewährt hat, eine staatliche Beihilfe darstellt, die jedoch mit dem

Unionsrecht vereinbar ist

(Urteil in der Rechtssache T-427/12, Österreich / Kommission)

Mit Beschlüssen vom 25. Juli 201234 und 5. Februar 201335 genehmigte die Kommission die

Umstrukturierung einer deutschen Bank. Sie stellte fest, dass bestimmte Maßnahmen des

Freistaats Bayern und Deutschlands zugunsten dieser Bank sowie eine dieser deutschen

Geschäftsbank von Österreich gewährte Finanzierungsgarantie in Höhe von 2,6 Mrd. Euro

staatliche Beihilfen im Sinne des Unionsrecht darstellten, die aber unter Berücksichtigung der

Zusagen Deutschlands und vorbehaltlich der von der Kommission verhängten Auflagen mit dem

Binnenmarkt vereinbar seien.

Österreich hat gegen diese Beschlüsse Nichtigkeitsklage erhoben, soweit sie die

Finanzierungsgarantie von 2,6 Mrd. Euro betreffen. Österreich habe niemals die Absicht gehabt,

der deutschen Bank eine Beihilfe zu gewähren. Insbesondere habe die Kommission zu Unrecht

das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe festgestellt. Sollte es sich tatsächlich um eine staatliche

Beihilfe handeln, müsse sie für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt werden.

Mit dem Urteil vom 28. Januar 2016 wies das Gericht die Klage ab.

Das Gericht wies darauf hin, dass die deutsche Bank 67,08 % der Anteile einer österreichischen

Finanzgruppe bis zu deren Notverstaatlichung Ende 2009 hielt. Im Dezember 2009 verstaatlichte

Österreich diese Finanzgruppe, damit angesichts der prekären finanziellen Situation dieser Bank

Maßnahmen ergriffen werden. In diesem Kontext wurden die Anteile der Finanzgruppe von den

Aktionären zum symbolischen Preis von einem Euro pro Aktionär zu 100 % auf die Republik

Österreich übertragen. Im Rahmen des zwischen Österreich und der deutschen Bank

geschlossenen Kaufvertrags verpflichtete sich die deutsche Bank, dass ihre bestehenden

Kreditlinien zur konzerninternen Finanzierung in Höhe von 2,6 Mrd. Euro zugunsten der

Finanzgruppe bis Ende 2013 auf den Konten der Finanzgruppe verbleiben. Aufgrund dieser

Tatsache erhielt die deutsche Bank von Österreich eine Garantie über die Rückzahlung dieser

Finanzierung, so dass sie das Risiko, dem sie im Fall einer (künftigen) Zahlungsunfähigkeit der

Finanzgruppe ausgesetzt wäre, reduzierte.

Nach Ansicht des Gerichts hat die Kommission keinen Rechtsfehler begangen, als sie zu dem

Ergebnis kam, dass dieser Vorteil eine staatliche Beihilfe für die deutsche Bank darstellte und

diese mit ihrer Umstrukturierungsmitteilung und demzufolge mit dem Binnenmarkt vereinbar

war. Das Gericht stellte insbesondere fest, dass die Klage beim Handelsgericht Wien, die den

Erwerb der Finanzgruppe durch die deutsche Bank im Jahr 2007 betrifft, keinen Einfluss auf die

Frage hat, ob die fragliche Maßnahme eine Beihilfe darstellt.

Link zum vollständigen Urteil

34 Beschluss C(2012) 5062 final vom 25. Juli 2012.

35 Beschluss (EU) 2015/657 vom 5. Februar 2013.

47

Das Gericht bestätigt die Entscheidung der Kommission, mit der die Rückforderung der

von Frankreich, Irland und Italien für die Tonerdegewinnung gewährten Steuerbefreiungen

angeordnet wurde

(Urteil in den verbundenen Rechtssachen T-50/06 RENV II Irland/Kommission und T-69/06 RENV II Aughinish

Alumina/Kommission, in der Rechtssache T-56/06 RENV II Frankreich/Kommission sowie in den verbundenen

Rechtssachen T-60/06 RENV II Italien/Kommission und T-62/06 RENV II Eurallumina/Kommission)

In Irland, Italien und Frankreich gibt es jeweils nur einen Tonerdehersteller. Die drei

Mitgliedstaaten befreiten diese Unternehmen von der Verbrauchsteuer auf die bei der

Tonerdegewinnung verwendeten Mineralöle. Der Rat genehmigte die Befreiungen. Die

Genehmigungen wurden verlängert und galten bis zum 31. Dezember 2006.

