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FFE Rundbrief 1/2013 Ausgabe Februar 2013 FORUM FRIEDENSETHIK in der Evangelischen Landeskirche in Baden Leitungskreis: Dietrich Becker-Hinrichs, Dr. Dirk-M. Harmsen, Bettina Ott, Dr. Wilhelm Wille, Dietrich Zeilinger Editorial von Dietrich Zeilinger Liebe LeserInnen, im letzten Sommer stand im Newsletter des „Lebens- hauses Schwäbische Alb“ folgende Ermutigung, die auch unsere Arbeit und unsere Hoffnung sehr gut zum Ausdruck bringt: "Liebe Freundinnen und Freunde, angesichts furchtbarer Kriege und unendlich schreck- licher Gewalt in vielerlei Ausprägungen, im Hinblick auf Ungerechtigkeit und Unfreiheit liegt unsere Hoffnung in der aktiven, unermüdlichen, solidari- schen, demokratischen Organisation einer "Macht von unten", um diese Verhältnisse zu überwinden. Ein solches Engagement hält unsere Hoffnung leben- dig, dass der Tag kommen wird, wo Menschen in Frieden, Gerechtigkeit, Vernunft und Freiheit, befreit von der Angst vor materieller Not, zusammenleben werden. Mutter Courage von Bertolt Brecht hat diese Hoff- nung ihren Kindern wie folgt erklärt: Es kommt der Tag, da wird sich wenden Das Blatt für uns, er ist nicht fern. Da werden wir, das Volk, beenden Den großen Krieg der großen Herrn. Die Händler, mit all ihren Bütteln Und ihrem Kriegs- und Totentanz Sie wird auf ewig von sich schütteln Die neue Welt des g'meinen Manns. Es wird der Tag, doch wann er wird, Hängt ab von mein und deinem Tun. Drum wer mit uns noch nicht marschiert, Der mach' sich auf die Socken nun. Soweit der Text des – übrigens sehr empfehlenswer- ten – Newsletters. Ich möchte, besonders im Blick auf die Intention der letzten FFE-Jahrestagung gegen Rüstungsexporte und -produktion, die immer aktuelle Jesaja-Botschaft hin- zufügen (Jes.9,1.4.5): Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finsteren Lande, scheint es hell. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns ge- geben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst." Mögen die Vorträge der Studientagung 2012 den ei- nen zur Nacharbeit, den anderen zur Information und Motivation dienen, und mögen wir im Jahr 2013 im Einsatz für Frieden und Gewaltfreiheit Stärkung und Solidarität erleben. Schalom, salaam! Dietrich Zeilinger Einladung zum FFE-Studientag 2013 Der nächste FFE-Studientag findet als Teil der Friedensdekade 2013 statt. Datum: Samstag, der 16. November 2013, 10:30 – 17:30 Uhr Ort: Karlsruhe, Albert-Schweitzer-Saal am Mühlburger Tor Thema: Folgende Themen sind vom Leitungskreis angedacht: "Wachsender Militarismus in Deutschland – die Verführung unserer Jugend" "Militärseelsorge als friedensethisches Problem" " Religiöse Rituale in der Bundeswehr – Sinn oder Unsinn?" Bitte notieren Sie sich den Termin und nehmen Sie teil an diesem wichtigen Gedankenaustausch.

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FFE Rundbrief 1/2013 Ausgabe Februar 2013

FORUM FRIEDENSETHIK in der Evangelischen Landeskirche in Baden Leitungskreis: Dietrich Becker-Hinrichs, Dr. Dirk-M. Harmsen, Bettina Ott,

Dr. Wilhelm Wille, Dietrich Zeilinger

Editorial von Dietrich Zeilinger

Liebe LeserInnen,

im letzten Sommer stand im Newsletter des „Lebens-hauses Schwäbische Alb“ folgende Ermutigung, die auch unsere Arbeit und unsere Hoffnung sehr gut zum Ausdruck bringt:

"Liebe Freundinnen und Freunde, angesichts furchtbarer Kriege und unendlich schreck-licher Gewalt in vielerlei Ausprägungen, im Hinblick auf Ungerechtigkeit und Unfreiheit liegt unsere Hoffnung in der aktiven, unermüdlichen, solidari-schen, demokratischen Organisation einer "Macht von unten", um diese Verhältnisse zu überwinden. Ein solches Engagement hält unsere Hoffnung leben-dig, dass der Tag kommen wird, wo Menschen in Frieden, Gerechtigkeit, Vernunft und Freiheit, befreit von der Angst vor materieller Not, zusammenleben werden. Mutter Courage von Bertolt Brecht hat diese Hoff-nung ihren Kindern wie folgt erklärt: Es kommt der Tag, da wird sich wenden Das Blatt für uns, er ist nicht fern. Da werden wir, das Volk, beenden Den großen Krieg der großen Herrn. Die Händler, mit all ihren Bütteln Und ihrem Kriegs- und Totentanz Sie wird auf ewig von sich schütteln Die neue Welt des g'meinen Manns. Es wird der Tag, doch wann er wird,

Hängt ab von mein und deinem Tun. Drum wer mit uns noch nicht marschiert, Der mach' sich auf die Socken nun.

Soweit der Text des – übrigens sehr empfehlenswer-ten – Newsletters.

Ich möchte, besonders im Blick auf die Intention der letzten FFE-Jahrestagung gegen Rüstungsexporte und -produktion, die immer aktuelle Jesaja-Botschaft hin-zufügen (Jes.9,1.4.5):

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finsteren Lande, scheint es hell.

Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.

Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns ge-geben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst."

Mögen die Vorträge der Studientagung 2012 den ei-nen zur Nacharbeit, den anderen zur Information und Motivation dienen, und mögen wir im Jahr 2013 im Einsatz für Frieden und Gewaltfreiheit Stärkung und Solidarität erleben.

Schalom, salaam! Dietrich Zeilinger

Einladung zum FFE-Studientag 2013 Der nächste FFE-Studientag findet als Teil der Friedensdekade 2013 statt.

Datum: Samstag, der 16. November 2013, 10:30 – 17:30 Uhr

Ort: Karlsruhe, Albert-Schweitzer-Saal am Mühlburger Tor

Thema: Folgende Themen sind vom Leitungskreis angedacht: "Wachsender Militarismus in Deutschland – die Verführung unserer Jugend" "Militärseelsorge als friedensethisches Problem" " Religiöse Rituale in der Bundeswehr – Sinn oder Unsinn?"

Bitte notieren Sie sich den Termin und nehmen Sie teil an diesem wichtigen Gedankenaustausch.

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2 FFE

Inhalt Editorial von Dietrich Zeilinger ......................................................................................................................... 1  Einladung zum FFE-Studientag 2013................................................................................................................. 1  Einladung zum Vortrag von Mark Braverman am 4. März 2013....................................................................... 3  Begrüßung und Einführung in die Tagung 2012 von Dr. Wilhelm Wille ........................................................... 4  Politische Rahmenbedingungen für den Umbau der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“ und die Konsequenzen für Rüstungsproduktion und Rüstungsexport von Andreas Zumach, Journalist, Genf.............. 5  Rüstungsproduktion in Baden-Württemberg von Dr. Andreas Seifert, IMI, Tübingen...................................... 8  Kirche und Rüstungsproduktion von OKR'n Barbara Bauer, Evangelischer Oberkirchenrat, Karlsruhe ..... 11  Ergebnisse der drei Arbeitsgruppen.................................................................................................................. 16  

"Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel" von Renate Wanie, Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Heidelberg ................................................................................................................................................... 16  Alternativen zum Militär – Zivile Konfliktbearbeitung von Dr. Anthea Bethge, Geschäftsführerin EIRENE Internat. Christlicher Friedensdienst, Neuwied ........................................................................... 17  Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein – Die Abschaffung des Krieges als kirchliche Aufgabe? Das badische Positionspapier zur Friedensethik Thesen zur Vorstellung von „internationalen Polizeieinheiten“ von Rechtsanwalt Ullrich Hahn, Internationaler Versöhnungsbund, Villingen ............ 19  FFE-Pressemitteilung zum Studientag vom 24.11.2012 von Dr. Wilhelm Wille ....................................... 20  

FFE-Mitgliederversammlung 2012 .................................................................................................................. 21  Arbeitsbericht des FFE-Leitungskreises für den Zeitraum 29. Oktober 2011 bis 24. November 2012 von Dr. Dirk-M. Harmsen ........................................................................................................................... 21  Finanzbericht für 2011 von Hans-Georg Dittrich ....................................................................................... 22  Aussprache sowie Anregungen für die Weiterarbeit des Leitungskreises .................................................. 23  

Neue Kooperation zwischen Gewerkschaften und Bundeswehr inakzeptabel und unmoralisch, Pressemitteilung der Kooperation für den Frieden vom 7.02.2013 ................................................................. 23  Impressum ........................................................................................................................................................ 24  Beitrittsformular ............................................................................................................................................... 24  

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FFE 3

Einladung zum Vortrag von Mark Braverman am 4. März 2013

Wir danken dem FFE-Mitglied, das ungenannt bleiben möchte, für die Finanzierung der Produktions- und Druck-kosten für Plakate, Flyer und Annoncen für diese Veranstaltung.

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4 FFE

Begrüßung und Einführung in die Tagung 2012 von Dr. Wilhelm Wille Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserm diesjährigen Studientag. Ein besonderer Gruß den Referentinnen und Referenten! Wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie heute mit Ihren besonderen Kompetenzen zu uns gekommen sind. Ich werde das im Ablauf des Pro-gramms dann noch im einzelnen würdigen.

Vieles geht einem durch den Kopf und will einen ganz in Beschlag nehmen nach den beunruhigenden Nachrichten der letzten Tage: Goma, Gaza, Mali, die türkische Grenze, aber immer auch noch diejenigen, die gestern für Unruhe und Zorn sorgten – und das eigentlich immer noch tun müssten, aber heute von den aktuellen Nachrichten verdrängt werden: Iran, Afghanistan – eigentlich führt der Westen auch schon Kriege gegen Pakistan. Aber unser Programm behält auch unter den gegeben Aktualitäten seinen Sinn, und einiges, von dem, was oben auf liegt, wird auch in seinem Kontext zur Sprache kommen.

Gestatten sie zwei kurze Vorbemerkungen.

Eines unserer Mitglieder hatte mich vor einigen Jah-ren nach Waldkirch mitgenommen. Da sollte im Um-feld des SPD-Ortsvereins eine „Waldkircher Erklä-rung gegen den Waffenhandel“ beschlossen werden. Wurde auch. Ich erinnere mich daran, dass in der Diskussion einige Genossen sagten: Nicht zu radikal; wir brauchen ja auch Waffen für unsere „Friedens-missionen“. Damals konnte man noch meinen, hier und da müssten wir auch mal – leider, leider – militä-risch eingreifen, um Menschen zu schützen. Mittler-weile sind die Regierungen des Westens dabei, sich mehr oder weniger offen auf eine militärgestützte Weltordnungspolitik festzulegen.

Die Bundeskanzlerin begründete die geplante Panzer-lieferung an Saudi-Arabien so: Die NATO kann nicht allein für Sicherheit und Stabilität auf der Welt sor-gen. Dazu braucht sie in allen Regionen „Partner“, und denen muss man auch die Mittel zur Verfügung stellen, damit sie ihre Aufgabe erfüllen können.

Es gibt gute Gründe, anzunehmen, dass diese Politik, die uns jetzt angesichts der vielen politischen Brand-herde als Löschmittel angedient wird, ein gewaltiger Brandbeschleuniger sein wird. Es wird wichtig sein, die Instrumente dieser Politik zu bekämpfen, zu de-nen Rüstung und Rüstungsexporte gehören. Und es ist gut, dass da ein „Aufschrei“ durchs Land geht; der soll hier gehört und aufgenommen werden. Man muss aber der Krake des militärisch-industriellen Komplexes im Ganzen widerstehen, die Löcher schließen, durch die sie immer wieder ihre Fangarme

schieben wird. Deswegen waren wir der Meinung, wir müssten das Thema Rüstungsexporte diskutieren im Zusammenhang mit dem Ziel auf das hin heute evangelischer Impuls und politische Vernunft kon-vergieren: der Überwindung des Krieges als Mittel der Politik.

Ein Zweites: Abgesehen von Waldkirch ging mir die-ser Tage auch Mainz durch den Kopf. Am Rhein bei Mainz steht in der Nähe der Nibelungenhalle eine rote Sandsteinstele zur Erinnerung an den Kreuzer „Mainz“. Die hatte ich mal vor Jahren photogra-phiert. Es gab vor dem Ersten Weltkrieg in Deutsch-land den „Flottenverein“, eine besonders imperiali-stisch und letzten Endes kriegstreibende Vereinigung. Der hatte hunderttausende von Mitgliedern, Einzel-mitglieder, aber auch korporative, z.B. sämtliche Handelskammern und natürlich – sie raten es – große Rüstungsschmieden wie Krupp in Essen, Werften, Banken. Die Mainzer hatten die Stele gesetzt, weil sie stolz auf den Kreuzer „Mainz“ waren, der 1909 in Stettin vom Stapel lief – und am 28. August 1914, also knapp vier Wochen nach Kriegsbeginn von den Engländern vor Helgoland versenkt wurde. Auf der Vorderseite der Stele steht (daneben dann später die Mahnung , es den toten Helden gleichzutun):

Für Wahrung des Rechts und Wahrung der Ehre des Reiches in allen Meeren Schutz dem Frieden der Welt.

Kommt Ihnen das nicht bekannt vor, auch ohne in Mainz zu gewesen zu sein? Ein bedrückendes Déja-vu-Erlebnis! Nehmen Sie die „Ehre des Reiches“ raus und ersetzen Sie die Zeile durch die „gewachse-ne deutsche Verantwortung“ - immer noch die glei-che Verschleierung der wahren Gründe für Rüstung und Kriegsbereitschaft, mit der wir uns auseinander-setzen müssen: „Für Wahrung des Rechtes...Schutz dem Frieden der Welt“!? Noch nicht „alle Meere“, aber mit den Gewässern vor Somalia ist auch da wie-der ein Anfang gemacht.

„...Anfrage an die Kirche“ heißt es im Thema unseres Studientages. Es ist schon bedrückend, daran erin-nern zu müssen, mit was für einem zähen Gegner, der von weit her kommt und von neuem Raum gewinnt, wir uns eingelassen haben. Aber Kirche müsste da eigentlich aufleben, denn sie kann ja wissen, dass sie gerade darum mit ihrer überschießenden Hoffnung dringend gebraucht wird. Sie hätte die Möglichkeit, den Mut, der sich in vielen Initiativen zeigt, zu stär-ken und ihm den notwendigen langen Atem zu ver-leihen. Die Jahreslosung „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ passt hier gut - nicht als Zau-

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FFE 5 berspruch, aber als tief gegründete Ermutigung, sich auch von diesem „Leviathan“ nicht einschüchtern zu

lassen.

