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ARTIKEL | Oktober 2019, Autoren: Philip Kloibhofer, Benedikt Dechamps Design Thinking – Hype oder Wundermittel? Seite 2 Definition Design Thinking – was macht den Ansatz aus? Seite 3 Nutzung Design Thinking – wo es wirkt und wo die Wirkung versagt? Seite 8 Design Thinking in Ihrem Unternehmen Seite 10 Design Thinking – Hype oder Wundermittel? F&E INSIGHTS

F&E INSIGHTS Design Thinking – Hype oder · 2019-10-24 · 3 Design Thinking ist dabei nicht als allmächtiges Wundermittel für Innovation zu betrachten, sondern sollte mit weiteren

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ARTIKEL | Oktober 2019, Autoren: Philip Kloibhofer, Benedikt Dechamps

Design Thinking – Hype oder Wundermittel? Seite 2

Definition Design Thinking – was macht den Ansatz aus? Seite 3

Nutzung Design Thinking – wo es wirkt und wo die Wirkung versagt? Seite 8

Design Thinking in Ihrem Unternehmen Seite 10

Design Thinking – Hype oder Wundermittel?

F&E INSIGHTS

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22Die Fähigkeit, Innovationen zu entwickeln, ist ein zentraler Erfolgsfaktor, um im globalen Wett-bewerb bestehen zu können. Entscheidend ist es dabei, Erfindungen und Produktideen mit Markterfolg umzusetzen. Für den Erfolg einer Innovation ist das Zusammenspiel aus

• technischer Realisierung (feasibility)

• Geschäftsmodell (viability) und

• Kundenwert (desirability)

erforderlich. Etablierte Unternehmen stehen vor der Herausforderung, in diesem Spannungs-feld, parallel zum Tagesgeschäft und unter Berücksichtigung sich ständig ändernder Rahmen-bedingungen, Innovationen zu entwickeln.

Doch wie setzt man in diesem Spannungsfeld Ressourcen am besten ein? Was ist das richtige Vorgehen, um vielversprechende Ideen und Inventionen zu erarbeiten? Und wie kann die Umsetzung entwickelter Ideen bis zur Marktreife sichergestellt werden?

Ein Ansatz, der seit den letzten Jahren große Aufmerksamkeit erfährt, ist das Design Thin-king (DT). Der an der d.school der Stanford University entwickelte Ansatz nutzt Prozesse und Methoden aus dem Design und anderen Fakultäten (z. B. Psychologie, Betriebswirtschaft), um in interdisziplinären Teams Konzepte zur Lösung von vielfältigen Problemstellungen zu entwickeln. Im Fokus stehen hier „wicked problems“, also vertrackte Probleme, deren Problem-raum noch nicht hinreichend bekannt ist und für die noch keine „Standardlösung“ vorliegt. Für die Entwicklung von Innovationen, die über inkrementelle Innovationen hinausgehen, sind ge-nau solche vertrackten Probleme zu identifizieren und zu lösen. Eine Vielzahl von Unternehmen (z. B. Bosch, Siemens, SAP, Innogy) binden deswegen Design Thinking in ihren Innovations-prozess ein. Unterteilt man den Innovationsprozess in die vier Phasen „Innovationsstrategie“, „Ideenfindung“, „Entwicklung“ und „Markteinführung“, findet sich Design Thinking vor allem in den ersten beiden Phasen wieder.

Abbildung 1: Einsatzfokus Design Thinking in den ersten beiden Phasen des Innovationsprozesses bei der Strategie- und Ideenentwicklung (in Anlehnung an Herstatt/Verworn).

Ideenfindung EntwicklungInnovationsstrategie Markteinführung 1 2 3 4

Unsicherheit / Exploration Klarheit / Fokus

2Innovationsstrategie

Unsicherheit/Exploration Klarheit/Fokus

Ideenfindung Entwicklung Markteinführung2 3 41

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33Design Thinking ist dabei nicht als allmächtiges Wundermittel für Innovation zu betrachten, sondern sollte mit weiteren Methoden und Ansätzen kombiniert werden, um das volle Potenzial zu entfalten. Dieser Artikel geht darauf ein, was Design Thinking ausmacht, wo es wirkt, wo die Wirkung versagt und wie man es für das eigene Unternehmen nutzen kann.

