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43 Marcel A. Verhoff, Kerstin Kreutz Forensische Osteologie Definitionen „Osteologie” ist die Lehre von den Knochen, unabhängig, ob es sich um menschliche oder tierische handelt. Das Wort „forensisch” ist ab- geleitet vom lateinischen „in foro”, was so viel wie „vor Gericht” oder „in der Gerichtsver- handlung” bedeutet. Die Übersetzung von „forensische Osteologie” würde somit „ge- richtliche Knochenkunde” lauten. Im weitesten Sinne könnte damit jede gutachterliche Beur- teilung von knöchernen Strukturen im Zuge eines Ermittlungsverfahrens bzw. einer Ge- richtsverhandlung unabhängig von der Rechts- form (Strafrecht, Zivilrecht, Sozialrecht) ge- meint sein. So wäre auch die Beurteilung jed- weder knöchernen Verletzung, sei es an Rönt- genbildern, im Rahmen einer Operation oder Obduktion oder die Lebensaltersbestimmung mittels Röntgendiagnostik zur forensischen Osteologie zu zählen. Üblicherweise wird der Begriff „forensische Osteologie” jedoch auf die Untersuchung und Beurteilung von aufgefun- denen Knochen begrenzt. Hierbei kann es sich um überwiegend bis nahezu gänzlich skelet- tierte Leichen, vollständige oder unvollständige Skelette bis hin zu einzelnen Knochen oder sogar nur Knochenfragmenten handeln [22]. Die forensisch-osteologischen Untersuchungen werden in Deutschland meist von Rechtsmedi- zinern oder von Anthropologen durchgeführt. Die Rechtsmedizin beschäftigt sich vor allem mit Leichen kürzerer Liegezeit, während die Anthropologen überwiegend an historischen Skelettfunden ausgebildet sind. Daher ergän- zen sich die beiden Fachgebiete in der foren- sisch-osteologischen Arbeit ideal. In der inter- disziplinären forensisch-osteologischen Fallar- beit bzw. Forschung können zusätzlich bei- spielsweise die Veterinärpathologie bzw. -ana- tomie, die Geologie oder die Entomologie (In- sektenkunde) zum Einsatz kommen. Im eng- lischsprachigen Ausland wird die forensische Osteologie häufig von sog. forensischen An- thropologen übernommen. Hierbei handelt es sich um Anthropologen, die diese Qualifikation in definierten Weiterbildungscurricula oder Aufbaustudiengängen erworben haben. Hier- zulande hat eine forensische Anthropologin aus Kanada, Kathy Reichs, mit ihren Romanen wie „Knochenarbeit” und anderen Bekannt- heit erlangt. Unter dem Namen „Kathleen J. Reichs” hat sie zahlreiche wissenschaftliche Pu- blikationen verfasst, wobei die Herausgabe des Buches „Forensic Osteology” besonders her- vorzuheben ist [17]. Fragestellungen Welche Fragestellungen hat die forensische Osteologie zu bearbeiten? Werden Knochen aufgefunden, muss sich der Finder an Polizei oder Staatsanwaltschaft wenden, um ein Er- mittlungsverfahren einzuleiten. Am häufigsten treten Knochen im Rahmen von Bauarbeiten oder durch spielende Kinder zu Tage. Die erste Frage an den Sachverständigen ist, ob der oder die Knochen von einem Menschen stammen oder nicht. Kann eine nicht-humane Herkunft nachgewiesen werden, erübrigen sich üblicher- weise aus Sicht der Ermittlungsbehörden weite- re Fragen. Ausnahmen können sich ergeben, wenn ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz im Raume steht. Wird die menschliche Herkunft eines Knochenfundes nachgewiesen, gilt es, die Fragen nach Liegezeit, möglichen Verletzungs- spuren und der Identität zu beantworten. Humanspezifität Werden Skelette oder vollständig erhaltene ein- zelne Knochen zur Untersuchung vorgelegt, ge-

Forensische Osteologie · 2017-04-23 · 43 Marcel A. Verhoff, Kerstin Kreutz Forensische Osteologie Definitionen „Osteologie” ist die Lehre von den Knochen, unabhängig, ob es

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Marcel A. Verhoff, Kerstin Kreutz