Politische Rahmenbedingungen für den Umbau der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“ und die Konsequenzen für Rüstungs-produktion und Rüstungsexport von Andreas Zumach, Journalist, Genf Die Veränderung der politischen Rahmenbedingun-gen für den Umbau der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“ begann - wenn auch zunächst sehr ver-deckt - bereits unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges und der Vereinigung von Bundesrepublik Deutschland (West) und DDR. Zu einem Zeitpunkt, als noch viele von uns auf eine „Friedensdividende" setzten - also auf weitgehende Abrüstung und auf die Auflösung der NATO.

Im Herbst 1991 stimmte der damalige Generalinspek-teur der Bundeswehr und spätere Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann, in ei-nem strikt vertraulichen Hintergrundgespräch eine Gruppe ausgewählter JournalistInnen auf die künfti-gen „Gefahren“ und „Bedrohungen“ ein und auf die sich daraus ergebenden „neuen Herausforderungen und Aufgaben“ für „die deutsche Sicherheitspolitik“ und für die Bundeswehr. General Naumann malte den „Krisenbogen von Marokko bis Pakistan“ an die Wand und beschwor die „künftigen Bedrohungen für Deutschland und Europa“ herauf, darunter „Terro-rismus, Flüchtlingsströme und Drogenhandel“.

Im Januar 1992 wurde mir in meiner damaligen Funktion als Korrespondent der „taz“ in der Bundes-hauptstadt Bonn vom Schreibtisch eines SPD-Abgeordneten im Verteidigungsausschuss des Bun-destages der Entwurf für neue „verteidigungspoliti-sche Richtlinien“ der Bundesregierung zugespielt. In diesem Dokument war erstmals nicht mehr nur von „territorialer Landesverteidigung“ als Aufgabenbe-stimmung für die Bundeswehr die Rede, sondern von der „Durchsetzung nationaler Interessen“, darunter der „Sicherung des Zugangs zu strategischen Roh-stoffen“ sowie der für die Exportnation Deutschland wichtigen Handelswege, insbesondere auf See. Nach Veröffentlichung dieses Dokuments in der „taz“ ha-gelte es seitens der schwarz-gelben Bundesregierung Kohl/Genscher Dementis: das Dokument sei ein „längst überholter“ Entwurf eines drittrangigen Refe-renten im Verteidigungsministerium. Das war eine glatte Lüge. Autor des Entwurfs für die neuen „ver-teidigungspolitischen Richtlinien“ (VPR) war Gene-ralinspekteur KlausNaumann. Im November 1992 wurde dieser Entwurf ohne Veränderung vom Kabi-nett Kohl als neue „verteidigungspolitische Richtlini-en“ der Bundesregierung verabschiedet.

Mein Kollege Wolfgang Michal hat diesen Vorgang in seinem 1994 erschienenen Buch „Deutschland - der nächste Krieg“ völlig zutreffend als „kalten Putsch“ des obersten deutschen Militärs bezeichnet. Zu einem erfolgreichen Putsch gehören allerdings immer zwei: der Putschist und diejenigen, die diesen Putsch geschehen lassen. In diesem Fall waren das die gewählten Abgeordneten des deutschen Bundes-tages, die ihre Verantwortung für die Festlegung der Sicherheitspolitik unseres Landes nicht wahrgenom-men haben. Bereits drei Jahre vor der Verabschie-dung der neuen VPR durch das Bundeskabinett hat der Prozess der schleichenden Gewöhnung der Öf-fentlichkeit an Einsätze deutscher Uniformträger im Ausland begonnen. Die ersten Einsätze waren noch völlig unumstritten: zunächst bundesdeutsche Grenz-schützer gemeinsam mit ihren DDR-Kollegen als Mitglieder der UNO-Mission zur Überwachung des Übergangs der ehemals deutschen und zuletzt von Südafrika kontrollierten Kolonie Südwestafrika zum unabhängigen Staat Namibia. Es folgte die UNO-Mission zur Überwachung der Wahlen in Kambo-dscha, an der die Bundeswehr mit einem Feldlazarett teilnahm. Zu ersten innenpolitischen Kontroversen führte die Teilnahme von Bundeswehrsoldaten an der UNO-Mission in Somalia 1992. Die Regierung Kohl hatte dem UNO-Generalsekretär die Bitte nach einer Entsendung deutscher Soldaten in diese Mission förmlich aufgedrängt. Tatsächlich erledigten die deutschen Soldaten lediglich einige Infrastrukturauf-gaben im nordsomalischen Wüstensand (Brunnen bohren etc.). Aufgaben, die das Technische Hilfs-werk oder zivile Entwicklungsorganisationen genau so gut, wenn nicht besser und preisgünstiger hätten erledigen können. 1994 folgte der logistische Unter-stützungseinsatz (Versorgung etc.) der Bundeswehr für die in Kroatien und Bosnien-Herzegowina statio-nierten UNO-Blauhelmtruppen (UNPROFOR). Auch hier erledigten die Soldaten ausschließlich Aufgaben, für die zivile Organisationen geeigneter gewesen wä-ren.

All diese Einsätze trugen zur Neulegitimierung der Bundeswehr nach Ende des Kalten Krieges bei.

Das Bundesverfassungsgericht räumte mit seinem Urteil vom 12. Juli 1994 die entscheidende grundge-setzliche Hürde für künftige Auslandseinsätze der Bundeswehr aus dem Weg. Für verfassungskonform

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6 FFE erklärte das Gericht Einsätze „im Rahmen kollekti-ver“ Sicherheitssysteme. Als solche galten bis dahin nur die UNO oder die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE/heute OSZE), deren Mitglieder ihre Sicherheit gemeinsam und un-tereinander organisieren. Doch das Gericht erklärte in seinem Urteil auch die NATO zu einem kollektiven Sicherheitssystem, obwohl das westliche Militär-bündnis seine Sicherheit gegen äußere Feinde organi-siert. Im Herbst 1995 führte die NATO Luftschläge gegen Stellungen nationalistischer Serben in Bosni-en-Herzegowina durch. Zwar waren daran noch keine Flugzeuge und Soldaten der Bundeswehr beteiligt. Doch als Mitglied der NATO, die ihre Entscheidun-gen nur im Konsens fällt, war Deutschland allerdings politisch mitverantwortlich für diese Luftschläge auf Ziele im Ausland.

Auch der innenpolitische Einsatz der Bundeswehr bei der Bekämpfung der Überschwemmungskatastrophe im Oderbruch im Herbst 1997 trug ganz wesentlich zu ihrem Imagegewinnung und ihrer Neulegitimie-rung in den Köpfen der Bevölkerung bei. Dank ihrer logistischen Ressourcen und Kapazitäten (Sandsäcke , Transporthubschrauber etc ) und ihrem schnell ein-setzbaren Personal konnte die Bundeswehr die Aus-wirkungen dieser Überschwemmung erheblich ein-dämmen. Die Bundeswehr erschien unverzichtbar. Der Friedensbewegung gelang es damals nicht, die entscheidende Frage, warum das Technische Hilfs-werk und zivile Organisationen nicht mit den erfor-derlichen Ressourcen und Kapazitäten zur Bewälti-gung von Naturkatastrophen ausgestattet werden, in die öffentliche Diskussion zu bringen.

Mit der Beteiligung der Bundesluftwaffe am völker-rechtswidrigen Luftkrieg der NATO gegen Serbi-en/Montenegro im Jahr 1999 war dann der Konsens „Nie wieder Krieg!“ von 1945 endgültig zerbrochen.

Im Herbst 2001 folgte der bis heute anhaltende Ein-satz der Bundeswehr in Afghanistan. Nach den offi-ziell proklamierten Zielen sollte dieser Einsatz bei-tragen zu Frieden, Stabilisierung, Wiederaufbau, Demokratie, Menschen- und Frauenrechten in Af-ghanistan. Und das ursprüngliche Mandat für die Bundeswehr sah ja lediglich vor, dass die deutschen Soldaten im damals noch relativ ruhigen Norden Af-ghanistans die Wiederaufbauaktivititäten deutscher Zivilorganisationen absichern. Es gab im Herbst 2001 unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September in der bundesdeutschen Öffentlichkeit zunächst kaum Zweifel an den offiziell proklamierten Zielen des Afghanistaneinsatzes. Im Bundestag ar-gumentierten lediglich die Fraktion PDS (heute: Linkspartei) sowie einige wenige versprengte Abge-ordnete von Grünen, SPD und CDU, dass militäri-

sche Mittel untauglich seien, um die proklamierten Ziele auch zu erreichen. Doch diese Bedenken wisch-te Bundeskanzler Gerhard Schröder vom Tisch mit seinem Satz, Deutschland müsse jetzt die „uneinge-schränkte Solidarität“ mit den USA beweisen.

Das Afghanistan-Mandat für die Bundeswehr wurde in den letzten zwölf Jahren mehrfach ausgeweitet und eskaliert hin zu einem Kriegseinsatz. Doch die politi-sche Rechtfertigung und die Beschreibung der Ziele blieb im Wesentlichen unverändert. Und dies, ob-wohl die in den VPR von 1992 verankerten neuen Aufgabenbeschreibungen für die Bundeswehr (Durchsetzung von geostrategischen und außenwirt-schaftlichen Interessen Deutschlands wie Sicherung von strategischen Rohstoffen und von Handelswe-gen) seitdem in zahlreiche weitere sicherheitspoliti-sche Dokumente Deutschlands und auch der Europäi-schen Union Eingang gefunden haben. Auch die In-terview-Äußerungen des ehemaligen Bundespräsi-denten Horst Köhler auf einem Rückflug von Afgha-nistan, die (angeblich) Grund für seinen Rücktritt waren, führten noch nicht zu einer breiteren Debatte in der Öffentlichkeit über die Interessen, die hinter dem Krieg in Afghanistan stehen.

Das ändert sich erst seit dem Amtsantritt von Thomas de Maizière als Militärminister im März 2011. Mai-zière bemüht weit weniger als seine Vorgänger seit Ende des Kalten Krieges verschleiernde humanitäre und menschenrechtliche Rechtfertigungen für Bun-deswehreinsätze im Ausland, sondern spricht zuneh-mend deutlich von deutschen Interessen. Natürlich in der Absicht, öffentliche Unterstützung für diese In-teressen und für ihre gegebenenfalls militärische Durchsetzung zu gewinnen. Doch bietet diese ver-gleichsweise ehrlichere Argumentation die Chance, dass es jetzt endlich auch in der breiten Öffentlichkeit über die seit langem überfällige Grundsatzdebatte über deutsche Interessen und Sicherheitspolitik und die Rolle der Bundeswehr kommt.

Die wichtigste politische Rahmenbedingung für den Umbau der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz" ist der eskalierende Verteilungskampf um Rohstoffe. In erster Linie um die fossilen Energierohstoffe Öl, Gas und Kohle, die das Leben auf dem Planet Erde in den letzten zweihundert Jahren entscheidend be-stimmt haben. Der Verteilungskampf eskaliert, weil die Nachfrage steigt und die Zahl der gewichtigen Interessenten (China, Indien). Und weil alle wissen, dass diese fossilen Energierohstoffe (und auch Uran für Atomkraftwerke) im Laufe der nächsten 30-80 Jahre in globalem Maßstab zu Ende gehen werden. Aber auch die Verteilungskämpfe um Wasser sowie um seltene Erden und andere strategisch bedeutsame Rohstoffe spitzen sich zu. Es geht darum, die eigenen

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FFE 7 Interessen in diesen Verteilungskämpfen notfalls mit militärischen Mitteln durchzusetzen.

Dies ist einfacher geworden seit den Terroranschlä-gen vom 11. September 2001. Denn seit diesen An-schläge lässt sich die „terroristische Bedrohung“ nut-zen als Vorwand für militärische Planungen und Ein-sätze, die tatsächlich auch oder gänzlich anderen In-teressen dienen. Obwohl es bis heute keine interna-tional vereinbarte Definition von Terrorismus gibt, lässt sich nicht bestreiten, dass es potentielle terrori-stische Gefahren gibt. Doch der „Krieg gegen den Terrorismus“, der seit dem 11.09.2001 unter Führung der USA betrieben wird, hat sich als kontraproduktiv erwiesen. Anstatt die wirtschaftlichen, sozialen, poli-tischen, kulturellen und anderweitigen Ursachen für islamistische Verblendung und terroristische Gewalt-bereitschaft zu überwinden, verstärkt dieser Krieg die terroristische Bedrohung. „Die Nato züchtet mit ih-rem Bombenkrieg in Afghanistan den globalen Ter-rorismus jeden Tag ein Stück weiter“, erklärte der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Afgha-nistan-Kenner Jürgen Gerhard Todenhöfer völlig zu-treffend in einem Interview im Mai 2010.

Eine zweite Rahmenbedingung, die - wenn auch un-ausgesprochen - zur Stärkung militärischer Instru-mente führt, ist die zunehmende innerkapitalistische Konkurrenz - vor allem zwischen den USA und Eu-ropa. Diese Konkurrenz wird noch verschärft durch die 2008 offen “ausgebrochene“ schwerste Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems seit den Jahren 1929-33.

Diese Rahmenbedingung der innerkapitalistischen Konkurrenz wird vor allem in Deutschland bislang noch häufig kaschiert durch den Verweis auf „Bünd-nispflichten“ mit den USA und in der NATO. Die Forderung politischer und militärischer Eliten nach dem Umbau der Bundeswehr in eine weltweit kampf-fähige Streitmacht sowie nach mehr Waffen und Fi-nanzmitteln wird ja zumeist mit der Notwendigkeit gemeinsamer militärischer Handlungsfähigkeit in-nerhalb der NATO sowie zunehmend auch innerhalb der EU begründet. Diese „Bündnisverpflichtungen“ werden einfach als gesetzt und als unveränderbar be-hauptet und auch von weiten Teilen der Medien un-hinterfragt so übernommen und dargestellt. Dabei wird systematisch unterschlagen, dass Deutschland als Wirtschaftsgroßmacht, politische Mittelmacht und bevölkerungsreichstes Land Europas eine entschei-dende Rolle spielt bei all den Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen innerhalb der NATO und mehr noch innerhalb der EU, die erst zur Festlegung von „Bündnisverpflichtungen“ führen.

Zudem wird mit diesem Versteckspiel des Verweises auf „Bündnisverpflichtungen“ auch kaschiert, dass

zumindest Teile der politischen und militärischen Eliten (insbesondere im nationalkonservativen Be-reich) auch eine Stärkung der eigenständigen nationa-len militärischen Handlungsfähigkeit Deutschlands anstreben. Durchaus in Konkurrenz oder mit dem Ziel der Ebenbürtigkeit zu den großen europäischen „Partnerländern“ Frankreich und Großbritannien.

