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Führungstechnik Das Führen von Hochtouren garantiert das Ausschöpfen des gesamten Repertoires an klassischer Führungsarbeit: Noch bei Dunkelheit der schwer zu findende Steig über den holprigen Moränenschutt, später das Labyrinth durch einen zerschrundenen Gletscher und kurz vor dem Ziel der ausgesetzte vereiste Gipfelgrat der ständige Wechsel der Gegebenheiten erfordert konsequente Aufmerksamkeit und das konsequente Streben nach der geeignetsten Führungstechnik. Die folgenden Ausführungen sollen einen weiteren Teil zur Vervollständigung der Gesamtheit „Führungstechnik“ beitragen. Um Wiederholungen zu vermeiden wird speziell auf hochtourenrelevante Methoden eingegangen, manche allgemeinen Techniken werden nur am Rande gestreift. Begleitend und ergänzend sei ein Artikel in bergundsteigen 2/2002 empfohlen, der trotz in die Jahre gekommen nichts an Aktualität eingebüßt hat: „Führungstechnik in Fels und kombiniertem, hochalpinem Gelände“ von Robert Purtscheller und Markus Eck. [1] Kompetent, praxisorientiert, umfassend! Kurzes Seil & Gestaffeltes Klettern Sämtliche Formen der Kurzseiltechnik sowie des Gestaffelten Kletterns, wie im Kapitel „Kurzseiltechnik im Fels“ beschrieben, können für kombiniertes Gelände natürlich in gleicher Form ohne Einschränkungen angewendet werden. Nachfolgend ein paar Sonderformen: Kurzseil ohne Handschlingen in Firn- und Eisflanken Technik: gleichzeitiges Steigen mit straffem, kurzem Abstand (2-3m) ohne Handschlingen. Gleichmäßig steile Firnflanken/Couloirs bei günstigen Verhältnissen. Eigenkönnen des Gastes beachten Gewichtsverhältnis (Testen) Gast möglichst in Falllinie halten Zwei Gäste nur bei guten Verhältnissen und moderater Steilheit, Abstand zwischen den Gästen max. 2m Die Anwendung im Blankeis soll die Ausnahme darstellen und nur unter folgenden Voraussetzungen praktiziert werden: moderate Steilheit griffige Verhältnisse nur 1 Gast Ankertechnik mit 2 Geräten Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind Tibloc-Technik oder Seilschaftsablauf. Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

Führungstechnik - Klettern, Canyoning, Wandern · Anseilen grundsätzlich ab der Firnlinie, ab dort ist der Gletscher firn-/schneebedeckt. Ein blanker Gletscher kann unangeseilt

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Führungstechnik

Das Führen von Hochtouren garantiert das

Ausschöpfen des gesamten Repertoires an

klassischer Führungsarbeit: Noch bei

Dunkelheit der schwer zu findende Steig über

den holprigen Moränenschutt, später das

Labyrinth durch einen zerschrundenen

Gletscher und kurz vor dem Ziel der

ausgesetzte vereiste Gipfelgrat – der ständige

Wechsel der Gegebenheiten erfordert

konsequente Aufmerksamkeit und das

konsequente Streben nach der geeignetsten

Führungstechnik.

Die folgenden Ausführungen sollen einen weiteren Teil zur Vervollständigung der

Gesamtheit „Führungstechnik“ beitragen. Um Wiederholungen zu vermeiden wird speziell

auf hochtourenrelevante Methoden eingegangen, manche allgemeinen Techniken werden nur

am Rande gestreift.

Begleitend und ergänzend sei ein Artikel in bergundsteigen 2/2002 empfohlen, der trotz in die

Jahre gekommen nichts an Aktualität eingebüßt hat: „Führungstechnik in Fels und

kombiniertem, hochalpinem Gelände“ von Robert Purtscheller und Markus Eck. [1]

Kompetent, praxisorientiert, umfassend!

