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Evangelische Perspektiven Das Magazin der Landeskirche Braunschweig 3 | 2017 www.landeskirche-braunschweig.de An der Seite der Kranken Mit moderner Technik und neuen Strukturen blickt das evangelische Krankenhaus Marienstift in die Zukunft.

Evangelische Perspektiven - Landeskirche Braunschweig · 2017. 9. 19. · dabei, als Pfarrer Walter Bosse den Besuchsdienst der Gemeinde mit sieben Ehrenamtlichen gegründet hatte

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Page 1: Evangelische Perspektiven - Landeskirche Braunschweig · 2017. 9. 19. · dabei, als Pfarrer Walter Bosse den Besuchsdienst der Gemeinde mit sieben Ehrenamtlichen gegründet hatte

Evangelische PerspektivenDas Magazin der Landeskirche Braunschweig 3 | 2017

www.landeskirche-braunschweig.de

An der Seite der KrankenMit moderner Technik und neuen Strukturen blickt das evangelische Krankenhaus Marienstift in die Zukunft.

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Editorial

ImpressumHerausgeber Pressestelle der Landeskirche Braunschweig I Redaktion Michael Strauß (mic) I Anschrift Dietrich-Bonhoeffer-Straße 1, 38300 Wolfenbüttel, Tel. 05331-802108, Fax 05331-802700, [email protected], www.landeskirche-braunschweig.de I Layout Dirk Riedstra | Druck MHD Druck und Service GmbH, 29320 Hermannsburg | Titelfoto Susanne Hübner

Liebe Leserinnen und Leser,

seit der Zeit der frühen Christenheit gehört der Dienst an Notleidenden, Armen und Kranken zum Wesensmerk-mal der Kirche. Gerade in ihnen begegnet Christen Gott selbst:

„Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“, sagt Jesus (Matthäus 25,40). Deswegen ist die Kirche in besonderer Weise auf der Seite der Schwachen.

Bis in unsere moderne Gesellschaft zieht sich ihr Wille zu hel-fen, auch wenn kommunale Initiativen und Einrichtungen heute die Basisversorgung sicherstellen müssen. Die Diakonie ist Teil des kirchlichen Erbgutes. Allerdings stellen die Bedingungen unseres Sozialsystems dabei oft große Herausforderungen dar.

Kostenfragen sind häufig auch hier entscheidend geworden.

Darf aber die Heilung, die Pflege oder die soziale Teilhabe vor allem eine Frage des Geldes sein? Wie ein evangelisches Krankenhaus versucht, im christlichen Geist Menschen zu helfen und gleichzeitig wirtschaftlich stark genug zu sein, um auf dem Gesundheitsmarkt zu bestehen, beschreibt das Titelthema in dieser Aus-gabe der Evangelischen Perspektiven.

Aber auch an anderen Stellen wird deutlich, dass die Kirche ihre Bestimmung in der Welt und nicht außerhalb der Welt suchen muss. Sie muss stand halten in den Tiefen unserer menschlichen Existenz und sich ihre Hände schmutzig machen für das Leben: „Gott wird nicht auf Orden, Medaillen oder Titel sehen, sondern auf Narben“, hat Dietrich Bonhoeffer einmal formuliert.

Eindrucksvoll, wie sich zum Beispiel auch das Hospiz Am Hohen Tore Braun-schweig dieser diakonischen Aufgabe stellt. Im Interview mit der Hospizleiterin erfahren Sie, was zählt, wenn es ans Sterben geht.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre,

Ihr

Michael Strauß

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In dieser Ausgabe

4 Blickpunkt Fenster der Reformation

Farbig leuchtet der Kreuzgang von St. Ulrici-Brüdern in Braunschweig.

8 Porträt Zuhören und ermuntern

Traute Hupfer leitet ehrenamtlich den Besuchsdienst der St. Thomas-Gemeinde in Wolfenbüttel.

10 Titelthema An der Seite der Kranken

Mit moderner Technik und neuen Strukturen blickt das evangelische Krankenhaus Marienstift in Braun-schweig in die Zukunft.

14 Interview Gut behütet sterben

Zeit und Zuwendung sind entscheidende Faktoren für Menschen am Lebensende, sagt Hospizleiterin Petra Gottsand im Interview.

17 Nachgefragt Wie hilft die Kirche Polizisten?

Eine Antwort von Polizeiseelsorger Maic Zielke.

18 Hintergrund Gärtnern wie die Mönche

Seit 15 Jahren pflegen ehrenamtliche Kulturpaten den Klostergarten in Braunschweig-Riddagshausen.

20 Rezension Vorbild im Glauben

Ein neues Buch zeigt, warum der Theologe Dietrich Bonhoeffer bis heute Menschen bewegt.

21 Kleine Kirchenkunde Im Zentrum die Gnade

Das Kunstprojekt der Landeskirche zum Reformati-onsjubiläum findet seinen Abschluss.

23 Mein Traum von Kirche Die Kirche soll klingen wie ein tiefer Raum

Meditation von Dr. Ulrich Lincoln, Propst in Vorsfelde.

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Blickpunkt

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Fenster der Reformation

Das Café Kreuzgang (Schüt-zenstraße) ist für die Dauer der Braunschweiger Reformations-ausstellung im Landesmuseum, im Museum St. Aegidien und in der Kirche St. Ulrici-Brüdern (bis 19. November) zu einem besonderen Rastplatz geworden (Öffnungszei-ten: Dienstag bis Samstag 10 bis 18 Uhr, sonntags und feiertags 12 bis 18 Uhr).

Hier können Besucherinnen und Besucher die vielen Eindrücke der Ausstellung noch einmal Revue passieren lassen. Außergewöhnli-che Anregungen dafür bieten nicht zuletzt die vielen farbigen Bilder, die in die unverglasten mittelalterli-chen Fensterbögen des Kreuzgangs eingefügt worden sind.

Auch sie zeigen Motive zur Reformation, eigens gestaltet von Künstlerinnen und Künstlern der Evangelischen Stiftung Neuer-kerode. Dort gibt es in der Villa Luise eine Kunstwerkstatt, die Menschen mit Beeinträchtigungen einen Raum für ihre kreative Arbeit bietet. So macht das Café Kreuz-gang die Reformationsausstellung auch zu einem inklusiven Projekt.

www.thzbs.de

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Nachrichten

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Neue Lektoren

16 neue Lektorinnen und Lektoren hat Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer (Wolfenbüttel) in der Braunschweiger St. Petri-Kirche in ihr Amt eingeführt. In einer einjährigen Ausbildung im Theologischen Zentrum haben sie sich die Fähigkeiten erwor-ben, einen Gottesdient zu leiten und dabei auch Lesepredigten zu halten. Sie unterstützen die Gemeinden bei der Durchführung von Gottesdiensten.

Lektoren sind Ehrenamtliche im Verkündigungsdienst. Sie verbinden die kirchliche Aufgabe mit ihren Berufs- und Lebens-erfahrungen. Die neuen Lektorinnen und Lektoren verfügen über ein breites berufliches Spektrum: Tierärztin, Ingenieur, Finanz-buchhalterin, Industriekaufmann, Gärtner, Buchhändlerin oder Sozialarbeiterin. Ihre Beauftragung ist auf sechs Jahre begrenzt, kann aber durch Praxis und Fortbildungen verlängert werden.

Die neuen Lektorinnen und Lektoren sind: Ronja Lisa Beh-rendt (Vechelde), Markus Brockfeld (Braunschweig), Silke Cohn-Globisch (Helmstedt), Wolfgang Heine (Goslar), Elisabeth Hirschler (Braunschweig), Marcus Hoppe (Goslar), Lisa Hosung (Salzgitter-Bad), Detlef Keding (Bad Gandersheim), Gudrun Kiefer (Salzgit-ter-Lebenstedt), Dieter Losemann (Salzgitter-Bad), Marion Nagel (Wolfenbüttel), Wenke Nickel (Goslar), Sonja Rohnert (Seesen), Brunhilde Schlesinger (Bad Harzburg), Renate Singer (Braun-schweig) und Heike Uhde-Mihm (Bad Gandersheim).

