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FRP Working Paper 05/2016 Warum Südtirol mit ‚Ja‘ gestimmt hat Die Südtiroler Autonomie im Kontext des italienischen Verfassungsreferendums von Melissa Goossens Dezember 2016

FRP Working Paper 05/2016 Warum Südtirol mit ‚Ja‘ gestimmt hat · 2016. 8. 12.  · der Reformen“ (Kitzler 2016) bezeichnet wurde, in gleicher Eile vom Senat hätte verabschiedet

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  • FRP Working Paper 05/2016

    Warum Südtirol mit ‚Ja‘ gestimmt hat

    Die Südtiroler Autonomie

    im Kontext des italienischen Verfassungsreferendums

    von Melissa Goossens

    Dezember 2016

  • Goossens, Melissa: Warum Südtirol mit ‚Ja‘ gestimmt hat Die Südtiroler Autonomie im Kontext des italienischen Verfassungsreferendums Regensburg: Dezember 2016 (Working Papers des Forums Regensburger Politikwissenschaftler – FRP Working Paper 05/2016)

    Das Forum Regensburger Politikwissenschaftler (FRP) ist eine Initiative des Mittelbaus des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Regensburg. Es versteht sich als Diskussionsplattform für Politikwissenschaftler aller Teildisziplinen und publiziert online Working Papers zu politikwissenschaftlich relevanten Themen. Ziel der Beiträge ist es, auf Basis theoretischer Reflexion und unter Bezugnahme auf aktuelle akademische Debatten originelle Positionen, Erkenntnisse und Problemlösungsvorschläge in einem Format zu präsentieren, das die Profile und Kompetenzen der Politikwissenschaft für eine breitere Öffentlichkeit transparent macht. Jede Nummer erscheint in elektronischer Version unter http://www.regensburger-politikwissenschaftler.de Forum Regensburger Politikwissenschaftler Institut für Politikwissenschaft, Universität Regensburg Universitätsstraße 31, D-93053 Regensburg E-Mail: [email protected] Homepage: www.regensburger-politikwissenschaftler.de Gründungsherausgeber: Alexandra Bürger, Henrik Gast, Oliver Hidalgo, Herbert Maier Redaktion: Sabine Fütterer, Simon Bein, Andreas Friedel © 2016, Forum Regensburger Politikwissenschaftler

    mailto:[email protected]://www.regensburger-politikwissenschaftler.de/

  • FRP Working Paper 05/2016 www.regensburger-politikwissenschaftler.de

    – 1 –

    1. Einleitung

    Dass im politischen System Italiens Defizite in der Effizienz und Reformfreudigkeit vorliegen,

    wurde in den letzten Jahren national und international immer wieder bemängelt. Ministerpräsident

    Matteo Renzi, der sich selbst als „Il Rottamatore“ („Der Verschrotter“, bezogen auf die alten Eliten

    und deren Handlungsweise) bezeichnete, hatte sich zu Beginn seiner Amtszeit diesen Problemen

    verschrieben und mit der Ankündigung des „Tausend-Tage-Programms“ dem politischen

    Establishment frischen Wind prophezeit, deren Fortschritte auf der Homepage Passo dopo Passo

    verzeichnet werden.1 Diverse Reformen in Justiz und Bildung, ein Anti-Korruptionsgesetz und die

    Liberalisierung des Arbeitsrechtes führten nach dem ersten Jahr schnell zu Umfragewerten von

    Renzi über 50%, die bis 2015 jedoch genauso schnell wieder auf knapp 30% sanken (Economist

    2015).

    Grund dafür war einerseits die Gleichzeitigkeit und Geschwindigkeit, mit der er versuchte

    Italien an allen Ecken und Enden zu reformieren, was nicht immer auf Gegenliebe gestoßen ist.

    Hinzu kam das Unvermögen, die positiven Ergebnisse der Bevölkerung zu vermitteln. Außerdem

    formierte sich eine innerparteiliche Minderheiten-Opposition des PD (Partito Democratico) vor

    dem Hintergrund des Vorwurfes, er würde Verrat an den linken Ideen der eigentlich

    linksausgerichteten Partei begehen. Den Höhepunkt erreichte der Unmut schließlich, als die

    besagte Verfassungsreform, die aufgrund ihrer potentiell weitreichenden Folgen auch als „Mutter

    der Reformen“ (Kitzler 2016) bezeichnet wurde, in gleicher Eile vom Senat hätte verabschiedet

    werden sollen, der sich in eben dieser Reform selbst entmachtet und beschnitten hätte.

    Da für die Verfassungsreform in Senat und Abgeordnetenhaus eine Zweidrittel-Mehrheit

    nötig gewesen wäre und dieses Quorum verpasst wurde, folgte am 4. Dezember 2016 ein

    Referendum, in dem die Italiener über die Reform abgestimmt haben. Während die Umfragen bis

    Mitte 2016 noch eine Befürwortung in der Bevölkerung verzeichnet haben, holten die Anhänger

    des ‚Nein‘ schließlich auf (Economist 2016: 18; La Repubblica 2016). Diese Verteilung blieb bis

    zum Wahltag erhalten und es stimmte die Mehrheit der Wähler gegen die Verfassungsreform.