Kurzes Seil & Gestaffeltes Klettern

Sämtliche Formen der Kurzseiltechnik sowie des Gestaffelten Kletterns, wie im Kapitel

„Kurzseiltechnik im Fels“ beschrieben, können für kombiniertes Gelände natürlich in gleicher

Form ohne Einschränkungen angewendet werden. Nachfolgend ein paar Sonderformen:

Kurzseil ohne Handschlingen in Firn- und Eisflanken

Technik: gleichzeitiges Steigen mit straffem, kurzem Abstand (2-3m) ohne Handschlingen.

Gleichmäßig steile Firnflanken/Couloirs bei günstigen Verhältnissen.

Eigenkönnen des Gastes beachten

Gewichtsverhältnis (Testen)

Gast möglichst in Falllinie halten

Zwei Gäste nur bei guten Verhältnissen und moderater

Steilheit, Abstand zwischen den Gästen max. 2m

Die Anwendung im Blankeis soll die Ausnahme darstellen und nur

unter folgenden Voraussetzungen praktiziert werden:

moderate Steilheit

griffige Verhältnisse

nur 1 Gast

Ankertechnik mit 2 Geräten

Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind – Tibloc-Technik oder Seilschaftsablauf.

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

2

Sprungseil am Firngrat

Technik: Gleichzeitiges Gehen mit abwurfbereiten Handschlingen. Stürzt der Gast, versucht

der Bergführer auf die andere Gratseite zu gelangen.

Sprungseil (Anseilabstand) mindestens 10m, in der Flanke mindestens 15m

Sauber gelegte Handschlingen: Seilknäuel vermeiden

keine Zeit mit Halteversuchen vergeuden, stattdessen Sprung bzw. Sprint zur Kante

Der Abstand beim Gehen am flachen Grat wird den Verhältnissen angepasst. Manchmal ist

ein Sicherheitsabstand von ein paar Metern notwendig.

Es ist von Vorteil, den Gast im Blickwinkel zu haben. Bei entsprechenden Verhältnissen

(beachte Neigung, Wechten, Spur) kann der Gast auch im Aufstieg voran gehen. Am

schmalen Grat die Positionen zu wechseln ist manchmal schwierig, deshalb kann es sich auch

ergeben, dass der Guide auch im Abstieg einmal voraus geht.

Meist ergibt sich am Grat eine Kombination aus den folgenden Varianten:

Guide und Gast gehen beidseits des Grates

Manchmal passagenweise möglich

größtmögliche Sicherheit

keine notwendige Sprungseilsituation

Guide am Grat, Gast in der Flanke

Sichere Methode, solange der Gast

sich wohl fühlt (vorhandene Spur,

Ausgesetztheit usw.)

Sprungseil sinnvoll

Abb. 1

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

3

Beide am Grat

Klassische Sprungseilsituation

Beide in der Flanke

Oft notwendig wegen Überwechtung

Kritische Situation! Die Gratkante kann nur

erreicht werden, wenn sie nicht zu weit

entfernt ist (3-5m, je nach Verhältnissen)

und das Sprungseil lange genug ist (15m+)

Der Erfolg der Technik gerade in dieser

Situation wird gerne überschätzt!

Zackengrat

Technik: Gleichzeitiges Gehen/Klettern am verlängerten

Seil (bis 10m)

Viele Felszacken, Köpfe und Blöcke

Flaches Gelände

Beherrschung des Geländes

Zwei Gäste und deren Anseilabstand

Grundsätzlich ist der Anseilabstand zwischen den beiden Gästen so kurz

wie möglich, 1 ½-2 Meter maximal.

Manchmal kann es dennoch sinnvoll sein, den Abstand zu verlängern:

in Passagen, die gestaffelt überwunden werden

in Querungen

am Zackengrat

Abb. 2

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

4

Kurzer Abstand & Weiche „Zackengrat“-Passage

Seilweiche ja/nein

Die Weiche besteht aus zwei Sackstichknoten mit kleiner Anseilschlaufe oder nur einem

Knoten mit großer Anseilschlaufe, sie soll nicht länger als 30cm sein.

