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Dienstag, 10. Mai 2011 67. Jahrgang Nr. 108 D 17 Die Entdeckung der Genügsamkeit Plädoyer für eine lebensfreundliche und lebensfreudige Esskultur. Von Ernst Ulrich von Weizsäcker I ch stelle an den Beginn die Fra- ge, wer mehr Freude und Ver- gnügen am Essen hat: Franzosen oder US-Amerikaner? Die Franzo- sen, die typischerweise weniger Kalorien zu sich nehmen und viel Zeit, Geld und Kultur investieren? Oder diejenigen Amerikaner, die mit fetthaltigem Fastfood zu viele Kalorien aufnehmen und dann an Fettsucht leiden? Ernährungsstile haben sich weltweit verändert. Traditionelle Lebensmittel und Ernährungsfor- men werden zusehends durch Er- nährungsweisen ersetzt, die dem Körper viele Fette und Salz zufüh- ren. Diese Umstellung ist auch mit einer Veränderung des sozialen Status verbunden, und genau da- mit müssen wir uns auseinander- setzen, weil sie zum Beispiel dazu beiträgt, dass sich auch in ver- gleichbar armen Ländern die Fett- sucht (Adipositas) verbreitet. Wissenschaftler der Universi- tät Gießen haben in den letzten Jahren eine Studie in einer ländli- chen Region in Tansania durchge- führt, deren Ergebnisse alarmie- rend sind. Sieben Prozent der Be- völkerung litten an Unterernäh- rung. Genauso hoch – bei sieben Prozent – lag der Anteil von Adi- positas betroffener Menschen. In Frankreich gibt es praktisch keine Fettsucht, die allerdings in Amerika ungeheuer verbreitet ist. Franzosen investieren aber dop- pelt so viel Zeit und vermutlich auch Geld ins Essen wie die Ame- rikaner. Wir brauchen also heute nicht mehr nur die Bekämpfung von Hunger zur Sicherung der Welter- nährung, sondern wir brauchen ganz massiv eine Förderung ge- sunder Ernährungsstile in reichen wie in armen Ländern. Wenn man den Einschätzun- gen der Nahrungsmittel- und Landwirtschafts-Organisation der Vereinten Nationen (FAO) Glauben schenkt, werden im Jahr 2025 zwei Milliarden Menschen zusätzlich auf der Erde leben. Es scheint ein zutiefst menschlicher Reflex zu sein, auf diese Prognose mit einem Produktionssteige- rungszwang reagieren zu wollen. Warum diesem Reflex zu miss- trauen ist, habe ich versucht am Beispiel der Ernährungsstile zu zeigen. Dabei sollten wir uns aber nicht nur die Konsumenten, son- dern auch die gesellschaftlichen Systeme genauer anschauen, die eine solche Produktionssteige- rung erzielen sollen und die schon heute fast eine Milliarde Men- schen nicht mit Nahrungsmitteln versorgen. Eine wichtige Frage ist die nach den Gründen für Unterernäh- rung. Häufig ist Hunger eine Fol- ge von Ereignissen wie zum Bei- spiel Naturkatastrophen, Kriege, Bürgerkriege und Diskriminie- rung. Doch vor allem trägt der Hunger ein weibliches Gesicht, und um diesen Missstand zu än- dern, braucht es ganz andere und wesentlich vielfältigere Ansätze in Politik, Wirtschaft und Gesell- schaft. Mit einer reinen Produkti- onssteigerung ist vielen vom Hun- ger betroffenen Frauen und Mäd- chen nicht geholfen. Eine „Femi- nisierung der Landwirtschaft“, wie sie der Weltagrarbericht (IAASTD) fordert, also eine Poli- tik, die Frauen den Zugang zu Land, Krediten und Ausbildung erleichtert oder sogar erst ermög- licht, kann der Schlüssel zur Ver- besserung der Lebensbedingun- gen von Millionen Menschen sein. Selbst wenn wir über eine grundsätzliche Produktionsstei- gerung nachdenken, müssen wir uns über deren Kosten im Klaren sein. Vor allem aus den Lektionen der letzten so genannten „Grünen Revolution“ sollten wir lernen. Sie sollte eine Produktionssteige- rung und damit verbundene Er- nährungssicherung in Indien ge- währleisten und hat stattdessen zur Verarmung tausender Men- schen beigetragen. Der verstärkte Einsatz von ag- rarchemischen Substanzen (Pes- tiziden und Düngemitteln), die unter hohem Energieeinsatz er- zeugt und mit langzeitig nachtei- ligem Effekt für Umwelt, Trink- wasser und Gesundheit ausge- bracht wurden, hat schon vor 40 Jahren angefangen, die Grundla- gen für die Ernährung zukünfti- ger Generationen zu verbrauchen und die damit verbundenen Um- weltkosten auf die heutige und zukünftige Bevölkerung abzuwäl- zen. Schon heute verbraucht die Landwirtschaft rund 70 Prozent des Trinkwassers. Wird das Was- ser knapper, ist verstärkt auf ko- operatives Verhalten der Nutzer zu zählen, um gewalttätige Kon- flikte zu vermeiden. Steigen die Preise für Energie, werden auch Düngemittel, Pestizide, Nah- rungsmittelverarbeitung, Lage- rung und Transport teurer. Wir brauchen also eine Landwirt- schaft, die sich anpasst und mit weniger Wasser und Energie ar- beitet. Die Überproduktion zu Vermarktungszwecken sollte des- halb die Ausnahme werden und nicht wie heute noch im Vorder- grund stehen. Wie kann man weniger Energie verbrauchen, die Wassereffizienz erhöhen und die Dienstleistungen für das Ökosystem bewerten? In einer grünen Wirtschaft der Zu- kunft brauchen wir grüne Arbeits- plätze, und das heißt auch ein ganz anderes landwirtschaftli- ches Modell, das die Multifunktio- nalität der Landwirtschaft be- rücksichtigt und belohnt. Genießen wie die Franzosen Es geht um Ressourcenprodukti- vität: Das bedeutet, mehr Wohl- stand aus einer Ressource, aus Energie, Wasser oder Mineralien herauszuholen. Das ist so ähnlich wie bei der Arbeitsproduktivität, bei der wir gelernt haben, aus ei- ner Stunde menschlicher Arbeit immer mehr Wohlstand zu erwirt- schaften. Aber selbst mit teurer Energie und hoher Effizienz wür- de irgendwann das Wohlstands- oder Verbrauchswachstum alle ökologisch sinnvollen Barrieren überwinden. Es sei denn, wir ler- nen, mit etwas weniger Verbrauch glücklich zu sein. Genau so wie die Franzosen, die aus weniger Kalorien ein Mehr an Vergnügen machen – mit Zeit und Kultur. Das nenne ich Genüg- samkeit. Meine Antwort ist ein- deutig: Die glücklicheren Men- schen sind die Franzosen, die mehr Lebensfreude haben – bei ei- ner Form der Genügsamkeit, bei der niemand auf die Idee kommt, sie Genügsamkeit zu nennen. Da heißt es Lebensfreude. 8 SEITEN SPEZIAL: ZUKUNFT DER ERNÄHRUNG Ernst Ulrich von Weizsäcker, 71, war Professor für Biologie in Essen. Von 1991 bis 2000 leitete er das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. 1998 bis 2005 saß er für die SPD im Bundestag. Auf den folgenden Seiten können Sie mehr über Lösungsvorschläge für eine umwelt- und sozialverträgliche Welter- nährung lesen: die „Zehn Gebote der Welternährung“ sowie Berichte und Re- portagen über Menschen und Initiati- ven, die es besser machen. Dazu Tipps zum Weiterlesen im Netz. Die FR kooperiert bei diesem Schwer- punkt mit dem Projekt „Zukunft der Er- nährung“, das von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) ins Leben gerufen wurde und von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert wird. Es greift Fragen der Ernährungssicherung auf und setzt sich für friedliche, nachhaltige Lösungen ein. Weitere Informationen dazu unter www.zukunftderernaehrung.org Am heutigen Dienstag findet im Auswärtigen Amt in Berlin das „Forum Globale Fragen“ zum Thema „(Kein) Brot für die Welt? – Ernährung in der Krise“ statt. Kooperationspartner des Ministeriums ist die VDW, eingeladen sind Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik. fr DPA Mehr satt als glücklich, mehr dick als gesund: Fastfood-Konsument. PLAINPICTURE PANORAMA PANORAMA PANORAMA

FR - Deutschlandausgabe vom 10. Mai 2011 · – Ernährung in der Krise“ statt. Kooperationspartner des Ministeriums ist die VDW, eingeladen sind Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft

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Dienstag, 10. Mai 201167. Jahrgang Nr. 108 D 17

Die Entdeckung der GenügsamkeitPlädoyer für eine lebensfreundliche und lebensfreudige Esskultur. Von Ernst Ulrich von Weizsäcker

Ich stelle an den Beginn die Fra-ge, wer mehr Freude und Ver-

gnügen am Essen hat: Franzosenoder US-Amerikaner? Die Franzo-sen, die typischerweise wenigerKalorien zu sich nehmen und vielZeit, Geld und Kultur investieren?Oder diejenigen Amerikaner, diemit fetthaltigem Fastfood zu vieleKalorien aufnehmen und dann anFettsucht leiden?

Ernährungsstile haben sichweltweit verändert. TraditionelleLebensmittel und Ernährungsfor-men werden zusehends durch Er-nährungsweisen ersetzt, die demKörper viele Fette und Salz zufüh-ren. Diese Umstellung ist auch miteiner Veränderung des sozialenStatus verbunden, und genau da-mit müssen wir uns auseinander-setzen, weil sie zum Beispiel dazubeiträgt, dass sich auch in ver-gleichbar armen Ländern die Fett-sucht (Adipositas) verbreitet.

Wissenschaftler der Universi-tät Gießen haben in den letztenJahren eine Studie in einer ländli-chen Region in Tansania durchge-führt, deren Ergebnisse alarmie-rend sind. Sieben Prozent der Be-völkerung litten an Unterernäh-rung. Genauso hoch – bei siebenProzent – lag der Anteil von Adi-positas betroffener Menschen.

In Frankreich gibt es praktischkeine Fettsucht, die allerdings inAmerika ungeheuer verbreitet ist.Franzosen investieren aber dop-pelt so viel Zeit und vermutlichauch Geld ins Essen wie die Ame-rikaner.

Wir brauchen also heute nichtmehr nur die Bekämpfung vonHunger zur Sicherung der Welter-nährung, sondern wir brauchenganz massiv eine Förderung ge-

sunder Ernährungsstile in reichenwie in armen Ländern.