Auch mit Blick auf die Rüstungsproduktion gibt es ein Spannungsverhältnis oder eine gewisse Wider-sprüchlichkeit zwischen europäischer Kooperation und nationalem Interesse. Einerseits wird die euro-päische Kooperation beschworen mit Blick auf die Kosten und die Kompatibilität von Waffensystemen bei gemeinsamen Militäreinsätzen der EU sowie in Konkurrenz zur US-Waffenindustrie. Andererseits gibt es das Interesse, dass Deutschland alle für die Bundeswehr relevanten Waffensysteme auch in ei-genständiger nationaler Produktion und damit unab-hängig von Partnerländern herstellen kann. Das ist bislang außer im Luftfahrtbereich auch noch der Fall. Allerdings sind die Stückzahlen , die die Bundeswehr bestellt, in fast sämtlichen Waffenkategorien zu ge-ring für eine profitable Produktion und die Ausla-stung der vorhandenen Produktionskapazitäten. Das Ziel, eine leistungs- und international wettbewerbsfä-hige deutsche Rüstungsindustrie für möglichst viele Waffen- und Munitionskategorien zu erhalten, lässt sich nur bei einer weiteren Steigerung der Rüstungs-exporte erreichen. Darin sind sich die knapp 90 im „Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Ver-teidigungsindustrie" (BDSV) zusammengeschlosse-nen Unternehmen einig mit der schwarz-gelben Bun-desregierung. Unterstützt wird diese Forderung heute auch von der IG Metall, die noch in den 70er und 80er Jahren federführend war in der (inzwischen völ-lig eingeschlafenen) Debatte über die Konversion von Rüstungs- in Zivilgüterproduktion. Gemeinsam betreiben diese drei Akteure die weitere Aufwei-chung der ohnehin sehr unzureichenden Rüstungsex-portrestriktionen, die es national sowie auf Ebene der EU und der NATO derzeit noch gibt. Zugleich ist die Bedeutung von Rüstungsproduktion und -exporten für Arbeitsplätze und für die gesamte deutsche Volkswirtschaft kaum mehr relevant. Die Zahl der Arbeitsplätze in der deutschen Rüstungsindustrie ist seit Ende des Kalten Krieges von 400.000 (220.000 West, 180.000 Ost) auf rund 80.000 gesunken. Das sind lediglich knapp 0,2 Prozent aller Arbeitsplätze in Deutschland. Aufgrund von Automation ist die Wert-schöpfung in der Rüstungsbranche jedoch stärker gestiegen als in den meisten anderen Sektoren der Wirtschaft. In einigen Regionen mit einer starken Konzentration von rüstungsrelevanten Unternehmen - Bodensee, Raum Stuttgart, Werftenstandorte an Nord- und Ostsee - ist die Bedeutung für den Ar-

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8 FFE beitsmarkt natürlich größer als im bundesdeutschen Gesamtvergleich.

Nach Angaben des „Bundesverbandes der deutschen Industrie“ (BDI) produzierten deutsche Unternehmen im Jahr 2010 Rüstungsgüter im Wert von 16,7 Milli-arden Euro. Das sind 0,68 Prozent des damaligen Bruttosozialproduktes (BIP) von 2,5 Billionen Euro. Damit ist der Rüstungssektor gemessen am BIP der-zeit noch deutlich kleiner und für die Volkswirtschaft weniger wichtig als in den USA, Russland, China und anderen Industrie- oder Schwellenstaaten, die zu den weltweit führenden oder aufsteigenden Rü-stungsexporteuren gehören.

Wie viele der 80.000 Arbeitsplätze in der bundes-deutschen Rüstungsindustrie vom Rüstungsexport abhängen, lässt sich nicht exakt aufschlüsseln, da die Unternehmen hierzu keine Daten liefern. Alle Indizi-en sprechen allerdings dafür, dass diese Abhängigkeit in den letzten Jahren immer stärker geworden ist. Laut BDI wurden im Jahre 2010 bereits 70 Prozent aller in Deutschland produzierten Rüstungsgüter ex-portiert - im Wert von 11,5 Mrd. Das sind allerdings auch nur 1,2 Prozent der damaligen Gesamtausfuhren des Exportweltmeisters Deutschland im Wert von 960 Mrd. Euro.

Abschließend noch zu einer ideologischen Rahmen-bedingung, die den Widerspruch/stand gegen den Umbau der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“ behindert und schwächt. Das ist die weit verbreitete Sucht nach „Normalität“: über 60 Jahre nach den Verbrechen des Holocaust, nach Faschismus und 2. Weltkrieg soll Deutschland in seiner Außen- und Si-cherheitspolitik endlich genau so uneingeschränkt handeln dürfen, wie andere Länder auch. Zu diesem Verständnis von „Normalität“ gehören dann auch die Verfügung über und der Einsatz von militärischen Mittel(n) als angeblich unverzichtbarer Ausdruck von nationaler Identität und Souveränität. Diese Sucht nach „Normalität“ ist weit über die politischen Ent-scheidungsträger hinaus in der Bevölkerung verwur-zelt. Das ist auch ein Grund für die Diskrepanz, war-um alle konkreten Auslandseinsätze der Bundeswehr zumindest seit dem Krieg von 1999 auf mehrheitliche Ablehnung in der Bevölkerung stießen, zugleich aber eine große Mehrheit weiterhin ja sagt zur Existenz der Bundeswehr und es über die Friedensbewegung hinaus auch keinen wesentlichen grundsätzlichen Widerspruch, geschweige denn Widerstand gegen den Umbau der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“ gibt.

Rüstungsproduktion in Baden-Württemberg von Dr. Andreas Seifert, IMI, Tübingen Die Überlegungen, die zu diesem Beitrag geführt haben, gehen über den Bereich der simplen Aufli-stung einschlägiger Rüstungsunternehmen weit hin-aus - vielmehr ist es das Ziel, einzelne Verflechtun-gen und Akteure und deren jeweilige Motivationen ins Gedächtnis zu rufen und Ansatzpunkte für regio-nale Kritik aufzuzeigen. Die Äußerungen hier basie-ren auf den Recherchen zum „Rüstungsatlas Baden-Württemberg“, der 2012 von der DFG-VK und der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. heraus-gegeben wurde.

Voraussetzung: Normalität der militärischen Ak-tion

Die grundsätzlichen Vorbedingungen zum Verständ-nis aktueller Industriezusammenhänge ist der Rah-men politischer Entwicklungen seit dem Ende des Kalten Krieges. Die „Friedensdividende“, wie sie sich mit dem Fall des Eisernen Vorhanges und dem damit verbundenen Wegfall des Hauptfeindes der NATO ergab, so muss heute festgestellt werden, wurde nur zum Teil zur Reduktion der Wehrindustrie genutzt. Der Abbau von Rüstungskapazitäten in Ost- und Westdeutschland, beispielhaft an dem Rückgang der Beschäftigtenzahlen, ist heute zum Stillstand ge-

kommen. Waren 1990 noch knapp 400.000 Men-schen in beiden Landesteilen in der Rüstung beschäf-tigt, so sind es heute noch gerade einmal 80.000 – und diese von der Regierung auch nur geschätzte Zahl scheint zum augenblicklichen Stand leider stabil zu bleiben. Die These des Autors hier ist sogar, dass eine noch höhere Zahl anzunehmen ist, da sich Teile der Rüstungsproduktion in „zivilen“ Bereichen ab-spielen, wo sie nicht als Rüstung wahrgenommen werden.

Ein entscheidender Punkt, warum dieser Stillstand in der Konversion zu verzeichnen ist, liegt in der Ak-zeptanz von militärischen Mitteln als legitime In-strumente der Außenpolitik. Die Verteidigungspoliti-schen Richtlinien von 1992 haben diesen Weg vorge-zeichnet. Die Begrifflichkeit einer „Armee im Ein-satz“ ist heute „Normalität“ geworden. Die Aufstel-lung und der Einsatz von Spezialkräften, wie dem Kommando Spezialkräfte in Calw, sind unmittelbarer Ausdruck der Entwicklung. Graduelle Steigerungen in der Intensität der Einsätze der Bundeswehr seit den 1990er Jahren haben diese Normalität in den Köpfen der Bürger festgesetzt. „Umgangssprachlich Krieg“ ist zu einer stehenden Figur der Nachrichtensendun-gen und Medienberichterstattung geworden. Dabei ist

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FFE 9 es nicht einmal zwangsweise die Bundeswehr, die als treibende Kraft hinter dieser Entwicklung ausge-macht werden muss. Der Hinweis des Ministers Thomas de Maizière, dass es oftmals die Zivilgesell-schaft sei, die nach den „Waffen“ und einem bewaff-neten Eingriff rufe, trifft leider den Punkt. Sein „Ge-sprächsangebot“ an genau diese Kräfte und die Wis-senschaft, sich intensiver mit Fragen von Krieg und Frieden in gesellschaftlichen Debatten auseinander-setzen, ist dennoch bei genauerem Besehen nicht ernst zu nehmen. Bei aller „Gesprächsbereitschaft“ steht das Ergebnis dieser Debatte bereits fest, denn die Einbettung in einen speziellen Kontext militäri-scher Lösungsversuche, erkenntlich an den von ihm ins Spiel gebrachten Fragen, zeichnen bereits vor, dass es vor allem um die Legitimation bereits getrof-fener Entscheidungen gehen soll.

Diese, von mir als akzeptierte Normalität militäri-scher Eingriffe als Konfliktlösungsstrategie bezeich-nete Einstellung ist aber nur ein Element, das den Kontext von Rüstung und Rüstungsindustrie be-stimmt. Es ist aber ein wichtiges Element, denn mit ihm wird Rüstung legitimiert und gesellschaftlich akzeptabel.

Andere Elemente, die als bestimmende Faktoren an-geführt werden müssen, sind industriepolitische Rahmensetzungen und sicherheitspolitische Überle-gungen. Letztere sind bereits in den Verteidigungspo-litischen Richtlinien angelegt, die, in Ablösung der Bedrohung aus dem Osten, nationale Interessen in den Vordergrund stellen. Deutschlands herausragen-de wirtschaftliche Position bedingt demnach eine besondere „Verantwortung“ zur Sicherstellung der Funktionsweise „unserer“ Wirtschaftsordnung. Na-mentlich werden die Rohstoffbedürfnisse und die Sicherung von Handelsrouten als wichtigste Elemen-te genannt. Diese politischen Vorgaben wurden von der Öffentlichkeit anfänglich nur „hingenommen“, sind aber inzwischen handlungsleitend für die deut-sche Außenpolitik geworden. Deutsche Truppen sind, so muss man deutlich formulieren, nicht im Einsatz, um Menschenrechte, Frauenrechte oder sonst ir-gendwelche humanitären Bedürfnisse zu schützen – sie sind im Einsatz, deutsche Interessen direkt abzu-sichern. Sie sind als Machtdemonstration zu interpre-tieren, diese Interessen auch mit militärischer Gewalt zu vertreten. „Bündnisverpflichtungen“ sind in die-sem Sinne nicht nur akzeptiert worden, als externer Druck, dies oder jenes zu tun oder zu lassen, sondern als durchaus konstruierte Zwangsmechanismen, die demokratische Zustimmungsmodalitäten umgehen oder gleich ersetzen sollen. Sie sind eine schleichen-de „Selbstermächtigung“ der Regierung, in Fragen von Krieg und Frieden immer weniger öffentliche Konsultationen durchführen zu müssen, sondern of-

fensiv "handlungsfähig" zu werden. Der Weg von der Identifikation einer Bedrohung bis zum Einsatz von Soldaten wird damit immer kürzer. Die neue NATO-Politik des Pooling and Sharing, aber auch Passagen im Lissabon-Vertrag sind nicht bloß von außen auf-oktroyierte Mechanismen, die eine "Bündnistreue" erzwingen, sondern von den Regierungen eingeführte Mechanismen, sich demokratischer Diskussionen zu entziehen. Die ordnungspolitischen Vorstellungen einer kleinen Elite schaffen den Rahmen dafür. Der Wille der EU und der nationalen Regierungen (allen voran der deutschen), sich militärische Kapazitäten für den weltweiten Einsatz heranzubilden, bestimmen auch ihren Blick auf die Industrie. Die großen Rü-stungsproduzenten in Deutschland, Frankreich und Großbritannien setzen dabei den Erhalt eigener Indu-strie über den anderer Länder – oder anders: der ge-wollte Abbau von „Fragmentierungen“ hat nach der Ansicht der führenden Nationen in Europa in den kleinen Ländern der Gemeinschaft zu beginnen. Aus-schlaggebende Mechanismen sind dann die Einrich-tung einer europäischen Verteidigungsagentur und die Harmonisierung eines einheitlichen Waffenmark-tes.

Die unmittelbare Folge hiervon ist die Reduktion der Systemanbieter auf dem Waffen- und Ausrüstungs-markt: Immer weniger, immer größere Konzerne dominieren das Feld. Diese sind überdies in einem immer stärkeren Maße technologisch miteinander verflochten. Der Abbau von Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie spielt sich regional unterschiedlich ab, und einzelne Konzerne stellen einen entsprechend größeren Einfluss auf bestimmte Regierungen dar.

Rüstung im regionalen Kontext – vom Zulieferer zum Systemanbieter

Es gibt noch ein zweites Ergebnis, das im Folgenden ein bisschen näher ausgeführt werden soll, markiert es schließlich den regionalen Bezug zum Bundesland Baden-Württemberg. Konzentrationsprozesse inner-halb der Rüstungsindustrie ändern auch den Status der Zulieferer in der Branche. Konnte man noch in den 1990er Jahren davon ausgehen, dass ein Großteil der notwendigen Forschungs- und Entwicklungsar-beit von den Rüstungskonzernen oder den „Waffen-herstellern“ selbst erledigt wurde und Spezialfirmen im Bereich der Metall- oder Gummiverarbeitung erst dann ins Spiel kamen, wenn es um das Abarbeiten bestimmter Aufträge ging, so haben sie heute wesent-liche Entwicklungen selbst zu erbringen. Dieser Tri-but an die Komplexität moderner Waffensysteme besteht darin, dass Module oder Teilsysteme von den kleinen Unternehmen selbst entwickelt und später von großen (System-)Anbietern zu funktionierenden Systemen verschmolzen werden. Geringe Auflagen

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10 FFE und Stückzahlen dieser Teilsysteme in der Abnahme durch Rüstungsfirmen zwingen die kleinen Firmen überdies zu einer Diversifikationsstrategie bei ihren Abnehmern. Die Folgen davon sind eine sich be-schleunigende technologische Harmonisierung der gesamten Branche und eine Vermischung ziviler und militärischer Produktion.

