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F EUILLETON Donnerstag, 11. Jänner 2018 27 „Wir eröffnen den Dialog“, sagte Gerhard Ruiss, Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren bei ei- ner Pressekonferenz in Wien. Ver- treter von zehn Interessensverbän- den heimischer Künstler haben da- bei eine Art „Regierungspro- gramm der Kunst- und Kultur- schaffenden“ vorgestellt. Mit der Aktion strebe man auch einen Termin bei Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) und anderen zuständigen Ministern an. Vor al- lem stoßen sich die Interessens- vertreter an der fehlenden Ausein- andersetzung mit der prekären so- zialen Lage von Künstlern. „Uns stört, dass wir als Bittstel- ler hingestellt werden, die subven- tioniert werden müssen, weil sie es sonst nicht schaffen“, sagte Pe- ter Paul Skrepek von der Musiker- gilde. „Es geht nicht darum, dass Kunst und Kultur subventioniert werden müssen. Sie müssen finan- ziert werden, wie etwa das Spital- wesen auch.“ Ruiss sieht im Regierungspro- gramm „nicht ein Mehr an Mög- lichkeiten, sondern ein Mehr an Kontrollmöglichkeiten“. Sein Fazit: „Es weht ein neoliberaler Geist.“ Dass Kunst und Kultur eine Querschnittsmaterie ist, wurde in vielen Wortmeldungen deutlich. So hält etwa Fabian Eder vom Dach- verband der österreichischen Film- schaffenden den geplanten Wegfall der Notstandshilfe für besonders gefährlich in einem Bereich „ext- rem hoher Armutsgefährdung“ wie der Filmbranche. Ulrike Kuner von der IG Freie Theaterarbeit mo- nierte, dass die darstellende Kunst außerhalb der Bundestheater keine Erwähnung im Regierungspro- gramm finde, Künstler hätten mit der Regie- rung als Gesetzgeber und Förder- geber zu tun, so Ruiss abschlie- ßend. „Wir haben uns positioniert. Aber wir haben erst begonnen. Sie werden wieder von uns hören.“ Was verbindet Kunst und Spitäler? Kunst- und Kulturverbände präsentieren Forderungen an die Regierung. „Es weht ein neoliberaler Geist“, so Gerhard Ruiss. Foto: apa/H. Punz In Berlin gelten sie als Dream- team des „Neuen Deutschen Mu- sicals“: Librettist Peter Lund und Komponist Thomas Zaufke. Mit Bühnenhits wie „Babytalk“ haben sie die übliche Kombination aus Gesang, Schauspiel und Tanz neu aufgemischt. Auch im Kinder- und Jugendmusical geben die beiden den Ton an. Werke aus der Lund- Zaufke-Musical-Fabrik sind regel- mäßig im Theater der Jugend zu sehen, darunter sogar Auftrags- werke wie „Der gestiefelte Stras- senkater“. Nun steht ihr „Cinde- rella passt was nicht“ aus dem Jahr 2000 auf dem Spielplan des Renaissancetheaters. Das Stück wildert in diversen Aschenbrödel-Bearbeitungen von Grimm bis Disney und setzt dem Märchenspiel via Cross-Dressing noch eins drauf: Cinderella (Livia Wrede) verkleidet sich als junger Ritter und erobert in der Verklei- dung das Herz des Prinzen (Simon Stockinger). Statt des gläsernen Schuhs aus der Vorlage verliert sie hier auf der Flucht einen Kampf- stiefel. Das Gute-Laune-Stück insze- niert Werner Sobotka routiniert. Der versierte Musical-Regisseur ist alles andere als ein biederer Mär- chenonkel und setzt die pointen- reiche Vorlage erwartungsgemäß anspielungsreich um. Die Bühne (Sam Madwar) zitiert ein Märchenschloss und wird auf mehreren Ebenen bespielt. Das neunköpfige Ensemble hält sich wacker, allerdings ragt kein Dar- steller besonders