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Seite 2 I 20.11.2018 Nr. 268 Vorstände im Gespräch Finanzberatung: Normierung BANKINGNEWS: Wie wird die Bankberatung im Jahr 2028 und im Jahr 2038 aussehen? Werner Braun (Commerzbank): Die Veränderungs- geschwindigkeit wird immer höher. Daher sind Zeiträume von 20 Jah- ren nicht seriös vorherzuse- hen. Allerdings projizieren wir aktuelle Entwicklungen in die Zukunft. Pro Tag be- treten 450.000 Menschen unsere Filialen, die weiterhin ihre Berechtigung behalten. Ich glaube nicht, dass die rein digitale Beratung die persön- liche ersetzt. Rund 90 Prozent der Kunden – auch der jun- gen – wünschen sich beides. Filialen zu schließen, ist keine Lösung und keine Strategie. Wolfgang Kuhn (Südwestbank): Sprachsteuerung steht derzeit bei- spielsweise noch am Anfang. Im Jahr 2028 könnten über solche Systeme einfache Fi- nanzprodukte erworben und Bankangelegenheiten abgewi- ckelt werden. Vielleicht löst im Jahr 2038 eine Art „Ge- dankenübertragung“ mit im- plantierten Chips dann schon wieder die Sprachsteuerung ab. Was heute nach Science- Fiction klingt, kann schneller kommen als vorhergesehen. Künstliche Intelligenz wird auf jeden Fall eine wichtige Rolle spielen und viele Pro- zesse steuern. Martin Hettich (Sparda-Bank Baden-Württem- berg): Wenn ich die Geschwindigkeit der tech- nologischen Entwicklungen in den letzten fünf Jahren be- trachte, dann wage ich keine Prognose für das Jahr 2038. Doch bereits in zehn Jahren wird es im Standardgeschäft keine persönliche Beratung mehr geben. In der Anlage- beratung und Finanzierung werden weiterhin individu- elle Geschäfte stattfinden, in denen der Berater dem Kun- den mithilfe digitaler Tools Angebote unterbreitet. Die soziale und kommunikative Kompetenz wird eine deut- lich größere Rolle spielen als die Fachkompetenz, die künf- tig noch stärker von Systemen übernommen werden wird als heute. Die Banken müssen effektive Prozesse aufsetzen, damit der Kunde die Inhalte angezeigt bekommt, die für ihn wirklich interessant sind, und der heutige „Werbemüll“ der Vergangenheit angehört. Warum hat sich Ihre Bank mit der DIN-Norm 77230 beschäftigt? Ein Patient möchte nicht, dass sein Blutbild bei verschiede- nen Laboren unterschiedlich ausfällt. Das gilt auch für sei- ne Finanzen. In der Analyse darf es keinen Trugschluss geben und gute Beratung ist kein Zufall. Die Anzahl der Informationen nimmt zu und damit verändert sich die Analysephase. Hier wird die Digitalisierung spürbar. Wir wollten unsere Erfahrungen, die wir seit 2012 mit unserem KundenKompass als Grund- lage aller Gespräche gesam- melt haben, im Normierungs- ausschuss einbringen. Denn nichts ist so gut, dass es nicht verbessert werden kann. Wir verwenden bereits soge- nannte Dreh- bücher, um eine konstante Beratungsqualität zu gewährleisten. Die DIN- Norm hilft, eine bessere Ver- gleichbarkeit zwischen den Anbietern herzustellen – für die Kunden, die Banken und auch für die BaFin. Uns treibt an, dass wir nachhal- tige Geschäfts- verbindungen und nicht den schnellen Ab- schluss suchen. Ein roter Fa- den gewährleistet eine gleich- bleibende Beratungsqualität und schaltet eine schlechte Tagesform von Kolleginnen und Kollegen aus. In der Be- ratung müssen auch Facetten betrachtet werden, die für den Kunden unter Umstän- den unangenehm sind – wie etwa der Tod oder die Berufs- unfähigkeit. Es kostet Über- windung, dies im Gespräch zu thematisieren. Beratungs- prozesse helfen dabei, diese Aspekte aufzuzeigen und die erforderlichen und sinnvollen Schlüsse zu ziehen. Sehen Sie keinen Widerspruch zwischen Normierung und individueller Beratung? Nein. Es geht darum, die Qua- lität der Infor- mationen in der Analyse sicherzustellen und darauf eine passende Bera- tung aufzubauen. Auf der persönlichen, emotionalen Ebene ergeben sich im Ge- spräch häufig Informationen, die niemals vorab erhoben und analysiert werden kön- nen. Wir brauchen eine starke Systematisierung in der Ana- lyse. Der Beratungsteil wird hingegen zu großen Teilen individuell bleiben. Die Fä- higkeit, die richtigen Fragen zu stellen, war schon immer das Wichtigste. In den Jahren vor der Finanzkrise hat unsere Branche diese Fähigkeit verlo- ren. Das Motto hieß: Produkt sucht Kunde. Dadurch haben wir eine Dekade lang fragende Berater verloren. Das holt uns jetzt ein. Amazon beweist, wie vorliegende Daten für Pro- duktempfehlungen genutzt werden können. Seit einigen Wochen stellen wir unseren Beratern mit einem KI-Tool die Top-5-Gesprächsanlässe sortiert nach der Kaufwahr- scheinlichkeit für alle Kunden zur Verfügung. Beratung soll dialogorientiert stattfinden. Auch der Kunde muss seinen Beitrag leisten. Wenn er die Vorstellung hat, dass er eine hohe Rendite ohne Risi- ko erzielen kann, muss man ihm widersprechen. Vor allem bei komplexen emen wird man die Beratung nicht nor- mieren können. Normierung be- deutet für mich, dass ich einen Qualitätsstan- dard einhalte, indem ich jeden Kunden optimal ver- sorge. Wir haben noch nie in Kundenklassen eingeteilt. Zunächst frage ich in der Analyse alle Bedarfe ab, die ein Privatkunde theoretisch