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Ingo Jungclaussen: Handbuch PsychotherapieAntrag. © Schattauer GmbH 2013 1 BUCHTEIL F DIE BEENDIGUNG VON PSYCHOTHERAPIEN – WICHTIGES FÜR IHRE ANTRAGSTELLUNG Eines der zentralen Themen in Fortführungsberichten ist das der Loslösung aus der therapeutischen Beziehung. Immer wieder beobachte ich in meiner Antragssupervision, dass dieser wichtige Punkt in der Therapieplanung nicht hinreichend vorbereitet und berücksichtigt wird. Wenn Sie in Ihrem Fortführungsantrag auf dieses wichtige Thema nicht adäquat eingehen, wenn Sie also nicht dem Gutachter schildern, wie Sie die Trennung/Loslösung methodisch vorbereiten und durchführen wollen, vernachlässigen Sie einen zentralen Aspekt im weiteren Behandlungsabschnitt. Dies führt deshalb auch nicht selten zu entsprechenden Ablehnungen, Kürzungen oder Nachbesserungen. Es ist also sehr ratsam, hierauf umsichtig einzugehen. Deshalb möchte ich diesem wichtigen Punkt im Rahmen dieses Handbuchs genügend Raum geben. Es gehört zunächst zur allgemeinen Sorgfaltspflicht eines Psychotherapeuten, an den zeitlichen Rahmen einer KassenPsychotherapie zu erinnern. Es lassen sich ferner eine Reihe allgemeiner Schwierigkeiten und Fallstricke nennen, die eine Beendigung der Therapie erschweren und auf die hier nur verkürzt eingegangen werden kann. Sie beziehen sich nicht nur auf die Patientenseite (z. B. Abhängigkeit, Symptomverschlimmerung), sondern auch auf die Seite des Therapeuten: Dieser kann z. B. aus Schuldgefühlen gemeinsam mit dem Patienten die schwierige Frage der Beendigung und des Abschieds „umschiffen“ bzw. verleugnen, so dass die schlussendliche Beendigung dann zusätzlich erschwert wird („gemeinsame Denkhemmung“, Hohage 2011). Auch ein ungeklärtes oder ambivalentes Rollenverständnis des Therapeuten in der Schlussphase kann die Loslösung erschweren (s. ebd.). Aus den folgenden hilfreichen sowie kritischen Ausführungen können Sie gleichzeitig für Ihren Fortführungsantrag ganz konkrete Handlungsund Formulierungsanregungen ableiten.

F1_Die Beendigung Von Psychotherapien

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Ingo Jungclaussen: Handbuch Psychotherapie‐Antrag. © Schattauer GmbH 2013 

 

BUCHTEIL F 

DIE BEENDIGUNG VON PSYCHOTHERAPIEN – WICHTIGES FÜR IHRE 

ANTRAGSTELLUNG 

Eines  der  zentralen  Themen  in  Fortführungsberichten  ist  das  der  Loslösung  aus  der 

therapeutischen Beziehung. Immer wieder beobachte ich in meiner Antragssupervision, dass 

dieser  wichtige  Punkt  in  der  Therapieplanung  nicht  hinreichend  vorbereitet  und 

berücksichtigt wird. Wenn Sie in Ihrem Fortführungsantrag auf dieses wichtige Thema nicht 

adäquat  eingehen,  wenn  Sie  also  nicht  dem  Gutachter  schildern,  wie  Sie  die 

Trennung/Loslösung methodisch  vorbereiten und durchführen wollen,  vernachlässigen  Sie 

einen  zentralen  Aspekt  im weiteren  Behandlungsabschnitt. Dies  führt  deshalb  auch  nicht 

selten zu entsprechenden Ablehnungen, Kürzungen oder Nachbesserungen. Es  ist also sehr 

ratsam,  hierauf  umsichtig  einzugehen.  Deshalb  möchte  ich  diesem  wichtigen  Punkt  im 

Rahmen dieses Handbuchs genügend Raum geben.  

Es  gehört  zunächst  zur  allgemeinen  Sorgfaltspflicht  eines  Psychotherapeuten,  an  den 

zeitlichen Rahmen einer Kassen‐Psychotherapie zu erinnern. 

