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WISSEN Tages-Anzeiger · Mittwoch, 6. Mai 2009 30 Mit der japanischen Falttechnik Origami und dem Wissen über Aerodynamik wird aus einem Blatt Papier ein Meisterflieger. Von Martin Läubli Papierflieger basteln ist Kinder- kram. Das glauben wir. Es ist die Erinnerung an frustrierende Übungen: Die Schulheftseite vier-, fünfmal falten und mit Feingefühl werfen. Die Nase des Seglers zeigte stets schon beim Start nach unten. Auch der zehnte Versuch war eine Bruch- landung. Und der Vater konnte nicht helfen. Wie auch: Wer kennt sich schon in der Aerodynamik der Papierflugzeuge aus? Den Luzerner Sipho Mabona könnte man um Rat fragen. Sein Papierflieger blieb an der Weltmeisterschaft in Salzburg am Wochenende am zweitlängsten in der Luft (TA vom Montag). 10,6 Sekunden. Eine Sekunde fehlte zum Weltmeistertitel. Dabei habe sein Flieger alle Eigenschaften, über 20 Sekunden zu segeln, sagt der Ent- wickler. Mabona hat jahrelang getüftelt. Den ersten Papierflieger fertigte er mit fünf Jahren. Hunderte Flugexperimente später war er mit seinem Fliegerlatein aber am Ende. «Durch die Fliegerei kam ich vor zehn Jahren zu Origami», sagt der 29-Jäh- rige. Die japanische Falttechnik brachte ihn weiter. Für seine Konstruktion braucht es weder Massstab noch andere Hilfsmit- tel. «Ich bin überzeugt, dass mit meinem Design der Weltrekord zu brechen ist.» Dieser liegt bei 27,6 Sekunden – und wird vom amerikanischen Aerodynamiker Ken Blackburn gehalten. In 15 Minuten gefaltet Schere und Klebstoff sind in der japani- schen Kunst des Papierfaltens (oru= fal- ten, kami = Papier) verpönt. Das passt zur Weltmeisterschaft. «Reissen und kleben sind verboten», sagt Michael Kummer. Der ETH-Doktorand ist der «Pilot» des Flugzeugs Typ Mabona und seit dem Wo- chenende Vizeweltmeister. Die Piloten er- hielten ein DIN-A4-Blatt, pro Quadratme- ter 80 Gramm leicht. Es galt die Flugzeuge vor dem Wettkampf zu falten. «Ich brau- che etwa 10 bis 15 Minuten», sagt Kummer. Der Robotikforscher musste dafür länger trainieren als die meisten seiner Konkur- renten. Kaum einer setzte die komplizierte Origami-Technik ein. «Es muss genau ge- faltet werden, damit am Schluss alles auf- geht.» Das Erfolgsprinzip klingt einfach: Der Papierflieger soll hoch in die Luft stei- gen und langsam niedergleiten. Die Aus- führung ist aber alles andere als trivial. Es braucht einen Kompromiss. Denn: Kurze, stabile Flügel sind gut für den Start, lange besser für das Gleiten. Der Flieger steigt am höchsten mit möglichst wenig Auftrieb und Reibung, braucht jedoch viel davon, um lange zu segeln. So musste sich der Psychologiestudent und Origami-Künstler Mabona intensiv mit Aerodynamik beschäftigen. «Ich nahm mir das Weltrekord-Modell als Vor- bild und studierte Bücher über Papierflie- ger», sagt er. Was das bedeutet, erfährt der Laie auf der Homepage des Welt- rekordhalters Ken Blackburn. Dort erhält der Anfänger die physikalischen Grund- lagen zum erfolgreichen Flugzeugkon- strukteur. Grundsätzlich, so heisst es dort, ist ein Papierflieger ein schwebender Flü- gel aus einer Papierfalte, die der Pilot hält, wenn er den Flieger in die Höhe wirft. «Die Papiermodelle unterscheiden sich von den realen Flugzeugen, weil sie leicht und schnell gebaut werden sollten», schreibt Blackburn, der sich neun Monate lang auf den Weltrekordversuch 1998 vor- bereitete. Pilot macht ein Feintuning Trotzdem fehlt es nicht an Finessen: Eine Art Höhenleitwerk bevorteilt den Pa- pierflieger beim Start. Der Segler soll schnell Geschwindigkeit erreichen, um die Schwerkraft für einen Moment zu über- winden. So faltet der Pilot die Heckkante des Flügels nur ganz wenig nach oben. «Hier kann man vor dem Wettkampf eine wichtige Feinabstimmung vornehmen», sagt Vizeweltmeister Michael Kummer. Ganze Erfahrung ist dabei gefragt. Denn allzu viele Versuche sind vor dem Ernst- kampf nicht empfehlenswert. «Mit jedem Test wird Kraft auf das Flugzeug ausgeübt, und ungetrimmte Flieger stürzen schon mal auf die Nase», sagt Kummer. Weltrekordler Ken Blackburn be- schreibt den optimalen Flug so: Der Pa- pierflieger steigt mit über 90 Kilometer pro Stunde auf etwa 18 Meter Höhe. Nach ungefähr 3 Sekunden neigt sich die Nase und die Gleitphase wird eingeleitet, die gut 17 und mehr Sekunden dauern kann. «Mein Flieger steigt etwa 15 Meter», sagt Sipho Mabona. Die Dauer seines besten Versuches: 23,6 Sekunden. Worin unter- scheidet sich der Papierflieger des Origa- mi-Experten von jenem des Aerodyna- mikers Black- burn? «Meine Flügelenden sind zum Beispiel leicht nach oben geknickt, dafür sind die Tragflächen ge- rade», sagt Mabona. Blackburn hingegen setzt auf Tragflächen, die leicht nach oben ge- neigt sind. Das hält das Flugzeug stabil in der Luft. Aber: «Blackburns Flieger benötigt Klebeband, meiner bringt gute Flugleistungen ohne Hilfsmittel», sagt Mabona. Die Flügel waren die grösste Herausfor- derung für den Entwickler. Stabil sollten sie sein und trotzdem filigran, um einen mög- lichst grossen Auftrieb zu erzielen. Ein Ge- setz der Aerodynamik besagt: Die Tragflä- chen sollten nicht dicker sein als 10 Prozent der Flügeltiefe, damit die Luftströmung die Tragflächen leicht und schnell umspülen kann. Das Modell Mabona lehnt sich unver- kennbar an die Weltrekord-Variante an. Trotzdem scheint der Origami-Künstler im Detail einiges modifiziert zu haben. Auf je- den Fall braucht Ken Blackburn 8 Falt- schritte, Mabona hingegen 22. Auch wenn die Papierflieger nach Falt- muster reproduzierbar sind, ist die Tages- form nicht unwesentlich an Wettkämpfen. Der brasilianische Weltmeister vom letz- ten Wochenende war mit 11,66 Sekunden weit vom Weltrekord entfernt. «Man hat nur zwei Versuche, beim ‹Guinness- Buch›-Rekord waren zehn erlaubt», sagt Sipho Mabona. Der Flieger von Michael Kummer flog leider Richtung Publikum. «Dort gab es natürlich Turbulenzen», sagt er. Und Weltrekordler Blackburn sieht ei- nen Vorteil, wenn man die Baseball-Wurf- technik beherrscht. www.mabonaorigami.com www.paperplane.org Flieg, flieg mein Papierflieger, flieg Dieser Papierflieger, entwickelt vom Luzerner Sipho Mabona, geworfen vom ETH-Forscher Michael Kummer, wurde Vizeweltmeister.

