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Forschungsstelle Küste 5/2004 Niedersächsisches Landesamt für Ökologie Florian Ladage & Hans-Joachim Stephan Morphologische Entwicklung im Seegat Harle und seinem Einzugsgebiet Niedersachsen 0 20 40 60 80 100 120 140 160 1950 1960 1970 1980 1990 2000 Jahr Tidevolumen V T [10 6 m 3 ] 0 10 20 30 40 50 60 V T /MThb [10 6 m 3 /m] VT WEG Harle gesamt VT TEG Harle VT TEG Dove Harle VT/MThb WEG Harle gesamt VT/MThb TEG Harle VT/MThb TEG Dove Harle

Forschungsstelle Küste 5/2004 · Forschungsstelle Küste 5/2004 Niedersächsisches Landesamt für Ökologie ] 1950 1960 1970 1980 1990 2000 Florian Ladage & Hans-Joachim Stephan

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Forschungsstelle Küste 5/2004

Niedersächsisches Landesamt für Ökologie

Florian Ladage & Hans-Joachim Stephan

Morphologische Entwicklung im Seegat Harle und seinem Einzugsgebiet

Niedersachsen

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VT WEG Harle gesamtVT TEG HarleVT TEG Dove HarleVT/MThb WEG Harle gesamtVT/MThb TEG HarleVT/MThb TEG Dove Harle

Herausgeber: Niedersächsisches Landesamt für Ökologie (NLÖ) - Forschungsstelle Küste- 2004 Bezug: NLÖ - Forschungsstelle Küste An der Mühle 5, 26548 Norderney Tel.: 04932-916-0 Fax: 04932-1394 e-mail: info.crs @ t-online.de

NIEDERSÄCHSISCHES LANDESAMT FÜR ÖKOLOGIE - FORSCHUNGSSTELLE KÜSTE -

Florian Ladage Hans-Joachim Stephan

Morphologische Entwicklung im Seegat Harle und seinem Einzugsgebiet

Norderney, im Oktober 2004 Leiter der Dezernatsleiter Forschungsstelle Küste GeoInformation und Morphologie Dipl.-Ing. H. D. Niemeyer Dr. H.-J. Stephan

Ladage, F.; Stephan, H.-J. (2004): Morphologische Entwicklung im Seegat Harle und seinem Einzugsgebiet

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 unveröffentl. 69 S., 48 Abb. Norderney

Morphologische Entwicklung im Seegat Harle und seinem Einzugsgebiet Florian Ladage & Hans-Joachim Stephan Inhaltsverzeichnis: Seite

1. Einleitung 5

2. Das Untersuchungsgebiet 5 2.1 Topographie 5 2.2 Hydrodynamik 7

3. Unterlagen und Methodik 9 3.1 Topographische Vermessungen 9 3.2 Wasserstände 10 3.3 Datenverarbeitung und -analyse 11 3.4 Vermessungsgenauigkeit und Fehlerbetrachtung 14

4. Entstehung der gegenwärtigen Situation 15 4.1 Morphologische Entwicklung der Insel Wangerooge 15 4.2 Umgestaltung des Weststrandes von Wangerooge 18 4.3 Ausbau des Inselschutzes auf Wangerooge 19

5. Einzugsgebiet der Harle 21 5.1 Langfristige Entwicklung im Watteinzugsgebiet der Harle 21 5.2 Änderung der Rinnen- und Platenstruktur seit 1950 24 5.3 Verschiebung der Wattwasserscheiden 28 5.4 Entwicklung der Einzugsgebietsfläche und des Tidevolumens im Watt 30 5.5 Gleichgewichtszustand Einzugsgebietsgröße – Tidevolumen 33

6. Seegat Harle 35 6.1 Langfristige Entwicklung des Seegats 35 6.2 Herausbildung der Doven Harle und Ausbau der Buhne H 36 6.3 Seegatentwicklung seit 1950 38 6.4 Wirkung der Buhne H 46 6.5 Entwicklung des Seegatquerschnitts 47 6.6 Gleichgewichtszustand Seegatquerschnitt – Tidevolumen 48 6.7 Entwicklung am Harlehörn 50

6.7.1 Situation im Strand- und Dünenbereich 50 6.7.2 Luftbildanalyse der Veränderungen am Harlehörn 51 6.7.3 Entwicklung des Vorstrand- und Strandbereichs 55 6.7.4 Sedimentvolumen vor dem Harlehörn 57

7. Riffbogen der Harle 59 7.1 Gestalt des Riffbogens 59 7.2 Volumenentwicklung im Riffbogen 61 7.3 Funktionaler Zusammenhang Riffbogenvolumen – Tidevolumen 62

8. Zusammenfassung 64

9. Literatur 67

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1. Einleitung

Im Gebiet um das Seegat Harle haben in den letzten Jahrhunderten außerordentliche Veränderungen stattgefunden, die ursächlich durch die Rückbildung der Harlebucht angestoßen worden sind (HOMEIER 1962a, 1973; NIEMEYER 1995). Die dynamischen Gestaltungsvorgänge sind noch nicht abgeschlossen (LÜDERS 1952, LUCK 1975) und erfordern besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich des Inselschutzes für Wangerooge. Gekennzeichnet sind die jüngsten Entwicklungen im Seegat durch Veränderungen der Hauptrinne Harle sowie der Nebenrinne Dove Harle, wobei erhebliche Änderungen in deren Teileinzugsgebieten und Verlagerungen der zugehörigen Wattrinnen auftreten. Anhaltende Abbrüche der Harlehörn-Dünen im südwestlichen Teil Wangerooges erforderten wiederholte Eingriffe für den Inselschutz. Die künstlich aufgebauten Dünen am Harlehörn wurden zwischen 1985 und 2000 viermal aufgefüllt. Für die dauerhafte Sicherung dieses Inselabschnitts ist das Verständnis der großräumigen morphologischen Entwicklung unabdingbare Voraussetzung. Die vorliegende Untersuchung zielt deshalb darauf ab, die bedeutendsten Gestaltungsvorgänge im Einzugsgebiet der Harle, im Seegat und im Riffbogen aufzuzeigen. Die Untersuchungsergebnisse sind Teil des gemeinsamen Projektes „Sonderuntersuchungen für Vorarbeiten zum Inselschutz Ostfriesische Inseln“ der Forschungsstelle Küste (FSK) des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie (NLÖ) und der Betriebsstelle Norden des Nieder-sächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft und Küstenschutz (NLWK). Dabei konzentriert sich der Aufgabenteil der Forschungsstelle Küste schwerpunktmäßig auf die Analyse morpho-logischer Gestaltungsvorgänge im Umfeld des Harlehörn, die als wesentliche Grundlage für die Erarbeitung langfristiger Schutzkonzepte dient. 2. Das Untersuchungsgebiet

2.1 Topographie

Wangerooge ist die östlichste der sieben Ostfriesischen Inseln vor der Küste Niedersachsens, die sich im Verlauf des postglazialen Meeresspiegelanstiegs aus hochwasserfreien Platen zu dünen-bestandenen Inseln entwickelt haben (LÜDERS 1953, STREIF 1990). Heutzutage erstreckt sich Wangerooge mit einer Länge von rund 8 km in West-Ost-Richtung bei einer maximalen Breite von 1,5 km. Die Entfernung zum Festland beträgt ungefähr 7 bis 8 km (Abb. 1).

Abb. 1 Lage des Untersuchungsgebietes an der niedersächsischen Nordseeküste

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Die Tidewassermenge aus dem Wattbereich südlich der Insel strömt überwiegend durch das Seegat Harle westlich von Wangerooge ein und aus (Abb. 2). Obwohl die Harle mit ihrem etwa 65 km2 großen Einzugsgebiet nach der Wichter Ee das kleinste Tidebecken der Ostfriesischen Seegaten besitzt (NIEMEYER 1995), stellt sie mit lokalen Tiefen bis NN-35m das tiefste Seegat der Ostfriesischen Inselkette dar. Diese Tatsache ist in erster Linie auf die Wirkung der Strombuhne H zurückzuführen, die die Seegatbreite reduziert und die Nebenrinne Dove Harle auf den südlichen Teil des Seegats beschränkt.

Abb. 2: Übersichtskarte des Untersuchungsgebietes im Umfeld des Harlehörn auf Wangerooge

Das Seegat Harle wird seewärts von einem – im ostfriesischen Sprachgebrauch als Riffbogen bezeichneten – Ebbdelta umspannt, das sich etwa 3,5 km nach Nordnordwesten erstreckt und die Morphologie in seinem Umfeld prägt (Abb. 2). Der westliche Teil vor dem Ostende Spiekeroogs (Tabaksplate) ragt bis über Tideniedrigwasser auf, während die nördlichen Sandbänke (Harleriff) maximale Höhen von NN-2m erreichen. Der Riffbogen wird in unterschiedlichen Richtungen zwischen NNW und NO durch sich verändernde Rinnen zwischen

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den einzelnen Platen unterbrochen. Landwärts verzweigt sich das Seegat in die Telegraphenbalje, das Gat vom Wrack, die Breite Legde sowie die Carolinensieler Balje und die Neue Carolinensieler Balje. Am Ostende von Spiekeroog mündet die Muschelbalje über die Alte Harle in das Seegat (Abb. 2). Zwischen den sich verzweigenden Baljen wird das Wattgebiet in mehrere trockenfallende Sände unterteilt: Muschelbank, Hoher Rücken, Langer Jan, Eversand und Martensplate. Die Watthöhenscheide Spiekeroogs trennt das Einzugsgebiet der Otzumer Balje von dem der Harle und verläuft durch das Spiekerooger Inselwatt über die Hohe Bank bis an den Leitdamm zum Hafen Harlesiel. Die östliche Wattwasserscheide zum Seegat Blaue Balje geht vom östlichen Teil des Wangerooger Inselwatts aus über den Hohen Rücken und den Südersand bis ins Neue Brack. In Festlandsnähe verläuft die Wattscheide auf Höhe des östlichen Endes des Elisabethgrodens durch das Wanger Watt. Die Blaue Balje trennt Wangerooge von der unbewohnten Strandinsel Minsener Oog, die durch ein spinnennetzartiges Buhnensystem stabilisiert wird (Abb. 1). Wesentliche Veränderungen im Einzugsgebiet der Harle sind zum einen durch die Verlandung der Harlebucht eingeleitet worden (HOMEIER 1962a, HOMEIER 1979), zum anderen durch den Beginn der Inselschutzarbeiten auf Wangerooge 1874 (WITTE 1970, EHLERS & MENSCHING 1982). Dabei ist insbesondere der Ausbau der Buhne H als Unterwasserbuhne 1939-42 von Bedeutung für die Entwicklung der Harle (LÜDERS 1952).

2.2 Hydrodynamik

Im Küstenraum werden Materialumlagerungen im Wesentlichen durch Strömungen und Seegang hervorgerufen. Bei den auftretenden Strömungen sind neben großräumigen küstennahen sowie welleninduzierten Strömungen vor allem die astronomisch bedingten Gezeitenströmungen für morphologische Gestaltungsvorgänge von Bedeutung. Die ostfriesische Küste wird von einer halbtägigen Tidewelle beeinflusst, die von West nach Ost fortschreitet. Der mittlere Tidehub nimmt ebenfalls von West nach Ost zu. Er beträgt am Pegel Wangerooge-West derzeit 2,88 m (1999-2003). Im Wattgebiet südlich Wangerooge steigt der Tidehub nach Südosten hin an (Wangerooge-Ost 3,0 m nach BSH-Gezeitenkalender 2003). Das Untersuchungsgebiet ist somit nach der Einteilung von DAVIES (1964) als mesotidaler Küstenabschnitt (Tidehub: 2-4m) einzuordnen. HAYES (1975) hat eine morphologische Küsten-klassifikation in Abhängigkeit vom Tidehub erstellt (Abb. 3). Die Dicke der Streifen in Abb. 3 verdeutlicht die Häufigkeit des Auftretens entsprechend der vorherrschenden Gezeitendynamik. Düneninseln sind danach überwiegend an mikrotidalen und niedrig-mesotidalen Küsten zu finden, während sie bei einem Tidehub über 3 m seltener vorkommen. Diese Einteilung stimmt mit der Küstengestalt der Nordsee überein, wo sich östlich von Wangerooge mit zunehmendem Tidehub keine vorgelagerten Düneninseln mehr herausbilden.

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Abb. 3: Küstenformen in Abhängigkeit vom Tidehub (verändert nach HAYES 1975)

Der Einfluss des Seegangs kann im Bereich der Ostfriesichen Inseln durch Jahresmittel der signifikanten Wellenhöhe von 0,7 bis 1,0 m charakterisiert werden (NIEMEYER 1992). Die Wellenenergie wird bei der Annäherung an sandige Küsten durch Sohlreibung und Brandung abgemindert. Dabei werden Strömungen hervorgerufen, die Sedimentbewegungen initiieren können. Bei schrägem Wellenauflauf auf die Strände entsteht beim Brechen die strandparallele Brandungsströmung, die wiederum einen küstenparallelen Sedimenttransport bewirkt. Im Bereich der südlichen Nordsee herrschen überwiegend Westwinde vor, die in Verbindung mit der gleichgerichteten Ausbreitung der Tidewelle eine resultierende Drift von West nach Ost hervorrufen. Das Untersuchungsgebiet ist nach der hydrodynamischen Klassifikation von HAYES (1979) als tide- und seegangsgeprägt mit dominierendem Tideeinfluss einzuordnen (Abb. 4). Ein Großteil der Seegangsenergie wird bereits über den Riffbögen umgewandelt (NIEMEYER & KAISER 1997), so dass sich zwischen Riffbogen und Inselstränden brandungsfreie Zonen herausbilden können. Eine weitere Dämpfung erfährt der Seegang bei der Ausbreitung über die Wattflächen zur Festlandsküste (NIEMEYER 1983).

Abb. 4: Hydrodynamische Klassifikation von Küsten (ergänzt nach HAYES 1979)

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3. Unterlagen und Methodik

3.1 Topographische Vermessungen

Für die morphologischen Untersuchungen im Gebiet von Wangerooge wird eine Vielzahl von Unterlagen herangezogen. Zur Veranschaulichung der langfristigen Entwicklung wird auf das Historische Kartenwerk 1:50.000 der FSK (Blatt Nr. 7 u. 8) mit den Zuständen von 1650, 1750, 1860 und 1960 zurückgegriffen (HOMEIER 1962b). Als Basis für die quantitativen Auswertungen der jüngeren Entwicklungsprozesse dienen jedoch überwiegend flächenhafte Tiefenpeilungen des Bundesamtes für Seeschiffahrt und Hydrographie (BSH), die für den Zeitraum von 1950 bis 2001 digital dreidimensional vorliegen (Tabelle 1). Aufgrund der Nähe zur Bundeswasserstraße Jade ist der Bund durch das Wasser- und Schiffahrtsamt (WSA) Wilhelmshaven für den seeseitigen Inselschutz auf Wangerooge zuständig und führt dort auch Vermessungsarbeiten aus. Sie decken – zumindest teilweise – auch das Gebiet des Seegats Harle und des Riffbogens vor Wangerooge ab, während im Watteinzugsgebiet der Harle überwiegend nur die Fahrwasser-rinnen regelmäßig vermessen werden. Diese jährlichen Peilungen des WSA Wilhelmshaven stehen für den Zeitraum seit 1989 zur Verfügung und wurden vereinzelt zur Verdichtung der BSH-Peilungen verwendet. Da als einheitlicher Höhenbezug der Daten generell das Normalnull (NN) zu bevorzugen ist, mussten ältere Peilungen des BSH – die sich auf das Seekartennull (SKN) bezogen – nachträglich umgerechnet werden. Dies erfolgte entsprechend der vom BSH angewandten Methode mit Hilfe von Ringpolygonkarten für die Situation von 1995. Das SKN (=MSpTnw) steigt demnach von 160 cm unter NN im Nordwesten des Untersuchungsgebietes auf 180 cm unter NN im Südosten an. Eine zeitliche Schwankungsbreite des SKN von wenigen Zentimetern wurde bei der Umrechnung in Kauf genommen, da diese Abweichung im Rahmen der Vermessungsgenauigkeit liegt (LADAGE 2001). Ergänzt werden die vorliegenden Peildaten durch digitalisierte Wattkarten der Forschungsstelle Küste (FSK) von 1964 bzw. 1990 und die Küstenkarte des Kuratorium für Forschungen im Küsteningenieurwesen (KFKI) von 1975. Außerdem führte die FSK speziell für die aktuellen Untersuchungen nautische und terrestrische Vermessungen durch, die eine flächendeckende Darstellung der Morphologie im Untersuchungsgebiet Harle für 2002/03 ermöglichen. Durch die Einbeziehung digitalisierter Wattkarten konnten für zahlreiche Zustände seit 1950 Geländemodelle des kompletten Einzugsgebietes der Harle zwischen der Spiekerooger und der Wangerooger Wattwasserscheide bis zur MThw-Linie erstellt werden. Eine vollständige Übersicht der verwendeten Vermessungen bietet Tabelle 1. Alle Daten liegen als Gauss-Krüger-Koordinaten im 3. Gitterstreifen vor oder wurden dahin transformiert. Zusätzlich zu den Tiefen-informationen der Vermessungsdaten sind Luftbilder der Riffbogenbefliegungen vorhanden, die einmal jährlich in den Sommermonaten bei möglichst tiefen Niedrigwasserständen aufgenommen werden. In Inselnähe lassen sich diese Luftbilder mit ausreichender Lage-genauigkeit (ca. ±20m) georeferenzieren, so dass sie insbesondere zur Analyse der Vorstrand-entwicklung und Platenumgestaltung vor dem Harlehörn herangezogen werden können. Als terrestrische Messungen liegen außerdem Strandprofile auf der Insel Wangerooge vor, die im Allgemeinen den Höhenbereich von der Dünenkante bis MTnw umfassen. Das WSA Wilhelmshaven nimmt die entsprechenden Strandprofile auf der Seeseite nördlich der Buhne V bis zum Ostende der Insel auf. Am Harlehörn sowie im Wangerooger Inselwatt werden die Vermessungen vom NLWK durchgeführt. Mit Hilfe der jährlich gemessenen Profile konnte die Strandentwicklung am Harlehörn analysiert werden. Diese terrestrischen Daten sowie zusätzliche Profildaten vom Oststrand Spiekeroogs wurden auch zur weiteren Verdichtung der Gelände-modelle im Strandbereich verwendet.

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Tabelle 1: Vermessungen und Karten (grau hinterlegt) für die morphologischen Untersuchungen

Jahr Quelle Höhenbezug Datenart Datendichte Datenmenge [km2]

NN SKN Punkt Linien quer x längs [m] Kartenausschnitt (130 km2)

1950 BSH + + * ~200 x 100 80 1955 BSH + + * ~200 x 100 43

19611 FSK + * - 130 1964 BSH + + * ~200 x 100 48 19752 KFKI + * - 130

1975/76 BSH + + * ~200 x 200 92 1977 BSH + + * ~200 x 100 44 1984 BSH + + * ~200 x 200 94 1987 BSH + + * ~200 x 200 94 1989 BSH + + * ~200 x 150 59 19903 FSK + * - 130

1992/93 BSH + + * ~200 x 150 95 1995 BSH + + * ~200 x 150 101 1998 BSH + + * ~200 x 150 98 2001 BSH + + * ~200 x 150 74

2002/03 FSK + * 150 x 25 80 1989-2002 (jährlich)

WSD + * (100-200) x 25 (gefiltert)

43 - 60

1 Top. Wattkarte Nr.7, M 1:25000, Fertigstellung 1964, Einzugsgebiet Harle 1961 vermessen 2 Küstenkarte 2212K, M 1:25000 3 Top. Wattkarten Carolinensieler Balje & Harle, M 1:10000, basierend auf Serienbildbefliegung 1990 & BSH-Peilungen 1989

3.2 Wasserstände

Als Randbedingung für die Berechnung morphologischer Parameter werden für jeden auszuwertenden topographischen Zustand die zeitlich entsprechenden Wasserstände benötigt. Für den Pegel Wangerooge-West, der vom WSA Wilhelmshaven betreut wird, stehen seit 1974 durchgängige Zeitreihen der mittleren jährlichen Wasserstände zur Verfügung, die das Tidegeschehen im Untersuchungsgebiet repräsentieren. Räumliche Differenzen der mittleren Tidewasserstände konnten aufgrund fehlender zusätzlicher Wasserstandsmessungen nicht berücksichtigt werden. Der Pegel Wangerooge Ost befindet sich beispielsweise bereits außerhalb des Einzugsgebietes der Harle. Daher wurden vereinfachend einheitliche MThw und MTnw für den gesamten Untersuchungsraum angenommen. Vor 1973 sind die Aufzeichnungen am Pegel Wangerooge-West teilweise unvollständig, so dass diese fehlenden Tidewasserstände aus den Daten benachbarter Pegel abgeleitet werden mussten. Hierzu wurde eine Regressionsanalyse mit aktuellen Zeitreihen des Pegels Norderney Riffgat durchgeführt. Aus diesen Gleichungen konnten die entsprechenden MTnw- und MThw-Werte im Untersuchungsgebiet in guter Näherung (r2=0,984 für MTnw bzw. r2=0,975 für MThw) aus den Aufzeichnungen des Pegels Norderney ermittelt werden. Wie bei morphologischen Parametrisierungen zumeist üblich wurde als Grundlage der Auswertungen ein fünfjähriges gleitendes Mittel der jährlichen Tidewasserstände verwendet (NIEMEYER et al. 1995). Das mittlere 5-jährige Tideniedrigwasser (MTnw) zeigt für die vorliegende Zeitreihe eine relativ große Schwankungsbreite zwischen NN-1,37 m und NN-1,50 m (Abb. 5). Dabei ist keine eindeutige Tendenz in der Wasserstandsänderung festzustellen. Im Gegensatz dazu steigt das mittlere Tidehochwasser (MThw) im betrachteten Zeitraum um durchschnittlich 4,4 mm/Jahr an. Das 5-jährige MThw liegt am Pegel Wangerooge-West im Wertebereich zwischen NN+1,27 m und NN+1,47 m. Der mittlere Tidehub schwankt über den Untersuchungszeitraum zwischen 2,70 m und 2,88 m.