Forensische Osteologie

Definitionen

„Osteologie” ist die Lehre von den Knochen,unabhängig, ob es sich um menschliche odertierische handelt. Das Wort „forensisch” ist ab-geleitet vom lateinischen „in foro”, was so vielwie „vor Gericht” oder „in der Gerichtsver-handlung” bedeutet. Die Übersetzung von„forensische Osteologie” würde somit „ge-richtliche Knochenkunde” lauten. Im weitestenSinne könnte damit jede gutachterliche Beur-teilung von knöchernen Strukturen im Zugeeines Ermittlungsverfahrens bzw. einer Ge-richtsverhandlung unabhängig von der Rechts-form (Strafrecht, Zivilrecht, Sozialrecht) ge-meint sein. So wäre auch die Beurteilung jed-weder knöchernen Verletzung, sei es an Rönt-genbildern, im Rahmen einer Operation oderObduktion oder die Lebensaltersbestimmungmittels Röntgendiagnostik zur forensischenOsteologie zu zählen. Üblicherweise wird derBegriff „forensische Osteologie” jedoch auf dieUntersuchung und Beurteilung von aufgefun-denen Knochen begrenzt. Hierbei kann es sichum überwiegend bis nahezu gänzlich skelet-tierte Leichen, vollständige oder unvollständigeSkelette bis hin zu einzelnen Knochen odersogar nur Knochenfragmenten handeln [22].Die forensisch-osteologischen Untersuchungenwerden in Deutschland meist von Rechtsmedi-zinern oder von Anthropologen durchgeführt.Die Rechtsmedizin beschäftigt sich vor allemmit Leichen kürzerer Liegezeit, während dieAnthropologen überwiegend an historischenSkelettfunden ausgebildet sind. Daher ergän-zen sich die beiden Fachgebiete in der foren-sisch-osteologischen Arbeit ideal. In der inter-disziplinären forensisch-osteologischen Fallar-beit bzw. Forschung können zusätzlich bei-spielsweise die Veterinärpathologie bzw. -ana-tomie, die Geologie oder die Entomologie (In-

sektenkunde) zum Einsatz kommen. Im eng-lischsprachigen Ausland wird die forensischeOsteologie häufig von sog. forensischen An-thropologen übernommen. Hierbei handelt essich um Anthropologen, die diese Qualifikationin definierten Weiterbildungscurricula oderAufbaustudiengängen erworben haben. Hier-zulande hat eine forensische Anthropologinaus Kanada, Kathy Reichs, mit ihren Romanenwie „Knochenarbeit” und anderen Bekannt-heit erlangt. Unter dem Namen „Kathleen J.Reichs” hat sie zahlreiche wissenschaftliche Pu-blikationen verfasst, wobei die Herausgabe desBuches „Forensic Osteology” besonders her-vorzuheben ist [17].

Fragestellungen

Welche Fragestellungen hat die forensischeOsteologie zu bearbeiten? Werden Knochenaufgefunden, muss sich der Finder an Polizeioder Staatsanwaltschaft wenden, um ein Er-mittlungsverfahren einzuleiten. Am häufigstentreten Knochen im Rahmen von Bauarbeitenoder durch spielende Kinder zu Tage. Die ersteFrage an den Sachverständigen ist, ob der oderdie Knochen von einem Menschen stammenoder nicht. Kann eine nicht-humane Herkunftnachgewiesen werden, erübrigen sich üblicher-weise aus Sicht der Ermittlungsbehörden weite-re Fragen. Ausnahmen können sich ergeben,wenn ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetzim Raume steht. Wird die menschliche Herkunfteines Knochenfundes nachgewiesen, gilt es, dieFragen nach Liegezeit, möglichen Verletzungs-spuren und der Identität zu beantworten.

Humanspezifität

Werden Skelette oder vollständig erhaltene ein-zelne Knochen zur Untersuchung vorgelegt, ge-

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lingt dem geübten Untersucher der Ein- oderAusschluss einer menschlichen Herkunft nor-malerweise auf den ersten Blick. Problemati-scher kann es sich gestalten, wenn nur Kno-chenfragmente vorliegen. Insbesondere auf-grund der hohen interindividuellen Variabilitätsowohl der menschlichen als auch der übrigenSäugetierknochen kann die makroskopischeBestimmung erheblich erschwert sein (Abb. 1).Intensive Vergleichsuntersuchungen könnennotwendig werden, für die neben dem geeig-neten Bildmaterial [18] insbesondere umfang-reiche veterinär-osteologische Sammlungen un-ersetzbar sind [19]. Gelingt eine Zuordnungnach Beurteilung der Form und Oberflächenicht, können die inneren Strukturen makro-skopisch untersucht werden. Als grobe Richtli-nie der Beurteilung gilt: Nicht menschliche Säu-getierknochen weisen im Vergleich zu den hu-manen Knochen typischerweise eine schmaleredichtere Compacta und einen relativ breitenMarkraum, im mittleren Schaftbereich ohneSpongiosa, auf. Zur Absicherung der makrosko-pischen Befunde oder als Entscheidungshilfe

bei unklarer Makroskopie können histologischeUntersuchungen dienen: In nicht menschlichenSäugetierknochen fehlt meist eine geordneteStruktur der Osteonen (Abb. 2a). Beim Röhren-knochen des Menschen ist typischerweise einekonzentrische Anordnung der Osteocyten zubeobachten (Abb. 2b), die auch bei den plattenKnochen noch zu erkennen ist. In diesem Zu-sammenhang ist auch das sog. Brewster-Kreuzzu nennen, ein Interferenzmuster, welches sichbei der menschlichen Compacta-Struktur unterEinsatz eines Hilfsquarzes darstellen lässt: VomHaversschen Kanal eines Osteons ausgehendfinden sich diagonal aufeinanderliegend, einKreuz bildend, zwei Linien (Abb. 2c). Zur weite-ren technischen Absicherung oder bei morpho-logisch nicht (eindeutig) bestimmbaren Kno-chenfragmenten wurden früher Präzipitations-verfahren angewandt, wie der artspezifischeProteinnachweis nach Uhlenhuth oder modifi-ziert nach Ouchterlony. Heutzutage stehen ver-schiedene Möglichkeiten der DNA-Analyse zurVerfügung. Als relativ einfache Prüfung der Hu-manspezifität auf der Basis einer Analyse der