hervor. Am ehes- ten noch Frank Engelhardt, er tritt als gute Fee in Aktion, Kostüm und Spielweise erinnern an Jack Lemmon in „Manche mögen’s heiß“. Sobotkas Inszenierung ist gewiss eine gelungene Show, aller- dings fehlen Glanzlichter. Wem passt der Stiefel? Theater der Jugend zeigt Cinderella-Adaption. Von Petra Paterno THEATER Cinderella passt was nicht Theater der Jugend, Wh.: 29. Jän ★★★✩✩ „It don’t mean a thing if it ain’t got that swing“, stellte einst Duke Ellington klar. „Nichts hat Bedeu- tung, wenn es nicht swingt.“ Wenn Jazz-Pianist Dan Nimmer in die Tasten greift, spürt der Zuhö- rer förmlich den lässigen Gla- mour der Swing-Ära. Nicht um- sonst ist der 35-Jährige aus Mil- waukee seit fast zehn Jahren Mit- glied des bekannten Lincoln Cen- ter Jazz Orchestra in New York. Dessen herausragender Leiter, Trompeter, Komponist und Gram- my-Preisträger Wynton Marsalis, holte den talentierten Musiker, kaum, dass er im Big Apple ange- kommen war, in die Big Band. In „Marians Jazzroom“ in Bern, ei- nen der renommiertesten interna- tionalen Jazzclubs, zeigte er sein Können mit seinem eigenen Trio und spielte voll poetischer Inspi- ration. Die „Wiener Zeitung“ sprach mit dem Jazzpianisten nach seinem virtuosen Auftritt. „Wiener Zeitung“: Sie gelten als „alte Seele des Swing“. Wie definie- ren Sie diese Musik? Dan Nimmer: Mit meinem Spiel verfolge ich die Evolution des Swing bis in die moderne, heutige Zeit. Die Grundidee ist, dass alle Phasen des Swing im- mer präsent sind. Jeder Moment im Swing ist modern und fortwäh- rend neu. Er erneuert sich stän- dig, denn ein Swingrhythmus ist zeitlos und altert nie. Jazz ist für mich, wenn du diese Gemein- schaft von Musikern hast, die zu- sammen swingen. Und wo Swing ist, gibt es Hoffnung. Pianist Robert Glasper sagte einmal, Jazz sei heute oft eine Geschichts- stunde, anstatt dass man einfach Musik macht, die Spaß macht. Das sehe ich nicht so. Wir wol- len aus der Vergangenheit schöp- fen, ihr unseren eigenen Stempel aufdrücken und den Stil beibehal- ten. Und wir sind damit nicht in einer Traditionsfalle gefangen oder engstirnige Gralshüter. Teilen Sie die Sichtweise: Im Jazz gibt es keine Fehler? Lassen Sie es mich so sagen: Wenn du mit deinen Musikern die richtige Verbindung hast, wenn du diesen bestimmten Ausdruck hast, dann freut den Zuhörer ein vermeintlich falscher Ton genau- so. Im Jazz geht es nicht unbe- dingt immer um totale Perfektion. Es gibt Musiker, die perfekt sein wollen, aber das wird dann oft steril und kalt. Wie sind Sie zum Jazz gekommen? Hatten Sie Klavier studiert? Ich habe anfangs tatsächlich klassisches Klavier studiert. Aber davor spielte ich Schlagzeug. Wahrscheinlich, weil es das Hob- by meines Vaters war. Bei uns zu- hause lief immer Musik. Nicht un- bedingt ständig Jazz, sondern auch Earth, Wind and Fire oder George Benson. Meine Tante ver- erbte uns ein Klavier. Es war ein 100 Jahre altes Hofner und ziem- lich verstimmt. Ein paar Oktaven unter dem mittleren C klangen ein bisschen wie Donner (lacht). Vielleicht lebten noch ein paar alte Seelen in dem Klavier. Und kann sein, dass ich dank ihnen dahin gekommen bin, wo ich jetzt bin. Am ersten Tag im Milwaukee Conservatory of Music schickte uns Jazzdozent Mike Davis los, ein paar Jazzplatten auszuwählen, und ich entschied mich für Oscar Peterson und Miles Davis. Und wer ist heute Ihr Lieblingspia- nist? Das ist schwer zu sagen. Aber der erste, der mich total begeister- te, und das bis heute, ist und bleibt Oscar Peterson. Als ich das erste Mal ein Album von ihm hör- te, war ich wie vom Blitz getrof- fen. Und ich sagte mir: „Wow, das ist genau das, was ich machen möchte.