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Pegel Wangerooge-West:Mittleres Tideniedrigwasser

-1,70

-1,60

-1,50

-1,40

-1,30

-1,20

1960 1970 1980 1990 2000

MTn

w [m

NN]

Jährliches Mittel5-jähriges gleitendes MittelLinearer Trend (Jährl. Mittel)

mittlerer Anstieg:+0,4 mm/Jahr

Pegel Wangerooge-West:Mittleres Tidehochwasser

1,10

1,20

1,30

1,40

1,50

1,60

1960 1970 1980 1990 2000

MTh

w [m

NN]

Jährliches Mittel5-jähriges gleitendes Mittel

Linearer Trend (Jährl. Mittel)

mittlerer Anstieg:+4,4 mm/Jahr

Abb. 5: Mittlere Tidewasserstände am Pegel Wangerooge-West

3.3 Datenverarbeitung und -analyse

Die in Tabelle 1 aufgelisteten Vermessungsdaten wurden nach der Eingabe in ein Geographisches Informationssystem (GIS) zunächst einer eingehenden Plausibilitätskontrolle unterzogen. Um mit dem Datenmaterial eine flächenhafte Abdeckung der morphologischen Darstellungen und annähernd einheitliche Zeitabstände zu gewährleisten, wurden teilweise Peilungen aus sich ergänzenden Vermessungsaufgaben aufeinanderfolgender Jahrgänge miteinander verschnitten. Vorher wurde die Kontinuität der Daten an den Schnittstellen durch stichprobenartigen Vergleich der Höheninformation sichergestellt. Aus den geprüften Originaldaten wurden dann im GIS (ArcView 3.1 der Firma ESRI mit Erweiterungen 3D Analyst 1.0, Spatial Analyst 1.1 und Profile Extractor 6.0) digitale Gelände-modelle (DGM) in Form von unregelmäßigen Dreiecksnetzen (TIN: Triangulated Irregular Network) erstellt. Die TIN bilden die Grundlage zur Berechnung der morphologischen Parameter. Durch eine gleichmäßige Flächenrasterung der TIN wurden außerdem Gitternetze mit 25 m Maschenweite erzeugt, die eine einheitliche Darstellung von Tiefenplänen sowie eine flächen-deckende Berechnung von Höhenunterschieden (Differenzenpläne) ermöglichen. Die Auswertung der dreidimensionalen DGM erfolgte dann einzeln für morphologische Einheiten. Eine quantitative Analyse der Veränderungen wurde anhand der Verlagerung von Tiefenlinien und markanten Punkten, durch den Vergleich von frei wählbaren Geländeprofilen sowie durch die auf beliebige Tiefenhorizonte bezogene Berechnung von Flächen- und Volumenwerten ausgeführt. Neben der Analyse der so ermittelten zeitlichen Entwicklungstendenzen wurden funktionelle Zusammenhänge morphologischer Parameter untersucht. Dadurch können Aussagen über die Anpassung an morphodynamische Gleichgewichtszustände getroffen werden, die wiederum Schlussfolgerungen für mögliche zukünftige Veränderungen erlauben. Folgende Parameter wurden im Laufe der Auswertung für die Beurteilung morphodynamischer Veränderungen berechnet: - Einzugsgebietsfläche (unterhalb MThw) Ab [m2] - Rinnenfläche eines Einzugsgebietes (unterhalb MTnw) AMTnw [m2] - Wattfläche eines Einzugsgebietes zwischen MTnw und MThw Ai = Ab - AMTnw [m2] - Beckenvolumen eines Einzugsgebietes Vb [m3] - Rinnenvolumen eines Einzugsgebietes VMTnw [m3] - Tidevolumen VT = Vb - VMTnw [m3] - Querschnitt einer Watt- oder Seegatrinne (unterhalb NN) Ac [m2] - Sedimentvolumen des Riffbogens V0 [m3]

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Die Ermittlung der morphologischen Parameter wurde zum einen für das Einzugsgebiet der Harle als Gesamtheit und zum anderen auch für Teileinzugsgebiete durchgeführt. Bei den Abgrenzungen der Teileinzugsgebiete handelt es sich nicht um starre Ränder, sondern um dynamische Festlegungen für den jeweils auszuwertenden Zustand. Die Grenze zwischen zwei Gebieten wird einerseits durch die Wattwasserscheiden vorgegeben, die in den Geländemodellen durch die relativ höchsten Wattpunkte definiert wurden. Diese topographische Bestimmung der Wattgrenzen entspricht zwar aufgrund zusätzlicher meteorologischer Einflüsse nicht immer der wirklichen Lage der Wattwasserscheide, stellt jedoch eine gute Annäherung an die im Mittel wirksamen hydrodynamischen Randbedingungen dar (KNAACK & NIEMEYER 2001). Die Aufteilung des Untersuchungsgebietes basiert zudem auf dem hierarchischen System der sich verzweigenden Seegatrinnen und Wattpriele, so dass ein senkrechter Schnitt durch den Mündungsbereich der Wattrinnen die seewärtige Grenzlinie zum übergeordneten Teilgebiet bildet. Üblicherweise wird die Lage dieser Grenze an der schmalsten Stelle der jeweiligen Rinne bzw. dem Ort mit dem geringsten Durchflussquerschnitt definiert. Für das Seegat Harle wäre das die Verlängerung der Buhne H gewesen, die sich jedoch wegen oftmals unstetiger Vermessungsdaten in diesem Bereich als ungünstiges Profil zur Ermittlung der Querschnittsfläche erwies. Vielmehr erschien es sinnvoll, ein südlich der Buhne H gelegenes Profil zu wählen, um außerdem die Veränderungen der Doven Harle mit berücksichtigen zu können. Dieser Schnitt verläuft daher vom nördlichen Teil des Harlehörn quer zu den Rinnenachsen Dove Harle, Harle und Alte Harle bis zur Ostplate Spiekeroogs. Eine Aufteilung dieses Querschnitts in die Anteile Harle und Dove Harle ermöglicht zudem eine getrennte Analyse beider Teilquerschnitte. Als Grenze wurde dafür die vertikale Trennlinie durch den höchsten Punkt der Mittelplate verwendet, sofern der morphologische Zustand des Seegats eine klare Zweiteilung aufwies. Bei der in den 90er Jahren zeitweilig auftretenden Dreiteilung des Seegats wurde die vertikale Trennlinie durch den tiefsten Punkt der Mittelrinne gelegt. Bei den Querschnittsberechnungen im Seegat sollte die Vergleichbarkeit mit Werten aus der Literatur durch einen einheitlichen Höhenbezug auf MTmw gewährleistet werden. In Anlehnung an GERRITSEN (1990) und dem methodischen Vorgehen im Projekt WADE (NIEMEYER et al. 1995) wurde dieser Ansatz dadurch vereinfacht, dass die vertikale Grenze MTmw durch NN angenähert wurde. Da die Peildaten meist nur bis auf Höhe des MTnw vorhanden sind, mussten die DGMs hierfür in den Randbereichen des Seegats zunächst mit entsprechenden terrestrischen Vermessungen verdichtet werden. Einem methodischem Ansatz von WALTON & ADAMS (1976) folgend wurde die morphologische Einheit des Riffbogens untersucht: Dabei wird das im Ebbdelta vorhandene Sedimentvolumen als Differenz der realen und einer idealisierten Topographie ohne Seegat definiert (Abb. 6). Die Abgrenzung des Untersuchungsraumes sollte in Küstenlängsrichtung so gewählt sein, dass der Riffbogeneinfluss an den seitlichen Grenzen nicht mehr erkennbar ist. Für den Riffbogen der Harle ist diese Bedingung westlich des Platenablösungsbereiches bei Gauß-Krüger-Rechtswert 3418 bzw. östlich der Anlandunszone bei RW 3430 hinreichend erfüllt. Seewärts sollte sich der Untersuchungsraum im Idealfall soweit ausdehnen, bis wieder Übereinstimmung zwischen den wirklichen Tiefenlinien und den angenommenen Tiefenlinien ohne Seegat besteht. Im vorliegenden Fall ist diese nördliche Grenze aufgrund des Einflusses der Jaderinne nicht eindeutig zu bestimmen. Eine ungefähre Abgrenzung entlang der NN-10m-Linie wird jedoch als eine hinreichend genaue Näherung für dieses Kriterium angesehen. Inselwärts konnte eine methodisch eindeutige Begrenzung des Untersuchungsraumes Riffbogen durch eine tangentiale Verlängerung der MThw-Linien durch das Seegat vorgenommen werden.

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Abb. 6: Definition des Ebbdeltavolumens V0 nach WALTON & ADAMS (1976)

Die fiktive Topographie ohne Seegat wurde erstellt, indem ausgewählte Tiefenlinien aus dem sich westlich und östlich des Untersuchungsraumes anschließenden Vorstrand miteinander verbunden wurden. Dabei war auch der Versatz zwischen den Inseln Spiekeroog und Wangerooge zu berücksichtigen. Aus den idealisierten Tiefenlinien wurde anschließend ein DGM berechnet, das als Basistopographie für die Ermittlung des Riffbogenvolumens diente (Abb. 7).

Abb. 7: Untersuchungsraum Riffbogen Harle mit idealisierten Tiefenlinien einer fiktiven Topographie ohne Seegat

Der Differenzenplan in Abb. 8 verdeutlicht beispielhaft die ermittelten Höhenunterschiede für die Riffbogentopographie von 2001. Die blauen Flächen stellen den eigentlichen Riffbogenbereich dar, der deutlich höher liegt als die fiktive Topographie ohne Seegat. Rote Flächen sind vor allem im Seegat und seiner näheren Umgebung vorzufinden, wo die wirkliche Topographie größere Tiefen aufweist als die fiktive Topographie ohne Seegat. Anhand der weißen Flächen, die Tiefen-unterschiede von maximal 0,5 m kennzeichnen, ist gut zu erkennen, dass der Einfluss des Riffbogens an den Randbereichen vernachlässigbar wird. Dies bestätigt, dass die vorgenommene

< NN -12m

NN -12m bis -10m

NN -10m bis -8m

NN -8m bis -7m

NN -7m bis -6m

NN -6m bis -5m

NN -5m bis -4m

NN -4m bis -3m

NN -3m bis -2m

NN -2m bis -1m

NN -1m bis 0m

NN 0m bis +1m

NN +1m bis +2m

>NN +2m

no data

Tiefenstufen:

Hintergrund: Auszug aus Top. Karten und/oder Geobasisdaten

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Abgrenzung des Untersuchungsraumes nach den oben erläuterten Kriterien die Riffbogen-topographie sinnvoll repräsentiert. Alternativ zum konventionellen Ansatz, bei dem eine gemeinsame Basistopographie für alle vermessenen Zustände verwendet wurde, wurde zusätzlich noch untersucht, inwieweit an zeitliche Veränderungen angepaßte fiktive Topographie ohne Seegat die Ergebnisse beeinflussen.

Abb. 8: Tiefendifferenzen zwischen der Riffbogentopographie 2001 und der fiktiven Topographie ohne Seegat

3.4 Vermessungsgenauigkeit und Fehlerbetrachtung

Die bei der Auswertung der topographischen Karten und Vermessungen auftretenden Fehlerquellen können generell in zwei Gruppen unterteilt werden: Ungenauigkeiten, die aus den topographischen Karten oder den Vermessungsdaten selber herrühren, únd Fehler, die bei der anschließenden Bearbeitung im GIS entstehen. Zur ersten Gruppe gehören beispielsweise bei Digitalisierungsarbeiten entstehende Fehler sowie mess- und verfahrenstechnische Ungenauig-keiten, die insbesondere bei der Höhenbestimmung in der nautischen Vermessung auftreten und die langfristige Vergleichbarkeit der Daten einschränken können. Potentielle Fehlerquellen bei der Peilung und Beschickung der Tiefenwerte ergeben sich vor allem durch folgende Einflüsse (HÜTTEMEYER et al. 1999):

- verschiedene Verfahren der Positionsbestimmung - Verwendung von Echoloten unterschiedlicher Frequenz - Ungenauigkeiten bei der manuellen Verarbeitung der Lotrollen - Unterschiedliche Bezugspegel (Hochseepegel, Küstenpegel) - meteorologische Einflüsse (z.B. stark auf- bzw. ablandige Winde), die zu nicht

vorhersehbaren Differenzen bei den Wasserständen am Peilort und am Küstenpegel führen - Abweichungen von den mittleren Eintrittszeiten des Hoch- und Niedrigwassers - unterschiedliche Steig- und Falldauer der Tiden am Pegel und am Peilort

Dazu kommt, dass mit dem Voranschreiten der technischen Entwicklung das Peilwesen durch die Verwendung von GPS-gestützten Beschickungsmethoden einschneidende Veränderungen erfahren hat. Im Gegensatz zur traditionellen Beschickung der Punktlotungen mit Hilfe von Wasserstandserrechnungskarten (WEK), die eine Schwankungsbreite von mehreren Dezimetern

< -900 cm

-900 - -600 cm

-600 - -500 cm

-500 - -400 cm

-400 - -300 cm

-300 - -250 cm

-250 - -200 cm

-200 - -150 cm

-150 - -50 cm

-50 - 50 cm

50 - 100 cm

100 - 150 cm

150 - 200 cm

200 - 250 cm

250 - 300 cm

300 - 400 cm

400 - 500 cm

500 - 600 cm

600 - 900 cm

> 900 cm

Tiefendifferenzen:

Hintergrund: Auszug aus Top. Karten und/oder Geobasisdaten

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aufweisen kann, ermöglicht die GPS-gestützte Methode neuerdings eine cm-genaue Wasser-standsbestimmung am Peilort. Aufgrund der unterschiedlichen Beschickungsmethoden – Peilungen der WSÄ beruhen in jüngerer Zeit auf DGPS-Beschickung, BSH-Peilungen hingegen werden weiterhin über WEKs beschickt – und die Notwendigkeit, auf eine einheitliche Datengrundlage zurückgreifen zu können, basiert die Berechnung morphologischer Flächen- und Volumenwerte in der vorliegenden Untersuchung auf den Peilungen des BSH. Dadurch wird sichergestellt, dass die längsten konsistenten Vermessungsreihen genutzt werden. Ausnahmen bilden dabei die Tiefenpläne von 1961 und 1975, die überwiegend auf digitalisierten Karten beruhen, sowie die aktuellste Topographie von 2002/03, die auf GPS-gestützten nautischen und terrestrischen Vermessungsdaten der FSK basiert, die in den Rinnenbereichen durch Peilungen des WSA ergänzt wurden. Die methodischen Fehler, die bei der Bearbeitung der topographischen Daten im GIS entstehen, basieren in erster Linie auf der Umrechnung digitaler Liniendaten in Geländemodelle. Die Vernetzung mittels Dreiecksvermaschung bedingt, dass in Bögen von Tiefenlinien ebene Flächen interpoliert werden und somit eine Über- bzw. Unterschätzung der wirklichen Tiefe auftritt (MEYER & STEPHAN 2000, LADAGE 2001). Dieses allgemeine Problem ist jedoch auch bei anderen Vernetzungsmethoden bekannt. Die dabei auftretenden Ungenauigkeiten lassen sich durch eine möglichst flächendeckende Verwendung von Punkten als Ausgangsdaten minimieren. Daher wurde bei der Generierung der Geländemodelle bevorzugt mit Punktdaten gearbeitet und nur eventuell vorhandene Fehlbereiche durch Liniendaten (siehe Tabelle 1) abgedeckt. Neben den möglichen Unschärfen, die aus den topographischen Daten und ihrer Verarbeitung resultieren, ist die Berechnung morphologischer Parameter von der Genauigkeit der verwendeten Wasserstandswerte abhängig. Je nach Größe des zu betrachtenden Küstengebietes ist eine lokale Variabilität der Wasserstände zu berücksichtigen. Der Pegel Wangerooge-West bietet jedoch dank seiner zentralen Lage und der über Jahrzehnte zurückreichenden Messreihen charakteristische Werte für die mittleren Scheitelwasserstände im gesamten Untersuchungs-gebiet. Lediglich für den morphologischen Zustand von 1950 lagen keine direkt am Pegel Wangerooge-West gemessenen Wasserstände vor. Diese wurden näherungsweise aus den Zeitreihen des nächstgelegenen Hauptpegels Norderney Hafen berechnet. Um einen hierbei entstehenden Fehler abschätzen zu können, wurden Vergleichsberechnungen für ein um fünf Zentimeter erhöhtes MThw vorgenommen. Die Abweichungen beliefen sich für den Zustand 1950 auf weniger als 1% bei der Berechnung der Einzugsgebietsgröße und weniger als 3% beim Parameter Tidevolumen und liegen somit innerhalb der vermessungstechnisch bedingten Genauigkeit.

4. Entstehung der gegenwärtigen Situation

4.1 Morphologische Entwicklung der Insel Wangerooge

Die Entwicklung Wangerooges wird durch das Historische Kartenwerk Nr. 7 und 8 der Forschungsstelle Küste (HOMEIER 1962b, HOMEIER & LUCK 1969) in den vier Zuständen von 1650, 1750, 1860 und 1960 umfassend dargestellt (Abb. 9a+b). In den zugehörigen Beiheften (HOMEIER 1962a, 1974) werden neben den langfristigen morphologischen Prozessen auch die den Karten zugrunde liegenden schriftlichen und kartographischen Quellen (Deich- und Sielregister, Inselbereisungsprotokolle, Prozessakten, Segelhandbücher, Lagepläne der Festlandsküste ab Mitte des 17. Jahrhunderts, Inselkarten erst seit dem 18. Jahrhundert, Höhenaufnahmen ab Mitte des 19. Jahrhunderts) erläutert. Die Besiedlung Wangerooges ist für

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das 16. Jahrhundert durch die St. Nikolauskirche belegt, die in der Allerheiligenflut von 1570 zusammen mit der nordwestlichen Siedlung zerstört wurde (WITTE 1970). Die Gründung des neuen Dorfes fällt mit dem Bau des alten Westturms (1597-1662) zusammen, der 1874 in die Buhne B eingebaut wurde und dessen Überreste heute noch erkennbar sind. Er bietet einen guten Bezugspunkt zur Beurteilung der Inselverlagerung. Zwischen 1650 und 1750 ändern sich Gestalt, Fläche und Ausdehnung der Insel nur geringfügig (LÜDERS 1977). Die nordwestliche Randdüne befindet sich jedoch schon zu dieser Zeit im Abbruch. Sie wird durch die Weihnachts-flut 1717 durchbrochen und diese Bruchstelle in der Folgezeit bei höheren Sturmtiden ständig erweitert, so dass ein 2,5 km2 großes Hellergebiet vom bewohnten Inselteil abgetrennt wird (LÜDERS 1977). Im Ostteil der Insel hingegen gibt es im 18. Jahrhundert bereits Ansätze zur Bildung neuer Dünenkomplexe (HOMEIER 1962a).

Abb. 9a: Historisches Kartenwerk (HOMEIER 1962a & 1974): Zustände 1650 und 1750

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Abb. 9b: Historisches Kartenwerk (HOMEIER 1962a & 1974): Zustände 1860 und 1960

Im 19. Jahrhundert unterliegt die Insel dann besonders starken Veränderungen. Bereits die Sturmflut von 1825 richtet im Westdorf starke Schäden an. Eine Orkanflut durchbricht Weihnachten 1854 dann die Randdünen im Nordwesten Wangerooges an zwei Stellen. Die nachfolgende Neujahrssturmflut 1854/55 zerstört einen Großteil der Häuser im Dorf und lässt um den Westturm herum eine freie Strandfläche entstehen (LüDERS 1977). Insgesamt wird der westliche Dünenrand durch diese Ereignisse von 1650 bis 1860 um 1370 m nach Osten zurückgedrängt, während sich der Ostteil der Insel um 1460 m Richtung Blaue Balje ausdehnt (FÜHRBÖTER et al. 1973, basierend auf HOMEIER & LUCK 1969). Nach den Orkanfluten von 1854/55 wird sogar kurze Zeit die Umsiedlung der Inselbewohner ans Festland erwogen. Schließlich wird 1863 aber eine Verlegung des Ortskerns nach Osten durchgeführt. In der

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Folgezeit ändert sich das Bild der Insel vor allem durch den beginnenden Bau der Schutzwerke. Insgesamt verlagert sich das Westende Wangerooges in der Zeit von 1650 bis heute um 2010 m nach Osten, der Ostteil erfährt sogar einen Zuwachs von 3030 m bezogen auf die MThw-Linie (LUCK 1975).

4.2 Umgestaltung des Weststrandes von Wangerooge

Die schweren Dünenabbrüche Mitte des 19. Jahrhunderts lassen im Westteil der Insel Wangerooge eine überwiegend vegetationslose Strandfläche zurück. Dieser sogenannte Schillhook erstreckt sich 1860 noch rund 1,3 km in äußerst exponierter Lage nach Südwesten in das Gebiet des Seegats Harle. Die anschließende Entwicklung des Schillhooks zeichnete LÜDERS (1952) detailliert nach (Abb. 10). Zwischen 1859 und 1950 schwenkt der Strand quasi gegen den Uhrzeigersinn um das Westende des Inselkerns herum. Im Zusammenwirken von Brandung und Gezeitenströmung verlagert sich der hochwasserfreie Strand von Südwesten über Süden nach Südosten. Dieser Prozess hängt eng zusammen mit der Ostverlagerung im nördlichen Teil der Harle seit 1885 und der Entstehung der Doven Harle zu Beginn des 20. Jahrhunderts und stellt die Grundlage für die Herausbildung des Harlehörn dar.

Abb. 10 Verlagerung des hochwasserfreien Strandes im Westen Wangerooges von 1859 bis 1950 (LÜDERS 1952)

Aufbauend auf den Untersuchungen von LÜDERS (1952) zeichneten FÜHRBÖTER et al. (1973) ein Zeit-Winkel-Diagramm für den Südweststrand (Abb. 11) und konnten zwei wesentliche Wendepunkte in der Entwicklung herausarbeiten. Der erste kennzeichnet 1898 den Beginn des Herumschwenkens nach Süden, der durch die Verlagerung der tiefen Seetgatrinne verursacht wird. Ein zweiter Wendepunkt tritt im Jahr 1943 auf, in dem das Harlehörn seine maximale Lage in südöstliche Richtung erreicht. Für den Zeitraum von 1943 bis 1969 ist eine schnelle Rückverlagerung nach Südwesten erkennbar, die vermutlich als indirekte Folge des Ausbaus der Buhne H anzusehen ist. Diese Tendenz der Umlagerung des Südweststrandes setzt sich in der Folgezeit jedoch nicht mehr fort. Vielmehr ist die Ausrichtung des Harlehörn für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts mit etwa 145° annähernd konstant, was durch georeferenzierte Luftbild-aufnahmen belegt ist (Abb. 41a+b). Die stabile Lage des Harlehörn seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ist dem Zusammenspiel anthropogener Einwirkungen (Ausbau Buhne H, Verlängerung Buhne V, Neubau Buhne W) zu verdanken. Auch die Verbindung der Südwestdünen mit dem Westanleger durch einen Buschdamm ab 1936 trägt zur Verstärkung der Südwestseite des Harlehörn bei. Bei Sturmfluten kann das dahinter gelegene Anlegerfeld noch bis in die 1970er Jahre überspült werden. Durch weitere Sandfangarbeiten wird im Laufe der 80er Jahre dann ein ausreichend starker Dünenzug geschaffen, der die Zuwegung zum

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Südwestteil der Insel Wangerooge über den östlich der Düne gelegenen Telegraphenweg und die Bahnverbindung zwischen dem Inselhafen und dem Ort sichert.

Abb. 11 Richtung des Südweststrandes auf Wangerooge von 1845 bis 1969 (aus FÜHRBÖTER et al. 1973)

4.3 Ausbau des Inselschutzes auf Wangerooge

Seit 1874 ist die Entwicklung der gesamten Insel und der angrenzenden Seegaten durch den Bau von Schutzwerken geprägt. Die problemlose Zufahrt zum Marinehafen in Wilhelmshaven, der ab 1853 gebaut wurde, war ursprünglich Anlass, um 1874 mit der Sicherung der Insel Wangerooge und dem Bau der Jadeleitwerksysteme auf Minsener Oog zu beginnen. Auf Wangerooge wird zunächst der Reichsdeich als flachgeneigte Steinböschung und die Buhne B zum alten Westturm fertiggestellt (Abb. 12). Es folgen diverse Dünendeckwerke, Strandmauern und Buhnen am Westende und später auch am Nordstrand Wangerooges sowie die Festlegung des Ostendes durch die Schaffung eines künstlichen Dünenzuges und den Bau eines Dammes direkt am Seegat Blaue Balje. Für den Westkopf Wangerooges ist bis in die heutige Zeit die Buhne H von besonderer Bedeutung. Sie wurde zunächst als einfache Strandbuhne angelegt und von 1938 bis 1940 auf insgesamt 1460 m bis zur Sohle der Harle verlängert (LÜDERS 1952). Der Nordteil des Harlehörn wird durch den Bau der Südwestmauer sowie der Buhnen U und V von 1917 bis 1920 befestigt. Ein 1936 angelegter Buschdamm, der später durch eine Steinschüttung ergänzt wird (LIND 2004), stellt eine Verbindung zwischen den Dünen am neuen Westturm und dem Westanleger her.

