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BZB September 15 Wissenschaft und Fortbildung 52 Trotz aller Präventionserfolge in der Kinderzahn- heilkunde ist der Kariesbefall im Milchgebiss nach wie vor hoch. Dabei bleibt nach Krämer et al. [41] und Pieper [58] die Therapie der kariösen Milch- zähne bundesweit unzureichend. Ein besonderes Problem stellt vor allem die frühkindliche Karies dar. Man kann davon ausgehen, dass etwa 15 Prozent aller Dreijährigen unter frühkindlicher Karies lei- den. In dieser Altersgruppe werden lediglich knapp 20 Prozent der festgestellten kariösen Läsionen be- handelt (Abb. 1a und b) [65]. Eigene Untersuchun- gen im Rahmen eines Pilotprojekts der bayerischen Landesarbeitsgemeinschaft Zahngesundheit bestä- tigen diesen Trend (Abb. 2). Aufgrund unterschied- licher Faktoren (Compliance der Kinder, Möglich- keiten in der eigenen Praxis, die nicht belegte Mei- nung, dass auch marode Milchzähne eine Platz- halterfunktion haben) werden Milchzähne nicht oder zu spät behandelt [66,73]. Muss Karies noch entfernt werden? Vor dem Hintergrund einer hohen Anzahl unbe- handelter Milchzähne in Schottland empfahlen Innes et al. [35] 2006 eine neue Technik zum „Ma- nagement kariöser Milchmolaren in der Praxis“. Sie beklagten die schlechten Ergebnisse der Fül- lungstherapie im Milchgebiss in den Praxen der „Generalisten“ und forderten die Einführung von einfachen Restaurationstechniken zur Versorgung der Milchzähne. Um den Stress für das Kind und das Zahnarztteam zu minimieren, wurde zur Be- handlung kariöser Milchmolaren die sogenannte „Hall-Technik“ vorgeschlagen. Eine Lokalanästhe- sie und rotierende Instrumente sollen nicht zum Einsatz kommen. Die Besonderheit der Technik ist, dass konfektionierte Stahlkronen ohne Präparation oder Lokalanästhesie auf dem zuvor symptomlosen Zahn angepasst und zementiert werden. Kariöser Schmelz und kariöses Dentin werden nicht entfernt, sondern durch die zementierte Krone versiegelt und vom Rest der Mundhöhle isoliert. Eine moderate Bisserhöhung wird in Kauf genommen, sie reguliert sich laut Angabe der Autoren von selbst [33]. Erste Studien zeigten ansprechende Erfolge der Tech- nik [33,35,67]. Ob sie wirklich ausreichend Evidenz aufweisen, um die Versorgungssituation im Milch- gebiss zu verbessern, kann heute noch nicht ab- schließend beantwortet werden. Die Anzahl der vorliegenden klinischen Studien beziehungsweise Erfahrungen ist noch zu begrenzt, um das Verfah- ren für die tägliche Praxis empfehlen zu können [9,20,33,34,35,51,67,74,75]. Zudem gibt es durchaus kritische Stimmen zu dem Verfahren. Van der Zee und van Amerongen [75] warnen vor der Gefahr, dass die Bisshöhe ungünstig verändert und dadurch der Überbiss beeinträchtigt wird. Wenn die Karies nicht entfernt wird, bleibt grundsätzlich die Problematik einer korrekten Pulpa- diagnostik. Duggal et al. [21] und Rajan et al. [61] Füllungstherapie in der Kinderzahnheilkunde Frühkindliche Karies ist noch immer ein Problem Ein Beitrag von Prof.Dr.Dr.Norbert Krämer, Gießen Abb. 1a: Typisches Bild einer frühkindlichen Karies Typ 2 bei einem Dreijährigen. Die Kronen der Frontzähne sind nahezu vollständig zerstört. Abb. 1b: Der starke Zerstörungsgrad auf der palatinalen Seite der Zähne lässt auf eine Saugerflasche als Ursache schließen.

Füllungstherapie in der Kinderzahnheilkunde

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Page 1: Füllungstherapie in der Kinderzahnheilkunde

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Trotz aller Präventionserfolge in der Kinderzahn-heilkunde ist der Kariesbefall im Milchgebiss nachwie vor hoch. Dabei bleibt nach Krämer et al. [41]und Pieper [58] die Therapie der kariösen Milch-zähne bundesweit unzureichend. Ein besonderesProblem stellt vor allem die frühkindliche Karies dar.