haben kann. Erst danach er- folgt die Individualisierung ausgerichtet an Liquidität, Risikoneigung und so weiter. Sie kann auf einem höheren Qualitätsniveau erfolgen, wenn ich eine normierte Aus- gangslage habe und keinen Kunden von vornherein in eine Schublade stecke. Denn wer sagt mir denn, dass ich alles vom Kunden weiß? Au- ßerdem glaube ich, dass es trotz der Normierung gewisse Unterschiede zwischen den Anbietern geben kann. Eine Standardisierung nach dem Motto „eine Bank ist wie die andere“ werden wir nicht er- leben. Mit Beratung an sich verdient eine Bank kein Geld, sondern mit Produktverkauf. Sind wir dann nicht wieder an dem Punkt angelangt, der von Kritikern des provisionsgetriebenen Vertriebs bemängelt wird? Das ist eine un- ternehmerische Steuerungsfrage. Wenn Sie nur nach Provisionen und Ein- zelprodukten steuern, dann bekommen Sie die auch. Aber dann können Sie sich die Analyse gleich sparen. Wir haben vor acht Jahren Teamziele eingeführt und Mitarbeiterprovisionen abge- schafft. Das war eine unserer besten Entscheidungen. Ich habe nichts gegen Produktab- schlüsse. Die müssen natür- lich das Ergebnis sein, um ein Problem des Kunden zu lö- sen. Ich bin ein bekennender Fan des Geschäftsmodells der Honorarberatung. Aber es hat einen Haken: Die Deutschen sind noch nicht bereit, für Bankberatung zu bezahlen. Mit unserem PremiumDepot haben wir eine Lösung im Kundeninteresse gefunden: eine Flat-Fee, in der Transak- tionen enthalten sind. Damit vermeiden wir, dass der Anruf beim Kunden als Verkaufsge- spräch erlebt wird. Die Kun- den sind zunehmend bereit, diese Festbeträge zu zahlen. Allerdings haben sich Hono- rarmodelle am Markt noch nicht durchgesetzt. Für einige Kun- den wäre eine Honorarbera- tung sicherlich fairer. Aber selbst dabei haben sie keine Garantie, dass sich am Ende der Erfolg einstellt, den sie erwartet haben. Sogar sehr vermögende Kunden, die jährliche Provisionen bezah- len, von denen sie sich einen eigenen Banker einstellen könnten, lehnen die Hono- rarberatung ab. Es ist sehr tief in den Köpfen der Kunden verankert. Und die Banken hätten einen Nachteil, wenn sie die Provisionsberatung abschaffen. Wenn der Kun- de die Filiale betritt, weiß er nicht zu 100 Prozent, ob er ein Produkt abschließt. Daher ist er nicht bereit oder nicht in der Lage, 500 Euro für zwei Stunden Beratung zu zahlen. Die Quoten der Kündigungen, Stornierungen oder Rückab- „In zehn Jahren wird es im Stan- dardgeschäft keine persönliche Beratung mehr geben“ „Je komplexer es wird, umso mehr geht es um Vertrauen. Ohne menschliche Interaktion wird Finanzberatung niemals auskommen“ Martin Hettich Vorstandsvorsitzender Sparda-Bank Baden-Württemberg Seit Kurzem liegt eine endgültige Fassung der DIN-Norm 77230 vor, der Start ist für 2019 geplant. Sie enthält klare Vorgaben für die „Basisanalyse der finanziellen Situation von Privathaushalten“ und soll eine Vergleichbarkeit für Anbieter, Kunden und Aufsicht herstellen. Wir sprachen mit Wolfgang Kuhn (Südwestbank), Martin Hettich (Sparda-Bank Baden- Württemberg) und Werner Braun (Commerzbank) über Sinn und Zweck einer Normierung und die Zukunft der Finanzberatung. Wie passen Standardisierung und individuelle Bera- tung zusammen? Welchen Typus Berater brauchen die Banken zukünftig? Oder wird dieser ohnehin vom Robo Advisor abgelöst? Interview: orsten Hahn „In den Jahren vor der Finanz- krise hat unsere Branche die Fähigkeit verloren, die richtigen Fragen zu stellen“ Martin Hettich ist seit 2014 Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank Baden-Württemberg eG. Nach einer Banklehre und einer Tätigkeit als Kundenberater bei der Raiffeisenbank Gundelfingen trat er 1984 in die Sparda-Bank Karlsruhe ein und leitete die erste Zweigstelle in Freiburg. Vor und nach der Fusion mit der Sparda-Bank Stuttgart im Jahr 1999 leitete er den Bereich Markt und Vertrieb. Seit 2010 gehört der Diplom-Bankbetriebswirt dem Vorstand der Sparda-Bank Baden- Württemberg an. Dr. Wolfgang Kuhn ist Vorstandsvorsitzender der SÜDWESTBANK AG. Nach BWL-Studium und Promotion am Lehrstuhl für Allgemei- ne Bank- und Versicherungsbetriebswirtschaft in Nürnberg war er Vorstandsassistent bei der Stuttgarter Bank AG und Vorstandsspre- cher der Bankhaus Bauer AG. Kuhn lehrt am Institut für Handel und Banken der Universität Leipzig und bekleidet zahlreiche Mandate in privaten und öffentlichen Institutionen, u.a. als Vorstandsmitglied des Bundesverbands deutscher Banken. Werner Braun ist seit 2015 als Bereichsvorstand Süd im Privat- und Unternehmerkundengeschäft der Commerzbank für die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg zuständig. Er kam 1983 zur Dresdner Bank und war zunächst in der Kundenberatung und Erwachsenenbil- dung tätig. Danach hatte er u.a. die Geschäftsleitung Private & Business Banking inkl. Wealth Management für Baden-Württemberg inne, leite- te die Gebietsfiliale Frankfurt und war Bereichsvorstand im Konzernbe- reich Privat- und Geschäftskunden für die Region Nord-Ost. Dr. Wolfgang Kuhn Vorstandsvorsitzender SÜDWESTBANK Werner Braun Bereichsvorstand Private Kunden Süd Commerzbank