Abb. 1: Interindividuelle Variabilität: Neben den drei 1. linken menschlichen Rippen liegt ganz rechts das Fragmenteiner 3. linken Rippe eines Hausschweins, die zunächst für eine menschliche gehalten wurde [19]

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mitochondrialen DNA bietet sich die Coamplifi-kation eines 259bp großen Abschnitts der HV1-Region (humanspezifisch) und eines 309bpgroßen Abschnitts des Cytochrom-B-Gens (beiallen Säugetieren inkl. Mensch identisch) an [1].Allerdings kann die Degradierung selbst dermtDNA durch Dekomposition und andere Um-stände (z.B. Hitzeeinwirkung) so weit fortge-schritten sein, dass keine Amplifikation mehrmöglich ist [19]. Derartige Fälle belegen, dassauch im „DNA-Zeitalter” der Morphologie wei-terhin eine wichtige Rolle zukommt.

Liegezeit

Die Frage nach der Liegezeit oder dem sog.postmortalen Intervall (PMI) gehört zu denschwierigsten Problemen in der forensischenOsteologie. Der Grund ist, dass bislang keineUntersuchungsmethode existiert, mit der dasPMI in den forensisch relevanten Zeiträumenunabhängig von den äußeren Einflüssen aufden Knochen seit Todeseintritt (Liegemilieu) ge-messen werden kann. Die einzigen Techniken,die grundsätzlich geeignet wären, sind die Ra-dionuclidmethoden. Die bekannteste undschon lange in der Archäologie etablierte ist dieRadiocarbon(14C)-Bestimmung. Bei einer Halb-wertszeit des 14C von 5730 Jahren lässt sichzwar differenzieren, ob ein Knochenfund z.B.100100 oder 100101 Jahre alt ist, die Unter-scheidung eines PMI von 20, 50 oder 100 Jah-ren ist jedoch unmöglich. Andere Radionuclid-

Methoden nutzen den Umstand aus, dass be-stimmte radioaktive Elemente erst im Rahmenvon atomaren Versuchen nach dem 2. Welt-krieg freigesetzt und somit in die Knochen ein-gebaut wurden. Von einer zuverlässigen foren-sischen Anwendung sind diese Methoden je-doch noch weit entfernt. Alle übrigen Metho-den zur Bestimmung des PMI basieren auf derUntersuchung von Veränderungen an den Kno-chen, die über die Liegezeit durch das Liegemi-lieu [7] hervorgerufen werden. Diesen Vorgangnennt man auch „Dekomposition”, die Unter-suchung der Dekompositionsvorgänge wird als„Taphonomie” bezeichnet [6]. Das Problem ist,dass das Liegemilieu im Einzelfall schwer abzu-schätzen ist. Liegt ein Leichnam beispielsweiseim Freien, kann er im Sommer, selbst in Mittel-europa innerhalb von 6 Wochen vollständigskelettieren. Kann sich in einem heißen trocke-nen Sommer dagegen eine ausgedehnte natür-liche Mumifizierung ausbilden, sind selbst nachJahrzehnten bei im Freien liegenden Leichennoch Weichteilreste zu beobachten.Etwas besser abzuschätzen sind die Dekompo-sitionsvorgänge im Erdlager. Dennoch hat sichin Studien gezeigt, dass zwei Skelette mit na-hezu gleichzeitigem Beerdigungszeitpunkt aufdemselben Friedhof im Rahmen einer Graböff-nung nach beispielsweise 40 Jahren quantitativund qualitativ unterschiedliche Dekompositi-onserscheinungen aufweisen können [2, 12].Demnach sind grundsätzlich aus Sicht des fo-rensischen Osteologen nur sehr vorsichtige

Abb. 2a–c: Histologische Darstellung eines ungefärbten Schnitts aus dem Compactabereich eines Hausschweins a und eines menschlichen Röhrenknochen b, c, Vergr. jeweils ca. 120fach. c zeigt sog. Brewster-Kreuze

a b c

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oder ein anatomisches Institut befunden habenkönnte. Oftmals sind es auch Erdaushübe vonehemaligen oder noch bestehenden Friedhö-fen, die an andere Lokalisationen verbracht,den Herkunftsort verschleiern.

