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FURIOS STUDENTISCHES CAMPUSMAGAZIN AN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN KOSTENLOS 05 JAN 2011 DAS DICKE PROBLEM DER ALMA M. MASSENUNI INTERVIEW MIT BILDUNGS- SENATOR JÜRGEN ZÖLLNER

FURIOS 05 – Massenuni

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FURIOS, das studentische Campusmagazin an der FU Berlin, Ausgabe 05 mit dem Titelthema Massenuni.

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Page 1: FURIOS 05 – Massenuni

FURIOSSTUDENTISCHES CAMPUSMAGAZIN AN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN

KOSTENLOS

05

JAN 2011

DAS DICKE PROBLEM DER ALMA M.MASSENUNI INTERVIEW

MIT BILDUNGS-

SENATOR

JÜRGEN

ZÖLLNER

Page 2: FURIOS 05 – Massenuni

ANZEIGE

ICH seH dasanders.artIkel 19:Jeder Mensch darf frei seine Meinung äußern – egal welche, wie und wo auch immer.

dIe allgemeIne erklärung der mensCHenreCHte ICH sCHütze sIe – sIe sCHützt mICH

Mehr zu den 30 Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und weitere Informationen unter www.amnesty.de

Page 3: FURIOS 05 – Massenuni

Herausgeber: Marlene Göring, Claudia Schumacher, Björn Stephan, Martin FischerChefredakteur: Jonas Breng (V.i.S.d.P., Linienstraße 94, 10115 Berlin)Stellvertretender Chefredakteur: Hendrik PauliRessortleitung Campus: Anchalee RülandRessortleitung Kultur: Carolin BenackRessortleitung Politik: Hendrik PauliLayout: David Goldwich, Julia Schönheit, Christoph Spiegel

willkommen in der Masse. 32.000 Menschen studieren derzeit an der FU – wir sind Teil davon. Quetschen uns in überfüllte Hörsäle, kloppen uns um Mensaplätze und pilgern in großen Karawanen über den Campus. Wer dachte, das pendelt sich schon wieder ein, sieht sich getäuscht: Die Tendenz zeigt nach oben.

Mit den geburtenstarken Jahrgängen, dem Abitur in acht Jahren und der Aussetzung der Bundeswehr strömen in den kommenden Jahren noch mehr Studierende in den Schoß der Universität. Die Alma Mater scheint einfach nicht satt zu werden. Dabei sind es stattliche 2 442 909,2 Kilogramm die sie derzeit auf die Waage bringt, nimmt man alle ihre Studenten zusammen – so viel wie zwölf ausgewachsene Blauwale. Eine Frau auf ihr Gewicht anzuspechen ist ein heikles Unter-fangen. Aber kein Zweifel: Die Alma Mater hat ein dickes Problem.

Aus der »guten Mutter« ist ein Massenphänomen geworden. Doch weil keiner so recht zu wissen scheint, was das im Einzelnen bedeutet, hat die Furios die Massenuni mal unter die Lupe genommen.

Zum Beispiel im Interview mit Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner, der an Almas Rundungen eigentlich nichts auszusetzen hat. Oder mit Marlene Göring, die für zwei Tage aus dem Massenbetrieb ausstieg und den FU-Riesen gegen den Mini-Campus in Hildesheim tauschte. Dann mit Linn Voss, die in der anonymen Masse nach einem Heilmittel gegen die Einsamkeit suchte – und auf ein altbekanntes Prinzip stieß. Schlussendlich kommentiert Frauke Fentloh die Ent-wicklung unserer Alma Mater und erkennt eine deutliche Verbindung zu einem anderen Erziehungsmodell: der Rabenmutter.

Und wer danach noch nicht genug hat, muss nicht bis zum nächsten Heft warten. Tagesaktuelle Beiträge, Meinungen und Veranstaltungs-tipps zum Campusleben findet ihr auf www.furios-campus.de. Die Bonusbuttons zeigen euch, welche der Heftthemen ihr online weiter-verfolgen könnt.

Auch furios sein? Egal ob ihr schreiben, zeichnen, fotografieren, layouten oder einfach euer Organisationstalent einbringen möch-tet – kommt vorbei! Die Termine für unsere Redaktionstreffen findet ihr online.

Massig Spaß beim Lesen wünscht euch

Eure FURIOS-Redaktion

MITMACHEN?WWW.FUCAMPUS.DE/MITMACHEN

[email protected]

LIEBE KOMMILITONINNEN,

LIEBE KOMMILITONEN,

FURIOS 05 IMPRESSUM Redaktionelle Mitarbeiter dieser Ausgabe:Eliese Berresheim, Rebecca Ciesielski, Frauke Fentloh, Martin Fischer (fis), Fanny Gruhl, Christian Güse, Katharina Hilgenberg, Karl Hosang, Yulian Ide, Max Krause, Christina Peters, Konstanze Renken, Angelina Scheck, Henrice Stöbesand, Filip Tuma, Anne Van-selow, Linn VossIllustrationen: Pia Bruer, Stephan Garin, Christian Güse, Michi Schneider, Julia Schönheit, Christine SpadyFotografien: Cora-Mae Gregorschewski, Kassian Mayr, Julia Pauselius, Catharina Tews

Lektorat: Anne Levke VorbeckInserate: Devid Mrusek – [email protected]

FÜR DIE OPTIK SORGEN:

studiert Biologie, malt leiden-schaftlich gern und hat ihre Fotos aus FURIOS auch schon in der SZ und im TIP veröffentlicht.

studiert Kunstgeschichte und Anthropologie.

Michi Schneider

Cora-Mae Gregorschewski

studiert Informatik und Phi-losophie, zur Zeit mit Wasch-bären unter der kalifornischen Sonne.

David Goldwich

[email protected]

Jeder Autor ist im Sinne des Pressegesetzes für den Inhalt seines Artikels selbst verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansicht der Redaktion wider. Ge-mäß dem Urheberrecht liegen die Rechte an den ein-zelnen Werken bei den jeweiligen Autoren.

Christine Spady studiert Kunstgeschichte und ist ehrenamtlich Feuerwehr-mann bei FURIOS.

Julia Schönheit

studiert Nordamerikastudien und Spanisch im 3. Semester.

Christoph Spiegelstudiert Mathe und VWL im 3. Semester.

Christine Spady

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EDITORIAL

FURIOS 05/2011

Page 4: FURIOS 05 – Massenuni

INHALT 05ANZEIGE

EMPÖRTE STUDENTIN 5

TITELTHEMA MASSENUNI»Die Wurst reicht für alle«: Ein Interview mit Jürgen Zöllner 6

Weltberühmt in Hildesheim: Zu Besuch auf einem Mini-Campus 8

Eine Klasse für mich: Zur Vereinsamung in der Masse 10

Die Rabenmutter: Wer kommt noch rein in die Massenuni? 12

4 / 40 0004 / 40 000: 4 Studierende an 4 überquellenden Orten 14

CAMPUS

Das Leben der Anderen: Studierende treffen Migrantenkinder 16

Don’t Gender Me, Baby! Lore Loghorröe im Gespräch 18

DIE INTERNATIONALE

Plus tweeendertig: Yulian und Antwerpen. Eine Geschichte. 20

POLITIKDie Lehre-Drohung: Lehrprofessuren als Zukunftsmodell 22

Die drei ???: Professorale Gruppen im Akademischen Senat 24

Der unsichtbare Kanzler: Ein Phantom an der FU 26

Elite in der Falle: Sieg in der Exzellenzinitiative required 27

KULTUR

Tatwaffe Wolle: Womit man heute Streetart macht 28

Flaneur: Stille Erleichterung 30

Veranstaltungskalender 32

Warenfetisch: Testosteron zum Aufsetzen 33

DER EWIGE EHEMALIGE

Titanic-Mitbegründer F. W. Bernstein 34

ANZEIGE

FURIOS TAGES-

AKTUELL AUF

FUCAMPUS.DE!

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INhALT

FURIOS 03/2009

Page 5: FURIOS 05 – Massenuni

Reihe. Nein, ängstlich nehmt ihr den äußersten Platz am Gang. Kommt der Nächste, steht ihr auf, verdreht die Augen und zieht den Bauch ein — ein kurzer Moment innigen Vorbeiquetschens. Natürlich bleibt auch der Zweite so nah wie möglich am Ausgang, aber vom Kommilitonen trennt ihn mindestens ein weiterer Sitz. Als Sicherheitsabstand, versteht sich.

Danach wogen in regelmäßigen Abständen ganze Reihen auf, wenn ein Neuankömmling in den Hörsaal tritt. Ein zweifelhaftes La Ola-Ritual. Derjenige muss sich nur entscheiden, ob er sich an acht, zehn oder elf von euch vorbeireiben möchte. Die Fluchtwe-

ge sind ihm ohnehin bereits versperrt. Frustration, blaue Flecke, ver-schütteter Kaffee: Nach spätestens zehn Minuten werden die ersten Fensterbänke zu Sitzen umfunk-tioniert, dabei weist die Raumbe-legung mehr Löcher auf als alle gängigen Schweizer Käsesorten. Zurück bleiben Fragen: Woher stammt diese Unfähigkeit, sich von Anfang an sinnvoll hinzu-setzen? Warum seid ihr so kurz-sichtig, warum so kontaktscheu? Braucht ihr kurze Fluchtwege? Ist es Zeitdruck? Blasendruck?