Finanzberatung: Normierung€¦ · Diskussion Provision versus Honorar habe ich eine klare Meinung: Sie können einem durchschnittlichen Privat-kunden mit 20.000 Euro Ver-mögen weder

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Page 1: Finanzberatung: Normierung€¦ · Diskussion Provision versus Honorar habe ich eine klare Meinung: Sie können einem durchschnittlichen Privat-kunden mit 20.000 Euro Ver-mögen weder

Seite 2 I 20.11.2018

Nr. 268Vorstände im Gespräch

Finanzberatung: NormierungBANKINGNEWS: Wie wird die Bankberatung im Jahr 2028 und im Jahr 2038 aussehen?

Werner Braun (Commerzbank): Die Veränderungs-geschwindigkeit

wird immer höher. Daher sind Zeiträume von 20 Jah-ren nicht seriös vorherzuse-hen. Allerdings projizieren wir aktuelle Entwicklungen in die Zukunft. Pro Tag be-treten 450.000 Menschen unsere Filialen, die weiterhin ihre Berechtigung behalten. Ich glaube nicht, dass die rein digitale Beratung die persön-liche ersetzt. Rund 90 Prozent der Kunden – auch der jun-gen – wünschen sich beides. Filialen zu schließen, ist keine Lösung und keine Strategie.