Verletzungsspuren

Ist von einem Menschen nur noch das Skelettvorhanden, stellt dies das letzte Dokument dar,das Hinweise auf die Todesursache des Indivi-duums ermöglichen kann. Nach einem gewalt-samen Tod könnten Verletzungsspuren an denKnochen zurückgeblieben sein. Grundsätzlichsind alle Defekte an einem Knochen zunächstals Verletzungsfolgen anzusehen. Doch to-desursächliche Bedeutung können nur Verlet-zungen erlangen, die in zeitlichem Zusammen-hang mit dem Todeseintritt (perimortal) ent-standen sind. Davon abzugrenzen sind zu Leb-zeiten erlittene Verletzungen, die aber überlebtwurden (prämortal). Die größte Gruppe machtdie Veränderungen aus, die nach dem Tode(postmortal) entstanden sind [21].Postmortale Veränderungen entstehen infolgeintentioneller und nicht intentioneller Verlage-rung durch Tiere oder Menschen, beim Bergenvon Knochen, z.B. sog.Grabungsartefakte, unddurch mannigfaltige Boden- und Oberflächen-lagerungsbedingungen [17]. Unterschiedlichepostmortale Veränderungen können auf den-selben Knochen zeitversetzt einwirken. Daswichtigste differentialdiagnostische Kriteriumist, dass bei postmortalen Veränderungen dieFärbung der Schnitt- bzw. Bruchflächen deut-lich heller ist als die der übrigen Knochenober-fläche (Abb. 3 und 4). Weiterhin sprechen feh-lende Zeichen von Dekomposition an Schnitt-bzw. Bruchflächen, bei vorhandenen Dekom-positionszeichen am übrigen Knochengewebe,für eine postmortale Entstehung. PostmortaleSchnittkanten sind bei fehlender oder geringerweiterer Dekomposition scharf begrenzt.Bruchkanten gestalten sich mit zunehmendempostmortalen Intervall und fortgeschrittenerDekomposition unregelmäßiger, gröber, mitstumpfen Ecken, mit geringer Facettierung(Abb. 3). Es gibt auch Beschädigungen amKnochen, die per se erst postmortal entstanden

Aussagen zur Abschätzung des PMI möglich.Es ist allerdings gelungen, Dekompositionsbe-funde an Knochen herauszuarbeiten, die bis-lang nicht bei Liegezeiten von unter 50 Jahrenim Erdlager beobachtet werden (Tab. 1). Weistein Knochen einen oder mehrere dieser Befun-de auf, kann – bei fehlenden Hinweisen von La-gerung im Freien – eine Liegezeit von unter 50Jahren ausgeschlossen werden [23]. Diese Aus-schlussmöglichkeit ist deshalb so wertvoll, weilein Zeitintervall von 50 Jahren, unabhängig vonRechtssystem und Art des Deliktes, als foren-sisch relevant anzusehen ist: Selbst bei einemMord, der nach dem deutschen Strafgesetz-buch nicht verjährt, wird es 50 Jahre nach derTat kaum mehr gelingen, den Täter seiner Stra-fe zuzuführen.Neben morphologischen oder technisch auf-wändigeren Untersuchungsverfahren dürfendie Fundsituation und sog. Beifunde nicht ver-nachlässigt werden [11]: Kleidungsreste, Zei-tungspapier, Werkzeuge oder Waffen könnenden zeitlichen Horizont eingrenzen. Ein sog.Sargschatten oder Gegenstände, die als Grab-beigaben in Frage kommen, können auf eineintentionelle Bestattung hinweisen. Weiterhinsind alte Grundbücher dahingehend durchzu-sehen, ob sich an der Auffindestelle oder inderen Nähe möglicherweise in der Vergangen-heit ein Friedhof oder z.B. ein Krankenhaus

Tab. 1. Schema mit makromorphologischen Befundenzum Ausschluss einer forensisch relevanten Liegezeit(PMI bis 50 Jahre) im Erdlager nach kritischer Literatur-auswertung und unter Berücksichtigung eigener Erfah-rungen der Autoren [23]

Äußerer Aspekt– Makroskopisch keine Fettwachsspuren mehr– Tiefe Usuren der äußeren Compactaschichten– Flächenhafte Defekte der Knochenoberfläche– Intensiv schwarz-brauner Rasen von Mikroorganismen– Auffasern der äußeren Lamellensysteme– Abhebung der Corticalis– Torsionen des Gewebes– Aufsitzendes Brushit– Knochen mit der Hand zu zerbrechen

An der frischen Sägefläche– Fehlen von Fettwachsspuren– Brushit im Markraum– Reduzierte oder aufgehobene UV-Fluoreszenz

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sein können, wie z.B. Tier-fraßspuren. Davon abzu-grenzen sind perimortaleVerletzungen durch Tier-bisse.Um eine praemortale Ver-letzung am Knochen nach-weisen zu können, müs-sen bereits Verheilungs- und Umbauspuren (”bone remodeling”) vorhandensein. Beispielsweise bei derKallusbildung nach Fraktu-ren langer Röhrenknochen(Abb. 5) sind die Zeichendes remodeling bereits ma-kroskopisch gut zu erken-nen. Um beginnende Hei-lungsspuren zu verifizieren,ist dagegen oftmals die Lupenvergrößerung odersogar die Mikroskopie not-wendig. Neben den Veränderungen durchzurückliegende direkte Gewalt gegen den Kno-chen gibt es indirekte Knochenveränderungennach Weichteilverletzungen. Entstehen kno-

chennahe oder auch subperiostale Hämatome –wozu auch das epidurale Hämatom nach Schä-delhirntrauma zählt, führt die zur Hämatom-Abräumung notwendige Gefäßneubildung zu

