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WEITERBILDUNG plädoyer 2/15 W enn Inkassofirmen Schulden eintreiben, machen sie unter dem Titel «Verzugsschaden» hohe Ho- norarforderungen und Spesen gel- tend. Ob die Schuldner diesen Schaden bezahlen müssen, ist um- stritten, seit es gewerbsmässige Geldeintreiber gibt. plädoyer liegen diverse Urteile erstinstanzlicher Gerichte vor, in denen die Inkassokosten als Ver- zugsschaden anerkannt wurden. 1 Die zugelassenen Kosten bewegen sich zwischen und Fran- ken. Als Begründung verweisen einige Gerichte auf Art. OR mit der lapidaren Begründung, In- kassospesen seien als Verspätungs- schaden grundsätzlich ge- schuldet. 2 Einen entsprechenden Entscheid des Bundesgerichts gibt es bis heute nicht. 3 Der Neuenburger FDP-Stände- rat Raphaël Comte forderte bereits im Sommer in seinem Postu- lat «Rahmenbedingungen für die Praktiken von Inkassounterneh- men» den Bundesrat auf, ein Ver- bot für Inkassokosten zu erlassen. 4 Der Ständerat hat das Postulat an- genommen. «Voraussichtlich An- fang wird der Bundesrat den Bericht verabschieden», sagt Da- vid Rüetschi vom Bundesamt für Justiz auf Anfrage. Wohl um Dop- pelspurigkeiten zu vermeiden, empfahl der Bundesrat im Februar die Ablehnung der Motion «Verursacherprinzip auch bei den Inkasso-Kosten: Konkretisierung von Art. OR» von Peter Schil- liger. Der Luzerner FDP-Natio- nalrat verlangt darin, dass der Gläubiger seine Inkasso-Kosten als Verzugsschaden fordern könne. 5 Dafür verfasste vor bald sieben Jahren Isaak Meier von der Uni- versität Zürich im Auftrag des Ver- bands Schweizerischer Inkasso- treuhandinstitute (VSI) ein Gut- achten, 6 wofür er auch bezahlt wurde – wie hoch, wollte der VSI gegenüber plädoyer nicht offenle- gen. 7 Im Januar präsentierte der Inkassoverband das -seitige Parteigutachten den Medien mit den vollmundigen Worten «Zank- apfel Verzugsschaden – ein Gut- achten schafft Klarheit». Der Zür- cher Rechtsprofessor kommt da- rin – nicht ganz überraschend – zum Schluss, dass der Verzugs- schaden geschuldet sei. Meier liegt falsch. Es gibt fünf Gründe, die dagegen sprechen, dass ein Verzugsschaden geschul- det ist. 1. Gesetzliche Grundlage fehlt Bereits auf der zweiten Seite des Gutachtens macht Isaak Meier einen grundlegenden Fehler. Er schreibt: «Das Forderungsinkasso, wie es von professionellen Inkas- sobüros betrieben wird, ist m.E. als dritte, eigenständige Form der Fünf Gründe gegen ANZEIGE Ecknauer+Schoch > Flexible Definition von Leistungsarten > Freies Customizing der Mandatsstammdaten > Erfassung von Stunden, Drittleistungen, Spesen, Absenzen > Web-Erfassung > Stundenkontrolle nach verrechenbaren Stun- den, Gleitzeit, Absenzen > Fristen- und Aktivitäten- kontrolle > Projektübersichten mit Auftragseingängen und Projektabschlüssen > Automatische Faktu- rierung von Pauschalen, Vertragshonoraren > Produktivitätsaus- wertungen www.abacus.ch Business Software für rationelle Leistungserfassung version internet Inkassofirmen verlangen in der Regel zusätzlich zur Forderung einen Betrag für den Verzugsschaden. Ein Parteigutachten kommt zum Schluss, dies sei zulässig. Fünf Gründe sprechen dagegen. Michael Krampf Rechtsanwalt, Zürich

Fünf Gründe gegen...inkasso nirgends geregelt, anders als etwa in Österreich, wo der Gläubiger seine Kosten für das aussergerichtliche Inkasso auf den Schuldner abwälzen darf.9

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Page 1: Fünf Gründe gegen...inkasso nirgends geregelt, anders als etwa in Österreich, wo der Gläubiger seine Kosten für das aussergerichtliche Inkasso auf den Schuldner abwälzen darf.9