In der Folge stellte die Kommission jedoch fest, dass diese aus staatlichen Mitteln finanzierten

Maßnahmen den begünstigten Unternehmen einen Vorteil verschafften, selektiv seien, den

Wettbewerb verfälschten und den Gemeinsamen Markt beeinträchtigten. Sie erließ daher 2005

eine Entscheidung,36 in der sie feststellte, dass die von Frankreich, Irland und Italien gewährten

Befreiungen für schwere Mineralöle, die zur Tonerdegewinnung verwendet würden, rechtswidrige

staatliche Beihilfen dargestellt hätten.

Die Entscheidung der Kommission von 2005 wurde vom Gericht der Europäischen Union auf eine

im Jahr 2006 von den drei Mitgliedstaaten erhobene Klage hin im Jahr 2007 wegen Verstoßes

gegen die Begründungspflicht für nichtig erklärt.37 Die Kommission legte dagegen ein

Rechtsmittel ein, woraufhin der Gerichtshof38 das Urteil des Gerichts 2009 wegen Verstoßes

gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens und Verletzung der Verteidigungsrechte

aufhob und die Rechtssachen an das Gericht zurückverwies.

2012 entschied das Gericht erneut und erklärte die Entscheidung der Kommission von 2005 für

nichtig,39 weil mit ihr die Rechtswirkungen der vorausgegangenen Entscheidungen des Rates, die

Befreiungen zu genehmigen, teilweise zunichtegemacht worden seien. Bei der Prüfung der

Klagegründe stellte das Gericht u.a. fest, dass die streitigen Befreiungen nicht den

Mitgliedstaaten, sondern dem Rat zuzurechnen seien und daher keine staatlichen Beihilfen

darstellten.

Die Kommission legte ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts ein, woraufhin es 2013 vom

Gerichtshof aufgehoben wurde. Der Gerichtshof stellte fest, dass der Gesichtspunkt der

Zurechenbarkeit der Befreiungen nicht von den Parteien aufgeworfen, sondern vom Gericht von

Amts wegen berücksichtigt worden sei, wozu es aber nicht befugt gewesen sei. Außerdem sei

die Kommission durch Entscheidungen des Rates, mit denen einem Mitgliedstaat die

Genehmigung zur Vornahme einer Befreiung erteilt werde, nicht daran gehindert, zu prüfen, ob

die Befreiung eine staatliche Beihilfe darstelle.40 Der Gerichtshof verwies die Rechtssachen daher

erneut an das Gericht zurück.

36 Entscheidung 2006/323/EG der Kommission vom 7. Dezember 2005 über die Befreiung von der Verbrauchsteuer auf Mineralöle, die als Brennstoff zur Tonerdegewinnung in den Regionen Gardanne und Shannon und auf Sardinien verwendet werden, durch Frankreich, Irland und Italien (ABl. 2006, L 119, S. 12). 37 Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 2007, Irland u. a./Kommission (verbundene Rechtssachen T-50/06, T-56/06, T-62/06, T-62/06, T-69/06). 38 Urteil des Gerichtshofs vom 2. Dezember 2009, Kommission/Irland u. a. (C-89/08 P). 39 Urteil des Gerichts vom 21. März 2012, Irland u. a./Kommission (verbundene Rechtssachen T-50/06 RENV, T-56/06 RENV, T-60/06 RENV, T-62/06 RENV und T-69/06 RENV. 40 Urteil des Gerichtshofs vom 10. Dezember 2013, Kommission/Irland u. a. (C-272/12 P).

48

In seinem Urteil vom 21. April 2016 stellte das Gericht fest, dass die Entscheidung der

Kommission gültig ist und die staatlichen Beihilfen deshalb zurückzufordern sind.

Zunächst kam das Gericht dem Urteil des Gerichtshofs von 2013 nach und stellte fest, dass die

Kommission trotz der Genehmigung des Rates befugt war zu prüfen, ob die von den drei

Mitgliedstaaten gewährten Befreiungen eine staatliche Beihilfe darstellten.

Das Gericht stellte auch fest, dass die Kommission klar dargelegt hat, warum die streitigen

Befreiungen geeignet waren, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den

Wettbewerb auf dem Markt zu verfälschen.

Schließlich stellte das Gericht fest, dass die Kommission nicht gegen den Grundsatz des

Vertrauensschutzes verstoßen hat. Obwohl das Verfahren übermäßig lange gedauert hat,

erklärte das Gericht, dass es aber kein außergewöhnlicher Umstand ist, der geeignet wäre, bei

den betroffenen Unternehmen ein berechtigtes Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der streitigen

Beihilfen zu begründen.