Was auch immer die Gründe sind: Es nervt! Als logische Fort-setzung dieser Entwicklung sind in spätestens zwanzig Jahren alle Hörsäle mit Fallschirmen und

Schleudersitzen ausgestattet. Wenn ihr es mit der Angst zu tun bekommt,

könnt ihr euch auf Knopfdruck in luftige Höhen katapultieren lassen. Ihr habt dann

nicht nur einen Vogel, ihr werdet selbst zu einem und seid endlich genau die Fluchttiere, die

ihr immer sein wolltet. Bis dahin werde ich weiter-hin der akademischen Viertelstunde huldigen, mich

demonstrativ auf den letzten freien Platz in der Reihen-mitte quetschen und dabei versehentlich Kaffee über euch

verschütten. Selbst schuld, ihr Angsthasen. Setzt euch selbst dorthin! ■

Liebe Am-Rand-Sitzer!

Muss das wirklich sein? Ich gebe zu, volle Hörsäle können eine klaustrophobische Angelegenheit sein. Pro Sitzplatz ein halber Quadratmeter! Das erinnert an die Bewegungsfreiheit einer Lege-batterie. Aber im Gegensatz zum Huhn kommt ihr freiwillig und dürft nach anderthalb Stunden wieder gehen. Also warum zur Hölle drängt ihr immer an den Rand? Ihr wollt doch kluge Tiere sein, erinnert euch! Stattdessen glaubt ihr wohl, dass wir euch bei-ßen wollen und plant ständig eure Flucht.

Wenn ihr pünktlich zur vollen Stunde gähnend den lee-ren Hörsaal betretet, setzt ihr euch

nicht in die Mitte einer

AUCH EMPÖRT? SCHREIB AN [email protected]!

Am Rande des Wahnsinns: Di

e Studentische Sitzplatzsu

che in FU-

Hörsälen weckt tierische I

nstinkte. CHRISTINA PETER

S’ empörter Brief

zu Legebatterien, Fluchtve

rhalten und ängstlichen Ra

ndgruppen.

PIA BRUER hielt das Flucht

verhalten fest.

Die empörte Studentin :(

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EMPöRTER STUDENT

Page 6: FURIOS 05 – Massenuni

Herr Zöllner, Ihnen wurde ein angespanntes Verhältnis zum Ex-Präsident Lenzen nach-gesagt. Wie erleichtert waren sie nach dem

Führungswechsel an der FU?Herr Lenzen war ein sehr guter Präsident und hat viel für die FU geleistet. Manchmal hätte ich mir allerdings mehr Verständnis für die institutionsübergreifenden Probleme gewünscht. Nun bin ich mir sicher, dass der neue Präsident Peter-André Alt den erfolgreichen Weg der FU fortsetzen wird.Zwei Drittel der Zuschüsse für die Hochschulen werden ab 2012 an Leistungskriterien gekoppelt. Sie haben dazu das Bild gezeichnet von der Wurst, nach der die Hoch-schulen springen sollen. War das nicht ein unglücklicher Vergleich?Für mich ist das hochschulpolitisch die Erfüllung ei-nes Traumes. Die deutsche Hochschule war der einzige Bildungsbereich in der Republik, von dem Leistungen abgefordert wurden, die in keinem Zusammenhang mit der Finanzierung standen. Das gibt es weder im Kitabereich, noch an Schulen. Niemand käme auf die Idee, Kapazitäten auszuweiten, ohne gleichzeitig mehr Personal zur Verfügung zu stellen. Aber von den Hochschulen wurde erwartet, mehr Studierende auszubilden, ohne dass sich die Bezuschussung nach den Leistungen gerichtet hat. Das heißt, die Refinan-zierung der Hochschulen über die tatsächlich erbrachten Leistungen ist der wahre Schritt in eine echte Autonomie und Freiheit für die Hochschulen. Mittlerweile können die Hochschulen tatsächlich wieder Entscheidungen treffen und wissen, dass sie das entsprechende Geld dafür bekommen.

»Humboldt hätte Bologna unterstützt«

Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner im FURIOS-Gespräch über Wurstrationen, hochschulpolitische Träume und die Massenhochschule

jenseits der »Superuniversität«. Das Gespräch führte JONAS BRENG.

Foto: CATHARINA TEWS

»Die Wurst reicht für

alle«

Jürgen Zöllners politische Wurzeln liegen in Rheinland-Pfalz. Dort trat er 1972 in die SPD ein. 1983 wurde der habilitierte Mediziner Vizepräsident der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, 1990 dann ihr Präsident. Rudolf Scharping machte ihn zum Landesminister für Wissenschaft und Weiterbildung. 2006 wechselte Zöllner nach Berlin, wo er als Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung tätig ist. Der 65-jährige hat zwei erwachsene Kinder.

INFO

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TITELThEMA: MASSENUNI

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TITELThEMA: MASSENUNI

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Befördert das nicht auch ein Hauen und Stechen zwischen den Hochschulen? Im Konkurrenzkampf um Drittmittel könnten Universitäten auf der Strecke bleiben.Über diesen Konkurrenzkampf sollten die Studierenden doch froh sein! Letzten Endes entscheiden sie, welche Hochschule mehr und welche weniger Geld bekommt. Wenn einer Hochschule die Studierenden wegbleiben, muss sie sich mehr anstrengen, attraktive Angebote zu machen. Es kann dann sein, dass manche Hochschu-len erfolgreicher sind als andere. Das gehört zum Leben.Die Wurst reicht also nicht für alle.Doch, die reicht für alle. Die Größenordnung der Refinanzierung ist ausreichend. Aber wenn der Hochschule X die Studierenden fehlen, braucht sie auch nicht das Geld für diese. Dann müssen es jene Hochschulen bekommen, zu denen die Studierenden gehen.Die Zuschüsse sind auch an die Anzahl der Studienplätze gekoppelt. Kann eine Massenuniversität nicht zu groß werden? Schon jetzt sind schlechte Betreuungsquoten und überfüllte Hörsäle in Dahlem Realität.In den derzeitigen Größenordnungen wird es keine großen Veränderungen geben. Aber ein Drittel der Mittel wird jetzt nach Leistungen in der Lehre zugewiesen. Über kurz oder lang wird das einen unheimlich positiven Effekt auf den Stellenwert der Lehre haben. Denn die Kolleginnen und Kollegen, die sich besonders erfolgreich in der Lehre engagieren, bringen der Institution Geld.Welchen Stellenwert hat die Verbesserung der Lehre in der nächsten Runde der Exzellenzinitiative?Die Exzellenzinitiative war ursprünglich für den Forschungsbereich gedacht, wobei sich Nachwuchsförderung im Rahmen der Gradu-iertenschulen auch schon dort im Schnittfeld befand. Nicht zuletzt durch die Initiative von Berlin – und damit verbunden auch mit meiner Initiative – ist es mittlerweile so, dass Aspekte der Lehre einen wichtigen Part einnehmen. Ein gutes Lehramt und damit die Umsetzung von Humboldts Idee von Forschungsergebnissen, die in die Ausbildung mit einfließen, spielen eine wichtige Rolle. Deswe-gen lohnt es sich, sich um die Lehre zu kümmern.Wie beurteilen Sie die Chancen der Berliner Anwärter für die nächste Runde der Exzellenzinitiative?In Deutschland gab es beim letzten Mal keinen Standort, der so erfolgreich war wie Berlin. Ich bin für die nächste Runde eher noch optimistischer, weil ich das Gefühl habe, dass sich die Kooperation zwischen den Unis in den letzten Jahren stark verbessert hat. In-sofern bin ich sicher, dass Berlin auch in dieser Runde wieder sehr erfolgreich sein wird.Sie glauben an den Sieg aller drei Berliner Großuniversitäten bei der nächsten Exzellenzrunde?Ja, sicher.Warum braucht es eigentlich drei Massenuniversitäten in einer Stadt?Berlin braucht so viele Studienplätze, wie wir haben. Es ist wün-schenswert, dass wir diese Studienplätze noch weiter ausbauen können. Die Frage der Organisation ist eine andere. Aus meiner Sicht ist die momentane Konstellation vernünftig, weil sich gezeigt hat, dass sich ganz große Tanker schwerer lenken lassen.Das heißt, eine »Super-Universität« durch Fusion wird es nicht geben?Ich jedenfalls halte einen Zusammenschluss der vier Berliner Uni-versitäten sowohl sachlich als auch politisch für falsch.Inwiefern beißt sich der Elitegedanke mit dem Modell der Mas-senuniversität?Das beißt sich nicht. Wir versuchen den Spagat zu schaffen, sowohl das Angebot in der Breite auszubauen als auch Spitzenförderung zu leisten. Wir brauchen möglichst viele gut ausgebildete Menschen