Der Blick in die Listen der Unternehmen die auf in-ternationalen Waffen- und Rüstungsmessen ausstel-len, offenbart viele Firmen, die vormals Zulieferer einzelner Systemanbieter waren. Ihre Messepräsenz dient der Diversifizierung der Abnehmer ihrer Pro-dukte. Sie profilieren sich dabei nicht nur als Dienstleister für einen bestimmten Produktbereich, sondern immer öfter auch mit eigenen Fortentwick-lungen auf der Basis der vormaligen Fertigung. Die bei der Produktion erworbene Expertise wird genutzt, sich als Lieferant ganzer Systeme zu offerieren. Dass hiermit der Schritt von einem Zulieferer zu einem Rüstungsunternehmen getan wird, scheint sie wenig zu stören.

Im Informationsmaterial der Firmen selbst stellen sie sich nicht selten als "kompetente", "technisch versier-te", "erfahrene" Partner der Rüstungsindustrie dar. Auf den Webseiten werben die Firmen mit dem wehrtechnischen Wissen einer Hightech-Industrie, die gleichsam als Beleg besonderer Güte in der Ferti-gung für den zivilen Bereich übertragbar ist. Dabei blendet die technische und handwerkliche Präzision eines Granatzünders dessen tödliche Wirkung aus. Der unbedarfte Umgang mit Abbildungen von Waf-fen ist aber nur ein Aspekt, ein zweiter ist der Ver-such, andere Waffenhersteller auf das Angebot der Firma aufmerksam zu machen.

Industrie in Baden-Württemberg

Das Bundesland Baden-Württemberg versteht sich als Standort von Hochtechnologie und Erfindergeist – auch im militärischen Bereich. Auch wenn Baden-Württemberg nicht als herausgehobener Standort der großen Anbieter (EADS, Kraus Maffai Wegmann, Rheinmetall) gelten kann, sind doch erstaunlich viele Firmen oder Firmenteile ansässig. Geografisch lassen sich Schwerpunkte ausmachen, die kurz angeschnit-ten werden sollen. Die Auswahl hier muss notge-drungen beschränkt bleiben und repräsentiert keinen „Überblick“ über die Produktion in Baden-Württemberg. Ziel ist es vielmehr, in ein paar Schlag-lichtern die oben dargestellten Mechanismen zu ver-deutlichen.

Oberndorf am Neckar, als bekanntester Standort ei-ner Rüstungsfirma, verdient allein schon deshalb die Aufmerksamkeit, weil die Gewehre von Heck-ler&Koch mit zu den tödlichsten Produkten der

Branche zu zählen sind. Als Exportprodukt sind sie rund um den Globus im Einsatz. Auch eine Nieder-lassung von Rheinmetall ist am Traditionsstandort zu finden – in den ehemaligen Mauserwerken werden heute u.a. Bordkanonen für den Eurofighter gefertigt. Oberndorf verdient die Aufmerksamkeit, die ihm in der Friedensbewegung und in verschiedenen Kam-pagnen entgegengebracht wird – seine herausragende Stellung dürfte wohl einzigartig für das Bundesland sein.

Wesentlich unauffälliger kommt Rüstungsproduktion an den meisten anderen Standorten daher. In Ulm beispielsweise lässt sich vielmehr das ausmachen, was man als „Kompetenzzentrum“ bezeichnen könn-te. Der Lenkwaffenhersteller MBDA fertigt und ent-wickelt in Ulm mit 70 Leuten die Systeme RAM und ESSM – zwei seegestützte Lenkwaffensysteme, die Standard innerhalb der NATO sind. Hauptsitz der Firma ist Schrobenhausen in Bayern. Die Firma selbst repräsentiert die bereits angesprochene techno-logische Verquickung unterschiedlicher Konzerne. MBDA ist im Besitz der Rüstungsgiganten EADS (Trans-EU), BAE-Systems (GB) und Finmeccanica (IT) – in sie sind ehemalige Firmen wie die LFK-Lenkflugkörpersysteme (einstmals noch Dornier und DASA) aufgegangen. Darüber hinaus ist der EADS-Konzern noch mit seiner Militärsparte Cassidian am Ort direkt vertreten und baut, angelehnt an die Kom-petenzen im Bereich Lenkflugkörper, elektronische Systeme für Kriegsschiffe und Radaranlagen. Auch eine Niederlassung von Thales, ehemals Thomson CF, einem Rüstungsunternehmen aus Frankreich, findet sich hier – es werden Wandlerröhren produ-ziert, die als Verstärker in Satelliten, Radaranlagen und Lenkflugkörpern verbaut werden. Mit AIM-Infrarotmodule ist eine weitere Firma in Ulm vertre-ten, deren Hauptprodukte ebenfalls in Lenkflugkör-pern verbaut werden, aber auch in Panzern und Kampfjets. AIM ist ein Unternehmen, das zu glei-chen Teilen zu den Rüstungsfirmen Rheinmetall und Diehl gehört. Weitere Firmen mit Militärbezug sind die Telefunken und eine Firma, die noch vor kurzem unter dem Namen Serco firmierte, inzwischen aber Steep heißt und ihr Dienstleistungsangebot Richtung Sicherheit und Militär entwickelt.

Dieses Cluster oder Kompetenzzentrum besteht somit längst nicht aus einer einzigen beherrschenden Firma, die im Zweifel auch als Kristallisationspunkt für Pro-test dienen könnte, sondern aus einer Vielzahl kleine-rer und mittlerer Unternehmen, die miteinander ver-woben und aufeinander bezogen arbeiten, aber auch als Einzelunternehmen am „Markt“ vertreten sind.

Rund um den Bodensee herum könnte man diese Aufzählung ins Unendliche Fortsetzen. Hier dominie-

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FFE 11 ren Luft- und Raumfahrt – sozusagen aus dem histo-rischen Erbe von Graf Zeppelin –, die, ähnlich wie beim obigen Beispiel Ulm, auf vielfältige Weise mit-einander verbunden sind. Andererseits gibt es am See mit MTU-Friedrichshafen einen Hersteller von Moto-ren für militärische und zivile Fahrzeuge. Heute ist MTU ein Gemeinschaftsunternehmen der Daimler AG und Rolls-Royce, also zwei Herstellern, die sich ebenfalls üppig im militärischen Feld tummeln. An der Firma lässt sich eine der vielen Lücken in den Exportrichtlinien aufzeigen: sind Motoren in Panzern verbaut, unterliegen sie den Exportrichtlinien hierfür und sind somit genehmigungspflichtig; exportiert man sie unabhängig vom Fahrzeug, so ist ihr Export nicht unbedingt anzuzeigen. Im Ergebnis finden sich z.B. MTU Motoren auch in chinesischen Panzern wieder und in einer Vielzahl von Kriegsschiffen und U-Booten weltweit – ein Bereich, wo MTU-Friedrichshafen fast schon Marktführer ist.

Aber auch die Kriegsindustrie vom alten Schlag ist am Bodensee vertreten – z.B. in Überlingen, wo die Diehl Defence BGT GmbH & Co. KG ihren Sitz hat und von dort aus die Produktion des Konzerns über-wacht. Diehl ist ein Konzern, der durch viele schein-bar unabhängige Firmen gebildet wird, die Spezial-wissen in einzelnen Bereichen erworben haben. Die Ingenieure von Diehl haben die unterschiedlichen Produkte (und Standorte) weiter entwickelt und so den Konzern zu einem führenden Anbieter von kom-pletten Systemen aber auch Teilsystemen für das Mi-litär gemacht. Im Ranking des Stockholm Internatio-nal Peace Research Institutes steht Diehl auf Platz 63 der weltweit einhundert größten Rüstungsunterneh-men.

Ein Cluster der ganz anderen Art findet sich entlang des Rheins. Ab Pforzheim aufwärts werden die Komponenten für die moderne Kriegsführung ge-baut: Detektionstechniken, Navigation, Funktechnik und vor allem Software prägen das Landschaftsbild. Das fängt in Pforzheim bei der Firma Procitec für Nachrichtentechnik an, geht über die Firma Bruker, die in Ettlingen und Karlsruhe neben Detektionssy-stemen für chemische Kampfstoffe auch Analysege-

räte für die Medizin und Umwelttechnik baut. In Karlsruhe hat zudem die Firma Comsoft ihren Sitz, die das militärische Radarnetz der Bundeswehr be-treut (auch hier existiert ein ebenfalls breites ziviles Angebot). Geht man noch weiter den Rhein rauf, lan-det man schließlich bei Walldorf, wo der Softwaregi-gant SAP gern auch Lösungen für die Bundeswehr entwickelt – in seinem Umfeld finden sich dann noch Spezialdienstleister, die Anpassungen auf spezifische Bedürfnisse einzelner Truppenteile vornehmen kön-nen.

Eng verbunden ist die Rüstungsindustrie in Baden-Württemberg mit Institutionen der Forschung, die vor allem in Gestalt der Fraunhofer Institute entlang des Rheins (Freiburg, Karlsruhe, Pfinztal und Ettlingen), aber auch mit denen des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (in Stuttgart) vertreten sind – wobei man außerdem noch das Deutsch-Französische Forschungsinstitut in Saint Louis gegenüber von Weil am Rhein erwähnen sollte. Aber auch die Hoch-schulen des Landes wie Karlsruhe, Stuttgart und Freiburg haben enge Verbindungen in die Industrie aufgebaut.

Fazit

Entscheidend, so ergab die Recherche zum Rü-stungsatlas, den die IMI 2012 herausbrachte, ist die Verflechtung dieser Bereiche, die sie flexibel für die Anforderungen moderner Kriegsführung gemacht hat. Bemerkenswert war, dass der Zwang für die kleinen Unternehmen, sich auf dem internationalen Markt anzubieten, in der Tendenz eine Verbreitung der zugrundeliegenden Techniken bedeutet – Techni-ken, die dann nicht mehr sonderlich durch Waffenex-portrichtlinien reglementiert werden. Auffällig war die unterschiedslose Vermischung der Bereiche Rü-stung und zivile Produktion, die eine „Gewöhnung“ an den Gedanken des Waffeneinsatzes markiert – auch hier sollte die Kritik ansetzen und verdeutli-chen, dass verantwortungsvolles Handeln auch die Einstellung dieser Produktionsteile erfordert und nicht nur die großer Rüstungsunternehmen.

Kirche und Rüstungsproduktion von OKR'n Barbara Bauer, Evangelischer Oberkirchenrat, Karlsruhe „Wir sind nicht solche, die Waffen tragen“

Gliederung 1. Vorbemerkungen mit biographischem Hintergrund 2. Rüstungsproduktion als aktuelles Thema für die Kirchen 3. Bestandsaufnahmen 4. Perspektiven

1. Vorbemerkungen mit biographischem Hinter-grund

1.1 Waffen als Spielzeug

Meine Mutter wurde auf einem Bauernhof groß in-mitten einer Schar von Cousins und Cousinen. Im zweiten Weltkrieg verlor sie alle, wirklich alle, männlichen gleichaltrigen Verwandten, ihren Bruder

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12 FFE und sämtliche Cousins. Das hat sie geprägt und das hat mich, das sechste ihrer acht Kinder, geprägt: Ihre Traurigkeit beim Gedenken an Verstorbene, die wir Kinder gar nicht kannten. Der Schrecken an jedem Samstag, wenn die Sirenen heulten. Und ihr kategori-sches, kompromissloses und durch nichts zu erwei-chendes Verbot von Waffen und Waffenattrappen aller Art bei uns zu Hause. Keine Spielzeugpistolen, auch keine Wasserpistolen. Keine Spiele, in denen irgendwelche Waffen vorkamen. Nicht einmal Pfeil und Bogen – versuchen Sie mal, Indianer zu spielen ohne Pfeil und Bogen! Jeden Versuch der Verharm-losung von Waffen als Spielzeug beantwortete sie in der gleichen Weise: für mein Leben ist genug Leid durch Waffen angerichtet worden. Ich kann keine mehr sehen.

1.2 Die ummauerte Stadt Berlin

Die längste Zeit meines Lebens habe ich in Berlin gelebt, davon die längste Zeit im ehemaligen West-berlin. Umgeben von einer Mauer, Stacheldraht, Wachtürmen, einem Todesstreifen. Das vorherr-schende Grau im Ostteil der Stadt beruhte nicht nur auf mangelhafter Beleuchtung, sondern war buch-stäblicher Ausdruck der militärischen Präsenz be-waffneter Männer. Wer die Transitwege nach West-deutschland benutzte, konnte, insbesondere auf dem Weg nach Hamburg, Einblick in die russischen Ka-sernengelände nehmen. Auch so etwas prägt. Es ver-hindert jeden naiven Glauben daran, dass der zweite Weltkrieg die Menschen zur Vernunft gebracht habe und künftige Konflikte ohne militärische Optionen ausgetragen würden.

1.3 Generationen aus einer Friedenskirche

Und eine dritte Vorbemerkung: Ich kenne und schät-ze eine alte Frau, die in den achtziger Jahren mit ihrer Familie aus der damaligen Sowjetunion nach Deutschland übergesiedelt ist. Sie hatten am Ural gelebt, tausende von Kilometern jenseits der alten Heimat, der sie immer durch Sprache, Kultur und insbesondere durch den evangelischen Glauben ver-bunden geblieben waren. Sie gehörten zur Brüder-gemeinde der Mennoniten und waren über die Jahr-hunderte immer weiter ostwärts ausgewichen. Diese Gemeinde und ihre verschiedenen Siedlungsorte er-klärte sie mir mit Worten, die ich diesem Vortrag als Untertitel gegeben habe:

Wir sind nicht solche, die Waffen tragen. Wenn man das von uns wollte, sind wir weiter gezogen.

Diese Konsequenz in der Lebensgestaltung einer Gemeinschaft über Jahrhunderte, die klaglose Aufga-be einer insoweit immer nur als temporär angesehe-nen Heimat aus dem tiefen Glauben, als Christen keinen Kriegsdienst leisten zu dürfen, hat mich tief

beeindruckt.

