6
EUCOR Seminar Basel-Freiburg-Strasburg La Phénomenologie aux Limites - Die Phänomenologie an den Grenzen Seminarsitzung 17.05.2013, Strasburg Fink und das Problem des Anfangs Giovanni Jan Giubilato “ein Grüß von Ufer zu Ufer über den Fluß der Erscheinungen hinweg” Ernst Jünger Zunächst möchte ich, soweit es dem Zweck unseres Seminars nutzvoll ist, kurz auf die Frage eingehen: Wer war Eugen Fink? Eugen Fink, geboren 1905 in Konstanz, traf 1926 in Freiburg an. 1929 promovierte er unter der Betreuung von Husserl und Heidegger mit einer Dissertation zum Thema “Vergegenwärtigung und Bild. Phänomenologie der Unwirklichkeit”. Vom 1928 bis zum Husserls Tod 1938 ist er Assistent Husserls gewesen. 1939 war er einer der Mitbegründer des Husserls-Archivs in Löwen und 1950 gründete er die Zweigstelle des Husserls-Archiv in Freiburg. Nach langjähriger Lehrtätigkeit an der Universität Freiburg starb Eugen Fink am 25 Juli 1975. In den Jahren seiner Mitarbeit mit dem “Meister der Wesensschauarbeitete er an der Sichtung, Auswertung und Vorbereitung der ungeheuer zahlreichen Forschungsmanuskripten Husserls 1 . Im Auftrag von ihm beschäftigte er sich mit dem Entwurf eines “System der phänomenologischen Philosophie”, mit der Umarbeitung der Cartesianischen Meditationen für das deutsche Publikum, mit der Bearbeitung eines Zeitbuchs, das die endgültige Darstellung der langjährigen Untersuchungen über die Phänomenologie der Zeit darbieten sollte, und zuletzt natürlich mit der Redaktion des “Krisis”-Werk. Außerdem veröffentlichte er zwischen 1933 und 1939 drei Aufsätze, mit denen in Anlehnung an die misslungene Umarbeitung der Cartesianischen Meditationen der Zweck erzielt wurde, eine gründliche Darstellung und Selbst-Deutung der Phänomenologie abzuliefern und die Kritiken an Husserl vonseiten der Lebensphilosophie und des Neukantianismus zu erwidern. In einer autobiographischen Schrift, die Fink 1945 schrieb – also am Ende des II Weltkrieges als die französischen Besatzungstruppen in Freiburg schon einmarschiert waren –, wird die Mitarbeit mit Husserl geschildert wie folgt: 1 Vgl. S. Luft, Die Archivierung des husserlschen Nachlasses 1933-1935, Husserl Studies 20: 1-23, Kluwer Academic Publishers 2004. 1

Fink Anfang Basel

Embed Size (px)

DESCRIPTION

denken

Citation preview

Page 1: Fink Anfang Basel

EUCOR Seminar Basel-Freiburg-StrasburgLa Phénomenologie aux Limites - Die Phänomenologie an den GrenzenSeminarsitzung 17.05.2013, Strasburg

Fink und das Problem des Anfangs Giovanni Jan Giubilato

“ein Grüß von Ufer zu Ufer über den Fluß der Erscheinungen hinweg”Ernst Jünger

Zunächst möchte ich, soweit es dem Zweck unseres Seminars nutzvoll ist, kurz auf die Frage eingehen: Wer war Eugen Fink? Eugen Fink, geboren 1905 in Konstanz, traf 1926 in Freiburg an. 1929 promovierte er unter der Betreuung von Husserl und Heidegger mit einer Dissertation zum Thema “Vergegenwärtigung und Bild. Phänomenologie der Unwirklichkeit”. Vom 1928 bis zum Husserls Tod 1938 ist er Assistent Husserls gewesen. 1939 war er einer der Mitbegründer des Husserls-Archivs in Löwen und 1950 gründete er die Zweigstelle des Husserls-Archiv in Freiburg. Nach langjähriger Lehrtätigkeit an der Universität Freiburg starb Eugen Fink am 25 Juli 1975.

In den Jahren seiner Mitarbeit mit dem “Meister der Wesensschau” arbeitete er an der Sichtung, Auswertung und Vorbereitung der ungeheuer zahlreichen Forschungsmanuskripten Husserls1. Im Auftrag von ihm beschäftigte er sich mit dem Entwurf eines “System der phänomenologischen Philosophie”, mit der Umarbeitung der Cartesianischen Meditationen für das deutsche Publikum, mit der Bearbeitung eines Zeitbuchs, das die endgültige Darstellung der langjährigen Untersuchungen über die Phänomenologie der Zeit darbieten sollte, und zuletzt natürlich mit der Redaktion des “Krisis”-Werk. Außerdem veröffentlichte er zwischen 1933 und 1939 drei Aufsätze, mit denen in Anlehnung an die misslungene Umarbeitung der Cartesianischen Meditationen der Zweck erzielt wurde, eine gründliche Darstellung und Selbst-Deutung der Phänomenologie abzuliefern und die Kritiken an Husserl vonseiten der Lebensphilosophie und des Neukantianismus zu erwidern.