Die neuen Lektorinnen und Lektoren der Landeskirche.

Ökumene-Vorsitzender

Propst i.R. Matthias Blümel (66), Wolfsburg, ist für zweiein-halb Jahre Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Niedersachsen (ACKN). Die Delegierten von 22 evan-gelischen, römisch-katholischen und orthodoxen Kirchen wähl-ten ihn im Theologischen Zentrum Braunschweig. Blümel war von 1990 bis 2016 Propst der Landeskirche Braunschweig in Vorsfelde.

Das Engagement gegen Antisemitismus sowie die Unterstützung von Kirchen, deren Mitglieder im Ausland verfolgt werden, nannte er als wichtige Aufgaben für seine Amtszeit. Außerdem, so Blümel, gehe es um einen vertieften ökumenischen Dialog zwischen den ACK-Mitgliedskirchen. Die ACKN wurde 1976 in Hildesheim gegründet und versteht sich als ein Forum der Begegnung verschiedener christlicher Kirchen. Sie will das Gespräch über Fragen des Glaubens, des geistlichen Lebens und des Kirchenverständnisses fördern. Matthias Blü-mel hat die Nachfolge von Dr. Gabriele Lachner (Vechta) angetreten, Beauftragte für die Ökumene im Bischöflich Münsterschen Offizialat für die Katholische Kirche im Oldenburger Land.

Neue Pfarrerinnen

Vier neue Pfarrerinnen hat Landesbischof Dr. Christoph Meyns im Braunschweiger Dom ordi-niert. Er übertrug ihnen ihr neues Amt in einem besonderen Gottesdienst. Nach dem Vikariat und ihrem Zweiten Theologischen Examen überneh-men sie ihre Stellen zunächst für drei Jahre als Pfarrerinnen auf Probe.

Ann-Kathrin Borchers (29) übernimmt die Pfarrstelle Sauingen mit Bleckenstedt, Beddin-gen und Üfingen (Propstei Salzgitter-Lebenstedt). Sabrina Fröhlich (33) betreut die Pfarrstelle Georg Calixt in Helmstedt Bezirk IV (Propstei Helm-stedt). Anne-Lisa Hein (29) wird die Pfarrstelle St. Jakobus im Ambergau (Propstei Seesen) über-tragen, und Madleen Pätow (32) übernimmt die Pfarrstelle Büddenstedt (Propstei Helmstedt).

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Nachrichten

Neuer Auftritt der Landeskirche im Internet.

Austritte geringer

Die evangelischen Kirchen in Niedersachsen und Bremen verlieren weiter Mitglieder, gleich-zeitig gehen die Austrittszahlen zurück. Das geht aus der jüngsten Statistik der Evangelischen Kir-che in Deutschland (EKD) hervor, die in Hannover veröffentlicht wurde. Danach bleibt die hanno-versche Landeskirche mit 2,63 Millionen Mit-gliedern die größte evangelische Landeskirche in Deutschland.

In Niedersachsen hatten die fünf evangeli-schen Kirchen der Statistik zufolge Ende vergan-genen Jahres insgesamt 3,61 Millionen Mitglie-der bei einer Gesamtbevölkerung von rund acht Millionen Menschen. Die Bremische Evangeli-sche Kirche verzeichnete rund 200.000 Mitglie-der bei einer Gesamtbevölkerung von 582.000 Menschen.

Fast alle Kirchen meldeten zugleich sinkende Austrittszahlen. So ging die Austrittsquote in der hannoverschen Landeskirche um 17,8 Prozent auf rund 20.000 Menschen zurück. In Bremen sank die Quote um zwölf Prozentpunkte, in der Landeskirche Braunschweig um acht Prozent. Lediglich in der Evangelische Kirche in Olden-burg stieg die Zahl der Austritte entgegen dem Trend von 3.800 auf 3.900 an.

Niedersachsens zweitgrößte evangelische Kirche ist die oldenburgische Kirche mit mehr als 418.000 Mitgliedern. Hier ging die Gesamtzahl der Mitglieder nach Angaben eines Sprechers um 5.700 leicht zurück. Die Evangelisch-lutheri-

sche Landeskirche in Braunschweig verzeichnete etwa 342.000 Mitglieder. Das waren rund 5.600 weniger als im vergangenen Jahr. Die Zahl der Austritte sank von rund 3.700 Personen im Jahr 2015 auf jetzt rund 3.400 Männer und Frauen. 523 Menschen tra-ten hier in die Kirche ein, zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Das katholische Bistum Hildesheim, zu dem auch Teile Bre-mens gehören, meldete rund 610.000 Mitglieder, rund 800 weni-ger als im Jahr zuvor. Rund 5.500 Menschen kehrten dem Bistum durch Austritt den Rücken, etwa 500 weniger als im Vorjahr. | epd

Neuer Internetauftritt

Die Landeskirche Braunschweig hat ihren Internetauftritt vollständig überarbeitet und modernisiert. Er passt sich nun automatisch

jedem Endgerät an: ob Smartphone, Tablet, Notebook oder Com-puter. Außerdem wurden Navigation und Architektur sowie das Layout und Design von „www.landeskirche-braunschweig.de“ dem gewandelten Verhalten von Internetnutzern angepasst.

So bietet die neue und barrierearme Internetpräsenz unter anderem einen schnellen Zugang zu den 329 Gemeinden der Landeskirche. Über eine interaktive Karte lassen sich ihre zen-tralen Kontaktdaten recherchieren. Außerdem können Nutzer durch die Eingabe ihrer Wohnanschrift in einer besonderen Suche erfahren, zu welcher Gemeinde sie gehören.

Neu gestaltet wurde auch eine umfangreiche Veranstaltungs-datenbank. Sie enthält aktuelle Angebote aus vielen Arbeits-bereichen und Gemeinden der Landeskirche. Die kirchlichen Arbeitsfelder werden darüber hinaus stärker herausgehoben und ins Blickfeld gerückt. Ähnliches gilt für viele Einrichtun-gen, die Menschen helfen, beraten und begleiten. Nicht zuletzt enthält der Internetauftritt die wichtigsten Informationen und Hintergründe zur Landeskirche in englischer Sprache.

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Sie hat ein offenes Ohr für die Menschen in ihrer Gemeinde: Traute Hupfer.

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Zuhören und ermunternTraute Hupfer leitet ehrenamtlich den Besuchsdienst der St. Thomas-Gemeinde in Wolfenbüttel. Eine Aufgabe, bei der sie viel Dankbarkeit erfährt.

An wie vielen Haustüren Traute Hupfer in ihrem Leben bereits geklingelt hat, vermag sie nicht zu sagen. Kein Wunder, sie leitet den Besuchsdienst in der St. Tho-mas-Gemeinde in Wolfenbüttel. „Ich mag den Begriff Besuchsdienst ja gar nicht“, erhebt sie Einspruch. „Ich bevorzuge das Wort Besuchskreis. Bei Besuchsdienst sagen mir die Besuchten immer: Ach, wenn das Ihr Dienst ist, dann können Sie gleich noch die Gardinen mitwaschen.“ Traute Hupfer liegt der trockene Humor.

Viele Menschen haben gerne Besuch. Dies gilt umso mehr, wenn die Besucherin auch noch Zeit und ein offe-nes Ohr mitbringt, wenn sie zuhört, aber auch ermun-tert und aufheitert. Vor allem ältere Menschen sind oft dankbar für kleine Zeichen der Zuwendung. Vor allem wenn sie nicht mehr so mobil wie früher sind.

„Obwohl sich auch das im Laufe der Jahrzehnte sehr verändert hat“, schränkt die Leiterin des Besuchsdiens-tes ein. Verschlossene Türen seien heutzutage nicht sel-ten, entweder weil sich die Menschen bewusst abkap-selten oder weil auch Rentner inzwischen mobiler seien, auf Reisen die Welt erkundeten, und daher seltener zu Hause anzutreffen seien.