Es lassen sich ferner eine Reihe allgemeiner Schwierigkeiten und Fallstricke nennen, die eine 

Beendigung  der  Therapie  erschweren  und  auf  die  hier  nur  verkürzt  eingegangen werden 

kann.  Sie  beziehen  sich  nicht  nur  auf  die  Patientenseite  (z. B.  Abhängigkeit, 

Symptomverschlimmerung), sondern auch auf die Seite des Therapeuten: Dieser kann z. B. 

aus Schuldgefühlen gemeinsam mit dem Patienten die schwierige Frage der Beendigung und 

des Abschieds „umschiffen“ bzw. verleugnen, so dass die schlussendliche Beendigung dann 

zusätzlich  erschwert  wird  („gemeinsame  Denkhemmung“,  Hohage  2011).  Auch  ein 

ungeklärtes oder ambivalentes Rollenverständnis des Therapeuten in der Schlussphase kann 

die Loslösung erschweren (s. ebd.).  

Aus  den  folgenden  hilfreichen  sowie  kritischen  Ausführungen  können  Sie  gleichzeitig  für 

Ihren Fortführungsantrag ganz konkrete Handlungs‐ und Formulierungsanregungen ableiten.   

 

 

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Methodische Tipps für gelungene Therapie‐Beendigungen 

Folgende  methodische  Anregungen  und  Formulierungen,  die  keinen  Anspruch  auf 

Vollständigkeit erheben, können genannt werden (u. a. nach Hohage 2011).  

Beendigung offen ansprechen:  

Im  Hinblick  auf  die  Beendigung  einer  Therapie  ist  es  wichtig,  wie  mit  Zeit  und  ihrer 

Begrenzung in einer Therapie umgegangen wird. Zudem gilt es, spezifische Abschlussthemen 

aktiv  und  offen  anzusprechen,  mit  dem  Patienten  einen  Rückblick  auf  die  Therapie  zu 

erarbeiten, den Transfer von Therapieergebnissen in den Alltag des Patienten zu besprechen 

und das Ende der therapeutischen Beziehung zu thematisieren. 

Vorbereiten und üben:  

Die  Trennung  ist  im  Therapieverlauf  vorzubereiten  bzw.  zu  üben.  Die  Gestaltung  von 

zeitlichen  Begrenzungen  sowie  von  Unterbrechungen  und  emotionalen  Reaktionen  des 

Patienten  darauf  sind  als  wichtige  Hinweise  auf  vorhandene  Dynamiken  zu  werten, mit 

denen sich die Trennungssituation für den Patienten verbindet. 

Frequenz verringern:  

In der Abschlussphase  ist der Rhythmus der Therapiestunden deutlich  in Richtung auf eine 

Vergrößerung der Abstände zwischen den Sitzungen zu erhöhen, da es nach dem Erreichen 

wesentlicher  Verbesserungen  darum  geht,  das  Leben  ohne  Therapie  in  den  verlängerten 

Zwischenräumen zu üben. Doch Vorsicht: Eine Reduzierung der Frequenz, die  in aller Regel 

zum Strecken der Zeit dient,  reicht alleine nicht aus. Es gilt zu klären, ob hierdurch echter 

Raum für weitere Veränderungen und Entwicklungen ermöglicht werden kann oder ob diese 

Streckung  nur  dazu  dient,  das  Ende  hinauszuschieben  (was  einer  gemeinsamen 

Realitätsverleugnung entspräche). 

 

 

 

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Therapeutische Rolle ändern! 

Auf die Frage, wie sich die therapeutische Rolle in Schlussphasen verändern kann, finden wir 

bei Rudolf eine sehr gute Antwort. Er nennt unterschiedliche therapeutische Haltungen  (in 

räumlichen Zuordnungen gedacht):  

‐ Zuerst steht der Therapeut hinter dem Patienten und betrachtet die Welt aus dessen Sicht.  

‐ Dann  steht der Therapeut dem Patienten gegenüber und  sieht  ihn mit  seinen Augen als 

Therapeut. 

‐ Im weiteren Verlauf kann der Therapeut aus der Position des Dritten die Dinge betrachten, 

d. h. mit dem Patienten gemeinsam auf die Situation schauen. 