    Verfolgte man die Medien und Online-Diskussionen, wurde aber vor allem deutlich, dass

    das Votum Italiens kein Zeichen gegen die Reform ist, sondern vielmehr eine Entscheidung gegen

    Ministerpräsident Matteo Renzi, der den Ausgang des Referendums unnötigerweise an seine

    politische Zukunft geknüpft hat. Seinen Rücktritt kündigte er in einer Fernsehansprache noch am

    Abend des Referendums an, wobei Staatspräsident Mattarella darauf bestanden hat, dass Renzi

    noch bis zur Verabschiedung des Haushaltes für das kommende Jahr im Amt bleiben sollte (Spiegel

    2016).

    2. Das Verfassungsreferendum

    Die Verfassungsreform wurde durch zwei zentrale Ideen charakterisiert: Zum einen war es der

    Umbau des Zweikammern-Systems, das sich als schwerfällig und unpraktikabel erwies und über

    Jahrzehnte den Reformdrang des Landes lahmgelegt hatte. Die politische Organisation im Staat

    wäre durch die Reform effizienter und schlanker gestaltet worden. Zum anderen beinhaltete die

    Reform aber auch die Rücknahme der zögerlichen Föderalisierungsversuche der Regierung

    Berlusconi aus dem Jahr 2001. Die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Regionen und Staat

    wäre deutlich zentralistischer und weniger regionenfreundlich gestaltet worden, womit die

    1 www.passodopopasso.it.

    http://www.passodopopasso.it/

  • Melissa Goossens Südtiroler Autonomie

    - 2 -

    zentralistische Grundhaltung Renzis gegenüber der staatlichen Organisation mehr als deutlich

    wurde (Zwilling 2015).2

    Inwieweit Regionen mit Sonderstatut und insbesondere Südtirol ihren Platz in einem

    zentralistischen Staat bewahren können und inwieweit die Autonomie dadurch in Gefahr gewesen

    wäre, wurde von den Beteiligten unterschiedlich wahrgenommen. Schützenbund und Süd-Tiroler

    Freiheit3 bezichtigten die Südtiroler Volkspartei (SVP), die am Verhandlungstisch saß, des Verrates

    gegenüber der Autonomie und dem Südtiroler Volk (Südtirol News 2016; Stol.it 2016), während

    die SVP und diverse Wissenschaftler wie Francesco Palermo argumentierten, dass die

    Schutzmechanismen derart stark sein werden, dass der zentralistische Staat nicht in die Autonomie

    eingreifen könnte (SVP 2016a). Ob die Reform tatsächlich die Autonomie Südtirols beschneiden

    hätte können, wird auf den folgenden Seiten dargestellt werden.

    2.1 Unpraktikables Zweikammersystem vs. Neuordnung des Senats

    Bisher galt in Italien das ‚perfekte Zweikammernsystem‘ (bicameralismo perfetto), das beide

    Kammern in den Kompetenzen total gleichsetzt. Ziel dieser völligen Gleichberechtigung ist die

    harmonische Rechtsetzungskompetenz, die eine Machtkonzentration in einer der Kammern

    verhindern sollte (Köppl 2007: 121). Gesetzen müssen deshalb jeweils beide Kammern zustimmen

    und da beide Kammern den exakt gleichen Wortlaut verabschieden müssen, kommen bereits

    kleinste Änderungen einer Blockade des Gesetzes gleich, da jede Umgestaltung eine Retournierung

    in die jeweils andere Kammer zur Folge hat, die ebenfalls wieder zustimmen muss. Dass dieser

    Mechanismus blockierend, nicht praktikabel und vor allem unwahrscheinlich kostenintensiv ist,

    wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder in Politik und Wissenschaft als „unzeitgemäß“

    (Palermo 2015) bemängelt.

    Das neue System hätte das Zusammenspiel der Kammern in drei Punkten effizienter

    gestaltet, wobei die Abgeordnetenkammer weder in Quantität noch Qualität angetastet worden

    wäre, sondern die Reform nur den Senat betroffen hätte. Dieser wäre verschlankt und in seinen

    Kompetenzen beschränkt, sowie der Gesetzgebungsprozess optimiert worden, wodurch dieser in

    seiner Ausgestaltung dem deutschen Bundesrat ähnlich geworden wäre. Die Verfassungsänderung

    hätte den Senat von ursprünglich 315 Mitgliedern auf 100 verschmälert, von denen 95 Personen

    aus den Regionen gekommen und fünf vom Staatspräsidenten ernannt worden wären (Neue Verf.,

    Art. 57, Abs. 1). Bisher waren diese Senatoren auf Lebenszeit eingesetzt, was nach der Reform

    ebenfalls nicht mehr möglich gewesen wäre (Benedikter 2016: 6).

    Neben der Verschlankung der Zweiten Kammer hätten sich auch die Kompetenzen

    verändert. In Zukunft hätte die Abgeordnetenkammer allein die Nation vertreten, während der

    Senat die Vertretung der Gebietskörperschaften übernommen hätte und dadurch nur noch in

    bestimmten Bereichen befugt gewesen wäre, am Gesetzgebungsverfahren mitzuwirken. Seine

    Zustimmung zu Gesetzen wäre nur noch bei der Überarbeitung der Verfassung nötig gewesen,

    sowie im Bereich von Europaangelegenheiten, des Wahlrechtes, des Minderheitenschutzes,

    2 Außerdem wären die direktdemokratischen Elemente durch Ergänzung der bisherigen Instrumente gestärkt worden, wie z.B. durch das gesetzeseinführende Referendum.