Wenn man den Einschätzun-gen der Nahrungsmittel- undLandwirtschafts-Organisationder Vereinten Nationen (FAO)Glauben schenkt, werden im Jahr2025 zwei Milliarden Menschenzusätzlich auf der Erde leben. Esscheint ein zutiefst menschlicherReflex zu sein, auf diese Prognosemit einem Produktionssteige-rungszwang reagieren zu wollen.Warum diesem Reflex zu miss-trauen ist, habe ich versucht amBeispiel der Ernährungsstile zuzeigen. Dabei sollten wir uns abernicht nur die Konsumenten, son-dern auch die gesellschaftlichenSysteme genauer anschauen, dieeine solche Produktionssteige-rung erzielen sollen und die schonheute fast eine Milliarde Men-

schen nicht mit Nahrungsmittelnversorgen.

Eine wichtige Frage ist die nachden Gründen für Unterernäh-rung. Häufig ist Hunger eine Fol-ge von Ereignissen wie zum Bei-spiel Naturkatastrophen, Kriege,Bürgerkriege und Diskriminie-rung. Doch vor allem trägt derHunger ein weibliches Gesicht,und um diesen Missstand zu än-dern, braucht es ganz andere undwesentlich vielfältigere Ansätzein Politik, Wirtschaft und Gesell-schaft. Mit einer reinen Produkti-onssteigerung ist vielen vom Hun-ger betroffenen Frauen und Mäd-chen nicht geholfen. Eine „Femi-nisierung der Landwirtschaft“,wie sie der Weltagrarbericht(IAASTD) fordert, also eine Poli-tik, die Frauen den Zugang zuLand, Krediten und Ausbildung

erleichtert oder sogar erst ermög-licht, kann der Schlüssel zur Ver-besserung der Lebensbedingun-gen von Millionen Menschen sein.

Selbst wenn wir über einegrundsätzliche Produktionsstei-gerung nachdenken, müssen wiruns über deren Kosten im Klarensein. Vor allem aus den Lektionender letzten so genannten „GrünenRevolution“ sollten wir lernen.Sie sollte eine Produktionssteige-rung und damit verbundene Er-nährungssicherung in Indien ge-währleisten und hat stattdessenzur Verarmung tausender Men-schen beigetragen.Der verstärkte Einsatz von ag-rarchemischen Substanzen (Pes-tiziden und Düngemitteln), dieunter hohem Energieeinsatz er-zeugt und mit langzeitig nachtei-ligem Effekt für Umwelt, Trink-wasser und Gesundheit ausge-bracht wurden, hat schon vor 40Jahren angefangen, die Grundla-gen für die Ernährung zukünfti-ger Generationen zu verbrauchenund die damit verbundenen Um-weltkosten auf die heutige undzukünftige Bevölkerung abzuwäl-zen.

Schon heute verbraucht dieLandwirtschaft rund 70 Prozentdes Trinkwassers. Wird das Was-ser knapper, ist verstärkt auf ko-operatives Verhalten der Nutzerzu zählen, um gewalttätige Kon-flikte zu vermeiden. Steigen diePreise für Energie, werden auchDüngemittel, Pestizide, Nah-rungsmittelverarbeitung, Lage-rung und Transport teurer. Wirbrauchen also eine Landwirt-schaft, die sich anpasst und mitweniger Wasser und Energie ar-beitet. Die Überproduktion zu

Vermarktungszwecken sollte des-halb die Ausnahme werden undnicht wie heute noch im Vorder-grund stehen.

Wie kann man weniger Energieverbrauchen, die Wassereffizienzerhöhen und die Dienstleistungenfür das Ökosystem bewerten? Ineiner grünen Wirtschaft der Zu-kunft brauchen wir grüne Arbeits-plätze, und das heißt auch einganz anderes landwirtschaftli-ches Modell, das die Multifunktio-nalität der Landwirtschaft be-rücksichtigt und belohnt.

Genießen wie die Franzosen

Es geht um Ressourcenprodukti-vität: Das bedeutet, mehr Wohl-stand aus einer Ressource, ausEnergie, Wasser oder Mineralienherauszuholen. Das ist so ähnlichwie bei der Arbeitsproduktivität,bei der wir gelernt haben, aus ei-ner Stunde menschlicher Arbeitimmer mehr Wohlstand zu erwirt-schaften. Aber selbst mit teurerEnergie und hoher Effizienz wür-de irgendwann das Wohlstands-oder Verbrauchswachstum alleökologisch sinnvollen Barrierenüberwinden. Es sei denn, wir ler-nen, mit etwas weniger Verbrauchglücklich zu sein.

Genau so wie die Franzosen,die aus weniger Kalorien ein Mehran Vergnügen machen – mit Zeitund Kultur. Das nenne ich Genüg-samkeit. Meine Antwort ist ein-deutig: Die glücklicheren Men-schen sind die Franzosen, diemehr Lebensfreude haben – bei ei-ner Form der Genügsamkeit, beider niemand auf die Idee kommt,sie Genügsamkeit zu nennen. Daheißt es Lebensfreude.

8 SEITEN SPEZIAL: ZUKUNFT DER ERNÄHRUNGErnst Ulrich vonWeizsäcker, 71,war Professor fürBiologie in Essen.Von 1991 bis2000 leitete erdas WuppertalInstitut für Klima,Umwelt undEnergie. 1998 bis

2005 saß er für die SPD im Bundestag.

Auf den folgenden Seiten können Siemehr über Lösungsvorschläge für eineumwelt- und sozialverträgliche Welter-nährung lesen: die „Zehn Gebote derWelternährung“ sowie Berichte und Re-portagen über Menschen und Initiati-ven, die es besser machen. Dazu Tippszum Weiterlesen im Netz.

Die FR kooperiert bei diesem Schwer-punkt mit dem Projekt „Zukunft der Er-nährung“, das von der VereinigungDeutscher Wissenschaftler (VDW) insLeben gerufen wurde und von derDeutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU)gefördert wird. Es greift Fragen derErnährungssicherung auf und setzt sichfür friedliche, nachhaltige Lösungen ein.Weitere Informationen dazu unterwww.zukunftderernaehrung.org

Am heutigen Dienstag findet imAuswärtigen Amt in Berlin das „ForumGlobale Fragen“ zum Thema „(Kein) Brotfür die Welt? – Ernährung in der Krise“statt. Kooperationspartner desMinisteriums ist die VDW, eingeladensind Experten aus Wissenschaft,Zivilgesellschaft und Politik. fr

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Die zehnGeboteder Welt-ernährungBesser züchten, besser anbauen,besser essen – wie könnte dasgehen? Stephan Albrecht, NikolaiFuchs und Zoe Heuschkel vomVerband DeutscherWissenschaftler haben die zehnwichtigsten Themen undVorschläge zusammengestellt.Dieses Autoren-Teamverantwortet auch die Porträtsherausragender Aktivistinnen undAktivisten, die Sie unter demMotto „Erntehelfer“ auf denfolgenden Seiten finden.

1. ANBAUMETHODEN

Das LandkannmehrWir wissen heute mehr alsje zuvor, wodurch und anwelchen Stellen die indus-trialisierte Landwirtschaftihre eigenen Daseins-grundlagen beschädigtund deshalb nicht zu-kunftstauglich ist. Undwir kennen die Alternati-ve: die bäuerliche Ökono-mie.„Moderne“ Landwirt-schaft, „rückständige“Landwirtschaft – in dieseKategorien wird industri-eller und bäuerlicher An-bau gepackt. Dabei ist esdie bäuerliche Variante,von der man viel für einemoderne, weil nachhalti-ge Nutzung unserer natür-lichen Vorräte lernenkann.Zum Beispiel, den Betriebauf verschiedene Stand-beine zu stellen und Be-triebsteile so aufeinanderauszurichten, dass dieReststoffe des einen Be-triebszweigs Betriebsmit-tel für den anderen Be-triebszweig bilden (Mistwird Dünger). Nicht dasMaximieren von Erträgensteht bei bäuerlicher Wirt-schaft im Zentrum, son-dern das Optimieren derNutzung.Wiederverwerten, Repa-rieren, Recyceln: All dassind altbewährte bäuerli-che Tugenden – Nachhal-tigkeitstugenden. In dieheutige Zeit transfor-miert, erweisen sie sichangesichts von rapidenVerlusten an Artenvielfaltund Klimaveränderungenals die modernere Wirt-schaftsform.Aber bäuerliche Wirt-schaft muss ohne denWachstumszwang lebendürfen. Wir brauchen eineOrdnung, die nicht eini-gen Großen Macht undReichtum beschert, son-dern eine breite Schichtvon Erzeugern und Händ-lern begünstigt und er-hält.Umweltbelastung und-zerstörung darf nichtlänger begünstigt werden.Wir brauchen höhereEnergiepreise für energie-fressende Erzeugung vonsynthetischem Stickstoff-dünger und Agrarchemi-kalien und eine generelleSteuer auf synthetischeDünger und umweltbelas-tende Chemikalien.

2. SUBVENTIONEN

Kleinerist feinerEtwa 100 Euro Steuernzahlt jeder Bürger jährlichfür die europäische Agrar-politik. Doch trotz etlicherReformen belastet dieLandwirtschaft weiterWasser und Klima. Immernoch wird mehr Stickstoffin die Landwirtschaft ein-geführt, als mit den Pro-dukten ausgeführt wird.Immer noch sickern dieseStickstoff-Überschüsse indie Gewässer, wo sie sichentweder ansammeln(wir erinnern uns an dieAlgenblüte der Ostsee imvergangenen Sommer)oder von Wasserwerkenteuer herausgereinigtwerden.Diese Landwirtschaft be-kommt hohe Subventio-nen mit der Begründung,besonders umweltfreund-lich zu sein. Sie können inder „grünen Box“ derWelthandelsorganisationuntergebracht werden,was bedeutet, dass dienicht industrialisiertenLänder nicht dagegen kla-gen können. Dabei kon-kurrieren die so vergüns-tigten Produkte in nichtindustrialisierten Län-dern mit kleinbäuerlicherzeugten Lebensmitteln.In Deutschland erhaltenzehn Prozent der Betriebemehr als 50 Prozent derstaatlichen Mittel. Aberdie deutsche Politik wehrtsich in Brüssel gegen eineDeckelung der Beiträgefür die Großen.Bürger können jetzt derPolitik ein Signal geben,wofür sie ihr Geld ausge-ben wollen. Ein Bündnisunterschiedlicher Initiati-ven – vom Öko-Label de-meter und „Brot für dieWelt“ bis zum Milchvieh-halter-Verband – hat imInternet eine Abstimmungüber künftige Agrarausga-ben organisiert.www.meine-landwirt-schaft.de

3. VIELFALT

Das Guteliegtganz nahNoch unsere Großelternhaben den Fuchsschwanzgegessen, auch bekanntals Meyer, Mayerkraut,Blitum, Küchenamaranth,Roter Heinrich, Fuchs-stern oder Fuchszagel.Seit mindestens fünftau-send Jahren wurden seinezahlreichen Arten alsBlattgemüse oder Getrei-de angebaut. Heutewächst der Fuchsschwanzbei uns fast nur noch alsZierpflanze.Viele Nutzpflanzen, diehäufig optimal an die Um-weltbedingungen ange-passt waren und die regio-nalen Küchen bereicher-ten, sind heute vergessen.Die Vielfalt an Pflanzenund auch Tieren ist starkbedroht und mit ihr die re-gionale Geschmacksviel-falt. Vielerorts haben sichSorten und Rassen durch-gesetzt, die vor allem wirt-schaftlich nützliche Ei-genschaften (Ertrag,schnelles Wachstum, ma-schinelle Bearbeitbarkeit)aufweisen. Die hohenMassenerträge gehen aufKosten der Geschmacks-vielfalt und bedingen ei-nen massiven Einsatz vonAgrarchemie und Hoch-leistungsfuttermitteln so-wie ethisch bedenklicheMassentierhaltung.Im Hinblick auf die globa-le Pflanzenzüchtung zurNahrungsmittelversor-gung verlassen wir unsheute auf nur rund 15 bis30 Spezies. Sollte nur einedavon ausfallen, zum Bei-spiel aufgrund neu auftre-tender Pflanzenkrankhei-ten, stehen wir sofort vorgroßen Versorgungsprob-lemen. Die Landwirt-schaft der Zukunft musssich wieder auf die Züch-tung und den Anbau vonangepassten Sorten besin-nen und sich auch an alteNutzpflanzen erinnern.Als Konsumentinnen undKonsumenten können wirdiese Bestrebungen unter-stützen und auf dem loka-len Markt regionale Ge-müsesorten nachfragen.