Vorteil: Bewegungsfreiheit und Komfort

Nachteil: höherer Fangstoß bei Sturz ohne Seildisziplin

Empfohlen in unregelmäßig strukturiertem Gelände mit höheren

Schwierigkeiten (Felsgrat, kombiniertes Gelände)

Nicht empfohlen in gleichmäßig strukturiertem Gelände mit

niedrigen Schwierigkeiten (Flanke)

Normales Anseilen mit Anseilknoten und Karabiner am Gurtring

ergibt auch eine „Weiche“ von 30cm!

Handschlingen im Allgemeinen und im Speziellen

Im Umgang mit Handschlingen gibt es verschiedene Meinungen. Hier ein paar Anregungen:

Kreis- oder Schlingenform, allgemein nicht zu lang.

Ordnung halten, Seilknäuel in der Hand vermeiden.

Speziell die Schlingen eines Sprungseiles sollen sich

beim „Wegwerfen“ entfalten können.

Wer seinen Gast trotz Handschlingen „im Griff“

haben möchte, verwendet eine große zusätzliche

Sackstichschlinge oder legt die „letzte Schlinge

straff“ um die Hand.

Variante „letzte Schlinge straff“ ist am Grat nur auf

Passagen zu empfehlen, wo mit Sicherheit kein

Sprungseil gebraucht wird.

Eine große Sackstichschlinge erfüllt mehrere Zwecke: sie lässt sich fest umklammern

oder auch nur locker mit zwei Fingern halten (Bewegungssensor) und kann im

Ernstfall schnell fallengelassen werden.

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

5

Praxisbeispiel

Wahl der optimalen Führungstechnik am Beispiel Biancograt mit 2 Gästen:

Aus bergundsteigen 2/2002 S.42, Alpine Führungstechnik, Robert Purtscheller & Markus Eck

Abb. 3

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

6

Kurzes Seil & Mitreißgefahr

Es wäre nicht aufrichtig, erfolgversprechende zeitsparende Kurzseiltechniken zu beschreiben

ohne ein Wort über das Risiko zu verlieren, welches bei deren Verwendung eingegangen

wird. Speziell im Hochtourenbereich ist der Bergführer mit seinem Gast (meistens sind es

mehr als einer) oft über weite Strecken auf Kurzseiltechniken angewiesen – um Zeit zu

gewinnen oder Gefahrenbereiche möglichst schnell hinter sich zu bringen oder weil gerade

keine andere Führungstechnik möglich ist.

Gehen am Kurzseil bedeutet jedoch erhöhtes Risiko und gerade deshalb sollten wir

versuchen, diese Methode sparsam einzusetzen und vor allem dann davon abzusehen, wenn

wir sie nur aus Bequemlichkeit oder zu Zwecken der Selbstbestätigung anwenden.

Die Arbeit mit dem Kurzen Seil verlangt höchste Aufmerksamkeit und Umsicht. Ein

Rutschen oder Kippen des Gastes muss unmittelbar gebremst werden. Beim

gleichzeitigen Gehen/Klettern in der Flanke bedeutet das ein sofortiges Einnehmen der

„Abwehrposition“. Am Kurzseil mit Handschlingen ist es von Vorteil, wenn der Arm

der „Arbeitshand“ dynamisch wirken kann – die beste Vorspannung ist bei leicht

angewinkeltem Unterarm gegeben, sowohl Beugung als auch Streckung ist möglich.

Die erfolgreiche Anwendung, vor allem unter einfachen Bedingungen (Gelände,

Gewichtsverhältnis), lässt das Vertrauen in die Technik wachsen und hinterlässt

eventuell ein Bild von verfälschter Sicherheit. Jetzt nur nicht übermütig werden –

besser, ein paar Mal zu früh auf eine andere Methode gewechselt als ein Mal zu spät!