Wolfgang Kuhn (Südwestbank): Sprachsteuerung steht derzeit bei-

spielsweise noch am Anfang. Im Jahr 2028 könnten über solche Systeme einfache Fi-nanzprodukte erworben und Bankangelegenheiten abgewi-ckelt werden. Vielleicht löst im Jahr 2038 eine Art „Ge-dankenübertragung“ mit im-plantierten Chips dann schon wieder die Sprachsteuerung ab. Was heute nach Science-Fiction klingt, kann schneller kommen als vorhergesehen. Künstliche Intelligenz wird auf jeden Fall eine wichtige Rolle spielen und viele Pro-zesse steuern.

Martin Hettich ( Sp a rd a - Ba n k Baden-Württem-berg): Wenn ich

die Geschwindigkeit der tech-nologischen Entwicklungen in den letzten fünf Jahren be-trachte, dann wage ich keine Prognose für das Jahr 2038. Doch bereits in zehn Jahren wird es im Standardgeschäft keine persönliche Beratung mehr geben. In der Anlage-beratung und Finanzierung werden weiterhin individu-elle Geschäfte stattfinden, in denen der Berater dem Kun-den mithilfe digitaler Tools Angebote unterbreitet. Die soziale und kommunikative Kompetenz wird eine deut-lich größere Rolle spielen als die Fachkompetenz, die künf-tig noch stärker von Systemen übernommen werden wird als heute. Die Banken müssen effektive Prozesse aufsetzen, damit der Kunde die Inhalte angezeigt bekommt, die für

ihn wirklich interessant sind, und der heutige „Werbemüll“ der Vergangenheit angehört.

Warum hat sich Ihre Bank mit der DIN-Norm 77230 beschäftigt?

Ein Patient möchte nicht, dass sein Blutbild bei verschiede-

nen Laboren unterschiedlich ausfällt. Das gilt auch für sei-ne Finanzen. In der Analyse darf es keinen Trugschluss geben und gute Beratung ist kein Zufall. Die Anzahl der Informationen nimmt zu und damit verändert sich die Analysephase. Hier wird die Digitalisierung spürbar. Wir wollten unsere Erfahrungen, die wir seit 2012 mit unserem KundenKompass als Grund-lage aller Gespräche gesam-melt haben, im Normierungs-ausschuss einbringen. Denn nichts ist so gut, dass es nicht verbessert werden kann.

Wir verwenden bereits soge-nannte Dreh-bücher, um eine

konstante Beratungsqualität zu gewährleisten. Die DIN-Norm hilft, eine bessere Ver-gleichbarkeit zwischen den Anbietern herzustellen – für die Kunden, die Banken und auch für die BaFin.

Uns treibt an, dass wir nachhal-tige Geschäfts-ve rb indungen

und nicht den schnellen Ab-schluss suchen. Ein roter Fa-den gewährleistet eine gleich-bleibende Beratungsqualität und schaltet eine schlechte Tagesform von Kolleginnen und Kollegen aus. In der Be-ratung müssen auch Facetten betrachtet werden, die für den Kunden unter Umstän-den unangenehm sind – wie etwa der Tod oder die Berufs-unfähigkeit. Es kostet Über-windung, dies im Gespräch zu thematisieren. Beratungs-prozesse helfen dabei, diese Aspekte aufzuzeigen und die erforderlichen und sinnvollen Schlüsse zu ziehen.

Sehen Sie keinen Widerspruch zwischen Normierung und individueller Beratung?

Nein. Es geht darum, die Qua-lität der Infor-mationen in der

Analyse sicherzustellen und

darauf eine passende Bera-tung aufzubauen. Auf der persönlichen, emotionalen Ebene ergeben sich im Ge-spräch häufig Informationen, die niemals vorab erhoben und analysiert werden kön-nen. Wir brauchen eine starke Systematisierung in der Ana-lyse. Der Beratungsteil wird hingegen zu großen Teilen individuell bleiben. Die Fä-higkeit, die richtigen Fragen zu stellen, war schon immer das Wichtigste. In den Jahren vor der Finanzkrise hat unsere Branche diese Fähigkeit verlo-ren. Das Motto hieß: Produkt sucht Kunde. Dadurch haben wir eine Dekade lang fragende Berater verloren. Das holt uns jetzt ein. Amazon beweist, wie vorliegende Daten für Pro-duktempfehlungen genutzt werden können. Seit einigen Wochen stellen wir unseren Beratern mit einem KI-Tool die Top-5-Gesprächsanlässe sortiert nach der Kaufwahr-scheinlichkeit für alle Kunden zur Verfügung.