4. ÖKOLOGIE

DenKreislaufsichernWie gewährleisten wir dielandwirtschaftliche Nah-rungsmittelerzeugung,wenn wir kein (billiges) Ölmehr haben?Seit dem Ende der 1950erJahre vollzieht sich eineEntwicklung in der Land-wirtschaft, die oft die„Grüne Revolution“ ge-nannt wird. Zu ihrenwichtigsten Protagonistengehören die mittlerweileinternational operieren-den agrochemischen Kon-zerne, die vermeintlichdie Welternährung durchmassiven Einsatz vonkünstlichen Düngemittelnund Pestiziden sichern.Ihre Resultate im Hinblickauf die reine Produktions-steigerung sind beachtlich– doch um welchen Preis?Jede Revolution fordertihre Opfer, in diesem Fallging die Produktionsstei-gerung unter massivemEinsatz von Energie aufKosten der Böden, desWassers und der kleinbäu-erlichen Strukturen –ganz zu schweigen vonden schädlichen Neben-wirkungen der Energiege-winnung.Ökologisch erzeugte Nah-rungsmittel sind bisher inder Regel etwas teurer alskonventionelle. Das liegtaber auch daran, dass Um-weltschäden durch Pesti-zide und hohen Wasser-verbrauch bisher nicht indie Verbraucherpreiseeingerechnet werden. Dergroße Vorteil des ökologi-schen Landbaus ist, dasser das gesamte Produkti-onssystem betrachtet undsich um die Erhaltung sei-nes Ertragspotenzialssorgt. Ein besonderes Au-genmerk gilt dabei demBoden und dessen Kreis-läufen.Eine Landwirtschaft, dieauf den Einsatz von che-mischen Betriebsmittelnsetzt, wird auf die Dauernicht mehr konkurrenzfä-hig sein. Wohl denen, diebei Zeiten schon auf dieErhaltung ihrer Produkti-onsgrundlage gesetzt ha-ben!

ÖÖÖÖÖÖÖÖÖkkkkkkkooooo

5. ENERGIEPFLANZEN

Erstessen,danntanken„Bauern zu Ölscheichs“hieß eine Zeit lang die De-vise. Dann wurde jedochzunehmend Kritik laut:Wieviel Netto-Energiewird beim Anbau nach-wachsender Rohstoffe er-zeugt? Wie umweltver-träglich ist der großflä-chig betriebene Anbau?Zudem wird befürchtet,dass mit noch größerenPlantagen in nicht indus-trialisierten Ländern Landund Wasser abgezweigtwird, das für die Ernäh-rungssicherung dringendbenötigt würde.Der Maisanbau für dieEthanol-Produktion inAmerika umfasst deutlichmehr als ein Drittel derMais-Anbaufläche. Maiswird knapp, die Preisesteigen. Das wird vor al-lem ein Problem für ärme-re Bevölkerungsgruppen.Es wird zukünftig ent-scheidend auf das Wie ei-ner Energie-Produktionaus Biomasse ankommen.Eine unverzichtbare Be-dingung ist, dass sie Net-to-Energie liefern muss.Sie darf nicht als Konkur-renz zu Nahrungspflan-zen auftreten.Im Schwerpunkt solltenfür Energie aus BiomasseReststoffe wie Schlacht-abfälle, Mähreste oderHolzrückstände verwen-det werden.Nach allen vorliegendenErkenntnissen ist die Nut-zung von Biomasse fürflüssige Treibstoffe die in-effizienteste Verwen-dungsmöglichkeit. WennAnbau für energetischeNutzungen betriebenwird, dann in Mischkulturmit anderen Pflanzen, alssinnvolles Fruchtfolge-glied oder als Nutzungmarginaler Standorte.Knapp zwei Drittel derdeutschen Getreidepro-duktion sind für den Fut-tertrog bestimmt. Wennnachwachsende Rohstof-fe angebaut werden sol-len, dann in Konkurrenzzu diesem Tierfutter, nichtzu pflanzlichen Lebens-mitteln. Steigen dadurchdie Preise für Fleisch,dann wird davon wenigerkonsumiert, was auch Vor-teile für das Klima bringt –und für die Gesundheitvieler Menschen.

6. EMANZIPATION

Die KraftderFrauen70 bis 90 Prozent derlandwirtschaftlichen Ar-beitsleistung werden inden vorwiegend agrarischgeprägten Ländern desglobalen Südens vonFrauen erbracht. Ihre Ar-beit auf dem Feld konzen-triert sich in erster Linieauf die Produkte, die di-rekt der Ernährung derFamilie zugute kommen.Die Qualität der Arbeit derFrauen hat damit einen di-rekten Einfluss auf dieNahrungsqualität für dieganze Familie.Doch noch immer wird dieAusbildung von Mädchenund Frauen zugunsten dermännlichen Familienmit-glieder vernachlässigt.Noch immer essen dieFrauen nach den Män-nern, nehmen dadurchdurchschnittlich wenigerProteine zu sich und lei-den häufiger an Unter-und Mangelernährung.Das Wissen und die Kraftder Frauen müssen essen-tielle Bestandteile der Er-nährungssicherung wer-den. Frauen tragen denreichen Schatz des Verar-beitungs- und Zuberei-tungswissens. Um ihn bes-ser zu heben, sind klugeLösungen für körperlicheinfachere Arbeitsgängenötig.Doch damit nicht genug.Frauen brauchen dierechtliche Gleichstellungmit den Männern inner-halb ihrer Gesellschaftenund die damit verbunde-nen Möglichkeiten. Siemüssen Landtitel erwer-ben und erben und Kredi-te beantragen können. Ei-ne umfangreiche Grund-bildung und später land-wirtschaftliche Weiterbil-dung – im Idealfall vonFrauen zu Frauen – ist derSchlüssel zu mehr Ernäh-rungssicherheit gerade inden Ländern des Südens.

7. BILDUNG

WissenmachtsattUrbanisierung und In-dustrialisierung habendazu geführt, dass Kinderheute überwiegend ver-muten, die Milch stammeaus dem Supermarkt. Wirmüssen also ganz von vor-ne anfangen – und dasheißt, bei den Kleinen.Ernährungs- und Gesund-heitslehre, sehr praktischmit Mahlzeiten, und Auf-zucht von Gemüse oderObst im Schul- oder Kin-dergarten sind Grundbau-steine. Sie gehören in je-den Erziehungs- und Lehr-plan von den Primarein-richtungen bis zu denGymnasien und Berufs-schulen.Die landwirtschaftlichenAusbildungen von denFachschulen bis zu denUniversitäten sind sowohlSpiegelbild als auch Trieb-kraft der Entfremdungund Industrialisierung ge-wesen. Sie können jetztdazu beitragen, eine lang-fristig natur- und men-schengerechte Landwirt-schaft zu gestalten. Öko-logischer Landbau gehörtganz oben auf die Lehrplä-ne aller Landwirtschafts-schulen. Hier muss manoriginäre Landwirtschaftlernen: Fruchtfolge-Ge-staltung, Krankheitsprä-vention, Umgang mit Viel-falt und vieles mehr.Andere handwerklicheBerufe gehen auch so vor:Wer das Handwerk desSchreiners lernen will,muss mit Handsäge undHandhobel arbeiten, be-vor er oder sie mit Maschi-nen umgeht. Dadurch ent-steht ein Gefühl für denWerkstoff Holz. Werkstof-fe der Landwirtschaft sindBöden, Pflanzen und Tie-re. Im ökologischen Land-bau lernt man, wie manmit ihnen angemessenumgeht.Olivier de Schutter, derUN-Sonderberichterstat-ter für das Recht auf Nah-rung, hat im März vor demUN-Menschenrechtsaus-schuss für eine agro-öko-logische Landwirtschaftplädiert. Damit sie umge-setzt werden kann, musssie gelernt werden.

8. SICHERHEIT

KriegmachtHungerHunger ist der traurigeAlltag in Krisen und Krie-gen. Meistens trifft esnicht die kriegführendenParteien, sondern dieländliche Bevölkerung,oft Frauen und Kinder.Sie sterben nicht nurdurch Kampfhandlungen,sondern auch durchHunger infolge ausblei-bender oder zerstörterErnten, durch Vertrei-bung, Krankheiten oderWassermangel.In Kriegen spielen immerwieder auch Landkonflik-te eine Rolle. Wer Kriegeverhindern will, muss alsoauf die Fragen der Land-nutzung ein besonderesAugenmerk richten. Invielen nicht industriali-sierten Regionen ist dieFrage, wem das Land ge-hört, nicht ausreichendund demokratisch ge-klärt. So wird auf einmalZugriff auf Land genom-men, das vorher für dieortsansässigen Menschenverfügbar war. Diese Pra-xis ist als „Land Grabbing“bekannt geworden. Nunwird an internationalenRegelwerken gearbeitet,um negative Auswirkun-gen von Land-Investitio-nen zu verringern. Dabeispielt die Beachtung derRechte der ländlichen Be-völkerung eine maßgebli-che Rolle.Experten haben an vielenBeispielen aufgezeigt,dass Güter wie das frucht-bare Land auch gemein-schaftlich effizient undlangfristig sowie ökolo-gisch und sozial gerechtgenutzt werden können.Die Bekämpfung von Hun-ger, Armut und Mittello-sigkeit ist deshalb nichtnur eine technische odernaturwissenschaftlicheFrage. Sie ist auch eineHerausforderung an dieGesellschaftswissenschaf-ten, die sich mit der Land-wirtschaft Jahrzehntelang kaum ernsthaft be-fasst haben.