‐ Mit  zunehmendem  Ende der  Therapie  kann  sich der  Therapeut  immer mehr neben den 

Patienten stellen. Statt „Wir beide gegen den Rest der Welt“ ein „Wir müssen, so, wie wir 

sind, mit der Welt, so, wie sie ist, klarzukommen lernen. Darum werden wir uns gemeinsam 

bemühen“  (2004,  S.  147).  Diese  Haltung  kann  immens  dazu  beitragen,  eine  Therapie  zu 

beenden.  

 

Keine neuen Deutungen und die Begrenztheit der Möglichkeiten annehmen! 

 

In den letzten Stunden ist es nicht ratsam, Deutungen mit neuem Inhalt zu geben. Vielmehr 

sollten  Sie  eher  an  die  gedeuteten  Inhalte  der  bisherigen  Arbeit  erinnern  und  sich  dafür 

interessieren, welche Teile der bisherigen Arbeit der Patient produktiv  integrieren kann. Zu 

einer guten therapeutischen Anteilnahme gehört nicht nur die gemeinsame Freude über das 

positiv Erreichte, sondern auch das gemeinsame Bedauern dessen, was nicht erreicht wurde, 

während man dabei auf das Gute und Erreichte verweist. Dies führt uns zum nächsten Punkt:  

 

Das Gute behalten dürfen! 

Wenn  sich  ein  Patient  aus  der  Therapie  nur  sehr  schlecht  lösen  kann,  können  Sie  im 

Antragsbericht den letzten Fokus darauf legen, dem Patienten zu einer Beziehungserfahrung 

zu verhelfen, die er behalten darf, was auch  immer  sonst  in der Beendigung der Therapie 

verloren ginge. So eine vereinzelte Erfahrung kann ein nachdrückliches Ereignis sein, welches 

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das  innere  Erleben  nachhaltig  verändern  kann.  Denn  die  Erfahrung  dieses  Patienten mit 

seinem Therapeuten wird ihn in die Lage versetzen, solche Erfahrungen auch mit anderen zu 

suchen und  zu finden.  

 

Bei strukturellen Patienten Internalisierungsfähigkeit beachten! 

Ein besonderer Dreh‐ und Angelpunkt des therapeutischen Erfolgs ist die Frage, inwieweit es 

einem  Patienten  nach  der  Therapie  gelingt,  den  Therapeuten  und  seine  regulierenden 

Funktionen innerlich präsent zu halten und sich mit diesen Funktionen zu identifizieren. Dies 

ist besonders bei strukturell gestärkten Patienten – aufgrund  ihrer strukturellen Schwäche, 

gute  innere  Halt  gebende  Abbilder  von  etwas  Gutem  auszubilden  –  ein  Punkt,  der 

besonderes Augenmerk verdient. Eine ausschließliche Trauerarbeit über den Abschied aus 

der  Therapie  kann  bei  strukturell  gestörten  Patienten  folgenschwer  sein.  Dies  würde 

aufgrund des Abschieds von der realen Person des Therapeuten das Verlusterleben  in den 

Vordergrund  rücken.  Stattdessen  geht  es  bei  strukturell  gestörten  Patienten  vielmehr 

darum, den Gewinn aus der Therapie hervorzuheben. Somit  liegt bei  strukturell gestörten 

Patienten ein Hauptaugenmerk darauf, diesen Internalisierungs‐ und Identifizierungsprozess 

bereits in der Schlussphase vorzubereiten, zu überprüfen und zu fördern.  

Transferleistungen stärken! 

Die Beendigung der  Therapie  ist  ausdrücklich  zu  thematisieren,  indem  aktiv die  Trennung 

von der therapeutischen Beziehung und der Transfer von Therapieergebnissen in den Alltag 

des Patienten zu besprechen sind. Es gilt, einen Rückblick auf die Therapie zu erarbeiten. 

 

Psychodynamische Aspekte bestimmter Patienten  

Bestimmte Patienten, wie vor allem depressive, reagieren auf die therapeutische Trennung 

besonders krisenhaft. Auch an der Art und Weise, wie ein depressiver Patient am Ende einer 

Stunde auf die Beendigung derselben reagiert, können Sie Hinweise darauf ablesen, wie er 

mit  Trennungsthemen  –  und  somit  auch  einer  bevorstehenden  Therapiebeendigung  – 

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aktuell  umgeht.  Dabei  kann  der  Umgang  mit  der  vorübergehenden  Trennung  als 

Übungssituation für den Abschluss der Therapie verstanden werden, wobei es nötig  ist, die 

sich darin ausdrückende Dynamik für den Patienten mitteilbar werden zu lassen. 