Definition Design Thinking – was macht den Ansatz aus?

In der Literatur wird Design Thinking als eine agileMethode zurnutzerzentrierten Ideen-entwicklung definiert. Ein interdisziplinäres Team durchläuft einen iterativen Prozess, um ein Kundenproblem zu erforschen und zu lösen. Der aus 5 Schritten bestehende Prozess teilt sich in die folgenden Schritte auf:

• Bedürfnissuche

• Problemdefinition

• Ideenfindung

• Prototyping und

• Testing

Der Design-Thinking-Prozess ist durch einen MethodenbaukastenzurBedürfnisanalyseundIdeenfindung unterfüttert.

Abbildung 2: Der Design-Thinking-Prozess als iterativer Prozess mit 5 Schritten zur Exploration des „Problem- und Lösungsraums“ (in Anlehnung an HPI d.school Potsdam).

Problem- definition

Ideen- findung

Proto- typing Testing

Problem

Lösu

ng

Bedürfnis- suche

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44Als Ansatz bietet Design Thinking Innovationsteams einen flexiblen Rahmen, um zu definiertenInnovations-/Problemfeldern Wissen aufzubauen undkreativeLösungenzuentwickeln. Im Rahmen des Problemraums werden die Nutzerbedürfnisse und das Ökosystem der Nutzung erforscht. Parallel werden im Lösungsraum Produkt- und Serviceideen entwickelt und getestet. In Abhängigkeit von der Anzahl der Iterationen und von der angestrebten Reife der Ergebnisse kann sich ein Design-Thinking-Projekt zwischen2biszu8Wochen erstrecken. Wobei das DT-Team, welches in der Regel aus 4–6Mitgliedern besteht, nicht zwangsläufig Vollzeit an dem Projekt arbeiten muss. Design Thinking kann auch in längeren Projekten (> 8 Wochen) ein-gesetzt werden, hierbei wird es jedoch in der Regel in ein Projekt mit ergänzenden Aktivitäten eingebettet.

Neben dem DT-Prozess baut der Ansatz aus unserer Sicht auf drei Kernelementen auf, welche im Folgenden näher beschrieben werden:

• InspirationdurchrealeNutzer: „Was sind die Begeisterungsfaktoren und echten Probleme meiner Kunden und Nutzer?“

• LernendurchschnellesScheitern: „Wie kann ich schnelles Scheitern nutzen, um aus Fehlern zu lernen?“

• Fokus auf kreative Teamarbeit: „Wie kann ich als Team am besten zusammenarbeiten, um das Problem kreativ und effektiv zu lösen?“

Inspiration durch reale Nutzer

Die Notwendigkeit der Einbindung der Nutzer wird häufig als Erfolgsfaktor für die Entwicklung erfolgreicher Innovationen aufgeführt. Doch einmal Hand aufs Herz, wie viele der Entwicklungs-projekte in Ihrem Unternehmen beziehen wirklich den Nutzer und seine latenten Bedürfnisse ein? Welches Innovationsprojekt geht über die Aufnahme von Leistungsanforderungen in einem Interview und die Assoziation „Wenn ich Kunde wäre, dann wäre dieses Feature das meiner Wahl“ hinaus?

Im Design Thinking dienen NutzerbedürfnissealsAusgangspunktundInspirationsquelle, um die Begeisterungsfaktoren der nächsten Produktgeneration zu identifizieren und ein ganz-heitlichesVerständnisderUserExperience aufzubauen. Hierfür kommen v. a. zwei Prinzipien zum Einsatz:

• Bedürfnisausrichtung ab Tag 1

• Systematische und kontinuierliche Einbeziehung von Nutzern und Extremnutzern

Im Design Thinking treiben BedürfnissevonTag1 die Ausrichtung des Innovationsprojektes. Nach einer kurzen Synchronisation auf das vor dem Start definierte Innovations-/Problemfeld geht das Team unmittelbar auf Wissensträger außerhalb des Teams zu. Die Auswahl der Inter-viewpartner ist im ersten Schritt zunächst zweitrangig. Zum Beispiel können initial auch nicht am DT-Projekt beteiligte Kollegen oder Experten als Inputgeber dienen. Ziel ist es, das Team vonBeginnanaufeinenbedürfnisfokussiertenModus einzustimmen. Zusätzlich dienen die

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55externen Perspektiven dazu, erste Hypothesen zu Bedürfnissen abzuleiten. Am ersten Tag wer-den zu diesen Ideen entwickelt und in einem ersten Prototyp umgesetzt.