2. Rüstungsproduktion als aktuelles Thema für die Kirchen

2.1 Einige Zahlen

Sie werden die Zahlen gut kennen, ich nenne hier nur einige wenige: Nach dem Ende des kalten Krieges wurden weltweit die Rüstungsausgaben um mehr als 2.500 Milliarden Dollar gesenkt, es entstand eine gewisse Abrüstungseuphorie. Konversion von Rü-stungskapazitäten in zivile Produktlinien schien als Strukturaufgabe einen guten Weg zu weisen in eine weniger von militärischen Optionen geprägte Welt. Dieser Optimismus war verfrüht. Heute liegen die Militärausgaben weltweit fast 75% über dem Niveau von 1989. Deutschland ist der drittgrößte Waffenex-porteur der Welt nach den USA und Russland. Dem jährlich erstellten Rüstungsexportbericht der ‚Ge-meinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung’ (GKKE), der öffentlich verfügbare Informationen über die deutschen Ausfuhren von Kriegswaffen und Rüstungsgütern zusammenstellt und bewertet, ist fol-gendes zu entnehmen: Der Wert der exportierten Kriegswaffen lag 2010 mit 2,1 Milliarden Euro er-heblich über dem Stand des Vorjahres mit 1,3 Milli-arden Euro. Besonders bedenklich sind folgende Feststellungen: Griechenland und Portugal gehören in erheblichem Umfang zu den Empfängerländern. Die derzeitige Staatsschuldenkrise in beiden Ländern ist also zumindest auch dadurch bedingt, dass deut-sche Unternehmen Exportgewinne machen konnten. Rüstungslieferungen aus Deutschland gehen auch an Entwicklungsländer, bei denen nach EU-Kriterien keine Entwicklungsverträglichkeit gegeben ist. Zu den problematischsten Empfängerländern gehören die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, der Irak und Ägypten.

2.2 Wirtschaftliche Interessen und deren Gefah-ren

Worauf beruht der steigende Exportanteil, welche wirtschaftlichen Interessen bewirken eine beobacht-bare Aufweichung der Exportkontrollregelungen? Die Rüstungsindustrie in Deutschland hat die sinken-den Rüstungsausgaben der Bundesrepublik nur zum Teil genutzt, um sich durch Konversion auf andere Gewinnträger umzustellen. Stattdessen soll ein Aus-gleich durch verstärkten Export geschaffen werden. Hierzu wird von der Regierung die Lockerung von Exportbeschränkungen verlangt. Argumentiert wird dabei mit dem drohenden Verlust von know how und in dessen Folge von Arbeitsplätzen im Inland.

2.3 Und die Kirche?

In dieser Situation gehen zunehmend weltweit kon-

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FFE 13 krete Gefährdungen von deutschen Exportgütern aus. Dies geschieht sowohl unmittelbar, wenn diese in militärischen Auseinandersetzungen zum Einsatz kommen, wie z.B. Waffen der Firma Heckler und Koch in Libyen. Es geschieht aber auch mittelbar, wenn Rüstungsexporte die Verschuldensproblematik der Empfängerländer verschärfen, mit den entspre-chenden Auswirkungen auf die Armen in diesen Ländern.

Hier darf Kirche nicht einfach zusehen – und sie tut es auch nicht, wenn sie z.B. den jährlichen Rüstungs-exportbericht einer breiten Öffentlichkeit vorstellt.

Hierzu muss Kirche laut und vernehmbar Stellung nehmen – und sie tut es auch, z.B. in der Bewertung der Rüstungsexporte durch die kirchlichen Entwick-lungswerke.

Kirche muss den Menschen Kriterien geben, nach denen über verantwortbares Handeln entschieden werden kann – und sie tut es auch, wenn sie bei-spielsweise wie die badische Landessynode nach ei-nem langen Diskussionsprozess im Oktober 1990 synodal feststellt, dass mit Blick auf die Massenver-nichtungswaffen ein sogenannter „gerechter Krieg“ nicht mehr möglich ist und als Mittel der Politik aus-scheidet.

Aber reicht das aus?

Ist nicht vielmehr damit zu rechnen, dass der Druck auf die Regierungen zu aktivem eigenen militäri-schen Eingreifen zunimmt? Wir haben alle gelesen, dass die Amerikaner möglicherweise in weniger als 10 Jahren ihren Energiebedarf selbst decken können. Wenn das so ist, werden sie voraussichtlich ihre mili-tärische Präsenz im mittleren Osten verringern und auf den für sie strategisch wichtigeren Pazifikraum verlagern. Wer wird die entstehende Machtlücke fül-len? Die Europäer, weil ihre eigenen geostrategi-schen Ziele nicht mehr länger von den Amerikanern sichergestellt werden? Und welche Rolle wird Deutschland dabei spielen?

Hier ist Kirche gefragt, mitzudenken und im günstig-sten Fall sogar vorzudenken, wie es ihr beispielswei-se in der Versöhnung mit den Opfern der nationalso-zialistischen Expansionspolitik im Osten gelungen ist. Die Ostverträge der Regierung Brandt beruhen intellektuell auf einem von den Kirchen vorbereiteten Diskurs der Anerkennung der geographischen Kriegsfolgen als unumkehrbar. Erst als die endgülti-ge Aufgabe etwaiger Gebietsansprüche auf ehemali-ge deutsche Gebiete im Osten denkbar wurde, waren politische Lösungen auf beiden Seiten durchsetzbar.

Kann Kirche heute ähnliche Funktionen im öffentli-chen Diskurs zu Fragen der Rüstungsproduktion und

des Rüstungsexportes übernehmen?

Schauen wir zunächst einmal, wie Kirche – und hier im Wesentlichen die Evangelische Landeskirche in Baden – mit dieser Thematik umgeht.

3. Bestandsaufnahmen

3.1 Was wir nicht tun

Unsere Kirche produziert keine Rüstungsgüter, sie beteiligt sich auch nicht daran, sie fördert kein natio-nalistisches oder militaristisches Gedankengut, sie hetzt kein Volk gegen ein anderes auf, sie segnet kei-ne Waffen, sie redet nicht mehr vom gerechten Krieg. Sie steht ein für den Vorrang gewaltfreier Lösungs-wege in Konfliktfällen. Ungeklärt ist, ob überhaupt und ab wann militärisches Eingreifen als ultima ratio legitim ist.

3.2 Was wir planen

Unsere Landessynode plant für Juni 2013 einen Stu-dientag zu friedensethischen Fragen. Dazu wurde bereits ein Positionspapier erarbeitet und zu diesem eine Stellungnahme der evangelischen Militärseel-sorge eingeholt. Das Positionspapier beinhaltet eine deutliche Neuorientierung evangelischer Friedens-ethik: Das bisherige Grundverständnis, für Christen sei eine Beteiligung an militärischen Formen der Friedenssicherung möglich, wird aus der Perspektive der unmissverständlichen Forderung Jesu nach Ge-waltverzicht und Feindesliebe hinterfragt.

3.3 Rüstungsproduktion und kirchliche Finanzen

Auf dem Gebiet der Finanzen, zu dem Sie von der Finanzreferentin verständlicherweise nähere Anga-ben erwarten, verfolgen wir folgende Politik:

3.3.1 Kapitalanlagen

Bei Geldanlagen lehnen wir es ab, über Aktien oder Unternehmensanleihen an Gewinnen von Unterneh-men zu partizipieren, die mit mehr als 10% vom Ge-samtumsatz an der Entwicklung oder Herstellung von Rüstungsgütern im Sinne des Kriegswaffenkontroll-gesetzes beteiligt sind. Die Umsetzung dieser Vorga-ben muss jeder unserer Vertragspartner sicherstellen können.

Warum haben wir die 10%-Grenze? Im Wesentli-chen, weil eine rigoristische Praxis angesichts der Größe internationaler Konzerne und der Vielzahl von Konzernunternehmen enorme praktische Probleme in der Umsetzung aufweist. Im Rüstungsatlas Baden-Württemberg werden Rüstungsbetriebe alternativ ab 20 % und ab 10 % des Umsatzes bezeichnet. Hier gibt es keine feststehende Prozentzahl, hier müssen die unterschiedlichen Zwecke gegeneinander abge-wogen werden. Wir überprüfen in regelmäßigen Ab-

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14 FFE ständen, ob die Grenzen mit vertretbaren Auswirkun-gen heruntergesetzt werden können. Und wir lassen unser Portfolio extern auf Einhaltung dieser und an-derer Kriterien einer nachhaltigen Geldanlage über-prüfen.

Wir versprechen uns allerdings vom Ausschluss von Rüstungswerten bei kirchlichen Kapitalanlagen keine großen Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmen. Diese könnten theoretisch eintreten, wenn aufgrund einer Vielzahl von Investorenentscheidungen gegen Rüstungsproduktionsunternehmen diese in Refinan-zierungsschwierigkeiten gerieten – was angesichts des geringen, wenn auch wachsenden Anteils nach-haltiger institutioneller Investoren in Deutschland auch auf lange Sicht nicht zu erwarten ist. Dann aber stehen bereits jetzt genügend ausländische Produzen-ten bereit, diese Lücke zu füllen. Mit welchen politi-schen Kriterien beispielsweise China seine Außenpo-litik einschließlich der Exportpolitik betreibt, ist der-zeit in Afrika hinreichend zu beobachten. Deutsche Rüstungsexportfirmen argumentieren ja auch nicht völlig zu unrecht damit, dass ihre Exporte wenigstens den gesetzlichen Standards entsprächen und damit wesentlich leichter kontrollierbar seien als die von ausländischen Konkurrenzunternehmen.

Exkurs zum Zweck und zum Grundverständnis der kirchlichen Kapitalanlagen

Die Vermögensanlage ist aus unserer Sicht auch nicht das Feld, in dem wir aktiv kirchenpolitische Anliegen umsetzen. Wir betreiben sie im Wesentli-chen zur Sicherung der Altersversorgungsverpflich-tungen gegenüber den kirchlichen Bediensteten. Um diese erfüllen zu können, sammeln wir zu deren akti-ven Dienstzeiten soviel Mittel an, dass wir aus diesen zuzüglich der erzielten Erträge deren Altersversor-gung sicherstellen können. Dieses System der Kapi-taldeckung wurde unter dem Aspekt der Generatio-nengerechtigkeit eingeführt. Es löste ein Umlagesy-stem ab, nach dem jeweils per Umlage pro Kopf der aktiven Beschäftigten die Ruhestandsverpflichtungen erfüllt wurden. Ein solches Umlagesystem war zu Zeiten einer wachsenden Bevölkerung problemlos durchführbar, da jeweils mehr Jüngere zur Verfügung standen, die für die Älteren zu sorgen hatten. Bildlich gesprochen konnten die Kinder ganz gut die Lasten für die alten Eltern auf sich verteilen. Die demogra-phische Entwicklung verläuft bei uns aber seit Jahren umgekehrt: Immer älter werdenden Generationen stehen immer weniger Junge gegenüber. Um diese nicht übermäßig in ihren Lebensmöglichkeiten einzu-schränken, indem man ihnen wachsende Teile ihres Arbeitseinkommens für die Versorgung der vorheri-gen Generation entzieht, ist ein anderes System er-forderlich geworden. Nach diesem, dem sogenannten

Kapitaldeckungsprinzip, sorgt jede Generation im Prinzip für sich selbst, auch für die Zeit, in der sie nicht mehr aktiv im Berufsleben steht. Dafür werden Mittel angespart, die samt den daraus erwirtschafte-ten Erträgen für eine angemessene Versorgung in der nachberuflichen Lebensphase zur Verfügung stehen.

Dieser kleine Exkurs in die Grundbedingungen unse-rer Vermögensanlage ist nötig um zu verstehen, war-um wir überhaupt mit nicht unerheblichen Summen am Kapitalmarkt unter dem Aspekt der Gewinnerzie-lung teilnehmen. Es gibt ja durchaus ernst zu neh-mende Anfragen, ob die Einhaltung des Zinsverbotes der frühen Christenheit nicht die bessere Alternative sei. Einer solchen Auffassung und ihrer Umsetzung bringe ich durchaus Respekt entgegen. Wer so denkt und handelt, vermeidet jegliche Beteiligung an einem Wirtschaftsgeschehen, das in mancherlei Hinsicht Fragen aufwirft. Man kann damit allerdings das Pro-blem der Generationengerechtigkeit in einer altern-den Gesellschaft nicht lösen. Man verlagert damit die Altersversorgung auf die kommende Generation, die für eine immer zahlreicher und immer älter werdende Generation aufzukommen hat.

3.3.2 Die Kirchensteuer

Ich kehre zurück zur Frage, ob und wo Berührungs-punkte zwischen den kirchlichen Finanzen und der Rüstungsproduktion bestehen. Konkret nachgefragt wurde, ob wir denn nicht mit den Kirchensteuern auch Arbeits- oder sonstige Einkommen aus Rü-stungsbetrieben vereinnahmen. Das trifft zu. Die Kir-chensteuer wird errechnet als Prozentanteil der staat-lichen Lohn- und Einkommenssteuer natürlicher Per-sonen. Sie dient der Finanzierung kirchlicher Arbeit und bewirkt eine Umverteilung unter den Kirchen-gliedern: Wer hohe Einkünfte hat zahlt – nicht immer zu seiner Freude – einen wesentlichen höheren Bei-trag als Bezieher mittlerer Einkommen. Wer so ge-ringe Einnahmen hat, dass keine Steuerpflicht ent-steht, zahlt gar keine Kirchensteuer. Aus welcher Art wirtschaftlicher Betätigung das steuerpflichtige Ein-kommen entstammt, spielt für die Besteuerung keine Rolle. Als Kirchen wissen wir es auch gar nicht. Aber selbst, wenn wir es wüssten, differenzieren wir nicht nach der Herkunft der Mittel. Es wäre dem We-sen einer Steuer fremd, im Einzelfall nach der mora-lischen Bewertung der Einnahmequelle zu befinden. Wer sollte das auch entscheiden und nach welchen Kriterien? Ist der Bauarbeiter, der Einkommen aus dem Bau einer Kita versteuert, stärker heranzuziehen als der, der eine Autobahn baut oder durch den Ei-genheimbau die Landschaftszersiedelung unterstützt? Bleibt der Lkw-Fahrer kirchensteuerfrei, während der Lokführer Kirchensteuern zahlen darf? Sie sehen, dieses sind befremdliche Gedanken und darum ver-

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FFE 15 lassen wir die Frage auch gleich wieder, ob die Kir-che nicht die Herkunft der Einkünfte überprüfen müsste, die der Kirchensteuer zugrunde liegen.