    3 Der Südtiroler Schützenbund (gegr. 1958) versteht sich nicht im deutschen Sinne als Sportschützenvereinigung. Vielmehr steht die Traditionspflege sowie der Schutz und Erhalt der Südtiroler Werte im Zentrum. Die Vereinigung vertritt außerdem eine konservative Weltsicht, die sich auch im Kampf für die Autonomie und den Wunsch nach dem Anschluss an Österreich widerspiegelt. Die Süd-Tiroler Freiheit (gegr. 2007) ist eine politische Partei, die die gleichen Ziele vertritt: Selbstbestimmung für Südtirol und den Wiederanschluss an Österreich, was schon die Schreibweise verdeutlicht. Auch sie ist eher dem rechtskonservativen Spektrum zuzuordnen.

  • FRP Working Paper 05/2016 www.regensburger-politikwissenschaftler.de

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    ethischer Themen und bei Referenden. Außerdem wären die Beziehungen zwischen Europa, dem

    Staat und den Regionen ebenfalls in der Zuständigkeit des Senats gelegen. Die übrigen Bereiche

    wären allein in die Verantwortung der Abgeordnetenkammer gefallen (Neue Verf. Art. 70, Abs. 1).

    Die Gesetzgebung hätte sich insofern verändert, dass Gesetze nach deren Verabschiedung

    in der Abgeordnetenkammer in den Senat geschickt worden wären. Dort hätte innerhalb von zehn

    Tagen mit Zweidrittel-Mehrheit eine Neuüberprüfung angeordnet werden können, wobei über die

    Änderungsvorschläge aus dem Senat letztinstanzlich in der Abgeordnetenkammer abgestimmt

    worden wäre (Neue Verf., Art. 70, Abs. 3). Es hätte also kein Vetorecht, aber ein Empfehlungs-

    oder Änderungsvorschlagsrecht gegeben und Gesetze dadurch gleichermaßen vorübergehend

    ‚gestoppt‘ werden können.

    2.2 Die Neuordnung der Beziehungen zwischen Staat und Regionen

    Die zweite Umgestaltung wäre die Neuordnung der Zuständigkeiten von Staat und Regionen

    gewesen, wobei letztere de facto so beschnitten worden wären, dass die Rückkehr zum

    Zentralismus damit beschlossen gewesen wäre. Während in der Reform 2001 noch Kompetenzen

    an die Regionen mit Normalstatut4 im Sinne einer Föderalisierung abgegeben wurden, wäre dieser

    Schritt wieder rückgängig gemacht worden (Peterlini 2016: 5). Dies gilt vor allem (wieder) für die

    Bereiche Umwelt, Raumordnung, Energie, Zivilschutz und Infrastruktur, wodurch die

    konkurrierende Gesetzgebung aufgehoben worden und die Regionen mit Normalstatut quasi

    aufgelöst worden wären, da sie keinerlei Befugnisse mehr gehabt hätten (Benedikter 2016: 23).

    Einige dieser Bereiche hätten im Falle eines ausgeglichenen Haushalts im Rahmen eines

    vereinfachten Verfahrens wieder vom Staat zurückgeholt werden können, ohne dass eine

    Verfassungsänderung nötig gewesen wäre (Neue Verf., Art. 116, Abs. 3). Angesichts der

    angespannten wirtschaftlichen Lage hätte diese Möglichkeit jedoch den wenigsten Regionen offen

    gestanden.

    Eine weitere Klausel hätte die „rechtliche und wirtschaftliche Einheit der Republik und das

    nationale Interesse“ (Neue Verf. Art. 117, Abs. 4.) betroffen. Sind diese in Gefahr, hätte der Staat

    die Möglichkeit gehabt, auch in den Bereichen gesetzgeberisch zu handeln, in denen er nicht

    exklusiv zuständig ist. Hinsichtlich dieser Suprematieklausel bestand die Sorge, dass dieser Passus

    auch die Regionen mit Sonderstatut betreffen kann und der Zentralstaat unter dem Vorwand des

    nationalen Interesses legislativ und exekutiv in deren Belange eingreifen könnte und die Autonomie

    so ausgehöhlt und obsolet wird.

    Obwohl deutlich geworden ist, dass die Regionen mit Normalstatut über die Reform

    abgeschafft hätten werden sollen, stimmten die betroffenen regionalen Vertreter ihr zu, da die

    föderalistische Reform (2001) ihres Erachtens mehr Konflikte zwischen Staat und Regionen vor

    dem Verfassungsgerichtshof verursachte.5 Diese bestanden meist darin, dass regionale Gesetze

    einen Sichtvermerk aus Rom erhalten mussten, bis sie in Kraft treten konnten. Um wichtige

    Gesetze schnell durchbringen zu können, nahmen die Regionen die Änderungen aus Rom meist

    schlichtweg an, um nicht einen langen Prozess vor dem Verwaltungsgericht abwarten zu müssen

    4 Italien ist in 20 Regionen unterteilt, die eigene Statute (regionale Verfassungen) haben. Fünf Regionen haben aus historischen Gründen Sonderstatute, die ihnen Gesetzgebungskompetenzen und eine gewisse finanzielle Autonomie zugestehen. Die Zuständigkeiten der Regionen mit Normalstatut lassen sich nur aus der gesamtstaatlichen Verfassung ableiten.

    5 70% aller Rechtsprechungen des Verfassungsgerichtshofes behandeln Kompetenzstreitigkeiten zwischen Staat und Regionen (Economist 2016, 18ff.).