Traute Hupfer war schon Anfang der 1980er Jahre dabei, als Pfarrer Walter Bosse den Besuchsdienst der Gemeinde mit sieben Ehrenamtlichen gegründet hatte.

„Dazwischen gab es viele Wechsel, heute sind wir immer noch sieben.“ Neue Interessenten für dieses Ehrenamt zu finden sei nicht einfach. Zumal der logistische Auf-wand dafür nicht gering sei.

„Wir bekommen monatlich eine Liste mit 45 bis 50 Namen von Geburtstagskindern der Gemeinde ab dem 75. Lebensjahr“, erläutert Traute Hupfer. Für jeden Namen werde eine Karteikarte erstellt. Darauf werde stets vermerkt, welcher Gratulationstext Verwendung findet und wie der Besuch verläuft. „Zu 80., 85., 90. und Geburtstagen danach gratulieren unsere beiden Pfarrer Andreas Riekeberg und Dietmar Schmidt-Pultke.“ Wenn die nicht könnten, übernähmen auch das die Ehrenamt-lichen.

Die Organisation des Besuchsdienstes liegt Traute Hupfer im Blut. Geboren in Bornum am Elm ging es für sie zur Schule und Ausbildung nach Braunschweig. Dort wurde sie Sekretärin bei der Mühlenbau und Industrie Aktiengesellschaft (MIAG) und lernte im Unternehmen auch ihren Mann Werner, einen Ingenieur, kennen.

„Ganz unromantisch – in der Kantine“, sagt sie mit einem Schmunzeln. Das Ehepaar zog 1969 nach Wol-fenbüttel und bekam zwei Söhne. Engagement in der Gemeinde war selbstverständlich, für Werner Hupfer sogar im Kirchenvorstand.

Wie lange Traute Hupfer den Besuchsdienst noch machen möchte? „Jedenfalls will ich mit 80 nicht mehr mit meinem Fahrrad losrumpeln“, lacht sie. Um sogleich zu mahnen: „Aber schreiben Sie bloß nicht, wie alt ich bin!“ Nur so viel sei verraten: Ein paar Jährchen für den Besuchsdienst sind noch drin. | Michael Siano

PorträtSalzgitter-

Salzgitter-Bad

Die Organisation des Besuchsdienstes liegt Traute Hupfer

im Blut.

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Fotos (2): Agentur Hübner

An der Seite der KrankenDas Marienstift in Braunschweig hat eine lange Tradition als evangelisches Krankenhaus. Nach einer wirtschaftlichen Talfahrt konnte es konsolidiert werden. Mit einer umfassen-den Modernisierung und Neustrukturierung will das Haus auch in Zukunft Kranken zur Seite stehen. Im Geist christli-cher Nächstenliebe.

Auf 147 ereignisreiche Jahre blickt das Krankenhaus Marienstift mitt-lerweile zurück. Doch wer das Haus betritt, stößt auf neue Medizintech-nik und eine zeitgemäße Einrichtung. Und auf viele freundliche Gesichter. Patienten und Besucher werden hier stets gegrüßt, oft auch mehrfach.

„Freundlichkeit als Ausdruck des Christentums beinhaltet immer auch eine

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Titelthema

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ehrliche Herzlichkeit“, ist Rüdiger Becker überzeugt. Er ist Direktor und Vorstandsvorsitzender der gemeinsa-men Unternehmensgruppe der Stiftung Neuerkerode und der Evangelisch-lutherischen Diakonissenanstalt Marienstift.

Beckers lange Funktionsbezeichnung zeugt zugleich vom Ende eines Spannungsverhältnisses, in dem sich das evangelische Krankenhaus zuletzt bewegte: Auch an dessen wirtschaftlichen Fundamenten rüttelte das sich rasant wandelnde deutsche Gesundheitssystem heftig.

„Im Zuge von Fusionsprozessen unter Dominanz priva-ter Klinik-Ketten haben die kommunalen und gemein-nützigen Häuser stetig Marktanteile verloren“, schildert Becker. „Auch wir als kleines Krankenhaus haben es sehr schwer gehabt.“

Jahrelange wirtschaftliche Talfahrt und die Auf-zehrung des Stiftungskapitals führten dazu, dass die Evangelisch-lutherische Diakonissenanstalt Marienstift einen finanzstarken Partner suchen musste und diesen 2015 mit der Evangelischen Stiftung Neuerkerode fand. Damit wurde der Bund zweier traditionsreicher Stiftun-gen in Braunschweig geschlossen, eine Win-Win-Situa-tion für beide evangelische Einrichtungen.

„Die Evangelische Stiftung Neuerkerode unterstützt bereits seit fast 150 Jahren, im Auftrag örtlicher und überörtlicher Sozialhilfeträger, Menschen mit besonde-rem Hilfebedarf zur Förderung von Teilhabe und Inklu-sion in unserer Gesellschaft“, erläutert Vorstand Rüdiger Becker. Bislang habe aber ein angemessener Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen für Menschen mit kör-perlicher und geistiger Behinderung gefehlt. Diese

Lücke wird zukünftig durch das Medizinische Zentrum für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) am Marien-stift geschlossen.

Einen großen Verdienst an der Konsolidierung des Marienstift-Krankenhauses hat auch Reinhard Ebeling. Als Interimsgeschäftsführer gelang ihm gemeinsam mit dem Vorstand zwischen Herbst 2015 und Sommer 2017 ein Zuwachs an medizinischen Leistungen von knapp 25 Prozent. Eigentlich befand sich der erfahrene Kranken-hausmanager bereits im Ruhestand. Trotzdem nahm er die Herausforderung an.

Es folgten eine umfassende Modernisierung und Neustrukturierung des Marienstifts. Stationshierarchien wurden abgeschafft, die Patientenaufnahme erweitert und der Investitionsstau abgebaut. Allein in die Moder-nisierung der Medizintechnik flossen im Jahr 2016 mehr als 600.000 Euro.

Zum 1. Juli dieses Jahres hat Klaus-Dieter Lübke-Naberhaus, Facharzt für Chirurgie und Arzt für Notfall-medizin, die Geschäftsführung übernommen. Lübke-Naberhaus war 2005 ins Krankenhausmanagement gewechselt. Als Kaufmännischer Interims-Direktor hatte er zuletzt das katholische Krankenhaus St. Vinzenz in Braunschweig abgewickelt. Daher weiß der 49-Jährige, wie dünn die Luft für kleine Krankenhäuser werden kann.

Beim Marienstift mit dem angeschlossenen Senioren- und Pflegezentrum Bethanien habe er jedoch ein gutes Gefühl: „Wir werden unsere Angebote erweitern und uns digital und personell auf die heutigen Anforderungen ein-stellen.“ Bauliche Erweiterungen wie zum Beispiel ein neuer Haupteingang und ein neuer OP-Trakt seien in Pla-nung. Weiterhin auf der Haben-Seite: rund 500 hochmo-

„Die Evangelische Stiftung Neuerkerode unterstützt seit fast 150 Jahren Menschen

mit besonderem Hilfebedarf.“

In die Modernisierung der Medizintechnik flossen 2016 mehr als 600.000 Euro.

Freundliche Gesichter gehören zum Markenkern des Marienstifts.

Koryphäe auf seinem Gebiet: Palliativmediziner Dr. Rainer Prönneke.

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Titelthema

tivierte Mitarbeitende und ein Krankenhaus, dessen Kli-niken einen exzellenten Ruf genießen und jährlich 8.000 Patienten stationär sowie knapp 3.000 ambulant behandeln.

So zählt Dr. Niels Benatar, Chefarzt der Klinik für Handchirurgie und angeborene Handfehlbildungen, zu den Top-Medizinern in Deutschland. Stark gefragt ist auch die Frauenklinik mit Gynäkologie und Geburtshilfe unter Leitung von Chefarzt Dr. Branko Milkanovic, ebenso das für seine Qualität ausgezeichnete Hernienzentrum, das von Chefarzt Dr. Ekkehard Möbius geleitet wird.

