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1 UniversitätsKlinikum Heidelberg Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen Neurowissenschaften in der Psychosozialen Medizin Sabine C. Herpertz, Heidelberg Heidelberger Symposium am 4.4.2014 Psychosoziale Medizin in der Gegenwart und Zukunft

Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen

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Page 1: Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen

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UniversitätsKlinikum Heidelberg

Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen

Neurowissenschaften in der Psychosozialen Medizin

Sabine C. Herpertz, Heidelberg

Heidelberger Symposium am 4.4.2014Psychosoziale Medizin in der Gegenwart und Zukunft

Page 2: Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen

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UniversitätsKlinikum Heidelberg

Frühe Interpersonelle Traumatisierung (FIT) - Prävalenz

Stoltenborgh et al., 2011

Deutschland (Grundgesamtheit 2500 Personen)6.6% schwere emotionale Vernachlässigung 1.6% emotionaler Missbrauch2.8% körperliche Misshandlungen 1.9% sexueller Missbrauch

Hauser et al. 2011

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UniversitätsKlinikum Heidelberg

FIT & psychische Erkrankungen

32,4%44,0%

84,0%

54,0%

32,4%21,0%

0,0%

20,0%

40,0%

60,0%

80,0%

100,0%Frühe interpersonelle Traumatisierung (FIT)

Bedeutsamster Prädiktor für die Lebenszeitdiagnose einer psychischenErkrankung, auch nach Kontrolle demographischer Faktoren und anderernegativer Umwelteinflüsse

Teicher & Samson 2013, Zanarini et el 2000

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Hypothese: „Ecophenotypic Variants“

• Interpersonelle Traumata in der frühen Kindheit führen zu „EcophenotypicVariants“ als klinisch und neurobiologisch distinkte Subtypen

• auf Grundlage von gemeinsamen Krankheitsmechanismen• mit differentiellen Unterschieden in Abhängigkeit von Trauma-Merkmalen

(Typ, Schweregrad, Beginn, Zeitpunkt der Hirnentwicklung) und genetischen wie umweltbedingten Risiko- und Resilienzfaktoreneinschließlich ihren epigenetischen Einflüssen auf die Hirnentwicklung,

• die einen spezifischen therapeutischen Zugang erfordern.

Page 5: Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen

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UniversitätsKlinikum Heidelberg

Der „FIT Ecophenotyp“ als klinisch distinkter Subtyp

• Hohe Bedrohungssensitivität • Schlechte Emotionsregulation, Impulsivität• Unsicherer Bindungsstil• sozial Annäherung wird nicht als belohnend erlebt,

fehlende Erwartung der Unterstützung durch Andere• Kognitive Mentalisierungsschwäche• Schlechtes Selbstkonzept, niedriger Selbstwert

Teicher & Samson Am J Psychiatry 2013

Page 6: Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen

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UniversitätsKlinikum Heidelberg

FIT & biologische Stressreaktionen auf Bedrohung - neuronales Netzwerk

Teicher & Samson2013

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UniversitätsKlinikum Heidelberg

FIT & Hirnstruktur & -funktion

� Strukturelle und funktionelle Veränderungen

– reduziertes Volumen im Hippocampus – strukturelle Veränderungen im Corpus Callosum: Volumenminderungen (z.B. de

Bellis et a. 1999, 2002) und verminderte Integrität in DTI (z.B. Teicher et al. 2010)– Strukturveränderungen im präfrontalen Kortex (ACC, dlPFC, OFC, sensoric

cortex) (z.B. Kitayama et al., 2007, van Harmelen et al., 2010; Vermetten et al., 2006)

– amygdaläre Hyperreaktivität für negative Gesichter bei Depressiven mit, nicht aber ohne Trauma (Grant et al., 2011)

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UniversitätsKlinikum Heidelberg

Bedrohungshypersensitivität bei der Borderline Persönlichkeitsstörung

Intensity of Anger (%) in Angry:Happy facesIntensity of Anger (%) in Angry:Happy faces

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

20% 40% 60% 80%

„An

ge

r"(%

)

****

**

*

**800

900

1000

1100

1200

1300

1400

1500

1600

20% 40% 60% 80%

BPD

HC

Re

act

ion

Tim

e (

ms)

**

**

**

*

*

Izurieta et al. in Vorb.