Link zum vollständigen Urteil

49

Das Gericht erklärt den Beschluss der Kommission, die implizite unbeschränkte Bürgschaft

des französischen Staates zugunsten des Institut Français du Pétrole als staatliche Beihilfe

einzustufen, für nichtig

(Urteil in den verbundenen Rechtssachen T-479/11 und T-157/12

Frankreich und IFP Énergies nouvelles/Kommission)

Im Jahr 2006 wurde das Institut Français du Pétrole (jetzt IFP Énergies nouvelles [IFP Neue

Energien]) in eine juristische Person des öffentlichen Rechts umgewandelt, und zwar in ein

öffentliches Industrie- und Handelsunternehmen (établissement public à caractère industriel et

commercial, EPIC). Im Jahr 2011 erklärte die Kommission in einem Beschluss, dass dem IFP mit

der Verleihung dieses Status eine unbeschränkte staatliche Bürgschaft für sämtliche Tätigkeiten

gewährt worden sei. Die Kommission war der Meinung, dass das IFP nämlich durch die implizite

und unbeschränkte Bürgschaft im Rahmen seiner Beziehungen zu Kunden und Lieferanten einen

tatsächlichen wirtschaftlichen Vorteil erlangt habe, der selektiv sei, da seine Wettbewerber, die

den allgemeinen Insolvenzverfahren unterlägen, keine vergleichbare Staatsbürgschaft erhielten.

Frankreich und das IFP begehren vor dem Gericht der Europäischen Union die Nichtigerklärung

des Beschlusses der Kommission. Sie tragen u. a. vor, dem IFP werde keine implizite

unbeschränkte Bürgschaft gewährt, und selbst wenn dies der Fall wäre, stelle diese Bürgschaft

keine staatliche Beihilfe dar.

In seinem Urteil von 26 Mai 2016 wies das Gericht zunächst darauf hin, dass die implizite und

unbeschränkte Staatsbürgschaft zugunsten der EPIC ein Wesensmerkmal des Status dieser

Unternehmen ist und sich u. a. daraus ergibt, dass sie nicht den allgemeinen Insolvenzverfahren

unterliegen.

Sodann stellte das Gericht fest, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass das IFP im

Rahmen seiner Beziehungen zu den Lieferanten durch die Bürgschaft einen wirtschaftlichen

Vorteil erlangt.

Die Kommission hat nämlich geltend gemacht, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs werde

das Bestehen eines Vorteils für die EPIC vermutet und somit schon durch das bloße Vorliegen

einer Staatsbürgschaft dargetan. Für das Gericht hängt jedoch die Möglichkeit, sich auf eine

Vermutung zu stützen, von der Plausibilität der Hypothesen ab, auf denen die Vermutung beruht.

Im vorliegenden Fall verneint das Gericht die Plausibilität der Hypothesen, auf denen die

Annahme der Kommission beruht, dass das IFP bei seinen Beziehungen zu Lieferanten und

Kunden über einen wirtschaftlichen Vorteil verfüge.

Das Gericht erklärte daher den Beschluss der Kommission für nichtig, soweit darin die aus dem

Status des IFP als EPIC resultierende Bürgschaft als staatliche Beihilfe eingestuft wird.

Link zum vollständigen Urteil

50

Das deutsche Gesetz von 2012 über erneuerbare Energien (EEG 2012) umfasste staatliche

Beihilfen

(Urteil in der Rechtssache T-47/15 Deutschland/Kommission)

In diesem Rechtsstreit wandte sich Deutschland gegen die Feststellung der Kommission, dass

das deutsche Gesetz von 2012 über erneuerbare Energien (EEG 2012)41 staatliche Beihilfen

umfasste, auch wenn die Kommission diese Beihilfen letztlich größtenteils gebilligt hatte.42

Das EEG 2012 sah43 eine Förderregelung zugunsten der Unternehmen vor, die Strom aus

erneuerbaren Energiequellen und aus Grubengas erzeugen (EEG-Strom). Es garantierte diesen

Erzeugern einen höheren Preis als den Marktpreis. Zur Finanzierung dieser Fördermaßnahme sah

es eine „EEG-Umlage“ zulasten der Versorger vor, die Letztverbraucher belieferten; in der Praxis

wurde sie auf die Letztverbraucher abgewälzt.44 Bestimmte Unternehmen wie die

stromintensiven Unternehmen des produzierenden Gewerbes („SIU“) konnten jedoch in den

Genuss einer Begrenzung dieser (abgewälzten) Umlage kommen, um ihre internationale

Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die EEG-Umlage war den überregionalen

Übertragungsnetzbetreibern von Hoch- und Höchstspannungsnetzen (ÜNB) zu zahlen, die den

EEG-Strom zu vermarkten hatten.