Als Koryphäe in Sachen Palliativmedizin gilt Dr. Rai-ner Prönneke, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin. Als medizinischer Querdenker gilt sein Blick der Ganzheit-lichkeit. Dr. Prönneke: „Krankheit enthält immer auch die Chance auf einen neuen Blick auf das eigene Leben.“

Entsprechend wichtig sei die Seelsorge, die nicht nur von Ärzten, Pflegenden und einer Pastorin, sondern auch von den vielen ehrenamtlich Tätigen der Diakonischen Gemeinschaft geleistet werde.

Die Erwartungen der Menschen an eine diakonische Einrichtung seien sehr hoch, meint Vorstand Rüdiger Becker. „Als traditionsreiches, christliches Krankenhaus in Braunschweig wollen wir eine am Menschen orien-tierte Medizin mit Nächstenliebe verbinden.“

Dafür stehen im Marienstift die Diakonissen, also Frauen in einer Lebens- und Glaubensgemeinschaft. Auch im Marienstift tragen die Diakonissen als Erken-nungszeichen Tracht mit einem Häubchen. Vier gibt es noch im Haus. Das war früher anders: Zu Beginn des Ersten Weltkrieges waren es mehr als 150 und im Jahr

1933 sogar 211 Diakonissen und 127 Anwärterinnen. Heute sind es die vielen Ehrenamtlichen, die als Dia-konische Gemeinschaft das Erbe und die Tradition der Diakonissen im Krankenhaus fortführen.

Gegründet wurde das Marienstift am 8. Mai 1870 vom „Vaterländischen Frauenverein“. Namensgeberin war die Mutter des Herzogs Friedrich Wilhelm, Herzogin Marie, geborene Prinzessin von Baden-Durlach. Aus-gangspunkt für die Braunschweiger Diakonissenanstalt war ein kleines Hospital an der Wolfenbütteler Straße. Vor allem zwei Aufgaben führten zur Gründung: Erstens sollten für die Verwundeten in einem möglichen Krieg Krankenschwestern ausgebildet werden; zweitens wur-den infolge der Industrialisierung dringend Gemeinde-schwestern benötigt.

1881 trennten sich die Diakonissenanstalt und der „Vaterländische Frauenverein“. Ein vier Hektar großes Grundstück an der Helmstedter Straße wurde gekauft, um nun „vor den Toren Braunschweigs“ ein Kranken-haus mit Wohnbereich für die Diakonissen zu bauen. 1883 wurde es eingeweiht. Seit der Gründung haben die Diakonissen des Marienstiftes die christlich soziale Arbeit geprägt. Im Dienst Gottes und für die Menschen wurden sie in Krankenhäusern, Gemeinden, kirchlichen Einrichtungen und Kindergärten eingesetzt.

Sie haben Menschen in ihrem Leid begleitet. Vielen schenkten die Diakonissen Hoffnung und Zuversicht im christlichen Glauben. Die Schwestern standen für hel-fende und verlässliche Nähe. Sie gingen nicht in Rente, sondern taten Dienst solange ihre Gesundheit es zuließ. Ihre letzte Ruhe finden die Diakonissen auf dem Schwes-ternfriedhof des Mutterhauses des Marienstiftes. „Unsere Diakonissen sind fantastische und großartige Frauen“, sagt Vorstand Rüdiger Becker. „Sie haben diesem Haus einen einzigartigen Charakter gegeben.“ | Michael Siano

www.neuerkerode.de/krankenhaus-marienstift

„Als christliches Krankenhaus wollen wir eine am Menschen orientierte Medizin mit

Nächstenliebe verbinden.“

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Das Marienstift setzt auf mehr als 500 hochmotivierte Mitarbeitende.

Geschäftsführer Klaus-Dieter Lübke-Naberhaus (l.) und Direktor Rüdiger Becker.

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Interview

Gut behütet sterbenZeit und Zuwendung sind entscheidende Faktoren für Menschen am Lebensende, sagt Petra Gottsand im Interview. Sie leitet das Hospiz Am Hohen Tore Braunschweig und fordert eine Ver-besserung der palliativen Versorgung in Altenpflegeeinrichtungen.

Evangelische Perspektiven: Frau Gottsand, lassen Sie uns über das Sterben reden. Wie selbstverständ-lich ist das für Sie?

Petra Gottsand: Es ist für mich im Laufe der Jahre selbstverständlicher geworden, weil ich jeden Tag beruf-lich mit diesem Thema zu tun habe. Aber auch im Freun-deskreis werde ich darauf angesprochen. Oft heißt es: Ich habe da mal eine Frage. Dann folgen nicht selten lange Gespräche.

Oft heißt es, das Thema Sterben werde am liebsten verdrängt. Ist die Hospizbewegung ein Beleg für das Gegenteil?

Die Hospizbewegung ist keine Rückzugsbewegung, sondern versucht, das Thema Tod und Sterben in der Gesellschaft öffentlich zu machen. Zum Beispiel durch besondere Veranstaltungen: Benefizkonzerte, einen Tag des offenen Hauses oder ein großes Sommerfest. Außer-dem gehen wir häufig in Schulen, sowohl in Oberstufen-klassen als auch in neunte und zehnte Klassen. Ich bin immer wieder erstaunt, dass Jugendliche ein großes Interesse an diesem Thema haben.

Sehen Sie eine neue Offenheit, sich mit Tod und Sterben auseinanderzusetzen?

Ja, durchaus. Natürlich gibt es nach wie vor dieje-nigen, die das Thema weit von sich wegschieben. Häu-fig hat das aber mit persönlicher Betroffenheit zu tun. Bei anderen wächst durch persönliche Betroffenheit die Bereitschaft, sich mit dem Thema zu befassen.

Wie thematisieren Sie Tod und Sterben in der Schule?

Es gibt in Niedersachen das Projekt „Hospiz macht Schule“. Darin engagieren sich Ehrenamtliche aus den Hospizvereinen. Wir haben aber auch Schulklassen bei

Petra GottsandPetra Gottsand (54) leitet seit 2013 als Geschäfts-

führerin das Hospiz Am Hohen Tore Braunschweig. Davor hatte sie sechs Jahre lang die Leitung des Johann-Sebastian-Bach-Hauses, einer Altenpflege-einrichtung der Diakonie, in Salzgitter inne. Von 2005 bis 2007 arbeitete sie Pflegedienstleiterin im Hos-piz Salzgitter. Bis zum Wechsel in die Altenpflege im Jahr 2000 war die ausgebildete Krankenschwester im Krankenhaus Marienstift in Braunschweig tätig. Das Hospiz Am Hohen Tore Braunschweig ist eine diako-nische Einrichtung und bietet zwölf Gästen einen Ort für die letzte Lebensphase.

www.hospiz-braunschweig.de

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Interview

uns im Hospiz. Dann erläutern wir die Hintergründe zu unserem Haus und zeigen es den Schülern. Viele sind dann positiv erstaunt und verlassen uns mit einem neuen Bewusstsein und sagen: Es ist gar kein schlimmer Ort.

Sie begleiten Menschen in den letzten Tagen und Wochen ihres Lebens. Wie viel Leben ist ganz am Ende noch möglich?

Das Sterben von Menschen ist eine ganz persönli-che, intime und sehr individuelle Angelegenheit. Jeder bestimmt selber, wie er am Ende seiner Lebenszeit noch

am Leben teilnehmen möchte. Wobei das auch immer von der Krankheit abhängt, die zum Tod führt. Einige sitzen bis zwei, drei Tage vor ihrem Tod noch auf der Terrasse, gehen spazieren und nehmen an den gemeinsamen Mahlzeiten teil. Für diese Personen ist noch viel Leben möglich. Es gibt aber auch diejenigen, die bettlägerig sind und nicht mehr viel um sich herum wahrnehmen können. Unser oberstes Prinzip lautet: Wir tun das mit den Menschen und für die Menschen, was ihnen gut tut.

Was heißt das genau?Entscheidend ist die Kommunikation zwischen unse-

ren Gästen und den Mitarbeitenden im Haus. Wir fra-

gen: Was möchtest du in deiner letzten Lebenszeit von mir haben? Was ist dir wichtig? Was brauchst du? Wir ermöglichen unseren Gästen so viel Leben wie möglich.