9. POLITIK

Welt ohnePlanWenn wir die Erde als glo-bales Dorf verstehen,dann hat zwar jeder Haus-halt (jede Region, jedesLand) sein eigenes Aus-kommen mehr oder weni-ger autonom zu verant-worten, aber es brauchttrotzdem den Dorfrat, derdas Ganze im Blick hat.Die Bewohner des globa-len Dorfs, die Staaten, ha-ben nicht einen, sondernviele Ansprechpartner.Und sie verhalten sichganz unterschiedlich, jenachdem, wo sie gerademitreden: bei den Verein-ten Nationen (UN), beider Welthandelsorganisa-tion (WTO), beim Inter-nationalen Währungs-fonds (IWF) oder derWeltbank.Die WTO nimmt eine Son-derstellung ein, da siedenjenigen bestrafenkann, der sich nicht an ih-re Entscheidungen hält.Insofern haben WTO-Be-schlüsse heute für vieleStaaten eine höhere Be-deutung als zum BeispielMenschenrechtsbeschlüs-se der UN.Das schwächt die interna-tionale Politik. Möglicher-weise müssen wir uns anden Gedanken einer ArtWeltregierung gewöhnen.Der Klimawandel zumBeispiel, der auch die Er-nährungssicherheit mas-siv bedroht, wird kaumaufzuhalten sein, wennman sich allein auf das Ge-lingen zwischenstaatli-cher Abschlüsse verlässt.Denn gelingen diese Ver-abredungen nicht, kön-nen sich viele lokale undregionale Initativen nichtausreichend entfalten, dasie mit falschen Wettbe-werbsargumenten („Dieanderen Länder machendas nicht; wenn wir dasumsetzen, kostet es unsMarktanteile“) gebremstwerden.Es sind also möglichst ver-bindliche globale Struktu-ren gefragt. Dabei solltenruhig einmal alte Zöpfeabgeschnitten werden wiedie übermäßige Rolle desSicherheitsrats. Gut wäreeine Mehrzahl von Welt-räten, die für die wichtigs-ten Fragen wie Ernäh-rungssicherung zuständigsind. Verbindliche Zieleihrer Arbeit wären zusam-men mit konkreten Ziel-vorgaben von der UN-Voll-versammlung zu beschlie-ßen.

10. VERGEUDUNG

Essen istkein MüllMehr als 30 Prozent allererzeugten Lebensmittelwerden entlang der Wert-schöpfungskette, also zwi-schen Ernte und Ver-brauch, in essbarem Zu-stand weggeworfen, weilzum Beispiel äußereMerkmale (Form und Grö-ße) nicht stimmen. Die be-rühmt-berüchtigte Gur-kenverordnung der EU istmanchem noch im Ge-dächtnis.Auch der zumeist willkür-liche Aufdruck von Min-desthaltbarkeitsdaten(MhD) verwirrt die Ver-braucher und verleitet siedazu, Lebensmittel weg-zuwerfen, die ohne Scha-den für die Gesundheitnoch essbar wären. DasMhD verkürzt oft lediglichdie Lebensdauer im Regaldes Supermarkts und er-höht dadurch den Umsatzdes Erzeugers oder Verar-beiters, der schnellernachliefern muss.Eine gewisse Vorsicht istzwar geboten bei frischenFleisch- und Geflügelpro-dukten, deren Verzehrnach Ablauf des MhDnicht ratsam ist. Bei vielenanderen Gütern ist dessenNotwendigkeit zumindestfragwürdig.Gerade bei importiertenNahrungsmitteln kommtzur ethischen eine Nach-haltigkeits-Dimension: Ei-nige Produkte werden inLändern produziert, de-ren Bevölkerung an Hun-ger leidet. Die Erzeugungzu Exportzwecken kon-kurriert mit der Ernäh-rungsgrundsicherung umFlächen, Wasser und Ar-beitskraft und kann denbäuerlichen Betriebendoch kein verlässlichesund ausreichendes Ein-kommen sichern. VieleSüdfrüchte wie Bohnenaus Kenia oder Zuckererb-sen aus Guatemala landendann am Ende in unserenMüllverbrennungsanla-gen.Trauen Sie lieber IhremGefühl als dem Haltbar-keitsdatum und fordernSie transparente Kenn-zeichnungsrichtlinien!Setzen Sie auf Regionali-tät und Saisonalität beiObst und Gemüse undüberlegen Sie am bestenschon beim Einkaufen, obSie wirklich alles rechtzei-tig verbrauchen können.

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Abends holt Bauernlehrling Alexander Pasternak die Schafherde zum Melken von der Weide. Den Hinweg erledigt er mit dem Fahrrad, zurück geht es zu Fuß. ANDREAS ARNOLD (5)

20 PANORAMA Frankfurter Rundschau Dienstag, 10. Mai 2011 67. Jahrgang Nr. 108 D/SB/R1/R2/R3/R4/R5/S Dienstag, 10. Mai 2011 67. Jahrgang Nr. 108 D/SB/R1/R2/R3/R4/R5/S Frankfurter Rundschau PANORAMA 21

ERNTEHELFER (2)

Der Retterder PflanzenHans Rudolf Herren forscht

seit mehr als dreißig Jahrennach nachhaltigen Lösungen fürlandwirtschaftliche Anbausyste-me. Er war stellvertretender Vor-sitzender des IAASTD (Internatio-nal Assessment of AgriculturalKnowledge, Science and Techno-logy for Development), der 2008einen Bericht über die Zukunftder Landwirtschaft vorlegte.Seit Jahrzehnten arbeitet der viel-fach Ausgezeichnete für eine guteund sichere Ernährung. Dochwenn man ihn reden hört, dannist sein Elan bis heute unge-bremst: „Wir müssen das land-wirtschaftliche System besser ver-stehen. Wir verstehen die Rück-kopplungen noch nicht innerhalbder Landwirtschaft und auchnicht die Verbindungen des land-wirtschaftlichen Systems mit derGesellschaft und Ökonomie“, sagtHerren. „Landwirtschaft ist näm-lich mehr als Nahrungsmittelpro-duktion. Landwirtschaft produ-ziert auch gute Luft und sauberesWasser – vorausgesetzt, sie wirdrichtig gemacht. Leider ist das invielen Ländern heute nicht derFall – auch nicht von der gesell-schaftlichen Seite her gesehen.Landwirtschaft ist doch im Grun-de eine kulturelle Sache.“

Technologien, so Herrens Credo,sollten sich nicht an dem orientie-ren, was wissenschaftlich mach-bar, sondern was sozio-ökolo-gisch erwünscht und nötig ist.Der Schweizer, geboren 1947, hat-te sein Schlüsselerlebnis in den80er Jahren in Nigeria, wo er nachdem Studium in Zürich und Ber-keley am Institut für tropischeLandwirtschaft arbeitete. Nachlangem Suchen gelang ihm diebiologische Bekämpfung einesSchädlings, der die Maniok-Pflan-zen und damit die Ernährung vonMillionen Afrikanern bedrohte.Er fand und verbreitete eineSchlupfwespe, die die Schädlingeverzehrt und die Nahrungspflan-zen vor dem Ende bewahrt.Auch den Schädlingen beim Maisrückte Herren, inzwischen nachKenia übergesiedelt, erfolgreichzuleibe. Er entwickelte die „Push-pull-Methode“: Dabei werdenspezielle heimische Pflanzen zu-sätzlich angepflanzt, von deneneine den Schädling anzieht, eineandere ihn vertreibt. Die eigentli-che Nahrungspflanze wird da-durch weitestgehend vor Schadenbewahrt. Für diese Arbeit bekamHerren 1995 den Welternäh-rungspreis.Die von ihm gegründete StiftungBioVision setzt sich heute für dieEntwicklung, Verbreitung undAnwendung ökologischer Metho-den ein, die zur nachhaltigen Ver-besserung der Lebensbedingun-gen in Afrika führen und zugleichdie Umwelt schonen. Außerdemsetzt Herren seine Arbeit als Präsi-dent der „Millennium Foundati-on“ in den USA fort.

Hans Herren,Tropen-Experte

und Pionierbei der

biologischenSchädlings-

bekämpfung.IAASTD

ERNTEHELFER (1)

Pionierin fürgutes EssenAls 1971 ihr erstes Buch „Diet

for a Small Planet“ in den USAerschien (auf Deutsch: „Kochenfür eine begrenzte Welt“), warFrances Moore Lappé eine Pionie-rin: Mit den Problemen, die ausdem enormen Einsatz von Getrei-de zur Viehmast entstehen, hattesich fast noch niemand auseinan-dergesetzt. Lange bevor der öko-logische Fußabdruck zu einemModethema wurde, war es ihr einAnliegen, individuelles Verhaltenmit globalen Prozessen in Verbin-dung zu bringen.Seitdem gehört Frances MooreLappé zu den Stimmen, die unteranderem eine fleischarme Kostzum Wohle der eigenen und derGesundheit des Planeten propa-gieren. Bisher hat sie 165 Bücherpubliziert oder mit verfasst unddrei Nicht-Regierungsorganisa-tionen mitgegründet, die sich füreine nachhaltigere Welternäh-rung einsetzen, darunter dasFood First Institute und das SmallPlanet Institute, die beide an derSchnittstelle von Ernährungssi-cherung und Bürgerbeteiligungarbeiten. Ihr Hauptaugenmerkliegt dabei immer auf der Förde-rung des Verantwortungsbe-wusstseins der Einzelnen im glo-balen Kontext.

Für ihre Arbeit und die Enthül-lung der Verbindung zwischenpolitischen und wirtschaftlichenUrsachen für den Welthunger be-kam Frances Moore Lappé 1987den allgemein „alternativer No-belpreis“ genannten Right Liveli-hood Award. Im Rat der Hambur-ger Stiftung „World Future Coun-cil“ arbeitet sie mit Experten ausallen Kontinenten zusammen.Der Welthunger ist für FrancesMoore Lappé Ausdruck von ineffi-zienter Ernährungspolitik, Ent-machtung der Bürger innerhalbpolitischer Systeme und gedan-kenlos zelebriertem Konsum –und das angesichts der Tatsache,dass Nahrung eigentlich im Über-fluss vorhanden wäre. „Das größ-te Problem der Welternährung istnicht der generelle Mangel, son-dern unser Glaube an den Man-gel-Mythos, den wir künstlich inunserer Wahrnehmung erschaf-fen“, sagte sie kürzlich am Randeder Feierlichkeiten zum 20-jähri-gen Jubiläum des Right Liveli-hood Awards in Bonn. „Hungerzeigt uns nicht den Mangel anNahrungsmitteln, sondern ledig-lich den Mangel an Demokratie.Wir müssen diesen Mythos über-winden und uns kreativ demProblem einer nachhaltigen Wel-ternährungssicherung stellen.“Ihre Initiative gegen den weltwei-ten Hunger bekämpft die wahrenUrsachen von Armut und sozio-ökologischer Ausbeutung. Ihrgroßes Ziel: die Rückeroberungdes Nahrungsmittelsektors ausden Händen der Agrar- und Er-nährungsindustrie durch Bauernund mündige Konsumenten.