3.3.3 Dienstleister der Kirche und deren Verhält-nis zur Rüstungsindustrie

Eine weitere Anfrage bezog sich auf die Frage, ob wir auch Geschäftsbeziehungen zu Banken unterhal-ten, die ihrerseits Rüstungsbetriebe finanzieren. Dazu kann ich zunächst die allgemeine Antwort geben, dass wir unsere Geschäftspartner grundsätzlich nicht danach aussuchen, mit wem sie sonst noch in Ge-schäftsbeziehungen stehen. Wir achten auf ein ad-äquates Preis-Leistungs-Verhältnis, wir bemühen uns im Einkauf um Produkte, die unter dem Gesichts-punkt des nachhaltigen Wirtschaftens akzeptabel sind. Wir lassen uns bei Dienstleistern in gefährdeten Branchen wie dem Reinigungsgewerbe oder dem Bau zusichern, dass die Arbeitsverhältnisse versiche-rungspflichtig gestaltet werden – aber wir prüfen im Prinzip nicht nach, wer die anderen Kunden unserer Vertragspartner sind. Es kann also sein, dass bei uns eine Reinigungsfirma arbeitet, die auch einen Rü-stungsbetrieb zum Kunden hat. Genauso kann auch eine der Kapitalanlagegesellschaften, mit der wir Ge-schäftsbeziehungen haben, einen Rüstungskonzern zum Kunden haben. Oder es kann tatsächlich eine der Banken, mit der wir zusammen arbeiten, beispiels-weise die Landesbank Baden-Württemberg, Kredite an Unternehmen geben, die in der Rüstungsprodukti-on tätig sind. Die deutschen Kirchen haben hiervon m. W. einmal eine wohl begründete Ausnahme ge-macht: Das waren in den 1980er-Jahren die Ge-schäftsbeziehungen zur Deutschen Bank als einer der Refinanzierer des Apartheid-Systems in Südafrika. Dieser Boykott war eine gezielte, international umge-setzte Maßnahme zur Schwächung der damaligen südafrikanischen Regierung, die man heute als klei-nes, erfolgreiches Mosaiksteinchen in einem großen internationalen und nationalen Aufstand für die Be-freiung der schwarzen Mehrheit von der Unterdrüc-kung durch die weiße Minderheit betrachten kann. Ob ähnliche Voraussetzungen heute für die Finanzie-rung von Rüstungsgütern vorliegen, darüber können wir gerne später ins Gespräch kommen.

4. Perspektiven

Der gesamte Umsatz deutscher Rüstungsproduktion macht weniger als 1% vom Bruttoinlandsprodukt aus. Weniger als 3% der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse stellt diese Branche.

Nach einer Umfrage des Emnid-Institutes im Oktober 2011 lehnt eine große Mehrheit von 78 % der deut-schen Bevölkerung Rüstungsexporte ab; 73% spre-chen sich für ein ausdrückliches Verbot des Kriegs-

waffenexports aus.

Und da sollte es nicht möglich sein, Veränderungen zu bewirken?

4.1 Veränderungen auf bundespolitischer Ebene

Es gibt bereits sehr konkrete Forderungen an die Bundesregierung, u. a. von der bereits benannten Gemeinsamen Konferenz für Kirche und Entwick-lung. Dazu gehören

• schärfere Kriterien für Rüstungsexporte, • gesetzliche Verbote zur Finanzierung der Pro-

duktion von Streubomben und Antipersonenmi-nen,

• größere Transparenz in Genehmigungsverfahren für Rüstungsexporte.

Diese werden in erster Linie auf der Ebene der EKD zu diskutieren und umzusetzen sein. Eine Landes-synode kann sie sich aber zueigen machen und dies mit den Bundestagsabgeordneten kommunizieren, deren Wahlkreise auf ihrem Gebiet liegen.

4.2 Veränderungen in den Köpfen der Menschen

Der Konversionsforscher Professor Herbert Wulf benannte als schwierigste Aufgabe für einen erfolg-reichen Prozess des Strukturwandels von Rüstungs-betrieben zu zivilen Produkten, das Denken der Be-schäftigten in den Rüstungsbetrieben zu verändern.

Wer, wenn nicht die Kirche, kann hier den Anfang machen, in dem sie Menschen an einen Tisch bringt, verständliche Ängste vor Veränderung, vor Gehalts- oder gar Arbeitsplatzverlusten aufnimmt und die nö-tige Gesprächsfähigkeit dazu erzeugt?

In Baden haben wir in der Rheinebene zwischen Mannheim und Karlsruhe sowie in der Region am Bodensee etliche Unternehmen, die aufgrund ihrer hervorragenden technologischen Leistungen Aufträge für die Rüstungsindustrie abwickeln. Sollte es da nicht möglich sein, genauer nachzufragen, welche Produkte oder Dienstleistungen wofür zum Einsatz kommen? Um zugleich zu klären, wie genau sicher-gestellt wird, wer der Empfänger ist und welche Al-ternativen bei dem bestehenden hohen technologi-schen Niveau denkbar sind. Und um dadurch Ergeb-nisse hervorzubringen, auf die alle stolz sein können und von denen sie mit ihren Familien leben können.

In der Bodenseeregion gibt es bereits eine län-derübergreifende Initiative für eine rüstungsfreie Zo-ne. Sind das Traumtänzer angesichts der Konzentra-tion von rüstungsrelevanten Betrieben – oder ist es nicht auch ein Beitrag zur Transformation in zu-kunftsgerichtete, weltmarktfähige, zivile Technologi-en?

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16 FFE Diese und viele weitere Fragen kann Kirche vor Ort stellen. Für viele auch und gerade der in ihrer Ar-beitsplatzsituation betroffene Menschen dürfte es sogar eine Erleichterung sein, wenn endlich darüber gesprochen wird.

4.3 Schließungsplan der Bundeswehr

Der Schließungsplan der Bundeswehr ist für die be-troffenen Orte in Baden-Württemberg bekannt. Hier stehen die Kommunen vor Herausforderungen, die gelingen, aber auch misslingen können. Kirche könn-te ihre Infrastruktur und ihr Wissen um kommunika-tive Prozesse zur Verfügung stellen, möglichst viele Menschen vor Ort in die Entscheidungsprozesse ein-zubinden. Konversion kann so zum Wohl der Men-schen werden, die davon betroffen sind.

4.4 Friedenskrippen

Ich habe einmal den Gedanken der Friedenskirchen für mich aufgegriffen und weiter gesponnen. Wenn ganze Kirchen es über Jahrhunderte schaffen, Ge-waltverzicht zum konstitutiven Teil ihrer Existenz zu machen, sollten wir es dann nicht wenigstens schaf-fen, Elemente davon in unsere kirchlichen Strukturen zu integrieren? In meinem Kopf entstand das Bild von „Friedenskrippen“ in der badischen Landeskir-che und gern darüber hinaus.

Ausgangspunkt ist das Kind in der Krippe. Um dies und seine Botschaft versammeln wir uns. Menschen, die dieser Botschaft zutrauen, bestehende Konflikte anders als gewaltförmig zu bearbeiten, entwickeln jeweils ihre eigenen Formen, wie dies bei ihnen vor Ort aussehen könnte. Die einen befassen sich mit den biblischen Botschaften zur Friedensethik. Sie laden dann vielleicht zu einem Abend über gewaltfreie

Konfliktbewältigung ein oder sprechen andere Ge-meindeglieder auf die Möglichkeiten eines zivilen Friedensdienstes an. Andere befassen sich mit Rü-stungsproduktion und Rüstungskonversion und laden Beschäftigte von Rüstungsbetrieben dazu ein. Oder Sie organisieren einen Vortrag mit der Schirmherrin der „Aktion Aufschrei - stoppt den Waffenhandel“, Frau Dr. Margot Käßmann. Wieder andere suchen Orte in der Welt auf, an denen die Folgen militäri-scher Auseinandersetzungen zu besichtigen sind und berichten darüber. Einige studieren den Rüstungsex-portbericht der GKKE und suchen das Gespräch mit den hiesigen Bundestagsabgeordneten darüber. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. So bunt wie unsere Kirche ist, so bunt werden die Ideen sein. Allen gemeinsam ist das Zutrauen in die Botschaft des Kindes, von dem im Lobgesang des Zacharias erbeten und angekündigt wurde:

…,und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.

Friedenskrippen könnten Kristallisationspunkte eines friedenspolitischen Engagements innerhalb der Kir-chen sein. Die württembergische Synode hat sich bereits deutlich positioniert und eine Initiative zur Rüstungskonversion gestartet. Die bayerische Lan-deskirche befasst sich mit der Thematik. Unser Bei-trag aus Baden könnte sein, Formen zu entwickeln, in denen das kirchliche Engagement aus dem Glauben erkennbar wird an konkretem Handeln. Und wenn an diesen Krippen dann auch die Wortbedeutung als Aufgabe angenommen wird, dass nämlich ein gutes Essen bereitsteht, dann wird Kirche rundum erfahrbar als Wohltat für Leib und Seele.

Nun freue ich mich auf Ihre Reaktionen im Gespräch und danke Ihnen für Ihre lange Aufmerksamkeit

Ergebnisse der drei Arbeitsgruppen

"Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel" von Renate Wanie, Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Heidelberg

Aktionsbeispiele aus der Kampagne Aufklärung

• Vorträge • Infostände, Flyer verteilen • Mahnwachen vor Waffenproduzenten und Rü-

stungszuliefer-Firmen • Sandwichs mit Slogans • Transparente mit Appellen und Alternativen

zur Rüstungspolitik (ZKB) • Quizfragen zur Waffenproduktion und der

Entwicklung von Rüstungsexporten – auszufüllen am Infostand oder zum

Mitnehmen

• Auflisten der Waffenproduzenten oder Zulie-ferbetriebe

• Waffendeals öffentlich machen • Diskussionveranstaltungen, Zeugenreisen mit

ReferentInnen z.B. aus einem afrikanischen Land (z.B. mit Emanuel Matondo)

• Politische Nachtgebete Waffen-Unternehmen verklagen

Aktivitäten -> Bundestag, Stadtverwaltungen • Diskussionsveranstaltungen mit MdBs • BürgerInnen-Petition (z.B. von der Online-

Initiative Avaaz)

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FFE 17

• Appell an Bundestagsabgeordnete überreichen mit der Bitte um Weiterleitung an

• BK Merkel (z.B. während eines Kreisparteita-ges wie in Freiburg)

• Neujahrsempfänge für Auftritte nutzen: Flug-blätter verteilen, Unterschriften

• Sammeln (z.B. den Oberbürgermeister unter-schreiben lassen wie in Mannheim)

Protestaktionen vor Ort • gegen Waffenschauen • auf Job for Future – Messen am Stand der

Bundeswehr (wie z.B. in Mannheim) • vor Infoständen der Bundeswehr • Briefe an Institutionen, die von einer Rü-

stungsfirma gesponsert werden (Bsp. Boden-see)

Straßenaktionen • Sprechchöre mit Appellen auf hochgehaltenen

Schildern • Kleine Drohnen-Modelle auf Fahrradhelme

gesteckt und aufgesetzt • Panzer Leopard – Modell kleinformatig nach-

bauen

• Riesengewehr bunt bekleben – Friedenszei-chen draus machen

• Nachbau eines Gewehrs im Großformat und in Szene setzen (wie in Heidelberg)

• Radtouren mit Pacefahnen und anderen Trans-parenten

• Kulturprogramme an den Protestorten (Musik von der „Lebenslaute“ u.a.)

• „Panzer an die Leine!“, über 100 Panzer-Fotos an Seilen aufhängen und durch die Innenstadt ziehen (wie z.B. Freiburg)

• Legte den Leo an die Kette! – mehrere Panzer-fotos mit Ketten verbinden

• Potentielle prominente UnterstützerInnen an-sprechen, Einzelpersonen oder z.B. Gewerk-schaften

Druck machen • Kontinuierliches Sammeln von Tausenden Un-

terschriften • Aktionen Zivilen Ungehorsams (z.B. Blockaden

vor Rüstungsbetrieben, Rathäusern, Bundestag-zufahrtswegen)

• Kampagne in der Kampagne konzipieren (wie z.B. zeitlich befristete Aktionen von „Legt den Leo an die Kette!“)

Alternativen zum Militär – Zivile Konfliktbearbeitung von Dr. Anthea Bethge, Ge-schäftsführerin EIRENE Internat. Christlicher Friedensdienst, Neuwied

Vorbemerkung: Das Gespräch in der Arbeitsgruppe basierte auf Bildern und Geschichten und ist nur un-zureichend durch diesen Text wiedergegeben.

Was braucht der Frieden?

Herrschen in einer Region Gewalt, Unrecht, Not und Unfreiheit, so braucht es Arbeit für den Frieden. Friedensarbeit bewirkt einen Prozess innergesell-schaftlichen oder internationalen Wandels, der der Gewalt immer mehr absagt und die friedliche Koexi-stenz fördert.

Der Frieden braucht einen Dienst, der die Feindbilder im Kopf und den Hass im Herzen durch das Erken-nen des gottgeliebten Menschen im Gegenüber er-setzt. Der Frieden braucht Räume der Begegnung, in denen Mitmenschlichkeit und die Freude an der Ge-meinschaft erfahren wird.

Der Frieden braucht einen Dienst, der partizipative Prozesse in der Machtausübung und transparente Re-chenschaft darüber einfordert.

Der Frieden braucht einen Dienst, der aus Rivalen in der Nutzung von knappen Ressourcen Kooperations-partner bei der gerechten Verteilung derselben macht.

Der Frieden braucht die Heilung der persönlichen und gesellschaftlichen Verletzungen und Traumata.

Der Frieden braucht diesen Dienst in Friedenszeiten, damit es nicht zu gewaltsamen Auseinandersetzun-gen kommt. Der Frieden braucht diesen Dienst inmit-ten der Gewalt, um der Eskalation Einhalt zu gebie-ten und die Gewalt zu überwinden. Der Frieden braucht diesen Dienst nach der Gewalt, damit sie nicht von neuem ausbricht.

Was macht zivile Konfliktbearbeitung?

Konfliktbearbeitung: Es geht darum, Konflikte zu analysieren und Wege ihrer Bearbeitung zu finden, diese zu begehen und schließlich nicht nur den Sach-grund des Konfliktes gerecht zu regeln, sondern auch die Beziehungen der Parteien so zu fördern, dass sie kooperationsfähig sind.

Zivil: Nicht nur sind die Mittel zivil, also nicht-militärisch, sondern auch die Akteure sind zivil in dem Sinne, dass sie sich als Teile der Zivilgesell-schaft verstehen.

Zivile Konfliktbearbeitung, wenn sie rechtzeitig an-setzt, hat die Chance, Konflikte der Bearbeitung zu-

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18 FFE zuführen, bevor sie gewaltsam werden. Sie kann also Gewalt-präventiv wirken. Typischerweise allerdings tritt diese Wirkung nur in dem Sinne ein, dass keine weitere Gewalt passiert.

Zivile Konfliktbearbeitung wirkt typischerweise mit-ten in einem Konflikt zunächst Gewalt-reduzierend und dann Gewalt-beendend.

Zivile Konfliktbearbeitung hat auch Methoden ent-wickelt, vor, während und nach der Beilegung des Konfliktes zur Entfeindung beizutragen und Indivi-duen und gesellschaftlichen Gruppen zur Heilung zu verhelfen. Dieser kurative Ansatz hat eine nicht zu unterschätzende präventive Wirkung, da Sachlösun-gen allein nicht zufrieden machen.