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plädoyer 2/15

Wenn InkassofirmenSchulden eintreiben,machen sie unter dem

Titel «Verzugsschaden» hohe Ho-norarforderungen und Spesen gel-tend. Ob die Schuldner diesenSchaden bezahlen müssen, ist um-stritten, seit es gewerbsmässigeGeldeintreiber gibt. plädoyer liegen diverse Urteile

erstinstanzlicher Gerichte vor, indenen die Inkassokosten als Ver-zugsschaden anerkannt wurden.1Die zugelassenen Kosten bewegensich zwischen 30 und 575 Fran-ken. Als Begründung verweisen einige Gerichte auf Art. 106 ORmit der lapidaren Begründung, In-kassospesen seien als Verspätungs-schaden grundsätzlich ge -schuldet.2 Einen entsprechendenEntscheid des Bundesgerichts gibtes bis heute nicht.3Der Neuenburger FDP-Stände-

rat Raphaël Comte forderte bereitsim Sommer 2012 in seinem Postu-lat «Rahmenbedingungen für diePraktiken von Inkassounterneh-men» den Bundesrat auf, ein Ver-bot für Inkassokosten zu erlassen.4Der Ständerat hat das Postulat an-genommen. «Voraussichtlich An-fang 2016 wird der Bundesrat denBericht verabschieden», sagt Da-vid Rüetschi vom Bundesamt fürJustiz auf Anfrage. Wohl um Dop-pelspurigkeiten zu vermeiden,empfahl der Bundesrat im Februar2015 die Ablehnung der Motion«Verursacherprinzip auch bei den

Inkasso-Kosten: Konkretisierungvon Art. 106 OR» von Peter Schil-liger. Der Luzerner FDP-Natio-nalrat verlangt darin, dass derGläubiger seine Inkasso-Kosten alsVerzugsschaden fordern könne.5

Dafür verfasste vor bald siebenJahren Isaak Meier von der Uni-versität Zürich im Auftrag des Ver-bands Schweizerischer Inkasso-treuhandinstitute (VSI) ein Gut-achten,6 wofür er auch bezahltwurde – wie hoch, wollte der VSIgegenüber plädoyer nicht offenle-gen.7 Im Januar 2008 präsentierteder Inkassoverband das 90-seitigeParteigutachten den Medien mitden vollmundigen Worten «Zank-apfel Verzugsschaden – ein Gut-achten schafft Klarheit». Der Zür-cher Rechtsprofessor kommt da-rin – nicht ganz überraschend –zum Schluss, dass der Verzugs-schaden geschuldet sei. Meier liegt falsch. Es gibt fünf

Gründe, die dagegen sprechen,dass ein Verzugsschaden geschul-det ist.

1. GesetzlicheGrundlage fehlt

Bereits auf der zweiten Seite desGutachtens macht Isaak Meier einen grundlegenden Fehler. Erschreibt: «Das Forderungsinkasso,wie es von professionellen Inkas-sobüros betrieben wird, ist m.E.als dritte, eigenständige Form der

Fünf Gründe gegen

ANZEIG

E

Eckn

auer

+Sch

och

> Flexible Definition von

Leistungs arten

> Freies Customizing der

Mandats stammdaten

> Erfassung von Stunden,

Dritt leistungen, Spesen,

Absenzen

> Web-Erfassung

> Stunden kontrolle nach

ver rechen baren Stun-

den, Gleitzeit, Absenzen

> Fristen- und Aktivitäten-

kontrolle

> Projektüber sichten mit

Auftrags ein gängen und

Projekt abschlüssen

> Automatische Faktu-

rierung von Pauschalen,

Vertragshonoraren

> Produktivitäts aus-

wertungen

www.abacus.ch

Business Software für rationelle Leistungserfassung

v e r s i o n i n t e r n e t

Inkassofirmen verlangen in der Regel zusätzlich zurForderung einen Betrag für den Verzugsschaden. Ein Parteigutachten kommt zum Schluss, dies seizulässig. Fünf Gründe sprechen dagegen.

Michael KrampfRechtsanwalt, Zürich

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Geltendmachung von Ansprü-chen einzustufen, die neben denbeiden Hauptformen der gericht-lichen und betreibungsrechtlichenGeltendmachung steht.»8 Damitwill Meier sagen, dass das ausser-gerichtliche Schuldeneintreibenneben der Betreibung und der ge-richtlichen Klage von Gesetzes we-gen vorgesehen ist. Für diese Behauptung besteht

keine gesetzliche Grundlage. Wieman eine Forderung eintreibt undvor Gericht durchsetzt, steht imSchKG und in der ZPO. DieseGesetze halten auch fest, dass derSchuldner dem Gläubiger die Be-treibungskosten und als unterlege-ne Partei in einem Gerichtsverfah-ren eine Prozessentschädigung be-zahlen muss. Demgegenüber istdas aussergerichtliche Forderungs-inkasso nirgends geregelt, andersals etwa in Österreich, wo derGläubiger seine Kosten für dasaussergerichtliche Inkasso auf denSchuldner abwälzen darf.9