„[…] unsere Entwickler sind darauf fokussiert, wie die Technologie funktioniert und installiert wird. Mit Hilfe von Design Thinking haben sie verstanden, wie die Kunden mit der Technologie interagieren.“ (Senior Innovation Expert, OEM Gebäudeinfrastruktur, über das Potenzial, wenn Ingenieure mit Nutzern interagieren).

Im zweiten Schritt werden systematisch durch Brainstorming- und Analogie-Methoden Nutzer und Extremnutzer identifiziert. Unter Extremnutzer versteht man Nutzer, die extreme Anforderungen an ein Produkt stellen und sich durch eine sehr niedrige oder eine sehr hohe Affinität zu einem Produkt auszeichnen. Die Ergebnisse werden in einen „Recherche–Plan“ umgesetzt. Die Erkenntnisse und Ideen, die im ersten Schritt gewonnen wurden, dienen als Grundlage für die Vorbereitung der Inter-views und Beobachtungen. Die Ergebnisse aus den Interviews werden anschließend strukturiert (z. B. in einer „Empathy Map“), in Problemstatements präzisiert und in weiteren Ideen und Prototypen umgesetzt. Wichtig ist hierbei, dass das gesamte DT-Team bei der Vorbereitung und Durchführung der Interviews sowie bei Beobachtungen und Tests mit den Nutzern mit dabei ist. Durch das itera-tiveundmethodischeEinbeziehenunterschiedlicherPerspektiven von Nutzern, Extremnutzern und weiteren Stakeholdern wird Wissen aufgebaut und eine Vielzahl von „Inspirationen“ für die Lö-sungsfindung geschaffen. Abbildung 3 zeigt, welche Nutzer und Stakeholder in welcher Iteration eines Design-Thinking-Projekts einbezogen werden können.

Abbildung 3: Nutzung unterschiedlicher Stakeholder als Inspirationsquelle in den verschiedenen Iterationsstufen eines Design-Thinking-Projekts (eigene Abbildung).

Umwelt

Potentielle neue Kunden

Extremnutzer und Analogien

Bestehende Kunden

Experten

Passanten

Familie und Bekannte

Management

Expterten aus Unternehmen

Kollegen

Selbst-Emersion

Iteration 2Iteration 1 Iteration 3 - x

Unternehmen

Design Thinking Team

Distanz zum Team

Zeit

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66Lernen durch schnelles Scheitern

Das zweite Kernelement ist das Lernen durch schnelles Scheitern. Wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, wird bereits am ersten Tag eines Design-Thinking-Projekts ein vollständiger Zyklus des DT-Prozesses durchlaufen. Durch konsequentesTimeboxing wird, wie in Abbil-dung 4 dargestellt, auch in den anschließenden Iterationen der Problem- und der Lösungs-raumabwechselnddurchlaufen.

Abbildung 4: Das iterative Durchlaufen von Problem- und Lösungsraum, des sogenannten „double diamond“, als zentrales Motiv für das Lernen durch Scheitern (eigene Abbildung).

Das Prinzip wird z. B. durch die Methodedes„simplenPrototypings“, also Prototypen mit einfachen Mitteln (z. B. Lego, Pappe & Tape, Rollenspiele), unterstützt. Teams werden dadurch in die Lage versetzt, schon sehr früh vom Problemraum in den Lösungsraum zu wechseln. Hier-durch wird bewusst„Scheitern“inKaufgenommen, um schneller wertigere Erkenntnisse und Ideen zu erarbeiten. Durch das Prototyping von Ideen und Konzepten werden die unterschied-lichen Vorstellungen einzelner Teammitglieder sichtbar. Zusätzlich werden mit einem Prototyp die Attraktivität und Umsetzbarkeit einer Idee früh überprüft. Nicht selten klingt ein Konzept anfangs vielversprechend. Durch die einfache und schnelle Umsetzung können jedoch Schwä-chentransparentgemachtundverbesserteIdeenentwickelt werden.