Flieg, flieg mein Papierflieger, flieg - mabonaorigami.com · Trotzdem scheint der Origami-Künstler im Detail einiges modifiziert zu haben. Auf je-den Fall braucht Ken Blackburn

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WISSEN Tages-Anzeiger · Mittwoch, 6. Mai 200930

1. Die Ecken diagonal nach untenfalten, damit der obere Blattrandauf die Seitenkanten zu liegenkommt, wieder öffnen.

3. Die Ecken zur Mitte falten,sodass sie die markierten Punkteberühren, wieder öffnen.

4. Die markierten Punkteaufeinanderfalten, wieder öffnen.

5. Die Ecken zu den zuvorgefalteten Referenzlinien falten,wieder öffnen.

7. Die Ecken entlang der Faltenaus Schritt 5 nach innen zwischendie zwei Lagen stossen.

9. Erneut nur die Seiten derobersten Lage zur Mitte falten.

10. Im oberen Bereich unterdie oberste Lage greifen, um eineBergfalte zu formen, und dieKante nach innen falten.

12. Die obere Kante nach untenfalten.

16. Die äusseren Ränder nachinnen falten.

18. Den oberen Rand die Kanteentlang nach unten falten.

19. Die Lasche mit einerBergfalte nach hinten in dieTasche falten.

6. Den oberen Rand nach untenfalten, sodass die Ecken auf diemarkierten Punkte zu liegenkommen, wieder öffnen.

8. Nur die Seiten der oberstenLage nach innen falten.

11. Das in Schritt 9 nach innengefaltete Papier wieder nachaussen falten.

14. Den Bereich in der Mitteleicht anheben, ohne die Faltliniefestzudrücken.

15. Die oberste Lage anheben undnach aussen falten, sodass diemarkierten Punkte auf die darunterliegende Faltlinie zu liegen kommen.