Wir alle haben Angst vor dem Sterben, weil es in der Regel mit Leiden verbunden ist. Können uns Hospize die Angst vor dem Leiden nehmen?

Viele Menschen leiden am Ende ihrer Krankheit aus verschiedenen Gründen unter Atemnot. Atemnot erzeugt Panik, Panik erzeugt Angst. Also ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Menschen keine Atemnot haben. Das ist eine Möglichkeit, Angst zu nehmen oder zumindest zu reduzieren. Ähnlich ist es mit den Schmer-zen. Auch hier ist es unser Ziel, dass unsere Gäste keine Schmerzen haben. Das gelingt in der Regel sehr gut. Genauso wichtig sind aber auch Gespräche.

Inwiefern?Wir sitzen am Bett unserer Gäste oder mit ihnen in

der Küche bei einer Tasse Kaffee und reden mit ihnen: über ihre familiäre Situation oder darüber, wie letzte Dinge zu regeln sind. Dafür stehen nicht nur die Haupt-amtlichen zur Verfügung, sondern auch viele Ehrenamt-liche. Zeit und Zuwendung sind entscheidende Faktoren für Menschen am Lebensende.

In der christlichen Tradition gibt es die Vorstellung, es könne eine Kunst des Sterbens geben, die uns einen friedlichen Tod beschert. Wie verbreitet ist der fried-liche Tod?

Der glaubende Mensch, der Zuversicht hat, hat es aus meiner Sicht leichter, aus dieser Welt zu gehen. Wir haben immer wieder Beispiele von Menschen, die sagen, ich habe Frieden mit meinem Leben geschlossen. Sie haben eine Hoffnung, die über den Tod hinausreicht.

Welche Bedingungen braucht der friedliche Tod?Das hat viel mit der Gewissheit zu tun, dass die Dinge

geordnet sind: das Verhältnis zu den Angehörigen, aber auch ganz praktische, organisatorische Fragen. Es sind nicht nur die großen Dinge, sondern oft ganz einfache Fragen. Da erklären Ehefrauen ihren Männern, wie die Waschmaschine funktioniert. Oder sie sagen ihnen, was sie zu ihrer Beerdigung angezogen bekommen möchten.

Können Sie Menschen, die keine Erfahrung mit Sterbenden haben, erklären, was geschieht, wenn ein Mensch stirbt?

Bezeichnend ist, dass der Mensch sich am Ende immer weiter in sich selbst zurückzieht. Er hat kein Interesse mehr an Impulsen von außen, an Musik oder Fernsehen. Manchmal sagen uns Angehörige: Ich sitze am Bett und es passiert gar nichts. Nimmt mein Ange-

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Interview

höriger mich überhaupt noch wahr? Dann sagen wir: Ja, natürlich. Wenn Sie einfach nur die Hand halten, reicht das oft aus. Wobei es auch geschieht, dass der sterbende Mensch seine Hand wegzieht. Das ist ein Zeichen, dass die Berührung nicht mehr gewollt ist.

Gibt es Menschen, die alleine sterben möchten?Ja, manchmal denke ich, die Zeit des Sterbens könnte

die Zeit unseres Lebens sein, in der wir endlich Zeit für uns haben. Sie merken ganz deutlich, auch wenn Men-schen alleine sterben wollen. Zum Beispiel an Verspan-nungen und Verkrampfungen, wenn Angehörige ins Zim-mer kommen. Dann empfehlen wir den Angehörigen manchmal: Lassen Sie den Sterbenden lieber allein. Er zeigt uns deutlich, dass er für sich sein möchte. Nicht jeder Mensch hat Angst davor, allein zu sterben und braucht Menschen um sich herum. Viele nutzen oft die Gunst des Augenblicks und sterben, wenn ihre Angehö-rigen mal für eine halbe Stunde aus dem Zimmer sind.

Sterben und Tod sind Ihre täglichen Begleiter. In wie weit hat das Hospiz Ihre eigene Haltung gegenüber Sterben und Tod verändert?

Ich habe mir angewöhnt, die Dinge, die mir wichtig sind im Leben, nicht auf irgendwann zu verschieben. Weil ich weiß, dass sich die Verhältnisse von heute auf morgen ändern können. Ich versuche, dem Leben seine positiven Seiten abzugewinnen und habe im Laufe der letzten Jahre viele Dinge abgelegt, die für mich eine Belastung waren.

In wie weit können Hospize eine Antwort auf den Wunsch der Menschen sein, möglichst selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden?

In Deutschland ist die aktive Sterbehilfe gesetzlich verboten. Wenn man sich für ein Hospiz entscheidet,

entscheidet man sich immer für den begleitenden Weg. Hospizarbeit bedeutet, Menschen in ihrem Sterben zu begleiten, an ihrer Seite zu sein und den schweren Weg des Sterbens mit ihnen gemeinsam zu gehen.

Ist das Hospiz der bessere Weg zu sterben?Wenn uns Menschen verlassen, sagen die allermeis-

ten Angehörigen: „Es war schön bei Ihnen. Es hat uns bei Ihnen gefallen. Die Atmosphäre war wunderbar. Selbst als der Mensch gestorben war, haben Sie sich so viel Mühe gegeben.“

Brauchen wir mehr Hospize?Es gibt in Niedersachsen 26 stationäre Hospize. Dazu

mehr als hundert ambulante Hospizdienste, die ihre Ehrenamtlichen in private Häuser und Pflegeeinrichtun-gen entsenden. Wir verzeichnen etwa zehn bis zwanzig Anfragen für die Neugründung von stationären Hospizen. Sicher können wir an einigen Orten noch stationäre Hos-pize gebrauchen, gerade in der Fläche. Ich finde aber, dass die palliative Arbeit in Altenpflegeeinrichtungen noch viel mehr unterstützt und ausgebaut werden sollte. Denn wenn ein Mensch drei, vier Jahre in einer Altenpflegeein-richtung gelebt hat, ist das sein Zuhause. Und wenn er die Möglichkeit hat, dort gut behütet und begleitet zu sterben, ist das genau der richtige Ort für ihn.

Am Ende des Lebens geht es um letzte Fragen, die früher vor allem von der Kirche beantwortet wurden. Wie selbstverständlich ist die christliche Seelsorge für Sterbende heute noch?

Die Seelsorge hat nach wie vor eine wichtige Bedeu-tung für viele sterbende Menschen. Aber in der Tat gibt es auch diejenigen, die eine solche Begleitung nicht wün-schen, weil sie die letzten Fragen für sich anders beant-worten oder aufgrund ihrer Erkrankung mit ihrem Glau-ben gebrochen haben. Sie fragen: Wie konnte Gott mir das antun, dass ich mit 52 Jahren so schwer an Krebs erkrankt bin, dass ich das nächste Weihnachtsfest nicht mehr erleben werde? Manche finden durch ihre Krank-heit aber auch zum Glauben zurück.

Wenn etwas sicher ist, dann, dass wir alle früher oder später sterben. Können wir uns im Leben auf den Tod vorbereiten?

Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns über praktische, vorausschauende Regelungen hinaus auf den Tod vorbe-reiten können oder auch sollten. Denn natürlich bringt der Gedanke an das Ende eine gewisse Schwere ins Leben. Wie viel Tod und Sterben verträgt aber ein Mensch? Das ist ja eine berechtigte Frage. Wir müssen aufpassen, dass uns der Gedanke an den Tod nicht depressiv macht und wir das Leben darüber verpassen. | mic

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An der Seite der Sterbenden: Petra Gottsand.

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Nachgefragt

Wie hilft die KirchePolizistinnen und Polizisten,mit den Belastungenim Dienst umzugehen?

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Eine Antwort von Pfarrer Maic Zielke, Polizeiseelsorgerder Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen

Vielerorts wird sichtbar, welche Herausforderungen der Dienst in der Polizei gegenwär-tig umfasst: In unserer fußballbegeisterten Region gibt es zum Beispiel zahlreiche Einsätze, bei denen es auch zu Übergriffen auf Polizeikräfte kommt. Hinzu kommen Einsätze, die im Zusammenhang mit Flüchtlingen stehen, die bei uns Schutz gefunden haben, von denen aber einige strafrechtlich auffällig werden.