Frances MooreLappé, Erfolgs-Autorin undKämpferin füreine andereAgrarpolitik.LAIF

Ihre kleine FarmCSA-Bauern betreiben ihre Höfe wie private Clubs – Mitglieder erhalten Lebensmittel im Abo / Transparenz statt Profit steht im Vordergrund

Von Maurice Farrouh

Im Münsterland, zwischen Bun-desstraße 54 und Autobahn 1,

liegt ein Stück Paradies. An der ge-schotterten Einfahrt zum Hofgelän-de stehen zwei Esel im Schatten al-ter Bäume und kauen Heu. In derMorgensonne vor dem Bauernhausmit der braunroten Klinkerfassadedösen drei Hunde auf dem warmenPflaster. Neben der Scheune mitdem blitzenden Solardach wühlenSchweine im Matsch. Weiter hintenblinken bunte Gemüsebeete, undwer den Blick noch weiter schweifenlässt, sieht auf der anderen Seite deskleinen Flusses die Schafe auf derWeide grasen.

„Diese Vielfalt ist ein Privileg. Sieist nur möglich durch die CSA“, sagtKenneth Stange. Der 40-jährigeLandwirt mit dem sonnengegerbtenGesicht und dem löchrigen Baum-wollpullover hat nicht viel Zeit, be-sonders heute nicht. Auch das liegtan der CSA. Morgen ist Abholtag.

CSA, das bedeutet ausgeschrie-ben Community Supported Agricul-ture. Es beschreibt ein Wirtschafts-modell, das Bauern in Japan undNordamerika entwickelt haben, umdem wachsenden Preisdruck undder Zentralisierung in der Agrarin-dustrie zu entkommen. CSA-Bauernproduzieren nicht für den freienMarkt, sondern für einen festenKreis von Verbrauchern. Diese sindwie in einem Club Mitglieder derCSA und verpflichten sich ein Jahrim Voraus, den Betrieb jeden Monatmit einem festgelegten Betrag zuunterstützen. Dafür bekommen sieGemüse, Obst, Eier, Fleisch, Milch-produkte, Brot. Frische Lebensmit-tel im Abo sozusagen.

Jede Woche werden die Produktedes Hofes „Entrup 119“ unter denMitgliedern aufgeteilt. Die kommenaus dem Umland – Altenburg,Münster, Billerbeck – auf den Hofgefahren und laden die Kofferräumeihrer Autos voll. Manche nutzen diekleinen Abholdepots des Hofes inAltenburg und Münster.

Seit vier Jahren wirtschaftet der Hofals CSA. Anfangs hatte die Verbrau-chergemeinschaft rund 35 Mitglie-der. Den Großteil ihrer Lebensmittelverkauften Stange, seine Frau Su-sanna Lindeke und das andere Bau-ern-Ehepaar, mit dem sie den Hofbetreiben, auf Wochenmärkten inder Nähe. Heute gehören 125 Men-schen zur CSA und nehmen gut 70Prozent der Lebensmittel des Bio-Hofes ab. Der Rest geht an Wochen-märkte und in den Hofladen.

„Lukas, du müsstest dich nochmal um die Radieschen kümmern,die brauchen Wasser“, ruft Stangeeinem jungen Mann zu, der vor demStall die Pferde abbürstet. Der Lehr-ling legt die Bürste beiseite und trot-tet in seinen grünen Plastikpantinenin Richtung Gemüseacker.

Mehr als 40 Gemüsesorten wach-sen auf den Feldern des 30 Hektarkleinen Betriebs. „Das würde sichfür einen konventionellen Bauernniemals rechnen“, sagt Stange. Diemeisten Landwirte spezialisierensich auf eine oder zwei Gemüsesor-ten, die sie in großen Mengen an-bauen. Auf dem Entrup-Hof wach-

sen Salatköpfe neben Spinat,Schnittlauch neben Fenchel, Toma-ten neben Rucola. Es wird von Handgesät und gepflückt, statt der gewal-tigen Pflugmaschinen, die auf kon-ventionellen Äckern zum Einsatzkommen, gräbt auf den CSA-Fel-dern ein alter Pferdepflug die Erdeum. Das schont den Boden.

„Durch die CSA können wir Land-wirtschaft nachhaltig betreiben, imEinklang mit der Natur“, sagt Bäue-rin Susanna Lindeke. Die 33-Jährigeund ihr Mann haben sich vor zehnJahren an der Uni kennen gelernt,

am Institut für ökologische Agrar-wissenschaft in Witzenhausen. Bei-den war klar, dass sie als Bauern ei-nen Kontrapunkt setzen wollten ge-gen all das, was aus ihrer Sichtschief läuft in der Landwirtschaft.Gegen die gigantischen Anlagen zurHühner- und Schweinemast, in de-nen allein im Münsterland, in un-mittelbarer Nähe des EntruperHofes, Millionen Tiere ihrem Endeals Billig-Fleisch entgegendäm-mern. Gegen Gensaat und Monokul-turen, die den Artenreichtum unddie Böden zerstören.

Und auch gegen die Entfremdungdes Menschen von der Natur undder Lebensmittelherstellung woll-ten sie etwas tun – sowohl die derVerbraucher als auch die der Bau-ern. „Als CSA-Bauer weiß ich, fürwen ich produziere. Ich kenne dieMitglieder, viele sind mittlerweileFreunde von uns geworden“, sagtStange. Und die Mitglieder, die dieLebensmittel abnehmen, wissen,wie diese produziert werden undkönnen jederzeit den Hof besuchen.„Die Landwirtschaft, wie sie heutegroßteils betrieben wird – als indus-trieller Wirtschaftszweig –, konntesich nur so entwickeln, weil dieWahrheit über die Produktionsab-läufe gezielt von den Kunden fern-gehalten wird“, sagt Susanna Linde-ke. Dem setzt die CSA Transparenzentgegen.

Ein Uhr, Mittagspause. Im Schat-ten der Birke vor dem Bauernhausdecken Jugendliche den Tisch. Aufgroßen Blechen glänzen Kartoffele-cken aus dem Backofen, daneben-stehen Schüsseln mit Roter Bete undKräuterquark. Praktikanten sind re-gelmäßig auf dem Hof zu Gast, vielekommen von Waldorfschulen ausdem Umland. Wie die biologisch-dy-namische Landwirtschaft insgesamtfußt auch die CSA-Idee auf den Leh-ren des Anthroposophen RudolfSteiner vom harmonischen Zusam-menleben von Mensch und Natur.

Piet Ammann reicht KennethStange einen Fotoapparat über denTisch. „Guck mal, ich hab’ euch wasmitgebracht. Das sind die Bilder vondem neuen Trecker“, sagt der 67-jährige Gynäkologe. Er ist Mitgliedder CSA und heute zum Mittagessenvorbeigekommen, um den Bauerndie mitgebrachten Fotos zu zeigen.

Stange klickt sich an dem kleinenKamerabildschirm durch die Auf-nahmen. „Mensch, der sieht ja superaus!“ In ein paar Tagen soll der Trak-tor, ein Schnäppchen vom Ge-

brauchtmarkt, auf dem Hof stehen.„Der alte ist uns vor ein paar Wochenkaputtgegangen, Achsenschaden“,sagt Stange. „Da hab’ ich mich sowasvon geärgert.“ Dass nun so schnellein Ersatz gefunden ist, haben dieBauern dem Einsatz ihrer Mitgliederzu verdanken. Sie haben das Ange-bot ausfindig gemacht und den Preisausgehandelt. Die Mutter eines Mit-glieds hat zudem 2000 Euro für dieAnschaffung gespendet.

Wie viel Geld die Gemeinschaftbraucht, um über das Jahr kostende-ckend wirtschaften zu können, wirdzu Anfang jedes Betriebsjahres in ei-nem Wirtschaftsplan festgelegt.Rechtlich ist die CSA als Genossen-schaft organisiert. Die vier Landwir-te und vier Auszubildenden, die auf

dem Hof arbeiten, sind bei der Ge-nossenschaft angestellt.

Zurzeit zahlt jedes Mitglied etwa120 Euro im Monat, für Kinder dieHälfte. Wer kann, gibt etwas mehr,wer es sich nicht leisten kann, zahltetwas weniger. „Das klingt vielleichterstmal viel. Es ist aber deutlich we-niger, als wenn man die Lebensmit-tel im Bioladen kauft“, sagt CSA-Mitglied Ammann. Und die Qualitätsei sogar besser als im Bioladen.„Weil lange Transportwege wegfal-len, bekommen die Mitglieder ganzfrische Sachen, oft werden sie amselben Tag erst geerntet“, sagt Stan-ge. Alle Lebensmittel des Hofes wer-den nach den strengen Standardsdes Bio-Anbauverbands Demeterhergestellt.

Auch CSA-Mitglied Andreas Sas-sermann ist heute auf dem Hof zuBesuch. Später will der Informatikeraus Münster mit anderen Mitglie-dern einen alten Schuppen auf demGelände abreißen. „Ein bisschenhelfen hier auf dem Hof, das ist einenette Abwechslung zu meiner Arbeitim Büro.“

Dort, in einem großen Unterneh-men mit 400 Angestellten, gelte erunter Kollegen „als der Bio-Spin-ner“, erzählt der 40-Jährige mit derdunklen Mähne und dem grau me-lierten Bart. Den ersten seiner Kolle-gen hat er mit den Erzählungen vonder CSA bereits neugierig gemacht.„Der hat gerade die zweimonatigeProbemitgliedschaft abgeschlos-sen.“

Maximal 200 Menschen kann derHof ernähren. Es ist also noch Platzfür rund 70 Mitglieder. Stange undseine Mitstreiter rechnen damit,dass der Betrieb in zwei Jahren vollausgelastet sein wird. Seit dem Startvor vier Jahren sind jedes Jahr rund30 Abnehmer dazugekommen.„Dieses behutsame Wachstum istgut für uns. Wenn es zu schnell ge-gangen wäre, hätte das die Planungschwerer gemacht.“

Überhaupt ist das die Stärke desModells CSA: Es funktioniert auchohne ständiges Wachstum. Diesechs Schweine und 150 Hühner desHofes würden in einem konventio-nellen Mastbetrieb zusammenge-pfercht. Hier haben die Schweineein ganzes Waldstück für sich, die

Hühner eine große Wiese. „Für michhat die Arbeit als CSA-Bauer einepolitische Dimension“, sagt Stange,während er die Insekten-Netze überden Gemüsebeeten kontrolliert.„Die sich ständig verschärfendenglobalen Probleme zeigen deutlich,dass das Streben nach immer weite-rem Wachstum ein Irrweg ist.“ Des-halb sei die Nische der CSA-Höfe – inden USA gibt es mehr als 1500, inDeutschland ein gutes Dutzend –auch eine Demonstration. „Wir zei-gen, dass auch andere Modelle desWirtschaftens möglich sind, wennman nur will.“

Dass die Idee von CSA sich nurzögerlich ausbreitet, obwohl sie inden USA und Europa schon seit den80er Jahren bekannt ist und in Ja-

pan seit den 60ern praktiziert wird,hat nach Stanges Erfahrung viel mitVorbehalten der Verbraucher zutun. Wissenschaftliche Untersu-chungen über CSA bestätigen das:Demnach schreckte viele Interes-senten ab, dass sie sich für längereZeit festlegen müssten, einen festenBetrag für die Lebensmittel zu be-zahlen. Dazu komme das Risiko, imZweifelsfall für Missernten und an-dere Unwägbarkeiten in der Land-wirtschaft geradestehen zu müssen.