in allen Bereichen und gleichzeitig Spitzenforschung als Treiber für eine gelungene Innovation. Dadurch zeichnet sich die Berliner Wissenschaftspolitik aus. Wie man an Fakten ablesen kann, ist das keine heiße Luft. Wir waren schon am Beginn der Legislaturperiode das Land, das die meisten Studienplätze zur Verfügung stellt. Die Anzahl der Studienanfänger ist seit Beginn dieser Legislaturperiode um 6000 gestiegen und wir haben jetzt beschlossen, die Zahl noch-mals um 6000 Studienplätze zu erhöhen. Das zeigt, dass wir die hochqualitative Ausbildung in der Breite mit riesigem Engagement fördern und umgekehrt das Engagement auch die Spitzenforschung durch Initiativen wie die Einsteinstiftung, den Masterplan und das Vorantreiben der Exzellenzinitiative maßgeblich unterstützen.Warum gibt es eigentlich keine Exzellenzinitiative für die Lehre?Ich erinnere daran, dass es ein gewisser Berliner Senator war, der das aufgebracht hat. Der wesentliche positive Effekt der Exzellenz-initiative war gar nicht das Geld, sondern der Imagegewinn für die Forschung. Auch wenn sich die Exzellenzinitiative nicht eins zu eins auf die Lehre übertragen lässt, sollte man darüber nachdenken, für diese einen ähnlichen Weg zu finden. Die Einsicht dafür ist bundes-weit gewachsen. Anfangs wurde ich stark abgeblockt.Welche unmittelbaren Konsequenzen hätte denn der Verlust des Elitestempels an der FU?Ich habe keine Veranlassung darüber nachzudenken. Deshalb kann ich dazu nichts sagen.Ihre Enkel stehen bald am Beginn ihres Studiums. Was empfeh-len sie ihnen, Berlin oder nicht Berlin?In jedem Fall Berlin.Was rät der Großvater sonst noch?Studiert, was euch Spaß macht, aber studiert es richtig. Haltet euch dabei die Möglichkeit offen, möglichst schnell mit dem Studium fertig zu werden. Der Weg in die Lebenswirklichkeit ist der ent-scheidende. Danach kann man immer noch über Zusatzqualifikati-onen weitere Bildungsangebote nutzen.Wo würden Sie denn selbst hingehen, wenn sie von allen drei Berliner Universitäten eine Zusage hätten?(Lacht) Einen Senator, der Ihnen darauf eine Antwort gibt, müssten Sie sofort entlassen. Er wäre dumm. Das müssen Sie auch genau so hinschreiben!Als Berliner Bildungssenator steht man ständig im Kreuzfeu-er. Sehnen Sie sich da nicht zurück in die rheinlandpfälzische Beschaulichkeit?Ich bin nicht gezwungen worden, nach Berlin zu kommen und denke sehr liebevoll an die Zeit in Mainz zurück. Aber Berlin ist der spannendste Ort in Deutschland, wenn man etwas mit Wissen-schaft zu tun hat. Vielleicht sogar in der Welt.Heißt das, Sie werden auch nach den nächsten Abgeordneten-hauswahlen für das Amt zur Verfügung stehen?(Lacht) Soweit ich weiß, bin ich der dienstälteste Minister dieser Republik und habe mich in 20 Jahren nicht einmal darüber geäu-ßert, was nach einer Wahl sein wird. Das will ich jetzt auch nicht bei einem Campusmagazin ändern. ■

Jonas Breng ist Chefredakteur bei FURIOS. Er studiert Politikwissenschaften und möchte eigent-lich nicht jedes Mal springen müssen, bevor es etwas zu essen gibt.

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TITELThEMA: MASSENUNI

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TITELThEMA: MASSENUNI

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Page 8: FURIOS 05 – Massenuni

Planmäßige Ankunft, 9:36 Uhr. Mit ICE-verschlafenen Augen schaue ich mich um: Bäcker, Bank und Bus-

bahnhof sehe ich auf einen Blick. Das war einfach, jetzt kann es losgehen. Destinati-on: Uni Hildesheim.

Erstmal fahre ich zu Josi, sie wird mich in das ansässige Studentenuniversum ein-führen. Munter und aufgeräumt öffnet sie mir die Tür zu ihrer 5er-WG. Josi kommt vom Planeten Goa: mehrere Lagen Strick-klamotten in Regenbogenfarben, um den Hals eine Ethno-Kette, von denen ich noch 20 weitere zu Gesicht bekommen wer-de. »Die machen mein Leben bunter, das braucht man hier«, lacht sie.

Nach 6 Minuten im Bus erreichen wir den Campus. Ich blicke in offene, freundli-che Gesichter, ein paar Leute grüßen mich sogar. Es ist nicht gerade ausgestorben, aber gemütlich. Niemand hetzt mit büchervol-len Tüten vorbei, keiner bleibt plötzlich orientierungslos stehen. Etwas später sit-zen wir mit 20 anderen in einem »ziem-lich durchschnittlichen Seminar«, wie Josi sagt. »Schon, nur mit weniger Studenten«, denke ich. Auch die Diskussion nach den üblichen Frontal-Referaten ist irgendwie anders. Adam Smiths merkwürdige Thesen zu Moral und Kapitalismus hätten in jedem FU-Seminar einen mittleren Stellvertreter-krieg ausgelöst. Hier sind die ideologischen Einwände zaghaft.

Mittags bleibt der Run auf die Mensa aus. Nur die wenigen, die zwischen den Seminaren nicht zum Kochen nach Hause fahren, sind hier. Eine seltsam homogene Gruppe. Keine Polohemden-Träger, keine Punks. Einzelne Studienfächer kann ich nicht identifizieren, obwohl die Uni Hil-desheim mit nur knapp 6 000 Studenten eine Volluni ist. Wir machen ein Spiel dar-aus: »Lehramt!«, »Informatik!«, »Irgendwas mit Sprachvermittlung!« – Josi erkennt je-den sofort. Und ich freue mich, dass die Mensa-Verkäuferin für meine Käsenudeln »unter keinen Umständen« den Gästepreis berechnen will.

Auch wenn man den Campus mit einem Blick überschaut, kann man sich verlaufen. Die Architektur erinnert an Bauten im tie-fen Osten Europas, ein Traum aus Futuris-mus und Zweckmäßigkeit der 60er-Jahre. Die Gebäude im Legobaukastensystem sind komplett unterkellert, Josi führt mich über Treppen und endlose Gänge. »Dort sind die Übungsräume und die Künstlerwerkstatt.« Josi gerät ins Schwärmen. Von den vielen Festivals, Lesungen und Ausstellungen, die die Studenten veranstalten würden. Mono-tonie gibt es für sie nicht in Hildesheim, aus dem paradoxen Grund: »Man findet immer jemanden, dem auch langweilig ist.« Dann trifft man sich zum Glühwein

trinken, Plätzchen backen oder Risiko spielen. Gemeinsa-mes Tatort schauen kennt sie noch nicht. »Hey, gute Idee!«, meint sie.

Toll findet Josi auch die Dozenten. »Wir gehen oft privat zusammen ins Café und duzen auch die meisten.« Wenn mal ein Seminar ausgebucht ist, kommt man nach persönlicher Absprache trotzdem rein. Auch Fristen und Anerkennungen sind Verhandlungssache. Damit bestätigt Josi das »ausgezeichnete Betreuungsverhält-nis«, mit dem die Uni auf ihrer Homepage wirbt. Nur die Bibliothek ist ihr zu klein. In drei Minuten hat man die Regale abgelau-fen, auf denen ein Großteil der Bücher aller Fachbereiche steht. »Das meiste geht über Fernleihe.« Josi verzieht den Mund: »Eine Hausarbeit kostet mich da schon mal 30 bis 40 Euro.«

Abends geht Josi zur Vokü im Café Brühl-chen in der Innenstadt. Wie jeden Donners-tag. Abgerissene Sofas, »Castor schottern!«-Poster an den Wänden und veganes Chili: alles sehr studentisch und irgendwie po-litisch. Dabei ist Hildesheim bei weitem keine typische Unistadt, sondern Deutsch-lands Hort der Alten. Neben Hochschülern wohnen hier hauptsächlich Menschen über 50. »In Berlin habe ich immer das Gefühl, die Stadt passt sich Dir an.« Die 22-Jähri-ge hat in der Metropole Verwandte und ist öfter mal dort. »Hier muss man sich der

Aus groß mach klein: Zwei Tage lang tauschte MARLENE GÖRING die Massen-FU gegen den Mini-Campus Hildesheim und hat sich riesig amüsiert.

Illustration: MICHI SCHNEIDER

WELTBERÜHMT IN HILDESHEIM

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Stadt an-passen.« Wenn man etwas er- leben will, muss man das eben selbst organisie-ren. Vielleicht engagieren sich deshalb die meisten ihrer Kommilitonen, das StuPa tagt einmal die Woche. Gesprächsthema Nummer eins ist an diesem Abend aber nicht die Weltrevolution, sondern der Po-etry Slam vom Vortag. »Habt ihr gehört?«, höre ich heute schon zum fünften Mal. »Es war so voll, die haben draußen an den Fens-tern gestanden um was mitzubekommen!« Ich verlasse die Runde in Richtung Kultur-fabrik, dem Schauplatz der Slam-Sensation.

An der »Kufa« treffe ich Juli. Die zier-liche Schwarzhaarige mit dem aufmerksa-men Gesichtsausdruck studiert seit diesem Semester Kreatives Schreiben und Kul-turjournalismus. »Rauchst Du? Isst Du Fleisch?« möchte sie als erstes wissen. Auf-atmen auf allen Seiten: Wir mögen beides. In der Kufa ist Burgertag und ein ziemlich mittelmäßiger Singer-Songwriter behindert unser Gespräch. Nach und nach kommen noch andere Kreativ-Studenten an unseren

Tisch, der der einzige besetzte bleibt. Auch hier dreht sich

erstmal alles um den Poe-try Slam. So viel los wie

selten. »Als ich ange-kommen bin, dachte ich: Toll, und jetzt?« Hildesheim ist für die Regensburgerin Juli keine Wahlhei-mat. Der Studien-gang war entschei-dend. »Am ersten Tag habe ich mich

in ein Café gesetzt.« Aus kajalumrandeten Augen wirft sie mir ei-nen ironischen Blick zu: »Da war so eine Hausfrau in Trainingshose, die habe ich gefragt, was es denn Besonderes in der Stadt

gibt.« Die ernüchternde Antwort: »Dahinten reißen sie

Häuser ab, da guck’ ich immer.«Ansonsten arrangiert man sich mit

Hildesheim. Und schließlich habe ich ja Kreative vor mir, die sich notfalls selbst zum Event machen. Das Gespräch kommt immer wieder auf besonders eigenartige Exemplare unter ihnen. Den heiligen Klaus zum Beispiel. Flyer und Sticker mit ihm als Jesusfigur sind überall auf dem Cam-pus verteilt – Selbstinszenierung als Se-minaraufgabe. »Der ist jetzt weltberühmt! Weltberühmt in Hildesheim …«, schmun-zelt Johanna.