Beratung soll dialogorientiert stattfinden. Auch der Kunde muss

seinen Beitrag leisten. Wenn er die Vorstellung hat, dass er eine hohe Rendite ohne Risi-ko erzielen kann, muss man ihm widersprechen. Vor allem bei komplexen Themen wird man die Beratung nicht nor-mieren können.

Normierung be-deutet für mich, dass ich einen Qual i tätss tan-

dard einhalte, indem ich jeden Kunden optimal ver-sorge. Wir haben noch nie in Kundenklassen eingeteilt. Zunächst frage ich in der Analyse alle Bedarfe ab, die ein Privatkunde theoretisch haben kann. Erst danach er-folgt die Individualisierung ausgerichtet an Liquidität, Risikoneigung und so weiter. Sie kann auf einem höheren Qualitätsniveau erfolgen, wenn ich eine normierte Aus-gangslage habe und keinen Kunden von vornherein in eine Schublade stecke. Denn wer sagt mir denn, dass ich alles vom Kunden weiß? Au-ßerdem glaube ich, dass es trotz der Normierung gewisse Unterschiede zwischen den Anbietern geben kann. Eine Standardisierung nach dem Motto „eine Bank ist wie die andere“ werden wir nicht er-leben.

Mit Beratung an sich verdient eine Bank kein Geld, sondern mit Produktverkauf. Sind wir dann nicht wieder an dem Punkt angelangt, der von Kritikern des provisionsgetriebenen Vertriebs bemängelt wird?

Das ist eine un-ternehmerische Steuerungsfrage. Wenn Sie nur

nach Provisionen und Ein-zelprodukten steuern, dann bekommen Sie die auch. Aber dann können Sie sich die Analyse gleich sparen. Wir haben vor acht Jahren Teamziele eingeführt und Mitarbeiterprovisionen abge-schafft. Das war eine unserer besten Entscheidungen. Ich habe nichts gegen Produktab-schlüsse. Die müssen natür-lich das Ergebnis sein, um ein Problem des Kunden zu lö-sen. Ich bin ein bekennender Fan des Geschäftsmodells der Honorarberatung. Aber es hat einen Haken: Die Deutschen sind noch nicht bereit, für Bankberatung zu bezahlen. Mit unserem PremiumDepot haben wir eine Lösung im Kundeninteresse gefunden: eine Flat-Fee, in der Transak-tionen enthalten sind. Damit vermeiden wir, dass der Anruf beim Kunden als Verkaufsge-spräch erlebt wird. Die Kun-den sind zunehmend bereit, diese Festbeträge zu zahlen. Allerdings haben sich Hono-rarmodelle am Markt noch nicht durchgesetzt.

Für einige Kun-den wäre eine Honora rbe r a -tung sicherlich

fairer. Aber selbst dabei haben sie keine Garantie, dass sich am Ende der Erfolg einstellt, den sie erwartet haben. Sogar sehr vermögende Kunden, die jährliche Provisionen bezah-len, von denen sie sich einen eigenen Banker einstellen könnten, lehnen die Hono-rarberatung ab. Es ist sehr tief in den Köpfen der Kunden verankert. Und die Banken hätten einen Nachteil, wenn sie die Provisionsberatung abschaffen. Wenn der Kun-de die Filiale betritt, weiß er nicht zu 100 Prozent, ob er ein Produkt abschließt. Daher ist er nicht bereit oder nicht in der Lage, 500 Euro für zwei Stunden Beratung zu zahlen.

Die Quoten der Kündigungen, Stornierungen oder Rückab-

„In zehn Jahren wird es im Stan-dardgeschäft keine persönliche

Beratung mehr geben“

„Je komplexer es wird, umso mehr geht es um Vertrauen.