Untersuchungen zu diesem Thema brachten durchgehend ernüchternde Ergebnisse:

Pit Schubert 1982:

Während des Gehens genügt eine Zugbelastung von 0,05kN – 0,5kN (entspricht 5-50kg), um

selbst kräftige Personen umzuwerfen. Sicherheit & Risiko in Fels und Eis, Band 1. [12]

Stand, seitliche Zugbelastung: 0,3 kN

Stand, frontale Zugbelastung: 0,4 kN

Gehen, seitliche Zugbelastung: 0,05-0,2 kN

Gehen, frontale Zugbelastung: 0,05-0,5 kN

Gottlieb Braun-Elwert 2008:

„Nur im Idealfall kann ein Führer erwarten, einen gestürzten Kunden von 80 kg auf einem

vereisten 30° steilen Schneehang zu halten. In der Regel kommt es zum Seilschaftssturz.

Mehr als einen Teilnehmer auf einem solchen Hang zu halten, darf als unmöglich angesehen

werden.“ bergundsteigen 2/2008, 54-61, Verbunden bis in den Tod. [2]

Zusammenfassung der Ergebnisse der Halteversuche am 30° Labor-Hang:

Im Aufstieg kann mehr gehalten werden als im Abstieg

Ein „dynamischer Bremsarm“ bringt größere Haltewerte als „direktes Einbinden“

Eigengewicht und Reaktionszeit sind von großer Bedeutung

Empfehlung: Das Halten einer Person ist möglich…

… bis 40° bei weichem Firn bzw. festem Schnee, gutes Stufentreten möglich

… bis 30° bei vereistem Schnee und hartem Firn, Steigeisen dringen gut ein

… bis 25° bei hartem Eis, Steigeisen dringen nur wenig ein

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

7

Seilschaftsablauf in der Firn-/Eisflanke

Der Seilschaftsablauf in der Firn-/Eisflanke erfolgt analog dem Ablauf im

Fels/Eisfall, deshalb wird nicht im Detail darauf eingegangen.

Großes Eisschlagdelta berücksichtigen!

Seillängen schräg ansteigend planen.

Standplatz im Eis: Reihenverankerung

mittels Eisschrauben.

Standplatz im Firn: T- oder Firnanker:

keine Zwischensicherungen, kürzere

Seillängen für genügend Bremsseil.

Tibloc-Technik

Technik: Gleichzeitiges Klettern mit Tibloc als Zwischensicherung. Bei Nachsteigersturz

bleibt Vorsteiger unbelastet.

Vor allem in Eisflanken/Couloirs, wo ein gerader Seilverlauf gegeben ist.

Kurze Steilaufschwünge, die sich mit einer Seillänge gerade nicht ausgehen.

Steile Gletscher, ausgeapert oder mit harter Firnauflage. Das Seil sollte ausgenutzt

werden und die Anseilabstände speziell bei kleinen Seilschaften verlängert werden.

- Runde HMS Karabiner verhindern ein Verkanten des Tibloc

- Richtig einhängen: Seil läuft über Karabinerschenkel

- Möglichst direkt im Fixpunkt, aber doch beweglich

- Nicht verlängern, sonst Vorsteigerbelastung bei Nachsteigersturz

- Seildisziplin: Schlappseil vermeiden

Fixseilraupe

Gute Methode, um mehrere Gäste schnell über eine Steilstufe zu bringen, auch im Abstieg.

Aufstieg: Gäste steigen mit Prusik/Klemme am Fixseil auf, der Letzte wird nachgesichert.

Abstieg: der Erste kann abgelassen werden, die anderen steigen/seilen am Fixseil ab.

Falllinie vorteilhaft, bei schrägem

Seilverlauf ist auch unten ein Fixpunkt

nötig, bei Querungen auch Zwischen-

sicherungen (Einweisung fürs Umhängen!)