Aber auch im gemütlichen Hildesheim ist nicht alles Ponyhof. Johanna und die anderen erzählen vom Dauerclinch am Fachbereich: »arrogante« Kreative gegen »müsliessende« Kulturwissenschaftler. We-nig Platz auf dem Campus, viel Raum für Klischees und Labels, mit denen man sich wahlweise identifiziert oder gegenseitig brandmarkt. Dass es an der Uni sogar Na-turwissenschaftler gibt, halten die Anwe-senden für ein Gerücht. Dafür bieten die Lehrämtler jede Menge Angriffsfläche und schießen ebenso zurück. Welche Ausmaße das annehmen kann, weiß Juli. Denn auch wenn man sonst unter sich bleibt, man-che Seminare teilt man eben doch. »Wenn dann ein Lehrämtler einen Witz macht,

lachen nur seine eigenen Kommilitonen.« Und umgekehrt. »Bekackt«, findet auch Johanna.

Am nächsten Morgen fahre ich mit Juli zu »ihrem« Campus. In den 15 Minuten Fahrtzeit lassen wir die Stadtgrenzen weit hinter uns. Durch eine Pappelallee laufen wir vorbei an winterlichen Wiesen. Vor uns sind die Umrisse eines alten Gutshofs im Nebel zu erkennen. »Normalerweise stehen hier auch Pferde«, nuschelt Juli zwischen Schal und Mütze. Ein Hauptgebäude, drei, vier kleine Ställe und Nebenhäuser, aus denen Sägegeräusche dringen – die Umge-bung, in der Schöpferkraft geschult wird. Da sitzen sie, die Kreativen: auch hier keine Fashionvictims und Hardcore-Individualis-ten. Dafür blasse, müde und Kaffee schlür-fende Menschen. Ich fühle mich heimisch.

In letzter Minute müssen wir den Raum wechseln. Die Vorlesung »Mediengeschich-te« hören wir jetzt im Blauen Salon, eine Art mittelalterliche Klause, die nur für etwa 10 Studenten Platz hat. Ein paar von uns setzen sich auf die Fensterbänke – Überfül-lung auf Hildesheimerisch. Eine Studentin hat ihren Teller aus dem hofeigenen Café mitgebracht und zerkleinert langsam Kar-toffeln mit Quark. »Schon nach ein paar Wochen kannte ich jeden in meinem Stu-diengang«, flüstert mir Juli zu. »Und die meisten anderen zumindest vom Sehen.« Sie findet das eher langweilig als beschau-lich. Ihren Master will sie in jedem Fall wo-anders machen.

14.15 Uhr: Ich nehme den Bus, der jetzt voller ist als der Campus. Nach und nach steigen immer mehr bepackte Studenten ein. Freitag ist der Tag der Heimfahrer. Auch meine Zeit in Hildesheim endet heu-te. Vorher werde ich aber noch kurz bei Josi in der WG vorbeischauen, auf einen Tee und eine Partie Risiko. Ist ja nur ein Kat-zensprung, in Hildesheim. ■

FURIOS-Herausgeberin Marlene Göring studiert Neuere Deutsche Literatur. In ein paar Wochen wird sie Josi bei ihrem Gegenbesuch über den FU-Campus führen.

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Julia hat genug. Die 21-Jährige schaut über den Rand ihrer Milchkaffeetas-se. Sie wirkt selbstbewusst und aufge-

schlossen. Ihr Umgang ist freundlich, ihre Stimme ruhig, aber bestimmt. Eigentlich kann man sich nicht vorstellen, dass je-mand wie sie in der Masse untergeht. Trotz-dem sagt sie: »Ich fühle mich extrem un-wohl hier, weil ich das Gefühl habe, keinen Anschluss zu finden.« Vor einem Jahr hat sie begonnen, an der FU BWL zu studie-ren. Am Ende des ersten Semesters hat sie noch immer kaum jemanden auf der Straße erkannt.

30 000 Studenten sind an der Freien Universität Berlin immatrikuliert. Die Zahl entspricht der Bevölkerung von Usedom. Trotzdem fühlt sich hier manch einer wie auf einer verlassenen Insel. Wir kennen das Gefühl wahrscheinlich alle. Man hetzt in die überfüllte U-Bahn, ohne einen ein-zigen der Miteingestiegenen zu kennen. Professoren kennen niemanden persönlich. Und mittags bleibt die Suche nach einem bekannten Haarschopf an einem der Men-satische vergebens.

So ging es auch Julia in ihrem ersten Se-mester an der Massenuniversität. Sie gab sich nochmals ein halbes Jahr, um in Berlin anzukommen. Ohne großen Erfolg. »Na-türlich kenne ich verschiedene Leute, aber das ist alles eher oberflächlich«, sagt sie. »Man sieht sich im Seminar, geht gemein-sam in die Mensa, vielleicht auch mal am Wochenende tanzen. Aber intensive Ge-spräche gibt es selten.« Einen Grund dafür

Mangel an sozialer In-teraktion sein. Gemäß einer Studie der ge-meinnützigen Hochschul-Infor-mations-System GmbH fühlen sich nur 12 Pro-zent der Studi-enabbrecher an deutschen Univer-sitäten rundum gut von ihren Professoren und Dozenten be-treut. Und vor allem Studenten, die wenig Kontakt zu ihren Kommillitonen haben, sind laut der Studie von einem Abbruch gefährdet: Die Motivation zu lernen und am Ball zu bleiben sinkt, wenn man im Studienfach kei-ne persönlichen Bindungen hat. Von 100 Studienabbrechern geben 34 an, nur sehr schwer Kontakt zu ihren Kommillitonen gefunden zu haben.

Auch eine Massenuniversität kann den Kontakt zwischen ihren Studenten fördern. Das Problem ist nicht die Masse, sondern die Organisation. An angelsächsi-schen Universitäten und an Fachhochschu-len sind die Studenten nicht nur in Fächer,

Die Klasse ist an der Uni verpönt. Das sei etwas für Schulen, wird gemeckert. Dabei wird vergessen: Klassenverbände sind ein Mittel gegen Vereinsamung im Massenbetrieb.

Von LINN VOSS — Illustration: CHRISTINE SPADY

sieht sie in der Angebotsvielfalt der FU: »Im zweiten Semester hatte ich fast keine Ver-anstaltung mit jemandem, den ich bereits kannte.« Die meisten Gesichter waren ihr immer noch fremd. Ihr Studium setzt sie jetzt in Münster fort.

Julia ist kein Einzelfall. Wer an der FU einen Studienplatz ergattert, darf sich als Gewinner fühlen. Trotzdem werden viele damit nicht glücklich, weil sie in der neuen Umgebung nicht ankommen. Der Betreu-ungsschlüssel an Massenuniversitäten ist in der Regel katastrophal. Viele Studenten haben in den ersten Semestern mit den Professoren ihres Faches überhaupt keinen Kontakt, Tutorien werden von wechseln-den Dozenten geleitet. Oft sind die Studie-renden mit Problemen überfordert, weil sie nicht wissen, an wen sie sich wenden kön-nen.

Die FU gibt keine offiziellen Zahlen über die Abbrecherquoten und die Grün-de bekannt, warum die Leute ihr Studium schmeißen. Im Jahr 2007 gelangte jedoch eine FU-Erhebung zum Studienerfolg in den neuen Bachelor-Studiengängen an die Öffentlichkeit. Sie belegt, dass das Ziel der BAs, das Studium effizienter und erfolg-reicher zu gestalten, nicht erreicht wurde. Im Vergleich zu den alten Studiengängen brechen mehr Studenten ihr Studium ab, in den ersten beiden Jahren bis zu 37 Pro-zent. Ein nicht unwesentlicher Grund für die hohe Abbrecherquote dürfte dabei der

EINE KLASSE FÜR MICH

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schichte, Wirtschaft, Soziologie und Politik zwei Schwerpunkte wählen. Dass trotz die-ser Vielfalt der Disziplinen ein Klassengeist entsteht, beginnt beim speziell angelegten Lehrplan. Interdisziplinäre Veranstaltun-gen decken auch die vier anderen, nicht gewählten Fächer ab. »So kommen unsere Studenten immer wieder zusammen und können Kontakte knüpfen«, meint Andreas Etges, Koordinator des Masterstudiengangs am JFK.

Darüber hinaus versucht das Institut aktiv, den Klassengeist zu pflegen. Etges kümmert sich persönlich um die Bewer-bungen für den Master, begrüßt jedes Jahr alle Studienanfänger in einer gemeinsamen Veranstaltung und ist Ansprechpartner für alle Fragen zum Studium. Jede Klasse wird nach ihrem Einstiegsjahr benannt und er-hält eine gemeinsame Abschlussfeier, die vom Ehemaligenverein organisiert wird. Wer durch das Institut geht, sieht auf den Fluren die Fotos von allen Feiern hängen, auf denen jeder Student einen Absolven-tenhut trägt.