  • Melissa Goossens Südtiroler Autonomie

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    (SVP 2016a: 5). Fraglich ist, ob die Lösung dieser Konflikte in einer Abschaffung der Kompetenzen

    liegt.

    2.3 Ergebnisanalyse

    Letztlich stimmten am 4. Dezember 2016 bei einer Wahlbeteiligung von 68,48% knapp 60% der

    Wähler gegen die Verfassungsreform. Während das Referendum insgesamt zwar verloren wurde und

    die Mehrheit der Regionen die Ablehnung deutlich machten, stimmten im Gegensatz dazu in der

    Autonomen Region Trentino-Alto Adige 53% und in der Provinz Südtirol sogar knapp 64% für

    die Reform. Daneben konnte nur noch in den Regionen Emilia-Romagna mit knapper Mehrheit

    und der Toskana mit ähnlichem Ergebnis wie in Südtirol positive Stimmen verzeichnet werden.

    Offensichtlich wird auch, dass Italien zwar nicht hinsichtlich der Ja- und Nein-Stimmen

    strikt in Norden und Süden aufgeteilt ist, eine Tendenz der Dominanz der Nein-Stimmen aber im

    Süden zu verorten ist. Die Regionen Kalabrien, Basilikata, Puglia, Kampanien, Abruzzen und

    Latium als die sechs südlichen Regionen nehmen zusammen mit Sizilien und Sardinien die Plätze

    eins bis acht der meisten Nein-Stimmen ein (Innenministerium 2016).

    Abbildung 1: Ergebnisse nach Regionen, inkl. Italien gesamt und Provinz Südtirol zum Vergleich. (Eigene Darstellung auf Datenbasis des Innenministeriums Italien.)

    Insgesamt zeigt dieser Vergleich, dass die stärkste Ablehnung in erster Linie aus südlichen

    Gebietskörperschaften stammte. Es kann also davon ausgegangen werden, dass der wirtschaftliche

    Cleavage zwischen Nord und Süd auch eine Rolle bei der Entscheidung gespielt haben muss. Da

    sich dieses Paper jedoch auf die Situation der Autonomen Regionen und vor allem Südtirols

    konzentriert, würde eine gesamtstaatliche Analyse hier zu weit gehen.

    Die letzten Wochen und Tage des Wahlkampfes wurden in ganz Italien emotional begleitet.

    Vor allem in Südtirol kochten die Emotionen hoch, da die Gegner des Referendums die Ängste

    geschürt haben, dass die Schutzmechanismen der Autonomie zu schwach sein werden, außerdem

    eine selbstverwaltete Region in einem zunehmend zentralistischen Staat keinen Platz mehr haben

    wird und ganz generell der Zentralismus eine nicht zu unterstützende Entwicklung ist.

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    ERGEBNIS DES REFERENDUMS

    INKL. ITALIEN G ESAMT & PROVINZ ST

    Si No

  • FRP Working Paper 05/2016 www.regensburger-politikwissenschaftler.de

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    Warum sich die Südtiroler Bevölkerung letztendlich doch für die Zustimmung entschieden hat, soll

    auf den folgenden Seiten dargelegt werden.

    3. Die Regionen mit Sonderstatut

    Neben Südtirol haben aus historischen Gründen auch Sizilien und Sardinien Sonderstatute. Nach

    dem zweiten Weltkrieg waren in beiden Regionen die Separationsbewegungen sehr stark, weshalb

    die Zentralregierung über Sonderrechte und eine gewisse Autonomie versuchte, den Frieden

    aufrechtzuerhalten. Daneben verfügt auch die Region Aostatal aufgrund des Schutzes der dort

    lebenden französischsprachigen Minderheit über ein Sonderstatut, sowie die Region Friaul-Julisch

    Venetien, um die Rechte der slowenischen Minderheit sichern zu können.

    Während die ersten vier Regionen bereits 1948 durch die verfassungsgebende

    Versammlung geschaffen wurden, wurde die Region Friaul-Julisch Venetien erst 1963 eingerichtet.6

    3.1 Fallbeispiel Südtirol

    Die Südtiroler Autonomie gilt seit langem als Vorbild für die erfolgreiche Vereinbarung regionaler

    Selbstbestimmungsbestrebungen mit dem Verbleib im Zentralstaat, welche europaweit in den

    letzten Jahren medial immer wieder in den Fokus gerückt sind. Gründe für diese Bewegungen, die

    nicht nur in Europa, sondern weltweit immer wieder für Aufregung sorgen, sind unter anderem

    die Benachteiligung oder Unterdrückung ethnischer oder sprachlicher Gruppen, wie in Südtirol.

    Weitere Beispiele sind Schottland und Katalonien, aber auch diverse Regionen in Südosteuropa,

    die ihrem Selbstbestimmungsanspruch auf mehr oder weniger gewaltsame Art und Weise

    Nachdruck verleihen.7

    Der Wunsch nach Autonomie hat in Südtirol eine lange Geschichte, was im Dasein als

    Spielball zwischen den Nationen begründet ist. Die Region wurde immer wieder zwischen dem

    Habsburger Reich und Italien hin- und hergeschoben und fiel schließlich erst nach dem Zweiten

    Weltkrieg endgültig Italien zu. Um die Rechte der ladinisch- und deutschsprachigen Bevölkerung

    vor dem Hintergrund der Italienisierung schützen zu können, gründet sich als Sammelbecken für

    diese Sprachgruppen die Südtiroler Volkspartei (SVP). Zusammen mit österreichischer

    Unterstützung kämpfte sie für das Südtiroler Selbstbestimmungsrecht, was immer wieder am

    Widerstand Italiens scheiterte. Gründe dafür waren die Ablehnung der italienisch-sprachigen

    Mehrheit, die hohen Investitionen in Südtirol und der Vertrag von St.-Germain (Aschauer 1987:

    59).