In einer autobiographischen Schrift, die Fink 1945 schrieb – also am Ende des II Weltkrieges als die französischen Besatzungstruppen in Freiburg schon einmarschiert waren –, wird die Mitarbeit mit Husserl geschildert wie folgt:

“Sieben Jahre lang hat Husserl täglich in mehrstündigen Gesprächen mich in seine gesamten, über viert Jahrzehnte sich erstreckenden analytischen Forschungen eingeführt, die in seinen Manuskripten vorlagen. Ich habe dadurch, wie kein zweiter Mensch, einen umfassenden Beinblick in die philosophische Problematik Husserls, in ihre innersten Antriebe und unausgesprochenen Horizonte, in die unedierten Manuskriptmassen und Publikationsentwürfe gewonnen […] Husserl, der weit davon entfernt war, sich in mir einen Paradeschüler zu erziehen, hat meine Mitarbeit vor allem wegen ihrer starken kritischen Tendenz geschätzt: […] Husserl hat meine geistige Selbständigkeit gerade dadurch anerkannt, daß er immer meinen produktiven Widerspruch und meine Kritik suchte, die er als Stimulanz zur Objektivierung seiner schöpferischen Gedanken brauchte. So entstanden gerade in diesen sieben Jahren die wichtigsten Forschungsmanuskripten. In dieser Zeit, in der Husserl die Ernte seines langen Forscherlebens einzubringen versuchte, habe ich für ihn gleichsam als geistiger Katalysator gewirkt”2.

1 Vgl. S. Luft, Die Archivierung des husserlschen Nachlasses 1933-1935, Husserl Studies 20: 1-23, Kluwer Academic Publishers 2004.

2 Eugen Fink, Politische Geschichte meiner wissenschaftlichen Laufbahn, Freiburg 1 Juni 1945. Unveröffentlichtes Dokument aus dem Eugen-Fink-Archiv, aus dem ich einige Auszüge zitiere.

1

Page 2: Fink Anfang Basel

Wichtig ist einzusehen, dass diese Beschreibung keineswegs eine bloße Selbst-Hervorhebung vonseiten Finks ist und dass sie mit den Gefühlen Husserls vollkommen übereinstimmt. Ich zitiere aus einem Brief, den Husserl 1931 seinem Brüder Albert schrieb: “Allergrößten Dank schulde ich meinem jungen Mitarbeiter Fink. Ein unglaublich begabter Mensch: ohne die tägliche Aussprache mit ihm konnte ich nicht durchführen was ich vorhabe. Wo mein Gedächtnis nachlässt, hilft mir seine Jugend, jede Wendung meiner vielverästelten phänomenologischen Aufweisungen (sozusagen eine Unzahl mikroskopischer Quer- und Längsschnitte und Präparate) beherrscht er und in dem Gespräch mit ihm habe ich oft die besten Einfälle, plötzlich sehe ich die langgesuchten Zusammengehörigkeiten, die innere Ordnung, in der alles schon zusammenstimmt”3.

Was das phänomenologische Problem des Anfangs angeht – dem jetzt unsere kurze Besinnung gelten soll – möchte ich euch den Versuch vorschlagen, eine Grundunterscheidung der Sinngehalte, die dem Anfangsproblem zukommen, terminologisch und vorurteilslos zu zeihen. Also eine Grundunterscheidung der verschiedenen Sinne, die das Anfangsproblem in der Phänomenologie annehmen kann. Hierdurch muss es aber von vornherein klar sein, dass wir die Phänomenologie Husserls mit den Augen Finks ansehen. Inwieweit die Perspektive, die sich damit eröffnet, berechtigt ist, wird immer noch Objekt der Debatte sein.

(1) sachlich: Ich habe es “sachlich” darum gennant, weil hier handelt es sich um dasjenige Problem des Anfangs, das in den konkreten Untersuchungen und phänomenologischen Forschungen über das Bewusstsein und seine transzendentalen Strukturen, über die Konstitution auftaucht. Hierher gehören die zwei verschiedene Formen des Anfangsproblem, die dieses in der statischen und genetischen Analyse annimmt. (Vgl. unsere heutige Sitzung)

(2) methodologisch: Dagegen nimmt hier das Problem des Anfangs “methodologische” Züge an.