Der  Abschied  von  der  Therapie  kann  psychodynamisch  auch  als  Wiederholung  des 

Separationsprozesses von den Eltern betrachtet werden. Entsprechend wichtig ist es, diesen 

Konflikt  zuvor  in der  individuellen Ausprägung beim Patienten erkannt und  verstanden  zu 

haben.  

Besonderheiten  der  Beendigung  von  tiefenpsychologisch  fundierten 

Psychotherapien 

 

Die  Beendigung  einer  im  Vergleich  zur  analytischen  Theorie  viel  kürzeren 

tiefenpsychologisch  fundierten  Psychotherapie  stellt  an  die  Schlussphase  der  Therapie 

deswegen ganz eigene Anforderungen (Hohage 2011). 

Auch  wenn  die  Übertragungs‐  und  Regressionsprozesse  nicht  vergleichbar  mit  der 

analytischen Therapie sind, treten hier ganz spezifische Schwierigkeiten auf:  

 

Nicht‐beenden‐Können/Aufflammen der Symptomatik:  

Häufig  ist  zu  beobachten,  dass  Patienten  innerhalb  der  tiefenpsychologisch  fundierten 

Psychotherapie  dieselbe  nach  80  oder  100  Stunden  als  Höchstgrenze  schlecht  beenden 

können.  

Um der drohenden Beendigung aus dem Weg zu gehen, flammt die alte Symptomatik noch 

einmal neu auf. Der in seine Schwächen regredierende Patient setzt dabei die Symptomatik 

als „Druckmittel“ ein (Hohage 2011, S. 193). Hohage weist darauf hin, dass es sich in solchen 

regressiven Fällen um eine Regression  im Dienste der Abwehr und nicht  im Dienste des Ich 

handelt. Hiermit meint er, dass die Regression  in die frühere Symptomatik eingesetzt wird, 

um  die  notwendige  Trennung,  also  die  nunmehr  anstehenden  Entwicklungsleistungen 

abzuwehren.  Die  hinter  der  Forderung  weiterzumachen  verborgende  Aggression  bleibt 

hinter der Schwäche verborgen (ebd.). Wenn Sie den Patienten nur als Opfer sehen, werden 

Sie in Ihrem Handlungsspielraum am Ende der Therapie stark eingeschränkt sein.  

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„In  dieser  speziellen  konfliktträchtigen  Konstellation  muss  stattdessen  die  indirekte 

Aggressivität des Patienten benannt,  aber  auch  anerkannt werden:  Er  ist durchaus  in der 

Lage, den Therapeuten als  ,schlechten Therapeuten‘ erscheinen zu  lassen, wenn dieser die 

Begrenzungen  und  die  Einschränkungen  der  Lebensrealität    benennt  und  vertritt.  Nach 

meiner Erfahrung ist die Trauer um den Verlust der therapeutischen Beziehung in manchen 

Fällen erst möglich, wenn der Kampf um die Grenzen ernsthaft ausgefochten worden  ist.“  

(ebd.) 

 

Hohage  macht  darauf  aufmerksam,  dass  in  Schlussphasen  wie  o. g.  nicht  nur 

Trennungskonflikte wieder spürbar werden, sondern auch strukturelle Defizite eine wichtige 

Rolle spielen, welche die Beziehungs‐ und Bindungsregulation betreffen.  

 

Da Sie  in den Fortführungsanträgen auch die Aufgabe haben, unter verschiedenen Punkten 

etwaige Ergänzungen  (z. B. zum psychischen Befund oder zur Psychodynamik) sowie einen 

neuen  Behandlungsplan  zu  formulieren,  haben  Sie  anhand  der  o.  g.  Gedanken 

möglicherweise hierfür neue Anregungen bekommen.  

Eine mögliche  Formulierung  in  einem  zweiten  Fortführungsantrag  bei  der  o. g.  Thematik 

könnte hier  lauten: 

 

 

Symptomatik:  

Durch die bevorstehende und bereits thematisierte Beendigung der Therapie kam es bei der 

Patientin zu einer krisenhaften Zuspitzung in der Symptomatik.  