Auch der nächste Schritt, das „Testing“, dient als Methode, um schnellesScheiternzuför-dern. Die erstellten Prototypen werden genutzt, um aufgestellte Hypothesen und Ideen direkt mit dem Kunden zu validieren. Das Testen mit Nutzern zielt darauf ab, über Lob und Kritik des Nutzers BegeisterungsmerkmaledesProduktszuidentifizieren.

Problem- raum

Problem- raum

Problem- raum

Lösungs- raum

Lösungs- raum

Lösungs- raum

Iteration 2 (1-2 Wochen)

Iteration 2 setzt die Erkennt-nisse aus dem Schnelldurch-lauf um. Die längere Dauer wird für detailliertere Aktivi-täten zur Problemanalyse und zur Lösungsfindung genutzt.

Iteration 3 (3-6 Wochen)

Iteration 3 setzt die Erkennt-nisse aus der Iteration 2 um. Hier werden parallel unter-schiedliche Potenzialfelder bearbeitet und Prototypen iteriert und detailliert.

Iteration 1 (1-2 Tage)

Iteration 1 ist ein Schnell-durchlauf des Design-Thin-king-Prozesses, bei dem das Team sowohl aus Problem- als auch aus Lösungssicht auf die Problemstellung blickt und die Methodik dabei intensiv kennenlernt.

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77Durch Iterationen werden im Design Thinking eine Vielzahl an Ideen und Lösungsfeatures in unterschiedlich detaillierten Prototypen umgesetzt. So können mit vertretbaren Ressourcen in kurzer Zeit mehrere Lernzyklen durchlaufen und so die Qualität der Entwicklung gesteigert und Risiken reduziert werden. Darüber hinaus wird die Akzeptanz bei Stakeholdern gesteigert, wenn diese immer wieder in kurzer Folge verbesserte Prototypen sehen und testen können.

„[…] wenn du etwas vorzeigst, das funktioniert und nicht nur für drei Jahre darüber redest, dann erzeugst du [beim Kunden und in der eigenen Firma] Vertrauen in das, was du tust und brauchst.“, (Chief IO, Baumaschinenfirma, über den Effekt von Prototyping)

Fokus auf kreative Teamarbeit

Neben der Einbeziehung von realen Nutzern und dem Lernen durch Scheitern gibt es noch eine weitere Zutat, die für den Erfolg der DT-Methode unerlässlich ist und eine seiner größten Stär-ken ausmacht: der Fokus auf kreative Teamarbeit.

Dieses Element wird, wie in Abbildung 5 dargestellt, durch die folgenden drei Bausteine reali-siert:

• Diverses Team

• Prinzipien zur Kollaboration

• Unterstützender Raum

Abbildung 5: Die drei Bausteine zur Förderung kreativer Teamarbeit: diverses Team, Prinzipien zur Kollaboration und unterstützender Raum (eigene Abbildung).

Design Thinking basiert auf dem Verständnis, dass für die Entwicklung innovativer Produkte und Geschäftsmodelle eine großeBandbreiteanWissen,ErfahrungundKompetenzenbe-nötigtwird. Dies hat zur Folge, dass für ein vollständiges Bild von Beginn an Personen unter-schiedlichster Domänen, z. B. Marketing, Software- und Hardware-Entwicklung, Supply-Chain, zusammenarbeiten müssen. Bei der Zusammensetzung von Design Thinking Teams emp-fiehlt es sich daher, auf eine möglichst ausgeprägteDiversitätinBezugaufFachexpertiseund

Markt

Einkauf

SoftwareEntwickler

HardwareEntwickler

Fach- kenntnisse

Soziale Eigenschaften

Diverses Team Prinzipien zur Kollaboration Unterstützender Raum

Homo- logation

Geschlecht

SenioritätPersönlichkeit

Kultur

...