Man kann davon ausgehen, dass etwa 15 Prozentaller Dreijährigen unter frühkindlicher Karies lei-den. In dieser Altersgruppe werden lediglich knapp20 Prozent der festgestellten kariösen Läsionen be-handelt (Abb. 1a und b) [65]. Eigene Untersuchun-gen im Rahmen eines Pilotprojekts der bayerischenLandesarbeitsgemeinschaft Zahngesundheit bestä-tigen diesen Trend (Abb. 2). Aufgrund unterschied-licher Faktoren (Compliance der Kinder, Möglich-keiten in der eigenen Praxis, die nicht belegte Mei-nung, dass auch marode Milchzähne eine Platz-halterfunktion haben) werden Milchzähne nichtoder zu spät behandelt [66,73].

Muss Karies noch entfernt werden?Vor dem Hintergrund einer hohen Anzahl unbe-handelter Milchzähne in Schottland empfahlenInnes et al. [35] 2006 eine neue Technik zum „Ma-nagement kariöser Milchmolaren in der Praxis“.Sie beklagten die schlechten Ergebnisse der Fül-lungstherapie im Milchgebiss in den Praxen der„Generalisten“ und forderten die Einführung voneinfachen Restaurationstechniken zur Versorgung

der Milchzähne. Um den Stress für das Kind unddas Zahnarztteam zu minimieren, wurde zur Be-handlung kariöser Milchmolaren die sogenannte„Hall-Technik“ vorgeschlagen. Eine Lokalanästhe-sie und rotierende Instrumente sollen nicht zumEinsatz kommen. Die Besonderheit der Technik ist,dass konfektionierte Stahlkronen ohne Präparationoder Lokalanästhesie auf dem zuvor symptomlosenZahn angepasst und zementiert werden. KariöserSchmelz und kariöses Dentin werden nicht entfernt,sondern durch die zementierte Krone versiegelt undvom Rest der Mundhöhle isoliert. Eine moderateBisserhöhung wird in Kauf genommen, sie reguliertsich laut Angabe der Autoren von selbst [33].Erste Studien zeigten ansprechende Erfolge der Tech-nik [33,35,67]. Ob sie wirklich ausreichend Evidenzaufweisen, um die Versorgungssituation im Milch-gebiss zu verbessern, kann heute noch nicht ab-schließend beantwortet werden. Die Anzahl dervorliegenden klinischen Studien beziehungsweiseErfahrungen ist noch zu begrenzt, um das Verfah-ren für die tägliche Praxis empfehlen zu können[9,20,33,34,35,51,67,74,75].Zudem gibt es durchaus kritische Stimmen zu demVerfahren. Van der Zee und van Amerongen [75]warnen vor der Gefahr, dass die Bisshöhe ungünstigverändert und dadurch der Überbiss beeinträchtigtwird. Wenn die Karies nicht entfernt wird, bleibtgrundsätzlich die Problematik einer korrekten Pulpa-diagnostik. Duggal et al. [21] und Rajan et al. [61]

Füllungstherapie in der KinderzahnheilkundeFrühkindliche Karies ist noch immer ein Problem

Ein Be i t rag von Prof . Dr. Dr. Norbert Krämer, Gießen

Abb. 1a: Typisches Bild einer frühkindlichen Karies Typ 2 bei einemDreijährigen. Die Kronen der Frontzähne sind nahezu vollständigzerstört.

Abb. 1b: Der starke Zerstörungsgrad auf der palatinalen Seite derZähne lässt auf eine Saugerflasche als Ursache schließen.

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wiesen auf die frühzeitige irreversible Entzündungder Pulpa als Folge von Approximalkaries im Milch-gebiss hin. Eine Fehldiagnose muss unweigerlichzum Misserfolg der Maßnahme führen. Vor diesemHintergrund wurde die Leitlinie zum Einsatz vonkonfektionierten Stahlkronen bis dato nicht umge-schrieben und auch das Belassen von Karies nichtempfohlen [24,25]. Um eine unnötige Pulpaeröff-nung zu vermeiden, wird auch bei Symptomlosigkeiteines Milchzahnes zur schonenden Exkavation derKaries geraten [3,10,36].