    Im Pariser Abkommen erzielte 1947 Österreichs Außenminister Gruber schließlich mit

    dem italienischen Außenminister de Gasperi einen ersten Erfolg, der den deutschsprachigen

    Südtirolern die „volle Gleichberechtigung mit den italienischsprachigen Einwohnern“ sowie „die

    Ausübung einer autonomen, regionalen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt“ zugestehen konnte

    (Landespresseamt Bozen 2006). Italien verabschiedet schließlich – nicht konform dazu – am

    1.1.1948 eine Verfassung, die Südtirol die Autonomie lediglich im Rahmen einer Trentino-Südtirol-

    Region zugesteht – die damit wieder mehrheitlich italienischsprachig ist (Steininger 1987: 159).

    Diese Verfassung ist das Erste Autonomiestatut, das zunächst eine Verbesserung der Verhältnisse

    nach sich ziehen sollte. De facto nahm die Diskriminierung der deutschsprachigen Bevölkerung

    6 Vgl. Ulrich (2009: 696). 7 Beispiele hierfür sind der Konflikt in der Region Berg-Karabach, der im April 2016 wieder gewaltsam aufgebrochen

    ist, aber auch Transnistrien und Südossetien, die die letzten Jahre als eingefrorene Konflikte gelten, aber nicht gelöst wurden.

  • Melissa Goossens Südtiroler Autonomie

    - 6 -

    jedoch weiter zu. Die Arbeits- und Heimatlosigkeit leisteten der Bewegung Vorschub und führten

    letztendlich zur Radikalisierung der separatistischen Bewegung. Ihren Gipfel erreichte die

    Bewegung Mitte der 50er Jahre im Versuch mittels Bombenattentaten die Loslösung von Rom zu

    erzwingen (Stocker 2007: 53 ff).

    Nach Eingreifen der UNO wurde 1964 als Kompromiss das ‚Südtirol-Paket‘ präsentiert,

    das sowohl bei der SVP, als auch in Österreich Anklang fand und 1972 als Zweites

    Autonomiestatut in die Verfassung einging. 137 ‚Maßnahmen zugunsten der Bevölkerung

    Südtirols‘ erweitern die autonome Verwaltungskompetenz und garantieren der dann sogenannten

    Provinz Bozen umfangreiche Rechte im Tourismus, der Landwirtschaft und den öffentlichen

    Ämtern (Aschauer 1987: 70). Dazu kam ein Abkommen, dass 90% der Südtiroler Steuern zur

    Finanzierung der Selbstverwaltung wieder zurück nach Südtirol fließen ließ8. 1992 erfolgte mit der

    Übergabe der ‚Streitbeilegungserklärung‘ das letzte formale Kapitel der Differenzen zwischen

    Italien und Südtirol, da das Paket als erfüllt angesehen wurde (Landespresseamt Bozen 1992).

    Im Sinne einer ‚dynamischen Autonomie‘ wurden die Gesetzgebungs- und

    Verwaltungsbefugnisse Südtirols auch nach 1992 weiterentwickelt bzw. ausgebaut, wobei nach wie

    vor keine Vollautonomie9 herrscht. Mittlerweile haben sich die Südtiroler mehrheitlich damit

    arrangiert ein Teil Italiens zu sein, was nicht bedeutet, dass sie den Bemühungen um mehr

    Eigenständigkeit ein Ende setzen werden. Die starke Regionalkultur, die eng verbunden mit der

    österreichischen und bayerischen ist und eine wirtschaftlich starke Stellung in Italien und Europa

    tragen zu einer starken Identität bei, die nicht zugunsten einer italienischen ersetzt werden wird

    (Peterlini 1996: 68). Diese Stellung als periphere Region, sowie die enge Verbindung zu Österreich

    schlägt sich auch in der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino nieder.

    3.2 Bewertung der geplatzten Verfassungsreform

    Bewertet man die Verfassungsreform hinsichtlich des Senats und der Rolle der Südtiroler Vertreter

    dort, kann festgehalten werden, dass die Region Trentino-Südtirol überproportional stark vertreten

    gewesen wäre10, da die beiden autonomen Provinzen Bozen und Trient als eigene Regionen gelten

    und damit vier Vertreter bei einer Bevölkerung von 1,1 Mio. entsenden hätten dürfen (Neue Verf.,

    Art. 57, Abs. 4). Daneben hätte auch die Autonomiegruppe im Senat eine stärkere Position

    einnehmen können, wenn sich – wie es theoretisch möglich wäre – die zwei Vertreter des Aostatals,

    sowie die vier Vertreter der Provinzen Trient und Bozen und die Senatoren auf Lebenszeit

    zusammengeschlossen hätten. Waren es bisher acht Senatoren aus dieser Runde auf 315 in der

    Gesamtzahl, so hätten in Zukunft sechs Senatoren auf 100 kommen können, wodurch die

    Verfassungsreform quantitativ gesehen für Südtirol ein Gewinn gewesen wäre.