Abb. 12 Schutzwerke auf der Insel Wangerooge (ergänzt nach WITTE 1970 und EHLERS & MENSCHING 1982)

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Spätere Bauten dienten dem Erhalt und Ausbau der vorhandenen Schutzwerke. Nach der Februarsturmflut von 1962 wurde das Deckwerk am Westkopf auf insgesamt 1000 m zwischen Buhne U und C erneuert (WITTE 1970). Schwere Sturmfluten im Herbst 1973 führten unter anderem zu starken Abbrüchen der Südwestdünen um bis zu 15 m. 1974 wurde daher das Westdeckwerk nach Südosten verlängert und dabei die Südwestmauer überbaut. Durch die schweren Januarsturmfluten von 1976 kam es zu Auskolkungen am Ende des Südwest-deckwerks. Eine Anbindung an den Westgrodendeich schien dringend erforderlich, um den Südwesten der Insel vor Überflutung zu schützen. Aus diesem Grund wurde 1977 mit Sandaufspülungen und der Anlage von Buschzäunen die Dünenbildung zwischen dem Südwest-deckwerk und dem Westgrodendeich verstärkt (EHLERS & MENSCHING 1982). Zur gleichen Zeit begann der Aufbau der Randdüne am Harlehörn durch zusätzliche Sandfangarbeiten. Im Laufe der 1980er Jahre konnte sich dadurch etwa 70 m östlich des Steindammes ein rund 1000 m langer geschlossener Dünenzug bilden. Am Harlehörn sind in den letzten zwei Jahrzehnten mehrere Strand- und Dünenauffüllungen vorgenommen worden, denen Abbrüche gegenüberstanden. Insgesamt wird der Inselschutz auf Wangerooge heutzutage durch 23 Buhnen, 5,7 km Dünendeckwerk, 10,5 km Schutzdünen (davon 1,0 km am Harlehörn) und 6,0 km Hauptdeiche sichergestellt (KRAMER et al. 1999). Dazu kommen 1,9 km Lahnungen südlich des Dorf- und Ostgrodens.

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5. Einzugsgebiet der Harle

5.1 Langfristige Entwicklung im Watteinzugsgebiet der Harle

Die südliche Begrenzung des Watteinzugsgebiets der Harle wird von der Deichlinie der Festlands-küste gebildet. Die bedeutendste historische Veränderung in diesem Bereich stellt die Verlan-dung der Harlebucht dar. Sie beeinflusst die Entwicklung im Einzugsgebiet der Harle erheblich und gliedert sich nach HOMEIER (1979) in zwei Phasen, die durch die Katastrophenfluten im 14. Jahrhundert unterbrochen wurden. Die Vordeichungen der ersten, mittelalterlichen Verlandungs-phase sind anhand von vier Deichlinien gut nachvollziehbar (HOMEIER 1969). Zu Vordeichungen kommt es meist nach der Zerstörung durch vorhergehende Sturmfluten, sofern die Vorland-situation es erlaubt (Landgewinn rund 30 km2). Die zweite Verlandungsphase gleicht zunächst den Landverlust von 74 km2 aus, der während der Großen Manndränke 1362 durch drei große Durchbrüche in der geschlossenen Deichlinie entstanden ist (Abb. 13). Um 1500 sind 56,6 km2 der überfluteten Gebiete wieder zurückgewonnen worden. Bis 1895 mit dem Elisabethgroden die letzte große Eindeichung stattfindet sind weitere 88,5 km2 Landgewinn erzielt. Zwischenzeitlich werden auch geringere Ausdeichungen von 8,8 km2 vorgenommen.

Abb. 13 Verlandung der Harlebucht nach HOMEIER (1979): Lage der Deichlinien und Flächenentwicklung

Im 20. Jahrhundert bleibt die Südgrenze des Einzugsgebietes Harle bei nur geringfügigen Schwankungen (Eindeichung Harlesiel, Deichbegradigungen, Vorlandzuwachs) nahezu unverändert. Die effektive Gesamtfläche der Verlandung in der Harlebucht beläuft sich von 1350 bis 1978 auf 69,1 km2 (HOMEIER 1979). Entsprechend dieser Landgewinne reduziert sich in den

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vergangenen Jahrhunderten die Einzugsgebietsfläche bzw. das Tidevolumen der Harle. Gleichzeitig vergrößert sich das Einzugsgebiet der Otzumer Balje nach Osten. Dieser Entwicklung folgend verlagern sich auch das Seegat Harle, der Riffbogen, sowie die Inseln selber. Die gewaltigen Umgestaltungen können nicht allein der Wirkung des Küstenlängstransports zugeschrieben werden. Vielmehr kann die Verlandung der Harlebucht als entscheidendster Faktor hierfür angesehen werden (NIEMEYER 1995). Auch Rinnen und Wattflächen zwischen Inseln und Festland sind aufgrund der Veränderungen der Harlebucht in den letzten Jahrhunderten einschneidenden Umgestaltungen unterworfen (Abb. 9). Die ehemals bis in Küstennähe reichenden Zuflüsse zum Seegat büßen durch die Verkleinerung des zugehörigen Tidebeckens erheblich an Länge ein. Bis 1750 verlieren insbesondere die westlichen Rinnen zum Seegat an Bedeutung. Durch das resultierende Übergewicht der Rinnen im Ostteil des Watts wird die Rote Balje (heutzutage Breite Legde) wichtigster Zufluss ins Seegat. Unterstützt von der Ostausdehnung Spiekeroogs verlagert sich bis 1860 auch die zugehörige Wattwasserscheide deutlich nach Osten. Die westlichen Tributäre der Harle verlieren dadurch weiter an Bedeutung und ändern teilweise (Oberlauf Alte Harle, Neuharlingersieler Außentief) ihre Abflussrichtung zur Schillbalje, die zum Einzugsgebiet des Seegats Otzumer Balje gehört. Im Nordteil des Wangerooger Watts dehnt sich die Breite Legde weiter aus, wohingegen das Rinnensystem in Festlandsnähe als Folge weiterer Verlandungen in der Harlebucht an Ausdehnung abnimmt. Nach 1860 ist im Wattgebiet südlich Wangerooge eine Stärkung der Breiten Legde erkennbar, die sich nach Osten verlängert und in Verbindung zur Blauen Balje tritt. Gleichzeitig bildet sich das Gat vom Wrack leicht zurück. Die Muschelbalje zwischen der Martensplate und dem Ostende Spiekeroogs verliert ebenfalls an Bedeutung. Insgesamt lassen sich die Veränderungen im Einzugsgebiet des Seegats Harle von 1650 bis 1960 nach HOMEIER (1973) folgendermaßen zusammenfassen:

- Ostverlagerung der Spiekerooger Wattwasserscheide um 6,2km - Ostverlagerung der Wangerooger Wattwasserscheide um 0,9 km - West-Ost-Erstreckung des Watteinzugsgebietes der Harle von 13,9 auf 8,5 km verringert - Verlagerung der Nordgrenze des Watteinzugsgebietes um 0,1 km nach Süden - Verschiebung der Südgrenze um 3,1 km nach Norden - Abnahme der Nord-Süd-Erstreckung des Einzugsgebietes von 10,3 auf 7,1 km �

Watteinzugsgebiet von rund 154 auf 63 km2 verkleinert (davon 45 km2 durch Eindeichung der Harlebucht)

FÜHRBÖTER et al. (1973) und LUCK (1975) stellten die Verlagerung der Wattwasserscheiden bezogen auf einen einzelnen Punkt (flachste Stelle des Hauptpriels) dar (Abb. 14). Obwohl der vollständige Verlauf der Watthöhenlinien aussagekräftiger und genauer ist, bieten diese Auswertungen einen guten Gesamteindruck der historischen Veränderungen. Abweichungen zu den Verlagerungswerten bei HOMEIER (1973) entstehen im übrigen durch individuell unterschiedliche Definition der Wattgrenzen, die Entwicklungen werden jedoch tendenziell ähnlich dargestellt. Die Ostverschiebung der Spiekerooger Wattwasserscheide ist demnach im 19. Jahrhundert besonders ausgeprägt und erreicht deutlich höhere Beträge als im Wangerooger Watt. Die Wattwasserscheiden nähern sich insgesamt um gut 4 km an. In Verbindung mit der Verlandung der Harlebucht findet dadurch eine Reduzierung des Einzugsgebietes der Harle um etwa 60% statt. Die Verkleinerung der Wattfläche wird seit 1850 geringer und nähert sich offenbar asymptotisch einem Grenzwert von etwas mehr als 60 km2 an. Auch die Spiekerooger Wattwasserscheide weist im letzten Jahrhundert geringer werdende Verschiebungen auf.

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Abb. 14 Veränderungen im Wattgebiet der Harle von 1650 bis 1960

(abgeändert nach FüHRBöTER et al. 1973)

Auffällig ist hingegen, dass die östliche Wattwasserscheide ihre größte Verlagerungs-geschwindigkeit erst im 20. Jahrhundert erreicht und dass dieser Prozess um 1960 noch aktiv zu sein scheint. Auch LUCK (1975, S. 58) kommt zu der Folgerung, dass die Bewegung der Wangerooger Wattwasserscheide „...vermutlich noch längere Zeit anhalten“ wird. Aufschlussreich für diese Beurteilung ist ein Vergleich mit den übrigen Ostfriesischen Inseln (Abb. 15), deren Wattwasserscheiden im letzten Jahrhundert durchweg einer konstanten Lage zuzustreben scheinen. Lediglich im Wangerooger Watt zeigt sich im 20. Jahrhundert noch eine deutlich ostwärts gerichtete Verlagerung.

Abb. 15 Verschiebung der Wattwasserscheiden der Ostfriesischen Inseln seit

1650 (aus LUCK 1975)

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Veränderungen im Seegat Blaue Balje und die baulichen Eingriffe auf der Strandinsel Minsener Oog im letzten Jahrhundert haben sich möglicherweise auch auf das Wangerooger Watt und dadurch indirekt auf die Harle und das Westende Wangerooges ausgewirkt. Um 1650 hat die Strandinsel Minsener Oog vermutlich noch eine Ausdehnung von 5 km in Richtung WNW-OSO (HOMEIER 1974, Abb. 9). Die Wattkante am westlichen Jadeufer liegt 1650 auf dieser Höhe ca. 2,9 km weiter östlich als in der heutigen Zeit. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts schrumpft Minsener Oog durch die Ausdehnung Wangerooges und die Westverlagerung der Jade auf weniger als 2 km Länge zusammen. Insofern steht auch das Zurückweichen Minsener Oogs nach Südwesten im Gegensatz zu der ansonsten nach Osten gerichteten Verlagerung der übrigen Ostfriesischen Inseln. Ihr Flächenwachstum im 20. Jahrhundert verdankt Minsener Oog den Jadekorrektionsbauten, die ab 1908 errichtet wurden, nachdem man erkannte, dass die Veränderung des Jadefahrwassers auf den von Westen her einwandernden Sand zurückzuführen ist. Mit den Leitdämmen auf der Strandinsel (Abb. 16) sollte in erster Linie die Zufahrt zum Marinehafen in Wilhelmshaven gesichert werden. Nach dem Ersten Weltkrieg findet ein verstärkter Ausbau der Korrektionswerke statt. Die Buhne A wird verlängert und durch den Bau der Buhne B gesichert. Ein Durchbruch der Minsener Balje zur Jade wird durch die Errichtung des Süddammes (1936) verhindert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sprengen die Alliierten 1946 Teile der Buhnenbauwerke auf Minsener Oog, um eine Versandung des Wilhelmshavener Fahrwassers zu bewirken. Die Lücken im Hauptdamm erweitern sich – unterstüzt vom natürlichen Zerfallsprozess und den hohen Strömungskräften – zu einem 500m breiten Durchbruch, so dass sich die Blaue Balje deutlich nach Osten ausweiten kann. Erst 1957 beginnen Instandsetzungsarbeiten an den Buhnen auf Minsener Oog. Die erweiterte Öffnung des Hauptdammes bleibt jedoch erhalten (SCHUBERT 1970).

Abb. 16 Lage der Schutzbauten auf Minsener

Oog (aus EHLERS & MENSCHING 1982)

5.2 Änderung der Rinnen- und Platenstruktur seit 1950

Im Einzugsgebiet des Seegats Harle sind über den Untersuchungszeitraum erhebliche Veränderungen festzustellen (Abb. 17), die vor allem im Mündungsbereich der Wattrinnen im südlichen Seegat deutlich werden. Prägend ist hierbei die erhebliche Verschiebung der Breiten

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Abb. 17: Entwicklung der Topographie und der Teileinzugsgebiete der Harle von 1950 bis 2002/03

Teilgebiete: GVW Gat vom Wrack Tiefenstufen [mNN]: Hintergrundkarten: H Harle NCB Neue Carolinensieler Balje Auszug aus Top. Karten DH Dove Harle CB Carolinensieler Balje und/oder Geobasisdaten AH Alte Harle ACB Alte Carolinensieler Balje BL Breite Legde TGB Telegraphenbalje

< -6

-6 bis -5

-5 bis -4

-4 bis -3

-3 bis -2

-2 bis -1,50

-1,50 bis -1

-1 bis -0,50

-0,50 bis 0

0 bis +0,50

+0,50 bis +1

> +1

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Legde nach Osten, die auch zur vollständigen Umgestaltung des Eversand ab 1975 führt. Der ursprünglich zwischen den Rinnen der Breiten Legde gelegene Sand schließt sich an die Martensplate bzw. den Harlesieler Nacken an. Im Zusammenhang hiermit steht auch der geänderte Verlauf der Carolinensieler Balje und der Neuen Carolinensieler Balje. Der Zufluss der Carolinensieler Balje über den Harlesieler Nacken in die Neue Carolinensieler Balje bzw. in das Harlesieler Wattfahrwasser verlandet zwischen 1975 und 1989 komplett, wodurch der Zusammenschluss des Eversand mit dem Harlesieler Nacken vollendet wird. Der Wasseraustausch der Carolinensieler Balje mit dem Seegat findet somit seit ca. 1989 nur noch über die Alte Carolinensieler Balje und die Breite Legde statt. In diesen Zeitraum fällt auch die Verlängerung des Harlesieler Leitdammes (1987) an der Westkante der Carolinensieler Balje. Er unterstützt die gerade ablaufenden morphologischen Prozesse und sorgt in der Folgezeit für eine Lagestabilisierung der Carolinensieler Balje. Nördlich des Leitdamms dehnt sich der Harlesieler Nacken im Laufe der 90er Jahre nach Nordosten aus - dieser Teil wird weiterhin als Eversand bezeichnet, während der Mündungsbereich der Breiten Legde allmählich in die Dove Harle verschwenkt. Gleichzeitig verliert das nördliche Ende des Harlesieler Nackens an Breite, da sich die Neue Carolinensieler Balje der Carolinensieler Balje annähert. Setzt sich diese Entwicklung bis zum Zusammenfließen beider Priele fort, würde auch die Neue Carolinensieler Balje zum Tributär der Breiten Legde werden. Dadurch könnte die Harle langfristig auch den Zufluss dieser Wattrinne an die Dove Harle verlieren. Möglich werden die bisher eingetretenen Veränderungen durch die in den letzten Jahrzehnten voranschreitende Verschiebung der Breiten Legde nach Nordosten. Diese erfolgt bis 1976 zunächst in ihrem nördlichen Abschnitt, bis 1984 verlagert sich dann vor allem der südliche Teil dieser Wattrinne nach Osten. Auch die westliche Begrenzung des Hohen Rückens erfährt durch die Verschiebung der Breiten Legde eine erhebliche Ostverlagerung. Insgesamt beträgt diese Umlagerung zwischen 1950 und 2003 mehr als 1,5 km in östliche Richtung. Bemerkenswert ist, dass trotz dieser großen Verschiebung im Westteil des Hohen Rückens Ausdehnung und Lage der Plate in Nord-Süd-Richtung annähernd unverändert bleiben. Die zeitliche Dynamik der Verlagerung im Bereich der Breiten Legde wird durch ein Zeit-Weg-Diagramm anhand der Position der Rinnenachse verdeutlicht (Abb. 18). Einer zunächst nur geringen Ostverlagerung vor 1975 folgt bis 1984 eine Phase mit großen Verlagerungswerten von im Mittel 107 m/Jahr. In diesem Zeitraum erfährt auch die Martensplate durch massive Sandakkumulation ihre größte Ausdehnung nach Osten. Auch nach 1984 bleibt die Verlagerungsgeschwindigkeit der Rinnenachse mit im Mittel etwa 30 bis 50 m/Jahr signifikant, wird jedoch von 1996 bis 1999 durch eine kuze Phase relativer Lagekonstanz unterbrochen. Diese Stagnation tritt offensichtlich dadurch auf, dass sich größere Sedimentmengen am Nordrand des Eversand abgelösen und erst ab 1999 wieder eine Auffüllung der Breiten Legde von Westen her einsetzt. Die insgesamt eher kontinuierliche und in den letzten Jahren immer noch starke Verlagerung lässt jedoch vermuten, dass die Ostverschiebung der Breiten Legde auch weiterhin anhalten wird. Die nördlich des Hohen Rückens gelegene Wattrinne Gat vom Wrack zeichnet sich, wie bereits erwähnt, durch eine überwiegend konstante Lage aus. Hingegen sind im Bereich der Telegraphenbalje und der Muschelbank in unmittelbarer Nähe des Harlehörn deutliche Veränderungen zu erkennen (Abb. 19): Die Telegraphenbalje verlagert sich im Laufe des letzten Jahrhunderts zusehends nach Norden, wobei sich gleichzeitig ihre Länge reduziert. Diese Verlandungstendenzen hängen ursächlich mit der Verkleinerung des Einzugsgebietes der Telegraphenbalje in den letzten Jahrzehnten zusammen, die auf der Westverlagerung der Wattwasserscheide zum Gat vom Wrack beruht (Abb. 17).

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 27

Breite LegdeVerlagerung der Rinnenachse

(auf HW 5959500)1950

1960

1970

1980

1990

2000

3423500 3423750 3424000 3424250 3424500 3424750 3425000 3425250Rechtswert [m]

Jahr

WSD BSH

KFKI FSK

Ausdehnung der Martensplatenach Süd-Ost

Verlagerungsgeschw indigkeit1976-1984: ~107 m/Jahr

1984-1996:~30 m/Jahr

1999-2003:~49 m/Jahr

Akkumulation des Eversands bzw . Vordringen des

Harlesieler Nackens nach NO

Abb. 18: Verlagerung der Breiten Legde seit 1950 auf Höhe Martensplate /Hoher Rücken

Durch die Verlagerung der Telegraphenbalje läuft ihre Mündung immer mehr aus nordöstlicher Richtung auf die Dove Harle zu. Dies begünstigt auch Sandakkumulationen am Südende der Buhne W, die seit Anfang der 80er Jahre verstärkt zu beobachten sind. Die geänderte Richtung der Telegraphenbalje bewirkt bereits seit 1975 eine Einbuchtung der Muschelbank im Nordwesten, während sie gleichzeitig kontinuierlich nach Norden anwächst. Das Ausdehnen der Muschelbank nach Südwesten verlangsamt sich in jüngster Zeit ebenfalls. Hingegen weist die südliche Platenkante zwischen 1937 und 2001 eine fast unveränderte Position auf. Die Verlandung der Telegraphenbalje führt auch zu einem langfristigen Bedeutungsverlust für die Schiffahrt, so dass auf neueren Seekarten das Gat vom Wrack mit diesem Namen bezeichnet wird.

Abb. 19: Veränderungen der Muschelbank zwischen 1937 und 2003

(Lagebestimmung aus Luftbildern, ~SKN-Niveau)

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5.3 Verschiebung der Wattwasserscheiden

Ursachen für die Veränderungen im zentralen Bereich des Watteinzugsgebietes Harle können möglicherweise auch in der langfristigen Verlagerung der Wattwasserscheiden begründet liegen. Aus diesem Grund wird deren aktuelle Lage mit denen aus den historischen Karten der Forschungsstelle (HOMEIER 1962a, HOMEIER & LUCK 1969) für 1650, 1750, 1860 und 1960 (Lagedefinition aus LUCK 1975) sowie der Küstenkarte des KFKI von 1975 verglichen (Abb. 20). Die westliche Wattwasserscheide verlagert sich zwischen 1750 und 1860 um etwa 2 km nahe Spiekeroog und bis zu 7 km in Festlandsnähe. Danach verschiebt sich die Wattwasserscheide südlich von Spiekeroog bis 1960 überwiegend im nördlichen Teil ostwärts (ca. 2km). Von 1960 bis 2001 lässt sich eine weitere leichte Ostverschiebung über die gesamte Breite des Wattgebietes ausmachen. Auf der Swinnplate und der Hohen Bank beträgt die Verlagerung im Mittel ca. 200 m. Zudem greift der südliche Arm der Landbalje weiter nach Osten aus. Die Wattwasserscheide südlich von Wangerooge hingegen zeigt, verglichen mit der westlichen des Einzugsgebietes der Harle, geringe Lageänderungen zwischen 1650 und 1860. Ihre Position bleibt im Wurzelbereich der Breiten Legde auch bis 1960 noch annähernd konstant. Nur in ihrem nördlichen Abschnitt verlagert sie sich um ca. 1 km nach Osten. FÜHRBÖTER et al. (1973, S. 70) kommen bei der Auswertung der historischen Karten zu dem Ergebnis, dass „...im Wattgebiet südlich von Wangerooge ein Beharrungszustand noch nicht eingetreten“ ist. Tatsächlich treten zwischen 1960 und 2001 weiterhin große Verlagerungen im Wangerooger Inselwatt und auf dem Hohen Rücken auf (Abb. 20). Sie betragen im Mittel ca. 750 m und nehmen nach Süden hin ab. Insbesondere bemerkenswert ist der kurze Zeitraum, innerhalb dessen diese erhebliche Verschiebung der Wattwasserscheide stattfindet.

Abb. 20: Verlagerung der westlichen und östlichen Grenzen im Einzugsgebiet der Harle von 1650 bis 2001 (ergänzt nach LUCK 1975)

nach Luck

(1975)

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Eine weitere Besonderheit der jüngeren Entwicklung ist die seit 1975 leicht rückläufige, westwärts gerichtete Verlagerungstendenz der Watthöhenscheide südlich des Südersand. Dieser Prozess hängt offenbar mit der Ausweitung der Blauen Balje nach Südwesten zusammen. Der Zufluss zum Seegat verläuft über drei Wattrinnen, die im Laufe der letzten Jahrzehnte sehr unterschiedlich starke Ausprägungen zeigen (Abb. 21): Südlich des Wangerooger Inselwatts verläuft die Blaue Balje, östlich daneben die Mittelbalje und direkt vor dem Hauptdamm auf Minsener Oog befindet sich die Minsener Balje. 1950 ist die Minsener Balje der mit Abstand bedeutendste Zufluss zum Seegat, doch bereits 1964 sind alle drei Seegatzuflüsse annähernd gleich stark ausgebildet.