Füllungstherapie im MilchgebissEin gravierender Nachteil der konfektioniertenStahlkronen ist die unzureichende Ästhetik. Nichtzuletzt der Wunsch der Eltern und Kinder nachzahnfarbenen Versorgungen hat auch für dasMilchgebiss zu einem breiten Angebot an zahnfar-benen Materialien geführt. Ebenso wie bei der blei-benden Dentition müssen Füllungsmaterialien imMilchgebiss eine gewisse Verschleißbeständigkeitaufweisen. Vor dem Hintergrund der Kooperations-fähigkeit der Kinder kommt zusätzlich der Hand-habung und der Verarbeitung von Füllungsmate-rialien besondere Bedeutung zu. Grundsätzlichsollte nach Krämer und Frankenberger [40] jedeRestauration eines Milchzahnes bis zu dessen phy-siologischer Exfoliation halten.

GlasionomerzementeGlasionomerzemente weisen auch für das Milch-gebiss eher unzureichende mechanische Werte auf[50]. Trotzdem haben sie eine wichtige Funktion in

der Kinderzahnheilkunde, da die leichte Hand-habung (Kapselpräparat) und das schnelle Ab-binden oft die ambulante Behandlung auch wenigkooperativer Kinder ermöglichen [39]. UnnötigeNarkosebehandlungen oder Behandlungen unterSedierung können dadurch unter Umständen ver-mieden werden (Abb. 3).Die sogenannten hochviskösen Glasionomerze-mente sind eine Weiterentwicklung der konven-tionellen Glasionomerzemente und wegen ihresstopfbaren Charakters und ihrer einfachen Hand-habung auch für das Milchgebiss interessant ge-worden. Aufgrund der werkstoffkundlichen Eigen-schaften (gleich geringe Biegefestigkeit wie Gla-sionomerzemente) bleibt aber die Indikation auchhier limitiert. Obwohl im Vergleich zu den kon-ventionellen Glasionomerzementen die Korngrößewesentlich verkleinert wurde, bleibt die Polierbar-keit schlecht [40].Zu den Glasionomerzementen liegen einige klini-sche Studien, insbesondere für mehrflächige Ka-vitäten, vor [6,32,39,37,57,59,60,68,79,80,83]. DieHauptproblematik sind die unzureichende Biege-festigkeit und Ermüdungsresistenz, was bei Klas-se II-Kavitäten zu einer hohen Frakturgefahr führt(Abb. 4). Grundsätzlich waren bei großen Füllun-gen gehäuft Teilfrakturen vor allem im Bereichder Randleiste festzustellen. Eine aktuellere Stu-die weist bei hochviskösen Glasionomerzementenebenfalls auf einen hohen Anteil an Randfraktu-ren und Sekundärkaries hin [18]. Chadwick et al.[15] stuften das Füllungsmaterial im Rahmen einessystematischen Reviews daher als ungeeignet für

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Abb. 2: Im Rahmen eines Pilotprojekts konnten 2013 etwa 400 Kinder in zehn bayerischen Kindergärten untersucht werden. Bei denDrei- bis Vierjährigen lag ein geringer Versorgungsgrad vor. Der Anteil der gefüllten Milchzähne (gelbe Säulen) war in diesen Alters-gruppen sehr gering.

[ø dmft]

dmf-t

d-tf-t

3-Jährige 4-Jährige 5-Jährige 6-Jährige

3,5

3

2,5

2

1,5

1

0,5

0

* Versorgungsgrad15 bis 25%

* * *

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die Versorgung von Klasse II-Kavitäten ein. Auf-grund der mechanischen Eigenschaften (geringeBiegefestigkeit) liegt die Hauptindikation in der Res-tauration kleinerer einflächiger Kavitäten (Abb. 5).De Amorin et al. [19] empfahlen diese Material-gruppe ebenfalls nur für den Einsatz in kleinerenKavitäten im Rahmen der sogenannten ART-Tech-nik (Atraumatic Restorative Treatment), bei der dieKavität nur mit Handinstrumenten gereinigt undanschließend versorgt wird.Bei Klasse II-Kavitäten beeinträchtigen die geringeHaftung an der Zahnhartsubstanz und die werk-stoffkundlichen Eigenschaften einen prolongier-ten Erfolg des Materials. Nach Hickel et al. [29,30]liegt die Verlustrate bei etwa 14 Prozent pro Jahrund ist damit deutlich höher als die Verlustrate vonAmalgam bei Milchmolaren. Trotz der vergleichs-weise schlechten Erfolgsrate bietet sich diese Ma-terialgruppe für die Versorgung von Kindern mitschlechter Mitarbeit an, um kariöse Läsionen nichtunversorgt zu lassen (Abb. 6a und b).