Ganz besonders stark aber ist die Belastung von Polizeikräften bei akuten Terrorlagen, wie wir sie zum Beispiel beim Braunschweiger Karnevalumzug „Schoduvel“ im Jahr 2016 erlebt haben.

Stets ist die Polizei gefordert, Lagen in kürzester Zeit zu beurteilen. Sie soll dann sachge-recht handeln, im Kontext von Recht und Ordnung entscheiden, zum Schutz von Menschen und unserer demokratischen Grundordnung ihren Dienst tun und dabei manchmal sogar das eigene Leben riskieren.

Es ist eine große Verantwortung, der Menschen eben auch nur mit ihren menschlichen Möglichkeiten gerecht werden können. Wie sich immer wieder zeigt, wird das in unserer Gesell-schaft und in den Medien seltener gesehen und bei Beurteilungen im Nachhinein nur begrenzt mitbedacht. Wertschätzende Reaktionen werden von Polizistinnen und Polizisten eher als Ausnahme erlebt.

Der Kirchliche Dienst in der Polizei begleitet Beamtinnen und Beamte auf ihren Dienst-stellen und bei Einsätzen. Neben regelmäßigen Besuchen und Hospitationen bietet er seel-sorgerliche und psychologisch-beraterische Gespräche an. In enger Zusammenarbeit mit psychologischen Beratungsstellen der Polizei steht er für die Nachsorge und Bearbeitung belastender Erfahrungen zur Verfügung.

Im berufsethischen Unterricht an den Polizeiakademien in Niedersachsen bildet er kom-mende Polizeikräfte mit aus. Er bietet Fortbildungen und Vorträge zu vielfältigen Themen wie aus dem Bereich von Spiritualität und Resilienz an. Und natürlich stellt er alle grundlegen-den Formen kirchlicher Begleitung zur Verfügung: Gottesdienste und Gedenkfeiern, Taufen, Hochzeiten, Haus- und Krankenbesuche und auch Beerdigungen.

Wie sagte letztens ein Polizeibeamter? „Gut, dass ihr da seid!“ Ein Stück Wertschätzung, das der Kirchliche Dienst in Polizei und Zoll gern erwidert.

www.kirchlicher-dienst-in-pz.de

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Hintergrund

Foto: Agentur Hübner

Wer durch den Klostergarten in Riddagshausen schlendert, kann vieles entdecken: heilbringende Kräu-ter, alte, vom Aussterben bedrohte Gemüsearten und einen besonderen Ort der Stille. Gepflegt wird der Garten seit 15 Jahren von rund 20 ehrenamtlichen Kulturpaten, einigen Männern und vielen Frauen, die die Hochbeete bestellen, jäten und ernten.

„Anfangs war ich gespannt, wie lange wir das durch-halten können“, sagt Birgit Jäckel, die von Anfang an zum Team der Kulturpaten gehört. „Jetzt bin ich stolz, dass das Projekt schon so viele Jahre läuft.“

Schließlich treffen sich die Ehrenamtlichen nicht nur jeden Donnerstag zum Arbeitseinsatz, sie betreuen auch einmal monatlich ein sonntägliches Kaffeetrinken mit anschließender Führung durch den Klostergarten. Dazu kommen die Stände beim Dorf- und Erntemarkt, die Sommernacht im Klostergarten und - in Absprache mit Klostergärtner Burkhard Bohne – die Führungen von Reisegruppen, Schulklassen und anderen Interessier-ten sowie viele weitere Veranstaltungen. Alles freiwillig.

„Jeder macht das, was er kann – auch wenn es nur eine Stunde lang ist“, betont Birgit Jäckel.

Bald werden die Kräuter aus dem Klostergarten geerntet, sie werden getrocknet und weiterverarbeitet, zu Seifen, Salben und Tinkturen, Essig und Salzen mit

Kräutern oder zu einem leckeren Pesto. Edith Wulke, eine andere Kulturpatin, mag vor allem die gemeinsa-men Aktionen im Gemeindehaus: „Es macht Spaß, etwas zusammen zu machen und ich freue mich beim Verkauf über die Wertschätzung des Publikums.“ Und sie pro-biert gern etwas Neues aus: Badepralinen mit Kräutern zum Beispiel oder eine Ringelblumen-Tinktur.

Alle Kulturpaten schätzen die besondere Atmosphäre im Klostergarten, die Weite und die Ruhe. „Der Ort ist sehr schön und es herrscht eine entspannte Grundstim-mung“, schwärmt Birgit Jäckel. Das ist auch für Ester Degenhardt aus Querum ein Grund, warum sie sich seit Mai im Klostergarten engagiert. „Doch ich helfe auch bei den Festen und wühle gern in den Beeten“, sagt sie augenzwinkernd. Gabi Herzig kommt extra aus Weddel. Sie hat Freude an den Pflanzen, an den Gesprächen und den neuen Rezepten. Ihre Lieblingspflanze ist der Mus-katellersalbei - ein Genuss für Augen und Nase.

Gärtnern wie die MöncheSeit 15 Jahren pflegen ehrenamtliche Kulturpaten den Klostergarten in Braunschweig-Riddagshausen.

In diesem Jahr freuen sich die Kulturpaten über eine besondere Ernte:

Safran-Krokusse.

Blick aus dem Obstgarten auf die Klosterkirche Riddagshausen.

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Hintergrund

In diesem Jahr freuen sich die Kulturpaten über eine besondere Ernte: Sie haben Safran-Krokusse angebaut, die kostbaren Safranfäden einzeln mit Pinzetten aus den Blütendolden herausgezogen und in Gläschen verpackt. Die Safranfäden werden verkauft, um weitere Projekte im Klostergarten zu finanzieren. Streng genommen gehören die Safran-Krokusse zwar nicht zu den typi-schen Kulturen, doch kleine Experimente sind erlaubt.

„Ich wollte mit dem Klostergarten den Landbau der Zisterzienser thematisieren“, sagt Botaniker und Klos-tergärtner Bohne, der für die fachliche Betreuung und Weiterentwicklung des Gartens zuständig ist. Er wollte einen Ort schaffen, in dem die Besucher die Pflanzen kennenlernen können, die früher in Klostergärten kul-tiviert worden sind. Und er wünschte sich einen Ort der Stille und der Spiritualität.

Bei der Anlage des Gartens hat er sich an Überliefe-rungen aus dem Mittelalter orientiert. „Da gibt es viele Quellen“, sagt Bohne. Doch die wichtigste sei der Klos-terplan von St. Gallen, in dem nicht nur die Anordnung der Gebäude, sondern auch die Anlage der Gärten gere-gelt war. Dieser Plan ist Vorbild für den Kräutergarten und für den Gemüsegarten, den sogenannten Abtgarten nördlich der Klosterkirche.

Hier steht feines Gemüse, das die Äbte früher mit ihren Gästen verzehrten: zum Beispiel Artischocken, Mangold und Amarant. Aber auch Erbsen, Linsen, Din-kel, Hirse, Kohl, Rettich, Pastinake und Melde wach-sen in den Hochbeeten. Und es ist Platz für regionale Sorten wie die Braunschweiger Blutrote Zwiebel und den Braunschweiger Spitzkohl und für Apfelsorten wie die Hildesheimer Renette, den Celler Dickstiel oder den Salemer Klosterapfel. Im Kräutergarten gedeihen viele noch heute genutzte Heilpflanzen, etwa Ringelblumen, Schafgarbe, Mutterkraut, Thymian und Salbei.

Bei der Auswahl der Pflanzen hat sich Bohne am „Capitulare de villis“ orientiert, der Landgüterverord-nung Karls des Großen. Sie enthält eine Liste mit knapp 100 Pflanzen, Kräutern, Obst und Gemüse, die damals die Ernährung der Bevölkerung sichern sollten. Prak-tische Gartentipps sind von Walafrid Strabo überlie-fert, dem Abt des Klosters Reichenau. Sein „Hortulus“ erschien in Versform und ist eines der bedeutendsten botanischen Werke des Mittelalters.