Latenz initialerSakkaden

% der Sakkadenzur Augenregion

Bertsch et al. 2013

Meta-Analyse - Daros et al. 2012

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Affektregulationstörung bei der Borderline Persönlichkeitsstörung

initial

18

Neubewertung

Schulze et al. Biol Psychiatry 2011, Prehn et al. WJP 2013

Ablenkung

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1010

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Bedrohungshypersensitivitättransnosologisch

• Bei der Borderline P.S. führen nicht bewusst wahrgenommene Bedrohungsreize zu einem automatischen Aufmerksamkeits-Shift via thalamo-amygdalarem Pfad.

• Hinweise, dass defizitäre Kontrollmechanismen dazu führen, dass die Aufmerksamkeit nicht von Bedrohungsreizen abgezogen werden kann, via prä/orbitofronto-amygdalarem Pfad.

• Ganz ähnliche Befunde wie bei Angststörungen: automatischer Aufmerksamkeits-Shift auf Bedrohungsreize, anhaltende Aufmerksamkeit für Bedrohungsreize nur bei PTSD, nicht bei Phobien.

• Diese Befunde finden sich nicht bei Depressionen, aber Zusammenhang mit FIT-Subtyp nicht untersucht.

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FIT, Bindungsstil & Neuronale Korrelate (Vrticka & Vuilleumier 2012)

?

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Soziale Belohnung, Bindungsstil& Mutter-Kind Interaktion

Unterschied zwischensicheren und unsicherem

Bindungsverhalten

Strathearn et al. 2009

Hirnaktivität in Reaktion auf glückliches und trauriges Gesicht des eigenen Kindes

bei Müttern mit unsicherem (Typ A) vs. sicherem Bindungsverhalten (Typ B)

Page 13: Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen

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Oxytocin, Bindung & Mutter-Kind Interaktion

Diverse Mutter-Kind-Interaktionen

Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Region

Strathearn et al. 2009

Oxytocin-Sekretion u. Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Region während unterschiedlicher Mutter-Kind-Interaktionen

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Mütterliche Depression, Oxytocin & transgenerationale Transmission

Apter-Levy et al. 2013

Zusammenhang OXTR und FIT:G-Allel → soziale Hypersensitivität → negative Auswirkungen von FIT ↑A-Allel Träger → resilient gegen frühere Stresserfahrungen, keine Emotionsregulationsstörung, kein desorganisierter Bindungstyp

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Intergenerationale Transmission traumatischer Kindheitserfahrungen

� Traumatisierte Mütter zeigen in der Interaktion mit ihrem Kind:- reduzierte Kompetenzgefühle, mütterliche Sensitivität und empathische

Erziehung (Gara et al., 2000; Milner et al., 1995)

- erhöhte Impulsivität und Feindseligkeit (Lyons-Ruth & Block, 1996; Möhler et al., 2009)

- erhöhten subjektiven Stress (DiLillo & Damashek, 2003; Douglas, 2000)

- veränderte HHNA-Achsen Reaktivität auf kindlichen Stress (6-Monate) (Brand et al., 2010; Carpenter et al., 2007; 2010; Heim et al., 2000)

- verminderte periphere Oxytocinspiegel(Strathearn et al. 2009) Brand et al., 2010

20-30 % missbrauchter Kinder werden missbrauchende Eltern(Widom, 1998; Berlin et al. 2011)

Page 16: Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen

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Mentalisierungsschwäche bei chronischer Depression

Possible instructions/questions:

1st Pers. Persp. Visuospat.

Is the number of living beings

smaller (-) – equal (=) – greater

(+) compared to the previous

picture?

3rd Pers. Persp. Visuospat.

Is the number of living beings

perceived by the protagonist

smaller (-) – equal (=) – greater

(+) compared to the previous

picture?