Im Abstieg kann als Alternative zum

Prusik (Gefahr des Mitschiebens bei Sturz)

auch eine Seilbremse (z.B. Bremsring)

verwendet werden – Bremskraft auch von

unten über die Seilspannung regelbar.

Abb. 4

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

8

Gletscherseilschaft

Anseilen grundsätzlich ab der Firnlinie, ab dort ist der Gletscher firn-/schneebedeckt.

Ein blanker Gletscher kann unangeseilt begangen werden, wenn keine Absturzgefahr

besteht – der Gurt ist angezogen, die Ausrüstung am Gurt, das Seil griffbereit.

Als Gurt-Seilverbindung dient ein

Safelockkarabiner. Direktes Einbinden wird

nicht empfohlen, um sich gegebenenfalls

schnell aus der Verbindung lösen zu

können.

Keine Weiche! (Handling, Seildisziplin)

Anseilabstände: 8-10-12

2er-Seilschaft – mind. 12m, Bremsknoten

3er-Seilschaft – mind. 10m, Bremsknoten

ab 4er-Seilschaft – 8m

8-10-12 ist Standard. Das Gelände ist nicht immer Standard. Der Anseilabstand richtet sich

abgesehen von der Gruppengröße nach der Geländebeschaffenheit (Spaltenvorkommen,

Spaltenbreite, Hangneigung). Manchmal kann es sogar notwendig sein, nicht nur die

Abstände zu vergrößern, sondern zusätzlich über Fixpunkte zu sichern. Nachteile bringen

lange Abstände, weil sie die Seildisziplin erschweren, wie auch bei großen Seilschaften.

Bremsknoten: 3x Butterfly mit 1 – 1½m Abstand, oder Sackstich/Achter

Beim Spaltensturz erzeugt das Seil einen schmalen Schlitz, in welchem der Bremsknoten mit

größerem Querschnitt seine Bremswirkung entfaltet. Deshalb ist es wichtig, die Bremsknoten

mittig, mit 1 – 1½ Meter Abstand, anzuordnen.

Mehrjährige Beobachtungen im Übungsbetrieb konnten dem

Butterflyknoten die größte Bremswirkung zuschreiben.

Bremsknoten und Anseilknoten sollten unterschiedlicher Art

sein, um Verwechslungen zu vermeiden.

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

9

Restseil

Das Restseil ist griffbereit versorgt – als Seilpuppe

im/am Rucksack oder gestopft im Rucksack, manche

bevorzugen das in Schlingen aufgenommene Restseil

über der Schulter.

Bei einer geführten Gletscherseilschaft trägt

grundsätzlich der Guide das Restseil. Die Gäste

benötigen kein Restseil, weil sie die Methoden der

Spaltenbergung meist nicht beherrschen.

Eine „ungeführte“ Seilschaft ordnet die Anseilknoten

grundsätzlich seilmittig an, mit gleich viel Restseil an

den Enden. Das ist die Methode, die du deinen Gästen

bei Kursen vermittelst.

Vergiss nicht, deine Gäste darauf hinzuweisen, dass bei der Verwendung eines 50m Seiles das

Restseil für die standardmäßige Durchführung der Bergetechnik „Seilrolle“ zu kurz sein kann

(wann eigentlich?). Vermittle in diesem Zusammenhang…

… die Bedeutung der Selbstrettung (Prusik/Münchhausen)

… alternative Lösungen (zeitaufwändig)

… die Verwendung eines 60m Seiles (einfache Lösung)

Unterwegs am Gletscher

Spurparallele Spalten

Markierungen

Nonverbale Kommunikation

Mitreißgefahr auf steilen

Gletschern

Ein Beispiel zum Bild links:

30° Neigung, 3er Seilschaft, 10m Abstand,

Vorderster (80kg) stürzt.

Die Geschwindigkeit nach 20 Rutschmetern

beträgt ca. 45km/h, die Sturzenergie ca. 6350 Joule (entspricht 8m freiem Fall).