“ Seine Virtuosität, sein Erfindungsreichtum und seine kultivierte Anschlagstechnik sind legendär, seine Stücke akustische, beglückende Antidepressiva. Er war der Mann, der dem Klavier das Fliegen beibrachte. Sie haben mit „Corcovado“ von An- tônio Carlos Jobim ein Bossa-Nova- Stück in Ihrem Programm. Was fas- ziniert Sie daran? Ich liebe diese zart-melancholi- sche Stimmung dieser brasiliani- schen Musik. Der brasilianische Pianist, Gitarrist und Komponist Antonio Carlos Jobim war ein Mann mit feinem Gespür für un- aufdringliche, aber unsterbliche Melodien und einprägsamen, nicht zu schnellen Rhythmus. Ei- ne ganz einfach wirkende Melo- die, die sich unverzüglich im Ohr festsetzt. Und eine möglichst leise Interpretation. Ich mag seine ext- rem fein gearbeiteten Kompositio- nen. Sein Lehrer war ein emig- rierter Deutscher: Hans-Joachim Koellreutter, der in Brasilien die Zwölftonmusik Arnold Schön- bergs propagierte. Wie sind Sie in Wynton Marsalis Lincoln Orchestra gekommen? Es war mein Glück, dass ich den Sprung von Milwaukee nach New York gewagt habe. Die Stadt ist einfach nach wie vor der Hot Spot für Jazz. Und Wynton ist ein wunderbarer Mentor. Ich war erst 22, als er mich entdeckte. Ich ha- be seither sehr viel gelernt, mehr Stile, als ich vorher beherrschte. Da wir immer wieder mit anderen Musikern zusammenspielen, wie etwa dem weltweit profiliertesten Oud-Spieler aus dem Irak, Naseer Shamma, erweitert sich mein Ho- rizont ständig. Und gerade dieses Beispiel zeigt, welche vereinende und universelle Kraft Jazz ist. Sie sind viel unterwegs. Gibt es Or- te, die Sie besonders lieben? Ja, Japan. Die japanische Kul- tur, angefangen vom hohen Eh- renkodex der Samurai über die Theaterspielkunst Kabuki, No- Theater, die Haiku-Dichtkunst bis hin zu Zen, hat mich beein- druckt. Ihr Streben nach Harmo- nie und ihr starker Gemein- schaftssinn. Nur wenn alles sei- ne feste Ordnung hat, fühlen sie sich wohl. Deswegen gibt es in Japan für nahezu alles geschrie- bene und ungeschriebene Re- geln: Wie verpacke ich ein Ge- schenk, wie muss ich mich ge- genüber wem verbeugen, wie serviere ich Tee? Zudem hat Ja- pan einen großen Jazz-Markt. Ich habe meine vier Alben bei dem japanischen Label „Venus Re- cords“ veröffentlicht. Last but not least habe ich dort meine Frau Hisana in einem Plattengeschäft getroffen. Inzwischen haben wir eine kleine Tochter. Und wann immer ich sie anblicke, denke ich: Wenn alle mehr zu schätzen wüssten, welches Geschenk Kin- der bedeuten, dann würden wir in einer wesentlich besseren Welt leben. „Wo Swing ist, gibt es Hoffnung“ Jazzpianist Dan Nimmer über den Trost des Unperfekten, engstirnige Jazz-Gralshüter und fliegende Klaviere. Von Luitgard Koch CD Dan Nimmer Trio: All The Things You Are, Label: Venus, mit David Wong (Bass), Pete Van Nostrand (Schlagzeug). Am 29./30. Jänner 2018 tritt er mit Wynton Marsalis Jazz at Lincoln Center Orchestra (JLCO) im Wiener Konzerthaus auf. Swing altert nie, sagt Pianist Dan Nimmer. Foto: Dan Nimmer