Abb. 3: Postmortaler Knochenbruch, beim Bergen entstanden (Bergungsartefakte, „Bergungsverletzungen”) [21]

Abb. 4: Postmortale Trepanationen an einem Schädel (M. Kunter, AnthropologieGießen): Die Schnittflächen sind hell und scharfkantig [21]

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hang mit dem Todeseintritt entstanden sind.Eine mögliche Todesursächlichkeit muss auf-grund von Lokalisation und Schwere der Ver-letzungen diskutiert werden. Auch weder un-mittelbar noch mittelbar todesursächliche Ver-letzungen können in Zusammenhang mit demTod bzw. einer Straftat stehen, z.B. Abwehr-verletzungen wie die sog. Parierfraktur [3] oderVeränderungen, die beim Leichentransportoder bei der Leichenzerstückelung gesetzt wur-den. Perimortal entstandene Schnitt- undBruchflächen zeigen meist dieselbe Färbungwie die übrige Knochenoberfläche, die Dekom-positionszeichen sind vergleichbar. Schnitt-bzw. Bruchkanten sind weniger scharfkantig,zunehmend abgerundeter durch die fortschrei-tende Dekomposition und den Abrieb durchumgebendes Bodenmaterial (Abb. 6). Die tiefe-ren Schichten des Knochens absorbieren Bo-denmineralien und andere Umgebungsbe-standteile, z.B. Schwermetalle und vor allemHuminsäuren. Die gesamte Knochenoberflächewird infiltriert, einschließlich bestehenderBruch- und Schnittkanten.Schwierigkeiten bei der Beurteilung könnenbeispielsweise auftreten, wenn eine Verlet-zung, die weder unmittelbar noch mittelbar to-desursächlich war, so kurz praemortal entstan-den ist, dass noch kein bone remodelling nach-weisbar ist. Entsteht eine Verletzungsspur rela-tiv früh postmortal (z.B. durch Grabräuber) undist sie lange denselben Dekompositionsbedin-gungen wie der übrige Knochen ausgesetzt,besteht die Gefahr, sie als perimortal einzuord-nen. Aber auch spät postmortale Veränderun-gen können schwierig zu beurteilen sein, wennzwischen Veränderung und Untersuchung ein

Impressionen an der Knochenoberfläche. Auchreaktive Knochenneubildungen können entste-hen als Antwort des Organismus auf Entzün-dung und Zerstörung von Weichteilgewebe.Grundsätzlich müssen alle Verletzungsspuren,die nicht als prae- oder postmortal identifiziertwerden können, als perimortal eingeordnetwerden. Bei perimortalen Verletzungen ist ausforensisch-osteologischer Sicht nicht auszu-schließen, dass diese in zeitlichem Zusammen-

Abb. 5: Verheilte Fraktur an der rechten Tibia mit Achsabweichung und Rotationsfehler [21]

Abb. 6: Schädel eines im Mittelalter durch das Schwertums Leben gekommenen Mannes. Die (perimortal ent-standene) Schnittverletzung verläuft quer durch das Osfrontale, von ihr gehen zusätzlich Bruchspalten aus [21]

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extremes Milieu eingewirkt hat [20]. Ein für denUntersucher kaum lösbares Problem kann sichergeben, wenn eine perimortal entstandeneVerletzung postmortal erweitert und somitüberdeckt wurde. Ist die perimortale Entste-hung einer knöchernen Verletzung nicht aus-zuschließen, ist zur weiteren Einordnung undFrage der möglichen todesursächlichen Bedeu-tung der zu Grunde liegende Verletzungsme-chanismus zu analysieren. Zunächst muss dieArt der Gewalt, die auf den Knochen einge-wirkt hat, bestimmt werden. Grundsätzlichkann scharfe, halbscharfe oder stumpfe Ge-walt unterschieden werden. Punktuelle Ge-walteinwirkungen wie Spieß- oder Schussver-letzungen sind gesondert zu betrachten. Dabeikönnen Übergänge der ausgeübten Gewaltund der daraus resultierenden Effekte sowieMehrfachverletzungen vorkommen. Zur Ein-ordnung der gefundenen Verletzungen in dieKaskade Art der Gewalt, Mechanismus, Waffe/Objekt und resultierende Effekte am Knochenkann Tabelle 2 hilfreich sein.