Beispiele

Entfeindung

• In Situationen, in denen Hass-Propaganda die Menschen gegeneinander aufhetzt, ist Friedens-journalismus ein wichtiges Gegenmittel. Im Frie-densjournalismus ausgebildete Medienschaffende berichten von allen Ereignissen so, dass gesell-schaftliche Klüfte und Vorurteile gegen Gruppen nicht verstärkt werden.

• In bereits bewaffneten Konflikten sind Waffen-tragende zumeist Täter schrecklicher Gewalt. Den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährlei-sten, ist zumeist schwierig bis unmöglich – übri-gens auch mit militärischen Mitteln. Deshalb ist es wichtig, Kontakte zu den Waffentragenden aufzubauen und sie zur Rückkehr in ziviles Le-ben zu bewegen.

• In Burundi werden die Gewaltakte der Vergan-genheit vertuschend „Ereignisse“ genannt. Eine Karawane von JournalistInnen reist durchs Land zu den Orten der Gewaltakte und zeichnet Inter-views mit Augenzeugen auf. Diese Dokumenta-tionen werden zu den andern Orten mitgenom-men. So entsteht langsam ein gemeinsames Wis-sen und Nachdenken über die Geschichte des Landes und die Rolle der jeweils Regierenden.

Funktionierende und akzeptierte Verfahren der Konfliktbearbeitung

• Im Kongo und in vielen anderen konfliktiven Staaten gibt es zwar auf dem Papier einen Rechtsstaat nach westlichem Vorbild mit Geset-zen und Gerichtswesen, allerdings ist er zu schwach und zu korrupt, um zu funktionieren. Die Bevölkerung kann dort keine gerechte Lö-sung ihrer Konflikte erwarten und versteht ihn deshalb nicht als Beitrag zur Konfliktbearbei-tung. Deshalb ist es wichtig, funktionierende und

akzeptierte (typischerweise traditionelle) Wege der Konfliktbearbeitung zu erkunden und der Bevölkerung erneuert anzubieten. Öffentlich ta-gende Schlichtungskommissionen für in diesem Umfeld begangene zivilrechtliche oder straf-rechtliche Delikte sind üblicherweise sehr effek-tiv, wenn sie partizipativ besetzt werden.

• Die fehlenden sozialen und politischen Perspek-tiven für Jugendliche, vor allem junge Männer, lassen in vielen Gesellschaften scheinbar nur ein Auskommen in der Migration oder im Banden-wesen. Den Jugendlichen durch Friedensbildung Alternativen zu bieten und sie zu verantwor-tungsbewusstem Handeln in ihren Gesellschaften zu bewegen, mindert Gewalt und fördert kon-struktive Konfliktlösungen und damit Entwick-lung.

Menschenrechtsarbeit

• Es ist ein auch wieder auf dem Balkan beobach-tetes Phänomen, dass in der Nachkriegszeit die Gewalt gegen Frauen (Vergewaltigung und Mord) stark ansteigt. Zivile Konfliktbearbeitung nimmt alle gesellschaftlichen Gewaltformen in den Blick. Friedensarbeit und Menschenrechtsar-beit gehen darin zusammen und dürfen nicht ge-geneinander ausgespielt werden.

Best practices

• Es ist eine leider immer wiederkehrende Erfah-rung, dass internationale Investoren der Rohstoff-industrien rund um die Minen einen Elendsgürtel bewirken, keinen Speckgürtel. Zivile Konfliktbe-arbeitung kann der betroffenen Bevölkerung und den Investoren dazu verhelfen, ins Gespräch zu kommen. Es gibt Beispiele, wie Sozial- und Umweltstandards international auszuhandeln sind. Es gibt Erfahrungen, welche Entschädi-gungsmodelle scheitern.

• Die Demobilisierung von Rebellen, insbesondere von Kindersoldaten, braucht in der Bevölkerung akzeptierte Verfahren und Rahmenbedingungen. Die Vorbereitung der aufnehmenden Gesellschaft ist dabei mindestens genauso wichtig wie die Vermittlung von Friedens-Skills an die Soldaten.

Gibt es eine „große Strategie“?

Die oben beschriebenen Beispiele zeigen, dass die zivile Konfliktbearbeitung ein weites Feld ist. Die allen Bereichen gemeinsame Strategie ist, den Akteu-ren Alternativen zum Gewalteinsatz bei der Bearbei-tung von Konflikten anzubieten. Diese Alternativen müssen von den Akteuren akzeptiert werden, damit sie wirken.

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FFE 19 Ist Militär eine Alternative?

Zivile Konfliktbearbeitung bewältigt Aufgaben, die Militär nicht leisten kann. Insofern ist Militär gar keine Alternative zu ziviler Konfliktbearbeitung. Zi-vil-militärische Zusammenarbeit ist keine Option, solange das Militär sich Gewalt als Option offenhält.

Humanitäre Korridore sind genau dies: Korridore für den Transport von Humanitärer Hilfe oder die Flucht der Zivilbevölkerung. Sie sind nicht das Feld, auf dem Zivile Konfliktbearbeitung stattfindet, die den Kontakt zu den Konfliktparteien sucht und die die Zivilbevölkerung als Akteure eines Friedensdienstes hat.

Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein – Die Abschaffung des Krieges als kirchliche Aufgabe? Das badische Positionspapier zur Friedensethik Thesen zur Vorstellung von „internationalen Polizeieinheiten“ von Rechtsanwalt Ullrich Hahn, Internationaler Versöhnungsbund, Villingen Als Lösung für die „Schutzlücke“ bedrohter Bevölke-rungsteile für den Fall der Abschaffung von Militär wird in Stellungnahmen der Kirchen und auch von Friedensorganisationen die Aufstellung „internatio-naler Polizeieinheiten“ unter dem Dach der UN vor-geschlagen.

Kritisch hierzu ist anzumerken:

1. Es gibt keine klare Abgrenzung zwischen Militär und Polizei. Auch in Deutschland sind diese Grenzen bis in das 20. Jahrhundert hinein fließend gewesen und erhielten erst unter dem Grundgesetz eine klare Abgrenzung, die aber seit einigen Jahren wieder in Frage gestellt wird. International sind die Vorstellungen hierzu sehr uneinheitlich. In vielen, auch westlichen, Rechts-ordnungen werden beide Institutionen oft unter dem Begriff der „Sicherheitskräfte“ zusammen-gefasst und überlappen sich sowohl bezüglich ih-rer Einsatzbereiche als auch bezüglich ihrer Be-waffnung.

2. In Deutschland hatte sich der moderne Polizeibe-griff im Laufe des 19.Jahrhunderts herausgebil-det mit einigen Einsatzgrundsätzen, die sie vom Militär unterscheiden sollten: a. Eingriffe in Freiheit und Eigentum nur auf ge-setzlicher Grundlage, b. Wahrung der Verhältnismäßigkeit, c. Gewaltmaßnahmen nicht gegen Unbeteiligte, d. Kontrolle durch eine unabhängige Justiz. Nach 1945 kam als weiterer Grundsatz die Ab-grenzung zu den Geheimdiensten hinzu: die Poli-zei sollte offen agieren; Geheimdienste hatten keine Eingriffsbefugnisse. Diese Grenzen sind in der Entwicklung der letz-ten Jahre aufgeweicht worden sowohl durch die zwischenzeitlich erlaubte Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizei, die Vermummung

polizeilicher Einheiten, die Erweiterung der Einsatzmöglichkeit der Bundeswehr auch im In-neren und die Bezeichnung der Einsätze des Mi-litärs im Ausland als „Vollzug von Polizeiaufga-ben“.

3. Neben ihren Funktionen von Sicherheit und Ord-nung hatte und hat die Polizei immer auch die Aufgabe der Herrschaftssicherung. Hierzu dienen insbesondere die kasernierten Po-lizeieinheiten (Bereitschaftspolizei), die militä-risch ausgerüstet und organisiert sind. Im 19. Jahrhundert wurden diese Einheiten zum Teil „Schutzmannschaften“ genannt. Vergleich-bare Einheiten gibt es auch in anderen westlichen Ländern. Im 2. Weltkrieg wurden von deutscher Seite Po-lizeibataillone zur Sicherung und „Säuberung“ der besetzten Gebiete eingesetzt. Auf ihr Konto gehen nicht weniger Menschenrechtsverbrechen als bei der Waffen-SS.

4. Eine Abgrenzung der Polizei vom Militär ge-schieht weniger durch Rechtsbegriffe als viel-mehr durch die Art der Bewaffnung. Soweit die kasernierten Polizeieinheiten auch mit Kriegswaffen ausgerüstet sind, sind sie in ihrer Wirkung nur wenig vom Militär zu unterschei-den. Insbesondere für die angedachten „internationa-len Polizeieinheiten“ hängt deren Bewaffnung ganz von den an sie geknüpften Erwartungen ab: Sollen diese „Polizeieinheiten“ auch gegen mit Kriegswaffen ausgerüstete Verbände kämpfen können, werden sie gleichfalls mit Kriegswaffen ausgerüstet sein und unterliegen dann auch den damit einhergehenden kriegsähnlichen Einsatz-kriterien. Die Rüstung und Ausrüstung solcher Einheiten wird dann auch vom worst-case-Denken geprägt: die Bewaffnung sollte immer besser sein als die der „bösen Seite“.

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20 FFE 5. Eine rechtsstaatliche Struktur zur Kontrolle sol-

cher Einsätze ist im Weltmaßstab kaum denkbar. Schon in Deutschland werden alltägliche Über-griffe von Polizeibeamten und -Einheiten kaum justiziell geahndet. In der Regel verhindert der in der Polizei beste-hende Chorgeist eine Anzeige und damit auch ei-ne Ahndung von Übergriffen, so dass Bürger-rechtsorganisationen unabhängige Kon-trollinstanzen gegen die Polizeigewalt fordern. Beim internationalen Einsatz fehlt i.d.R. jede rechtsstaatliche Struktur vor Ort (Haft- u. Ermitt-lungsrichter, Presse, eine kritische Öffentlich-keit). Schon jetzt ist der Internationale Strafgerichtshof nicht in der Lage, auch nur einen winzigen Anteil derjenigen Straftaten zu ahnden, für die er ur-sprünglich gedacht war.

6. Im alltäglichen Einsatz prägt die mitgeführte Waffe das Verhalten im Konflikt. Auch als Re-servemittel (ultima ratio) schränkt sie die Mög-lichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung im Denken ein. Die Waffe wird damit zur Gefahr für das Leben des Gegenübers aber auch für den Polizeibeam-ten selbst. Etwa 90 % aller Suizide von Polizeibeamten werden durch die Dienstwaffe vollzogen.

7. Wie die Realität zeigt, wäre auch eine Polizei ohne tödliche Waffen funktionsfähig. Auch bei der Aufklärung von Straftaten und der Verfolgung von Straftätern werden Waffen in den seltensten Fällen gebraucht, obwohl ihr Ge-

brauch nach geltendem Recht zulässig ist. Bei einem Bestand von ca. 245.000 Polizisten in Deutschland wurde 2010 in 37 Fällen gezielt auf einen Menschen geschossen. Dabei wurden 8 Menschen getötet und 23 verletzt. 59 Mal wur-den Warnschüsse abgegeben. Andererseits sind in den 30 Jahren von 1982 – 2011 118 Polizisten bei gewaltsamen Angriffen getötet worden. Jeder einzelne dieser Fälle ist Anlass für Trauer und Empörung; insgesamt prägt der Einsatz von Schusswaffen aber bei weitem nicht den Alltag der Polizei, ganz im Gegensatz zur landläufigen Vorstellung, die sich eher an amerikanischen Filmen orientiert. Wichtiger als eine Waffenausbildung wäre für die Polizisten eine weitergehende Ausbildung in Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung (nach einer Untersuchung waren 75 % aller Blaulicht-einsätze der Polizei in Stuttgart-Mitte innerfami-liären, häuslichen Konflikten geschuldet).

8. Ganz ohne Zweifel ist die Beschränkung der üb-lichen Polizeiwaffen auf solche, die sich nur ge-gen einzelne Menschen richten und keine groß-flächige Wirkung haben, ein gewaltiger Fort-schritt gegenüber den Kriegswaffen und ihrer massiven Wirkung auf unbeteiligte Menschen („Kollateralschäden“). Dennoch gilt: jede tödliche Waffe widerspricht dem Liebesgebot der christlichen Botschaft. Jesus steht nach meiner Glaubensüberzeugung immer und ausschließlich auf der Seite der Un-bewaffneten.

FFE-Pressemitteilung zum Studientag vom 24.11.2012 von Dr. Wilhelm WilleAm Samstag, dem 24.11.2012, hat das Forum Frie-densethik in der badischen Landeskirche (FFE) ge-meinsam mit der Arbeitsstelle Frieden beim Oberkir-chenrat und der Evangelischen Erwachsenenbildung (Karlsruhe) einen Studientag durchgeführt zum The-ma

Der Tod, ein Meister aus Baden-Württemberg - Rüstung und Rüstungsexport als Anfrage an die Kirche.

Bei der Begrüßung der 52 TeilnehmerInnen im Na-men des Leitungskreises des FFE meinte Dr. Wilhelm Wille, es sei zu fragen, ob die global ausgreifende militärgestützte Sicherheitspolitik von NATO und EU, die uns gleichsam als „Löschmittel“ für Krisen aller Art angedient wird, nicht faktisch eher als „Brandbeschleuniger“ wirke. Die offiziellen Begrün-dungen dieser Politik erinnerten in fataler Weise an

die Argumente, mit denen die Rüstungsbefürworter des „Flottenvereins“ vor dem ersten Weltkrieg in Deutschland arbeiteten: „Wahrung des Rechts auf allen Meeren“ und „Schutz dem Frieden der Welt“.

Der in Genf bei der UNO akkreditierte Journalist An-dreas Zumach steckte den politischen Rahmen ab, der sich für Rüstung und Rüstungsexporte mit der Umwandelung der Bundeswehr in eine global agie-rende Interventionstruppe ergibt. Dr. Andreas Seifert von der Informationsstelle für Militarisierung (Tü-bingen) konkretisierte die Herausforderung des The-mas mit einem materialreichen Referat über die Rü-stungsindustrie in Baden-Württemberg. Oberkirchen-rätin Barbara Bauer (Karlsruhe) ging in ihrem Refe-rat der Frage nach, ob und in wiefern Kirche als Pro-fiteur der dort anfallenden Profite anzusehen sei.