    Gemessen an den Gesetzgebungskompetenzen kann eine Beschneidung der Politikfelder

    aus Sicht des Senats nicht ohne Zweifel positiv bewertet werden. Für Südtirol gesehen wäre jedoch

    vor allem die Gesetzgebungskompetenz in Verfassungsdingen und der Minderheitenschutz

    relevant gewesen und diese Bereiche wären als gemeinsame Gesetzgebungsfunktion beider

    Kammern verblieben (Neue Verf., Art. 70, Abs. 1).

    8 Der Zuschuss wurde 2009 im Zuge der Eurokrise zurückgenommen, als eine Vereinbarung zwischen Südtirol, dem Trentino und Rom festlegte, dass jährlich 500 Mil. € aus dem Budget zur italienischen Haushaltssanierung nach Rom gehen müssen.

    9 Vollautonomie ist in Südtirol wie beispielsweise die ‚Devolution Max‘ in Schottland zu verstehen: Ziel ist nicht ein eigener Staat, sondern die Autonomie in allen Bereichen, exklusive Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Im Zentrum steht dabei vor allem die Fiskal- und Steuerautonomie.

    10 Vgl. Region Ligurien mit 1,5 Mio. Einwohnern entsendet 2 Vertreter.

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    Die Tatsache, dass das Verfassungsgericht als Schnittstelle zwischen Regionen und Staat meist

    regionenkritisch geurteilt hat, und jetzt der Senat in Zukunft das Recht gehabt hätte, zwei

    Verfassungsrichter zu bestimmen, hätte für Südtirol als vorsichtig optimistisch bewertet werden

    können (Neue Verf., Art. 135, Abs. 1). Da bisher die stimmgewaltigere Abgeordnetenkammer und

    der Senat gemeinsam fünf Richter ernannt haben, hätte es die Möglichkeit gegeben, in der Reihe

    der 100 Senatoren eine Mehrheit für Autonomie- oder Regionen-‚freundliche‘ Verfassungsrichter

    finden zu können. Inwieweit diese Einschätzung realistisch ist, kommt auf verschiedene politische

    Parameter an, theoretisch wäre die Möglichkeit jedoch gegeben gewesen.

    Da auf regionaler Ebene, wie bereits erwähnt, vor allem von den Regionen mit

    Normalstatut kein Widerstand geäußert wurde, organisierten sich die Vertreter der Autonomen

    Regionen Friaul-Julisch-Venetien, Sardinien, Sizilien, Aostatal und der Autonomen Provinzen

    Südtirol und Trient, um ihre Autonomien und Sonderstatute absichern zu können (Peterlini 2016:

    266). Diese Schutzklausel hätte als Ergänzung ebenfalls in den Verfassungsänderungsentwurf

    Eingang gefunden (Art. 39, Abs. 13).

    Inhalt der Schutzklausel war die Nichtanwendung des Titels IV auf die Autonomen

    Regionen, der den Bereich der Kompetenzverteilung und der Suprematie-Klausel betrifft, bis deren

    Autonomiestatute überarbeitet werden. Ein zweiter Punkt, wodurch sich die Situation auch von

    der Reform 2001 unterschieden hat, ist die Überarbeitung der Statute, die nur auf Einvernehmen

    zwischen Staat und Region erfolgen hätte können. An dieser Stelle entstand eine rege Diskussion

    über die Stärke der Formulierung ‚auf Basis des Einvernehmens‘ (‚sulla base di intese‘). Es bestand

    der Verdacht, dass Regierung oder Parlament dieses Einvernehmen mit Zweidrittel-Mehrheit

    übergehen könnten, wenn keine Einigung zwischen Rom und Südtirol gefunden wird. Allerdings

    war im Text der Verfassung kein entsprechender Passus hinterlegt, der diese Möglichkeit oder eine

    zeitliche Limitierung angeboten hätte.11 Es hätte sich also bei einem Konflikt um ein

    Präzedenzurteil des Verfassungsgerichtes gehandelt, dessen Ausgang unklar gewesen wäre. Vor

    dem Hintergrund der starken zentralistischen Ausrichtung war der Verdacht jedoch nicht ganz

    unbegründet. Andererseits hätte dieses Einvernehmen auch als Chance betrachtet werden können,

    da die fällige Überarbeitung des Statuts auf Basis beiderseitiger Zustimmung umfassend erfolgen

    hätte können. Hätte die Zentralregierung nicht zugestimmt, wäre für Südtirol die alte Verfassung

    gültig geblieben, wodurch die Situation theoretisch nur verbessert hätte werden können.

    Unbestritten war jedoch die Stärkung der regionalen Autonomien als Ergebnis der

    Schutzklausel im Gegensatz zu den Regionen mit Normalstatut, da erstere ohnehin eine bereits

    starke Stellung innerhalb des Zentralstaates errungen haben. Damit wäre die regionale Asymmetrie

    Italiens noch zusätzlich verschärft worden: Während die Regionen mit Normalstatut

    dementsprechend Teil der neuen zentralistischen Verfassung gewesen wären, gilt für die Regionen

    mit Sonderstatut die ehemalige regionenfreundliche Verfassung (Palermo 2015). Diese Tatsache

    und die einmalige Ausgestaltung der Schutzklausel unterstrich auch der ehemalige

    Verfassungsrichter und Kritiker dieser Sonderrolle der Autonomen Regionen, Ugo de Siervo, der

    von einer „super garanzia parafederale“ gesprochen hat und die „caotica coesistenza“

    verschiedener Gesetzgebungsbefugnisse für verschiedene Regionen und den Staat kritisierte (de

    Siervo 2016: 4).