Auf die mittlere Person würden nun 6-8 kN Fangstoß wirken, würde sie nicht schon bei

0,5 kN mitgerissen!

Mit T-Anker und HMS Sicherung wären 2-

4 Meter Bremsweg nötig, um den Sturz zu

bremsen

Fazit: Sichern [7]

Seildisziplin

[10]

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

10

Seil- und Sicherungstechnik

Sicherungsmethoden mit Pickel und deren Haltekräfte

Die Haltekräfte aller Fixpunkte in Firn/Schnee sind primär von der Schneehärte abhängig. Bei

insgesamt bescheidenen und vor allem schwer einschätzbaren Haltekräften gilt:

- Fixpunkt/Methode im Allgemeinen nicht überschätzen!

- Schneequalität hinsichtlich Härte prüfen (unterschiedliche Schichten, Schichttiefe,...)

- Verlässliche Fixpunkte mit Pickel ab Härte 3 (1Finger)

T-Anker

Zuverlässigste aller Methoden

Für Nachsteiger- und Vorsteigersicherung geeignet

30cm tief, Schlinge am Flächenschwerpunkt

HMS und Knick geeignet

Steckpickel klassisch und abgestützt

Nur bei besten Verhältnissen, wenn ein Einrammen schwer

oder gerade noch möglich ist

Die modifizierte Form (Fuß stützt Pickelkopf) erreicht

höhere Festigkeiten als klassische Varianten (am Pickel

knien oder stehen) [4] [6]

Kurze Bandschlinge (z.B. 30cm) für bestes Handling

1-2 Personen nachsichern, 1 Person ablassen

Bestes Handling mit Knick

Sitzpickel

Sicherung am Ausgleich zwischen Pickel und Körper

Ausgleich kurz halten (Handling), z.B. 60cm Bandschlinge

Am effektivsten, wenn Steißbein den Pickel abstützt

Anwendung im geneigten Gelände/Flanke

1-2 Personen nachsichern, 1 Person ablassen

Bestes Handling mit HMS

Das Vorbereiten einer stabilen „Sitzwanne“ ist oft gleich

aufwändig wie die Vorbereitung eines T-Ankers

Stehpickel

Körpersicherung, Fersenstand am Pickel für maximalen

Druck, Seil am Pickel umgelenkt

Am effektivsten, wenn die Umlenkung ganz nah am Pickel

liegt – ein Karabiner ohne Verlängerung direkt am Schaft

Anwendung in flachem Gelände nach Steilstufe

1-2 Personen nachsichern, 1 Person ablassen

Bestes Handling mit HMS

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

11

Der Steckpickel mit Abalakow-Firnsicherungsschlinge ist ein dynamischer Fixpunkt, der bei

harten Verhältnissen über gute Haltewerte verfügt. Allerdings können schon beim Aufbau je

nach System unkontrollierbare Fehler passieren (z.B. Schlinge rutscht beim Einrammen von

der Schaftspitze). Bei weichen Verhältnissen wandert das System meterweit hangabwärts.

Schnee verfestigen

Bei weichen Verhältnissen ist eine verlässliche Sicherung mit Pickel nicht möglich. Weicher

nasser Firn/Schnee lässt sich jedoch gut verfestigen. Komprimiere großflächig, vorerst mit

leichtem Druck, anschließend mit kräftigem Druck. Im Hang schabe zuerst die benötigte

Standfläche aus (Schnee entfernen, nicht komprimieren) und beginne dann zu verdichten.

Kräfteanalyse

Die Werte der folgenden Tabelle entstammen einer 2010 durchgeführten Studie von Karl

Sulser, die im Zusammenhang mit Haltekräften verschiedener Sicherungsmethoden im Firn

erstmals auch die zugrunde liegende Schneequalität (Rammwiderstand, Dichte, Temperatur)

berücksichtigte [6].

