20
Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung Michael Retzar | 15.01.2014

Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung

Michael Retzar | 15.01.2014

Page 2: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Gliederung

Umgang mit Fehlern im Unterricht – ein Selbstversuch

Fehlerkultur – eine Frage der Perspektive

Fehlermanagement in 3 Schritten

Auswirkungen von Fehlerkultur auf Schüler

Probleme und Herausforderungen

Schulentwicklung

Page 3: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Warm-up: Ein Selbstversuch

Gesucht werden 2 Freiwillige für ein kurzes

Rollenspiel. Es soll eine kurze Unterrichtssequenz

inszeniert werden, bei der 2 Lehrpersonen

nacheinander eine (leichte) mathematische

Aufgabe mit einer Klasse behandeln.

Vorbereitungszeit draußen: ca. 10 Minuten

Page 4: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Vorbereitung der „Klasse“

Bitte versetzen Sie sich in die Rolle von

Schülern einer Mathematikklasse.

Sie kennen aus vorherigen Stunden bereits

den Rechenstrich als Rechenhilfe.

Stellen Sie sich auf eine Rechenaufgabe

der Lehrkraft ein. (Fehler sind erlaubt.)

Page 5: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Fehlerkultur (sachlich & allgemein)

In jeder sozialen Institution geschehen Fehler.

Fehlern wird eine bestimmte Bedeutung zugeschrieben.

Der Umgang mit Fehlern ist geprägt von den Interessen und Zielen der Institution.

- Wirtschaft: Effizienz, Produktivität, Gewinnmaximierung

- medizinische Einrichtungen: Vermeidung von Behandlungsfehlern, Gesundheit

- Schule?

Page 6: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Fehlerkultur an Schulen (kritisch)

defizitorientierte Leistungsfeststellung

Effizienzgedanke im Zeitmanagement

Interesse an fehlerfreien Lösungsansätzen

Fehlersanktionierung

Page 7: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Fehlerkultur – eine Frage der Perspektive

Fehler „können eine geradezu unersetzliche Erfahrung darstellen: Der Nachvollzug des

Falschen ermöglicht das Lernen des Richtigen. Das jedoch bedeutet, dass nur aus Fehlern

lernen kann, wer die Chance bekommt, in der Rückschau nachzuvollziehen, worin

eigentlich der Fehler besteht und wie es zu ihm kam. In diesem Sinne lernen nur diejenigen,

Fehler zu vermeiden, denen erlaubt wird, auch Fehler zu begehen.“

(Althof 1999)

Page 8: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

„Produktive“ Fehler

Fehler: von einer Norm abweichende Sachverhalte oder Prozesse

Fehler sollen für die Lernenden einen Nutzen (Erkenntnisgewinn) haben

Gelegenheiten zum Dazulernen

positive Begriffsprägung: „Fehlerkultur“

Recht der Lernenden auf Fehler und auf eine konstruktive Auseinandersetzung

(Koll-Stobbe 1993, Kobi 1994, Oser 1999)

Page 9: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Fehlermanagement in 3 Schritten:

1. Auffinden von Fehlern

Raum und Zeit lassen für das Begehen von Fehlern

aktive Suche nach potenziellen Fehlern und abweichenden Lösungen

Verzicht auf hohes Unterrichtstempo

(Oser 1999)

Page 10: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Fehlermanagement in 3 Schritten:

2. Ermittlung der Fehlerursachen

Deskription der Fehlerentstehung

Analyse der genauen Fehlerursache und der (fehlerhaften) Lösungsstrategien

reflektierte Fehlerforschung („negatives Wissen“: wissen, was falsch ist)

(Oser 1999)

Page 11: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Fehlermanagement in 3 Schritten:

3. Fehlerbehebung und Fehlerbewertung

Sensibilität für emotionale Schülerwahrnehmung

Praxis einer verurteilungsfreien Selbstverständlichkeit der Fehleraufklärung

konstruktives und wertschätzendes Feedback

(Oser 1999)

Page 12: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Beispiel: Folgefehler in der Mathematik

Auffinden eines Fehlers

Beschäftigung mit von den Schülern gewählten Lösungswegen

Nachvollzug von Gedankengängen der Schüler

Anerkennung von schlüssigen bzw. folgerichtigen Lösungsansätzen

klare Kennzeichnung einer Fehlerquelle

(leider keine Gelegenheit für eine Selbstkorrektur)

keine pauschale Sanktionierung, die die Schülerleistung als Ganzes infrage stellt

Page 13: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Positive Auswirkungen von Fehlerkultur auf Schüler (Cerny 2013)

Zuversicht und Vertrauen in eigenes Lernpotenzial

prägende Vorbildfunktion in der Reaktion auf Fehler anderer

Stärkung der Fähigkeit zur Metakognition

höhere Schülerbeteiligung am Unterrichtsgeschehen

Individualisierung des Lernens

Verringerung von Frustrationserlebnissen

bessere Ausschöpfung der Leistungspotenziale von Schülern

Page 14: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Probleme im Umgang mit Fehlern (Spychiger/Oser/Hascher/Mahler 1999)

ggf. mangelndes Fachwissen einer Lehrkraft bzw. keine Vertrautheit mit dem Gegenstand

schlechter Unterrichtsaufbau und schlechte Planung

Missverständnisse

Komplikationen durch typische Interaktionsmuster in Fehlersituationen

- „Bermuda-Dreieck“

- Lachen

- Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen

Interesse an Fehlervermeidung

Page 15: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Herausforderungen im Umgang mit Fehlern (Spychiger/Oser/Hascher/Mahler 1999)