17. Den oberen Rand bis knappüber die Kante in der Mitte nachunten falten.

20. Die Tragfläche mit einerBergfalte halbieren.

21. Den Steg so formen, dass erzum Heck hin schmaler wird.

22. Die Ränder nach innen faltenund wieder öffnen, um dieWinglets zu formen.

2. Den oberen Blattrand nachunten falten.

13. Die obere Lage entlang derKante nach oben falten. Wenden!

So wird der Flieger gefaltet

TA-Grafik ek /© Sipho Mabona 2009, www.mabonaorigami.com

Mit der japanischen FalttechnikOrigami und dem Wissen überAerodynamik wird aus einemBlatt Papier ein Meisterflieger.

Von Martin Läubli

Papierflieger basteln ist Kinder-kram. Das glauben wir. Es ist dieErinnerung an frustrierendeÜbungen: Die Schulheftseitevier-, fünfmal falten und mitFeingefühl werfen. DieNase des Seglers zeigtestets schon beim Startnach unten. Auchder zehnte Versuchwar eine Bruch-landung. Und derVater konntenicht helfen.Wie auch: Werkennt sich schonin der Aerodynamikder Papierflugzeuge aus?

Den Luzerner Sipho Mabona könnteman um Rat fragen. Sein Papierfliegerblieb an der Weltmeisterschaft in Salzburgam Wochenende am zweitlängsten in derLuft (TA vom Montag). 10,6 Sekunden.Eine Sekunde fehlte zum Weltmeistertitel.Dabei habe sein Flieger alle Eigenschaften,über 20 Sekunden zu segeln, sagt der Ent-wickler. Mabona hat jahrelang getüftelt.Den ersten Papierflieger fertigte er mitfünf Jahren. Hunderte Flugexperimentespäter war er mit seinem Fliegerlatein aberam Ende. «Durch die Fliegerei kam ich vorzehn Jahren zu Origami», sagt der 29-Jäh-rige. Die japanische Falttechnik brachteihn weiter. Für seine Konstruktion brauchtes weder Massstab noch andere Hilfsmit-tel. «Ich bin überzeugt, dass mit meinemDesign der Weltrekord zu brechen ist.»Dieser liegt bei 27,6 Sekunden – und wirdvom amerikanischen Aerodynamiker KenBlackburn gehalten.

In 15 Minuten gefaltet

Schere und Klebstoff sind in der japani-schen Kunst des Papierfaltens (oru=fal-ten, kami = Papier) verpönt. Das passt zurWeltmeisterschaft. «Reissen und klebensind verboten», sagt Michael Kummer.Der ETH-Doktorand ist der «Pilot» desFlugzeugs Typ Mabona und seit dem Wo-chenende Vizeweltmeister. Die Piloten er-hielten ein DIN-A4-Blatt, pro Quadratme-ter 80 Gramm leicht. Es galt die Flugzeugevor dem Wettkampf zu falten. «Ich brau-che etwa 10 bis 15 Minuten», sagt Kummer.Der Robotikforscher musste dafür länger

trainieren als die meisten seiner Konkur-renten. Kaum einer setzte die komplizierteOrigami-Technik ein. «Es muss genau ge-faltet werden, damit am Schluss alles auf-geht.» Das Erfolgsprinzip klingt einfach:Der Papierflieger soll hoch in die Luft stei-gen und langsam niedergleiten. Die Aus-führung ist aber alles andere als trivial. Esbraucht einen Kompromiss. Denn: Kurze,stabile Flügel sind gut für den Start, langebesser für das Gleiten. Der Flieger steigtam höchsten mit möglichst wenig Auftriebund Reibung, braucht jedoch viel davon,um lange zu segeln.