Psychodynamik:  

Ich  verstehe  diesen  regressiven  Schritt  in  die  eigene  Schwäche  psychodynamisch  auch  als 

Regression  im  Dienste  der  Abwehr,  sich  nicht  trennen  zu  wollen/können,  was  in meiner 

Gegenübertragung  Schuldgefühle,  ein  schlechter  Therapeut  zu  sein,  aber  auch  Ärger  auf 

diesen Angriff auf mein Über‐Ich auslöst.  

Behandlungsplan:  

Im weiteren  Verlauf  ist  es  beabsichtigt,  die  hinter  der  Schwäche  verborgene  unbewusste 

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fordernde Aggression (ubw.: „Ich will dich gefälligst behalten, bleib da!“) anzusprechen, aber 

ebenso zu würdigen und anzunehmen. Erst wenn das Gerangel über die   Grenzen ernsthaft 

ausgefochten  ist,  kann  nach  der  Aggression  auch  die  Trauer  über  den  Verlust  der 

therapeutischen Beziehung zugelassen und verarbeitet werden. Insgesamt ist es wichtig, dass 

ich diejenige Rolle einnehme, die das Realitätsprinzip vertritt, also die Begrenztheit der Hilfe 

in den Blick nehme. Für die o. g. Ziele beantrage ich letztmalig weitere 20 Stunden.  

 

 

 

Ungeklärtes Rollenverständnis in der Schlussphase 

In  der  tiefenpsychologisch  fundierten  Psychotherapie  ist  die  Rollendistanz,  aufgrund  des 

Sich‐gegenüber‐Sitzens,  weniger  ausgeprägt  als  in  der  abstinenteren  analytischen 

Psychotherapie. Es gibt Überlegungen, ob die Beendigung erleichtert werden würde, indem 

man als Therapeut die therapeutische Rolle zurückfahren und die reale Beziehung zwischen 

sich und dem Patienten bestärken würde (Hohage 2011). Diese Frage von Sinn und Unsinn 

der Verringerung der Rollendistanz wird  in der analytischen Literatur kontrovers diskutiert. 

Die  Schlussphase  einer  Psychotherapie  rückt  daher  auch  besonders  an  den 

tiefenpsychologisch  fundierten  Therapeuten  die  Frage  heran, welche  Rolle  er  gegenüber 

dem  Patienten  in  der  Beendungsphase  einnehmen  möchte.  Manchmal  neigen 

tiefenpsychologisch  fundierte  Therapeuten  in  der  Schlussphase mehr  als  Analytiker  dazu, 

mehr von sich preiszugeben (ebd.).  

Die  Offenbarung  persönlicher  Details  kann  sich  auf  eine  angespannte  therapeutische 

Beziehung  allgemein  zunächst  kurzfristig positiv  auswirken oder die  anstehende Ablösung 

eher entspannen.  „Nur werden auf  längere Sicht die Probleme der  Loslösung größer  statt 

kleiner:  Das  gewonnene  Stück  einer  persönlichen  Beziehung  wird  noch  zögernder 

hergegeben  als  zuvor,  deswegen  ist  als  ,Preis‘  ein  noch  größeres  Stück  persönlicher 

Beziehung  vonnöten. Hier kann sich ein Teufelskreis entwickeln mit unglücklichem Ausgang“ 

(Hohage 2006, S. 153). 

Hohage  ist  davon  überzeugt,  dass  viele  Therapien,  die  unlösbar  in  freundschaftliche  oder 

sexuelle  Beziehungen mündeten,  Ergebnis  eines missverstandenen  Versuchs waren,  eine 

Beendigungsproblematik  durch  das  Aufnehmen  persönlicher  Beziehungen  zu  entschärfen 

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oder zu umgehen. Eine gewisse Abstinenz ist also unbedingt vonnöten. Dieses Gebot für ein 

Mindestmaß an Abstinenz muss aber nicht bedeuten, dass sich die therapeutische Beziehung 

am Ende nicht verändern darf. Dies muss aber nicht durch die Preisgabe persönlicher Details 

erfolgen, sondern vielmehr durch ein offen gezeigtes Interesse am Leben des Patienten nach 

der Therapie.  