Ausreißkräfte verschiedener Sicherungsmethoden

Undokumentierte Halteversuche im Rahmen der Bergführerausbildung lassen darauf

schließen, dass der Sitzpickel mit Rückenabstützung und guter Schneeverdichtung

wahrscheinlich höhere Haltekräfte aufweist als die Variante ohne Abstützen, vor allem bei

weichen Bedingungen.

Bremskraftwerte in der Flanke

Maximalwerte im vertikalen Gelände

Nachstieg: 1,6 kN

Pendelsturz: 2,4 kN

Abseilen: 1,2-2,4 kN

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

12

Schlussfolgerungen

Vorsteigersicherung nur mit T-Anker, bei weichen Verhältnissen mit Rucksack o.ä.,

Sturz sehr dynamisch bremsen (genug Bremsseil, Training, Knick, HMS)

Die Fixpunktbelastung ist mit Knicksicherung wesentlich geringer als mit HMS,

benötigt allerdings viel Übung

Nachsteigersicherung ist auch mit modifizierten Steckpickelmethoden möglich,

maximal 2 Nachsteiger, Schlappseil vermeiden

Bei sehr weichen Bedingungen Körpersicherung im Sitz als brauchbare Alternative

zum Rucksack T-Anker: 1 Nachsteiger am straffen Seil

Lösbare Verankerungen in Firn und Eis

Manchmal ist es notwendig, über die zuvor erstiegene Firnflanke auch wieder abzusteigen.

Oder am Ende des Abseilmanövers wartet ein Bergschrund, der überwunden werden muss. In

jedem Fall kann eine lösbare Verankerung äußerst hilfreich, vielleicht sogar notwendig sein,

voll belastet beim Abseilen oder nur teilweise belastet als Sicherung fürs Abklettern.

Lösbarer T-Anker

Abseilen/Rückzug über Flanke/Bergschrund

Schacht breit genug graben, sodass sich die Haue beim

Lösen nicht verkeilen kann, Schacht offen lassen

Mastwurf am Flächenschwerpunkt

Abseilstrang am Seilende abknoten

Abziehstrang mit Mastwurf an der Schaufel befestigen

und über die stabil liegende Flasche legen

Flasche (Biwaksack o.ä.) sichern, z.B. mit Karabiner

ans Seil hängen

Abseilen am Einzelstrang!

Lösbarer Steckpickel

Abseilen/Rückzug über Flanke/Bergschrund

Nur bei harten Bedingungen!

Der horizontale Pickel hat weniger die Aufgabe, den vertikalen zu

stützen, als eine brauchbare Umlenkung für die Reepschnur zu bilden,

um das „Abziehen“ des vertikalen Pickels gut zu unterstützen

Beide Pickel sichern, z.B. mit Karabiner ans Seil hängen

Abseilen am Doppelstrang

Lösbare Schraube

- Alternative zur Eisuhr

- Im Vergleich zu dieser fehleranfällig

- Festigkeit noch nicht untersucht

Kontrolle, ob leicht drehbar

Genügend Reepschnurwindungen

Spitzer Eindrehwinkel Abb. 5

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

13

Eisschrauben und Eisuhren im Gletschereis

Ausreißversuche der DAV Sicherheitsforschung im Frühjahr 2008 haben die hohen

Festigkeiten von Eisschrauben im Gletschereis bestätigt. Siehe auch DAV Panorama 4/2008,

Sicherheitsforschung: Eisschrauben im Gletschereis. [3]

Kompaktes Eis verwenden, morsche Oberfläche entfernen

Anzahl der Gewindegänge entscheidet über Festigkeit und nicht die Länge

Setzwinkel neutral bis hängend (ca.15°), spitzen Setzwinkel vermeiden

Eisuhr mit 22cm Schraube bohren, dann ausreichende Festigkeit selbst bei

„schlampigem“ Bohren. Reepschnur unter 7mm doppelt fädeln

Achtung Strahlung! Das Ausschmelzen der Schraube ist sehr ernst zu nehmen! Dreißig

Minuten können ausreichend sein für ein Totalversagen. Bei Eisuhren ist der Einfluss gering.