Abb. 21: Umgestaltungen im Seegat Blaue Balje östlich Wangerooge von 1950 bis 2001

1950

1995 2001

1976 1984

1964

< NN -10m

NN -10m bis -8m

NN -8m bis -7m

NN -7m bis -6m

NN -6m bis -5m

NN -5m bis -4m

NN -4m bis -3m

NN -3m bis -2m

NN -2m bis -1m

NN -1m bis 0m

NN 0m bis +1m

NN +1m bis +2m

>NN +2m

no data

Tiefenstufen [mNN]:

Hintergrundkarten: Auszug aus Topogr. Karten und/oder Geobasisdaten

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 30

Im Zustand von 1976 zeichnet sich eine Umgestaltung im südwestlichen Teil des Einzugsgebietes ab, da sich der Lauf der westlichen Wattrinne erheblich verkürzt. Diese Entwicklung bewirkt bis 1984 eine verstärkte Orientierung der Wattrinnen im südwestlichen Wurzelbereich zur Mittelbalje. Die Vertiefung der Mittelbalje sowie eine deutliche Querschnittsabnahme bei der westlichen Wattrinne sind die Folge. Im Laufe der 90er Jahre verkümmert die Blaue Balje am Rand des Inselwatts zusehends, die Mittelbalje hingegen verlagert sich weit nach Westen und nimmt einen begradigten Verlauf an. In jüngster Zeit reicht diese Rinne weit nach Südwesten bis zum Südersand; sie wird neuerdings ebenso wie das Seegat selbst als Blaue Balje bezeichnet, was durch eine zusammenhängende Rinnenstruktur zu rechtfertigen ist (Abb. 21). Die Veränderungen im nördlichen Zuflussbereich zum Seegat Blaue Balje stimmen mit der Beobachtung überein, dass die Wattwasserscheide sich auch nach 1960 in Inselnähe noch deutlich ostwärts verlagert. Sie stützen die Vermutung, dass im Wattgebiet südlich des Wangerooger Ostendes Verlandungstendenzen überwiegen. Gleichzeitig steht der Bedeutungs-gewinn der Mittelbalje und ihre Ausweitung nach Südwesten in engem Zusammenhang mit der Rückverlagerung des südlichen Teils der Wattwasserscheide. Das Seegat Blaue Balje wirkt insofern auf die morphologischen Prozesse im Watteinzugsgebiet der Harle. Die seit 1960 aufgetretenen Veränderungen im Watt südlich Wangerooge lassen sich tendenziell als Drehung der Wattwasserscheide im Uhrzeigersinn beschreiben. Allerdings steht einer leichten Westverschiebung in Festlandsnähe eine deutlich stärkere nach Osten im inselnahen Bereich gegenüber. Insgesamt entsteht somit ein erheblicher Flächengewinn im nordöstlichen Teil des Einzugsgebietes der Harle, der sich überwiegend in der Stärkung des Gat vom Wrack niederschlägt. Gleichzeitig nimmt das Einzugsgebiet der Breiten Legde und damit ihr Stromarbeitsvermögen ab. Diese Entwicklung begünstigt die starke Verlagerung der Breiten Legde im Zufluss zum Seegat und stellt die Grundlage für den Bedeutungsgewinn der Doven Harle dar. Verstärkt werden die Konsequenzen dieser Entwicklung noch durch die – wenn auch geringfügige – Ostverlagerung der westlichen Wattwasserscheide (Abb. 20). Die Verlagerung der östlichen Wattwasserscheide in jüngerer Zeit ist in erster Linie auf die Veränderungen im Seegat Blaue Balje zurückzuführen. Die dortige Rückbildung der westlichen Seegatrinne hat ihr Endstadium annähernd erreicht, eine weitere Schwächung dieser Rinne ist kaum möglich. Aus diesem Grund strebt die Wangerooger Wattwasserscheide in ihrem nördlichen Teil voraussichtlich einem baldigen Beharrungszustand zu. Es ist somit zukünftig von einer sich abschwächenden Ostverlagerung in diesem Wattbereich auszugehen.

5.4 Entwicklung der Einzugsgebietsfläche und des Tidevolumens im Watt

Eine Analyse der geänderten Abflussverhältnisse im Watt erfolgt unmittelbar über die Entwicklung der einzelnen Teileinzugsgebiete (Abb. 17). Die Einteilung der zur Harle bzw. zur Doven Harle gehörenden Nebenrinnen ist von der Lage der sekundären topographischen Wattwasserscheide abhängig. Sie verändert sich erheblich, da im zentralen Zuflussbereich des Seegats die Rinnen- und Platenstrukturen (Eversand und Breite Legde) großen Umgestaltungen unterworfen sind. Derartige Veränderungen der Wurzelbereiche sind bei anderen ostfriesischen Seegaten bisher nicht zu beobachten, dort sind die sekundären Wattwasserscheiden wesentlich stabiler (NIEMEYER et al. 1995, MEYER & STEPHAN 2000, LADAGE 2002). Das Seegat Harle wird zudem maßgeblich durch das Vorhandensein einer ausgeprägten Nebenrinne östlich der Hauptrinne charakterisiert. Die Umverteilung im Einzugsgebiet des Seegats zugunsten der Nebenrinne Dove Harle wird bereits anhand der veränderten Gliederung im hierarchischen System deutlich erkennbar (Abb. 22).

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1950

BL

NCB CB

GVW TGB

1961H

BL

ACBNCB

CB

GVW

1975 + 1984 1989 + 1995

H

NCB BL

CB

ACB

AH AH

H DH

AH

2001 + 2002/03

BL

CB

ACB

TGB

H

BL

ACBNCB

CB

DH

GVW TGBAH

ACB

HarleDove HarleAlte HarleNeue Carolinensieler BaljeCarolinensieler BaljeAlte Carolinensieler BaljeBreite LegdeGat vom WrackTelegraphenbalje

HDHAHNCBCBACBBLGVWTGB

Teileinzugsgebiete:

TGB

DH

DH

GVW TGB

H

NCBAH

DH

GVW

Abb. 22: Hierarchische Rinnenstruktur im Einzugsgebiet des Seegats Harle

Noch 1950 münden die westlichen Wattrinnen von der Alten Harle bis zum Gat vom Wrack in die Hauptrinne des Seegats Harle. Lediglich die Telegraphenbalje besitzt eine direkte Verbindung zur Doven Harle. Die Umgestaltung der Platenstrukturen im östlichen Seegat führt dazu, dass das Gat vom Wrack bereits 1961 teilweise, ab 1975 dann vollständig über die Dove Harle gefüllt und entleert wird. Größere Veränderungen spielen sich danach bis zum Ende der 80er Jahre dadurch ab, dass die Mündung der Breiten Legde zusehends ostwärts in die Dove Harle zu verschwenken beginnt. Dadurch gehen der Harle ab 1995 nicht nur die Breite Legde sondern auch die Carolinensieler Balje und die Alte Carolinensieler Balje als tributäre Rinnen verloren. Diese Verteilung der Teileinzugsgebiete des Seegats Harle bleibt bis zur aktuellsten Vermessung erhalten und nach den bisher erkennbaren Entwicklungen, wie die Verlagerung der Breiten Legde und die Verschiebung der Wattwasserscheiden, ist eine Umkehr dieses Prozesses in naher Zukunft nicht zu erwarten. Die Umorientierung von vier Teileinzugsgebieten der Harle zur Doven Harle bewirkt eine Verringerung des Einzugsgebietes der Harle von 1950 bis 2002/03 um 38,1 km2 auf rund ein Drittel der ursprünglichen Fläche (Abb. 23). Das Watteinzugsgebiet der Doven Harle nimmt im gleichen Zeitraum um 40,1 km2 auf mehr als das Siebenfache zu. Die Umverteilung zugunsten der Doven Harle wird durch den prozentualen Anteil am Gesamteinzugsgebiet besonders deutlich: Er steigt zwischen 1950 und 2002/03 von 10% auf 72% an. Zu beachten ist, dass trotz

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der verhältnismäßig großen Verschiebungen der Wattwasserscheiden in den letzten 50 Jahren die Fläche des Gesamteinzugsgebietes der Harle nur geringfügig anwächst. Zwischen 1950 und 1995 ist eine Vergrößerung um 5,8% von 62,3 auf 65,9 km2 zu verzeichnen (Abb. 23).

0

10

20

30

40

50

60

70

1950 1960 1970 1980 1990 2000Jahr

Einz

ugsg

ebie

tsflä

che

Ab

[km

2 ]

WEG Harle gesamtTEG HarleTEG Dove Harle

Abb. 23: Flächenentwicklung der Teileinzugsgebiete Harle und Dove Harle von 1950 bis 2002/03

Die Entwicklung des Tidevolumens zeigt naturgemäß tendenziell ähnliche Ergebnisse (Abb. 24). Das unmittelbar über die Harle ein- und ausschwingende Tidevolumen verringert sich seit 1950 um 69,7 Mio. m3, während über die Dove Harle sogar 76,9 Mio. m3 mehr ausgetauscht werden. Der prozentuale Anteil des Einzugsgebietes Dove Harle am Gesamttidevolumen steigt damit zwischen 1950 und 2002/03 von 8,4% auf 69%. Im Gegensatz zur Flächenentwicklung im Einzugsgebiet weist das Gesamttidevolumen eine höhere Schwankungsbreite von absolut 21,6% auf. Die Normierung des Tidevolumens über die Variation des Tidehubs ergibt noch eine Schwankungsbreite von 16,9% zwischen dem Minimalwert von 1961 und dem Maximalwert von 1995. Das bedeutet, dass die Vergrößerung des Tidevolumens nur bedingt durch das Anwachsen des Tidehubs verursacht wird und überwiegend auf die Änderungen der Einzugsgebiete zurückzuführen ist.

0

20

40

60

80

100

120

140

160

1950 1960 1970 1980 1990 2000Jahr

Tide

volu

men

VT [

106 m

3 ]

0

10

20

30

40

50

60

V T/M

Thb

[106 m

3 /m]

VT WEG Harle gesamtVT TEG HarleVT TEG Dove HarleVT/MThb WEG Harle gesamtVT/MThb TEG HarleVT/MThb TEG Dove Harle

Abb. 24: Entwicklung des Tidevolumens in den Teileinzugsgebieten Harle und Dove Harle

von 1950 bis 2002/03

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Außerdem lässt die Entwicklung des Gesamttidevolumens zwei unterschiedliche Phasen innerhalb des Untersuchungszeitraums erkennen (Abb. 24). Von 1950 bis 1995 wächst das über das Seegat Harle insgesamt ausgetauschte Wasservolumen um etwa 16% (bzw. 18,5 Mio. m3) deutlich an. In den darauffolgenden Jahren bis 2002/03 sind gegenläufige Tendenzen mit einer Reduzierung des Tidevolumens um ca. 8% auszumachen. Diese Entwicklungsphasen werden durch den Parameter VT/Thb tendenziell bestätigt (Abb. 24).

5.5 Gleichgewichtszustand Einzugsgebietsgröße – Tidevolumen

Bei Vorhandensein eines morphologischen Gleichgewichtszustandes bildet sich an Küsten mit tidedominierten Seegaten ein enger funktionaler Zusammenhang zwischen der Einzugsgebiets-fläche Ab und dem Tidevolumen VT heraus. Diesen Zusammenhang hat WALTHER (1934, 1972) für die ostfriesischen Seegaten nachgewiesen, EYSINK (1991) konnte entsprechende Ergebnisse für das Westfriesische Wattenmeer erzielen. Im Forschungsvorhaben WADE wurde außerdem die Gültigkeit hydrodynamisch-morphologischer Gleichgewichtszustände nicht nur für Gesamteinzugsgebiete sondern auch für Teileinzugsgebiete der ostfriesischen Seegaten überprüft (NIEMEYER et al. 1995, KUNZ et al. 1998, NIEMEYER 2000). Die Berechnungen der Parameter Ab und VT für acht morphologische Zustände im Einzugsgebiet der Harle (vgl. Abb. 17) wurden den Ergebnissen aus dem WADE-Projekt (NIEMEYER et al. 1995) gegenübergestellt (Abb. 25+Abb. 26). Sowohl das Teileinzugsgebiet Harle als auch das Teileinzugsgebiet Dove Harle weisen eine gute Übereinstimmung mit derjenigen für die Gesamtheit der ostfriesischen Küste (NIEMEYER et al. 1995) auf. Die Koeffizienten der linearen Ausgleichsgeraden

Ab = a * VT

liegen für das Teileinzugsgebiet Harle (a=0,499) und für die Dove Harle (a=0,519) geringfügig unterhalb derjenigen für die Gesamtheit der ostfriesischen Küste (a=0,534) (NIEMEYER et al. 1995). Das Tidevolumen im Untersuchungsgebiet steht also bezogen auf die Einzugsgebiets-fläche im Mittel mit dem für die Ostfriesischen Inseln typischen Wert im morphodynamischen Gleichgewicht. Die geringen Abweichungen sind möglicherweise auf die unterschiedliche Datengrundlage oder auf nachrangige gebietstypische Besonderheiten zurückzuführen. Dies zeigt sich auch daran, dass trotz der Umstrukturierung im Einzugsgebiet und der damit verbundenen erheblichen Größenänderung der Parameter über den gesamten Untersuchungs-zeitraum im Teileinzugsgebiet Dove Harle (Abb. 26) ein sehr enger funktionaler Zusammenhang zwischen Einzugsgebietsfläche und Tidevolumen vorhanden ist: r2>0,99. Offenbar vollzieht sich im Teileinzugsgebiet Dove Harle die Anpassung an die strukturellen Veränderungen der Rinnen-systeme unter annähernder Einhaltung dieser morphodynamischen Gleichgewichtsbedingung. Im Teileinzugsgebiet Harle ist eine etwas größere Streuung der Werte um die Ausgleichsgerade zu verzeichnen (Abb. 25). Der Zusammenhang zwischen Ab und VT ist jedoch immer noch signifikant: r2>0,95. Auffällig ist, dass die für die Zustände 1950 bis 1975 ermittelten Parameter gut mit derjenigen für die Gesamtheit der ostfriesischen Küste (NIEMEYER et al. 1995) übereinstimmen, während die Werte ab 1984 hingegen im Verhältnis zur Einzugsgebietsfläche ein etwas größeres Tidevolumen aufweisen. Ob diese Abweichungen auf die strukturellen Veränderungen des Rinnensystems zurückzuführen sind, ist derzeit nicht eindeutig zu klären. Es ist aber zu vermuten, dass sich das Teileinzugsgebiet Harle in den kommenden Jahren noch weiter an ein morphodynamisch stabiles Verhältnis zwischen Einzugsgebietsfläche und Tidevolumen anpassen wird. Unter Berücksichtigung der bei der Entwicklung der Einzugsgebiets-flächen in den letzten Jahrzehnten gültigen Trends ist mit einer Wiederausdehnung der direkt mit der Harle in Verbindung stehenden Teileinzugsgebiete mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu

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rechnen, so dass eine morphologische Anpassung vor allem durch eine Verkleinerung des Tidevolumens erreicht werden müsste. Dies könnte durch zusätzliche Sedimentation und Höhenzunahme im westlichen Bereich des Watteinzugsgebietes der Harle geschehen.

Teileinzugsgebiet Harle

Trendlinie 1950-2002/03:Ab = 0,499 VT

r2 = 0,969

0

20

40

60

80

0 25 50 75 100 125 150Tidevolumen VT [106m3]

Einz

ugsg

ebie

tsflä

che

A b [k

m2 ]

WADE-Korrelation für Ostfr. Inseln (Niemeyer et al. 1995):

Ab=0,534 VT

2002/032001

19951989

1984

195019611975

Abb. 25: Fläche des Teileinzugsgebietes Harle in Abhängigkeit seines Tidevolumens

Teileinzugsgebiet Dove Harle

Trendlinie 1950-2002/03:Ab = 0,519 VT

r2 = 0,997

0

20

40

60

80

0 25 50 75 100 125 150Tidevolumen VT [106m3]

Einz

ugsg

ebie

tsflä

che

A b [k

m2 ] WADE-Korrelation für Ostfr.

Inseln (Niemeyer et al. 1995):Ab=0,534 VT

2002/032001

19951989

198419501961

1975

Abb. 26: Fläche des Teileinzugsgebietes Dove Harle in Abhängigkeit seines Tidevolumens

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6. Seegat Harle

6.1 Langfristige Entwicklung des Seegats

Die historische Entwicklung im Umfeld der Harle (HOMEIER 1962a) kann vor dem 19. Jahrhundert zwar qualitativ gut, quantitativ jedoch nur grob rekonstruiert werden. Eine Besonderheit bei der Beurteilung der Seegatentwicklung stellt daher die Festlegung der Goldenen Linie im Jahr 1667 dar, die als Verlängerung der ostfriesisch-oldenburgischen Grenze bis zur Mitte des Seegats Harle eingemessen wurde (HOMEIER 1962a). Dafür wurden Lage und Abstand der Niedrigwasser-Linien und Dünenkanten auf Spiekeroog und Wangerooge aufgenommen. Das Seegat besaß zu diesem Zeitpunkt eine Breite von rund 5,5 km (bezogen auf die Niedrigwasserlinie). Es bestand aus den drei Einzelrinnen Alte Harle, Harle und Rote Balje (Abb. 9a). Die Überreste der Strandinsel Oldeoog waren als hochwasserfreie Plate noch im Südwesten des Seegats präsent. Neben der breiten Seegatöffnung sind um 1650 besonders die weit nach Süden ausgreifenden Zuflüsse zur Harle sowie die tief ins Land schneidende Harlebucht hervorzuheben. Bis 1750 schreitet die Verlandung der Harlebucht, die zuvor vor allem über die westlichen Seegatrinnen entwässerte, besonders schnell voran. Dadurch verlieren Alte und Uralte Harle erheblich an Bedeutung (Abb. 9a). Verstärkt wird diese Entwicklung von der Ostausdehnung Spiekeroogs. Als Konsequenz dieser Prozesse reduziert sich auch die Breite des Seegats Harle bezogen auf die Niedrigwasserlinie bis 1750 auf ca. 2,0 km, wobei der Mündungsbereich von Nord nach Nordwest schwenkt. Aus der Historischen Karte von 1860 (Abb. 9b) ist ersichtlich, dass das Ostende Spiekeroogs sich bis zur Harle ausdehnt. Die tiefe Rinne im Seegat nähert sich ihrer heutigen Lage an, während die Alte Harle im Verschwinden begriffen ist. Der Kernbereich des Seegats (Niedrigwasserlinie) besitzt nur noch eine Breite von gut 1,0 km. Bezogen auf die Hochwasserlinie beträgt der Abstand zwischen Spiekeroog und Wangerooge hingegen immer noch rund 5,0 km. Im folgenden Jahrhundert bewirkt der Bau der Inselschutzwerke entscheidende Veränderungen auf Wangerooge und in den angrenzenden Seegaten. Der Dünenabbruch am Westende wird durch Deckwerke eingedämmt und die Lage der tiefen Harlerinne wird durch eine 1,4 km lange Unterwasserbuhne fixiert (LüDERS 1952). Der hochwasserfreie Strand im Westen Wangerooges geht bis 1960 jedoch verloren (Abb. 9b, Abb. 10) und im Seegat bildet sich die Nebenrinne Dove Harle heraus. Aufhöhungen auf der Spiekerooger Ostplate sorgen dafür, dass sich der trockene Strand bis zur Harle ausdehnt und die Gesamtbreite des Seegats (bezogen auf die Hochwasserlinie) auf rund 2,5 km abnimmt. Auswertungen der Historischen Karten der Forschungsstelle Küste (HOMEIER 1962b) zur Ostverschiebung des Seegats Harle wurden von FÜHRBÖTER et al. (1973) für deren unterschied-liche Bezugshöhen vorgenommen (Abb. 27). Neben den genannten Veränderungen ist die schnelle Ausweitung des Spiekerooger Oststrandes nach 1860 auffällig. Hingegen wird der Wangerooger Westkopf nach dem Baubeginn der Inselschutzwerke 1874 weitestgehend festgelegt. Auf die Ostverlagerung der Hauptrinne des Seegats wirkt sie nicht entscheidend, dies erfolgt erst durch den Ausbau der Buhne H. Zusammenfassend lassen sich die wichtigsten Veränderungen im Seegat Harle von 1650 bis 1960 folgendermaßen darstellen (HOMEIER 1973, LUCK 1975):

- Abnahme der Seegatbreite (definiert durch MTnw-Linie) um 3,6 km auf knapp 2 km - Ostverlagerung der Harlerinne um 4,3 km - Umgestaltung eines dreigeteilten Seegatquerschnitts in einen einfach gegliederten - Ausweitung der Nebenrinne Dove Harle Anfang des 20. Jahrhunderts - Ausbau der Buhne H (1938-1940) zur Fixierung der Hauptrinne Harle

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Abb. 27 Verlagerung des Seegats Harle von 1650 bis 1960 (FÜHRBÖTER et al. 1973)

6.2 Herausbildung der Doven Harle und Ausbau der Buhne H

Anfang des 20. Jahrhunderts zeichnet sich im Bereich der Harle eine für die Stabilität des Wangerooger Westendes äußerst ungünstige Entwicklung ab. Die damaligen Veränderungen im Seegat sind gekennzeichnet durch folgende vier Vorgänge (LÜDERS 1952, Abb. 28):

1. die Verschwenkung des hochwasserfreien Strandes im Westen Wangerooges, der noch im 19. Jahrhundert zwischen der Seegatrinne mit den starken Strömungen und der Insel lag

2. die Ostverlagerung der Harlerinne um etwa 800 m zwischen 1859 und 1940, einhergehend mit dem schnellen Anwachsen des Spiekerooger Ostendes nach 1890

3. das Umschwenken im nördlichen Teil der tiefen Harlerinne aus nordwestlicher in nördliche Richtung seit 1889, wodurch eine nachteilige Wirkung für die Sandzufuhr an das Westende Wangerooges bewirkt wurde: der seeseitige Riffgürtel verlagerte sich nach Norden und Osten, folglich verschob sich der Anlandungsbereich der Platen ostwärts

4. die Bildung der Doven Harle als Nebenrinne, durch die sich ein neuer Spaltungsprozeß im Seegat anbahnt: Nach der Verschwenkung des Schillhooks nach Süden und Osten bilden die Buhnenköpfe eine freie Angriffsfläche für den Ebbstrom. Ein strandnaher Priel verbindet sich mit dem tiefen Kolk der Buhne A und bewirkt die Ausbildung einer durchgehenden tiefen Rinne unmittelbar am Inselsockel bis zum Westanleger.

Die Entstehung der Doven Harle gegen Ende des 19. Jahrhunderts und die drohende Gefährdung des Westkopfes von Wangerooge bei weiterhin ungestörter Fortsetzung der Rinnenspaltung und anschließender Ausbildung der Doven Harle zur Hauptrinne des Seegats waren die wesentlichen Beweggründe, um 1938 mit der Verlängerung der Buhne H bis zur tiefen Rinne der Harle zu beginnen. Vor ihrem Ausbau zur Strombuhne wurde die Buhne H 1877 ursprünglich als 160 m lange Strandbuhne bis zur MTnw-Linie hergestellt und endete inselseitig an der Westmauer. Es wurde die damals übliche Pflasterbauweise auf Buschwerk mit Befestigung durch seitliche Pfahlwände angewandt. 1884 wurde eine Verlängerung um 130 m durchgeführt, um die weiter nördlich gelegene Buhne A vor direktem Strömungsangriff zu schützen. Ihre heutige Wirkung als

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Unterwasserbuhne erlangte die Buhne H dann zwischen 1938 und 1940 durch den Ausbau um 1170 m auf insgesamt 1460 m. Über baugeschichtliche und konstruktive Hintergründe der Buhne H sind in der Literatur nur vereinzelt Informationen zu finden (LÜDERS 1952, WITTE 1970, LUCK 1975). Die umfangreichsten Angaben über bauliche Veränderungen sind von FÜHRBÖTER et al. 1973) zusammengestellt worden.