Kunststoffmodifizierte GlasionomerzementeKunststoffmodifizierte Glasionomerzemente oderauch lichthärtende Glasionomerzemente findenebenfalls im Front- und Seitenzahnbereich desMilchgebisses Verwendung [11,12,27,40]. Als Vor-teil gegenüber konventionellen Glasionomerze-menten erweisen sich bei den kunststoffmodifi-zierten Glasionomerzementen die durch den Be-handler steuerbare Erhärtungsreaktion und dieerhöhte mechanische Festigkeit. Ebenso wie beiden konventionellen Glasionomerzementen be-steht nur eine geringe chemische Haftung an denZahnhartsubstanzen. Sie reicht nach Attin et al.[5] nicht aus, um auf eine makromechanischePräparation verzichten zu können. Bei kunststoffmodifizierten Glasionomerzemen-ten ist darauf zu achten, dass Materialien mitunzureichender Autopolymerisation in kleinenInkrementen (< 3 mm) eingebracht werden [13].Nach der Polymerisation ist ein Abdecken mit ei-nem Bonding-Agent nicht notwendig und andersals bei den konventionellen Glasionomerzemen-ten kann die Füllung sofort ausgearbeitet werden.Kunststoffmodifizierte Glasionomerzemente ent-halten meist sehr große Glaspartikel, die zu einerbeträchtlichen Rauigkeit der Füllungsoberflächeführen, sodass eine Politur nur bedingt möglichist (Abb. 7a bis c).Zu den kunststoffmodifizierten Glasionomerze-menten liegen einige Erfahrungen aus klinischenStudien vor [14,15,38]. Die im Vergleich zu denkonventionellen Glasionomerzementen wesent-lich besseren werkstoffkundlichen Daten (vor al-lem Biegefestigkeit) scheinen dafür verantwortlichzu sein, dass bereits nach kurzen Beobachtungs-zeiträumen über weniger marginale Defekte und

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Abb. 3: Bei unkooperativen Kindern bietet sich die Versorgung vonapproximalen Läsionen (hier 64) mit Glasionomerzementen an. Fürihre Applikation mit Kapselpräparaten muss die Kavität nur eineMinute trocken gehalten werden.

Abb. 4: Aufgrund der geringen Biegefestigkeit kommt es bei Füllun-gen aus Glasionomerzementen häufig zu Abplatzungen am Füllungs-rand (hier am Zahn 54 disto-bukkal).

Abb. 5: Hauptindikation für Restaurationen aus konventionellenGlasionomerzementen sind kleine Klasse I-Läsionen. Die Füllungzeigte nach zwei Jahren Liegedauer kaum Verschleißzeichen.

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Füllungsfrakturen berichtet wurde, als bei den klas-sischen oder hochviskösen Glasionomerzementen.Durch die Einführung der Kompomere, die klinischund ästhetisch deutlich besser abschneiden, wur-den die kunststoffmodifizierten Glasionomerze-mente im deutschsprachigen Raum weitgehendverdrängt [40].

KompomereKompomere werden seit der Markteinführung 1993von den Herstellern für das Milchgebiss empfoh-len. Sie decken die Versorgung von Kavitäten imSeiten- als auch im Frontzahnbereich ab [24,45,55].Kompomere weisen aufgrund des Einsatzes vonAdhäsiven eine gute mikromechanische Haftungan den Zahnhartsubstanzen der ersten Dentitionauf [44]. Sie werden in der Regel mit Ein- oder Zwei-Schritt-Self-Etch-Adhäsiven verwendet. Die Den-tinhaftung dieser Systeme reicht nach Frankenber-ger und Krämer [26] im Milchgebiss aus, um auf