Identifizierung

Auch für die Identifizierung von Skeletten odereinzelnen Knochen spielen Beifunde und Fund-

situation eine wichtige Rolle. So können bei-spielsweise Kleidungsreste, Taschen oder Ge-genstände Hinweise auf den Träger bzw. Käu-fer geben. Nummerierte Sicherheitsschlüssel,Ausweispapiere oder andere persönliche Un-terlagen lassen die Zuordnung zu einer be-stimmten Person zu. Doch Vorsicht: Skelett undein daneben aufgefundener Personalausweismüssen nicht zwangsläufig von derselben Per-son stammen. Grundsätzlich können zum Zeit-punkt der forensisch-osteologischen Untersu-chung bereits Hinweise auf die Identität durchBeifunde bzw. Ermittlungsergebnisse vorliegenoder noch nicht. In jedem Fall wird man mor-phologische bzw. osteometrische Untersu-chungen zur Bestimmug von Geschlecht, Le-bensalter und Körpergröße durchführen [4, 13,14]. Je mehr Knochen zur Verfügung stehen,desto genauere Aussagen sind möglich. Wei-terhin sind auch Hinweise auf die ethnischeHerkunft zu erlangen, wobei die Einordnungdurch die pluralistischen Gesellschaftsformenimmer schwieriger wird.Zur Geschlechtsdifferenzierung können bei-spielsweise Formenunterschiede am Schädelherangezogen werden (Tab. 3). Insgesamt sindweibliche Knochen graziler und die Muskel-ansätze weniger stark ausgeprägt als bei männ-

Tab. 2. Arten der Gewalt, Mechanismen, verursachende Waffen bzw. Objekte und deren Effekte am Knochen [21]

Gewalt Mechanismus Waffe/Objekt (Bsp.) Effekte am Knochen

scharfe Schnitt Klingen: Schwert, Messer; SchnittspurenPfeil, Bajonett, Schere, Glassplitter

Stich wie bei Schnittverletzung Stichkanal, Impression

halbscharfe Hieb Axt, Beil, Sichel, Schnittspuren, Scharten, Sense, Hacke, Speer, Abschläge, BrücheSchraubenzieher

Sägen Bandsägen, Kreissägen, SägespurenHandsägen

Biss Hunde, Raubkatzen Bissspuren

stumpfe Stoß, Schlag, Sturz, Flächen, Stein, Keule, Brüche, Impressionen (geformt, nicht Quetschung Werkzeug u.ä. geformt)

Schädel: Bruchsysteme, Lochbruch, Terrassenbruch, hämatominduzierte Formierung

punktuelle Spießung oder Schuss Lanze, Pfeil, Kugel, Trichterspuren, alle Formen der Vogelschnabel stumpfen Gewalt

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Schritt besteht – falls möglich – in der Erhebungdes Zahnstatus. Diesbezüglich hat sich ein eige-nes Fachgebiet aus der Zahnmedizin herausge-bildet, die sog. forensische Odontostomatolo-gie. Der Zahnstatus kann mit Vermissten-Kartei-en verglichen werden. Umgekehrt werdenZahnschemata von unbekannten Leichen in denzahnärztlichen Fachzeitschriften publiziert. Jenach Anzahl und Spezifität der zahnärztlichenBehandlungen sowie Individualität der Zahn-stellungen kann durch die forensisch-odonto-stomatologische Untersuchung eine für dieIdentifizierung ausreichende Identitätswahr-scheinlichkeit erlangt werden. In einigen Fällenliegen auch Gipsabdrücke von den Gebissenvor, wodurch im direkten Vergleich die Aussa-gekraft extrem erhöht werden kann. Die wohlpopulärste und im Erfolgsfall extrem aussage-kräftige Methode zur endgültigen Identifizie-rung ist die DNA-Analyse. Kann aus dem Kno-chenfund Kern-DNA (STR-Systeme) gewonnenwerden, ist ein Blindvergleich mit einer Vermiss-tendatei möglich. Meistens gelingt bei denosteologischen Fällen allenfalls die Amplifikati-on von mitochondrialer DNA. Das Problem beijeder DNA-Analyse ist jedoch: Es muss Ver-gleichsmaterial oder ein bereits erhobenes

lichen. Die Beckenformen unterscheiden sichdeutlich, und zahlreiche andere Knochen wei-sen Unterschiede in Form oder Metrik auf. An-hand der Länge der Röhrenknochen kann mitHilfe von verschiedenen Berechnungsformeln,die an unterschiedlichen Bevölkerungsgruppenerhoben wurden, in Abhängigkeit vom Ge-schlecht die Körpergröße berechnet werden.Bezüglich der Lebensaltersschätzung bietet derSchädel durch die Beurteilung der Verknöche-rung der Schädelnähte und des Zahnstatus diebesten Möglichkeiten. Am übrigen Skelett kön-nen bis zum jungen Erwachsenenalter dieSchlüsse der Epiphysenfugen Aufschluss geben.Später finden sich dann charakteristische Ver-änderungen im Bereich der Symphyse. Auch pa-thologische Veränderungen können für eineIdentifizierung wichtig sein. So sind z.B. Rück-schlüsse darauf möglich, ob der Mensch zu Leb-zeiten hinkte oder Schmerzen in der Schulterhatte etc. Auch Zeichen medizinischer Versor-gung können die Suche erleichtern. MancheImplantate, wie z.B. Hüftendoprothesen, wei-sen Seriennummern auf, die dem entsprechen-den Patienten zuzuordnen sind. SpezialisierteBehandlungsmaßnahmen können die behan-delnde Klinik eingrenzen (Abb. 7). Ein wichtiger