Dass das Modell aber nur etwasfür Besserverdiener sei, mag Stangenicht glauben. „Wir haben auch Mit-glieder, die nicht viel Geld haben.Die Frage ist doch eher, was einemwichtig ist, wofür man sein Geldausgibt.“

Eine Praktikantin kümmert sich um die Hühner. Das Gemüse wird vor Abholtagen frisch geernet. Generationentreff im Freien.

Kenneth Stan-ge (40) ist ei-ner der Land-wirte des CSA-Hofs „Entrup119“.

Der Trecker war kaputt; da habendie Kunden kurzerhand einenneuen organisiert

Page 4: FR - Deutschlandausgabe vom 10. Mai 2011 · – Ernährung in der Krise“ statt. Kooperationspartner des Ministeriums ist die VDW, eingeladen sind Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft

Geht auch oben: „Urban Gardening“ auf einem Dach in Chicago (USA). MARK MAHANEY/LAIF

ERNTEHELFER (3)

Anwältinder FrauenVictoria Tauli Corpuz ist Direk-

torin der von ihr gegründetenphilippinischen Tebtebba-Stif-tung, eines Forschungszentrums,das sich für die Belange indigenerVölker einsetzt und eine eigeneindigene Wissenschaft und For-schung befördert. Von 2005 –2010 war sie Vorsitzende des UN-Gremiums für indigene Völker.Nach einer international ge-bräuchlichen Definition bezeich-net der Begriff „indigen“ margina-lisierte, also am Rand der Gesell-schaft lebende Bevölkerungs-gruppen,deren Vorfahren in derZeit vor Eroberung, Kolonisationoder der Gründung eines Staatesin der Region lebten. Zu dieserDefinition gehört auch, dass sichdie „Indigenen“ selbst als eigen-ständiges Volk verstehen und ihreeigenen sozialen, wirtschaftli-chen und kulturellen Institutio-nen beibehalten.Auf internationaler Ebene trittVictoria Tauli Corpuz für die Er-nährungssouveränität dieser„Völker ohne eigenen Staat“ einund dort besonders für die Rechteder Frauen.

Hinter dem Begriff Ernährungs-souveränität steckt ein Konzept,das die Entscheidung über Anbauund Einfuhr von Nahrungsmittelnden jeweiligen Gemeinschaftenüberträgt, verbunden mit dem po-litischen Mandat, über Landwirt-schaftspolitik, Landrechte unddergleichen selbst zu bestimmen.Es geht also um Rechte, die gera-de für indigene Frauen von erheb-licher Bedeutung sind.Staatliche Förderprogramme inLändern des Südens unterstützenvorwiegend die industrielle Land-wirtschaft, die auf die kulturellenund sozialen Bedingungen der In-digenen wenig Rücksicht nimmt.Ganz anders die nachhaltige, öko-logische Landwirtschaft, die nachtraditionellen Anbaumusternwirtschaftet. Hier spielen Fraueneine wichtige Rolle als Hüterin-nen des Wissens in Bezug auf tra-ditionelles Saatgut. Sie kennensich mit der Lagerung aus, sie ha-ben die Kenntnisse, um je nachBoden, Niederschlag oder Mikro-klima die richtigen Sorten auszu-wählen. Auch auf dem Gebiet dernachhaltigen Wassernutzung imHaushalt und auf den Feldern ha-ben Frauen einen reichen Schatzan Erfahrungswissen.Victoria Tauli Corpuz, die selbstdem Volk der Kankana-ey Igorotentstammt, verleiht diesen Frau-en eine Stimme. Schon Ende der70er Jahre, nach ihrer Ausbildungzur Krankenschwester und vordem geisteswissenschaftlichenStudium, engagierte sie sich inder Basis-Gesundheitspflege ihrerHeimatregion. Heute ist sie als Be-raterin und Aktivistin internatio-nal unterwegs. Vor allem als An-wältin für das Ideal einer selbstbe-stimmten und auskömmlichen Er-nährung für alle.

Victoria TauliCorpuz enga-giert sich für dieRechte der in-digenen Völkerauf den Philip-pinen undweltweit. AFP

ERNTEHELFER (4)

Dem HungerentkommenSpricht Tewolde Berhan über

Ernährungssicherheit, so tuter dies aus eigener Betroffenheit.Als Sohn einer kleinbäuerlichenFamilie aus dem Norden Äthiopi-ens, einer Region, die man wiekaum eine andere mit dem ThemaHunger verbindet, war er schonfrüh mit den Schrecken des Krie-ges und den daraus resultieren-den Ernährungsnöten konfron-tiert. Eine tiefe Erkenntnis entwi-ckelte sich im Laufe der Jahre ausdiesen Erfahrungen zu Beginn sei-nes Lebens: Ein System ist nurdann überlebensfähig, wenn esstabil ist.Als Biologe glaubt Berhan an einestete Evolution aller Lebewesen –einschließlich der menschlichenSpezies. Einer der Kerngedankendieser Evolution ist das Überlebender am besten angepassten Le-bensformen gemessen am Gradihrer Fähigkeit, sich zu ernähren.Aus diesem Grund wird sich sei-ner Ansicht nach die Menschheitstets Gedanken zur Ernährungssi-cherung und Überwindung desHungers machen.

In den letzten 10 000 Jahren wardie grundlegende Überlebens-strategie die Landwirtschaft, diesich nach natürlichen Zyklen undVorgaben richtete – eingepasst inein stabiles System aus Erde, Luft,Wasser, Licht und Lebewesen.Heute stellen Berhan und vieleandere die Frage: „Kann diese ver-gleichsweise neue Strategie, dieindustrielle Landwirtschaft mitihren chemischen Hilfsmitteln,die Ernährung auch für die nächs-ten 10 000 Jahre übernehmen?“Antwort: Nur wenn sie zu einemstabilen System beiträgt.Aus der Überzeugung heraus,dass die industrielle Landwirt-schaft die nötige Stabilität nichtgewährleisten kann, weil sie nie-mals die Komplexität eines natür-lichen Ökosystems erreichen wirdund bestehende Systeme sogarzerstört, startete Tewolde BerhanProjekte, die bäuerliche Gemein-schaften zur Wiederbelebung ih-rer eigenen Dorfstrukturen ermu-tigten. Er riet ihnen, Kompostselbst herzustellen und zu nutzenund traditionelles Saatgut zu ver-wenden. Auf diese Weise wurdenstabile soziale und ökologischeSysteme wieder hergestellt.Tewolde Berhan Gebre Egziabherist Generaldirektor der Äthiopi-schen Umweltschutzbehörde undMitglied des Expertengremiumsim Komitee für Ernährungssicher-heit der UN-Landwirtschaftsorga-nisation FAO. Für seine Bemühun-gen zum Schutz der biologischenVielfalt und der traditionellenRechte der Bauern an ihren gene-tischen Ressourcen bekam er imJahr 2000 den Right LivelihoodAward, den „Alternativen Nobel-preis“. Heute eröffnet er mit sei-ner Rede zur Welternährungssi-cherung das Forum Globale Fra-gen im Auswärtigen Amt.

TewoldeBerhan GebreEgziabhersetzt sich inÄthiopien fürnachhaltigeProduktion ein.RLA FOUNDATION

Der Kürbis vom MittelstreifenKein Fleckchen zu klein, kein Pflaster zu hart: Das Gärtnern in der Stadt hat Konjunktur

Von Stephan Börnecke

Ganz verschwunden war dasHobby-Gärtnern natürlich

nie. Es ist wie mit dem Landlebenüberhaupt: Alle paar Dekadenwird die Flucht aufs Land neu er-funden. Vor fast 100 Jahren flo-hen die jungen Stadtmenschenauf die Kuppen der Rhön. In den70er Jahren des vergangenenJahrhunderts entdeckten sie denSchwarzwald, und heute scheintdie Uckermark nördlich Berlinsdas Ziel der Wünsche zu sein.

In ähnlichem Rhythmus wirdauch der Garten wieder ent-deckt. Und sei es der auf dem Bal-kon, denn viele Kleingärten wur-den den ausufernden Woh-nungs-, Reihenhaus- und Stra-ßenbauten geopfert. Zubetoniertund nur an wenigen Stellen neuerschaffen. Und wo das Gärtnernillegal auf landwirtschaftlichenFlächen geschah, da reißen ei-nem die Behörden Zäune undHütten gleich wieder ein.

Gärtnern wird den Menschennicht leicht gemacht. Doch dieSaat keimt stets aufs Neue. Undzwar heute auch an Stellen undÖrtchen, auf die zuvor allenfallssteril denkende Landschaftsar-chitekten gekommen waren, dieihr Heil im Pflanzen von Thuja-und Kirschlorbeer-Einheitsgrünzu sehen scheinen.

Eigentlich, so schrieb jüngstauch FR-Autorin Andrea-MariaStreb, gehörte Gärtnern stets zuden beliebtesten Hobbys inDeutschland. Heute seien gar die„Gartenzwerge gesellschaftsfä-hig geworden“. Recht hat sie, nurdie Methoden haben sich geän-dert. Wenigstens örtlich.

Es gibt Buchautoren, die be-haupten, dass das Ende des Öl-zeitalters die Grenzen zwischenStadt und Land aufbrechen wer-de: Urban Gardening, GuerillaGardening, Community Garde-ning, das sind die neuen Stich-worte. Alles sehr unterschiedli-che Ausprägungen gärtnerischenTuns, die aber alle von einer Ideegeprägt sind: Lebende, lebendigePflanzen säen, wachsen sehenund manchmal auch noch ern-ten.