Bewertungen zurückstellen

Auf den Ideen anderer aufbauen

Prototypen bauen statt diskutieren

Job-Titel an der Tür abgeben

Inspirierende Umgebung

Bewegliche Ausstattung

Prototyping Möglichkeit

Flexible Kommunika- tionsflächen

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88soziale Kompetenzen zu achten. Um die Zusammenarbeit in solch interdisziplinären Teams zu fördern, setzt Design Thinking auf die Umsetzung diverser Prinzipien zur Kollaboration und auf eine Arbeitsumgebung, welche den Prozess fördert. Ziel ist es, dass die Informationen zwischen den Teammitgliedern optimal fließen und dass diese ihre Fähigkeiten je nach Phase optimal einbringen können. Ein zentrales Prinzip zur Zusammenarbeit ist der WechselzwischendenModi„öffnen“ (z. B. Bedürfnissuche, Ideengenerierung) und„schließen“ (z. B. Problemdefi-nition, Prototyping). Der Design-Thinking-Prozess fokussiert das Team und stellt sicher, dass alle Teammitglieder sich im gleichen Modus befinden. Hierdurch wird eine produktiveBalancezwischenPlatzfürKreativitätundExperimentsowieUmsetzungsfokus erreicht.

„Design Thinking hat uns eine gemeinsame Sprache mit Werkzeugen gegeben, sodass wir jetzt sagen können, dass wir im ‚Kreativmodus‘ oder im ‚Fokusmodus‘ sind. Diese Werkzeuge nutzen wir nun im täglichen Geschäft.“ (Mitglied Design Thinking Team, Konsumgüterunternehmen, zur veränderten Teamarbeit durch Design Thinking)

Dieser Effekt des „Öffnens und Schließens“ wird durch unterschiedliche Methoden gefördert. Ein Beispiel ist der Einsatz von Post-its. Durch die Verwendung von Post-its machen die Team-mitglieder ihre Gedanken für alle Teammitglieder transparent. Bei der Auswertung von Nutzer-interviews werden beispielsweise zunächst alle Beobachtungen der Teammitglieder gesammelt (öffnen = viele Post-its). Anschließend werden diese in der Problemdefinition geclustert und die wenigen relevantesten identifiziert (schließen). Diese Taktung unterstützt, dass jedes Teammit-glied über den Verlauf des Design-Thinking-Prozesses seine individuellen Stärken ausspielen kann. Bei der Bedürfnissuche ist Empathie gefragt, bei der Problemdefinition analytisches Den-ken und im Prototyping handwerkliches Geschick. Zusätzlich wird die Teamkollaboration durch die Einrichtung der Arbeitsräume unterstützt. Design-Thinking-Räume zeichnen sich durch gro-ßeFlächenzurErarbeitungundKommunikationvonArbeitsergebnissen,durchflexiblesMobiliar,dieMöglichkeitzusimplemPrototypingundInspirationsquellen aus.

Nutzung Design Thinking – wo es wirkt und wo die Wirkung versagt?

In den vorangegangenen Abschnitten wurde die Wirkweise von Design Thinking und dessen drei Kernelemente beschrieben. Design Thinking kombiniert aus diesen Eigenschaften einen strukturierten Ansatz, welcher als Prozess, Mindset und Methodenkasten in den Innovations-prozess eines Unternehmens integriert werden kann.

Wie in Abbildung 1 dargestellt, wird Design Thinking vor allem in den ersten zweiPhasendes Innovationsprozesses, der Innovationsstrategie und der Ideenfindung, eingesetzt. Abbildung 6 zeigt auf, wofür Design Thinking in den jeweiligen Phasen eingesetzt werden kann und welche weiteren Aktivitäten notwendig sind, um einen ganzheitlichen Innovationsprozess sicherzustellen.

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99Abbildung 6: Die Einsatzgebiete von Design Thinking und ergänzende Aktivitäten entlang des Innovationsprozesses (eigene Abbildung).

Zentrales Ziel der Phase „Innovationsstrategie“ ist es, entlang des Strategieprozesses durch die Konsolidierung von Erkenntnissen aus diversen Initiativen eine konsistente Strategie und ein korrespondierendes Projektportfolio zu entwickeln. Design Thinking kann hier eingesetzt werden, um Wissen undErkenntnisse zuNutzerbedürfnissen und demÖkosystemderNutzung aufzubauen. Die Methode unterstützt, dass ein multidisziplinäres Team ein Innova-tions-/Problemfeld von verschiedenen Perspektiven durchleuchtet und durch die Entwicklung erster Ideen und simpler Prototypen systematisch Nutzerbedürfnisse und Potenzialfelder identi-fiziert. Komplementär sollten in der Phase der Innovationsstrategie weitere Methoden wie Wett-bewerbsanalysen,Technologie-&Trend-ScoutingsowiequantitativesNutzer-Research genutzt werden, um ein ganzheitlichesBildzurStrategieentwicklung zu erzeugen. Ein über-geordneter Strategie- und Portfolioprozess sollte diese Aktivitäten steuern und die Ableitung einer durchgehenden Gesamtstrategie inklusive priorisierter Potenzialfelder sicherstellen.