So musste sich der Psychologiestudentund Origami-Künstler Mabona intensivmit Aerodynamik beschäftigen. «Ichnahm mir das Weltrekord-Modell als Vor-bild und studierte Bücher über Papierflie-ger», sagt er. Was das bedeutet, erfährtder Laie auf der Homepage des Welt-rekordhalters Ken Blackburn. Dort erhältder Anfänger die physikalischen Grund-lagen zum erfolgreichen Flugzeugkon-strukteur. Grundsätzlich, so heisst es dort,ist ein Papierflieger ein schwebender Flü-gel aus einer Papierfalte, die der Pilot hält,wenn er den Flieger in die Höhe wirft.«Die Papiermodelle unterscheiden sichvon den realen Flugzeugen, weil sie leichtund schnell gebaut werden sollten»,schreibt Blackburn, der sich neun Monate

lang auf den Weltrekordversuch 1998 vor-bereitete.

Pilot macht ein Feintuning

Trotzdem fehlt es nicht an Finessen:Eine Art Höhenleitwerk bevorteilt den Pa-pierflieger beim Start. Der Segler sollschnell Geschwindigkeit erreichen, um dieSchwerkraft für einen Moment zu über-winden. So faltet der Pilot die Heckkantedes Flügels nur ganz wenig nach oben.«Hier kann man vor dem Wettkampf einewichtige Feinabstimmung vornehmen»,sagt Vizeweltmeister Michael Kummer.Ganze Erfahrung ist dabei gefragt. Dennallzu viele Versuche sind vor dem Ernst-kampf nicht empfehlenswert. «Mit jedemTest wird Kraft auf das Flugzeug ausgeübt,und ungetrimmte Flieger stürzen schonmal auf die Nase», sagt Kummer.

Weltrekordler Ken Blackburn be-schreibt den optimalen Flug so: Der Pa-pierflieger steigt mit über 90 Kilometerpro Stunde auf etwa 18 Meter Höhe. Nachungefähr 3 Sekunden neigt sich die Naseund die Gleitphase wird eingeleitet, diegut 17 und mehr Sekunden dauern kann.«Mein Flieger steigt etwa 15 Meter», sagtSipho Mabona. Die Dauer seines bestenVersuches: 23,6 Sekunden. Worin unter-scheidet sich der Papierflieger des Origa-

mi-Expertenvon jenem

des Aerodyna-mikers Black-

burn? «MeineFlügelenden sind

zum Beispielleicht nach oben

geknickt, dafür sinddie Tragflächen ge-

rade», sagt Mabona.Blackburn hingegen

setzt auf Tragflächen,die leicht nach oben ge-

neigt sind. Das hält dasFlugzeug stabil in der Luft.

Aber: «Blackburns Fliegerbenötigt Klebeband, meiner

bringt gute Flugleistungenohne Hilfsmittel», sagt Mabona.

Die Flügel waren die grösste Herausfor-derung für den Entwickler. Stabil sollten siesein und trotzdem filigran, um einen mög-lichst grossen Auftrieb zu erzielen. Ein Ge-setz der Aerodynamik besagt: Die Tragflä-chen sollten nicht dicker sein als 10 Prozentder Flügeltiefe, damit die Luftströmung dieTragflächen leicht und schnell umspülenkann. Das Modell Mabona lehnt sich unver-kennbar an die Weltrekord-Variante an.Trotzdem scheint der Origami-Künstler imDetail einiges modifiziert zu haben. Auf je-den Fall braucht Ken Blackburn 8 Falt-schritte, Mabona hingegen 22.

Auch wenn die Papierflieger nach Falt-muster reproduzierbar sind, ist die Tages-form nicht unwesentlich an Wettkämpfen.Der brasilianische Weltmeister vom letz-ten Wochenende war mit 11,66 Sekundenweit vom Weltrekord entfernt. «Man hatnur zwei Versuche, beim ‹Guinness-Buch›-Rekord waren zehn erlaubt», sagtSipho Mabona. Der Flieger von MichaelKummer flog leider Richtung Publikum.«Dort gab es natürlich Turbulenzen», sagter. Und Weltrekordler Blackburn sieht ei-nen Vorteil, wenn man die Baseball-Wurf-technik beherrscht.

www.mabonaorigami.comwww.paperplane.org

Flieg, flieg mein Papierflieger, fliegDieser Papierflieger, entwickelt vomLuzerner Sipho Mabona, geworfenvom ETH-Forscher Michael Kummer,wurde Vizeweltmeister.