Der Oekom-Verlag kündigtsein von Christa Müller heraus-gegebenes Buch zum Urban Gar-dening, also zum Gärtnern in derStadt, so an: „Beim Anbau vonTomaten und Karotten suchendie Akteure der neuen Gartenbe-wegung die Begegnung mit derNatur – und mit Gleichgesinnten.Sie gestalten gemeinschaftlicheinen innerstädtischen Naturer-fahrungsraum, beleben dieNachbarschaft, essen zusammenund empfehlen sich der Kommu-nalpolitik als kompetentes Ge-genüber in Sachen Stadtpla-nung.“

Da keimt also die Wiederbele-bung des Selbermachens, wenneine witzige Art von Landleben indie Städte einzieht, ob in Berlin,München, Köln oder Wien. Aberums Säen, Pflanzen und Erntenvon Gemüse und Obst geht esnicht allein. Am deutlichstenwird dies im Internet auf der Ur-Site der Bewegung, der Hompagewww.guerillagardening.org, er-kennbar. Da werden, etwa inLondon, zigtausende Sonnenblu-men überall in der Stadt gesetzt,und es werden vor allem allemöglichen und (fast) unmögli-chen Orte erkoren, um drögesGras durch bunte Blumen zu er-setzen.

Keine von Hunden verunzier-te Baumscheibe scheint zu kleinoder dreckig, um nicht doch noch

ein paar Krokusse oder Tulpenunterzubringen, kein Mittelstrei-fen zu verkehrsumtobt, um nichtdoch von einem vertrocknetenRasen in ein buntes Beet verwan-delt zu werden (Northampton).Keine Pflasterung, zum Beispielin San Diego, USA, gilt als zu wi-derstandsfähig, um nicht nachund nach heimlich aufgebrochenund mit allerlei Grünzeug be-pflanzt zu werden.

Im schwedischen Lundschnappten sich zwei Kinderzwei Dutzend Stiefmütterchenund pflanzten sie entlang einerHecke auf dem Spielplatz: „DasGanze hat 30 Minuten gedauert,und keiner hielt an und fragteuns, was wir da tun“, lautete derKommentar zu einer Arbeit, ge-tan allein in der Hoffnung, „auchandere hätten Spaß am Anblickder Pflanzen“.

Eher protzig trieben es einpaar Italiener, die auf einer Mit-telinsel am Stadteingang im ita-lienischen Pezzano einen Kürbisheranreifen ließen, der, an einemkalten Oktobertag vor eineinhalbJahren, in einer Nacht- und Ne-belaktion, geerntet und gewogenwurde: Das „Symbol von Pezza-no“ brachte 46 Kilo auf die Waa-ge.

Mit den Klein- und späterenSchrebergärten, die vor fast 200Jahren gegründet wurden, hatdas wenig zu tun. Oft als Armen-gärten oder Gärten für Fabrikar-beiter gegründet, trugen sie zumLebensunterhalt bei. Heutemischt sich, wenigstens beimGuerilla Gardening, eher eineLust am zwinkernden Aufbegeh-ren darunter, wie die 71-jährigeElise aus Paris meint: Es entspre-che schlicht ihrer Natur, unab-hängig und gegen jede Form vonKonformismus zu handeln. Alsoeine stille, aktive Revolte gegenstaatliches, verordnetes Planenund Handeln?

Heute „generiert der Gartenneue Wohlstandsmodelle, aberauch neue Formen der Politik“,schreibt Christa Müller. Sie ver-weist auf die Gattin des US-Präsi-denten, auf Michelle Obama. Sieplauderte in einer Videoanspra-che zur Eröffnung der Jahreskon-ferenz 2010 der American Com-munity Gardening Associationaus, dass sie bei jedem Staatsbe-such zuallererst nach dem Standder Dinge im Gemüsegarten desWeißen Hauses gefragt wird. Mi-chelle Obama hat dort GemüseMarke Eigenanbau samt den an-gedockten Themenfeldern wieGesundheit, Gemeinschaft undLocal Food auf die Agenda ge-setzt.

Kehrt aber deshalb gleich dieLandwirtschaft in die Städte zu-rück?

Tatsächlich besteht eine wach-sende Vielfalt von neuen urba-nen Gartenaktivitäten, ebensowie ihre begeisterte mediale Re-zeption, meint Müller. Bis vorkurzem noch galt der Gemüse-garten – zumal in den Großstäd-ten – lediglich als Relikt längstvergangener Zeiten. Und plötz-lich verkaufen sich Nutzpflanzenbesser als Ziersträucher, entde-cken immer mehr Städterinnenund Städter „die neue Lust amGärtnern“, wie auch der Titel ei-nes Beitrags im ZDF-Magazin as-pekte lautete.

Genau in dieser Lust liege eineChance, glaubt AgrarexperteFrieder Thomas zu erkennen:Diese Art urbaner Landwirt-schaft könne nämlich einen Bei-trag leisten für eine andere Kul-tur unserer Wertschätzung vonLandwirtschaft und Ernährung.

Säen, wachsen sehen, ernten:Die Grenze zwischen Stadtund Land bricht langsam auf Die Macht der Reisbauern

Wie das philippinische Netzwerk Masipag die Armut der Landbevölkerung bekämpft

Von Maurice Farrouh

Die Verwerfungen der globa-len Nahrungsproduktion

sind nicht unumkehrbar. Dass einGegensteuern, auch von unten,möglich ist, das zeigt seit 25 Jah-ren und vom Westen beinahe un-bemerkt das philippinische Bau-ernnetzwerk Masipag.

Mitte der 80er Jahre ist die Si-tuation der philippinischen Bau-ern katastrophal. Im Zuge der„grünen Revolution“ haben sieihren Reisanbau auf industrielleHochleistungssorten umgestellt.Doch die Erträge bleiben unter

den Erwartungen. Misserntenund hohe Kosten fressen die Erlö-se auf. Denn die Retortensaat ausdem Labor ist anfällig, die Bau-ern müssen Schädlingsbekämp-fungsmittel kaufen, die sie nurüber Kredite finanzieren können.Tausende Bauernfamilien rut-schen in die Schulden.

Masipag schafft es, die Ab-wärtsspirale zu durchbrechen.Bauern und Wissenschaftler desNetzwerks sammeln 750 alteReissorten und stellen den An-bau wieder um – Biodiversitätstatt Monokultur. Die Bauernwerden so wieder unabhängig

von teurem Saatgut, Dünger undPestiziden der Großkonzerne.Sie kreuzen die alten Reissortenund entwickeln so mehr als 500neue Linien, die nicht nur wider-standsfähig und ertragreich sind,sondern auch den regionalen Be-sonderheiten ihres Anbaugebietsangepasst.

Heute sind mehr als 35 000Bauern bei Masipag organisiert.Das Einkommen der Bauern aufder Hauptinsel Luzon hat sichfast verdoppelt. Inzwischen wur-de das Konzept vom Reisanbauauf Mais ausgeweitet. Die Arbeitvon Masipag, die vom katholi-

schen Hilfswerk Misereor geför-dert wird, hilft den Bauern desInselstaates auch, die inzwischendeutlich spürbaren Folgen desKlimawandels abzufedern. Weildie Bauern verschiedene Früchteund Sorten anbauen, wird beiStürmen und Überschwemmun-gen meist nur ein Teil der Erntevernichtet. Salzresistente Reis-sorten können gar mehrtägigeÜberflutungen mit Meerwasserüberstehen.

Andere Länder in der Regionsind jetzt dabei, das Konzept zuübernehmen.www.masipag.org

Gutes Klima mit Gras und KuhWer aus Wiesen Felder macht, zerstört Humus und sorgt für schädlichen CO2 -Ausstoß

Von Stephan Börnecke

Ein schöner Gedanke: Landwirt-schaft im natürlichen Kreislauf,alle frei werdenden Klimagasewerden über die Photosynthesewieder gebunden. Doch davon istder Landbau heute weit entfernt.

Nicht nur der Treibstoffver-brauch trägt zum Ungleichge-wicht bei, sondern etwa auchHerstellung und Einsatz von syn-thetischen Düngern sowie derUmbruch der Äcker: Zwar ist imBoden etwa doppelt so viel Koh-lendioxid (CO2) gespeichert wiein der Atmosphäre. Werden Wie-sen oder Wald aber in Felder um-gepflügt, wird der im Humus ge-bundene Kohlenstoff wieder frei.35 Prozent des Humus geht alsGas in die Atmosphäre, habenForscher des bundeseigenen Jo-hann Heinrich von Thünen-Insti-tuts herausgefunden.

Derzeit gehen Jahr für Jahrrund 70 000 Hektar Wiese durchUmbruch verloren. Das ist eineFolge der Intensivierung derLandwirtschaft, die etwa Mais imgroßen Stil für Biogasanlagenoder fürs Viehfutter anbaut. Inden letzten zehn Jahren ist dieAnbaufläche von Silomais fürFutter und Biogasfermenter um30 Prozent gewachsen, hat dasStatistische Bundesamt ermit-telt. Tendenz: weiter steigend.

Deshalb warnte auch der wis-senschaftliche Beirat Agrarpoli-tik der Bundesregierung kürzlichvor einer großflächigen Ausdeh-nung des Anbaus von Pflanzen

für Bioenergie: Er habe nicht nurden Verlust von Wiesen zur Fol-ge, sondern führe wegen der In-tensivierung der Landwirtschaftzu erhöhten CO2-Emissionen,aber nicht nur das: Auch Lachgaswerde zusätzlich frei, und das istweit klimaschädlicher als Koh-lendioxid. Es richtet nicht 25 Malmehr Schaden an als Kohlendi-oxid (wie das Methan der Rin-der), sondern das 295-Fache.

Die Folge des Biospritwahnskönnte also sein, dass die Aus-dehnung des Anbaus entspre-chender Pflanzen „im Endeffektsogar kontraproduktiv für denKlimaschutz“ sein könne, warnteder Beirat 2008.

Weltweit, haben die Forscherdes Instituts errechnet, gehenJahr für Jahr 20 Prozent der vomMenschen verursachten Treib-hausgase auf das Umpflügen derWiesen und das Abholzen vor al-lem der Tropenwälder zurück.Eine beträchtliche Menge, zumaldie Wiederherstellung von Wie-sen und Wäldern nur sehr lang-sam abläuft und erst über einenZeitraum von vielen JahrzehntenErfolg hat. Diesen zeitlichen Ef-fekt, so der Braunschweiger Wis-senschaftler Christopher Poe-plau, hätten die bisherigen Studi-en stets ignoriert.

Der Ansatz, Kohlenstoff inneuem Humus zu binden, hat al-so Grenzen: So glaubt DietrichSchulz, Bodenexperte beim Um-weltbundesamt, dass zwar dieUmstellung auf Ökolandbau undpfluglose Bodenbearbeitung denHumusgehalt im Boden erhöhenund damit Kohlenstoff aus derAtmosphäre binden könnten.Dieser Effekt sei aber dann been-det, wenn ein Gleichgewicht zwi-schen Ein- und Austrägen durchdie Ernte erreicht sei.