In ihrem Beschluss vom 25. November 2014 stellte die Kommission fest, dass die im EEG 2012

vorgesehene Förderung von Unternehmen, die Strom aus erneuerbaren Energiequellen

erzeugten, zwar eine staatliche Beihilfe darstelle, aber mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Zudem

stufte sie die Verringerung der EEG-Umlage für stromintensive Unternehmen als staatliche

Beihilfe ein. Da sie der Ansicht war, dass die Verringerungen größtenteils mit dem Unionsrecht

vereinbar seien, ordnete sie nur die Rückforderung eines begrenzten Teils an.

In seinem Urteil vom 10. Mai 2016 wies das Gericht alle Argumente zurück, mit denen

Deutschland die Nichtigerklärung der Feststellung der Kommission zu erreichen suchte.

Das Gericht stellte fest, dass die Kommission zu Recht angenommen hatte, dass die Verringerung

der EEG-Umlage den stromintensiven Unternehmen einen Vorteil im Sinne der

Unionsvorschriften über staatliche Beihilfen verschaffte. Sie befreite diese Unternehmen nämlich

von einer Belastung, die sie normalerweise hätten tragen müssen.

Zudem ist die Kommission zu Recht zu dem Schluss gelangt, dass im Rahmen des EEG 2012

staatliche Mittel zum Einsatz kamen, da die aus dem EEG 2012 resultierenden Mechanismen

hauptsächlich das Ergebnis der Umsetzung einer vom Staat durch das EEG 2012 festgelegten

Politik zur Unterstützung der Erzeuger von EEG-Strom waren.

Link zum vollständigen Urteil

41 Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien vom 28. Juli 2011 (BGBl. 2011 I S.1634). 42 Beschluss (EU) 2015/1585 der Kommission vom 25. November 2014 über die Beihilferegelung SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN) [Deutschlands zur Förderung erneuerbaren Stroms und stromintensiver Unternehmen] (ABl. 2015, L 250, S.122, vgl. auch Pressemitteilung IP/14/2122 der Kommission). 43 Dieses Gesetz galt vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Juli 2014. Ab dem 1. August 2014 wurde es durch das EEG 2014 ersetzt, das die Kommission mit Beschluss vom 23. Juli 2014 billigte (vgl. Pressemitteilung IP/14/867 der Kommission). 44 Diese Belastung machte 20 bis 25% des Gesamtbetrags der Rechnung eines durchschnittlichen Letztverbrauchers aus.

51

Die Verlängerung der Gültigkeitsdauer einer bestehenden staatlichen Beihilfe ist als

Umgestaltung dieser Beihilfe und damit als neue Beihilfe anzusehen

(Urteil in der Rechtssache C-590/14 P. Dimosia Epicheirisi Ilektrismou AE (DEI) / Alouminion tis Ellados

VEAE)

Im Jahr 1960 schloss DEI, ein öffentlicher Stromversorger, mit Alouminion, einem auf die

Herstellung von Aluminium spezialisierten griechischen Unternehmen, einen Vertrag, aufgrund

dessen Alouminion ein Vorzugstarif für die Lieferung von Elektrizität gewährt wurde. Der Vertrag

sollte am 31. März 2006 enden, sofern er nicht gemäß seinen Bestimmungen verlängert wurde.

Mit Beschluss vom 23. Januar 1992 vertrat die Kommission die Ansicht, dass der Alouminion

mit diesem Vertrag gewährte Vorzugstarif eine mit dem Binnenmarkt vereinbare staatliche

Beihilferegelung darstelle.

DEI kündigte den Vertrag zum 1. April 2006. Alouminion focht diese Kündigung vor den

griechischen Gerichten an. Mit einer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen

Anordnung vom 5. Januar 2007 setzte das mit einem Richter besetztes erstinstanzliches Gericht

Athen, die Wirkungen dieser Kündigung vorläufig aus. DEI legte dagegen ein Rechtsmittel beim

Kollegialgericht erster Instanz Athen ein, das durch Beschluss vom 6. März 2008 mit Wirkung

von diesem Datum den Vertrag von 1960 auflöste. Mit Beschluss vom 13. Juli 2011 vertrat die

Kommission die Ansicht, dass Griechenland Alouminion rechtswidrig eine staatliche Beihilfe

gewährt habe, da Alouminion nach der ersten einstweiligen Anordnung des griechischen

Gerichts im Zeitraum vom 5. Januar 2007 bis zum 6. März 2008 weiterhin in den Genuss des

Vorzugstarifs gekommen sei. Diese Beihilfe sei als neue Beihilfe anzusehen und sei mit dem

Binnenmarkt unvereinbar, da sie gewährt worden sei, ohne vorher bei ihr angemeldet worden

zu sein.

Mit einem Urteil von 2014 erklärte das Gericht der Europäischen Union den Beschluss der

Kommission für nichtig, weil seiner Auffassung nach diese Beihilfe als bestehende Beihilfe

einzustufen war.