makroretentives Präparieren verzichten zu können(Abb. 8). Der Verzicht auf die Total-Etch-Technikführt zu weniger Adhäsivschritten und einer ver-kürzten Applikationszeit. Zusätzlich bedeutet derEinsatz von Self-Etch-Adhäsiven den Ausschlussvon Hypersensitivitäten durch Überätzen des Milch-zahndentins [26,44].Klinische Erfahrungen mit diesen Materialien lie-gen in großem Umfang vor [14,29,30]. Die jährli-che Verlustrate von Kompomeren wurde auf etwadrei Prozent kalkuliert und ist damit wesentlichgünstiger als bei Amalgam [29,30]. Die im Ver-gleich zu den Glasionomerzementen besseren me-chanischen Eigenschaften schlagen sich in einerverminderten Frakturhäufigkeit nieder. Auch dieAbrasionsneigung ist im Milchgebiss kein Grundfür eine Erneuerung der Restaurationen (Abb. 9).Seit Kurzem werden für Füllungen im Milchge-biss auch sogenannte Bulk-Fill-Materialien vor-geschlagen. Ihr Vorteil ist, dass sie nach der ad-

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Abb. 6a: Bei dem hyperaktiven fünfjährigen Jungen war keine ausreichende Compliance für den Einsatz einer komplexeren Restaurationstechnik vorhanden.

Abb. 6b: Der Zahn 74 wurde daher mit einem hochviskösen Glasionomerzementversorgt.

Abb. 7a: Für kleinere okklusale Läsionen können auchkunststoffmodifizierte Glasionomerzemente verwendetwerden.

Abb. 7b: Nachteil der kunststoffmodifizierten Glasiono-merzemente ist die Notwendigkeit einer makromecha-nischen Präparation.

Abb. 7c: Aufgrund der eher groben Füllkörper imMaterial ist bei kunststoffmodifizierten Glasionomer-zementen eine perfekte Politur – wie etwa bei Kom-posit – kaum möglich.

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häsiven Vorbehandlung in einer größeren Schicht-stärke von in der Regel maximal vier Millimeterndirekt in die Kavität eingebracht werden können.Das aufwendige Schichten des Komposits/Kom-pomers entfällt und die Applikationszeit der Res-

tauration wird verkürzt (Abb. 10a bis d). Klini-sche Erfahrungen für das Milchgebiss liegen fürdiese Materialgruppe allerdings noch nicht vor,sodass bis dato keine Empfehlung abgegeben wer-den kann [2,53].

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Abb. 8: Die Probe zeigt Milchzahndentin nach Konditionierungmit Optibond FL (rasterelektronenmikroskopische Aufnahme bei1000-facher Vergrößerung). Der gelbe Pfeil kennzeichnet die aus-geprägte Hybridschicht. Der blaue Pfeil kennzeichnet Tags, die dieDentintubuli penetrierten.

Abb. 9: Am Zahn 65 (mo) und 64 (od) wurden adhäsive Kompo-mer-Füllungen gelegt. Ein Jahr nach dem Legen zeigen sich zwarRauigkeiten der Oberfläche, die Füllungen sind jedoch intakt.

Abb. 10a: Approximalkaries am Zahn 74 Abb. 10b: Nach der Exkavation der Karies, dem Einbringen einerCervix-Matrize nach Fust und adhäsiver Vorbehandlung wurde dasBulk-Fill-Material in einer Portion eingebracht und polymerisiert.

KompositKomposit

DentinDentin

Abb. 10c: Nach dem Legen und Polieren erscheint die Füllung aufgrund der höheren Transluzenz des Materials etwas gräulich.

Abb. 10d: Zweieinhalb Jahre nach dem Legen ist die Füllung nochin situ und intakt.

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Die Datenlage in Bezug auf Restaurationen imFrontzahnbereich ist sehr begrenzt. Guelmannet al. [27] versuchten im Rahmen einer Über-sichtsarbeit die Erfahrungen für endodontisch be-handelte Milchfrontzähne zusammenzufassen.Anhand von vier prospektiven Studien konnte be-legt werden, dass adhäsive Kompositaufbautenakzeptable klinische Ergebnisse erwarten lassen(Abb. 11). Grundsätzlich hängt bei adhäsivenAufbauten die Erfolgsrate von der Größe der Lä-sion ab [63].

Konfektionierte Kronen für das MilchgebissEine Füllungstherapie ist bei tief zerstörten Milch-zähnen häufig schwierig, insbesondere nach endo-dontischen Maßnahmen [11]. Daher wurden fürdie Langzeitversorgung von Front- und Seitenzäh-nen voll konfektionierte Metallkronen entwickelt[4]. Die Kronen erfreuen sich großer Beliebtheit, dasie gegenüber der Füllungstherapie einfach in derHandhabung sind und auch eine sichere Versor-gung von Milchmolaren mit großflächigem Ka-riesbefall garantierten (Abb. 12a und b) [16,29,30].