2. SchKG verbietetKostenabwälzung

Art. 27 Abs. 3 SchKG verbietetdem Gläubiger im Betreibungs-verfahren, die Kosten eines Inkas-sobüros auf den Schuldner zuüberbinden. Isaak Meier leitet da-raus ab, dass die Vertretungskos-ten, die vor der eigentlichen Be-treibung angefallen sind, demSchuldner verrechnet werden können.10 Das ist systemwidrig.Abgesehen von den eigentlichenBetreibungskosten – etwa für denZahlungsbefehl oder das Rechts-öffnungsverfahren – will der Ge-setzgeber mit der Regel im SchKGverhindern, dass dem Schuldner

durch das Betreibungsverfahrennoch zusätzliche Kosten entste-hen. Wenn also im Betreibungs-verfahren selber das Überwälzenvon Inkassokosten verboten ist,weshalb soll es für die Phase vorder Betreibung zulässig sein? Nocheine letzte Mahnung zu verschi-cken ist weniger kompliziert alsdie Einleitung einer Betreibung –wobei auch dies keine Hexereimehr ist, seit man für das Betrei-bungsbegehren das Onlineformu-lar des Bundesamtes für Justiz ver-wenden kann.11

3. Keine Analogiezum Haftpflichtrecht

Isaak Meier vergleicht den Ver-zugsschaden mit dem Aufwand eines Anwalts in einem Haft-pflichtfall.12 Richtig ist, dass einGeschädigter die vorprozessualenKosten seines Anwalts als Schadengeltend machen kann13 – bei einem Haftpflichtfall durchaussinnvoll. Denn dort müssen derSchaden, mögliche Versicherungs-leistungen und weitere Punkte ab-geklärt werden. Ganz anders beieinem vertraglichen Anspruch:Der Gläubiger weiss, was ihm vomSchuldner zusteht, wenn er etwaeinen Rasenmäher geliefert hat. Erkann auf seine Rechnung verwei-sen. Weitere Abklärungen musser – im Gegensatz zu einem Haft-pflichtfall – nicht treffen.

4. Pauschalen sindunzulässig

Inkassobüros fordern den Verzugs-schaden in der Form von Pauscha-len. Mitglieder des Verbands

Schweizerischer Inkassotreuhand-institute stützen sich dabei auf dieverbandseigene Verzugsschadenta-belle.14 Dies ist unzulässig, auchwenn es der Zürcher Rechtsprofes-sor absegnet.15

Nach Art. 42 Abs. 1 OR mussder konkret entstandene Schadennachgewiesen werden. Bereits hierhätten die professionellen Geld-eintreiber Probleme, ihre häufigvöllig überrissenen Honorare zurechtfertigen. Sie verwenden Stan-dardschreiben, die sie auf Knopf-druck am Computer ausdruckenkönnen. Dies plus das Verpackenin ein Couvert dauert ein paar we-nige Minuten. Bei einem für dieseArbeit angemessenen Stunden-lohn von 30 Franken ergibt dasKosten von vielleicht zwei bis dreiFranken plus Porto. Mehr nicht.

5. Pflicht zurSchadenminderung

Doch selbst diese paar Frankenmuss ein Schuldner nicht bezah-len. Wichtigstes Argument gegenden Verzugsschaden ist die Schadensminderungspflicht. IsaakMeier meint, der Gläubiger dürfenach drei Mahnungen ein Inkas-sobüro einschalten. Denn es seiihm nicht zuzumuten, dass er dasGeld selbst einfordere.16 Das istfalsch. Wer gemahnt hat, kann gegen

den Schuldner direkt die Betrei-bung einleiten. Der Umweg überein Inkassobüro, das lediglich ver-sucht, den Schuldner mit weiterenMahnschreiben weichzuklopfen,ist unnötig und sogar unerlaubt,wenn der Gläubiger die ihm damitentstandenen Mehrkosten demSchuldner verrechnet.

1 Zum Beispiel Urteil des Kantons -gerichts Zug vom 19.6.1985, Urteildes Amtsgerichts Luzern-Land vom9.10.1985, Urteil des Kantonsge-richts Nidwalden vom 14.10.1987,Urteil des Richteramts Biel vom13.3.1989 und Urteil des Tribunalcivil du district de Moutier vom19.11.1990.

2 Urteil des Amtsgerichts Luzern-Land vom 9.10.1985, S. 6.

3 Bestätigt von Hansruedi Brügger,Vorstandsmitglied des VerbandesSchweizerischer Inkassotreuhand -institute (VSI).

4 Postulat 12.3641.5 Motion 14.4278.6 Issak Meier, Gutachten zur Frage«Unter welchen Voraussetzungenund in welchem Umfang sind dieKosten des Gläubigers für die Einschaltung eines Inkassobürosvom Schuldner zu übernehmen?»vom 11.7.2007, einsehbar aufwww.plaedoyer.ch/links.

7 Auskunft von Robert Simmen, damaliger Geschäftsführer des VSI.

8 Gutachten, S. 2.9 § 1333 Abs. 3 ABGB.

10 Gutachten, S. 80.11 Siehe www.betreibungsschalter.ch. 12 Gutachten, S. 13 f. und S. 21.13 BGE 131 III 12 E. 8.14 Siehe www.vsi1941.ch/verzugsschadentabelle.html.

15 Gutachten, S. 72 f.16 Gutachten, S. 63 f.

den “Verzugsschaden”