Ziel der anschließenden Ideenfindungsphase ist es, zu den im Rahmen der Strategieentwick-lung identifizierten Potenzialfeldern alternativeService-undProduktlösungenzuerarbeitenundzubewerten. Auch in dieser Phase kann Design Thinking eingesetzt werden, um fokussiert Ideen und Produktalternativen zu entwickeln. Die Interaktion mit Nutzern und Stakeholdern, das iterative Vorgehen und die Arbeit in einem interdisziplinären Team fördert eine kreative Ideenfin-dung und stellt eine Ausrichtung der Ideen am Nutzer sicher. Da der Design-Thinking-AnsatzimWesentlichenaufdenKundenwert„desirability“abzielt, sollten in dieser Phase durch Aktivitäten der Geschäftsmodell- und Technologie-Innovation auch die Aspekte der finanziellen und technischen Machbarkeit, der „viability“ und „feasibility“, berücksichtigt werden. Es hängt von der Beschaffenheit des Potenzialfeldes ab, in welcher Ausprägung die Methoden einge-setzt werden („Wie viel Ressourcen verwende ich für welchen Aspekt?“) und wie integriert die jeweiligen Themen abgearbeitet werden („Wie ist der Prozess und die Teamzusammensetzung gestaltet?“). Ein Beispiel für einen solchen integrierten Ansatz ist die Innovation Cell®. Hier-bei werden in einem beschleunigten Prozess Ideen gesammelt, entwickelt und anschließend hinsichtlich ihrer „desirability“, „viability“ und „feasibility“ bewertet und in eine Entwicklungs-roadmap umgesetzt. Diese kann als Ausgangspunkt für die Demonstratorentwicklung und den Übergang in die nächste Phase genutzt werden.

Einsatzgebiete Design Thinking

• Qualitative Nutzer- und Experten-Recherche

• Aufbau Verständnis Ökosystem• Identifikation von Potenzial-

feldern für Innovationen

• Nutzerzentrierte & kreative Ideenentwicklung

• Bau von simplen Prototypen• Schnelle Iterationen &

Validierung

• Nutzung des Mindsets für agile Umsetzung & Teamarbeit

ErgänzendeAktivitäten

• Strategie- & Portfolioprozess• Wettbewerbsanalysen• Technologie- & Trend-Scouting• Quantitative Nutzerstudien

• Business Model Innovation• Business-Plan-Entwicklung• Technologie Innovation• Innovation Cell®• Demonstratorentwicklung

• Umsetzungsplanung• Agile MVP-Entwicklung• Business Development• Business Operations

Innovationsstrategie Ideenfindung Entwicklung Markteinführung

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1010In den letzten beiden Phasen des Innovationsprozesses werden Ideen mit ausreichendem Po-tenzial in Produkte umgesetzt und vermarktet. Hierbei kommen Methoden zur agilen Entwick-lung eines Minimal Viable Products, d. h. einer ersten Produktgeneration mit realen Nutzern, sowie dem Aufbau einer skalierbaren Organisation zur Leistungserbringung und Vermarktung zum Einsatz. In diesen Phasen wird Design Thinking nicht mehr maßgeblich eingesetzt. Jedoch wirken sich auch hier das kundenzentrierte und iterative Mindset positiv auf die Innovations-kultur aus. Einzelne Methoden können zusätzlich punktuell eingesetzt werden (z. B. simples Prototyping).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Design-Thinking-Ansatz für Unternehmen einen flexiblenProzessundMethoden-Baukasten bietet, um zu Innovations- und Problem-feldernWissenaufzubauenundkreativeLösungsideenzuentwickeln. Durch die Kernele-mente „Inspiration durch reale Nutzer“, „Lernen durch schnelles Scheitern“ und „Fokus auf kre-ative Teamarbeit“ und deren Umsetzung kann Design Thinking vor allem in den frühenPhasendesInnovationsprozesseswertvolleErgebnisseliefern. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass Design Thinking keinAllheilmittelfürInnovation darstellt. Für die Umsetzung eines ganzheit-lichen Innovationsprozesses sind zusätzliche Ansätze und Methoden zu berücksichtigen und zu einem durchgängigen Prozess zu integrieren.