FEUILLETON „Wo Swing ist, gibt es Hoffnung“ · und ich entschied mich für Oscar Peterson und Miles Davis. Und wer ist heute Ihr Lieblingspia-nist? ... Sie haben mit „Corcovado“

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Page 1: FEUILLETON „Wo Swing ist, gibt es Hoffnung“ · und ich entschied mich für Oscar Peterson und Miles Davis. Und wer ist heute Ihr Lieblingspia-nist? ... Sie haben mit „Corcovado“

FEUILLETONDonnerstag, 11. Jänner 2018 27

„Wir eröffnen den Dialog“, sagteGerhard Ruiss, Geschäftsführerder IG Autorinnen Autoren bei ei-ner Pressekonferenz in Wien. Ver-treter von zehn Interessensverbän-den heimischer Künstler haben da-bei eine Art „Regierungspro-gramm der Kunst- und Kultur-schaffenden“ vorgestellt.

Mit der Aktion strebe man aucheinen Termin bei KulturministerGernot Blümel (ÖVP) und anderen

zuständigen Ministern an. Vor al-lem stoßen sich die Interessens-vertreter an der fehlenden Ausein-andersetzung mit der prekären so-zialen Lage von Künstlern.

„Uns stört, dass wir als Bittstel-ler hingestellt werden, die subven-tioniert werden müssen, weil siees sonst nicht schaffen“, sagte Pe-ter Paul Skrepek von der Musiker-gilde. „Es geht nicht darum, dassKunst und Kultur subventioniert

werden müssen. Sie müssen finan-ziert werden, wie etwa das Spital-wesen auch.“

Ruiss sieht im Regierungspro-gramm „nicht ein Mehr an Mög-lichkeiten, sondern ein Mehr anKontrollmöglichkeiten“. Sein Fazit:„Es weht ein neoliberaler Geist.“

Dass Kunst und Kultur eineQuerschnittsmaterie ist, wurde invielen Wortmeldungen deutlich. Sohält etwa Fabian Eder vom Dach-verband der österreichischen Film-schaffenden den geplanten Wegfallder Notstandshilfe für besondersgefährlich in einem Bereich „ext-rem hoher Armutsgefährdung“wie der Filmbranche. Ulrike Kunervon der IG Freie Theaterarbeit mo-nierte, dass die darstellende Kunstaußerhalb der Bundestheater keineErwähnung im Regierungspro-gramm finde,

Künstler hätten mit der Regie-rung als Gesetzgeber und Förder-geber zu tun, so Ruiss abschlie-ßend. „Wir haben uns positioniert.Aber wir haben erst begonnen. Siewerden wieder von uns hören.“ ■

Was verbindet Kunst und Spitäler?Kunst- und Kulturverbände präsentieren Forderungen an die Regierung.

„Es weht ein neoliberaler Geist“, so Gerhard Ruiss. Foto: apa/H. Punz

In Berlin gelten sie als Dream-team des „Neuen Deutschen Mu-sicals“: Librettist Peter Lund undKomponist Thomas Zaufke. MitBühnenhits wie „Babytalk“ habensie die übliche Kombination ausGesang, Schauspiel und Tanz neuaufgemischt. Auch im Kinder- undJugendmusical geben die beidenden Ton an. Werke aus der Lund-Zaufke-Musical-Fabrik sind regel-mäßig im Theater der Jugend zusehen, darunter sogar Auftrags-werke wie „Der gestiefelte Stras-senkater“. Nun steht ihr „Cinde-rella passt was nicht“ aus demJahr 2000 auf dem Spielplan desRenaissancetheaters.

Das Stück wildert in diversenAschenbrödel-Bearbeitungen vonGrimm bis Disney und setzt demMärchenspiel via Cross-Dressingnoch eins drauf: Cinderella (LiviaWrede) verkleidet sich als jungerRitter und erobert in der Verklei-dung das Herz des Prinzen (SimonStockinger). Statt des gläsernen

Schuhs aus der Vorlage verliert siehier auf der Flucht einen Kampf-stiefel.

Das Gute-Laune-Stück insze-niert Werner Sobotka routiniert.Der versierte Musical-Regisseur istalles andere als ein biederer Mär-chenonkel und setzt die pointen-reiche Vorlage erwartungsgemäßanspielungsreich um.