Mit seinem Urteil von 26. Oktober 2016 hob der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf und

verwies die Sache zur erneuten Prüfung an das Gericht zurück.

Erstens erklärte der Gerichtshof, dass das Gericht die Rechtsprechung des Gerichtshofs falsch

ausgelegt und dadurch einen Rechtsfehler begangen hat, dass es entschieden hat, dass die

erste vom griechischen Gericht erlassene einstweilige Anordnung nicht als Einführung oder

Umgestaltung einer bestehenden Beihilfe angesehen werden könne. Hierzu stellte der

Gerichtshof fest, dass die Gültigkeitsdauer einer bestehenden Beihilfe einen Gesichtspunkt

darstellt, der die Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Binnenmarkt durch die

Kommission beeinflussen kann.

Der Gerichtshof schloss daraus, dass die Verlängerung der Gültigkeitsdauer einer bestehenden

Beihilfe als Umgestaltung einer bestehenden Beihilfe anzusehen ist und daher eine neue Beihilfe

darstellt.

Zweitens wies der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die nationalen Gerichte über die

Einhaltung des Unionsrechts im Bereich staatlicher Beihilfen wachen und einer Verpflichtung

zur loyalen Zusammenarbeit mit den Unionsorganen unterliegen. Ein mit einem Rechtsstreit

über einen Vertrag befasstes nationales Gericht ist nämlich verpflichtet, der Kommission alle

Maßnahmen anzuzeigen, die die Auslegung und die Durchführung dieses Vertrags betreffen und

die sich auf das Funktionieren des Binnenmarkts, auf den Wettbewerb oder auch nur auf die

52

tatsächliche Geltungsdauer bestehender Beihilfen für einen bestimmten Zeitraum auswirken

können.

Link zum Urteil des Gerichtshofs

53

Steuerrecht

Flugscheine, die nicht benutzt wurden und für die keine Erstattung erfolgt, sind

mehrwertsteuerpflichtig

(Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-250/14 und C-289/14, Air France-KLM und Hop!-Brit

Air/Ministère des Finances et des Comptes publics)

Von einem französischen Luftfahrtsunternehmen in Frankreich durchgeführte Inlandsflüge

unterliegen einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 5,5 %. Seit dem Jahr 1999 führte ein

französisches Luftfahrtsunternehmen an den französischen Fiskus keine Mehrwertsteuer mehr

auf den Verkaufserlös aus den Flugscheinen ab, die von den Fluggästen nicht benutzt wurden

und für die keine Erstattung erfolgte. Da die Finanzverwaltung diese Flugscheine für

mehrwertsteuerpflichtig ansah, erließ sie gegen das Luftfahrtsunternehmen

Nacherhebungsbescheide in Höhe von 4 Millionen Euro (ohne Verzugszinsen) für einen Zeitraum

von drei Jahren.

Außerdem erbrachte eine Tochtergesellschaft des französischen Luftfahrtsunternehmens im

gleichen Zeitraum Beförderungsleistungen für Fluggäste im Rahmen eines mit dem

französischen Luftfahrtsunternehmen geschlossenen Franchisevertrages. Letzterer oblagen

Vertrieb und Verwaltung der Flugscheine für die von der Tochtergesellschaft betriebenen Linien.

Für verkaufte, aber nicht benutzte Flugscheine zahlte das französische Luftfahrtsunternehmen

jährlich einen pauschalen Ausgleich, der einem prozentualen Anteil von 2 % des auf den im

Rahmen des Franchisevertrages betriebenen Linien erzielten Jahresumsatzes (einschließlich der

Mehrwertsteuer) entsprach. Da die Tochtergesellschaft für diesen Pauschalbetrag keine

Mehrwertsteuer abführte, erließ die Finanzverwaltung auch gegen sie Nacherhebungsbescheide.

Der französische Conseil d’État fragt sich, ob Flugscheine, die nicht benutzt werden, der

Mehrwertsteuer unterliegen können.

In seinem Urteil vom 23. Dezember 2015 bejahte der Gerichtshof diese Frage.

Er wies zunächst darauf hin, dass die Mehrwertsteuer anfällt, sobald zum einen der von dem

Kunden an die Fluggesellschaft gezahlte Betrag unmittelbar mit einer Leistung (im vorliegenden

Fall der Beförderung als Fluggast) verbunden ist und zum anderen die betreffende Leistung

erbracht wird. Der Gerichtshof führte jedoch weiter aus, dass die Gegenleistung für den beim

Erwerb des Flugscheins entrichteten Preis nicht von der körperlichen Anwesenheit des

Fluggastes beim Anbordgehen abhängt, sondern in dem sich daraus ergebenden Recht des

Fluggastes besteht, in den Genuss der Durchführung der Beförderungsleistung zu kommen,

unabhängig davon, ob er dieses Recht wahrnimmt. Der Gerichtshof präzisiert insoweit, dass der

Mehrwertsteueranspruch mit der Vereinnahmung des Preises für den Flugschein entsteht.