Abb. 28 Verschwenken der tiefen Seegatrinne der Harle (LÜDERS 1952)

Aufgrund von guten Erfahrungen beim Buhnenbau auf Minsener Oog (FÜHRBÖTER et al. 1973) wurde die Buhne H ebenfalls als Schüttsteindamm auf Sinkstückunterlagen hergestellt (Abb. 29). „Richtung, Länge und (geplante) Höhe des Dammes entsprachen etwa dem Zustand des Südweststrandes aus der Zeit um 1860“ (FÜHRBÖTER et al. 1973, S. 30).

Abb. 29 Querschnitt duch die Buhne H (ursprünglich geplanter Ausbau, aus FÜHRBÖTER et al. 1973)

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Bis 1940 war die Buhne H auf ganzer Länge bis etwa 25 cm über MTnw aufgeschüttet. Der Krieg verhinderte eine Fertigstellung der abschließenden Betonblockabdeckung und damit den planmäßigen Ausbau bis auf MThw-Höhe. Seitdem ist die Buhne H ohne größere bauliche Unterhaltung geblieben. Nach der Februarflut von 1962 wurden im Rahmen des Deckwerk-neubaus bis 1964 auch Schäden an der Unterwasserbuhne – insbesondere im Bereich der Doven Harle – ausgebessert und die Buhne an diesen Stellen wieder aufgehöht (WITTE 1970). Eine Vergleichspeilung von 1972 zeigte allerdings, dass über längere Strecken Sackungen von rund 40 cm mit maximalen Höhenverlusten von 60 cm aufgetreten waren (FÜHRBÖTER et al. 1973). Trotz des unvollständigen Ausbaus und der späteren Schäden am Bauwerk hat die Buhne H seit 1940 einen kontinuierlichen Einfluss auf die Gestaltung des Seegats Harle ausgeübt. Durch die Verlängerung der Buhne H wurde insbesondere der Wasseraustausch im Querschnitt der Doven Harle unterbunden bzw. reduziert. Obwohl bei der bestehenden Kronenhöhe eine Überströmung der Buhne zu einem Großteil der Tide möglich war, führten Untersuchungen von LÜDERS (1952) nach einem Zeitraum von zwölf Jahren zum Fazit, dass bereits eine positive Wirkung des Buhnenausbaus eingetreten sei. Der nördliche Teil der Harle hatte sich wieder um 20 Grad nach Westen verdreht, die Dove Harle war in der Rückbildung begriffen, die Wassertiefe in der Harle hatte wieder zugenommen und es war dem Anschein nach schon zu einer Westverlagerung des Platenanlandungsbereichs gekommen. Spätere Untersuchungen über die morphologische Entwicklung im Bereich der Harle und ihre Auswirkungen auf das Westende von Wangerooge wurden von HOMEIER (1973) durchgeführt. Er stellte heraus, dass nach 1920, insbesondere 1935-39, also kurz vor dem Ausbau der Buhne H, eine beschleunigte Ostverlagerung der Harle stattfand. Seit dem Buhnenausbau zeigt das Seegat im nördlichen und südlichen Teil unterschiedliche Veränderungen. Im nördlichen Seegatabschnitt schlug die Verlagerungstendenz zwischen 1940 und 1970 in westliche Richtung um, was die Aussagen von LÜDERS (1952) im wesentlichen bestätigte. Südlich der Buhne H hingegen, auf der Höhe des Harlehörn kam es jedoch zu einer weiteren, sogar verstärkten Ostverlagerung der Harle. Gleichzeitig zeigte die Nebenrinne Dove Harle, die sich vor der Verlängerung der Buhne H ständig vertieft hatte, nach 1940 Auffüllungstendenzen. Hierbei handelte es sich allerdings – wie die aktuellen Auswertungen zeigen – nur um eine zeitlich begrenzte Entwicklung bis ca. Mitte der 70er Jahre. Im Bezug auf die Dove Harle und die Rückdrehung im nördlichen Teil der Harle konnte die gewünschte Wirkung der Buhnenverlängerung zunächst offenbar erreicht werden. Abschließend stellte HOMEIER (1973) die Ausweitung der Doven Harle und den Ausbau der Buhne H als herausragendste Ereignisse für die morphologische Entwicklung am Westende Wangerooges in den vergangenen 150 Jahren dar. Er schloss seine Untersuchungen zum einen mit der Beurteilung, dass „dieser Ausbau in aller letzter Minute in einer Phase, in der die Entwicklung instabil wurde und großräumige Umlagerungen im Bereich der Harle stattfanden“, erfolgte und zum anderen mit dem Ergebnis, dass im Seegat Harle 1973 noch kein neues dynamisches Gleichgewicht erreicht sei.

6.3 Seegatentwicklung seit 1950

Die Buhne H bildet seit ihrem Ausbau auf 1460 m Länge im Jahr 1940 einen Fixpunkt für die Mitte der Harle und teilt das Seegat in einen nördlichen und einen südlichen Teil (Abb. 30). Im nördlichen Bereich erfolgen auch nach der Verlängerung der Buhne H mehrere, teils gegenläufige Verschwenkungsphasen der Rinnenachse, ehe sie seit Anfang der 90er Jahre eine annähernd konstante Ausrichtung einnimmt. Der südliche Teil ist insbesondere in den letzten Jahrzehnten durch die Vertiefung der Doven Harle geprägt.

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Offensichtliche Veränderungen im Bereich des Seegats seit 1950 sind außerdem die Ostverlage-rung des Spiekerooger Inselendes und der Martensplate. Die Ostausdehnung dieser Platenbereiche verläuft von Nord nach Süd fortschreitend: Bis 1976 findet der Zuwachs vornehmlich am Spiekerooger Inselende statt, danach wächst bis 1984 die Martensplate nach Osten an, anschließend erfolgt bis 1995 im Wurzelbereich der Harle eine Ausdehnung des Bereiches Eversand/Harlesieler Nacken. Der Verlauf der Hauptrinne Harle erfährt im Zusammenhang mit diesen Prozessen ebenfalls starke Veränderungen (Abb. 31). 1950 besitzt die Harle noch einen geradlinigen nach Nordnordwest ausgerichteten Verlauf. Bereits 1976 deutet sich durch die S-förmige Gestalt des Seegats eine Drehung der Harlerinne gegen den Uhrzeigersinn an: Der nördliche Teil beginnt nach Westen, der Abschnitt südlich der Buhne H nach Osten zu verschwenken. Im weiteren Verlauf dieses Schwenkungsprozesses bildet sich bis 1987 wieder eine geradlinig verlaufende Rinne heraus, da sich die südliche Seegatrinne auf Höhe des Eversand um bis zu 750 m nach Nordosten verlagert. Der letztgenannte Zustand zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass zum einen eine starke Orientierung der nördlichen Harle nach Westen vorliegt und zum anderen der direkte Zufluss der Breiten Legde eine Verstärkung des Tidevolumens und damit der Strömungen im Querschnitt westlich der Buhne H bewirkt. Durch die kontinuierliche Ostverlagerung im südlichen Teil der Harle seit den 1950er Jahren wird die Hullplate erodiert (Abb. 30a): Noch 1955 trennt sie die Hauptrinne Harle von der Nebenrinne Dove Harle, ist aber 1976 vollständig aufgearbeitet. Einhergehend mit dieser Entwicklung vertieft sich die Dove Harle: Die Tiefenbereiche unterhalb NN-8m bilden sich dort zunehmend aus (Abb. 31), nachdem sie 1995 hier erstmals zu verzeichnen sind. Bis 2002 dehnt sich dieser Bereich sowohl in Rinnenlängs- als auch in Rinnenquerrichtung erheblich aus. Diese Tiefenzunahme steht in Zusammenhang mit Veränderungen im Wurzelbereich der Harle, die für eine erhebliche Umgestaltung im Seegat sorgen. Die Breite Legde verlagert sich kontinuierlich nach Osten, so dass der Wasseraustausch dieser Wattrinne seit Ende der 80er Jahre über die Dove Harle stattfindet. Diese zunehmende Umlenkung des Tidevolumens auf den östlichen Teil des Seegats hat wachsende Erosionsraten und erhebliche Tiefenzunahme im Querschnitt der Doven Harle zur Folge. Die starken Veränderungen im südlichen Teil des Seegats bringen zwischenzeitlich auch einen Zustand hervor, bei dem drei Rinnen parallel verlaufen (Abb. 30b: 1992+1995). Sie können aufgrund der vorhandenen Topographie nach ihrer Prägung durch die Tideströmungen unterschieden werden (VAN VEEN 1950): Rinnen, die in erster Linie vom Flutstrom genutzt werden, bilden an ihrem landseitigen Ende eine Barre aus, während Ebbstromrinnen seewärts von einer Plate begrenzt werden. Demnach ist die Harle im westlichen wattseitigen Teil flutstromdominiert, da sie an ihrem südlichen Ende im Bereich des Eversand ein Flutdelta aufbaut. Die Mittelrinne wird überwiegend vom Ebbstrom geprägt, was durch die Sandbänke südlich der Buhne H deutlich wird. Die östliche Teilrinne Dove Harle kann hingegen nicht eindeutig als flut- oder ebbstromdominiert eingeordnet werden. Ungefähr ab 1998 vereinigen sich Dove Harle und Mittelrinne, wodurch eine Tiefenzunahme in der Doven Harle bewirkt wird. Bedeutsam für die Vorgänge im südlichen Teil des Seegats ist in den 90er Jahren die Entwicklung des Eversands, der in der Verlängerung der Hauptrinne Harle die Neue Carolinensieler Balje von der Carolinensieler Balje bzw. der Breiten Legde trennt. Da die Breite Legde wegen der Verkleinerung ihres Einzugsgebietes an Stromarbeitsvermögen einbüßt und sich ihre Mündung kontinuierlich nach Osten verlagert, kann auch der nördliche Bereich des Eversands ostwärts vordringen. Nach 1995 jedoch wird der Nordteil des Eversand zwischenzeitlich durch den Flutstrom der Harle erodiert. In dieser Zeit bildet sich zwischen Dove Harle und Harle eine langgezogene Plate in nördliche Richtung heraus, die sich bis zum Jahr 2000 zum Kopf der Buhne H verlagert.

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 40

Peildaten vom BSH Hamburg, 1989 + 1992 ergänzt durch Peilungen des WSA Wilhelmshaven + Inselprofile des NLWK Norden Tiefenstufen [mNN]: Hintergrundkarten: Auszug aus Topographischen

Karten und/oder Geobasisdaten

Abb. 30a: Veränderungen im Seegat und Riffbogen der Harle von 1950 bis 1992

< NN -10mNN -10m bis -8mNN -8m bis -7m

NN -7m bis -6mNN -6m bis -5mNN -5m bis -4m

NN -4m bis -3mNN -3m bis -2mNN -2m bis -1m

NN -1m bis 0mNN 0m bis +1mNN +1m bis +2m

>NN +2mno data

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 41

Peildaten 1995, 1998 + 2001 vom BSH Hamburg, ergänzt durch Peilungen des WSA Whv + Inselprofile des NLWK Norden Naut. + terr. Vermessungsdaten 2002 von der FSK Norderney, ergänzt durch durch Peilungen des WSA Wilhelmshaven Tiefenstufen [mNN]: Hintergrundkarten: Auszug aus Topographischen Karten und/oder Geobasisdaten

Abb. 30b: Veränderungen im Seegat und Riffbogen der Harle von 1995 bis 2002

Abb. 31: Verlagerung des Seegats Harle zwischen 1950 und 2002

< NN -10mNN -10m bis -8mNN -8m bis -7m

NN -7m bis -6mNN -6m bis -5mNN -5m bis -4m

NN -4m bis -3mNN -3m bis -2mNN -2m bis -1m

NN -1m bis 0mNN 0m bis +1mNN +1m bis +2m

>NN +2mno data

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 42

Die Veränderungen im südlichen Teil des Seegats werden in jüngerer Zeit durch die Umorientierung der Breiten Legde zur Doven Harle geprägt (Abb. 32) und ein größerer Anteil des Watteinzugsgebietes wird über diese Rinne entwässert. Die Breite Legde verlagert sich entlang des verlängerten Strandprofils 3 zwischen 1961 und 2002 um mehr als 1500 m. Die Verlagerung ist inselwärts gerichtet und wird nach Norden hin (Profil 6, Abb. 32) geringer. Hingegen dringt der inselseitige Hang der Doven Harle in ihrem mittleren Bereich (Profil 6) geringfügig und in ihrem südlichen (Profil 3) stärker um etwa 200 m nach Südwesten vor. Hierbei handelt es sich um lokale Umlagerungen am südlichen Ende des Harlehörn, die im Zusammenhang mit der Verlängerung der Buhne W zu sehen sind (Abb. 31). In den Profilen 6 bis 10 ist insbesondere die starke Ostverlagerung am Westhang der Harle zwischen 1950 und 1976 (Profil 10) bzw. bis 1987 (Profil 6+8) auffällig, der bei zunehmender Neigung 300 bis 800 m nach Osten verlagert wird. Nach 1987 bleibt der Westhang der Harle nahezu lagestabil. Ein Vergleich der Querschnitte der Harle und der Doven Harle zeigt, dass die Dove Harle im Jahr 2002 in Profil 6 und 8 einen größeren Flächenanteil aufweist als die Harle. Die Querschnitts-einengung im Westen wird offensichtlich durch Tiefenzunahme um ca. 3m im Bereich der Doven Harle ausgeglichen. Die größte Tiefe in der Doven Harle wird in der heutigen Zeit mit durchgehend über NN-8m erreicht. Im Zeitraum von 1950 bis 2002 hat sich an der früheren Position der Hullplate zwischen Harle und Dove Harle eine Barre ausgebildet (Profile 8 und 10). Sie ragt bis zu einer Höhe von NN-5m auf und richtet sich parallel zur Rinnenachse auf den Kopf der Buhne H aus (Abb. 30). Sie weist bisher eine Richtungs- und Lagestabilität auf, was als Indiz für die Stabilisierung der Rinnenspaltung im Seegat anzusehen ist. Die Harle zeigt in Profil H-S1 nach 1950 zunächst nur geringe Tiefenänderungen, nimmt 1964 und 1976 aber eine außergewöhnlich weit nach Osten verschobene Lage ein (Abb. 32). Danach kommt es auch hier zu deutlicher Querschnitts-erweiterung, wobei die östliche Rinnenkante weitgehend lagekonstant bleibt, während der Westhang sich wieder deutlich westwärts verlagert. Der Seegatquerschnitt in der Verlängerung der Buhne H (Profil H-0) ist insbesondere durch seinen bauwerksbedingt sehr steilen Osthang gekennzeichnet. Geringe Verschiebungen von etwa 20 m in diesem Teil des Profils liegen innerhalb der Toleranzgrenze der Messungen. Deutlichere Querschnittsveränderungen ergeben sich zwischen 1960 und 1973 durch eine Tiefenzunahme von annähernd 5 m und ein Vordringen des Westhanges oberhalb von NN-22m nach Osten. Der Seegatquerschnitt wird dadurch zunächst schmaler und die Neigung des Westufers erheblich steiler. Bis 1987 weitet sich die Harle dann bei gleichbleibender Tiefe und zunehmender Neigung des Westhangs erneut nach Westen aus. Heutzutage ist der Seegatquerschnitt in der Verlängerung der Buhne H im Vergleich zu 1960 um ca. 25% größer, wobei die Veränderungen aus der Tiefenzunahme bei gleichzeitiger Westverlagerung im Tiefenbereich unterhalb NN-17m resultieren. Teilweise kompensiert wird die Querschnitts-zunahme durch eine Einengung des Profils im oberen Teil des Westhangs. Hier kann sich das Ostende Spiekeroogs um bis zu 80 m nach Osten ausdehnen. Im Nordteil des Seegats ist die Entwicklung der Hauptrinne Harle (Profile H-N1 und H-N2) zunächst von 1950 bis 1976 durch eine Tiefenabnahme der Rinne bei leichter Westverlagerung geprägt. Bis 1987 folgt dann eine deutlichere Lageänderung nach Westen, die im Profil H-N2 etwa 250 m beträgt. Anschließend schwenkt die Harle bis 2002 nach Osten zurück, erreicht jedoch nicht wieder die Position von 1950. Im Profil H-N1 nimmt die Rinnentiefe von 1987 bis 2002 um etwa 2,5m zu. Hier tritt in jüngster Zeit auch eine größere maximale Tiefe von NN-17,25m in der Harle auf als 1950 und 1987.

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 43

Querschnitt Harle - Dove HarleVerlängerung Harlehörn-Profil 8

-12

-10

-8

-6

-4

-2

0

2

4

050010001500200025003000Abstand von der Standlinie [m]

Tief

e [m

NN]

2002 WSD1995 WSD1987 BSH1976 BSH1964 BSH1961 FSK1950 BSH

Martensplate

HarleDove Harle

Südwestbucht

Hullplate

Querschnitt Harle - Dove HarleVerlängerung Harlehörn-Profil 10

-12

-10

-8

-6

-4

-2

0

2

4

050010001500200025003000Abstand von der Standlinie [m]

Tief

e [m

NN]

2002 WSD1995 WSD1987 BSH1976 BSH1964 BSH1961 FSK1950 BSH

Martensplate

HarleDove Harle

Südwestbucht

Hullplate

Querschnitt Seegat HarleProfil H-S1 (350m südl. Buhne H)

-20,0

-17,5

-15,0

-12,5

-10,0

-7,5

-5,0

-2,5

0,0

2,5

025050075010001250Profillänge [m]

Tief

e [m

NN]

2002 WSD1995 WSD1987 BSH1976 BSH1964 BSH1950 BSH

Ostende Spiekeroog

Nördl. AusläuferDove Harle

Harle

Querschnitt Seegat HarleProfil H-0 (Verlängerung Buhne H)

-35,0

-30,0

-25,0

-20,0

-15,0

-10,0

-5,0

0,0

5,0

1350145015501650175018501950Abstand von Buhnenposition Null [m]

Tief

e [m

NN]2001/02 WSA

1995/96 WSA1989/90 WSA1973 FSK-Plan1960 WSA-Plan

Ostende SpiekeroogBuhne H

Harle

Querschnitt Seegat HarleProfil H-N1 (500m nördl. Buhne H)

-20,0

-17,5

-15,0

-12,5

-10,0

-7,5

-5,0

-2,5

0,0

2,5

025050075010001250Profillänge [m]

Tief

e [m

NN]

2002 WSD1995 WSD1987 BSH1976 BSH1964 BSH1950 BSH

Ostende Spiekeroog

Harleriff

Harle

Querschnitt Seegat HarleProfil H-N2 (1500m nördl. Buhne H)

-20,0

-17,5

-15,0

-12,5

-10,0

-7,5

-5,0

-2,5

0,0

2,5

0500100015002000Profillänge [m]

Tief

e [m

NN]

2002 WSD1995 WSD1987 BSH1976 BSH1964 BSH1950 BSH

TabaksplateHarleriff

Harle

Abb. 32: Querprofile in der Harle

Querschnitt Harle - Dove HarleVerlängerung Harlehörn-Profil 6

-14

-12

-10

-8

-6

-4

-2

0

2

4

050010001500200025003000Abstand von der Standlinie [m]

Tief

e [m

NN]

2002 WSD1995 WSD1987 BSH1976 BSH1964 BSH1961 FSK1950 BSH

Breite Legde

Dove Harle

Südwestbucht

Hullplate

Breite Legde/Harle

Querschnitt Breite Legde - Dove HarleVerlängerung Harlehörn-Profil 3

-12

-10

-8

-6

-4

-2

0

2

4

050010001500200025003000Abstand von der Standlinie [m]

Tief

e [m

NN]

2002 WSD1994 WSD1987 BSH1976 BSH1964 BSH1961 FSK1950 BSH

Breite LegdeGat vomWrack

Südwest-bucht

Tele-graphen-

balje

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 44

Flächenhafte Auswertungen der Peildaten zeigen, dass die maximale Tiefe in der Harle nach 1950/55 um etwa 2 m zunimmt (Abb. 33). Seit 1987 werden nahezu konstante Maximaltiefen zwischen NN-34m und NN-35m festgestellt. Die Lage des tiefsten Punktes im Seegat bleibt über den gesamten Betrachtungszeitraum fast unverändert. Er befindet sich rund 100 m westlich des Buhnenkopfes. Auffällig ist, dass trotz der veränderten Tidewassermengen infolge der Verlagerung von Teileinzugsgebieten zur Doven Harle seit Ende der 80er Jahre die maximale Seegattiefe in der Harle nicht abnimmt. Ursache ist mit großer Wahrscheinlichkeit, dass der Durchfluss im Querschnitt bei der Buhne H trotz der Kolke im Buhnenkörper sich nur unwesentlich verringert hat und am Buhnenkopf weiterhin so große Strömungsgeschwindig-keiten auftreten wie gegen Ende der 80er Jahre. Es deutet zudem daraufhin, dass Tidewassermengen der Doven Harle zum größten Teil die Buhne H nicht passieren, sondern über die Hautprinne Harle ein- und ausströmen.

Maximale Tiefe im Seegat Harle

-36

-34

-32

-30

-28

-26

1950 1960 1970 1980 1990 2000

Tief

e [m

NN]

BSH-PeilungenPeilung FSK 1973WSD-Peilungen

Abb. 33: Maximale Tiefe im Seegat Harle

Die Umgestaltungen im Seegat, insbesondere der Ausbau der Buhne H bis 1940 und die Verlagerung der südlichen Rinnen und Sände in jüngerer Zeit, haben zu teilweise sehr dynamischen Änderungen der Rinnenorientierung im nördlichen Seegatabschnitt geführt. In der Literatur finden sich sowohl bei LÜDERS (1952) als auch bei FÜHRBÖTER et al. (1973) Angaben zur Veränderlichkeit der Seegatrichtung. Die nördliche Rinnenachse der Harle wird dabei durch den Kopf der Buhne H (bzw. vor 1940 durch die Rinnenmitte in diesem Querschnitt) und den Scheitelpunkt der SKN-10m-Linie definiert. Eigene Auswertungen für die morphologischen Zustände nach 1950 knüpfen an diese Definition an, beziehen sich jedoch auf die Tiefenlinien NN-8m, NN-10m und NN-12m (Abb. 34, SKN�NN-1,70m). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts tritt eine starke Ostverlagerung der Harle auf, die von einer Drehung im Uhrzeigersinn begleitet wird. Die Größenordnung dieser Verschwenkung liegt nach LÜDERS (1952) bei 26,5°. Durch den Ausbau der Buhne H wird ab 1940 eine Rückschwenkung eingeleitet, die mit größerer Geschwindigkeit abläuft als die vorangegangene Entwicklungsphase. Um 1970 erreicht der nördliche Harleausläufer wieder die gleiche Orientierung wie 1888 und verschwenkt anschließend bis Mitte der 1980er Jahre noch weitere etwa 12° nach Westen. Diesbezüglich hat die Wirkung der Buhne H trotz des unvollständigen Ausbaus die Erwartungen erfüllt. Die Westverschwenkung kommt um 1984 zu einem Ende, danach setzt eine kurzfristige Gegenbewegung von 1987/89 bis 1993 ein: das Seegat verschwenkt um etwa 6° bis 9° nach Osten. Seither hält das Seegat Harle eine annähernd konstante Orientierung der Rinnenachse von etwa 324° bei. Das Zurückpendeln der Rinnenachse der Harle Ende der 80er Jahre fällt mit dem beginnenden Überwechseln der Breiten Legde zum Einzugsgebiet der Doven Harle zusammen (Abb. 30). Die umgestaltete Rinnenstruktur im Wurzelbereich des Seegats führt dazu, dass ein größerer Anteil des Wasseraustauschs in die östliche Seegathälfte umgelenkt wird. Die veränderte

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 45

Anströmrichtung aus dem Wattgebiet macht etwa ab 1989 eine zunehmende Umlenkung der Wassermassen durch die Buhne H in die Harlerinne erforderlich. Dadurch kann die Tidewassermenge offensichtlich nicht ihre volle hydraulische Wirksamkeit im nördlichen Teil des Seegats entfalten. Somit trägt die Rinnenspaltung im südlichen Seegat ursächlich zu der bis 1993 zu beobachtenden Rückdrehung der nördlichen Harlerinne bei.