Tab. 3. Zusammenstellung geschlechtsspezifischer morphognostischer Merkmale am Erwachsenenschädel [15]

Merkmal Männliche Eigenschaften Weibliche Eigenschaften

Allgemeine Größe Größer Kleiner

Allgemeiner Schädelbau Kräftig, massiv, unebene Oberfläche Grazil, glatte Oberfläche

Muskelmarken Stark ausgebildet Gering ausgebildet

Occipitalregion Ausgeprägte Muskelansätze und Geringe Ausprägung dieser MerkmaleProtuberanzen

Stirn Nach hinten fliehend Steiler

Tubera frontalia Gering hervortretend Stärker hervortretend

Arcus superciliaris Mittel bis groß, stärker hervortretend, Klein bis mittel, weniger hervortretend, scharfgerundet

Glabella Stark ausgebildet Schwach ausgebildet

Orbita Eckiger, niedriger, relativ kleiner, Rundlicher, höher, relativ größer, scharfe Rändergerundete Ränder

Processus mastoideus Mittel bis groß Klein bis mittel

Os zygomaticum Massiver, gebogen, seitlich ausladend Zierlicher, weniger weit gebogen

Gaumen Größer, breiter, eher U-förmig Kleiner, eher parabolisch

Unterkiefer Größer, höhere Symphyse, breiterer Kleiner, geringere AusmaßeRamus ascendens

Hinterhauptscondylen Größer Kleiner

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DNA-Profil von der vermissten Person zur Verfü-gung stehen, was allzu oft nicht der Fall ist.Häufig liegen von vermissten Personen zu Leb-zeiten angefertige Röntgenbilder vor. Sind dieauf den Bildern dargestellten Knochen bei demunbekannten Individuum vorhanden, müssenletztere nach den vorhandenen Aufnahmenausgerichtet und geröntgt werden. Beim Ver-gleich der prä- mit der postmortalen Aufnahmemüssen die feinen Strukturen der Knochen über-einstimmen. Bei dieser Röntgenvergleichsanaly-se besitzen die Nasennebenhöhlen eine beson-dere Aussagekraft, aber auch Zeichen vonzurückliegenden Verletzungen oder deren Be-handlung sind hilfreich (Abb. 7).Porträtfotos von vermissten Personen könnenmit Hilfe der Superprojektion mit einem aufge-fundenen Schädel verglichen werden. Hierzuwird der Schädel in der dem Porträtfoto ent-sprechenden Position fotografiert. WichtigeGrundlagen dieser Technik wurden Ende der60er Jahren am Gießener Institut für Rechts-medizin durch Grüner und Schulz erarbeitet [5], die durch Helmer und Grüner in Form eines Video-Mischbildverfahrens weiterent-wickelt worden sind [8, 9]. Heutzutage werdendie Bilder digitalisiert und in diesem Zustand mitHilfe eines geeigneten Bildbearbeitungspro-gramms superprojiziert.

Als ultima ratio bei einem nicht identifiziertenSchädel existiert die Möglichkeit einer Gesichts-weichteilrekonstruktion. Die plastische Ge-sichtsweichteilrekonstruktion auf der Grund-lage eines menschlichen Schädels ist metho-disch hoch differenziert [10]. Aus ethischenGründen empfiehlt es sich, den Originalschädelzu replizieren und auf dem 1:1 gefertigten Re-plikat die Weichteilrekonstruktion vorzuneh-men. Zuerst werden alle relevanten Gesichts-punkte mit ihren empirisch für die jeweilige Al-tersklasse und das Geschlecht ermitteltenWeichteildicken markiert (Abb. 8a). Es gibt ver-schiedene Methoden, um diese Markierungvorzunehmen, die Anzahl der Gesichtspunkteund die zur Markierung verwendeten Materiali-en (z.B. Holzsticks und Gummistränge) variierenvon Spezialist zu Spezialist (Karen Taylor, RichardNeave, Richard Helmer etc). Jeder hat seine fa-vorisierte Vorgehensweise und setzt sie aufseine Weise um. Bei dieser Tätigkeit zeigt sichdeutlich, dass sich (Natur-)Wissenschaft undKunst annähern und sich verbinden. Das eineohne das andere ist bei dieser Arbeit undenkbarund bedarf einer geradezu pedantischen Detail-treue, um nicht aus der Weichteilrekonstruktioneine Skulptur erstehen zu lassen. Daher soll andieser Stelle nur auf den wissenschaftlichen Zu-sammenhang eingegangen werden.