    Neben den bereits behandelten Kritikpunkten wurde auch die internationale Absicherung

    der Schutzklausel bemängelt, da keine diplomatischen Zusicherungen von Italien gegenüber

    11 Eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des Staatssekretärs Gianclaudio Bressa hat diesen Fakt schon 2015 klargestellt.

  • Melissa Goossens Südtiroler Autonomie

    - 8 -

    Österreich ausgesprochen wurden (unsertirol24 2016). Hierzu kann festgestellt werden, dass die

    Schutzmacht Österreich als Signatarstaat des Pariser Vertrages auch im Rahmen des

    Einvernehmens formal Zustimmung zu einem neuen Statut geben müsste. Dadurch wäre die

    Funktion als Schutzmacht auch auf das neue Statut ausgedehnt und nicht aufgelöst worden

    (Peterlini 2016: 270; SVP 2016b: 8).

    3.3 Das Ergebnis in den übrigen Regionen mit Sonderstatut

    Wie bereits in den Feststellungen zum Referendum deutlich wurde, hätten auch die übrigen

    Autonomen Regionen bezogen auf die Autonomiestatute von der Reform profitieren können. Es

    wäre die Chance gewesen, im Übereinkommen mit Rom die regionalen Verfassungen zu

    reformieren und dank der Schutzklausel ihre Rolle als autonome Region festigen zu können. Diese

    Analyse hätte vermuten lassen, dass auch die übrigen Regionen mit Sonderstatut der Reform

    zustimmen werden.

    Abbildung 2: Wahlergebnisse der Autonomen Regionen Italiens (Eigene Darstellung).

    Wie jedoch bereits erläutert wurde, war Südtirol in der Reihe der Autonomen Regionen die einzige

    Region, die der Reform zugestimmt hat, während sie die vier anderen Autonomen Regionen mit

    Sonderstatut teilweise mehr als eindeutig ablehnten. Am eindrucksvollsten ist das in den Regionen

    Sardinien und Sizilien zu sehen, die landesweit an der Spitze der Referendumsgegner mit jeweils

    72,2% und 71,6% Ablehnung stehen. Friaul-Julisch Venetien und das Aostatal sind im Mittelfeld

    aller italienischen Regionen zu finden und damit ebenfalls nicht Befürworter der Reform.

    Außerdem fällt auf, dass die beiden Inselregionen unter den Schlusslichtern der Wahlbeteiligung

    sind, wohingegen die übrigen Regionen Wahlbeteiligungen über 70% verzeichnen konnten.

    Verbindet man dieses Ergebnis mit der Nord-Süd-Schere, müssen außerdem die

    wirtschaftlichen Verhältnisse in der Region betrachtet werden. Während der Mezzogiorno

    europaweit als Sorgenkind gilt, das bei den Pro-Kopf-Einkommen auf halbem Niveau des Südens

    liegt und gleichzeitig knapp 21% Arbeitslosigkeit zu verzeichnen hat, blüht die Region um Rom

    und der Norden, vor allem in Südtirol (NZZ 2015). Es ist also in dem Fall nicht die Rolle als

    Autonome Region ausschlaggebend, sondern die wirtschaftliche Stärke, oder eben Schwäche, wie

    in den Autonomen Regionen Sizilien und Sardinien.

    4. Fazit

    Die Verfassungsreform wäre hinsichtlich des Ausmaßes und der Ausgestaltung sicher eine der

    bedeutendsten Veränderungen im Italien des 21. Jahrhunderts gewesen. Vergleichbar war nur die

    0

    20

    40

    60

    80

    Region Trentino-Südtirol

    Region Aostatal Italien gesamt Region Friaul-Julisch Venetien

    Region Sizilien Region Sardinien

    ERGEBNISSE DER REGIONEN MIT SONDERSTATUT

    Si No Wahlbeteiligung

  • FRP Working Paper 05/2016 www.regensburger-politikwissenschaftler.de

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    Reform, die 2005 zwar in den Kammern genehmigt, jedoch im Referendum abgelehnt wurde

    (Palermo 2015). Aus Sicht der Regionen wäre die Verfassungsreform im Bereich der Neuordnung

    der Kompetenzen zwischen Staat und Regionen sicher ein Rückschritt gewesen. Die starke

    Zentralisierung, die damit wiedereingerichtet worden wäre, hätte die Regionen in ihren

    Kompetenzen deutlich beschnitten und die Suprematieklausel dem Staat die Möglichkeit gegeben,

    unter dem Vorwand des nationalen Interesses einzugreifen. Zusätzlich wäre eine weitere

    Verstärkung der Differenzen zwischen Regionen mit Normal- und Sonderstatut der

    gesamtstaatlichen Harmonie ebenfalls nicht besonders zuträglich gewesen.

    Unverständlich ist deshalb, dass die Vertreter der Regionen mit Normalstatut die Reform

    zunächst befürwortet haben. Da sich dieses Paper jedoch auf Südtirol als Region mit Sonderstatut

    konzentriert, soll hier keine Bewertung des Verhaltens der weiteren Regionalvertreter gemacht

    werden. Aus regionaler Sicht muss die Zentralisierung kritisiert werden, wie das auch von der

    Südtiroler Landesregierung und der SVP getan wurde. Sie vermerkte in ihrem Statement, dass ein

    ‚Nein‘ der Regionen mit Normalstatut durchaus nachzuvollziehen ist, da die zentralistische

    Ausrichtung keineswegs eine positive Errungenschaft sein wird.