Orientierung im nördlichen Teil des Seegats Harle

1850

1860

1870

1880

1890

1900

1910

1920

1930

1940

1950

1960

1970

1980

1990

2000

310 315 320 325 330 335 340 345 350 355 360

Richtungswinkel [°]

NN-12m

NN-10m

NN-8m

SKN-10m ausLüders (1952)

Ausbau der Buhne H

Abb. 34: Richtungsänderung im nördlichen Teil des Seegats Harle

Die Längenentwicklung des Seegats unterliegt geringeren Veränderungen als die Richtung der Rinnenachse, wie anhand der NN-8, -10 und -12m-Tiefenlinien deutlich wird (Abb. 35). Die Ausdehnung liegt demnach im Jahr 2002 für alle Tiefenhorizonte annähernd in derselben Größenordnung wie 1950, wenngleich sich zwischenzeitlich deutliche Schwankungen zeigen.

Ausdehnung des Seegats Harlenach Nordwesten

600

800

1000

1200

1400

1600

1800

2000

1950 1960 1970 1980 1990 2000

Abst

and

vom

Kop

fpun

kt B

uhne

H [m

]

NN-8mNN-10mNN-12m

Abb. 35: Ausdehnung der Hauptstromrinne Harle nach Nordwesten zwischen 1950 und 2002

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 46

Am deutlichsten ist der Rückgang der Seegat-Ausdehnung in diesen Tiefenbereichen in den 1960er und 1970er Jahren um bis zu 450 m, der vermutlich auf die Umgestaltungen im Wurzel-bereich der Harle und den dadurch hervorgerufenen geschwungeneren Verlauf der Harle zurückzuführen ist. Mit der erneuten Begradigung der Harle in den 1980er Jahren erfolgt anschließend wiederum eine Ausweitung der Harle-Rinne nach Nordwesten. Dieser Prozess ist vor allem in flacheren Bereichen zu erkennen und tritt für die größeren Tiefen weniger stark und zeitverzögert auf.

6.4 Wirkung der Buhne H

Durch die Ausweitung der Doven Harle erfolgt zunehmend ein größerer Anteil des Wasseraustauschs im Seegat über die östliche Nebenrinne. Damit wächst die Strömungs-belastung der Buhne H. Da aber auch umgekehrt die Wirkung der Buhne H von großer Bedeutung für die morphologische Ausprägung des Seegats ist, stellt sich die Frage, ob eventuelle Veränderungen des Bauwerks die Umgestaltungen im Seegat möglicherweise mit beeinflusst haben. Im Höhenvergleich der Buhnenachse anhand von Längsschnitten aus den letzten Jahrzehnten ist eine Peilung des WSA Wilhelmshaven von 1960 als älteste Aufnahme der Buhne H verfügbar (Abb. 36). Vermessungen der Buhnenachse aus der Zeit nach dem Ausbau (1938-1940) liegen nicht vor; die Abmessungen können aus Konstruktionsplänen nur annähernd rekonstruiert werden, da der Krieg eine plangerechte Fertigstellung des Bauwerks verhinderte. Die im März 1972 von der FSK durchgeführte Buhnenpeilung weist eine höhere Achslage auf als die von 1960. Der Unterschied ist auf umfangreiche Unterhaltungsarbeiten nach der Sturmflut von 1962 zurückzuführen, bei denen bis 1964 eine komplette Umgestaltung des Westkopfes (WITTE 1970, GÖTSCHENBERG 2004) durchgeführt und die Kronenhöhe im Mittel um rund 50 cm heraufgesetzt wurde (Abb. 36).

-4,0

-3,0

-2,0

-1,0

0,0

1,0

2,0

0200400600800100012001400Buhnenposition [m]

Tief

e [m

NN]

1960 WSA-Peilung1972 FSK-Peilung1990 Peilung WSA Whv1998 Peilung WSA Whv2002 Peilung WSA Whv

MTnw (1999-2003) =NN-1,41m

MThw (1999-2003) =NN+1,47m

Abb. 36: Veränderung des Längsschnitts entlang der Achse Buhne H

Aktuelle Buhnenpeilungen zeigen, dass sich seitdem der bauliche Zustand der Buhne H wieder verschlechtert hat: Bis 1990 nimmt die mittlere Buhnenhöhe um 30 cm ab, bis 2002 um weitere 10 cm. Auffällig ist außerdem eine nach 1972 neugebildete tiefe Lücke bei Position 1050 m. Dieser Durchlass innerhalb der Buhne H besitzt bei einer Länge von etwa 50 m eine maximale Tiefe von ungefähr NN-3,50m und wird durch alle Buhnenpeilungen seit 1990 erfasst. Derzeit weist die Buhne H eine mittlere Kronenhöhe von etwa NN-2m zwischen Position 400 und 1350 m auf und liegt damit nur geringfügig über dem Zustand von 1960. Die bei der Peilung

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 47

von 2002 erfasste deutlich erhöhte Achslage der Buhne H inselwärts von Position 400 m ist im Übrigen auf Unterhaltungsarbeiten in den Jahren 1982/83 zurückzuführen (GÖTSCHENBERG 2004). Aufgrund der Überströmbarkeit des Bauwerks mit seiner Kronenhöhe unterhalb von MThw erfolgt während des gesamten Tidezyklus quer zur Buhnenachse ein Wasseraustausch. Die Kolke nördlich und südlich der Buhne H (Abb. 37) weisen Wirkungen sowohl des Flut- als auch des Ebbstroms aus. Es ist denkbar, dass dadurch eine Auswirkung auf die Seegatmorphologie erfolgt, mit den beschriebenen Veränderungen in der Doven Harle. Das Kolkmuster in Längsrichtung (Abb. 37) stimmt mit dem Höhenschnitt durch die Buhnenachse überein (Abb. 36): je tiefer die Buhnenoberkante liegt, umso größer ist die Auskolkung. Die Position der Schwachstellen in der Buhne entspricht der Lage verstärkter Kolkbildung. Der tiefe Durchlass bei Station 1050 m beispielsweise verursacht deutlich verstärkte Erosion im Nahbereich, vor allem nördlich der Buhne. Dies ist als direkte Folge starker, das Bauwerk durchlaufender Strömungen zu erklären und verdeutlicht den Zusammenhang von Buhnendurchlässigkeit und morpho-logischer Entwicklung im Umfeld des Bauwerks. Daran wird aber gleichzeitig deutlich, dass die Buhnenlücken eigenständig keine großräumige Wirkung entfalten können; die nördlich der Buhne liegenden Platenbereiche bleiben trotz Veränderungen erhalten (Abb. 30). Von daher ist die Verstärkung der Doven Harle nicht oder nur zu einem geringen Teil über die nachlassende Wirksamkeit der Buhne H zu erklären. Überwiegend ist sie auf die Veränderungen in den zugehörigen Watteinzugsgebieten zurückzuführen.

Abb. 37: Kolkmuster der Buhne H im Seegat Harle

(Peildaten: 2002 WSA, Hintergrund: Luftbild 2003 Weser Bildmessflug)

6.5 Entwicklung des Seegatquerschnitts

Die Umverteilung des Tidevolumens von der Harle zugunsten der Doven Harle bedingt nicht nur eine Änderung der Strömungsverhältnisse im Seegat sondern führt auch zu einer entsprechenden Anpassung der Seegatquerschnitte (Abb. 38). Für die Gesamtquerschnittsfläche im Seegat sind im Untersuchungszeitraum drei Entwicklungsphasen auszumachen: Zwischen 1950 und 1975 verringert sich die Querschnittsfläche und entwickelt sich gegenläufig zum leicht ansteigenden Tidevolumen (Abb. 24). Bis 1989 ist dann eine deutliche Zunahme des Wertes für Ac um 24% im Vergleich zu 1975 zu verzeichnen. Dieser Anstieg ist neben dem vergrößerten Tidevolumen (Abb. 24) auf den veränderten Wasseraustausch mit dem Wattgebiet zurück-

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zuführen, der in dieser Phase annähernd geradlinig über die Breite Legde in die Hauptrinne der Harle verläuft (Abb. 17, Abb. 30a) und dadurch die Wirkung des Tidevolumens auf das Seegat konzentriert. Zwischen 1989 und 2002/03 vergrößert sich der Seegatquerschnitt nur noch geringfügig, überwiegend infolge der Aufweitung der Doven Harle. Die resultierende Querschnittsvergrößerung im Untersuchungszeitraum beläuft sich auf insgesamt 12 %. Ein Vergleich der zeitlichen Entwicklung für den Gesamtquerschnitt des Seegats Harle mit der maximalen Ausdehnung der tiefen Rinne im Seegat (Abb. 35) zeigt quasi-identische Veränderungen: Eine Zunahme des Wertes für Ac geht mit der Ausdehnung des Seegats einher, während eine Verkleinerung des Querschnitts mit einem Rückgang der Seegatlänge korrespon-diert. Die tendenzielle Übereinstimmung dieser beiden Parameter unterstreicht die Gültigkeit der zuvor definierten Entwicklungsphasen.

0

2000

4000

6000

8000

10000

12000

1950 1960 1970 1980 1990 2000Jahr

A c u

nter

halb

NN

[m2 ]

Seegatquerschnitt gesamtWestl. Teilquerschnitt HarleÖstl. Teilquerschnitt Dove Harle

Abb. 38: Zeitliche Entwicklung der Mündungsquerschnitte von Harle und Dove Harle

(Höhenbezug: NN) Der westliche Teilquerschnitt der Harle verändert sich über den gesamten Untersuchungs-zeitraum ähnlich wie der Gesamtquerschnitt des Seegats (Abb. 38). In der jüngsten Entwicklungsphase seit 1989 sind im Teilquerschnitt Harle jedoch kaum veränderte, stagnierende Flächengrößen zu verzeichnen. Im Vergleich zu 1950 besitzt die Mündungsrinne des Teileinzugsgebiets Harle heutzutage einen um 7% kleineren Querschnitt. Im Gegensatz dazu weitet sich der Teilquerschnitt der Doven Harle seit 1950 annähernd stetig auf. Die Querschnittsfläche vergrößert sich zwischen 1950 und 2002/03 um insgesamt 1730 m2 bzw. 54 %. Im Zeitraum seit 1987 wird durch den Flächenzuwachs der Doven Harle um mehr als 1000 m2 besonders deutlich, welche Auswirkung die Umgestaltung der Rinnenstruktur im Wattgebiet und insbesondere die Verlagerung des Mündungsbereichs der Breiten Legde nach Osten auf die Rinnenspaltung im südlichen Seegat hat.

6.6 Gleichgewichtszustand Seegatquerschnitt – Tidevolumen

Für die Geometrie eines Seegats stellt das Tidevolumen seines Einzugsgebietes – insbesondere bei tidedominierten Seegaten – einen bedeutenden Gestaltungsfaktor dar. Auf dieser Grundlage entwickelte O'BRIEN (1931, 1967) empirische Formeln, die den funktionalen Zusammenhang zwischen dem Tidevolumen VT und dem Seegatquerschnitt Ac beschreiben und häufig für die Analyse morphodynamischer Gleichgewichtszustände herangezogen werden:

Ac = Cb * VTn

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 49

Die Anwendbarkeit dieses Ansatzes wurde von WALTHER (1934, 1972) für die Ostfriesischen Inseln überprüft und von DIECKMANN et al. (1989) auch für die übrigen Seegaten der deutschen Bucht nachgewiesen. Für das Seegat der Harle wurden die Parameter Ac und VT ebenfalls auf ihren funktionalen Zusammenhang hin untersucht (Abb. 39), um die bisher getroffenen Aussagen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungstendenzen und dem Erreichen eines morphologischen Gleichgewichts-zustandes überprüfen zu können. Der Vergleich mit Werten aus der Literatur zeigt eine zumindest größenordnungsmäßige Übereinstimmung, wobei die Ergebnisse für das Gesamt-einzugsgebiet der Harle sich zwischen denen für das Ostfriesische Wattenmeer berechneten Werten von WALTHER (1972) und NIEMEYER et al. (1995) einfügen. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Dove Harle bei vergleichsweise geringer Querschnitts-zunahme eine kontinuierliche, starke Zunahme des Tidevolumens aufweist. Dabei hat sich – gemessen an den regionalen morphodynamischen Gleichgewichtsbedingungen (NIEMEYER et al. 1995) – das Tidevolumen im Verhältnis zum Querschitt zu weitgehend verstärkt. In der Harle hat hingegen bei nahezu gleichbleibendem Querschnitt das Tidevolumen erheblich abgenommen: das ursprünglich dem regionaltypischen morphodynamischen Gleichgewicht (NIEMEYER et al. 1995) entsprechende Verhältnis hat sich dahingehend verändert, dass eine erneute Anpassung zu erwarten ist.

0

2500

5000

7500

10000

12500

15000

17500

20000

0,0E+00 5,0E+07 1,0E+08 1,5E+08 2,0E+08Tidevolumen VT [m3]

Seeg

atqu

ersc

hnitt

Ac [

m2 ]

Ac,NN=f(VT) für Seegat gesamt

Ac,NN=f(VT) für TEG Harle

Ac,NN=f(VT) für TEG Dove Harle

Ac,NN=f(VT) aus Niemeyer et al. (1995)

Ac,NN=f(VT) aus Walther (1972)

Ac,MSL=f(VT) aus Walton&Adams (1976)

195019751961

1989

19952003

1950

19841975

1961

1989 1995

20032001

20011984

AcNN = 7,45 10-5 VT

Abb. 39: Mündungsquerschnitte der Harle und Dove Harle als Funktion des zugehörigen Tidevolumens

Eine vorübergehende Störung der Beziehung zwischen den Parametern Ac und VT ist auch in anderen Küstenabschnitten bei nicht abgeschlossenen morphodynamischen Anpassungs-prozessen beobachtet worden: So wirkte sich beispielsweise die Teileindeichung der Dithmarscher Bucht in einer Erhöhung des Koeffizienten Ac/VT aus (NIEMEYER et al. 1995). Dort konnten die Rinnenquerschnitte nach der plötzlichen Reduzierung des Tidevolumens nicht sofort auf die geänderten hydraulischen Randbedingungen reagieren. Im Fall des Seegats Harle ist ebenso eine zeitlich verzögerte Anpassung zu erwarten, die womöglich noch durch die Wirkung der Buhne H zusätzlich verlangsamt wird. Sie verhindert eine Verlagerung der Hauptrinne Harle nach Osten, die sich ansonsten als direkte Folge der Ostverschiebung der Wattrinnen mit großer Wahrscheinlichkeit ergeben hätte. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Mündungsrichtung der Breiten Legde im Zustand 1975 bzw. die Seegatsituation ab 1995 mit der

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 50

Topographie von 1950 vergleicht (Abb. 30). Die Buhne H unterstützt in den letzten Jahren die Aufrechterhaltung eines Zwei-Rinnen-Systems, das sich ohne dieses Bauwerk sicher nicht über längere Zeit einstellen würde. Das Tidevolumen kann durch die quer zur Strömungsrichtung wirkende Unterwasserbuhne offenbar seine Wirksamkeit in der Nebenrinne momentan nicht vollständig entfalten, so dass ein im Verhältnis zum morphodynamischen Gleichgewicht zu kleiner Rinnenquerschnitt in der Doven Harle augenblicklich noch erhalten bleibt. Eine zukünftige – wenn auch zeitlich verzögerte – Anpassung der Teilquerschnitte im Seegat in Form einer geringen Vergrößerung der Doven Harle bei gleichzeitiger Verkleinerung des Harle-querschnitts ist wegen der grundlegend veränderten hydrodynamischen Randbedingungen mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Diese morphologischen Entwicklungstendenzen könnten möglicherweise noch verstärkt werden, wenn die Wirkung der Buhne H weiter abnimmt.

6.7 Entwicklung am Harlehörn

6.7.1 Situation im Strand- und Dünenbereich

Die jüngere Strand- und Dünenentwicklung am Harlehörn ist geprägt durch häufige Abbrüche an der neugeschaffenen Randdüne auch bei nur leicht erhöhten Wasserständen. Aus diesem Grund waren seit 1985 mehrere Strand- und Dünenauffüllungen notwendig (Tabelle 2). Der dafür erforderliche Sand wurde meist bei ohnehin notwendigen Baggerungen im Hafenbecken gewonnen. Der Dünengürtel weist in den letzten Jahren nach Süden zunehmende Erosionsraten auf, während im nördlichen Abschnitt des Harlehörn temporäre Sandakkumulationen auf eine Verbesserung der Strandsituation hindeuten. Der Dünenabschnitt mit dem geringsten Quer-schnitt lag 1990 noch bei Profil 8 (STAIK 1991), verlagerte sich bis 1995 weiter nach Süden in den Bereich von Profil 3 und befindet sich heute mit etwa 24 m Breite im Profil 4 (NLWK 2002). Tabelle 2: Strand- und Dünenauffüllungen am Harlehörn

Zeitraum Eingebrachte

Sandmenge [m3] Bemerkung / Einbauort

1985 63.000 eingebaut im südlichen Bereich Harlehörns zwischen

Steindamm und Dünen

Aug-Nov 1990 56.500 Sand aus Hafenbaggerungen, am Dünenfuß im

hafennahen Bereich aufgespült

bis Aug 1994 123.000 Dünenverstärkung oberhalb NN+2m, Profil 3 bis 6

Sommer-Nov 2000 41.000 ca. 30m seeseitige Dünenverstärkung oberhalb NN+2m,

südlich Profil 3 bis Profil 6, Sandentnahme im Hafen

Beispielhaft für die jüngere Entwicklung am Harlehörn ist die Verlagerung einiger Tiefenlinien im Strand- und Dünenbereich auf Höhe Profil 6 (Abb. 40). Trotz größerer Schwankungen im Verlauf bei zeitweilig seewärtiger Verschiebung, insbesondere nach Sandaufspülungen, ist die Entwicklung offenbar von einem langfristig negativen Trend überlagert. In den 90er Jahren ist die morphologische Entwicklung dieses Strandabschnitts durch eine Bewegung der MThw-Linie zur Insel gekennzeichnet. Dadurch verringert sich die Breite des trockenen Strandes um mehr als 20 m. Aufgrund der ebenfalls geringen Dünenquerschnitte könnte bei einer Fortsetzung dieser Entwicklung ohne regelmäßige Auffüllungen eine kritische Erosion der Randdüne bei starken Sturmfluten eintreten.

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Zeit - Weg - Diagramm für Profil 6 (Wangerooge)

40

60

80

100

120

140

160

180

1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

Stat

ion

[m]

Höhe NN+1 mHöhe NN+1,4 mHöhe NN+3 mHöhe NN+5 m

Strand-/Dünenauffüllung

Abb. 40 Verlagerung von Höhenlinien am Harlehörn (Profil 6) von 1983 bis 2003 mit

Zeitpunkten der Strand- und Dünenauffüllungen (Daten vom NLWK, BSt Norden)

6.7.2 Luftbildanalyse der Veränderungen am Harlehörn

Nach der Umlagerung des Weststrandes auf Wangerooge bis Mitte des 20. Jahrhunderts (LÜDERS 1952) stabilisiert sich der Strand am Harlehörn in einer nach Südsüdost ausgerichteten Lage. Dies ist neben dem Ausbau der Buhne H dem Bau der Buhnen V (1934, 1937) und W (1938-42) zu verdanken, durch deren Wirkung sich vor dem Harlehörn ein hoher Vorstrandbereich herausbilden kann, der eine Breite von etwa 500 m bis 750 m einnimmt und auch als Südwestbucht bezeichnet wird (Abb. 41a+b). Dort erfolgt eine Dämpfung des einlaufenden Seegangs, wodurch die Belastung der Harlehörn-Dünen abgemindert wird. Eine steil abfallende Platenkante trennt die Südwestbucht von der Doven Harle (Abb. 30+b). Die Südwestbucht ist von einem flachen, aber breit ausgeprägten Vorstrandpriel durchzogen, der sich nach Norden hin vertieft und im Bereich der Buhne V in die Dove Harle mündet. Das Harlehörn bestand in den 30er Jahren lediglich aus einer breiten Strandfläche, die von einem Buschdamm durchzogen wurde (Abb. 41a). Dünen sind nur langsam von Südosten her aufgewachsen, konnten allerdings Mitte der 70er Jahre bei Sturmfluten durchbrochen werden. Dadurch ist nach der Novembersturmflut 1973 eine Sturmflutschneise zurückgeblieben Abb. 41a) und Sand über das Harlehörn ins Inselwatt verfrachtet worden. Erst in den 80er Jahren bildet sich ein geschlossener Dünengürtel am Harlehörn. Die Situation im Strandbereich ist – soweit aus den Luftbildern erkennbar – in den 1960er und 1970er Jahren von einer leichten Abnahme der trockenen Strandbreite geprägt. Gleichzeitig bildet sich der Fluthaken am südlichen Ende der Südwestbucht weiter nach Süden aus, während Vorstrandpriel und Randplate zur Doven Harle über diesen Zeitraum hinweg ohne größere Formänderung bestehen bleiben. Ab 1983 wird dann eine Sedimentanhäufung am Südende der Buhne W sichtbar (Abb. 41a). Die sich ausbildende Plate wird ab 1985 durch einen Priel durchschnitten, der Verbindung zur Telegraphenbalje hat. Diese Plate erhält zusätzliche Sandzufuhren aus der Strandaufspülung von 1985. 1987 wurde die Buhne W im Südteil des Harlehörn um einen abgewinkelten Hafen-schutzdamm erweitert, der den neu ausgebildeten Priel durchtrennt (Abb. 41a). Dieses Bauwerk sollte eine Vertiefung der Rinne südlich des Hafens verhindern und durch veränderte Führung des Stroms eine Verringerung der natürlichen Verlandungstendenzen der Hafenzufahrt bewirken (FRANZIUS-INSTITUT 1986). In der Tat bildet sich der Priel südlich des Hafens nach dem Bau des neuen Hafenschutzdammes zurück, weitere Unterhaltungsbaggerungen im Hafen fallen in den Folgejahren trotzdem an.