Alles nur akademischer Klimbim? Das Institut ist mit seiner Strategie erfolgreich. Die Studentin Nadia Nejjar ist zwar erst seit Oktober am JFK, fühlt sich aber bereits sehr gut aufgehoben: »Ich habe viel Kontakt mit meinen Kommilitonen und kenne in-zwischen alle zumindest vom Sehen.« Auch die Professoren wirken sehr aufgeschlossen auf sie. »Sie ermuntern uns häu-

fig, bei Problemen jeglicher Art zu

ihnen zu kom-

men.« Das bestätigt auch Erika Ram-

berg. Sie hat ihren Bachelor in Englischer Literatur und Kunst-

geschichte in Boston gemacht und ist für den Master nach Berlin gezogen. »Hier hat jeder

Professor seine Sprechstunde. Und wenn ich eine Frage habe,

schreibe ich eine Mail, die spätestens nach zwei Tagen beantwortet wird.«

Weiter gefördert wird der Gemein-schaftssinn nicht zuletzt dadurch, dass das Institut ein eigenes Gebäude hat. »Wir sitzen nicht einfach nur in einem Teil der Silberlaube, sondern alles ist hier in der Lansstraße untergebracht, auch die Bib-liothek. Und die Fachschaftsinitiative hat sogar ein kleines Café für die Studierenden eingerichtet«, sagt Etges. Für ihn bedeutet die Pflege der Klasse zwar einen Mehrauf-wand, doch dieser lohnt sich. Das JFK habe – trotz hohem Arbeitspensum im Studium – eine der geringsten Abbrecherquoten an der FU.

Die Organisation in Klassen birgt aber auch Risiken. Die Klasse verringert zwar die Anonymität innerhalb eines Jahrgangs, kann jedoch zum Verhängnis werden, wenn man sein Studium unterbrechen muss. »Kommt man nach ein, zwei Jah-ren wieder, ist es für viele schwer, wieder Anschluss zu finden. Die Karawane ist ohne einen weitergezogen und man ist der oder die ›Neue‹«, sagt Reinhard Fran-ke, Diplom-Psychologe und Mitarbeiter in der Psychologischen Beratung der FU. In einer solchen Situation tritt besonders in einem überfüllten Seminar zuweilen das auf, was Psychologen als das »Spotlight-Phänomen« bezeichnen: Der Betroffene hat das Gefühl, alle Aufmerksamkeit würde sich wie ein Scheinwerfer unangenehm auf ihn richten. Oft wagt er dann nicht mehr, sich in Seminaren zu Wort zu melden und kapselt sich von seinen Kommilitonen ab. Um dem entgegen zu wirken hilft meist ein Gespräch mit Menschen, die ähnliche Pro-

bleme hatten. Das wiederum wird, iro-nischerweise, durch das Einrichten von Klassengemeinschaften erleichtert.

Das neue Semester an der FU wird ohne Julia beginnen. Sie behält zwar ihr

Studienfach bei, wechselt jedoch den Stu-dienort. »BWL ist schon die richtige Wahl für mich. Und in Münster wird dann hof-fentlich auch das Drumherum stimmen.« Nadja dagegen bleibt in Berlin, genauer gesagt am JFK. »Ich fühle mich hier sehr wohl und habe absolut nicht das Gefühl, in der Masse unterzugehen.« ■

sondern in Jahrgänge und Klassen eingeteilt. Ein System, das Schule macht. An der FU gibt es inzwischen Institute, die den Ansatz erfolgreich übernommen haben. Die Idee dahinter ist einfach. »Unsere gelebten so-zialen Kontakte, also Freundschaften oder Partnerschaften, finden meist in Gruppen statt, die eine Größe von 15 Personen nicht überschreiten«, sagt Bettina Hannover, So-zialpsychologin an der FU. »So behalten wir den Überblick und erhalten trotzdem emotionalen Rückhalt.« Die Schwierigkeit bestehe momentan darin, einen sozialen Raum zu finden, der von seiner Größe her persönliche Beziehungen zulässt. Das kön-nen selbstorganisierte Arbeitsgruppen im Seminar, eine Studentenvertretung oder die Mannschaft im Unisport sein. Oder eine Klassengemeinschaft. »Da sind auch wir als Universität gefragt«, räumt Dr. Han-nover ein. Sie fordert: ›Wir müssen mehr klassenartige Strukturen aufbauen, um den Studenten das Gefühl zu geben, nicht von der Masse an Kommillitonen verschluckt zu werden.«

Wie das konkret aussehen kann, zeigt das John-F.-Kennedy-Institut für Nordameri-kastudien – kurz JFK – an der FU. 30 Stu-denten werden pro Jahr für den Master und 60 für den Bachelor zugelassen.

Sie können aus den sechs Bereichen Literatur, Kultur, Ge-

Linn Voß studiert im dritten Semester Biochemie und ist ganz froh darüber, dass das außer ihr nur 20 andere tun.

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Alma Mater, »nährende Mutter«. So wurden Universitäten jahrhunder-telang von ihren dankbaren Studen-

ten genannt. Hinter dem Kosenamen ver-birgt sich die Vorstellung, die Studierenden würden an ihrer Hochschule mit Wissen genährt, auf dem Campus liebevoll um-sorgt und von der mütterlichen Lehranstalt mit einem allseits geschulten Verstand aus-gestattet. Gefüttert mit Bildungshäppchen, gepäppelt mit Fachkenntnissen und ein bisschen Lebenserfahrung oben drauf. Ir-gendwann verlassen die Studenten schließ-lich den Schoß der Universität, gehen in die Welt, werden Gelehrte, Staatsmänner, Weltverbesserer.

So harmonisch, so gut. Doch dieses Kon-zept klingt nicht wirklich nach dem Studi-um, wie wir es kennen. Schon gar nicht klingt es nach FU. Die Alma Mater, die gute Universität, ist ein Relikt aus vergangenen Hochschulzeiten. An der Massenuniversität ist ihr Schicksal besiegelt: Unrettbar! Denn hier ist vom Bildungsideal nicht mehr viel übrig. Statt sich an einer ausgewogenen Wissensnahrung satt zu essen, sieht sich der Massenstudent mit einem überquellenden und umso tückischeren Fast-Food-Buffet konfrontiert. Die Riesen-Auswahl ist da, aber im Laufschritt wird er am bunten Ga-bentisch vorbeigeschleust und muss sehen, was er sich in die Taschen stopfen kann. Hauptsache man hat was im Bauch. Von Nestwärme ist an der Massenuni nichts mehr zu spüren.

Und zu allem Unglück wird das in Zu-kunft nicht besser, sondern schlimmer wer-

recht nicht gewachsen sein. Mancherorts befürchtet man gar »Kollaps« und »organi-satorisches Desaster«. Knappe Kapazitäten werden vor allem die Zulassungsbeschrän-kungen erschweren. Studiert werden soll, ja bitte, da sind sich alle einig. Das schreiben sich Politiker quer durch die Parteienland-schaft besonders gern und gut sichtbar auf die Fahne. Wenn jetzt die Studentenzahlen steigen, sollte doch endlich alles stimmig sein - genug gut ausgebildete Akademiker, die den Markt satt machen.

Leider nur fast. Denn den angehenden Studenten kommt die Schuldenbremse der Länder in die Quere. Im Klartext: Natür-lich fehlt schon wieder an allen Ecken und Enden das Geld, obwohl mit dem Hoch-schulpakt bereits zusätzliche Mittel für die Universitäten bereitgestellt wurden.

An der Massenuniversität gibt es deshalb kein Vorbei, die Massenabfertigung – alter-nativlos. Dennoch stellt sich mit dem radi-kalen Andrang mehr denn je die Identitäts-frage. Wer darf rein und wer muss draußen bleiben? Und wer ist eigentlich qualifiziert für ein Ellenbogen-Studium in der Wis-sensfabrik?

In einer Zeit, in der Fähigkeiten auf der Mattscheibe verhandelt werden, ist die Ant-wort einfach: Massencasting. Es könnte ei-nem neuen Auswahlverfahren die Richtung weisen. Wenn man die Casting-Situation vom flüchtigen Moment aus Beachtungsex-zess und inszenierter Inkompetenz befreit und stattdessen auf echtes Interesse setzt.

Alma Mater war gestern. 70 000 Studenten zusätzlich strömen im nächsten Jahr an die Universitäten. Für die Massenuni stellt sich die Identitätsfrage: Wer darf rein

und wer muss draußen bleiben? FRAUKE FENTLOH kommentiert.

Illustration: MICHI SCHNEIDER

den. Die Hochschulen platzen aus allen Nähten. Noch nie gab es so viele Erstsemes-ter, noch nie so viele Studierende. In diesem Wintersemester sind rund 2,2 Millionen Studierende an deutschen Unis eingeschrie-ben, fünf Prozent mehr als im vorherigen Jahr. Und damit nicht genug: Im nächsten Jahr kommen die doppelten Abiturjahrgän-ge aus Bayern und Niedersachsen hinzu, außerdem wird die Wehrpflicht ausgesetzt – die Zahl der Studienanfänger wird im Jahr 2011 um etwa 70 000 steigen.