Außerdem stellte der Gerichtshof fest, dass dann, wenn ein Dritter die Flugscheine einer

Fluggesellschaft im Rahmen eines Franchisevertrags vertreibt und an Letztere für ausgegebene

und verfallene Flugscheine einen Pauschalbetrag zahlt, auch auf diesen Pauschalbetrag

Mehrwertsteuer anfällt.

Link zum vollständigen Urteil

54

Umwelt und Verbraucher

Das Gericht der EU bestätigt die Rechtmäßigkeit des Beschlusses, mit dem die

Kommission einen Antrag auf Überprüfung der Zulassung des Inverkehrbringens von

Erzeugnissen, die genetisch veränderte Sojabohnen enthalten, als unbegründet abgelehnt

hat

(Urteil in der Rechtssache T-177/13 TestBio Tech u. a. / Kommission)

2009 beantragte ein Unternehmen, Lebensmittel, Lebensmittelzutaten und Futtermittel in den

Verkehr bringen zu dürfen, die genetisch veränderte Sojabohnen enthalten. Die Europäische

Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) äußerte 2012 die Auffassung, dass genetisch

veränderte Sojabohnen bei bestimmungsgemäßer Verwendung in Bezug auf ihre möglichen

Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder auf die Umwelt ebenso sicher seien

wie herkömmliche (d. h. nicht genetisch veränderte) Sojabohnen. Auf Grundlage dieser

„befürwortenden“ Stellungnahme der EFSA ließ die Kommission das Inverkehrbringen von

Erzeugnissen, die veränderte Sojabohnen enthalten, aus ihnen bestehen oder aus ihnen

gewonnen werden, mit Beschluss vom 28. Juni 2012 zu.

Drei deutsche Nichtregierungsorganisationen, die sich gegen das Inverkehrbringen solcher

Erzeugnisse aussprechen, beantragten bei der Kommission eine interne Überprüfung dieses

Zulassungsbeschlusses. Sie beanstanden u. a. die Feststellungen der Kommission, dass

veränderte Sojabohnen herkömmlichen Sojabohnen im Wesentlichen entsprächen und die

toxikologischen und immunologischen Risiken nicht hinreichend begutachtet worden seien. Die

Kommission lehnte die Anträge 2013 als unbegründet ab.

Die drei Organisationen ersuchten daraufhin das Gericht der Europäischen Union, die Ablehnung

ihres Antrags auf Überprüfung des Zulassungsbeschlusses für nichtig zu erklären. Es war das

erste Mal, dass das Gericht über einen Beschluss der Kommission entschieden hat, der über

einen Antrag auf interne Überprüfung nach der „Aarhus-Verordnung“ in der Sache ergangen ist.

Diese Verordnung regelt u. a. die Voraussetzungen für den Zugang von

Nichtregierungsorganisationen zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten.

Mit seinem Urteil vom 15. Dezember 2016 wies das Gericht die Klage der drei Organisationen ab

und den Beschluss bestätigte, mit dem die Kommission den Antrag auf Überprüfung der

Zulassung des Inverkehrbringens als unbegründet abgelehnt hat.

Das Gericht bestätigte zudem, dass die Bestimmungen, auf die sich die Zulassung des

Inverkehrbringens von Erzeugnissen, die genetisch veränderte Sojabohnen enthalten, stützt, in

vollem Umfang zu den Bereichen des Umweltrechts gehören, die von der „Aarhus-

Verordnung“ erfasst sind, und dass diese Zulassung somit Gegenstand einer internen

Überprüfung sein kann. Zudem sei es den Organisationen nicht gelungen, Zweifel zu wecken,

mit denen die Feststellungen der Kommission entkräftet werden könnten, wonach 1) sich die

Zusammensetzung der genetisch veränderten Sojabohnen und die der herkömmlichen

Sojabohnen nicht erheblich unterschieden, und zwar weder in statistischer noch in biologischer

Hinsicht, 2) die mögliche Toxizität der genetisch veränderten Sojabohnen angemessen bewertet

worden sei und 3) das von genetisch veränderten Sojabohnen ausgehende Allergierisiko

angemessen bewertet worden sei.