Ohne menschliche Interaktion wird Finanzberatung niemals

auskommen“

Martin Hettich

Vorstandsvorsitzender

Sparda-Bank Baden-Württemberg

Seit Kurzem liegt eine endgültige Fassung der DIN-Norm 77230 vor, der Start ist für 2019 geplant. Sie enthält klare Vorgaben für die „Basisanalyse der finanziellen Situation von Privathaushalten“ und soll eine Vergleichbarkeit für Anbieter, Kunden und Aufsicht herstellen. Wir sprachen mit Wolfgang Kuhn (Südwestbank), Martin Hettich (Sparda-Bank Baden-Württemberg) und Werner Braun (Commerzbank) über Sinn und Zweck einer Normierung und die Zukunft der Finanzberatung. Wie passen Standardisierung und individuelle Bera-tung zusammen? Welchen Typus Berater brauchen die Banken zukünftig? Oder wird dieser ohnehin vom Robo Advisor abgelöst? Interview: Thorsten Hahn

„In den Jahren vor der Finanz-krise hat unsere Branche die

Fähigkeit verloren, die richtigen Fragen zu stellen“

Martin Hettich ist seit 2014 Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank Baden-Württemberg eG. Nach einer Banklehre und einer Tätigkeit als Kundenberater bei der Raiffeisenbank Gundelfingen trat er 1984 in die Sparda-Bank Karlsruhe ein und leitete die erste Zweigstelle in Freiburg. Vor und nach der Fusion mit der Sparda-Bank Stuttgart im Jahr 1999 leitete er den Bereich Markt und Vertrieb. Seit 2010 gehört der Diplom-Bankbetriebswirt dem Vorstand der Sparda-Bank Baden-Württemberg an.

Dr. Wolfgang Kuhn ist Vorstandsvorsitzender der SÜDWESTBANK AG. Nach BWL-Studium und Promotion am Lehrstuhl für Allgemei-ne Bank- und Versicherungsbetriebswirtschaft in Nürnberg war er Vorstandsassistent bei der Stuttgarter Bank AG und Vorstandsspre-cher der Bankhaus Bauer AG. Kuhn lehrt am Institut für Handel und Banken der Universität Leipzig und bekleidet zahlreiche Mandate in privaten und öffentlichen Institutionen, u.a. als Vorstandsmitglied des Bundesverbands deutscher Banken.

Werner Braun ist seit 2015 als Bereichsvorstand Süd im Privat- und Unternehmerkundengeschäft der Commerzbank für die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg zuständig. Er kam 1983 zur Dresdner Bank und war zunächst in der Kundenberatung und Erwachsenenbil-dung tätig. Danach hatte er u.a. die Geschäftsleitung Private & Business Banking inkl. Wealth Management für Baden-Württemberg inne, leite-te die Gebietsfiliale Frankfurt und war Bereichsvorstand im Konzernbe-reich Privat- und Geschäftskunden für die Region Nord-Ost.

Dr. Wolfgang Kuhn

Vorstandsvorsitzender

SÜDWESTBANK

Werner Braun

Bereichsvorstand Private Kunden Süd

Commerzbank

Page 2: Finanzberatung: Normierung€¦ · Diskussion Provision versus Honorar habe ich eine klare Meinung: Sie können einem durchschnittlichen Privat-kunden mit 20.000 Euro Ver-mögen weder

20.11.2018 I Seite 3

Vorstände im Gespräch

und Individualisierungwicklungen liegen bei uns im Promillebereich. Das zeigt, dass wir heute bereits eine sehr gute Qualität aufweisen, die sicherlich immer verbes-serungsfähig ist. Die Aussage, dass sich die Banken über Pro-visionen die Taschen füllen, ist vollkommen überzogen und hat mit der Realität in den Häusern nichts zu tun. Es gibt ohne Frage Ausnahmen, die abgestellt werden müs-sen. Aber ich glaube, dass die meisten Berater und Banken heute bereits bedarfsgerecht beraten, weil sie die langfris-tige Kundenbeziehung im Blick haben und nicht den kurzfristigen Erfolg. In der Diskussion Provision versus Honorar habe ich eine klare Meinung: Sie können einem durchschnittlichen Privat-kunden mit 20.000 Euro Ver-mögen weder 3.000 Euro an Provisionen in Rechnung stel-len, noch ein Beratungshono-rar von 500 Euro verlangen, weil Sie 20.000 Euro auf ei-nem Tagesgeldkonto anlegen.

Auf welchen Typus Berater treffen Ihre Kunden in Zukunft?

Der Berater wird ein Guide durch die digitale Welt sein und Ban-

king-Apps erklären. Außer-dem kommt es auf eine ab-solute Serviceorientierung an. Wenn Sie ein Problem haben, möchten Sie, dass es gelöst wird. Eine App alleine wird das nicht immer können. Zu-dem braucht der Berater die Fähigkeit, aus den Analysen die richtigen Schlüsse zu zie-hen, diese in eine komplexe Beratung überzuleiten und letztlich einen Abschluss zu machen. Eine radikale Verän-derung in der Rolle des Bera-ters sehe ich jedoch nicht.