Unverzichtbar für einen Kostergarten sind Hoch-beete. Im Mittelalter boten sie den Mönchen wegen der

darin vorherrschenden höheren Temperaturen die Mög-lichkeit, Pflanzen zu kultivieren, die ein mediterranes Klima lieben. Kräuter, wie Rosmarin zum Beispiel. Doch die Hochbeete aus Holz verwittern auch. In Riddagshau-sen kümmern sich Fred und Christine Freimuth nicht nur um die Reparatur der Hochbeete, sie mähen auch den Rasen, pflegen die Wege und gießen die Pflanzen bei Trockenheit.

13.000 Quadratmeter groß ist das Gelände rund um die Klosterkirche und Bohne hat noch viele Pläne. So möchte er vier weitere Gärten mit einer Größe von je 300 Quadratmeter anlegen lassen, die mit einem Wege-system verbunden sind. Hier sollen Saubohnen, Hülsen-früchte, Linsen, Hirse und Getreide wachsen, um den Feldbau des Mittelalters zu veranschaulichen.

| Rosemarie Garbe

Es ist Platz für regionale Sorten wie die Braunschweiger Blutrote Zwiebel und den

Braunschweiger Spitzkohl.

Kulturpate werdenWer Kulturpate werden möchte, kann einfach zum

Klostergarten in Riddagshausen kommen. Die Kul-turpaten treffen sich im Sommer jeden Donnerstag von 15 bis 17 Uhr.

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Beete bestellen, jäten, ernten: Kulturpaten im Einsatz.

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Rezension

Vorbild im GlaubenEin neues Buch zeigt, warum der Theologe Dietrich Bonhoeffer bis heute Menschen bewegt.

Über Dietrich Bonhoeffer, den evangelischen Theologen und Wider-standskämpfer in der Zeit des Nati-onalsozialismus, sind viele Bücher geschrieben worden: über sein Leben und seine Theologie, seine inneren Auseinandersetzungen mit den Geis-tern der Zeit und die Folgen seines Denkens für den Weg der Kirche im demokratischen Nachkriegsdeutsch-land.

Am 9. April 1945 im Konzentrati-onslager Flossenbürg mit 39 Jahren hingerichtet, blieb sein Werk Frag-ment. Doch gerade dadurch wurde Bonhoeffer zu einem der einfluss-reichsten Gottesdenker des 20. Jahr-hunderts. In seiner Person spiegelt sich der existenzielle Kampf um einen christlichen Glauben, der sei-ner jeweiligen Zeit angemessen und deshalb glaubwürdig ist.

Weil er diesen Glauben selbst in größter Bedrängnis nicht verloren geben wollte, wurde Bonhoeffer zu

einem modernen Märtyrer. Durch sein Leben und noch mehr durch seinen Tod bezeugte er den Glauben als weltgewandte und die Welt wandelnde Kraft. Das faszi-niert viele bis heute. Klaus Pfeffer, katholischer Theo-loge und Generalvikar des Ruhr-Bistums Essen, ist einer von ihnen.

Schon seine kirchliche Herkunft macht sein Bon-hoeffer-Buch zu einem besonderen Dokument. Zwar hat Bonhoeffer auch in der katholischen Nachkriegstheo-logie Spuren hinterlassen, selbstverständlich ist seine Rezeption für das katholische Verständnis von Kirche und Glauben aber keineswegs. Zwar entwickelte Bon-hoeffer, nicht zuletzt durch seine kirchenpolitischen Kontakte, eine ökumenische Glaubensperspektive, sein Denken war gleichwohl von einem protestantischen Geist geprägt, der sich unter anderem in einer kritischen Haltung zur Amtskirche artikulierte.

Dieser attestierte Bonhoeffer eine Entfremdung von der Lebenswirklichkeit der Menschen: eine überkom-mene kirchliche Sprache sowie Riten und Symbole, die in weiten Teilen der Gesellschaft, vor allem bei jungen

Menschen, auf Unverständnis stoßen. Außerdem erlebte er die Kirche als korrumpiert durch eine zu große Nähe zur Ideologie des Nationalsozialismus und zum totali-tären Staat.

Im Vertrauen auf Gott in der Welt stand halten, bis hin zur Verstrickung in Schuld – diese Verknüpfung von Leben und Glauben zeichnete Bonhoeffer aus. Und genau deshalb sind Menschen bis heute von ihm bewegt

– unter völlig anderen gesellschaftlichen und kirchlichen Vorzeichen.

Wer Klaus Pfeffers Buch liest, lernt einen Menschen kennen, der sich als Christ, Theologe und leitender Geistlicher bewähren möchte. Einer, der den Glauben nicht auf die leichte Schulter nimmt, sondern mit sich, seiner Kirche und den Herausforderungen unserer Zeit ringt, um ein glaubwürdiger Zeuge der Liebe Gottes zu den Menschen zu sein.

Der Autor nimmt das Wagnis auf sich, mit Bonhoeffer an die Grenzen der Konfessionen zu gehen. Und beruft sich dabei nicht zuletzt auf Papst Franziskus, in dem er einen Wahlverwandten Bonhoeffers entdeckt. Wenn er Franziskus zum Beispiel mit den Worten zitiert: „Mir ist eine verbeulte Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinaus gegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist.“

Und in der Tat, das Bild von der verbeulten Kirche hätte Bonhoeffer gefallen, denn es entspricht seinem eigenen Bild von Kirche, die eine Kirche für andere sein sollte und kein Mitgliederverein. Es ist spannend, wie der Autor Bonhoeffer als ökumenischen Weggefährten entdeckt und dieser darüber für ihn zu einem Vorbild im Glauben wird.

Die Offenheit, mit der Pfeffer seinen eigenen Glau-bensweg reflektiert, ermuntert die Leser, es ihm gleich zu tun. Hierin liegt die besondere Stärke seines Werkes. Es ist nicht einfach ein weiteres Buch über Bonhoef-fer, sondern eine Meditation über Glauben heute und zugleich eine Streitschrift für ein Miteinander der Kir-chen ohne konfessionelle Abgrenzungen.

In Pfeffers Zukunftsvision für die Kirche, mit der das Buch schließt, können sich viele wiederfinden, seien sie lutherisch oder römisch-katholisch. Es ist der wagemu-tige Ausblick in ein nachkonfessionelles Zeitalter, in dem die Volkskirchen Geschichte sind. | mic

Klaus Pfeffer:Christsein ist keine einfa-che Angelegen-heit. Mit Diet-rich Bonhoeffer auf dem Weg zu einer erneuer-ten Kirche. Ver-lag adson fecit, Essen 2017, 140 Seiten, 16,90 Euro.

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Kleine Kirchenkunde

Im Zentrum die GnadeDas Kunstprojekt der Landeskirche zusammen mit der Stiftung Prüsse und dem Braunschweiger Bildhauer Magnus Kleine-Tebbe zum Reformationsjubiläum findet nach vier Jahren seinen Abschluss: am 28. Oktober um 14 Uhr mit einem Gottesdienst in Groß Denkte. Jochen Prüsse formuliert dazu seine persönlichen Gedanken.

„Sola Gratia“, allein aus Gnade, ist der Schluss-stein eines großartigen Kunstprojekts, das die Stiftung Prüsse aus Anlass des 500-jährigen Reformationsjubilä-ums gestiftet hat. Der Braunschweiger Bildhauer Mag-nus Kleine-Tebbe hat vier wunderschöne Skulpturen geschaffen, die an die zentralen Erkenntnisse Martin Luthers erinnern: Jesus Christus, der Glaube, die Hei-lige Schrift, die Gnade.