1st Pers. Persp. Emotional

Do you feel worse (-) – equal (=)

– better (+) compared to the

previous picture?

3rd Pers. Persp. Emotional

Does the protagonist feel worse

(-) – equal (=) – better (+)

compared to the previous

picture?

Instruction

1st P.P.Emo.> 1rd P.P.Vis. 3rd P.P.Emo..> 3rd P.P.Vis.

3rd P.P.Vis..> 1st P.P.Vis. 3rd P.P.Emo.> 1rd P.P.Emo.

no sign. differences

kognitive Empathie

Schnell et al. 2011

Funktionelle Korrelate der kognitiven Empathie

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Kognitive Empathie : Aktivität ↓ im linken oberen temporalen Sulcus

X = -58 X = 34 Y = -12

Emotionale Empathie : Aktivität ↑ in rechter Insel

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BPS

KON

Dziobek et al. Neuroimage 2011

Mentalisierungsschwäche bei der Borderline P.S.

Page 18: Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen

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UniversitätsKlinikum Heidelberg

FIT & differentielles Ansprechen auf Therapie

• Depressive Patienten mit FIT zeigen ein schlechteres Ansprechen auf Psychopharmakotherapie als solche ohne FIT (Nemeroff et al. 2003)

• Chronisch depressive Patienten mit frühem Beginn (82% mit FIT) zeigen eine besseres Ansprechen auf CBASP (Fokus auf interpersonellem Lernen) als auf IPT (Schramm et al. 2011)

• Psychotherapie muss über eine störungsorientierte Psychotherapie hinaus auf die trauma-assoziierten Vulnerabilitäten fokussieren; dies erfordert einen Fokus auf die Herstellung einer therapeutischen Beziehung, die interpersonelles Lernen ermöglicht.

• Aufbauend auf die Identifizierung von Krankheitsmechanismen erscheint die Entwicklung einer Psychotherapie erfolgversprechend, die genau an diesen Mechanismen ansetzt.

Page 19: Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen

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UniversitätsKlinikum Heidelberg

Oxytocin und Bedrohung bei BPS

**

Presentation on Mouth

0

10

20

30

40

50

60

70

afraid angry happy afraid angry happy

% S

acca

des

to E

yes

BPDCON

Placebo Oxytocin

Oxytocin „normalisiert“ Geschwindigkeit und Anzahl der initialen Sakkaden auf die Augenregion während der Betrachtung ärgerlicher Gesichter bei BPS-Patientinnen

Placebo Oxytocin

* ** **

Latency of Saccades

0

100

200

300

400

500

afraid angry happy afraid angry happy

Lact

ency

(m

s)

BPDCON

% initialer Sakkaden auf die AugenregionLatenz initialer Sakkaden

Reaktionszeiten Group designN = 79, 38 BPD and 41 CON,follicular phase

Bertsch et al. Am J Psychiatry 2013

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2020

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Oxytocin und Bedrohung bei BPS

Oxytocin reduziert amygdalare Reaktivität auf ärgerliche Gesichter

x=-21, y=1, z=20

cont

rast

est

imat

e (a

.u.)

CON OT CON PLAC BPD OT BPD PLAC

angry happym

angry happy angry happy angry happym m m m m m m eeeeeeee

m (Mund)

e (Augen)

Bertsch et al. Am J Psychiatry 2013

Page 21: Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen

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UniversitätsKlinikum Heidelberg

Teufelskreislauf der Traumatisierung verstehen und durchbrechen

Sprecher: R. Brunner

Page 22: Frühes interpersonelles Trauma und affektive Erkrankungen

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UniversitätsKlinikum Heidelberg

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Katja

Bertsch

Ruth

Schmitt

Ilonca

Schmidinge

r

Natalie

Izurieta

Krisztina

Nagy

Falk

Mancke

Andrea

Sauter

Corinna

NeukelHaang

Jeung

Corinna Reck

Corinna Reck

Anna-Lena

Zietlow

Anna Fuchs

Anna

FuchsEvalEva Möhler

CharlotteHentze

Knut Schnell