Design Thinking in Ihrem Unternehmen

Um die Potenziale von Design Thinking für das eigene Unternehmen zu nutzen, kann die Me-thode in das eigene Innovationsmanagement integriert werden. Dazu sind die bestehenden Prozesse und Methoden sowie die Zielsetzung der Integration des Design-Thinking-Ansatzes ins Unternehmen zu berücksichtigen. In der Regel werden durcheineImplementierungdreiUseCasesverfolgt:

• Wissensaufbau zu Markt und Problemstellung,

• Ideenentwicklung zu Potenzialfeldern sowie

• die Förderung der Innovationskultur.

Wir empfehlen eine Implementierung des Design-Thinking-Ansatzes an konkreten Fragestel-lungendesUnternehmensauszurichten und diese in zweiStufen zu planen. Auf Stufe I wird ein exemplarisches Projekt mit einem ausgewählten Team durchgeführt. Hierdurch lernen sowohl das Team als auch die Organisatoren den Design-Thinking-Ansatz und dessen Kernele-mente kennen. Nach Durchführung des Projekts kann der Ansatz bewertet und in Stufe II de-finiert werden, wie der Ansatz in das bestehende Innovationsmanagement des Unternehmens integriert werden soll. Hierdurch wird Design Thinking für weitere Fokusthemen genutzt, an die Prozesse und Methoden im eigenen Unternehmen angepasst und ein ganzheitlicher Innova-tionsprozess sichergestellt.

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1111Interessiert? Nehmen Sie Kontakt auf!

Benedikt Dechamps

Benedikt Dechamps ist Senior Consultant bei der 3DSE Management Consultants GmbH in München. Aus über 3 Jahren Beratungserfahrung in der Forschung und Entwicklung kennt er die Herausforderungen, Innovationen von der Strategie in realisierte Produkte umzusetzen. Als Experte für agile Innovationsmethoden hat er Kunden der Luftfahrt-, Haushaltsgeräte- und Automobilbranche bei der kreati-ven Innovationsentwicklung begleitet. Er hat am Hasso Plattner Institut (HPI) den Advanced Track durchlaufen und an der HPI Academy Erfahrungen als Design Thinking Coach gesammelt.

E-Mail: [email protected]

Philip Kloibhofer

Philip Kloibhofer ist Senior Consultant bei 3DSE Management Consultants GmbH in München. Mit 6 Jahren Erfahrung in F&E-Beratung von Technologieunterneh-men besitzt er exzellente Branchenkenntnisse u. a. in Automotive, Transportation und Aerospace. Seine Kernkompetenz sind die ganzheitliche Optimierung der F&E, das Management und die Umsetzung von Innovationen sowie die agile Produkt-entwicklung. Seine Qualifikationen als Scrum Master, Innovation Cell® GreenBelt und Design Thinking Coach runden sein Profil ab.

E-Mail: [email protected]

Alle Insights-Artikel finden Sie unter: www.3DSE.de/insights

Alle Insights-Artikel finden Sie unter: www.3DSE.de/insights

Literaturtipps

Das Design Thinking Playbook Mit traditionellen, aktuellen und zukünftigen Erfolgsfaktoren Michael Lewrick, Patrick Link, Larry Leifer, 2018

Design Thinking Das Handbuch,Falk Uebernickel, Walter Brenner, 2015

Change by Design How Design Thinking Transforms Organizations and Inspires Innovation, Tim Brown, 2009

https://thisisdesignthinking.net/ This is Design Thinking.net – How and why organizations fail or succeed in adopting design thinking

https://hbr.org/video/4443548301001/the-explainer-design-thinking

The Explainer: Design Thinking, Harvard Business Review, 2015