Emotionskontrolle

fachdidaktische Kompetenz

Schaffung einer angenehmen Arbeitsatmosphäre

Selbstüberprüfung der Körpersprache

sachbezogene, hilfreiche, konstruktive, aufbauende Rückmeldungen an Schüler

sozio-emotionale Rahmenbedingungen in der Klasse und in bestimmten Arbeitsformen

Page 16: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Schulentwicklung durch Arbeit an Fehlerkultur (Spychiger/Oser/Hascher/Mahler 1999)

konzeptionelle Fehlerkultur-Entwicklung im kleinen Team

Verständigung auf erstrebenswerte Praktiken in Fehlersituationen

Übung alternativer Reaktionen in Fehlersituationen

kollegiale Hospitationen und gemeinsame Auswertung

Evaluation eigener Maßnahmen, auch durch Schülerbefragungen

Page 17: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Zusammenfassung

Fehler kommen in jedem System vor. Der Umgang mit Ihnen erfolgt systemspezifisch.

In Fehlern lassen sich Probleme erkennen, die sich durch Lernzuwachs beheben lassen.

Im Unterricht kommt es auf das Zulassen, Ergründen und Thematisieren von Fehlern an.

Eine Fehlerkultur kommt dem Unterricht und den Schülern persönlich zugute.

Lehrer benötigen sensible Fehlermanagementstrategien.

Eine schulweite Fehlerkultur ist möglich. Sie benötigt Zusammenarbeit und Trainings.

Page 18: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Aufgabe für die Diskussion an Ihrer Tischgruppe

Nehmen Sie sich 15 Minuten Zeit, um sich jeweils ein bis zwei Unterrichtssituationen ins

Gedächtnis zu rufen, bei denen Sie persönlich ein Mal besonders ausführlich oder ein

anderes Mal eher kurz angebunden oder vielleicht unbeholfen mit Schülerfehlern

verfahren sind. Wählen Sie als Gruppe für das Plenum ein bis zwei prägnante

Tischbeispiele aus, die im Hinblick auf Fehlerkultur interessant zu analysieren sind.

Page 19: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung

Michael Retzar | 15.01.2014

Vielen Dank für Ihr Interesse!

Page 20: Fehlerkultur als Anliegen von Unterrichtsentwicklung · - „Bermuda-Dreieck“ - Lachen - Nachbohren bei zurückhaltenden und leisen Schüleräußerungen ... Wählen Sie als Gruppe

Literatur Althof, Wolfgang (Hrsg.) (1999): Fehlerwelten. Vom Fehlermachen und Lernen aus Fehlern. Opladen: Leske+Budrich.

Cerny, Martina (2013): Fehler als Lernchance? Krems: Donau-Universität.

Edelstein, Wolfgang (1999): Aus Fehlern wird man klug. Zur Ontologie von Fehlertypen. In: In: Althof, Wolfgang (Hrsg.): Fehlerwelten. Vom Fehlermachen und Lernen aus Fehlern. Opladen: Leske+Budrich. S. 111-128.

Kahl, Reinhard (2000): Lob des Fehlers. Textbuch zur Sendereihe. Hamburg: Pädagogische Beiträge Verlag.

Kobi, Emil E. (1994): Fehler. Die neue Schulpraxis 64(2), S. 5-10.

Koll-Stobbe, Amei (1993): Falsch oder anders? Überlegungen zu Fehlerbewertungen im Fremdsprachenunterricht aus der Sicht der Sprachgebrauchslinguistik. Fremdsprachen lehren und lernen 22, S. 175-188.

Oser, Fritz (1997): Lernen aus Fehlern. Zur Psychologie „negativen“ Wissens. Fribourg: Pädagogisches Institut.

Oser, Fritz/Hascher, Tina/Spychiger, Maria (1999): Lernen aus Fehlern. Zur Psychologie des „negativen“ Wissens. In: Althof, Wolfgang (Hrsg.): Fehlerwelten. Vom Fehlermachen und Lernen aus Fehlern. Opladen: Leske+Budrich. S. 11-42.

Reiss, Kristina/Hammer, Christoph (2013): Grundlagen der Mathematikdidaktik. Eine Einführung für den Unterricht in der Sekundarstufe. Basel: Birkhäuser.

Reusser, Kurt (1999): Schülerfehler – die Rückseite des Spiegels. In: In: Althof, Wolfgang (Hrsg.): Fehlerwelten. Vom Fehlermachen und Lernen aus Fehlern. Opladen: Leske+Budrich. S. 203-232.

Spychiger, Maria (1998): Fehlerkultur aus Sicht von Schülerinnen und Schülern. Fribourg: Pädagogisches Institut.

Spychiger, Maria/Oser, Fritz/Hascher, Tina/Mahler, Fabienne (1999): Entwicklung einer Fehlerkultur in der Schule. In: In: Althof, Wolfgang (Hrsg.): Fehlerwelten. Vom Fehlermachen und Lernen aus Fehlern. Opladen: Leske+Budrich. S. 43-70.

Weingardt, Martin (2004): Fehler zeichnen uns aus. Transdisziplinäre Grundlagen zur Theorie und Produktivität des Fehlers in Schule und Arbeitswelt. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.