    Anders verhält es sich mit der Zustimmung der Bevölkerung in den Regionen mit

    Sonderstatut. Erstens kann festgehalten werden, dass die Zentralisierung dank der Schutzklausel

    nicht angewendet hätte werden können. Zweitens hätte die Einvernehmensklausel sogar dafür

    sorgen können, dass die Autonomie nicht nur gesichert, sondern sogar ausgebaut hätte werden

    können. Außerdem wäre die überproportionale Vertretung der Südtiroler (6/100) im Senat als

    positiv zu bewerten gewesen. Eine Reform des Statuts wird in diesem vergleichsweise sicheren

    Rahmen in den nächsten Jahren nicht vorgenommen werden können, weshalb das ‚No‘ diese

    Reformen auf Eis legen wird. Ob die nächsten Vertreter der Sonderregionen ebenfalls eine Klausel

    wie die jetzige verhandeln werden können, ist angesichts der zunehmenden zentralistischen

    Ausrichtung Italiens zweifelhaft.

    Auch wenn aus dezentralistischer, regionalistischer Sicht keine positive Bewertung erfolgen

    kann, hätte der Parlamentarismus in Italien doch dringend reformiert werden müssen, weshalb die

    Verabschiedung der Verfassungsreform auch auf den Gesamtstaat betrachtet, wünschenswert

    gewesen wäre, um das System wieder handlungsfähig machen zu können.

    Das Votum Südtirols und dessen Zustimmung zur Verfassung lässt sich letztendlich in

    einer ersten Analyse auf verschiedene Parameter zurückführen. Einerseits muss das Vertrauen in

    die SVP als Regierungspartei eine Rolle gespielt haben, die nicht nur massiv für das ‚Ja‘ geworben

    und die Stärke der Schutzklausel herausgehoben hat, sondern das Referendum als Chance für die

    Weiterentwicklung des Statutes dargestellt hat. Der zweite Faktor wird dementsprechend auch die

    Hoffnung oder der Wunsch der Bevölkerung nach der Weiterentwicklung gewesen sein, die

    Autonomie zu stärken und auszubauen. Wie im landesweiten Vergleich zwischen Nord und Süd

    sowie in der Gruppe der Autonomen Regionen deutlich wurde, scheinen außerdem wirtschaftliche

    Gründe ebenfalls ausschlaggebend gewesen zu sein.

    Vor dem Hintergrund, dass die anderen vier Regionen mit Sonderstatut für das ‚Nein‘

    gestimmt haben, kann das Ergebnis also dahingehend interpretiert werden, dass die Region

    Südtirols aus verschiedenen Gründen tatsächlich eine Sonderrolle in Italien spielt und das Ergebnis

    nicht auf der Rolle als autonome Region beruht.

    Es bleibt einmal mehr das Fazit: Südtirol ist eben doch irgendwie nicht Italien.

  • Melissa Goossens Südtiroler Autonomie

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    5. Literatur

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    Hinweis zu den Online-Quellen: Alle Quellen waren bis einschließlich 08.12.2016 online abrufbar.

    Melissa Goossens, M.A., promoviert derzeit an der Universität Passau am Lehrstuhl Internationale Politik im Bereich Autonomie- und Separationsbewegungen

    Forschungsschwerpunkte: Globalisierung, Separation/Autonomie, State-/Nation-Building

    Kontakt: E-Mail: [email protected].

    Empfohlene Zitation: Goossens, Melissa (2016): Warum Südtirol mit ‚Ja‘ gestimmt hat. Die Südtiroler Autonomie im Kontext des italienischen Verfassungsreferendums, FRP Working Paper 05/2016, Regensburg: abrufbar unter: www.regensburger-politikwissenschaftler.de/medien/frp_working_paper_05_2016.pdf

    https://www.suedtirolnews.it/politik/schuetzen-suedtirol-verliert-mit-verfassungsreform-kompetenzenhttps://www.suedtirolnews.it/politik/schuetzen-suedtirol-verliert-mit-verfassungsreform-kompetenzenhttp://www.svp.eu/de/medienmitteilungen/verfassungsreform-uebergang-von-neuen-zustaendigkeiten-mit-einfachem-verfahren/http://www.svp.eu/de/medienmitteilungen/verfassungsreform-uebergang-von-neuen-zustaendigkeiten-mit-einfachem-verfahren/https://www.salto.bz/sites/default/files/atoms/files/svp.pdfhttp://www.unsertirol24.com/2016/11/08/warum-ein-nein-angebracht-ist/http://www.youtrend.it/2016/10/27/tabella-sondaggi-referendum-costituzionale/http://www.youtrend.it/2016/10/27/tabella-sondaggi-referendum-costituzionale/http://www.foederalismus.at/blog/italiens-neuer-senat-im-verfassungsreformentwurf--verkleinert--entmachtet-%E2%80%93-und-ueberfluessig_52.phphttp://www.foederalismus.at/blog/italiens-neuer-senat-im-verfassungsreformentwurf--verkleinert--entmachtet-%E2%80%93-und-ueberfluessig_52.php