Am Samstag, 28. Oktober, wird das Kunstprojekt mit der Skulptur vollendet, die für mich persönlich am wich-tigsten ist: „Sola Gratia“, allein aus Gnade. Auch Martin Luther hatte die Gnade ins Zentrum seiner Botschaft gesetzt. Die Gnade Gottes hat mein Leben und meinen

Werdegang bestimmt, sie ist das Fundament meines Glaubens. Das, was ich wurde, was ich heute bin, bin ich allein aus Gottes Gnade.

Ich glaube nämlich nicht, dass ich allein bestimme, was das Leben mit mir macht, beziehungsweise, dass ich allein die Macht über meine Zukunft und mein künftiges Leben habe. Der Autor und Liedermacher Arno Backhaus bringt diese Gedanken kurz und knapp auf den Punkt: „Gott spielt in meinem Leben keine Rolle! Er ist der Regisseur!“

In meiner Welt gibt es keine unglücklichen Umstände, es gibt weder Pech noch Zufälle. Gott ist der Regisseur. Ich bin sein Geschöpf und ich bin es aus seiner Gnade: Meine Geburt, meine Eltern, meine Heimatstadt, meine Ehe oder Krisen wie meine Krebserkrankung. Das alles habe ich mir nicht ausgesucht.

„Nichts geschieht ohne Vorsehung“, sagte einst der französische Philosoph und Schriftsteller Voltaire (1694-1778). So bestimmt die Gnade Gottes meinen Weg bis heute. Darum bete ich „Dein Wille geschehe“ und nicht darum, dass mein Wille geschehen soll. | Jochen Prüsse

„Die Gnade Gottes hat mein Leben und meinen Werdegang bestimmt, sie ist das

Fundament meines Glaubens.“

Arbeit am letzten Reformationskunstwerk: Magnus Kleine-Tebbe.Foto: Josef Temming

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Nachrichten

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Reformationsstadt

Die Stadt Braunschweig hat den Titel „Reforma-tionsstadt Europas“ erhalten. „An Braunschweig wird in besonderer Weise deutlich, dass die Refor-mation zuerst ein städtisches Ereignis mit europäi-scher Ausstrahlung war“, sagte der Generalsekretär der Gemeinschaft Europäischer Kirchen in Europa (GEKE), Bischof Michael Bünker, in Wien. Die GEKE hat mit dem Titel bereits 98 Städte gewürdigt, die für die Ausbreitung der von Martin Luther (1483-1546) vor 500 Jahren angestoßenen Reformation eine Rolle gespielt haben.

Braunschweig habe die Besonderheit, dass die Reformation in erster Linie von den Bürgern forciert worden sei, hieß es. Die Braunschweiger Reformati-onsgeschichte sei zudem eng mit dem Wittenberger Stadtpfarrer Johannes Bugenhagen (1485-1558) ver-knüpft. Bugenhagen habe in Braunschweig im Jahr 1528 gemeinsam mit Rat und Bürgerschaft eine umfassende Kirchenordnung erarbeitet. Sie regelte das städtische Kirchen-, Schul- und Fürsorgewesen und diente als Vorbild für weitere Stationen Bugenha-gens in Hamburg, Lübeck und Skandinavien.Braun-schweig ist nach Emden, Wolfsburg und Celle die vierte Stadt in Niedersachsen, die diesen Titel erhält. Der Titel bleibt über das Jubiläumsjahr hinaus gültig.

Umweltmanagement

Die Landeskirche Braun-schweig bietet erstmals gemeinsam mit der Klima-schutz- und Energieagentur Niedersachsen einen Kurs für kirchliches Umweltma-nagement an. Dabei geht es darum, wie das Wissen um umweltfreundliches Handeln in den kirchlichen Strukturen und Abläufen verankert werden kann.

Die Teilnehmenden ler-nen die vielfältigen Ansätze von Energiemanagement kennen – von der Bestands-aufnahme der Energiever-bräuche über Datenerfassung und Controlling, richtiges Nutzerverhalten beim Heizen und Lüften bis hin zur beglei-tenden Öffentlichkeitsarbeit.

Bei der Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung von Landeskirche und Klimaschutzagentur im Gemeindehaus Groß-Flöthe betonte Dr. Christopher Kumitz-Brennecke, Leiter des Gemeindereferats der Landeskirche Braunschweig: „Die Bewahrung der Schöpfung ist eine zentrale Aufgabe der evan-gelischen Kirche und tief verwurzelt in unserem christlichen Glauben. Daher wollen wir unser Engagement beim Umwelt- und Klimaschutz kontinuierlich ausbauen.“ Und Lothar Nolte, Geschäftsführer der Klimaschutz- und Energieagentur Nie-dersachsen, betonte: „Der Klimawandel ist eine globale Her-ausforderung, der auf allen Ebenen begegnet werden muss.“

www.klimaschutz-niedersachsen.de

Wahlmappen versendet

Zur Vorbereitung der nächsten Kirchenvorstandswahl am 11. März 2018 haben die Kirchengemeinden in den vergangenen Wochen Wahl-mappen mit umfangreichen Materialien erhalten.

Zum Inhalt gehören unter anderem eine Broschüre zur Gewinnung von Kandidatinnen und Kandidaten, ein Fristenplan mit den wichtigsten Ter-minen zur rechtlichen Durchführung und zur Öffentlichkeitsarbeit, eine umfangreiche Publikation zu den rechtlichen Bestimmungen der Wahl sowie ein Heft mit Anregungen zur Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem ent-hält die Mappe Wahlplakate und Infoflyer. Werbemittel zur Wahl sind über die Internetpräsenz „www.kirchemitmir.de“ erhältlich; darunter Banner, Bleistifte, Luftballons, Buttons und vieles mehr. Die meisten Materialien

der Wahlmappe stehen hier auch in digitaler Form zum Download zur Verfügung. Das gilt vor allem für Formulare, die zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl benötigt werden.

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Ulrich Lincoln„Ich warte auf eine Kirche, die klingt. Wie ein tiefer Raum. Wie ein Echo.“

Mein Traum von Kirche

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Ich träume nie von der Kirche. Aber ich träume in der Kirche. Manchmal, wenn nie-mand sonst da ist. So wie früher: Als jugendlicher Organist durfte ich jederzeit die sonst verschlossene Dorfkirche aufschließen, und dann hatte ich die dunkle Kirche ganz für mich allein. Nahe bei Gott und nahe bei mir selbst, das war – und ist – ein wunderbares Gefühl.

Ich warte auf eine Kirche, die klingt. Wie ein tiefer Raum. Wie ein Echo. Wie ein Raum voller Men-schen, die keine Angst haben, ihre Stimmen zu erheben und zu singen. Menschen, die nach einem gemeinsamen, vielstimmigen Klang suchen. Auch wenn sie nicht singen können.

Ich warte auf eine Kirche, die warten kann. Die bei aller Arbeit weiß, dass in der Ruhe die Schöp-fung vollendet wird. Eine Kirche, die vom Sabbath lebt und mindestens einmal im Jahr das Lob des Müßiggangs singt und predigt. „Das Reich Gottes ist so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf Nacht und Tag.“ Ich warte auf eine Kirche, die gelassener ist als ich selbst.

Dr. Ulrich Lincoln, Propst in Vorsfelde

www.propsteivorsfelde-evangelisch.de

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Stimmgewaltige „Schöpfung“

Viel Beifall spendeten 2500 Zuschauer am 10. September der Aufführung von Joseph Haydns Oratorium „Die Schöp-fung“ in der Volkswagen Halle Braun-schweig. Präsentiert wurde das Werk von rund 800 Sängerinnen und Sängern aus dem Braunschweiger Land sowie den Partnerkirchen der Landeskirche Braunschweig in England, Indien, Japan, Namibia und Tschechien. Beteiligt waren außerdem Solisten und Mitglieder des Braunschweiger Staatsorchesters. Die musikalische Leitung lag bei Landeskir-chenmusikdirektor Claus-Eduard Hecker. Landesbischof Dr. Christoph Meyns betonte, die Reformation habe gerade durch das gemeinsame Singen in breite Bevölkerungskreise ausgestrahlt. Des-wegen sei die Aufführung des Oratoriums ein Beitrag zum Reformationsjubiläum.

Foto: Klaus G. Kohn