Er muss enormes technisches Ver-ständnis mitbrin-gen, weil er mit

den digitalen Lösungen so-wohl in der Analyse als auch im Kundengespräch umge-hen muss. Ein großer Teil der

Arbeit wird Lebensbegleitung sein. Diejenigen Berater, die zehn oder mehr Jahre am Kunden bleiben und sich ein Stück weit mit ihm gemein-sam entwickeln, genießen das größte Vertrauen. Das wird sich nicht verändern. Junge Menschen sind heute ganz anders vernetzt. Aber auch sie haben ihre Community, der sie vertrauen. Möglicherweise wird die Bankberatung über solche Communitys und über digitale Kanäle erfolgen.

Wir werden Ver-änderungen se-hen und sukzes-sive einen neuen

Typus Berater entwickeln. Es ist eine Evolution und kein Neuanfang. Wir beobachten, dass die Serviceleistungen demnächst in Richtung Null gehen werden. Vor allem im Zahlungsverkehr und bei ein-fachen Produkten werden die Kunden alles selbst erledigen. Der neue Berater muss offen sein für die Hilfestellungen, die ihm durch Technik oder DIN-Norm-Prozesse gebo-ten werden. Vor allem muss er aber empathisch sein und eine hohe Sozialkompetenz besitzen. Wir werden einen Berater brauchen, der indi-viduell auf einen Kunden re-agieren kann und nicht stur nach Schema F vorgeht. Er muss weiterhin Fachkom-petenz mitbringen. Vieles werden ihm Systeme jedoch künftig abnehmen. Es wird mehr darauf ankommen, mit Menschen umzugehen.

Kann gute Beratung die Abwanderung von Kunden zu Direktbanken, „Smartphone-Banken“ und Robo Advisors verhindern?

Nur einer ent-scheidet, ob die Beratung gut war – der Kun-

de. Und er entscheidet, ob er sich mit oder ohne Menschen besser aufgehoben fühlt. Die Erfahrung zeigt, dass es einen Punkt gibt, an dem der Markt an reinen Online-Kunden

gesättigt ist. Und spätestens dann brauchen digitale On-lineshops neue Filialen. Na-türlich wird es Kunden geben, die sich ausschließlich im Online-Bereich bewegen. Ich kann mir aber nicht vorstel-len, dass die Frage einer Bau-finanzierung, einer Erbschaft oder einer Existenzgründung in einer reinen Smartphone- oder Online-Bank ablaufen wird. Es gibt im Leben etwa sieben Stationen, an denen die Kunden einen Menschen als Berater suchen. Und sie werden ihn nicht in einer App finden.

Grundsätzlich ja. Die Frage ist, was der Kunde als „besser“ empfin-

det. Für einige Kunden zählt hauptsächlich die Rendite, anderen ist die Performance gar nicht so wichtig. Sie loben ihren Berater, der sie immer auf dem Laufenden hält, gut informiert und Erlebnisse mit ihnen teilt. Je komplexer ein Thema wird, umso mehr geht es um Vertrauen. Ohne menschliche Interaktion wird die Finanzberatung niemals auskommen. Die Frage ist, welches Stück vom Kuchen wohin wandert. Wenn vieles nur noch über Technologie abgebildet wird, benötigt man weniger Berater. Aller-dings wird ein guter Berater noch besser, wenn er sich über technologische Systeme Informationen und Berech-nungen zuleiten lassen kann.

In der Interakti-on zwischen Be-rater und Kunde passiert sehr viel.

Es ist ein Unterschied, ob ich meine Daten in eine Maske eingebe oder ob mir jemand zur Seite steht. Ein Teil der Menschen wird seine Finanz-geschäfte in Zukunft selbst erledigen wollen und können, aber ein anderer Teil wird wei-terhin auf den Berater zurück-greifen, da die Interaktion mit einem Menschen Mehrwerte bringen und ein besseres Ge-fühl in der Entscheidungsfin-

dung vermitteln kann. Daher haben viele Institute einen Omnikanalansatz: Der Kun-de nutzt den Kanal, den er in der aktuellen Situation für richtig hält. Ich glaube, dass wir gut aufgestellt sind mit der Kombination aus digita-len Lösungen und dem per-sönlichen Kontakt in den Fi-lialen. Diese Mischform wird erfolgreich sein. Wir müssen dem Kunden 24 Stunden zur Verfügung stehen – und das mit höchster Qualität auf dem von ihm gewählten Kanal. Mit diesem Omni-kanalansatz wollen wir nach Möglichkeit die Direktban-ken angreifen. Diese haben Marktanteile erobert, sich auf wenige Produkte konzentriert und gutes Marketing betrie-ben. Doch heute können sie aufgrund der Marktsituation keine große Preisdifferenzie-rung mehr bieten. Dann steht die Beratungsqualität wieder im Vordergrund.