Ohnehin ist Berlin ein Studentenmag-net. Alle Probleme der Massenuni werden hier auf die Spitze getrieben. Schon in die-sem Semester hat die Stadt 6 000 zusätzli-che Studentenplätze geschaffen, 6 000 wei-tere sollen folgen. Auf den Gängen der FU ist es merklich enger geworden. Langsam wächst die Massenuni aus ihren Kleidern heraus. Hörsäle und Seminare sind hoff-nungslos überfüllt. Wahrscheinlich hat so mancher Germanistik-Student in seinen Kursen mehr über seine Beinmuskulatur als über die Grundlagen der Linguistik gelernt, neunzigminütigem Halbsitzen auf dem Heizkörper sei Dank. Ein Sitzplatz ist an der Massenuni nicht für jeden da, ebenso wenig wie ein Platz im Erasmus-Programm oder im Unisport. Und Diskurs und Dis-kussion sind bei fünfzig Seminarteilneh-mern fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Den Heerscharen, die in den nächsten Jahren an ihre Pforten klopfen, wird sie erst

DIE RABENMUTTER

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ben, das kostet Mehraufwand. Schließlich müsste man extra anreisen, sich auf die Diskussion vorbereiten. Ein paar Online-Bewerbungen auszufüllen und ein Zeugnis in den Briefkasten zu werfen ist da deutlich stressfreier. Doch die nervtötende Mühe könnte sich auszahlen.

So bekämen nämlich auch diejenigen die Chance auf einen Studienplatz, bei denen in der Abinote keine Eins vor dem Komma steht, die aber für ihr Fach brennen. Wem Mathe oder Französisch zu Schulzeiten den Durchschnitt versaut hat, muss schließlich nicht der schlechtere Psychologie- oder Literaturstudent sein. Die Uni Greifswald praktiziert das bereits in einigen Studien-gängen. Das Resultat: Hier hat auch ein Bewerber mit einem Abiturschnitt von 2,5 noch eine Chance aufs Medizinstudium.

Für die Uni sind solche Verfahren mit einer Lawine an bürokratischem Aufwand verbunden. Klar. Aber gleichzeitig helfen sie ihr, die Studenten zu erreichen, die sie braucht. Welche, die wissen, wo sie studie-ren wollen. Welche, die sich die Zeit ge-nommen haben, den Unikoloss jenseits des polierten Internetauftritts kennenzulernen. Immerhin nicht unerheblich für die Ent-scheidung.

Denn eines steht fest: Die Massenuni kann nur funktionieren, solange sie ihre Studenten nicht überfordert. Andererseits ist es aber auch Sache der Studierenden, das Beste aus der Massenkost zu machen. Wer will, kann in den Kursen gemütlich in der letzten Reihe abtauchen und am Ende des Semesters eine Hausarbeit abliefern. Hin und wieder mal ganz angenehm. Doch wer nach jahrelangem Studieren mehr ge-wonnen haben will als einen akademischen Titel, dem werden Eigeninitiative und En-gagement abgefordert. Denn schlecht aus-gebildete Akademikermassentiere, die mit eingezogenem Kopf durch volle Uniflure gehastet sind, braucht niemand. Völlig übersättigte Lernfabriken aber ebensowe-nig. Wer Bildung für die Massen will, muss die Massenuni auch studierbar machen. Alles andere wäre schizophren. Dass aus der FU in diesem Leben keine Alma Ma-ter mehr wird, ist wohl klar. Dafür, dass sie nicht vollends zur Rabenmutter mutiert, muss schnellstens gesorgt werden. ■

Peter-André Alt, der im bunten Anzug über die Bühne stolziert, die Bewerber mit flap-sigen Sprüchen abkanzelt, dazu johlende Viertsemester im Publikum – das brauchen wir sicherlich nicht. Die Uni aber braucht eine Alternative zu den bisher doch sehr schematischen Zulassungsverfahren. Die Logik des Show-Castings müsste dafür in sein Gegenteil verkehrt werden. Während das Ziel einer Casting-Show das Verfahren an sich ist und nicht die Begünstigung von Talentierten, muss die Uni die individuelle Begegnung nutzen, um die Studenten zu finden, die zu ihr passen. Es drängt sich eine einfache Forderung auf: Auswahlgespräche und andere individuelle Bewerbungskriteri-en müssen endlich zum Maßstab werden.

Dann wird sich zeigen, wie sich die Hochschule den Otto Massenstudent wünscht. Soll er sich ruhig verhalten im Mühlrad der Menge, ein Durchschnitts-mensch, der möglichst wenig Ressourcen verbraucht und auch sonst keinen Ärger macht? Oder kommen im Gegenteil nur noch die Hochmotivierten zum Zug, die schon vor dem Studium genau wissen, wo es im Lebenslauf einmal langgehen soll?

Auch wenn derartige Auswahlverfahren bei den angehenden Studenten erst mal keine Begeisterungsstürme auslösen, sollte man sich auf die Idee einlassen. Zugege-

Frauke Fentloh studiert Allge-meine und Vergleichende Lite-raturwissenschaft. Sie arbeitet in der Nachrichtenredaktion von Zeit Online.5 kg

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»MEINE TAKTIK? EINFACh AUShALTEN.«In der U3: Elisa, 21, studiert Publizistik und Politikwissenschaften. Jeden Morgen kämpft sie sich durch das U-Bahn-Dickicht.

Eigentlich versuche ich, die Fahrt mit der U3 zu den Stoßzeiten zu vermei-den. Aber manchmal geht es einfach nicht anders, so wie heute. Ich wohne am Fehrbelliner Platz, laufe aber meistens zum Hohenzollerndamm. Da ist die Bahn noch leer und ich bekomme einen Sitzplatz. Purer Luxus um diese Uhrzeit und die beste Position im bevorstehenden Gedränge! Schnell noch die Jacke ausziehen, mir wird in der Bahn immer warm. Dann kommt der Ansturm. Ich fühle mich bedrängt von all den Menschen. Dauernd tritt je-mand auf meinen Fuß oder schlägt mir seine Zeitung ins Gesicht – denken die Leute wirklich, jetzt sei ein guter Zeitpunkt, um die auszupacken?

Ich steige am Thielplatz aus. Nach Dahlem-Dorf wird die Fahrt entspannter, ich ziehe meine Jacke wieder an und kann mich ein wenig regenerieren. We-nigstens bis zum nächsten Gedränge an der Treppe. Meine Taktik? Einfach aushalten, eine bessere hab’ ich auch nach fünf Semestern hier nicht.

Richtig schlimm war es, als ich letztes Jahr mit gebrochenem Bein im Roll-stuhl saß. Einmal haben mein Freund und ich versucht, uns mit seinem Fahr-rad und meinem Rollstuhl in die volle Bahn zu quetschen. Natürlich ging das nicht gut und am Ende musste er sein Rad mit einem Sprung durch die sich schließenden Türen retten und ich saß verlassen und ein bisschen hilflos in meinem Rollstuhl am Bahnsteig. Dabei bin ich sonst eine von denen, die sich immer noch in den Wagen quetschen. All meinen Mitfahrern empfehle ich natürlich, eine Bahn abzuwarten.

* 40 000 Menschen drängen sich an der FU.4 Studierende an 4 überquellenden Orten.

»NERVIGE BEhöRDENGÄNGE«In der ZEDAT: Julian Daum ist 20 und kommt aus Bayern. Er studierte in Potsdam Germanistik und Geschichte. Jetzt probiert er es an der FU.

Ich wollte jetzt eigentlich lernen. Ich komme oft her, wenn ich Pause habe. Verzweifelte Studenten habe ich bisher nicht gesehen. War immer sehr ruhig.

Campus Management ist schon eine Vereinfachung. Ich finde gut, dass man alles von zu Hause aus machen kann. Das Problem ist aber, dass man be-stimmte Fristen einhalten muss und wenn irgendwas nicht klappt, kann man manuell nichts machen. Weil ich meinen Studentenausweis nicht rechtzeitig gekriegt habe, konnte ich mich nicht übers Campus Management anmelden. Ich musste zu jedem Prof gehen und hatte die nervigen Behördengänge am Ende trotzdem.

Mir gefällt es an der FU besser als in Potsdam, das ein bisschen kleiner ist, weil hier die Lehrbedingungen sehr viel besser sind. Ich saß dort in jeder Ver-anstaltung in einem überfüllten Raum. Das Problem habe ich hier gar nicht mit zehn, fünfzehn Leuten in einem riesigen Seminarraum. Mir kommt die Betreuung einzelner Studenten noch sehr individuell vor.

Ich komme hierhin und ziehe meine Ausbildung durch und das war’s. Viel-mehr Anspruch habe ich eigentlich gar nicht.

Notiert von REBECCA CIESIELSKI, FANNY GRUHL, KATHARINA HILGENBERG und HENRICE STÖBESAND

Fotos: CORA-MAE GREGORSCHEWSKI

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»NEULICh hABE ICh DEN PROFESSOR VON NAhEM GESEhEN.«In der Vorlesung: Tanja, 21, studiert Russisch und Politik auf Lehramt. Zu den FU-Professoren hat sie ein besonderes Verhältnis.

Ich finde es manchmal sehr schlimm, so früh aufzustehen … dann ist jetzt auch noch Winter, das heißt ich stehe im Dunkeln auf und komme im Dun-keln nach Hause. Und der Hörsaal ist proppenvoll.