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 52

Abb. 41a: Georeferenzierte Luftbilder des Harlehörn von 1936/37 bis 1988

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 53

Abb. 41b: Georeferenzierte Luftbilder des Harlehörn von 1991 bis 2003

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 54

Etwa ab 1991 entsteht erneut eine längliche, weit nach Nordwesten gestreckte Randplate in der Südwestbucht (Abb. 41b). Die Südkante dieser Plate befindet sich Anfang der 1990er Jahre ca. 100 m weiter südlich als in den 1970er Jahren vor der Verlängerung der Buhne W. In den 1990er Jahren kommt es zu Sedimentumlagerungen in der Südwestbucht. Die Verlagerung erfolgt im Uhrzeigersinn und bewirkt Sandakkumulationen, die innerhalb von drei bis vier Jahren zunächst am Strand des Harlehörn auftreten, dann am Südende der Buhne W zu erkennen sind und schließlich zum verstärkten Aufbau der erwähnten Vorstrandplate in nordwestliche Richtung führen (Abb. 41b). Wiederkehr und zeitliches Auftreten lassen darauf schließen, dass diese Sedimentverdriftungen durch die 1990 und 1994 durchgeführten Strandaufspülungen ausgelöst wurden. Für die Wirksamkeit der Auffüllungen ist wesentlich, dass der erodierte Sand offensichtlich einige Jahre nach der Auffüllung noch für eine Erhöhung der Vorstrandplate sorgt und somit eine indirekte Schutzwirkung der Harlehörn-Dünen bewirkt. Nach 1998 bildet sich die ausgeprägte Vorstrandplate dann allmählich zurück. Eine vergleichbare Wiederausdehnung ist nach der Sandauffüllung von 2000 allerdings nicht erkennbar (Abb. 41b), was vermutlich auf die wesentlich geringere Auffüllmenge zurückführen ist. Zudem handelte es sich um eine Dünenverstärkung, die nicht im Strand- und Vorstrandbereich wirksam werden konnte. Die Überlagerung der NN-2m-Tiefenlinie verschiedener Zustände seit 1950 (Abb. 42) veranschaulicht die Bereiche mit den prägnantesten Änderungen in der Südwestbucht. Im Nordteil (Profil 8 und 10) verliert der Vorstrand deutlich an Breite. Zwischen 1950 und 2002 beträgt hier die Annäherung der NN-2m-Tiefenlinie an die Insel auf Höhe des Profils 10 rund 250 m. Im mittleren Bereich der Südwestbucht (Profil 6) ist zunächst eine leicht seewärtige Verschiebung des Vorstrandes zu verzeichnen, nach 1987 treten jedoch auch hier Verluste von etwa 100 m auf, so dass annähernd wieder die Lage von 1950 erreicht wird. Am Südende der Südwestbucht hingegen ist ein kräftiges Anwachsen der Randplate zu erkennen. Bereits von 1950 bis 1975 verlagert sich die NN-2m-Tiefenlinie um ca. 130 m in Richtung des Seegats, bis 1987 dann noch einmal um rund 100 m. In den letzten 15 Jahren ist allerdings ein Zurückweichen am Westrand der Plate und eine annähernd gleichbleibende Position an der Südkante festzustellen.

Abb. 42 Verlagerung der Tiefenlinie NN-2m südwestlich des Harlehörn von 1950 bis 2002

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 55

Insgesamt erfährt der Platenrand zwischen Südwestbucht und Dove Harle in den letzten 50 Jahren eine Verschwenkung im Uhrzeigersinn, die von temporären Ausdehnungen im mittleren Teil überlagert wird. Diese Entwicklung ergibt sich aus dem veränderten Wasseraustausch zwischen dem Seegat und dem Wangerooger Inselwatt. Das Einzugsgebiet der Telegraphenbalje verliert gegenüber dem Gat vom Wrack an Bedeutung, über das der Wasseraustausch zunehmend erfolgt. Hierduch wird die Sedimentakkumulation vor der Buhne W und die Ausdehnung des Vorstandbereiches nach Süden begünstigt.

6.7.3 Entwicklung des Vorstrand- und Strandbereichs

Die hier erfolgte qualitative Betrachtungsweise weist klare Indizien für den Einfluss der Veränderungen in der Doven Harle auf den Vorstrand der Südwestbucht aus. Auswertungen von Profilen anhand von Zeit-Weg-Diagrammen lassen für die jüngere Zeit eine inselwärtige Verlagerung der Tiefenlinien NN-2m/-4m/-6m/-8m sowie der Tiefenachse der jeweils vorgelagerten Rinne erkennen (Abb. 43). Entsprechend sind Verlagerungen im Strandbereich anhand der Position des Dünenfußes (NN+3m) sowie der MThw- und MTnw-Linie festzustellen. Von 1950 bis zum Ende der 1980er Jahre verlagern sich die Tiefenlinien oberhalb NN-6m in den Profilen 3 bis 8 und entfernen sich zunächst vom südlichen und südwestlichen Teil des Harlehörn. Dies ist auf den verstärkten Wasseraustausch zwischen Seegat und Inselwatt über das Gat vom Wrack zurückzuführen. Im Profil 3 ist die Lage der Tiefenlinien seit Anfang der 1990er Jahre stabil; allerdings dringt die weiter entfernte Rinnenachse der Breiten Legde inselwärts vor. Umfangreiche Veränderungen im Mündungsbereich der Breiten Legde zur Harle nach 1976 bewirken eine Steigerung des Tidevolumens in der Doven Harle und eine entsprechende Ausweitung ihres Rinnenquerschnitts. Dadurch dringt die NN-8m-Linie der vorgelagerten Rinne in den Profilen 3 bis 8 inselwärts vor. Ab etwa 1987, einhergehend mit der Umorientierung der Breiten Legde zur Doven Harle, sind auch Auswirkungen dieses Prozesses auf den höheren Vorstrandbereich zu erkennen: In Profil 6 und 8 rücken die Tiefenlinien oberhalb NN-6m bis 2002 um mehr als 100 m an den Inselsockel heran, was mit einer Aufsteilung der Platenkante in tieferen Bereichen einhergeht. Die starke Annäherung der Doven Harle an die Südwestbucht im letzten Jahrzehnt bewirkt offensichtlich auch einen Verlagerungsprozess im flacheren Vorstrandbereich. Da es sich bei diesen lokalen Umgestaltungen um einen relativ jungen Prozess handelt, der gegenüber den großräumigen Veränderungen im Seegat mit einem Phasenversatz erfolgt, werden die erosiven Auswirkungen auf den Vorstrand vermutlich in den nächsten Jahren noch anhalten. Im nördlichen Teil der Südwestbucht ist auf Höhe Profil 10 seit den 80er Jahren eine überwiegend stabile Lage der Tiefenlinien oberhalb NN-6m vorhanden (Abb. 43). Allerdings ist bereits zwischen 1950 und 1975 eine inselwärtige Verschiebung der NN-2m-Linie um etwa 250 m zu verzeichnen. Auch die Rinnenachse der Harle verlagert sich bis 1987 deutlich um etwa 500 m nach Osten. Die Dove Harle erreicht hier in jüngster Zeit vorübergehend Tiefen von unterhalb NN-8m. Auswirkungen auf den höheren Vorstrandbereich sind dadurch bislang nicht aufgetreten. Ein für Strandentwicklungen in vielen Fällen aussagekräftiger Parameter ist die Vorstrandneigung. Am Harlehörn ist er jedoch weniger hilfreich. Die Südwestbucht wird von dem Vorstrandpriel und der unterschiedlich hoch aufragenden Randplate geprägt; daher ist die Neigung des Vorstrandes großen Schwankungen ausgesetzt. Die morphologischen Verhältnisse lassen sich eher durch die Lage der Rinnenkante der Doven Harle parametrisieren. Sie nähert sich auf dem Tiefenniveau NN-2m deutlich dem Inselsockel: in Profil 8 von 1990 bis 2002 um 149 m und in Profil 6 von 1987 bis 2002 um 141 m.

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 56

1950 1960 1970 1980 1990 2000

Jahr

0

500

1000

1500

2000

2500

Abs

tand

von

der

Sta

ndlin

ie [m

]

Tiefster PunktNN-8mNN-6mNN-4mNN-2m

Vorstrand Profil 10

Harle

Dove Harle

NLÖ-FSK 1960 1970 1980 1990 2000

Jahr

0

200

400

600

800

Abs

tand

von

der

Sta

ndlin

ie [m

]

MTnwMThwNN+3m

Harlehörn Profil 10

Nasser Strand

Trockener StrandDüne

NLÖ-FSK

1950 1960 1970 1980 1990 2000

Jahr

500

1000

1500

2000

2500

3000

Abs

tand

von

der

Sta

ndlin

ie [m

]

Tiefster PunktNN-8mNN-6mNN-4mNN-2m

Vorstrand Profil 8

Breite Legde / Harle

Dove Harle

NLÖ-FSK 1960 1970 1980 1990 2000

Jahr

0

200

400

600

800

1000

Abs

tand

von

der

Sta

ndlin

ie [m

]

MTnwMThwNN+3m

Harlehörn Profil 8

Nasser Strand

Trockener Strand

Düne

Randplate

Steinschüttung/Buschdamm

NLÖ-FSK

1950 1960 1970 1980 1990 2000

Jahr

500

1000

1500

2000

2500

3000

Abs

tand

von

der

Sta

ndlin

ie [m

]

Tiefster PunktNN-8mNN-6mNN-4mNN-2m

Vorstrand Profil 6

Breite Legde / Harle

Dove Harle

NLÖ-FSK 1960 1970 1980 1990 2000

Jahr

0

200

400

600

800

1000

Abs

tand

von

der

Sta

ndlin

ie [m

]

MTnwMThwNN+3m

Harlehörn Profil 6

Nasser Strand

Trockener Strand

Düne

Steinschüttung/Buschdamm

NLÖ-FSK

1950 1960 1970 1980 1990 2000

Jahr

500

1000

1500

2000

2500

3000

Abs

tand

von

der

Sta

ndlin

ie [m

]

Tiefster PunktNN-6mNN-4mNN-2m

Vorstrand Profil 3Breite Legde

Telegraphenbalje / Dove Harle

NLÖ-FSK 1960 1970 1980 1990 2000

Jahr

0

200

400

600

800

1000

Abs

tand

von

der

Sta

ndlin

ie [m

]

MTnwMThwNN+3m

Harlehörn Profil 3

Nasser Strand

Trockener Strand

Düne

Steinschüttung/Buschdamm

NLÖ-FSK Abb. 43: Zeit-Weg-Diagramme des Vorstrand- und Strandbereiches am Harlehörn

Tiefenstufen [mNN]: Topographie: 2002/03 Hintergrundkarte: Auszug aus Topogr. Karten und/oder Geobasisdaten

< N N - 1 0 m N N - 1 0 m b i s - 8 m N N - 8 m b i s - 7 m N N - 7 m b i s - 6 m N N - 6 m b i s - 5 m N N - 5 m b i s - 4 m N N - 4 m b i s - 3 m N N - 3 m b i s - 2 m N N - 2 m b i s - 1 m N N - 1 m b i s 0 m N N 0 m b i s + 1 m N N + 1 m b i s + 2 m

Lage der verlängerten Strandprofile am Harlehörn

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 57

Die Strandentwicklung am Harlehörn (Abb. 43) ist seit Mitte der 1960er Jahre von einem deutlichen Rückgang der MThw-Linie geprägt. Er beläuft sich bis 2003 im südlichen Teil des Harlehörn (Profil 3) auf etwa 260 m, in Profil 6 und 8 auf jeweils ungefähr 160 m und beträgt in Profil 10 noch etwa 70 m. Der Großteil dieser inselwärtigen Annäherung der MThw-Linie vollzieht sich bereits in den 1970er und 1980er Jahren und ist höchstwahrscheinlich als Fortsetzung der Gestaltungsvorgänge anzusehen, die bereits die Umlagerung des Weststrandes zu Beginn des 20. Jahrhunderts bewirkten (Abb. 10). Im Gegensatz zur eher einheitlichen Verschiebung der MThw-Linie vor dem Harlehörn zeigt die MTnw-Linie im Untersuchungs-zeitraum sehr unterschiedliche Entwicklungen. Im südlichen Abschnitt (Profil 3) verlagert sie sich bis Anfang der 80er Jahre um annähernd 200 m nach Südwesten, so dass sich der nasse Strand hier auf ungefähr 670 m verbreitert. Diese große Breite des nassen Strandes am südlichen Ende der Südwestbucht ist auch heute noch vorhanden. Im mittleren Bereich vor dem Harlehörn (Profil 6) zeigt die MTnw-Linie bis 1987 zunächst ebenfalls seewärtige Verlagerungstendenzen, ehe eine erhebliche Rückverlagerung eintritt, die vermutlich durch die Querschnittserweiterung der Doven Harle erzwungen wird. Der nasse Strand ist daher heutzutage schmaler als noch in den 1960er Jahren. Etwas anders gestaltet sich die Entwicklung in Profil 8. Dort nimmt die Breite des nassen Strandes bis Ende der 70er um fast 200 m auf rund 350 m ab, weil sich der Vorstrandpriel vor dem Harlehörn eintieft und die Plate am Rand der Südwestbucht in den folgenden Jahren nur noch teilweise Höhen über MTnw erreicht. Im Profil 10 zeigen sich nur geringe Veränderungen des nassen Strandes in den letzten Jahrzehnten. Durch den Rückgang der MThw-Linie nimmt seine Breite hier leicht zu. Sie beläuft sich – ähnlich wie in Profil 8 – in den letzten Jahren im Mittel auf ungefähr 340 m. Im trockenen Strandbereich kommt es Mitte der 70er Jahre durch den Aufbau der Randdünen zunächst zu einer seewärtigen Verlagerung des Dünenfußes. In Verbindung mit dem Rückgang der MThw-Linie reduziert sich dadurch auch die Breite des trockenen Strandes. Insgesamt ist der trockene Strand seit Ende der 70er Jahre in allen Profilen um etwa 30 m schmaler geworden und besitzt momentan eine Breite von etwa 60 m im südlichen Abschnitt (Profil 3) und mehr als 40 m im mittleren und nördlichen Abschnitt des Harlehörn (Profile 6, 8 und 10). Gleichzeitig hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten die Position des Dünenfußes überwiegend inselwärts verlagert, wenn man von den temporären Veränderungen durch die Strand- und Dünenauffüllungen absieht. Ein direkter Zusammenhang zwischen den großräumigen Veränderungen im Seegat Harle und der Entwicklung des Strand- und Vorstrandbereiches am Harlehörn kann aus den Zeit-Weg-Diagrammen nicht grundsätzlich abgeleitet werden (Abb. 43). Allerdings bestehen für den mittleren Abschnitt vor dem Harlehörn (Profil 6) deutliche Übereinstimmungen zwischen der Aufweitung der Doven Harle und der inselwärtigen Verlagerung der Tiefenlinien im Bereich zwischen NN-6m und MTnw seit 1987. Auch im Profil 8 erfolgt in diesem Zeitraum eine Annäherung der Tiefenlinien NN-6m, NN-4m und NN-2m an das Harlehörn. Die Auswirkungen auf den nassen Strand lassen sich in diesem Abschnitt aufgrund der großen Variation in der morphologischen Ausprägung des Vorstrandpriels bzw. der Randplate in der Südwestbucht bislang nicht eindeutig zuordnen. Auch zukünftig ist aber von einem Zusammenhang zwischen Strandentwicklung und Querschnittsentwicklung der Doven Harle auszugehen.

6.7.4 Sedimentvolumen vor dem Harlehörn

Die morphologischen Veränderungen am Harlehörn können zudem über die Entwicklung des Sedimentvolumens im Strandbereich verdeutlicht werden. Auf Grundlage der jährlichen Profilaufnahmen in der Südwestbucht ist eine Zeitreihe für die Volumenänderungen im nassen Strand erstellt worden (Abb. 44), indem für die trapezförmige Fläche zwischen Profil 3 und 10

Dienstber. Forschungsstelle Küste 5/2004 58

das Sedimentvolumen zwischen MTnw und MThw berechnet wurde. Hierbei wurden die 5-jährigen Mittelwerte der Tidewasserstände herangezogen.

Sedimentvolumen des nassen Strandes

vor Harlehörn

0,00

0,10

0,20

0,30

0,40

0,50

0,60

0,70

0,80

1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000

Volu

men

des

nas

sen

Stra

ndes

[106

m3 ]

Verlängerung Buhne W

Auffüllung Trockener

Strand63.000 m3

1

Auffüllung Dünenfuß56.500 m3

2

Auffüllung Düne

>NN+2m123.000 m3

3

Auffüllung Düne

>NN+2m41.000 m3

4

1~5 Jahre

2~4 Jahre

3~3 Jahre

?

1961-1973:+5539 m3/a 1973-1984:

-14008 m3/a

1997-2003:-10693 m3/a Volumen

der Sandauf-füllungen 283.500

m3

Sedimentvolumen des nassen Strandes

vor Harlehörn

0,00

0,10

0,20

0,30

0,40

0,50

0,60

0,70

0,80

1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000

Volu

men

des

nas

sen

Stra

ndes

[106

m3 ]

Sedimentvolumen des nassen Strandes

vor Harlehörn

0,00

0,10

0,20

0,30

0,40

0,50

0,60

0,70

0,80

1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000

Volu

men

des

nas

sen

Stra

ndes

[106

m3 ]

Sedimentvolumen des nassen Strandes

vor Harlehörn

0,00

0,10

0,20

0,30

0,40

0,50

0,60

0,70

0,80

1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000

Volu

men

des

nas

sen

Stra

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[106

m3 ]

Verlängerung Buhne W

Verlängerung Buhne W

Auffüllung Trockener

Strand63.000 m3

1

Auffüllung Trockener

Strand63.000 m3

1

Auffüllung Dünenfuß56.500 m3

2

Auffüllung Dünenfuß56.500 m3

2

Auffüllung Düne

>NN+2m123.000 m3

3

Auffüllung Düne

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3

Auffüllung Düne

>NN+2m41.000 m3

4

Auffüllung Düne

>NN+2m41.000 m3

4

1~5 Jahre

1~5 Jahre

2~4 Jahre

2~4 Jahre

3~3 Jahre

3~3 Jahre

?

1961-1973:+5539 m3/a1961-1973:+5539 m3/a 1973-1984:

-14008 m3/a1973-1984:-14008 m3/a

1997-2003:-10693 m3/a1997-2003:-10693 m3/a Volumen

der Sandauf-füllungen 283.500

m3

Abb. 44: Entwicklung des Sedimentvolumens für den nassen Strand am Harlehörn von 1961 bis 2003

Nach einer überwiegend positiven Entwicklung vor 1973 erfolgt zwischen 1973 und 1984 ein deutlicher Volumenrückgang des nassen Strandes um mehr als ein Drittel: im Mittel um etwa 14000 m3 pro Jahr. Die Abnahme des Sedimentvolumens wird vermutlich in erster Linie durch die verringerte Breite des nassen Strandes im nördlichen Abschnitt vor Harlehörn (Abb. 43, Profil 8) verursacht. Die Verlängerung der Buhne W 1987 leitet eine Trendänderung in der Vorstrandentwicklung ein, da sie die Verdriftung von Sediment in Richtung Hafen erheblich erschwert. Die Verweilzeit von Sedimenten in der Südwestbucht verlängert sich. Überwiegend nimmt das Sedimentvolumen daher ab Mitte der 1980er Jahre zu. Auch die Auffüllungen im trockenen Strandbereich des Harlehörn wirken sich – wenngleich mit zeitlicher Verzögerung – auf den Aufbau der Randplate in der Südwestbucht aus und sorgen dadurch für einen Sedimentgewinn im Vorstrand (Abb. 44). Die Phasenverschiebung zwischen Auffüllung und Volumenzuwachs beträgt ungefähr drei bis fünf Jahre; die Verweilzeiten des Sandes werden seit 1985 offensichtlich kürzer. Ein Auftreten von Extremen ist insbesondere nach Sturmfluten zu verzeichnen, bei denen eine verstärkte Sandverlagerung in den nassen Strand- und Vorstrandbereich erfolgt. Die Aufspülung aus dem Jahr 2000 bleibt aufgrund der geringen Auffüllmenge bisher ohne erkennbare Auswirkungen auf das Volumen des nassen Strandes (Abb. 44). Seit 1997 ist dementsprechend eine tendenziell abnehmende Sedimentmenge im nassen Strandbereich zu verzeichnen. Im Mittel beträgt die Volumenabnahme annähernd 11.000 m3 pro Jahr. Bemerkenswert ist, dass die verlängerte Trendlinie aus dem Zeitraum 1973-1984 etwa dem aktuellen Sedimentvolumen ohne Auffüllmenge entspricht. Dies deutet daraufhin, dass durch die Strand- und Dünenaufspülungen von insgesamt 283.500 m3 auch im Vorstrandbereich vor dem Harlehörn eine entsprechende Niveauverschiebung eintritt. Zusammen mit der positiven Wirkung der verlängerten Buhne W überlagern diese Auffüllvorgänge einen offenbar seit Mitte der 1970er Jahre durchgängig vorhandenen negativen Trend in der Entwicklung des Sedimentvolumens.

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7. Riffbogen der Harle

7.1 Gestalt des Riffbogens

Als Riffbogen wird die seewärts eines Seegats liegende, gewölbte Abfolge von Sandbänken und Rinnen bezeichnet (LÜDERS & LUCK 1976). Der durch Tide und Brandung verursachte Sedimenttransport, der entlang der Ostfriesischen Inselkette mit seiner küstenparallelen Komponente resultierend nach Osten gerichtet ist, wird im Bereich der Seegaten durch die starken küstennormalen Tideströmungen behindert, so dass sich westlich der Seegatöffnung Sediment in Form von Platen akkumuliert. Sie werden bei der Passage im Riffbogen durch den Sedimenttransport bis zur Anlandung an die nächste, unterdriftige Insel immer wieder ab- und aufgebaut. Dort bestimmt dieser Prozeß im wesentlichen den Sedimenthaushalt der Strände. Der Riffbogen der Harle spielt für die Sandversorgung des Harlehörn keine unmittelbare Rolle. Für das morphologische Gesamtsystem ist er jedoch ein bedeutsames Element, insbesondere für die seeseitigen Inselstrände. Zudem können Riffbögen als bedeutende Sedimentquelle für Anpassungsprozesse in den zugehörigen Tidebecken angesehen werden (EYSINK 1991, NIEMEYER 2000). Die Rinnen- und Platenstruktur des Riffbogens erfährt seit 1950 Veränderungen (Abb. 30a+b), die nicht allein durch die übliche Dynamik in diesem Bereich erklärt werden können. Die tiefe Rinne im Riffbogenscheitel, die für den Zustand von 1950 charakteristisch ist, verlagert sich aus nordnordwestlicher Richtung in einem Zeitraum von fünf Jahren bis 1955 nach Nordnordost (Abb. 30a). Gleichzeitig steht eine große Plate nordwestlich Wangerooges kurz vor der Anlandung. Bis 1964 hat sich diese Plate vollständig in den Strandbereich verlagert, während sich an ihrer Seeseite ein ausgeprägter Vorstrandpriel vor dem Nordweststrand mit einer Breite von mehreren hundert Metern und durchgehenden Tiefen unterhalb NN-4m herausgebildet hat. In der Folgezeit wird dieser Priel wieder aufgefüllt und tritt bis heute nicht noch einmal in ähnlich starker Ausprägung wie 1964 auf. Bis zur Mitte der 70er Jahre entsteht eine kompakte, aber flache Riffbogengestalt mit gegenüber früheren Zuständen geringer seewärtiger Ausdehnung. Dabei gewinnt insbesondere der Bereich um die Tabaksplate, in dem 1950 noch großflächig Tiefen bis NN-5m auftreten, deutlich an Höhe. Diese Auflandung ist möglicherweise auf die Westverschwenkung im Nordteil der Harle zurückzuführen, die vermutlich einen Großteil der Tideströmungen im westlichen Riffbogen auf die Harlerinne umleitet und dadurch zu einer Verringerung der Durchflussmengen in den Rinnen der Tabaksplate führt. Nach 1976 weitet sich der Riffbogen dann wieder auf, was zu einer stärkeren Gliederung der Platen im Scheitelbereich führt und Mitte der 80er Jahre die Entstehung einer nach Nordwesten gerichteten Rinne mit Tiefen bis unterhalb NN-5m begünstigt. Diese Entwicklung steht in direktem Zusammenhang mit der weiteren Westverschwenkung und verstärkten Ausdehnung des Seegats nach Nordwesten. Vor dem Nordweststrand liegt zu dieser Zeit noch eine Gruppe von Platen mit großen Flächen auf einem Niveau oberhalb von NN-2m, die ab 1989 zur Anlandung kommen. Danach bilden sich dort keine vergleichbaren Platen aus, so dass sich bis 1992 der Vorstrandpriel vor dem Nordweststrand wieder temporär mit Tiefen unterhalb NN-3m herausbilden kann. Im Zustand von 1984 ist nördlich des Harleriffs eine lokale Vertiefung erkennbar, die auf Entnahmen zur Aufspülung des Badestrandes zurückzuführen ist. Bedeutsam ist hierbei vor allem die Langzeitwirkung dieses Eingriffs, der offensichtlich die Bildung einer nach Südost gestreckten Längsrinne (1987-1989) ermöglicht, die bis ungefähr 1992 vor dem Nordstrand bestehen bleibt. Erhebliche Sedimentakkumulationen am Ostende Spiekeroogs begünstigen gegen Ende der 80er Jahre ein Aufwachsen der Platenbereiche im westlichen Teil des Riffbogens. Die Verlagerung dieser Platen führt in der Folgezeit auch zu einer Umgestaltung im Riffbogenscheitel. Die noch 1987 vorhandene tiefe Rinne im Scheitelbereich füllt sich auf und ist in den folgenden Jahren nur noch als kleine Lücke zwischen Platen erkennbar. Diese Rinne verlagert sich bis 1992 in den