Abb. 7a–c: a Schädel eines überwiegend skelettierten Leichnams. An dem linken Oberkiefer/Jochbein stellt sich einmit 6-Loch-Platte versorgter alter Bruch dar. Untersuchungsergebnis: Die Person muss im Zeitraum von ca. 1/2 bis 2Jahren in einer Abteilung für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie behandelt worden sein. In der nächstgelegenen Klinik miteiner derartigen Abteilung wurde ein Patient ermittelt, der 1 Jahr zuvor behandelt worden war. Es lag eine postmor-tale Röntgenaufnahme vor. b Von dem Schädel wurde eine Vergleichsaufnahme angefertigt. c diese zeigt wesentli-che Übereinstimmung. Ergänzt wurde die Untersuchung durch eine digitale Superprojektion des prä- und des post-mortalen Röntgenbildes

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und weisen eindeutig auf die Notwendigkeithin, Spuren des Erlebten in dem Gesicht deut-lich zu machen, mit Falten und Furchen, Ein-dellungen und Erhebungen an den relevantenStellen. Wird dies alles beachtet, kann dieWeichteilrekonstruktion zu einem lebendigenAbbild einer bereits verstorbenen gesichtslosenPerson werden. Der fertiggestellte Kopf kanngeschminkt und mit einer Haartracht, mögli-cherweise auch mit Kleidung versehen werden.Im Anschluss werden Fahndungsfotos gefertigtund können in der Presse oder im Fernsehenveröffentlicht werden.Neben der beschriebenen klassischen Metho-de existieren auch modellierende und zeichne-rische, die erheblich künstlerischer geprägtsind. Mit fortschreitender Computertechniksind in jüngster Zeit auf verschiedenen Ansät-zen basierende Methoden der digitalen Ge-sichtsweichteilrekonstruktion entwickelt wor-den. Diese Methoden haben den Vorteil,schnell und kostengünstig zu sein. Der Nach-teil ist jedoch, dass die daraus resultierendenGesichter durch die zwangsläufige Verwen-dung der Mittelwerte eher synthetisch wirken,wie man es z.B. von Computerspielen kennt.Da von den Entwicklern einiger dieser Metho-den eine sehr zielgerichtete Werbung betrie-

Je nach Konzeption des Wissenschaftlers wer-den entweder zuerst die Augen eingesetzt unddie Nase angefertigt bzw. angepasst und an-modelliert oder die Muskulatur auf der gesam-ten Gesichtsfront oder erst einmal halbseitigzum ständigen Vergleich des Status quo derWeichteildicke aufgetragen. Nach der Erstel-lung des Grundgerüstes mit all seinen Markernbeginnt die Applikation der Weichteilstruktu-ren in Ton, Plastilin, Wachs u.ä. (Abb. 8b). Nachder „Manchester-Methode“ von Richard Neave[16] werden alle relevanten Gesichts- undKopfmuskeln dargestellt. Die Ansatz- und Ur-sprungsstellen der Muskeln hinterlassen Spu-ren am Schädel(-knochen), und diesen wird imEinzelnen gefolgt. Wenn die Muskulatur beineutraler Gesichtsmimik des zu rekonstruieren-den Kopfes aufgebracht ist, beginnt die we-sentliche Aufgabe der Erstellung des Gesichts-reliefs. Die Gesichtshaut wird aufgelegt, dasRohmodell des Gesichts oder der Büste der Per-son ist fertig (Abb. 8c). Nun beginnt die Feinar-beit mit Fingerspitzengefühl. Je nach Alter undGeschlecht hat das Leben Spuren auf dem Ge-sicht des Menschen hinterlassen. Das Gebissund der Gesamtzustand des Schädels lassenz.T. in weitreichendem Maße die Lebensge-schichte der verstorbenen Person erkennen

a b c

Abb. 8a–c: Plastische Gesichtsweichteilrekonstruktion (K. Kreutz). a Replizierter Schädel mit Weichteilmarkern undbereits rekonstruierter Augenhöhle und Nasengerüst. b Fortgeschrittene Rekonstruktion der Gesichtsweichteile. c Rohmodell des Gesichts

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ben wird, besteht die Gefahr, dass den Verant-wortlichen der Ermittlungbehörden glaubhaftgemacht wird, auf diese Weise in der Ermitt-lungsarbeit die ultima ratio „kostengünstig”ausschöpfen zu können.

Danksagung. Folgenden Wissenschaftlern (alphabeti-sche Nennung) von der Justus-Liebig-Universität Gießensei ein herzlicher Dank für die jahrelange angenehmeund erfolgreiche Zusammenarbeit bei forensisch-osteo-logischen Fragestellungen ausgesprochen: Achim Batt-mann (Pathologie), Nils Hackstein (diagnostische Radio-logie), Martin Hardt (Zentrale Biotechnische Betriebsein-heit), Frank Heidorn (DNA-Labor, Rechtsmedizin), KerntKöhler (Veterinärpathologie), Harald Thomé (Veterinär-Anatomie), Carsten Witzel (Anthropologie).

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