In drei Arbeitsgruppen wurde am Nachmittag über-

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FFE 21 legt, welche Alternativen zum bedrohlichen Status quo möglich sind. Eine von Renate Wani (Heidel-berg), Geschäftsführerin der „Werkstatt für gewalt-freie Aktion“, geleitete Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit laufenden Aktionen gegen Rüstungsexporte, schwerpunktmäßig mit dem breiten Bündnis der Frie-densbewegung, der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel.“

In zwei weiteren Arbeitsgruppen ging man davon aus, dass der sich globalisierende militärisch-industrielle Komplex immer versuchen wird, bloße Begrenzungen von Rüstung und Rüstungsexporten zu unterlaufen. Rüstungsbegrenzung muss als Schritt verstanden und entsprechend gestaltet werden - auf dem Weg hin zur grundsätzlichen Abkehr von mili-tärgestützter Sicherheitspolitik.

Mit ziviler Konfliktbearbeitung als einer relevanten Alternative zum Militär beschäftigte sich daher ein Arbeitsgruppe unter Leitung von Dr. Anthea Bethge (Neuwied), Geschäftsführerin des Internationalen Christlichen Friedensdienstes EIRENE.

Mit einer weiteren Arbeitsgruppe diskutierten Ulrich Hahn (Villingen), Präsident des deutschen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes, und Diet-rich Becker-Hinrichs (Bretten), Vorstandsvorsitzen-der des Trägervereins "Gewaltfrei Leben Lernen" der

"Werkstatt für gewaltfreie Aktion in Baden", das Thema im Kontext der in der badischen Landeskirche neu in Gang gekommenen Diskussion über die Not-wendigkeit eines grundsätzlichen Nein der Kirche zum Krieg. Das Positionspapier der badischen Lan-deskirche, das diesem Diskussionsprozess zugrunde liegt („Richte unsere Füße auf den Weg des Frie-dens“ - Entwurf eines Positionspapiers zur Friedens-ethik der Evangelischen Landeskirche in Baden), drängt einerseits auf eine Ende des Exports von Kriegswaffen, wirbt darüber hinaus aber für die Posi-tion „Der Krieg muss ein für allemal geächtet wer-den! Er darf für Christen nicht mehr zu den Hand-lungsoptionen gehören.“

In der abschließenden Podiumsdiskussion der Refe-rentInnen wurde unterstrichen: Bei den anstehenden Diskussionen um eine eindeutigere friedensethische Positionierung der Kirche ist nicht der einzelne Sol-dat oder Mitarbeiter eines Rüstungsbetriebes das Problem. Zu kritisieren ist vielmehr die zunehmende Gewöhnung an eine Politik, die Kriege wieder führt, zwar mit humanitärem Anspruch aber tatsächlich zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen.

(siehe auch http://kirchennetz.org/ekika/content01/archive.php?pos=10&rubric=14 )

FFE-Mitgliederversammlung 2012Tagesordnung (16 Teilnehmende) 1. Arbeitsbericht des Leitungskreises 2. Finanzbericht für 2011 3. Aussprache über die Berichte

4. Anregungen für die Weiterarbeit des Leitungs-kreises

5. Bestätigung der Zusammensetzung des Leitungs-kreises

Arbeitsbericht des FFE-Leitungskreises für den Zeitraum 29. Oktober 2011 bis 24. November 2012 von Dr. Dirk-M. Harmsen

Sehr herzlich begrüßen möchte ich den Ehrenvorsit-zenden des FFE-LK, Herrn Dr. Albert Schäfer aus Hamburg, der im Jahr 2000 eine der treibenden Kräf-te war für die Gründung des Forums Friedensethik.

Der Leitungskreis traf sich seit der Mitgliederver-sammlung 2011 insgesamt fünf mal: am 09.01.12, 26.03.12, 18.06.12, 16.07.12 sowie am 24.09.12. Er tagte in den Räumen des Evangelischen Oberkirchen-rats in Karlsruhe, dank der freundlichen Unterstüt-zung der Abteilung "Mission und Ökumene" im EOK (Kirchenrätin Susanne Labsch und Pfarrerin Anne Heitmann).

Folgende Themen standen zur Diskussion: - Rückblick auf den FFE-Studientag 2011 - Konsequenzen aus dem Studientag 2011 mit Pfr.

Dr. Mitri Raheb (z. B. Überlegungen zu einer

möglichen Partnerschaft zu ICAHD (Israelisches Komitee gegen Häuserzerstörung - Israeli Com-mittee Against House Demolitions) oder zu ande-ren Gruppen der israelischen Friedensbewegung)

- Bericht Dr. W. Wille über seine Teilnahme an der Internationalen Konferenz in Bethlehem, De-zember 2011, "Kairos for Global Justice" mit Be-such in Hebron und Ost-Jerusalem

- Inhalte der nächsten FFE-Rundbriefe (in mehre-ren Sitzungen)

- Stand der Eingabe des Arbeitskreises Frieden an die Bezirkssynode Breisgau-Hochschwarzwald sowie an die Landessynode zur "Neuorientierung der evangelischen Friedensethik an den bibli-schen Kernaussagen des christlichen Glaubens" (in mehreren Sitzungen)

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22 FFE - Einrichtung einer FFE-Arbeitsgruppe "Kirche

und Rüstung" auf Anregung von Dr. Ullrich Lochmann (hat bisher in 2012 viermal getagt)

- Vorbereitung des FFE-Studientages 2012 (in mehreren Sitzungen)

- Veröffentlichung der FFE-LK-Erklärung zur La-ge im Nahen und Mittleren Osten unter http://www.ekiba.de/1529_17186.php sowie un-ter http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Syrien/ffe.html

- Einschätzungen zur politischen Lage (in mehre-ren Sitzungen)

- FFE-Aktivitäten mit Blick auf Kairos Palästina (u.a. Briefwechsel mit EMOK, Gründung des deutschen Netzwerks "Support Kairos-Palestine", Vorbereitung eines Besuchs von Mark Brever-man, USA, im März 2013 in Karlsruhe) (in meh-reren Sitzungen)

- Fax an Landesbischof Dr. U. Fischer vom 04.04.12 mit der Bitte um ein Wort der Kirche zum Iran-Konflikt

- Brief an Sigmar Gabriel, MdB, Parteivorsitzen-der der SPD, vom 22.03.12, unterstützender Kommentar zu dessen Aussage während eines Besuchs in Hebron: "Ich war gerade in Hebron. Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keiner-lei Rechtfertigung gibt".

Für die Fortführung der Arbeit des FFE-LK gibt es zur Zeit eine aktive Pfarrerin, einen aktiven Pfarrer und drei Rentner.

Wer von den anwesenden Mitgliedern ist bereit, das Team des Leitungskreises zu verstärken? Gibt es Vorschläge und Wortmeldungen zu dem bisher Vor-getragenen?

Auf jeden Fall bitten wir zum Abschluss dieser Mit-gliederversammlung um eine bestätigende Akklama-tion für die Verlängerung des Mandats der gegenwär-tigen Mitglieder des Leitungskreises: Dietrich Be-cker-Hinrichs, Dr. Dirk-M. Harmsen, Bettina Ott, Dr. Wilhelm Wille und Dietrich Zeilinger.

Finanzbericht für 2011 von Hans-Georg Dittrich

Abrechnung 2011 Geldkonto 01.01.11 31.12.11 Saldo

1200: Evang. Kreditgenossen-schaft e.G. 316,10 € 312,28 € -3,82 €

Sachkonten Einnahmen Ausgaben Saldo 8100: Allgemein 0,00 € 135,12 € -135,12 €

8200: Tagungen 595,00 € 1.182,57 € -587,57 €

8300: Rundbriefe 21,35 € 613,48 € -592,13 €

8400: Mitgliedsbeiträge 1.395,00 € 84,00 € 1.311,00 €

Gesamt 2.011,35 € 2.015,17 € -3,82 €

Etat 2012

Sachkonten Einnahmen Ausgaben Saldo 8100: Allgemein 0,00 € 50,00 € -50,00 €

8200: Tagungen 1.200,00 € 1.400,00 € -200,00 €

8300: Rundbriefe 0,00 € 700,00 € -700,00 €

8400: Mitgliedsbeiträge 1.400,00 € 0,00 € 1.400,00 €

Gesamt 2.600,00 € 2.150,00 € 450,00 €

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FFE 23

Aussprache sowie Anregungen für die Weiterarbeit des Leitungskreises

Frau OKR'n Hinrichs: anstelle der Benutzung der aej für Bundeswehr-Werbung sollte der nächste Stu-dientag sich einem pädagogischen Thema widmen in Zusammenarbeit mit dem RPI, z.B. Friedendienst ohne Waffen".

Hartmut Müller: die Pfadfinder sollten in eine solche Tagung einbezogen werden.

Ziegler: Wie werden Kriege in Erinnerung gehalten? Weil die Toten schweigen, wiederholen sich Kriege.

Stude: Friedensstifterprogramm läuft aus. FFE sollte konkrete Vorschläge für ein Nachfolgeprojekt ma-chen.

Hemminger: Ruf nach prophetischem Handeln wird lauter. Wäre eine zeichenhafte Handlung seitens des FFE denkbar? (siehe Jahrestagung Intern. Versöh-nungsbund).

Grotz: Die Verbindung von Frieden und Gerechtig-keit ist eine Scharnierfrage (typisches Gegenbeispiel ist die augenblickliche Griechenlandkrise).

Schäfer: Erklärung des FFE zur Bundeswehr-Anzeigenkampagne in den diversen Medien wäre gut.

Wille: Hinweis auf Prof. emer. Wolfram Wette: was in D. abläuft, ist verfassungswidrig. (siehe auch letz-tes Heft FriedensForum mit einigen entsprechenden Aufsätzen). Wette einladen.

Lochmann: Hinweis, dass die Süd-Dekane eine Ar-beitsgruppe zur Friedensfrage beschlossen haben.

Becker-Hinrichs: Den Impuls des Positionspapiers der Landeskirche nutzen für neue Aktivitäten der Ar-beitsstelle Frieden im EOK. Saubere Kritik üben an laufenden Kriegen. Aktuellen politischen Fragen sollten wir uns stellen.

Becker-Hinrichs: Thema für Studientag: Religiöse Rituale (Zapfenstreich) in der Bundeswehr.

Wille: Thema für Studientag: Militärseelsorge als friedensethisches Problem.

Die bisherigen Mitglieder des Leitungskreises wur-den durch Akklamation der Anwesenden in ihrem Amt bestätigt.

Neue Kooperation zwischen Gewerkschaften und Bundeswehr inakzeptabel und unmoralisch, Pressemitteilung der Kooperation für den Frieden vom 7.02.2013An die Presse 07. Februar 2013

Als inakzeptabel und als einen erneuten Versuch, Militarismus in der Breite der Gesellschaft zu etablie-ren, hat die Kooperation für den Frieden, ein Zu-sammenschluss von mehr als 50 Friedensorganisatio-nen und -initiativen, die von DGB-Chef Sommer an-gekündigte Zusammenarbeit der Gewerkschaften mit der Bundeswehr und insbesondere die Aussage des Bundesverteidigungsministers de Maizières, wonach die „Bundeswehr Teil der Friedensbewegung“ sei, kritisiert.

Die Kooperation für den Frieden verurteilt die zu-nehmende Vereinnahmung friedenspolitischer Be-griffe. Die Bundeswehr sei nur insofern Teil der Friedensbewegung, als dass ihre Abschaffung eine der großen Herausforderungen der Bewegung ist.

Des Weiteren sieht die Kooperation für den Frieden das Streben des DGB nach einer engeren Zusammen-arbeit mit der Bundeswehr als einen großen Rück-

schritt, der in krassem Widerspruch zu dem starken Engagement der Gewerkschaften gegen die Wieder-bewaffnung und beabsichtigte atomare Bewaffnung der Bundeswehr in den 1950er und 1960er Jahren stehe.

Die Motivation hinter dieser Zusammenarbeit sieht die Kooperation für den Frieden in dem Bemühen des DGB um Erhaltung und Ausbau von Arbeitsplätzen in der florierenden deutschen Rüstungsindustrie. Die aktuellen Problematiken von Kampfdrohnen und Rü-stungsexport hätten jedoch den DGB nachdenklich machen müssen. In Kauf zu nehmen, dass auch in Zukunft Waffen an menschenrechtsverletzende Re-gime wie u.a. Saudi-Arabien exportiert werden, hie-ße, das Thema Arbeitsplätze über jegliche moralische Verantwortung zu stellen.

Pressekontakt: Philipp Ingenleuf (Ko-Sprecher der Kooperation für den Frieden), E-mail: [email protected] Tel.: 0228 / 692904

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Impressum Das „FORUM FRIEDENSETHIK (FFE) in der Evangelischen Landeskirche in Baden“ ist der Zusammenschluss von rund 60 Personen, die eine Diskussion über friedensethische Grundsatzfragen fördern wollen. Probleme der Friedensfindung und -sicherung werden unter Bezug auf die biblische Botschaft beraten. Konträre Positionen in der Gesellschaft über die Bedeutung von militärischen oder pazifistischen Lösungsversuchen werden dabei miteinander ins Gespräch gebracht. Die Gründung erfolgte im Januar 2000. Ein Leitungskreis ist verantwortlich für die Heraus-gabe von Rundbriefen sowie für die thematische Vorbereitung und Durchführung von Studientagen; er arbeitet eh-renamtlich.

http://www.ekiba.de/1526.php

Konto des FORUM FRIEDENSETHIK: Volksbank Karlsruhe (BLZ 661 900 00), Konto-Nr. 10289955.

Redaktion: Dr. Dirk-M. Harmsen, Bertha-von-Suttner-Str. 3a, 76139 Karlsruhe, Tel.: 0721-685289, Fax: 03212-1046739.

Beitrittsformular Forum FRIEDENSETHIK in der Evangelischen Landeskirche in Baden z. Hd. v. Dr. Dirk-M. Harmsen Bertha-von-Suttner-Straße 3a

76139 Karlsruhe Ich trete dem FORUM FRIEDENSETHIK in der Evangelischen Landeskirche in Baden bei:

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Mitglied. der Ev. Lk. Bad.? Ja Nein Bei Nein, Religion? ................................................

Darf Ihr Name und Ihre Adresse an die anderen Mitglieder weitergegeben werden? Ja Nein

Zahlungsweise der Kostenumlage (z.Zt. 25,00 €) durch: Überweisung Lastschrift Konto des FORUM FRIEDENSETHIK in der Evangelischen Landeskirche in Baden: Volksbank Karlsruhe (BLZ 661 900 00), Kontonummer: 10289955 Ort, Datum ................................................... Unterschrift ................................................... Es erleichtert unserer Arbeit sehr, wenn wir Ihre Kostenumlage abbuchen können. Bitte füllen Sie dazu die Ein-zugsermächtigung aus:

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