1.1 in der statischen PhänomenologieEidetische-statische Analyse; ANFANG als ANSATZPUNKT, FERTIGGEGEBENE = TELOS – Stat. Phän: deskriptive Bewusstseinslehre (F. Brentano), “eine transzendental-deskriptive

Egologie, eine (als psychologische Fundamentaldisziplin notwendig25 durchzuführende) reine Innenpsychologie”4. Eine radikal beim ego cogito anfangende Bewusstseinslehre, Progressive Bewegung der Deskription und eidetischen Variation zum eidetischen Niederschlag:TeleologieZig-Zag Methode:

1.2 in der genetischen PhänomenologieANFANG als ARCHE, HORIZONTGEGEBENE = Gen. Phän als Archeologie: Rückgang in die Genesis. Genetische Phänomenologie und ihre Grenzen, konstitutive Rückfrage.Ein Leben hat seinen Anfang uns sein Ende; es beginnt und endet in der Zeit. Das transzendentale nicht. Das reine Erlebnisstrom hat einen transzendentalen Sinn, der ganz anders ist als der einer objektiven unendlichen Strecke.Mit der Fragen nach Anfang und Ende (nach der mundanen generativen Strukturen), nach der frühkindlichen Entwicklung (Urkind), der archaischen Aufbauprozesse der Weltkonstitution und der Totalitätsform der intersubjektiven Monadengemeinschaft und monadologischen Historie, komm die Phänomenologie zu ihren Herkulessäulen. Diese Fragen stammen nämlich alle von der genetischen Phänomenologie ab, sind aber innerhalb der genetischen-konstitutiven Horizonten nicht völlig lösbar. Damit kommt, in einer gewissen Weise, die Phänomenologie zu ihren Grenzen. Geleitet durch weltliche Phänomene, ausgebaut durch verschiedene Stufen der Reduktion, die Wissenschaft der

3 Edmund Husserl, Briefwechsel, IX, s. 80.4 Cartesianische Meditationen, s. 76.

2

Page 3: Fink Anfang Basel

Selbstgegebenheit stoßt auf eine transzendentale Latenz (Ungegebenheit?), oder Abwesenheit.Ungegebenheit als transzendentale Unmöglichkeit, bestimmten Ereignisse durch MEMORIAM in den Erlebnisstrom wiederzurufen und einzuholen.Husserl versucht dem Problem durch die Methode der "Rekonstruktion" entgegenzutreten: Vgl Text “Das Problem des Anfangs. Methode der Rekostruktion”Hier der cartesianische und psychologische Weg steckt in Krise: Apodiktische Evidenz des “Ich bin” schliesst keineswegs eine seinsmäßige Zufälligkeit des Ichs selbst aus. Cfr. Problem des Anfangs, s. 473! Der apodiktische Boden, der der Letzbegründung der Wissenschaft dienen sollte, wird brüchig...

2.1 Beginn der Phänomenologie(Vgl. Erste Sitzung in Basel)Anfang der “transzendentalen” Einstellung im Gegensatz zu der “natürlichen”. Die drei Wege Husserls zur Epochè und Reduktion: der cartesianische Weg, der psychologische Weg und der lebensweltlich-ontologische Weg5. Wie fängt die Phänomenologie an? Wie kann ich die natürliche Einstellung verlassen und mich in die transzendental-phänomenologische versetzen?

2.2 Beginn der PhilosophieWelcher ist der Weg, der zu den drei Wege Husserls führt? Wie und warum komme ich zum Bedürfnis, mich unterwegs zu bringen? Wie gelinge ich zum Beginn der Phänomenologie?Hier geht es letztlich um die Motivationen, die sich in der natürlichen Einstellung abspielen und die uns zum Sprung in die Philosophie auffordern. Wie fängt die Philosophie an? Warum ist überhaupt Philosophie und nicht vielmehr Nichts? Warum ist in der natürlichen Einstellung so ein einzigartiger Drang zum Wissen und zur Erkenntnis aufgewachsen?

Ich möchte jetzt mit einigen konkreten Beispiele die gerade formal angezeigten Begriffe beleuchten:

1.1 ist Begriff des “Leitfadens”6 erhöht auf methodisches Prinzip.