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Abb. 11: Füllungen aus Kompomer an den Zähnen 51 und 61, zwei Jahre nach dem Legen

Abb. 12b: Mittel der Wahl zur Versorgung endodontisch behandelterZähne sind konfektionierte Milchzahnkronen.

Abb. 12a: Großflächige kariöse Zerstörung des Zahnes 64. Auf-grund der Tiefe der Läsion musste der Zahn endodontisch (Pulpo-tomie) versorgt werden.

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Die voll konfektionierten Metallkronen könnenjedoch ästhetischen Ansprüchen nicht genügen[25]. Alternativ werden daher für den Frontzahn-bereich „Strip-Kronen“ (Frasaco, Tettnang; Pae-diatric Strip Crowns, 3M Espe, Seefeld) eingesetzt.Die Kronen werden adhäsiv mittels Komposit auf-gebaut. Bei großflächiger Zerstörung des Zahnesist es jedoch teilweise schwierig, die Kavität vordem adhäsiven Einsetzen des Kompositaufbausadäquat trocken zu halten [1,46]. Klinisch zeig-ten die Frontzahnversorgungen mittels „Strip-Kro-nen“ primär eine hohe Erfolgsrate. Es kam aberauch zu Verfärbungen, Abplatzungen oder demvollständigen Verlust der Restauration [47,48,62,77]. Längere klinische Erfahrungen zu diesen Kro-nentypen liegen nur beschränkt vor [16,77]. Retro-spektive Studien beschreiben eine 50- bis 100-pro-zentige Retentionsrate für „Strip-Kronen“ und einengeringen Anteil an Verfärbungen [1,22,47,54,56,63,71,72,77].In den vergangenen Jahren kamen, auch für denSeitenzahnbereich, zahlreiche verblendete Kronenauf den Markt [16]. Für den Front- und Seitenzahn-bereich werden auch konfektionierte Lösungen an-geboten [49]. Entscheidender Vorteil dieser Kronenist, dass sie mittels Zement (Glasionomer- oderPolycarboxylatzement) eingesetzt werden können,sodass das aufwendige Trockenhalten für die Ad-häsivtechnik entfällt. Nachteil ist jedoch, dass imGegensatz zu den konfektionierten Stahlkronenein Anpassen dieser Kronen durch Anbiegen nichtmöglich ist. Die Adaptation der Krone erfolgtdurch Präparation des Zahnes, was immer dieGefahr einer iatrogenen Eröffnung der Pulpa insich birgt. Das zur Verblendung benutzte Kom-posit wird bei diesen Kronen werksseitig mit demMetall verbunden, sodass sie auch unter schwieri-gen Bedingungen eingesetzt werden können [76].Als Metall wird in der Regel ein Chrom-Nickel-Stahl verwendet. Wir konnten im Rahmen einerEDX-Analyse nachweisen, dass der Stahl der„NuSmile-Kronen“ (NuSmile, Houston, Texas) ver-gleichbar ist mit demjenigen voll konfektionierterMetallkronen der Firma 3M Espe (Seefeld, Deutsch-land) [42,43].Zu den verblendeten Stahlkronen liegen vornehm-lich Fallvorstellung und Anwenderberichte vor [77].In-vitro wurde die Farbstabilität unter anderemnach der Sterilisation untersucht [31,81], wobei„NuSmile-Kronen“ und „Kinderkrowns“ nach demSterilisieren eine Farbkonstanz aufwiesen. Aller-dings zeigten auch diese Kronentypen nach der