Aber die Vorlesung hier ist klausurrelevant. Professor De Haan ist aufge-schlossen und witzig. Ich finde ihn aber nicht attraktiv oder dergleichen...ist ja auch schon älter. Neulich habe ich ihn mal von ganz Nahem gesehen. Das war besonders einprägsam. Denn sonst sitze ich oft hinten im Hörsaal, weil vorne nie Platz ist. Jedenfalls sieht Professor De Haan ganz anders von Nahem als von Weitem aus.

Da Russisch an der HU kein so überlaufenes Fach ist, sind in den »Klassen-räumen« maximal 30 Leute. Es ist viel familiärer und man kann trotzdem noch zwischen 5 inhaltsgleichen Seminaren zu unterschiedlichen Zeiten wäh-len. An der FU gibt es kaum solche Seminare. Die Bekanntschaften bleiben hier leider nur oberflächlich. Manchmal sitzt man in einer Vorlesung und ist ganz einsam. Die Größe der FU garantiert dafür viel Auswahl, nicht nur an Leuten, sondern auch an Kursen und Orten. Und es gibt viele tolle Profes-soren. Deshalb mag ich die FU. Außerdem bin ich Berlinerin. Ich habe ein Jahr in Texas und eins in Ghana verbracht, aber länger möchte ich nicht von Freunden und Familie getrennt sein. Ich bin Lokalpatriotin. Ich liebe Berlin.

»RADIO IST SOWIESO BALD TOT«In der Mensa: André ist 31 und studiert Philosophie und Religionswis-senschaften an der FU.

Ich esse Nudeln mit Partyfrikadellen. Die heißen echt so! Ist aber auch nur ganz normales Hackfleisch. Ach ja: Außerdem Iebe ich in Potsdam, weil mir Berlin zu anstrengend wäre. Ich muss nicht jeden Tag auf Partys gehen und würde außerdem die Natur vermissen.

Vor zehn Jahren habe ich ein Studium angefangen, in Rostock. Damals war Studieren noch anders. Man hatte mehr Vorlesungen und weniger kleine Se-minare. Deshalb finde ich, dass die Umstellung auf Bachelor und Master das Studium etwas entanonymisiert hat. Es ist leichter, Kommilitonen in kleine-ren Seminaren kennenzulernen, als in Vorlesungen, in denen zum Teil meh-rere hundert Studierende sitzen.

Das Studium habe ich damals nach wenigen Semestern wieder abgebrochen, als ich ein Praktikum beim BBRadio bekommen habe. Beim Radio zu arbei-ten war immer mein Traum. Jetzt bin ich wieder an der Uni gelandet. Ich wollte den Konkurrenzdruck und die nervenraubenden Arbeitszeiten nicht mehr. Hier kann ich mich endlich mit den Dingen beschäftigen, die mich wirklich interessieren. Außerdem ist Radio als Massenmedium in spätestens zehn Jahren sowieso tot.

Notiert von REBECCA CIESIELSKI, FANNY GRUHL, KATHARINA HILGENBERG und HENRICE STÖBESAND

Fotos: CORA-MAE GREGORSCHEWSKI

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Ich möchte aus meinem Viertel rauskommen«, sagt Melike wie aus der Pistole geschossen. »Und du möchtest dein Deutsch verbessern«, schiebt ihre Mutter schnell nach. Das 11-jährige

Mädchen mit den dunklen Locken nickt kurz, dann wendet sie sich wieder Wichtigerem zu. Genauer gesagt ihrer Sitznachbarin Siska. Die ist 21 und Studentin.

Der Glaspavillon der Otto-Wels-Grundschule ist heute Be-gegnungsstätte. Schüler, Lehrer, Eltern und Studenten sitzen an diesem Nachmittag dicht gedrängt. Lebhaft geht es zu. Kinder- Geschnatter, auf deutsch und türkisch, klirrende Kaffeetassen und Stühlerücken. Ein Teil der anwesenden Frauen trägt Kopftuch - so wie Melikes Mutter. Für Siska unvorstellbar.

Die Studentin und die kleine Deutsch-Türkin verbindet auf den ersten Blick wenig. Dennoch werden sich die blonde Lehramts-kandidatin und die quirlige Schü-lerin aus Kreuzberg in den kom-menden sieben Monaten häufiger sehen. Einmal pro Woche. Genug Zeit also, um zusammen andere Ecken der Stadt zu entdecken, so wie Melike es sich wünscht. Und vielleicht noch ein bisschen mehr.

Die beiden nehmen an einem Projekt der erziehungswissenschaft-lichen Fakultät der Freien Universität und der Otto-Wels-Grundschule teil. Dem sogenannten »Nightingale-Projekt«. Idee ist es, Berliner Studenten und Kinder aus sozialen Brennpunkten zusammenzubringen, um so die jeweils andere Lebenswelt kennen-zulernen. Gelebte Integration – während einige U-Bahnstationen entfernt im Regierungsviertel die Integrationsdebatte schon wieder versiegt.

Integrationsdebatte trifft Wirklichkeit. Im Nightingale Projekt begegnen FU Studenten Kindern mit Migrationshintergrund. ANNE VANSELOW über ein unverkrampftes Miteinander.

Fotos von CORA-MAE GREGORSCHEWSKI

Die meisten der Studenten, die an dem Projekt teilnehmen, studieren Pädagogik. Unfaire Startchancen, mangelnde Deutsch-kenntnisse und fehlgeschlagene Integration – sie wollen heute lernen, was ihnen morgen an deutschen Schulen blüht. In Berlin beträgt der Migrantenanteil an den Schulen über 50 Prozent, inter-kulturelle Kompetenzen sind da unabdingbar. »Viele, die bei uns Pädagogik studieren, haben bisher in ihrem Leben noch nicht viel Kontakt zu Migranten gehabt«, erzählt die Projektleiterin der FU, Professor Petra Wiehler, »Durch Nightingale bekommen sie einen Einblick in das Leben von Migrantenfamilien und lernen ihre Hin-tergründe kennen.«

Siska und Melike haben noch viel vor. Ninas Zeit als Mentorin ist hingegen schon vorbei. Über ein Jahr ist es her, dass sie die 10-jährige Nalan zum ers-ten Mal getroffen hat: Sie hatte dunkle Haare, er-innert sich Nina. Nichts Ungewöhnliches für ein Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund. Aber ihre blauen Augen, die fielen auf.

Nalan wohnt mit ihren Eltern und Geschwistern in der Nähe des Moritzplatzes - hier holt Nina das Mädchen an einem Sonntag im April ab. Es stürmt. Nina möchte Nalan ihre WG zei-gen. Anschließend wollen die beiden gemeinsam kochen: Rotkohl mit Kartoffeln und Erdnuss-Soja-Soße. Zum Nachtisch vegane Kekse. In Ninas gelb gestrichener Küche schält Nalan eifrig Kar-toffeln. Sie hat Spaß an der Arbeit. Voller Tatendrang hilft sie Nina den Teig zu kneten und wundert sich: »Ich wusste gar nicht, dass

DAS LEBEN DER ANDEREN

»

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schaftsbänder-Flechten. Die Technik ist knifflig. Aber aufgeben? Das kommt für Nalan nicht in Frage. »So viel Konzentration ist nicht selbstverständlich bei einem Kind, das im Durchschnitt fünf Stunden fernschaut und kaum selber kreativ ist«, sagt Nina, nicht ohne einen gewissen Stolz in der Stimme. Die Freude ist groß bei der kleinen Deutsch-Türkin, als die Armbänder schließlich fertig sind und um ihre schmalen Handgelenke baumeln.

Nalans und Melikes Eltern sind engagiert. So wie all die anderen Eltern, die sich in der Mensa der Otto-Wels-Grundschule versam-melt haben. Die Integration ihrer Kinder ist ihnen wichtig. »Viele unserer Eltern sind sehr bemüht und sehen das Projekt als eine Art Fortsetzung der Förderung ihrer Kinder an«, erzählt Brunhilde Fo-cke, Konrektorin der Grundschule. Aber nicht allen Kindern geht es so. Gerade die Schüler, die diese Unterstützung zu Hause nicht bekommen, erreicht das Projekt nicht.

Das ist die Kehrseite der Medaille. Aber daran denken Melike und Siska in diesem Moment nicht. Am Ende des Nachmittags schmieden die Kreuzberger Grundschülerin und die Dahlemer Studentin Pläne für ihr erstes gemeinsames Treffen: Ins Theater wollen sie gehen oder ins Kino – eigentlich ganz egal. ■

man ohne Milch backen kann«. Die Kekse schmecken ihr trotzdem – auch ohne Milch und Eier.

Nicht nur Nalan hat Spaß. »Man trifft sich regelmäßig mit ei-nem kleinen Menschen, der eine teils so andere Weltansicht hat, einfach andere Bedürfnisse und Wünsche«, sagt die Studentin. »Da bekommt man selbst eine andere Perspektive und versteht viel-leicht mehr, wieso Menschen so leben wie sie leben und so den-ken wie sie denken.« In derselben Stadt aufgewachsen, prallen hier doch unterschiedliche Lebenswelten aufeinander. Ninas Einfluss ist begrenzt. »Ich dachte, es wäre leichter, Nalan davon zu überzeugen, zu Hause mal öfter andere Dinge zu tun, als fernzusehen«, sagt sie etwas desillusioniert. Umso mehr freut es sie, die Ergebnisse ihrer gemeinsamen Arbeit zu sehen - zum Beispiel beim Freund-

Anne-Mareike Vanselow studiert Politikwissenschaft im dritten Semester. Nach der Recherche zum Arti-kel hätte sie am liebsten auch sofort am Nightingale-Projekt teilgenommen.