Cfr. Vergegenwärtigung und Bild, § 6 über die Eigenart der phänomenologischen Analyse: “Das dritte Moment der Eigenart der phänomenologischen Analyse, eines Leitfadens bedürftig zusein, gründet […] in der Situation der Reduktion. Weil eben die transzendentale Analytik sich vor die Aufgabe gestellt sieht, eine bereits fertige Welt transzendental aufzuklären, […] muss sie von den Gegenständen, den intentionalen Einheiten als den konstitutiven Resultaten zurückfragen in die konstituierenden Mannigfaltigkeit. Der noematische Sinn fungiert als Index für den verborgenen und zu enthüllenden Reichtum der subjektiven […] Leistungen. […]” Die angemessene Ausarbeitung dieser transzendentalen Leitfäden “ist selbst eine der wichtigsten Arbeitsprobleme der konstitutiven Phänomenologie. […] Dies ist eine rohe Beschreibung dessen, was Husserl als transzendentale Ästhetik bezeichnet”.

Cfr. VI Cartesianische Meditation, p. 11-12, die Fink zur Vervollständigung des meditativen Ganges Husserls schrieb – hier finden wir eine Wiederaufnahme des Begriffes der “transzendentalen Ästhetik” zusammen mit dem des “Leitfadens”: die transzendentale Ästhetik ist “die Auslegung des „Weltphänomens“, Auslegung der cogitata als cogitata und ihrer Universalstrukturen, Deskription 5 Zu bemerken ist, dass der dritte lebensweltlich orientierte Weg, der von der Welt ausgehet, so wie sie geschichtlich

und sinnlich vorgegeben erscheint, unter Mitwirkung der Zusammenarbeit mit Fink erscheint. Das geht auch aus einer “philologischen” Forschung der Materialen und Manuskripten hervor.

6 Bei Husserl Literaturangaben zum Begriff “Leitfaden”: Ideen I, p. 348, 358; Cartesianische Meditationen, 87, 90, 89.

3

Page 4: Fink Anfang Basel

der Geltungen und der Geltungseinheiten rein als solcher, der Strukturtypik und wesensmässigen Formen, um damit den Leitfaden zu gewinnen für die korrelative Beschreibung der cogitationes, der mannigfaltigen Bewusstseinsweisen, in denen das jeweilige cogitatum als identische Einheit gegeben ist”.

1.2Unterredung mit H. 1.12.1927Meine zweite Frage: die genetische Probleme: hat der reine Erlebnisstrom einen Anfang, ein Ende, fällt die weltliche Rede von Tod und Geburt mit dem Anfangs- und Endproblem des transzendentalen Zeitbewusstseins zusammen? ... Husserl Erklärung: (sehr vorsichtig) - Die sich selbst konstituierende Zeitlichkeit kann nicht anfangen und nicht enden. Mehr kann man leicht nicht sagen. (Z-I, 24a)

Idee einer Konstitution, die apräsenzial ist. (Z-V, IV/4b)

Alle genetische Aufklärung trifft ja wesenswäßig nie einen AnfangZ-IV, 8a

Zunächst in der naiven Analyse zeigt sich, dass prinzipiell nicht jeder Vergangenheitspunkt durch Wiedererinnerung “treffbar” ist; wäre es so, so wäre die Vergangenheit entweder eine unendliche Zeitstrecke oder eine endliche. Eine endliche Zeitstrecke mag der Erlebnisstrom insofern nicht sein, als nach Husserl er eine “offene Endlosigkeit” hat. ((In der rohen Bestimmung Husserls, daß der Erlebnisstrom "endlos" ist, verbirgt sich vielleicht die Einsicht, daß er nicht die Seinsart des Vorhandenen hat, d. h. daß er nicht anfängt und endet wie ein Gewitter, wie ein Ton. Die These von der "Endlosigkeit" ist zunächst der deskriptive Befund des ersten analytischen Zugreifens, keineswegs von Husserl als starres Dogma behauptet. "Endlosigkeit" ist ein negatives Charakteristikum, das positiv noch keine Prätention macht. Z-VI, 9a-10b

Vergegenwärtigung und Bild, §16. Die Vergangenheitsganzheit und ihr Verhältnis zur Wiedererinnerung, S. 37-9Wir treffen nie einen Anfang des Bewusst. Das sich-im-dunkel-verlieren ist die phänomenologisch einzig aufweisbare Weise des Endigen der transz. Subjektivität hinsichtlich ihrer Vergangenheit.

Ich komme jetzt zum Schluss. Zur Öffnung der Diskussion möchte ich euch einen Zitat mitteilen, den Herr Schwarz, der damalige Assistent Eugen Finks, mir mündlich berichtet hat. So pflegte Fink zu sagen: “lies bitte die Werke Husserls, lies bitte Heidegger, dann lies auch meine Texte und dann, wenn du fähig bist, bist du erst dazu bereit, eben anzufangen”.

4