Link zum vollständigen Urteil

55

Unionsbürgerschaft

Das Gericht bestätigt, dass die geplante europäische Bürgerinitiative zur Förderung der

Entwicklung der von nationalen Minderheiten bevölkerten geografischen Gebiete nicht

registriert werden kann

(Urteil in der Rechtssache T-529/13 Balázs-Árpád Izsák und Attila Dabis/Kommission)

Nach dem EU-Vertrag können Unionsbürger, wenn es sich um mindestens eine Million Bürger

aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten handelt, die Initiative ergreifen und die

Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse dem Unionsgesetzgeber vorzuschlagen, zur

Umsetzung der Verträge einen Rechtsakt zu erlassen („europäische Bürgerinitiative“). Bevor die

Organisatoren beginnen können, die erforderliche Anzahl an Unterschriften zu sammeln, müssen

sie die europäische Bürgerinitiative bei der Kommission registrieren lassen, die insbesondere

ihren Gegenstand und ihre Ziele prüft. Die Kommission kann die Registrierung insbesondere

dann ablehnen, wenn der Gegenstand der Bürgerinitiative offenkundig nicht in einen Bereich

fällt, in dem sie befugt ist, dem Unionsgesetzgeber einen Rechtsakt vorzuschlagen.

Im Juni 2013 wurde der Kommission eine geplante Bürgerinitiative namens „Kohäsionspolitik für

die Gleichstellung der Regionen und die Erhaltung der regionalen Kulturen“ vorgelegt. Mit dieser

Initiative soll erreicht werden, dass die Kohäsionspolitik der Union denjenigen geografischen

Gebieten besondere Aufmerksamkeit widmet, die sich in ihren ethnischen, kulturellen, religiösen

oder sprachlichen Merkmalen von ihrer Umgebung unterscheiden („Regionen mit nationalen

Minderheiten“). Der Initiative zufolge entsprechen Regionen mit nationalen Minderheiten nämlich

nicht zwingend Verwaltungseinheiten, die befugt sind, Mittel, Ressourcen und Programme dieser

Politik in Anspruch zu nehmen.

Mit Beschluss vom 25. Juli 201345 hat die Kommission es abgelehnt, die geplante Initiative zu

registrieren, weil sie offenkundig nicht in einen Bereich falle, in dem sie dem Unionsgesetzgeber

einen Rechtsakt vorzuschlagen befugt sei. Herr Izsák und Herr Dabis haben daraufhin beim

Gericht der Europäischen Union Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses erhoben.

Mit seinem Urteil von 10. Mai 2016 stellte das Gericht fest, dass der Begriff „Region“ im Kontext

der Kohäsionspolitik der Union unter Beachtung der politischen, administrativen und

institutionellen Situation in den Mitgliedstaaten zu bestimmen ist. Folglich kann die Union keinen

Rechtsakt erlassen, mit dem – wie von der Initiative vorgeschlagen – ohne Rücksicht auf diese

Situation versucht würde, Regionen mit nationalen Minderheiten festzulegen.

Das Gericht führt weiter aus, dass die Erhaltung der ethnischen, kulturellen, religiösen oder

sprachlichen Besonderheiten bestimmter Gebiete kein Ziel ist, das den Erlass eines Rechtsakts

auf der Grundlage der Kohäsionspolitik der Union rechtfertigen könnte.

Das Gericht stellte schließlich fest, dass sich der mit der Initiative vorgeschlagene Rechtsakt

nicht dazu eignet, die durch die nationalen Minderheiten repräsentierte kulturelle Vielfalt zu

schützen, und er daher nicht im Rahmen der Kulturpolitik der Union erlassen werden kann.

Link zum vollständigen Urteil

45 Beschluss K(2013) 4975 endg. der Kommission vom 25. Juli 2013, mit dem der Antrag auf Registrierung der Bürgerinitiative „Kohäsionspolitik für die Gleichstellung der Regionen und die Erhaltung der regionalen Kulturen“ zurückgewiesen wird.

56

Verkehr

Die nationalen Behörden üben eine allgemeine Aufsicht zur Gewährleistung der

Fluggastrechte aus, sind jedoch nicht verpflichtet, aufgrund individueller Beschwerden

tätig zu werden

(Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-145/15 und C-146/15 K. Ruijssenaars, A. Jansen und J.H. Dees-Erf

/ Staatssecretaris van Infrastructuur en Milieu)

Die Verordung (EG) Nr. 261/2004 enthält eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und

Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder

großer Verspätung von Flügen. Bei Annullierung eines Fluges wird den betroffenen Fluggästen

vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen eingeräumt.

Des Weiteren hat jeder Mitgliedstaat eine Stelle zu benennen, die für die Durchsetzung dieser

Verordnung zuständig ist. Jeder Fluggast kann bei einer benannten Stelle Beschwerde wegen

eines behaupteten Verstoßes gegen diese Verordnung erheben.