Die Bühne (Sam Madwar) zitiertein Märchenschloss und wird aufmehreren Ebenen bespielt. Dasneunköpfige Ensemble hält sichwacker, allerdings ragt kein Dar-steller besonders hervor. Am ehes-ten noch Frank Engelhardt, er trittals gute Fee in Aktion, Kostümund Spielweise erinnern an JackLemmon in „Manche mögen’sheiß“. Sobotkas Inszenierung istgewiss eine gelungene Show, aller-dings fehlen Glanzlichter. ■

Wem passt der Stiefel?Theater der Jugend zeigt Cinderella-Adaption.

Von Petra Paterno

THEATERCinderella passt was nichtTheater der Jugend, Wh.: 29. Jän★ ★ ★ ✩ ✩

„It don’t mean a thing if it ain’tgot that swing“, stellte einst DukeEllington klar. „Nichts hat Bedeu-tung, wenn es nicht swingt.“Wenn Jazz-Pianist Dan Nimmer indie Tasten greift, spürt der Zuhö-rer förmlich den lässigen Gla-mour der Swing-Ära. Nicht um-sonst ist der 35-Jährige aus Mil-waukee seit fast zehn Jahren Mit-glied des bekannten Lincoln Cen-ter Jazz Orchestra in New York.Dessen herausragender Leiter,Trompeter, Komponist und Gram-my-Preisträger Wynton Marsalis,holte den talentierten Musiker,kaum, dass er im Big Apple ange-kommen war, in die Big Band. In„Marians Jazzroom“ in Bern, ei-nen der renommiertesten interna-tionalen Jazzclubs, zeigte er seinKönnen mit seinem eigenen Triound spielte voll poetischer Inspi-ration. Die „Wiener Zeitung“sprach mit dem Jazzpianistennach seinem virtuosen Auftritt.

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„Wiener Zeitung“: Sie gelten als„alte Seele des Swing“. Wie definie-ren Sie diese Musik?

Dan Nimmer: Mit meinemSpiel verfolge ich die Evolutiondes Swing bis in die moderne,heutige Zeit. Die Grundidee ist,dass alle Phasen des Swing im-mer präsent sind. Jeder Momentim Swing ist modern und fortwäh-rend neu. Er erneuert sich stän-dig, denn ein Swingrhythmus istzeitlos und altert nie. Jazz ist fürmich, wenn du diese Gemein-schaft von Musikern hast, die zu-sammen swingen. Und wo Swingist, gibt es Hoffnung.

Pianist Robert Glasper sagte einmal,Jazz sei heute oft eine Geschichts-stunde, anstatt dass man einfachMusik macht, die Spaß macht.

Das sehe ich nicht so. Wir wol-len aus der Vergangenheit schöp-fen, ihr unseren eigenen Stempelaufdrücken und den Stil beibehal-

ten. Und wir sind damit nicht ineiner Traditionsfalle gefangenoder engstirnige Gralshüter.

Teilen Sie die Sichtweise: Im Jazzgibt es keine Fehler?

Lassen Sie es mich so sagen:Wenn du mit deinen Musikern dierichtige Verbindung hast, wenndu diesen bestimmten Ausdruckhast, dann freut den Zuhörer einvermeintlich falscher Ton genau-so. Im Jazz geht es nicht unbe-dingt immer um totale Perfektion.Es gibt Musiker, die perfekt seinwollen, aber das wird dann oftsteril und kalt.

Wie sind Sie zum Jazz gekommen?Hatten Sie Klavier studiert?

Ich habe anfangs tatsächlichklassisches Klavier studiert. Aberdavor spielte ich Schlagzeug.Wahrscheinlich, weil es das Hob-by meines Vaters war. Bei uns zu-hause lief immer Musik. Nicht un-bedingt ständig Jazz, sondernauch Earth, Wind and Fire oderGeorge Benson. Meine Tante ver-erbte uns ein Klavier. Es war ein100 Jahre altes Hofner und ziem-lich verstimmt. Ein paar Oktavenunter dem mittleren C klangenein bisschen wie Donner (lacht).Vielleicht lebten noch ein paar

alte Seelen in dem Klavier. Undkann sein, dass ich dank ihnendahin gekommen bin, wo ich jetztbin. Am ersten Tag im MilwaukeeConservatory of Music schickteuns Jazzdozent Mike Davis los,ein paar Jazzplatten auszuwählen,und ich entschied mich für OscarPeterson und Miles Davis.