Wichtiger sei es, dafür zu sorgen,dass kein weiterer Humus verlo-ren geht, sagt Schulz. So solltenetwa Stroh und die Blattmasseder Zuckerrüben auf dem Ackerbleiben. Auch eine Anreicherungder Böden mit Kompost gilt alsmöglicher Weg.

Humus lässt sich ebenfalls bil-den, wenn Festmist und Gülle aufden Acker kommen. Gerade derRückgang der Rinderhaltung inden vergangenen Jahren, heißtes allerdings beim StatistischenBundesamt, „schwächt das Po-tenzial zur Humusproduktion“.

Der Grund: Mist und Gülle vonder Kuh können deutlich mehrHumus im Boden aufbauen alsflüssige Jauche aus der Schwei-ne-Intensivmast.

Eine Entkräftung der gerneverbreiteten These vom „Klima-killer Rind“? Anita Idel, Tierärz-tin und Mitverfasserin des Welt-agrarberichts, zeigt in ihremBuch, „Die Kuh ist kein Klima-Kil-ler“ Zusammenhänge auf, diegerne übersehen werden. Dennalle Untersuchungen zeigten: Jeintensiver die Tierhaltung, destohöher die Lachgas-Emissionen.Vor allem aber sind Rinder dieidealen Grasverwerter, und Gras-land speichert mehr als ein Drit-tel des globalen Kohlenstoffs.

Wird Grünland umgepflügt,damit etwa Mais für Biogasanla-gen wächst, dann führt das durchden Humusabbau zu horrendenKohlenstoffverlusten. Der Mais-anbau „frisst“ jedes Jahr eine hal-be Tonne Humus, zitiert Idel dieLandwirtschaftskammer ausNordrhein-Westfalen. Eine Ton-ne Humus aber speichert 3,67Tonnen CO2.

Das hatten auch britische For-scher bei einem Vergleich vonGerstenfeldern und Wiesen fest-gestellt: Unter der Gerste ver-schwand binnen drei Jahrzehn-ten ein Drittel der Biomasse,beim Grünland hingegen nahmsie um die Hälfte zu. Idels Fazit:Nur eine nachhaltige Kreislauf-wirtschaft, die Humus schafft,statt ihn zu vernichten, ist klima-schonend.

Sind Wälder und Wiesen ersteinmal vernichtet, ist Abhilfemühsam und dauert zu lange

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Der Gemüsegarten lebt:Nutzpflanzen verkaufen sichbesser als Ziersträucher

Ist der Humus erst weg,hilft oft nur Kompost.PETEGA/ISTOCKPHOTO

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GASTBEITRAG

Eine Agenda des WissensDie Agrarforschung sitzt seit je-

denfalls 60 Jahren zwischenBaum und Borke. Einerseits ver-spricht sie immer wieder Lösun-gen für Hunger und Mangeler-nährung. Andererseits muss sieangesichts von korrupter Politik,Krieg, Landflucht, HIV/Aids undKlimaveränderung ihre begrenz-ten Möglichkeiten einsehen.

Einerseits predigt sie einenWeg der Modernisierung mit ho-hen Maschinen-, Energie- undChemieeinsätzen, andererseitsmuss sie zugeben, dass dieser Wegden 85 Prozent der bäuerlichenBetriebe auf der Erde nicht hilft,die mit Nutzflächen von etwazwei Hektar arbeiten.

Was also wären Aufgaben undForschungsgebiete der Landwirt-schaftswissenschaften im Sinneeiner langfristig sozial und um-weltgerechten Entwicklung?

Ein Blick auf die heutige Situati-on: Die zehn am meisten ange-bauten Nutzpflanzenarten erge-ben fast 90 Prozent der statistischerfassten Weltproduktion. Diezüchterische Bearbeitung undForschung befasst sich nahezu ex-klusiv mit diesen (markt-)gängi-gen Arten. In Europa und Nord-amerika sind dies vor allem Wei-zen, Gerste, Raps, Zuckerrübeund Mais; weltweit kommen Soja,Reis und Baumwolle hinzu.

Hauptgründe für die Konzen-tration auf so wenige Arten sinddie Subventionen in den OECD-

Ländern (etwa 250 Milliarden Eu-ro im Jahr) sowie die Rationalisie-rung und Industrialisierung vonAnbau und Verarbeitung. Hinzukommen Entwicklungen wie dieUrbanisierung und die Beherr-schung des Lebensmittel-Einzel-handels durch eine Handvollweltweit arbeitender Konzerne.

Aus der Geschichte des Land-baus und der Hungerkrisen wis-sen wir, dass in Gesellschaften,die sehr stark von einzelnen Artenabhängig waren, Hungersnöteund Desaster dadurch verstärktworden sind. Global wie lokal istdurch eine begrenzte Sicht auchin der Forschung enormes Wissenverlorengegangen, das über Jahr-tausende in einer kleinräumigen,kreislauforientierten Landwirt-schaft aufgebaut und tradiertworden war.

All dies hat der Weltagrarbe-richt zusammengetragen. Er hatzugleich Wege gewiesen, wie wirzukünftig (wieder) besser mit un-seren Lebensgrundlagen umge-hen könnten. Ein zentraler Punkteiner nachhaltigen Landwirt-schaft ist die bessere Nutzung derProduktivität von Böden, sei esdurch Sortengemische oder auchverschiedene Arten, deren Be-dürfnisse einander ergänzen.

Solche Praktiken können invielen Teilen der Welt beachtlicheErgebnisse vorweisen. So habenbeispielsweise Untersuchungen in52 Ländern Afrikas, Asiens undLateinamerikas gezeigt, dassnachhaltige Landwirtschaft fürneun Millionen Bäuerinnen undBauern auf etwa 29 MillionenHektar Land Ertragssteigerungenbis zu 150 Prozent, eine Steige-

rung der Artenvielfalt und dieSicherstellung einer ausgewoge-nen Ernährung bewirken kann.

Eine weitsichtige und problem-lösungsorientierte Betrachtungs-weise, die Armutsbekämpfung,Revitalisierung ländlicher Räumeund Nachhaltigkeit ernst nimmt,führt zu wichtigen Anforderun-gen an die Forschung. Entschei-dend ist eine standortgerechteEntwicklung, die eine Abkehr vonfossiler Energie einschließt undzugleich die sozialen, ausbil-dungsbezogenen und gesundheit-lichen Elemente einbezieht.

Es gibt allerdings nicht eineschlaue Lösung, die dann nurnoch überallhin übertragen wer-den müsste, sondern es gibt räum-lich, sozial und kulturell geprägteLösungsmöglichkeiten. Forschun-gen in dieser Perspektive sind des-halb immer standortbezogen,praxisorientiert und partizipativ.Wichtige Bestandteile sind• die züchterische Bearbeitungzusätzlicher Arten (alt und neu)bei Getreide, Gräsern, Legumino-sen, Obst, Gemüse,• Fruchtfolgeforschung zur Opti-mierung von Fruchtbarkeit undProduktivität der Böden, ein-schließlich Pflanzen zu energeti-schen Verwendungen,

• Kreislaufsysteme von Pflanzen-bau und Tierhaltung,• Untersuchung und Dokumenta-tion traditioneller Landnutzungs-formen,• Forschungen zu einer natur-und sozialverträglichen Vertei-lung von Flächennutzungen zwi-schen Lebensmitteln und nach-wachsenden Rohstoffen für Ener-gie- oder Materialzwecke,• Forschungen zu Rahmenbedin-gungen und Verfahren der gesell-schaftspolitischen Gestaltung ei-ner Politik der naturgerechtenLandnutzung,• vergleichende Analyse und Be-wertung unterschiedlicher Her-stellungsprozesse und -verfahrenfür Lebensmittel vom Feld oderStall bis zum Teller unter ökologi-schen, ernährungsphysiologi-schen und sozialen Aspekten,• Forschungen zum Einsatz vonMedikamenten auf pflanzlicherBasis (Wild- wie Kulturpflanzen).

Wenn man eine solche For-schungsagenda mit den Konzep-ten der Europäischen Technolo-gieplattform Plants for the Futurevergleicht oder auch mit demGroßteil der staatlichen Förder-programme in Deutschland, sosticht die Diskrepanz von Zielenwie Methoden stark ins Auge.

Gut 20 Jahre hat es gedauert,bis die Erkenntnisse zum Klima-wandel im Inneren von Politikund Gesellschaft angekommensind. Hoffentlich dauert es bei derLandnutzung, von der wir alle le-ben, nicht gar so lang.

Dr. Stephan Albrecht, Chemiker und Po-litologe, ist wissenschaftlicher Leiter desProjekts „Zukunft der Ernährung“.

Nachhaltige

Entwicklung

braucht neue

Ansätze in der

Forschung.BM

Z

Auch die Forschung hat sichviel zu lange auf einige wenigePflanzenarten konzentriert

Traditioneller Anbau bringt oft mehr Ertrag als die industrialisierte Landwirtschaft: Weizenbauer in Algerien. LOUAFI LARBI/RTR

MEHR IM INTERNETProjekt Zukunft der Ernährung:www.zukunftderernaehrung.org

Deutsche Bundesstiftung Umwelt:www.dbu.de

Weltagrarbericht (IAASTD):www.weltagrarbericht.de/

Protest gegen Agrarfabriken und fürbäuerliche Landwirtschaft:http://meine-landwirtschaft.de/

Nachhaltige Fischerei:www.wwf.de/themen/meere-kues-ten/fischerei-und-fischzucht/fischerei/

Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt(Pflanzenpatenschaften u.a.):www.nutzpflanzenvielfalt.de/www.arche-noah.at/etomite/

Slow-Food – mehr Genuss beimEssen: www.slowfood.de/

Greenpeace und Landwirtschaft:/www.greenpeace.de/themen/

Urban Gardening Berlin:http://prinzessinnengarten.net/

Schulgärten:www.aid-macht-schule.de/

Saisonales und Wildes zum Essen:www.nabu.de/oekologischleben/essenundtrinken/

Wasserverbrauch:www.virtuelles-wasser.de/

Buko Agrarkoordination, Forum fürinternationale Agrarpolitik:www.bukoagrar.de/

Utopia-Portal zu nachhaltigemKonsum: www.utopia.de/

Obst zum Selbstpflücken:http://www.mundraub.org

Bienenpatenschaft bei Mellifera:www.mellifera.de/

Gentechnikfreie Kommunen:http://www.gentechnikfreie-regionen.de/aktiv-werden.html

„Community Supported Agriculture“:www.entrup119.de/gaertnerhof/csa.php

STEPHAN ALBRECHT