In den Niederlanden wurde der Staatssekretär als zuständige nationale Stelle benannt. In diesem

Rahmen verfügt er über eine allgemeine Befugnis, Durchsetzungsmaßnahmen zu erlassen,

insbesondere wenn eine Fluggesellschaft sich systematisch weigert, die Fluggäste zu

entschädigen. Es ist ihm hingegen nicht erlaubt, Durchsetzungsmaßnahmen auf Antrag eines

Fluggasts, der ihn mit seinem Fall befasst, zu erlassen.

Einige Fluggäste haben beim Staatssekretär beantragt, Durchsetzungsmaßnahmen gegen ein

Luftfahrtunternehmen zu erlassen, was dieser verweigerte. Der Staatsrat (Raad van State)

zweifelt an der Zuständigkeit des Staatssekretärs für den Erlass von Durchsetzungsmaßnahmen

in Einzelfällen aufgrund eines Antrags von Fluggästen und befragt hierzu den Gerichtshof.

In seinem Urteil vom 17. März 2016 legte der Gerichtshof zuerst den Begriff der „Beschwerde“

aus. Er ist der Auffassung, dass unter diesem Begriff eher Hinweise zu verstehen sind, die zur

ordnungsgemäßen Anwendung der Verordnung im Allgemeinen beitragen sollen, ohne dass die

Stelle verpflichtet wäre, aufgrund solcher Beschwerden tätig zu werden, um das Recht jedes

einzelnen Fluggastes auf Erhalt einer Ausgleichsleistung zu gewährleisten. Der Begriff der

„Sanktionen“ bezeichnet Maßnahmen, die als Reaktion auf Verstöße ergriffen werden, die die

Stelle in Ausübung ihrer allgemeinen Aufsicht aufdeckt, und nicht verwaltungsrechtliche

Durchsetzungsmaßnahmen, die in jedem Einzelfall zu ergreifen sind.

Infolgedessen war der Gerichtshof der Ansicht, dass die zuständige nationale Stelle grundsätzlich

nicht verpflichtet ist, Durchsetzungsmaßnahmen gegen ein Luftfahrtunternehmen zu erlassen,

um es dazu anzuhalten, die dem Fluggast nach der Verordnung Nr. 261/2004 zustehende

Ausgleichsleistung zu zahlen. Die Mitgliedstaaten haben dennoch, angesichts der Ziele der

Verordnung, die Möglichkeit, zum Ausgleich eines unzureichenden Schutzes der Fluggastrechte

die Stelle zu ermächtigen, Maßnahmen auf individuelle Beschwerden hin zu ergreifen.

Link zum vollständigen Urteil

57

Wettbewerb

Der Lizenznehmer eines Patents muss die vereinbarte Gebühr auch dann zahlen, wenn er

die patentierte Technologie nicht verletzt

(Urteil in der Rechtssache C-567/14 Genentech Inc. / Hoechst GmbH und Sanofi-Aventis Deutschland GmbH)

Im Jahr 1992 gewährte ein deutsches Unternehmen einem im Pharmasektor tätigen

Unternehmen eine nicht ausschließliche weltweite Lizenz für die Nutzung eines aus dem

menschlichen Cytomegalovirus abgeleiteten patentierten Enhancers. Das Unternehmen nutzte

diesen Enhancer lediglich, um die Transkription eines Abschnitts der DNS zu erleichtern, der

seinerseits zur Herstellung eines Arzneimittels erforderlich ist. Mit dieser Art der Verwendung des

Enhancers hat das Unternehmen die lizenzierten Patente nicht verletzt. Deshalb hat sie sich

geweigert, einen Teil der vereinbarten Gebühr zu zahlen.

Die mit der Rechtssache befasste Cour d’appel de Paris möchte vom Gerichtshof wissen, ob unter

diesen Umständen Genentech mit dieser Gebühr im Hinblick auf das Wettbewerbsrecht der Union

ungerechtfertigte Kosten auferlegt werden.

In seinem Urteil vom 7. Juli 2016 stellte der Gerichtshof fest, dass das Wettbewerbsrecht der

Union es nicht verbietet, die Zahlung einer Gebühr für die Verwendung einer Technologie auch

dann vorzusehen, wenn diese Verwendung zu keiner Patentverletzung führt und die Technologie

bei einer rückwirkenden Nichtigerklärung des Patents sogar als nie geschützt gilt. Der Grund

dafür liegt darin, dass die Gebühr den Preis darstellt, der vom Lizenznehmer für die kommerzielle

Nutzung der patentierten Technologie in der Gewissheit, dass der Lizenzgeber keine

Verletzungsklage gegen ihn erheben wird, zu zahlen ist.

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