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nordöstlichen Teil des Riffbogens und benötigt dafür die gleiche Dauer von fünf Jahren, die auch bei der Rinnenverlagerung von 1950 bis 1955 zu beobachten war. Eine sich 1992 neu bildende Rinne im nordwestlichen Riffbogenscheitel durchläuft ebenfalls bei Verringerung ihres Querschnitts bis 1998 eine ähnliche Entwicklung (Abb. 30b). Sie verschwenkt zunächst bis 1995 zügig in nordnordöstliche Richtung und verlagert sich danach bis 1998 mit geringerer Geschwindigkeit nach Nordosten. Ende der 90er Jahre wird durch Sandzufuhr vor dem Nordweststrand ein sehr ausgedehnter Platenbogen geformt, der 1998 vom Kopf der Buhne H bis zum Nordstrand geschlossen Höhen bis über NN-3m einnimmt (Abb. 30b). Da in dieser Situation auch der Vorstrandpriel bereits lokal verlandet ist, kommt es in den Jahren 2001 und 2002 zu erheblichen Anlandungen volumenreicher Platenbereiche am Nordwest- und Nordstrand. Zwischen der anlandenden Platengruppe und den Sedimentmengen im Scheitelbereich tieft sich der Riffbogen während-dessen deutlich ein. Es entsteht eine nordöstlich ausgerichtete Platenlücke mit fast durchgehenden Tiefen unter NN-4m. Ob hierdurch zukünftig wieder die Bildung eines tiefen Vorstrandpriels vor dem Nordweststrand begünstigt wird, ist noch nicht absehbar. Da sich in den letzten Jahren ein deutliches Anwachsen der Platengruppen im westlichen und nordwestlichen Riffbogen andeutet, ist mittelfristig ebenso eine Auffüllung in diesem Bereich möglich. Die Gestaltsänderung des Riffbogens zwischen 1950 und 2002 wird durch die Überlagerung der NN-5m-Tiefenlinien verdeutlicht (Abb. 45). Daraus ist auch zu erkennen, dass sich die Nordostflanke nach 1950 tendenziell zur Küste verlagert und dabei 1987 die größte Annäherung an die Insel erreicht. Die Verlagerung der tiefen Rinne der Harle nach Westen ermöglicht, dass die Platen des Riffbogens östlich davon weniger stark in Richtung See ausgebildet werden. Die seeseitige Begrenzung der Tabaksplate im westlichen Teil des Riffbogens liegt heute zwischen der Position von 1964 und 1987 und nimmt somit wieder ungefähr die gleiche Lage ein wie 1950. In jüngster Zeit erfolgen Verlagerungen überwiegend nordöstlich der Harle in Form eines leicht seewärtigen Vordringens der Tiefenlinien. Insgesamt weist auch die Überlagerung der Tiefenlinien trotz temporärer Lageschwankungen keine grundlegende Gestaltsänderung des Riffbogens seit 1950 nach.

Abb. 45: Verlagerung der Tiefenlinie NN-5m im Riffbogen nördlich der Harle von 1950 bis 2002

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Die Form und Lage eines Seegats hat großen Einfluss auf die Ausprägung des zugehörigen Riffbogens (LUCK 1966). Dieser Zusammenhang lässt sich durch die Gegenüberstellung des Abstands vom nordwestlichsten Punkt der Tiefenlinien NN-4m und NN-6m im Riffbogen zum Kopf der Buhne H mit den Tiefenlinien NN-8m, NN-10m und NN-12m der tiefen Rinne des Seegats Harle belegen (Abb. 46). Die seewärtige Streckung des Riffbogens weist in ihrer zeitlichen Entwicklung ähnliche Tendenzen auf wie die seewärtige Ausdehnung der tiefen Rinne des Seegats. Zwischen 1950 und 1976 ist zunächst ein Zurückweichen des Riffbogens um rund 700 m zu verzeichnen. Sowohl im Riffbogen als auch im Seegat tritt damit 1976 die geringste Längenausdehnung im betrachteten Zeitraum auf. Der kurvenförmige Verlauf des Seegats in dieser Situation (vgl. Abb. 30) lässt darauf schließen, dass im Vergleich zu früheren und späteren Zuständen auch geringere Strömungsgeschwindigkeiten im Seegat wirksam waren und somit den Rückgang der Riffbogenausdehnung bewirkten. Bis Ende der 80er Jahre kommt es dann zur erneuten Streckung des Riffbogens mit einer seewärtigen Verlagerung von mehr als 500 m. Die anschließende Phase ist bis heute von einer überwiegend gleichbleibenden Lage des Riffbogens geprägt, der ebenso wie die Länge des Seegats seit etwa 15 Jahren keinen gravierenden Veränderungen mehr unterliegt. Die plötzliche Rückschwenkung des nördlichen Harleausläufers um etwa 6-9° (ca. 1987-1993) ist ohne nennenswerten Einfluss auf die Ausdehnung des Riffbogens in Richtung Nordwesten gewesen. Im Endeffekt hat der Riffbogen westlich der Harle heute wieder annähernd die gleiche Lage wie in den 50er Jahren.

0

500

1000

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2000

2500

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4000

1950 1960 1970 1980 1990 2000

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H [m

]

Riffbogen NN-6mRiffbogen NN-4mSeegat NN-8mSeegat NN-10mSeegat NN-12m

Riffbogen

Seegat

Abb. 46: Ausdehnung des Riffbogens nach Nordwesten verglichen mit der seewärtigen

Ausdehnung der tiefen Rinne des Seegats Harle

7.2 Volumenentwicklung im Riffbogen

Um den Sedimenthaushalt im Riffbogen zu beurteilen, wurde zusätzlich zu den bereits erläuterten qualitativen Auswertungen eine Volumenermittlung für den Gesamtbereich des Riffbogens durchgeführt. Zur besseren Vergleichbarkeit mit Untersuchungen anderer Seegat-Riffbogen-Systemen wurde das Verfahren von WALTON & ADAMS (1976) angewandt. Dabei wird das Ebbdelta-Volumen V0 als Differenz der realen von einer fiktiven Topographie ohne Seegateinfluss ermittelt. Bei der Anwendung des Verfahrens auf den Riffbogen der Harle wurden zwei methodische Varianten eingebracht. Zum einen wurde das Riffbogenvolumen V0 auf der Grundlage einer für alle Vermessungen einheitlichen, fiktiven Topographie ohne Seegat

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berechnet. Zum anderen beruhten die Auswertungen auf variablen Topographien ohne Seegat, die an jeden Vermessungszustand individuell angepasst wurden. Die Berechnung des Riffbogenvolumens mit einheitlicher Basistopographie zeigt eine große Schwankungsbreite der Ergebniswerte mit drei deutlich ausgeprägten Entwicklungsphasen (Abb. 47). Nach 1950 vergrößert sich das Sedimentvolumen im Riffbogen; 1964 tritt mit einem Sandvolumen von 40�106 m3 ein absolutes Maximum im Untersuchungszeitraum auf. Es schließt sich eine Phase mit abnehmender Tendenz an, in der das Riffbogenvolumen bis 1995 um 64% auf das absolute Minimum in den letzten fünf Jahrzehnten abnimmt. Ab 1995 ist wieder eine leicht positive Tendenz erkennbar.

0,0E+00

1,0E+07

2,0E+07

3,0E+07

4,0E+07

5,0E+07

1950 1960 1970 1980 1990 2000Jahr

Riffb

ogen

volu

men

V0 [

m3 ]

V0 Harle (einheitl. Basistopogr.)

V0 Harle (variable Basistopogr.)

Abb. 47: Zeitliche Entwicklung des Riffbogenvolumens V0, berechnet nach dem Ansatz von

WALTON & ADAMS (1976) für einheitliche und variable Ausgangstopographien

Die Ergebnisse der auf variablen Basistopographien ohne Seegat basierenden Auswertungen weisen eine erheblich verringerte Schwankungsbreite des Riffbogenvolumens auf (Abb. 47). Tendenziell werden aber die bisher gewonnen Erkenntnisse hinsichtlich der im Untersuchungszeitraum auftretenden Volumenvariationen auch durch die Auswertung mit variablen Topographien bestätigt. Das maximal im Riffbogen verfügare Sedimentvolumen beträgt nach diesen Berechnungen 1964 22,4�106 m3; der Rückgang bis 1995 verringert sich dadurch auf 36%. Möglicherweise stehen die Volumenverluste im Zusammenhang mit Sedimentbedarf im Seegat Harle und seinem Einzugsgebiet als Folge des erheblichen Gestaltswandels. In jüngerer Zeit deutet sich zwar eine leicht positive Entwicklungstendenz an, mit der vorhandenen Datengrundlage kann bislang jedoch kein eindeutiger Trend belegt werden.

7.3 Funktionaler Zusammenhang Riffbogenvolumen – Tidevolumen

Zur Beurteilung des Gleichgewichtszustandes eines Ebbdelta-Seegat-Systems wird im Allgemeinen der funktionale Zusammenhang zwischen dem Riffbogenvolumen V0 und dem Tidevolumen VT im Einzugsgebiet des Seegats überprüft. WALTON & ADAMS (1976) haben die Abhängigkeit dieser beiden Parameter für nordamerikanische Küstenabschnitte nachgewiesen und ihre Ergebnisse zusätzlich nach der Exponiertheit gegen Seegang differenziert. NIEMEYER et al. (1995) überprüften im Rahmen des Projektes WADE nach gleicher Methodik das morpho-dynamische Gleichgewicht in einigen Riffbögen vor der Ostfriesischen Küste und stellten fest,

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dass die Ansätze von WALTON & ADAMS (1976) hier zwar grundsätzlich qualitativ zutreffend, aber quantitativ nicht übertragbar sind. Ein Vergleich der für die Harle ermittelten Werte zeigt, dass sich die Ergebnisse für den Harle-Riffbogen deutlich unterhalb der Ausgleichsfunktionen von WALTON & ADAMS (1976) befinden (Abb. 48); allerdings liegen sie nicht signifikant außerhalb der von ihnen ausgewiesenen maximalen Streubreite. Die Ergebnisse der aktuellen Untersuchungen entsprechen größenordnungsmäßig gut den Ergebnissen aus dem Projekt WADE (NIEMEYER et al. 1995), die ebenfalls durchgängig am Rand der Streubreite der nordamerikanischen Daten und außerhalb derer liegen.

1,0E+05

1,0E+06

1,0E+07

1,0E+08

1,0E+09

1,0E+10

1,0E+06 1,0E+07 1,0E+08 1,0E+09 1,0E+10Tidevolumen VT[m3]

Riff

boge

nvol

umen

V0[

m3 ]

mildly exposed coastlinesmoderately exposed coastlineshighly exposed coastlinesWalton & Adams (1976)Niemeyer et al. (1995)Harle (einheitl. Basistopogr.)Harle (varibale Basistopogr.)

Abb. 48: Riffbogenvolumen V0 als Funktion des Tidevolumens VT

Ursachen für die mangelnde Übereinstimmung mit den Originaldaten von WALTON & ADAMS (1976) könnten darin begründet liegen, dass für eine quantitative Übertragbarkeit dieses Verfahrens auf die Ostfriesische Küste noch weitere Parameter berücksichtigt werden müssten. Diesbezüglich weist NIEMEYER (2000) darauf hin, dass der Ansatz von WALTON & ADAMS (1976) „...auf jeden Fall problematisch für Düneninseln mit einem küstennormalen Versatz“ ist. Aus dem Zusammenhang der Parameter Riffbogenvolumen und Tidevolumen sind aufgrund der erläuterten Unstimmigkeiten keine eindeutigen Trends abzuleiten, so dass belastbare Aussagen bezüglich zukünftiger Entwicklungstendenzen oder dem Erreichen eines morphologischen Gleichgewichtszustandes daraus nicht herleitbar sind.

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8. Zusammenfassung

Aufbauend auf Vermessungen aus dem Zeitraum von 1950 bis 2003 wurden morphologische Untersuchungen für das Seegat Harle und sein Einzugsgebiet vorgenommen. Besonderes Augenmerk galt der Entwicklung des Harlehörn im Südwesten Wangerooges. Dabei wurden zum einen morphologische Entwicklungstendenzen unter Einbeziehung möglichst wietgehender kausaler Deutung erarbeitet. Zum anderen wurden abgesicherte, aus der Literatur bekannte morphodynamische Gleichgewichtsbedingungen herangezogen, um die phänomenologisch analysierten Vorgänge sowohl quantifizieren als auch hinsichtlich zukünftiger Trends einordnen zu können. Die Untersuchungen wurden bezüglich der Bereiche Watteinzugsgebiet, Seegat und Riffbogen differenziert. Für den Bereich des Seegats wurde das Teilgebiet Harlehörn ausgiebig untersucht. Wesentliche Änderungen im Einzugsgebiet der Harle finden in ihrem Wurzelbereich infolge einer stetigen Verlagerung der Breiten Legde statt, die sich zwischen 1975 und 2003 in ihrem Mündungsbereich um 1400 m nach Osten verschiebt. Hierdurch wechselt die Mündung der Breiten Legde zwischen 1987 und 2001 von der Harle in die östliche Nebenrinne Dove Harle. Die Hauptrinne der Harle verliert durch diesen Prozess und durch das Umschwenken des Gat vom Wrack zur Doven Harle in den 1960er Jahren insgesamt den Zufluss von vier nachgeordneten Wattrinnen. Die Umverteilung der Rinnenstruktur im Wattgebiet zugunsten der Doven Harle bewirkt eine Zunahme ihrer Einzugsgebietsfläche von 1950 bis 2002/03 auf mehr als das Siebenfache. Da die Gesamteinzugsgebietsfläche des Seegats bis 1995 nur geringügig um gut 7% auf 66 km2 anwächst, verringert sich das Einzugsgebiet der Hauptrinne Harle innerhalb des Untersuchungszeitraums auf ein Drittel. Der Anteil der Doven Harle am Tidevolumen steigt durch die Umstrukturierung der Wattrinnen von 10% auf 66%, entsprechend nimmt der Anteil des Teileinzugsgebietes Harle ab. Eine Ursache dieser Veränderungen ist die Drehung der Wattwasserscheide von Wangerooge. Sie verschwenkt im Uhrzeigersinn, so dass im inselnahen Bereich von 1960 bis 2001 eine Ostverlagerung um ungefähr 750 m auftritt, während in Festlandsnähe eine geringe West-verschiebung erfolgt. Zudem kommt es zu einer leichten Ostverlagerung der westlichen Wattwasserscheide südlich Spiekeroog. Eine erneute Umstrukturierung im Einzugsgebiet der Harle ist aufgrund der aktuellen Entwicklungstendenzen der Wattrinnen und Wattwasser-scheiden nicht zu erwarten. Diese Vermutung wird auch durch den Zusammenhang zwischen der Einzugsgebietsfläche und dem Tidevolumen bestätigt. Infolge der Umstrukturierung der Wattrinnen und der Ostverlagerung der Breiten Legde findet ein zunehmender Wasseraustausch über den östlichen Teil des Seegats statt. Dadurch ändern sich auch Form und Verlauf der Seegatrinnen. Die Dove Harle weitet sich deutlich auf: Sie vertieft sich flächendeckend auf unter NN-8m, während ihre Querschnittsfläche bis 2003 um 54% gegenüber 1950 zunimmt. Ein Großteil dieses Flächenzuwachses findet nach 1987 statt, was den kausalen Zusammenhang mit der Ostverlagerung der Breiten Legde verdeutlicht. Im Gegensatz dazu bleibt der Teilquerschnitt der Harle seit 1989 annähernd flächenkonstant. Der verstärkte Wasseraustausch über die östliche Nebenrinne im Seegat ermöglicht neben der Ausweitung der Doven Harle auch eine zunehmende Sedimentation im westlichen Teil des Seegats. Hier dehnt sich seit 1975 die Martensplate deutlich nach Osten aus. Außerdem fächert sich das südliche Seegat in den 1990er Jahren zwischenzeitlich auf drei Rinnen auf. Seit 1998 ist hier erneut eine Zweiteilung festzustellen. Diese Rinnenspaltung im südlichen Seegat scheint sich mittlerweile zu stabilisieren, was durch die Bildung einer Mittelplate zwischen Harle und Dove Harle mit Höhen über NN-5m belegt wird.

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Auch im nördlichen Teil des Seegats sind im Untersuchungszeitraum Veränderungen zu beobachten, die sich in drei Phasen unterteilen lassen. Die erhebliche Westdrehung der tiefen Rinne im Nordteil der Harle um 40° von 1940 bis 1984 ist eindeutig dem Ausbau der Buhne H zuzuschreiben, die seit 1940 als 1,4 km lange Unterwasserbuhne den Mittelteil des Seegats vom Westkopf Wangerooges abhält. Die Rückdrehung um etwa 6° bis 9° zwischen 1987 und 1993 hingegen dürfte auf die Umgestaltungen im Wurzelbereich der Harle zurückzuführen sein, die durch das beginnende Überwechseln der Breiten Legde in die Dove Harle und die damit einhergehende veränderte Anströmrichtung der Harlerinne verursacht wird. Seit 1993 bleibt der Nordteil der Harle dann nahezu lagestabil. Die veränderten Strömungsverhältnisse im Seegat wirken sich wahrscheinlich nachteilig auf den baulichen Zustand der Buhne H aus. Die mittlere Kronenhöhe nimmt nach 1972 um etwa 40 cm ab und liegt trotz der nach der Sturmflut von 1962 erfolgten Unterhaltungsarbeiten heute nur geringfügig über der von 1960. Zum Seegat hin hat sich zwischen 1972 und 1990 auf einer Länge von etwa 50 m ein Durchlass mit einer maximale Tiefe von ungefähr NN-3,50m herausgebildet, der Kolke beiderseits des Bauwerks verursacht. Die Überprüfung des funktionalen Zusammenhangs zwischen Seegatquerschnitt und Tidevolumen ergab für den Gesamtquerschnitt der Harle eine größenordnungsmäßige Überein-stimmung mit den regionaltypischen Verhältnissen. Für die Teileinzugsgebiete Harle und Dove Harle ist jedoch anhand dieser Parameter eine deutliche Abweichung von einem Gleichgewichts-zustand festzustellen. Der Rinnenquerschnitt in der Doven Harle ist trotz der bereits erfolgten Aufweitung im Verhältnis zum Tidevolumen momentan noch zu klein, während in der Harle deutlich zu große Rinnenquerschnitte vorhanden sind. Es ist mit einer verzögerten Anpassung zu rechnen, die eine weitere Vergrößerung der Nebenrinne Dove Harle bei gleichzeitiger Reduzierung des Teilquerschnitts Harle erwarten lässt. Die Entwicklung des Riffbogens der Harle wurde nach dem Verfahren von WALTON & ADAMS (1976) untersucht, bei dem das Riffbogenvolumen als Differenz der realen von einer fiktiven Topographie ohne Seegateinfluss berechnet wird. Demnach ist der Riffbogen zwischen 1964 und 1995 deutlichen Volumenverlusten ausgesetzt. Nach 1995 deutet sich ein leicht positiver Trend an. Unterschiedliche methodische Ansätze bestätigen diese Entwicklungsphasen, weisen aber anhand der vorliegenden Daten keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Riffbogenvolumen und dem Tidevolumen aus. Die Entwicklung im Strand- und Vorstrandbereich vor dem Harlehörn wird von den Veränderungen im Watteinzugsgebiet und Seegat beeinflusst. Sie führen zu Sand-akkumulationen südlich der Buhne W, die später noch durch den Bau des Hafenschutzdammes 1987 verstärkt werden. Aufgrund dieser Prozesse beträgt die Verlagerung des Vorstrandes bezogen auf die NN-2m-Tiefenlinie zwischen 1950 und 2002 im südlichen Teil vor dem Harlehörn etwa 230 m in seewärtige Richtung, während im Nordteil eine inselwärtige Annäherung von ungefähr 250 m erfolgt ist. Auch im Vorstrandbereich ist in einigen Abschnitten seit 1987 eine Verlagerung um etwa 100 m in Richtung des Ufers erkennbar. Dieser Vorgang ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Querschnittsvergrößerung der Doven Harle zurückzuführen. Im gesamten Bereich des Harlehörn ist im Untersuchungszeitraum ein überwiegender Rückgang der MThw-Linie und des Dünenfußes zu verzeichnen. Die Breite des trockenen Strandes nimmt dabei seit Ende der 1970er Jahre um etwa 30 m ab. Die geringen Breiten des trockenen Strandes von 40 bis 60 m und der – abgesehen vom südlichen Teil des Harlehörn – inselwärts gerichtete

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Trend der MTnw-Linie lassen derzeit keine dauerhafte natürliche Stabilität der morphologischen Situation von Strand und Dünen erwarten. Einhergehend damit steht die Entwicklung des Sedimentvolumens im nassen Strandbereich vor dem Harlehörn, wo zwischen 1973 und 1984 ein durchschnittlicher Volumenrückgang von etwa 14.000 m3/Jahr festgestellt worden ist. Die in der Folgezeit erkennbare leicht positive Bilanz ist vor allem auf die Wirkung der Verlängerung der Buhne W und der seit 1985 vorgenommenen Strandauffüllungen zurückzuführen. Nach den jeweiligen Auffüllungen treten deutlich erkennbare, temporäre Volumenzunahmen mit einer zeitlichen Verzögerung von ungefähr drei bis fünf Jahren auf. Nach 1997 setzen sich wieder erosive Prozesse im Vorstrandbereich bis 2003 mit einem durchschnittlichen Sedimentverlust von 11.000 m3 pro Jahr durch. Die Volumen-entwicklung vor dem Harlehörn nach 1984 lässt sich zusammenfassend als tendenziell negativer Trend kennzeichnen, der durch einzelne, positive anthropogene Einflüsse überlagert und dadurch in seinen Auswirkungen auf den Inselschutz begrenzt werden kann. Die abzusehende Querschnittsvergrößerung der Doven Harle lässt auch für die nächste Zukunft eine negative Strandentwicklung vor dem Harlehörn mit wachsender Erosionsgefahr für die Dünen erwarten. Die Wiederholung künstlicher Auffüllungen ist unumgänglich, wenn die jetzige Randdünenlage gehalten werden soll. Mittelfristig bleiben die Anpassungen von Harle und Dove Harle an die Veränderungen in ihren Einzugsgebieten abzuwarten. Um deren Auswirkungen auf den Inselschutz rechtzeitig erkennen zu können, ist weiterhin eine intensive Beobachtung und Analyse dieser Vorgänge von Nöten.

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