Sterilisation deutliche Veränderungen der Ober-fläche (Frakturen oder Veränderungen der Kontur)[82]. Kritisch wird in Laborstudien die Haftungder Verblendung an das Metall bewertet. Baker etal. [7] stellten bei Kronen nach Temperatur-Wech-selbelastung und 90-tägiger Wasserlagerung nureine vergleichsweise geringe Scherhaftung fest. Ak-tuellere Studien verweisen auf eine deutlich verbes-serte Haftung der Verblendung am Metall [8,70].Gupta et al. [28] konnten jedoch belegen, dass Ab-platzungen und Risse an den verblendeten Kronenzu einer signifikanten Verschlechterung der Scher-haftung führen können. Entsprechend sollte ein Bie-gen oder Bördeln des Kronenrandes vermieden wer-den. Im Rahmen einer In-vitro-Studie konnte ge-zeigt werden, dass der Verbund der Verblendmassesehr stabil ist (keine Abplatzungen) und dass die Ab-rasion des Verblendmaterials mit derjenigen der kon-fektionierten Stahlkrone vergleichbar ist [43].Nur wenige retrospektive klinische Studien beschrei-ben eine Unzufriedenheit von Eltern nach demkompletten beziehungsweise teilweisen Verlust derVerblendungen. In 32 Prozent (Whiter Biter II,Whiter Biter Inc., La Grange, USA) bis 24 Prozent(Kinder-Kronen, Mayclin Dental Studios, Minnea-polis, USA) der Fälle waren die Eltern mit dem Ver-lust der Verblendung nicht einverstanden [64,69].Über 91 Prozent Erfolg konstatierten MacLean etal. [52] für „NuSmile-Kronen“ nach einer Beobach-tungszeit von zwölf Monaten. Lediglich bei 12 Pro-zent der Verblendungen fielen bereits nach sechsMonaten Frakturen auf.Die aktuellste Entwicklung ist die Einführung vonZirkonkronen für das Milchgebiss. Die Anpas-sung der Kronen an den Zahn erfolgt ebenfallsdurch Präparation. Da jedoch die Schichtstärkeder Kronen dicker ist, ist das Risiko einer iatroge-nen Eröffnung angesichts der ausladenden Pulpa-hörner der Milchzähne erhöht. Inwieweit die An-wendung von keramischen Materialien, die auchfür das Milchgebiss eine erhöhte Abrasion erwar-ten lassen, für das geringer mineralisierte Milch-gebiss sinnvoll ist, kann momentan nicht bewer-tet werden.

Zusammenfassende Bewertung der Füllungstherapie für das MilchgebissAufgrund der zahlreichen alternativen Füllungsma-terialien für das Milchgebiss gibt es verschiedeneMöglichkeiten, um kariöse Läsionen zu behandeln.Das Füllungsmaterial sollte je nach Indikation undKooperationsfähigkeit des Kindes gewählt werden:

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Page 8: Füllungstherapie in der Kinderzahnheilkunde

· Konventionelle Glasionomerzemente eignen sichaufgrund ihrer einfachen Handhabung gut fürKlasse I-Kavitäten, insbesondere bei unkoope-rativen Kindern. Die geringe Biegefestigkeit desMaterials verhindert einen langfristigen Erfolgin Klasse II-Kavitäten. Weiterentwicklungen wiedie kunststoffmodifizierten Glasionomerzementezeigen zwar bessere mechanische Werte, die hoheRauigkeit und die notwendige makromechanischeRetention schränken jedoch den Indikationsbe-reich dieser Materialgruppe ein.

· Adhäsiv verarbeitete Kompomere sind heute dasMaterial der Wahl für die Versorgung von Front-und Seitenzähnen im Milchgebiss. Die geringenVerlustraten versprechen bis zur natürlichen Ex-foliation des Milchzahnes in der Regel einen Er-folg des Füllungsmaterials, auch in okklusal be-lasteten Klasse II-Kavitäten. Die Compliance desKindes sollte aber zumindest für die Dauer derApplikation von Adhäsiv und Füllungsmaterialausreichend sein. Vor diesem Hintergrund könntedie Einführung der Bulk-Fill-Materialien die Fül-lungstherapie erleichtern.

· Schließlich darf keinesfalls vergessen werden,dass nach endodontischen Behandlungen, beigroßflächigen Läsionen und erhöhtem Karies-risiko die konfektionierte Milchzahnkrone eineprobate Alternative darstellt. Neue ästhetischeKronenmaterialien müssen sich zunächst imLabor und dann – bei positiv ausgefallener Prü-fung – klinisch bewähren.

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Dr. Norbert Krämer

Poliklinik für Kinderzahnheilkunde

Schlangenzahl 14

35392 Gießen

[email protected]

Literatur beim Verfasser

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Hinweis

Prof. Dr. Dr. Norbert Krämer referiert beim 56. Baye-

rischen Zahnärztetag. Das ausführliche Programm

finden Sie auf Seite 14 f.

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