Diesem Umstand ist vor allem beim Topropestand und bei Geländerseilen (z.B.

Technikparcours im Eisbruch) Rechnung zu tragen:

Topropestand

Variante mit 2 Eisuhren empfohlen, alternativ 1 Eisuhr + 2 Eisschrauben

(Safelock-) Stahlkarabiner als Umlenkpunkt. Ohne Stahlkarabiner einen unbelasteten

Backupkarabiner als Redundanz

Weiche vorteilhaft

Statt 2 belastete Karabiner besser einer davon unbelastet

oder am besten Stahlkarabiner verwenden

Abb. 7

Abb. 6

Abb. 8

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung

14

Quellennachweis und Empfehlungen Ein herzliches Dankeschön an Georg Sojer für die Bereitstellung der Skizzen und an Chris

Semmel und die Sicherheitsforschung für die Bereitstellung der Tabellen!

Bilder und Abbildungen

Sämtliche nicht angeführte Skizzen und Abbildungen stammen vom Autor.

Abb.1: Foto: A. Giacomelli

Abb.2: Foto: A. Leichtfried

Abb.3: BERG&STEIGEN 2/2002, S. 42, Alpine Führungstechnik.

Abb.4: Skizze: Georg Sojer, zu finden im ALPINMANUAL S. 236.

Abb.5: Skizze: Georg Sojer, zu finden im ALPINMANUAL S. 246.

Abb.6: DAV PANORAMA 4/2008, Sicherheitsforschung, S. 66-67.

Abb.7: Skizze: Georg Sojer, zu finden im ALPINMANUAL S. 238, 243, 245.

Abb.8: DAV PANORAMA 4/2008, Sicherheitsforschung, S. 66.

Literatur

1) PURTSCHELLER, ROBERT / ECK, MARKUS (2002): Führungstechnik in Fels und

kombiniertem, hochalpinem Gelände. bergundsteigen 2/2002, S. 35-43.

2) BRAUN-ELWERT, GOTTLIEB (2008): Verbunden bis in den Tod. bergundsteigen

2/2008, S. 54-61.

3) SEMMEL, CHRIS / HELLBERG, FLORIAN (2008): Eisschrauben im Gletschereis. DAV

Panorama 4/2008, Sicherheitsforschung, S. 65-67.

4) SCHUBERT, PIT (2000): Sicherung mit Rammpickel. DAV Panorama 4/2000,

Sicherheitsforschung, S. 64-65.

5) WÜRTL, WALTER (2005): Baustelle Standplatz Firn – Verankerungen im Schnee.

bergundsteigen 1/2005, S. 38-43.

6) SULSER, KARL (2010): Zur Möglichkeit des Sicherns in Firn und Schnee beim

Bergsteigen. Masterarbeit am Institut für Sportwissenschaften Innsbruck.

7) FIMMEL, WALTER / LARCHER, MICHAEL (2001): Energie ist Kraft mal Weg –

Sicherungstheoretische Grundlagen Teil 3. bergundsteigen 2/2001, S. 27-33.

8) ECK, MARKUS (2001): Seiltechnik / behelfsmäßige Bergrettung. Skript zur

Österreichischen Bergführerausbildung.

9) REDOLFI, JOE / MITTERMAYR, HELI (2009): AlpinManual.

10) Zeichnung: Rust. Idee aus: The Illustrated Guide to Glacier Travel and Crevasse Rescue.

Andy Tyson, Mike Clelland. Climbing Magazine 2000.

11) HAGENMULLER, MARSIGNY, PALLANDRE (2010): Alpinismus – von den ersten

Schritten zu den großen Touren.

12) SCHUBERT, PIT (2005): Sicherheit und Risiko in Fels und Eis Band 1, 7. Auflage.

13) DAV Panorama 2/201, Firnfixpunkte, S. 65-67.

Auszug aus dem Ausbildungsskript der Bergführerausbildung