 

Besondere  Schwierigkeiten  der  Beendigung  für  humanistisch  geprägte  und 

selbstpsychologische Tiefenpsychologen  

Gemeinhin  gehen  selbstpsychologische  und  humanistisch  geprägte  Tiefenpsychologen 

weniger  konfrontativ bzw. übertragungsfokussiert mit  ihren Patienten um. Hohage  ist der 

Meinung:  „Speziell  unter  Verwendung  von  Konzepten  der  Selbstpsychologie  und  der 

Humanistischen Psychologie hat sich eine Grundeinstellung verbreitet, die unterschiedslos in 

jedem neurotisch gestörten Patienten ein  in der Entwicklung stehen gebliebenes Kleinkind 

sieht, dessen Nachreifung durch korrektive Erfahrung zu fördern ist“ (Hohage 2006, S. 148). 

Statt auch die konflikthaften Beziehungsanteile, die auch in der Übertragung spürbar werden 

können, anzusprechen, werden negative Themen nur den früheren Eltern angelastet und der 

Therapeut wird als gutes Ersatzelternteil idealisiert. Diese Haltung  (z. B. nur ein inneres Kind 

nachzunähren oder zu begleiten) kann dazu führen, dass die therapeutische Beziehung sehr 

komfortabel  konfliktfrei  gehalten  werden  kann  und  wichtige  unbewusste  Themen  (wie 

Aggression, Rivalität, Eifersucht, Wut, Neid usw.), die  sich auch  in der Übertragung  zeigen 

können, unbearbeitet bleiben und sich möglicherweise außerhalb der Therapie entladen. So 

blieben wichtige Themen des Patienten unbearbeitet.  

Verspätungen, ausgefallene Stunden oder eben die Beendigung der Therapie werden dann 

oft erst gegen Ende der Behandlung in derartig ausgerichteten Therapien zum ersten Anlass 

(verspäteter)  Konflikte.  Auf  diese  Gefahr  und  deren  Diskussion  gilt  es  besonders  im 

Antragsbericht hinzuweisen.  

Um  weiterhin  die  gute  therapeutische  Beziehung  nicht  mit  Aggressionen  zu  gefährden, 

zeigen  sich  Patienten  in  diesen  Therapien  wenig  vorwurfsvoll  oder  aggressiv,  sondern 

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reagieren auf das versagende Objekt Therapeut mit dem Aufflammen der Symptomatik, wie 

oben beschrieben.  

Hohage weist darauf hin, dass es  sich bei  sehr konflikthaft oder  traumatisch verlaufenden 

Beendigungsphasen  lohnt,  den  ursprünglichen  Therapieplan  zu  überdenken  und  zu 

revidieren.  Eine  veränderte  therapeutische Haltung  spürt  der  Patient,  so  dass  dies  einen 

veränderten Umgang mit der Ablösung ermöglichen kann.  

 

Beurteilen  Gutachter  tiefenpsychologische  und  analytische 

Fortführungsberichte unterschiedlich? 

Gibt es einen Unterschied in der gutachterlichen Beurteilung von tiefenpsychologischen und 

analytischen Fortführungsanträgen? Die Antwort lautet Ja!  

Rudolf  und  Jakobsen  (2002)  haben  tiefenpsychologisch  fundierte  und  analytische 

Fortführungsberichte  daraufhin  untersucht,  welche  Aspekte  die  Gutachter  bei  beiden 

Verfahren  besonders  unterschiedlich  bewerteten.  Echte  signifikante  Unterscheide  in  den 

Gutachterbeurteilungen zeigten sich im Vergleich in zwei Punkten. Die Gutachter waren bei 

TP‐Fortführungsberichten  signifikant  seltener  als  bei  AP‐Fortführungsberichten  der 

Auffassung, dass die unbewusste Konfliktdynamik im erforderlichen Maße bearbeitet wurde. 

Auch schätzten die Gutachter bei TP‐Fortführungsanträgen die weitere Prognose signifikant 

ungünstiger ein als bei AP‐Pendants.1  

                                                                 1 Zahlen betrafen den allgemeinen Vergleich von TP‐ und AP‐Fortführungsberichten, nicht den Vergleich explizit abgelehnter TP‐/AP‐Fortführungsberichte. Auf der Basis von 61 analytischen und 147 TP‐Fortführungs‐Anträgen. Genaueres hierzu finden Sie im Originalartikel.