Und wer ist heute Ihr Lieblingspia-nist?

Das ist schwer zu sagen. Aberder erste, der mich total begeister-te, und das bis heute, ist undbleibt Oscar Peterson. Als ich daserste Mal ein Album von ihm hör-te, war ich wie vom Blitz getrof-fen. Und ich sagte mir: „Wow, dasist genau das, was ich machenmöchte.“ Seine Virtuosität, seinErfindungsreichtum und seinekultivierte Anschlagstechnik sindlegendär, seine Stücke akustische,beglückende Antidepressiva. Erwar der Mann, der dem Klavierdas Fliegen beibrachte.

Sie haben mit „Corcovado“ von An-tônio Carlos Jobim ein Bossa-Nova-Stück in Ihrem Programm. Was fas-ziniert Sie daran?

Ich liebe diese zart-melancholi-sche Stimmung dieser brasiliani-schen Musik. Der brasilianischePianist, Gitarrist und KomponistAntonio Carlos Jobim war einMann mit feinem Gespür für un-aufdringliche, aber unsterblicheMelodien und einprägsamen,nicht zu schnellen Rhythmus. Ei-ne ganz einfach wirkende Melo-die, die sich unverzüglich im Ohrfestsetzt. Und eine möglichst leiseInterpretation. Ich mag seine ext-rem fein gearbeiteten Kompositio-nen. Sein Lehrer war ein emig-rierter Deutscher: Hans-JoachimKoellreutter, der in Brasilien dieZwölftonmusik Arnold Schön-bergs propagierte.

Wie sind Sie in Wynton MarsalisLincoln Orchestra gekommen?

Es war mein Glück, dass ichden Sprung von Milwaukee nachNew York gewagt habe. Die Stadt

ist einfach nach wie vor der HotSpot für Jazz. Und Wynton ist einwunderbarer Mentor. Ich war erst22, als er mich entdeckte. Ich ha-be seither sehr viel gelernt, mehrStile, als ich vorher beherrschte.Da wir immer wieder mit anderenMusikern zusammenspielen, wieetwa dem weltweit profiliertestenOud-Spieler aus dem Irak, NaseerShamma, erweitert sich mein Ho-rizont ständig. Und gerade diesesBeispiel zeigt, welche vereinendeund universelle Kraft Jazz ist.

Sie sind viel unterwegs. Gibt es Or-te, die Sie besonders lieben?

Ja, Japan. Die japanische Kul-tur, angefangen vom hohen Eh-renkodex der Samurai über dieTheaterspielkunst Kabuki, No-Theater, die Haiku-Dichtkunstbis hin zu Zen, hat mich beein-druckt. Ihr Streben nach Harmo-nie und ihr starker Gemein-schaftssinn. Nur wenn alles sei-ne feste Ordnung hat, fühlen siesich wohl. Deswegen gibt es inJapan für nahezu alles geschrie-bene und ungeschriebene Re-geln: Wie verpacke ich ein Ge-schenk, wie muss ich mich ge-genüber wem verbeugen, wieserviere ich Tee? Zudem hat Ja-pan einen großen Jazz-Markt. Ichhabe meine vier Alben bei demjapanischen Label „Venus Re-cords“ veröffentlicht. Last but notleast habe ich dort meine FrauHisana in einem Plattengeschäftgetroffen. Inzwischen haben wireine kleine Tochter. Und wannimmer ich sie anblicke, denkeich: Wenn alle mehr zu schätzenwüssten, welches Geschenk Kin-der bedeuten, dann würden wirin einer wesentlich besserenWelt leben. ■

„Wo Swing ist, gibt es Hoffnung“Jazzpianist Dan Nimmer über den Trost des Unperfekten, engstirnige Jazz-Gralshüter und fliegende Klaviere.

Von Luitgard Koch

CD Dan Nimmer Trio: All The ThingsYou Are, Label: Venus, mit David Wong(Bass), Pete Van Nostrand (Schlagzeug).

Am 29./30. Jänner 2018 tritt er mitWynton Marsalis Jazz at Lincoln Center

Orchestra (JLCO) im WienerKonzerthaus auf.

Swing altert nie, sagt Pianist Dan Nimmer. Foto: Dan Nimmer