Kann die „Selbstregulierung“ durch eine DIN-Norm künftigen von der Aufsicht verordneten Regulierungen vorgreifen?

Ja. MiFID II hat uns gelehrt, was passiert, wenn wir es nicht tun.

Daran hat keiner Spaß – we-der die Bank, noch der Kun-de, noch der Regulator. Auf Bankkonten in Deutschland liegen zwei Billionen Euro unverzinste Einlagen, die private Mittelschicht wird dadurch unbemerkt aber gnadenlos durch die Inflati-on enteignet. Wir leben in einer Dekade mit Null- und Minuszinsen und wir über-regulieren den Zutritt zu den Anlagemärkten, wo nach wie vor gute Renditen zu erzielen sind. Das ist schon skurril. Das Wertpapierhandelsgesetz hat uns nach vorne gebracht, und auch eine DIN-Norm wird das schaffen. Aber eine Über-Regulierung müssen wir verhindern. Deswegen finde ich es großartig, dass wir Banken uns gemeinsam an ei-nem Standard in der Analyse

orientieren und so ein Quali-tätssignal an die Kunden aus-senden.

Ich bin ein gro-ßer Fan davon. Es kann immer nur schlimmer

kommen, wenn die Politik von sich aus eingreift. Damit es nicht zu solchen Ausartun-gen wie etwa bei der Wohn-immobilienkreditrichtlinie kommt, sollte die Branche auf Selbstregulierung setzen, sich auf Richtlinien einigen und diese mit der Politik abstim-men. Teile des Verbraucher-schutzes sorgen dafür, dass ei-nige Menschen gar keine gute Beratung mehr erhalten, weil es sich für die Banken nur noch ab bestimmten Beträgen rechnet.

Ich finde es gut, nicht auf den Regulierer zu warten. Das ist

immer der schlechteste Weg. Nehmen Sie die Wertpapier-beratungsdokumentation als Beispiel. Wenn wir ehrlich sind, hätten wir vielen Schä-den in der Branche längst Einhalt gebieten müssen. Da muss man die Rolle der Aufsicht in den Instituten, der Prüfungsverbände und der BaFin hinterfragen. Es ist aber auch eine Frage von Unternehmenskultur – ist sie auf Gier oder Nachhaltigkeit ausgerichtet? Die Bank- und Versicherungsbranche ist gut beraten, wenn sie die Dinge, die sie erkennt, selbst im Sin-ne einer nachhaltigen Unter-nehmenskultur und langfris-tiger Geschäftsbeziehungen regelt. Wenn wir das tun, brauchen wir den Regulierer nicht. Dieser greift ein, wenn etwas schiefgelaufen ist, und überzieht dann häufig. Eini-ge Banken haben das direkte Wertpapiergeschäft aufge-geben, weil der Umsatz den Aufwand nicht mehr recht-fertigt. Und dann werden Bevölkerungsschichten von Finanzdienstleistungen ausge-schlossen, weil es sich für die Anbieter nicht mehr lohnt.

Sitz: Frankfurt am MainRechtsform: AGGründung: 1870Bilanzsumme: 487,5 Mrd. EuroMitarbeiter: 48.700Filialen: 1.000Privatkunden: 12 Mio.Vorstand: Martin Zielke, Frank Annuscheit, Dr. Marcus Chromik, Stephan Engels, Micha-el Mandel, Dr. Bettina Orlopp, Michael Reuther

Sitz: StuttgartRechtsform: AGGründung: 1922Bilanzsumme: 7,5 Mrd. EuroMitarbeiter: 540Filialen: 19Privatkunden: 90.000Vorstand: Dr. Wolfgang Kuhn, Dr. Andreas Maurer

Sitz: StuttgartRechtsform: eGGründung: 1896 / 1999 (Fusion)Bilanzsumme: 13,5 Mrd. EuroMitarbeiter: 716Filialen: 37Privatkunden: 704.521Vorstand: Martin Hettich, Bernd Klink, Joachim Haas, Martin Buch