Das Nightingale-Projekt kommt ursprünglich aus Schweden. Es wurde 1997 von der Universität Malmö und verschiedenen Schulen ins Leben gerufen. Der Name hat Symbolcharakter, denn es heißt, die Nachtigall sänge am Schönsten, wenn sie sich rundum sicher fühlt. Vor vier Jahren hat sich der Berliner Ableger mit dem Na-meszusatz „Hand in Hand“ gegründet. Er erhält Fördermittel aus dem Europäischen Fond für Regionale Entwicklung und von der Berliner Senatsverwaltung. Die werden unter anderem genutzt, um den Teilnehmern die Kosten für ihre Ausflüge zu erstatten.

Bei Interesse meldet euch bei: [email protected]

INFO

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OpenMontag bis Freitag

10.00 - 19.00 hSamstag

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Bücher. Medien. eBooks. Bücher. Medien. eBooks. Bücher. Medien. Bücher. M

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quasi eine ironische Nach-Vorne-Verteidigung. Gerade im uni-versitären Kontext ist das ein Name, der den Status von akademi-scher Rede … nun ja, vorsichtig hinterfragt.

Kannst du dich an das erste Mal erinnern, als du im Fummel unter Leute gegangen bist?Das war auf einer schwul-lesbischen Faschingsparty in München, kurz nach meinem Coming-Out. Allerdings fällt mir gerade ein, dass ich mich auch schon früher, so mit zwölf, als Prinzessin verkleidet habe.

Wie haben deine Eltern denn darauf reagiert?Meine Mutter hat das unterstützt. Das war, glaube ich, sogar ihre Idee. Ich weiß nicht genau, was sie mir damit mitteilen wollte. (lacht)

Und wie war das, als du später auch im Alltag Fummel getra-gen hast?Da war sie sehr geschockt. (lacht) Vielleicht hat sie sich auch Vor-würfe gemacht. Mein Bruder fand das Ganze recht spannend, der konnte von allen damit am besten umgehen. Meine Eltern hatten daran aber schon sehr zu knabbern.

Gerade siehst du aber so gar nicht nach Tunte aus.Nein, die meiste Zeit laufe ich nicht mehr als Tunte herum.

An der FU forscht eine Tunte. Dr. Volker Woltersdorff alias Lore Logorrhöe im Gespräch über gelebte Provokation, Faschingspartys und so ernsthafte Dinge wie Namensschilder an Bürotüren.

Das Gespräch führte CAROLIN BENACK. Foto von CORA-MAE GREGORSCHEWSKI.

DON’T GENDER ME, BABY!

Ein bisschen überraschend ist es schon, als Volker Woltersdorff alias Lore Logorrhöe in Motorradkluft, mit Glatze und lachenden Augen auf uns zukommt. Keine Spur von Perücke, falschen Wimpern und hohen Absätzen. »Hi, ihr kommt von der FURIOS, richtig? Ich bin Volker.« Wir folgen ihm in sein weiß gestrichenes Büro und setzen uns auf drei freie Stühle.

Volker, wie kommt man darauf, sich Frauenkleider anzuziehen und Lore Loghorröe zu nennen?In den 70er und 80er Jahren gab es die Tradition in der Schwulen-szene, Tuntenpseudonyme zu tragen. Damit hat man seine Kritik an den herrschenden Geschlechterrollen und dem Sich-Einfügen in eine rein männliche Identität ausgedrückt. Zum Einen fand ich diese Tradition sehr schön, sodass ich daran anknüpfen wollte. Und zum Anderen hat sich das aus meinem queeren Umfeld erge-ben. Da bekam man sehr schnell einen Tuntennamen. Also habe ich offensiv reagiert und mir selbst einen zugelegt. Logorrhöe wird von der Psychologie als eine krankhafte Geschwätzigkeit definiert. Ich hoffe, dass ich meinem Namen in diesem Interview nicht zu viel Ehre bereite. (lacht)

Was hat es damit auf sich?Mir wurde früher in der schwulen Politszene gern vorgeworfen, dass ich ohne Punkt und Komma rede. Dieses Pseudonym war

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Warum nicht?Es ist einfach anstrengend. Denn als Tunte kreiere ich Unsicher-heit bei meinem Gegenüber, weil es mich nicht einordnen kann. Wenn man das tagtäglich macht, ist das sehr kraftraubend. Außer-dem bin ich ja nicht nur Lore Logorrhöe, ich habe ja auch meine Identität als schwuler Mann und möchte auch so gesehen werden.

Ist das im universitären Bereich nicht weniger kompliziert?Die Menschen hier halten sich für zivilisiert und gebildet. Sie haben den Anspruch, offen gegenüber Neuem zu sein. Deshalb ist es für mich leichter, hier Tunte zu sein, als in der bayrischen Provinz, in der ich aufgewachsen bin. Aber das hat auch Grenzen. Es gibt noch keine Tunte, die als Tunte einen Lehrstuhl inne hat und Vorlesungen im Fummel hält. Ich glaube auch, dass das ein starkes Hemmnis für die Karriere wäre.

Du gibst selbst auch Seminare. Hast du das denn schon im Fummel gemacht?Zu einigen Sitzungen bin ich im Fummel gekommen, ja.

Und wie haben die Studierenden darauf reagiert?(schmunzelt) Etwas überfordert. Ich bin zu einer Sitzung zu Judith Butlers Gender Trouble und der Passage, in der sie sich über Drag auslässt, im Fummel gegangen. Ich wollte vorschlagen, das an meiner eigenen gender performance zu diskutieren. Aber da gab es große Zurückhaltung.

Du selbst forschst im Sonderforschungsbereich »Kulturen des Performativen« vor allem zu queeren Identitäten und Inszenie-rungen. Spürst du dieses Unbehagen auch in Bezug auf deine Forschung?An manchen Stellen würde ich mir mehr Auseinandersetzung wünschen. Es gibt bestimmte Strategien, solche Themen abzu-wehren oder zu ignorieren. Das ist einer der Gründe, die mich müde gemacht haben, im universitären Raum mit Fummel zu intervenieren. Ich dachte es würde reichen ein bestimmtes Wahr-nehmungsbild zu stören, um die Menschen dazu zu bringen, über Geschlechterrollen zu diskutieren. Das war aber nicht so einfach, wie ich es mir erhofft hatte.

Wie sehen diese Strategien aus?Es ist sehr schwierig an deutschen Universitäten mit solchen The-men Karriere zu machen. Außerdem gibt es keine institutionalen queer studies, und auch die gender studies sind meiner Meinung nach unterrepräsentiert. In den wenigen Instituten, die es gibt, wird die Zweigeschlechtlichkeit und die Etablierung von queer theory nur teilweise in Frage gestellt. Insgesamt gibt es also keinen gesicherten institutionellen Ort, um diese Themen an einer Uni-versität zu erforschen und zu lehren.

Draußen an deinem Türschild steht dein Pseudonym nicht geschrieben. Wieso?Ich gebe es immer wieder an und trotzdem wird es ignoriert. In gewisser Weise ärgert mich das. Ich möchte jetzt auch nicht, dass es mir als Wichtigtuerei ausgelegt wird, dass ich mir einen barocken Namenszusatz leiste. Aber ich hätte es als schöne Geste empfunden, das an die Tür zu schreiben.

Ist das nicht ziemlich borniert?Nein, darüber wird eher ausgedrückt, dass dieses Tuntenpseud-onym etwas Witziges ist. Dass es, wenn es um den harten Alltag geht, um ernsthafte Dinge wie Namensschilder an Bürotüren, vernachlässigt werden kann. Bei anderen Namenszusätzen, wie zum Beispiel einem Adelstitel, gibt es eine größere Bereitschaft, das als ernsthaft anzuerkennen.

Zum Schluss: Was sollte sich an der FU dahingehend noch verändern?Einmal wäre das natürlich eine stärkere Verankerung von queer studies. Und was den Umgang mit Geschlechterdiversität betrifft, wäre mein Wunsch, dass es auf Formularen die Möglichkeit gibt, sich nicht auf eins von beiden Geschlechtern festzulegen. Und vielleicht, dass man auch endlich ein Tuntenpseudonym angeben kann. ■

Krankhaft geschwätzig: Der Name Logorrhöe ist ein ironisches Augenzwin-kern. »Mir wurde früher vorgeworfen, dass ich ohne Punkt und Komma rede.« (Foto: privat)

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Page 21: FURIOS 05 – Massenuni

+32Hij was al tweeendertig dagen in Antwerpen toen hij be-

sloot gelukkiger te moeten worden. Net te weinig om zich »Sinjoor« te kunnen noemen, maar zeker te veel om zomaar weer terug naar zijn thuisstad te gaan. Dit verhaal begint heel triestig, maar dat is meestal zo. Toen hij in de stad aan de Schelde aankwam, bleek de start van zijn nieuwe leven iets moeilijker dan hij had verwacht. In zijn thuisstad had hij al kraakpanden bezocht die luxueuzer waren ingericht dan zijn woning in Antwerpen. Sommige vrienden lieten niets van zich horen, ook al had hij zich de hele tijd op hen verheugd. Het waren er tweeendertig. Hij was niet eenzaam, alleen iets minder gelukkig dan thuis. Een job vinden was moeilijker dan gedacht. Het regende en was niet bijzonder warm. Zijn leven was een dubbele nul op een schaal van geluk van één tot tien.

Hij was een persoon die niet hield van de moeilijke din-gen. Het liefst deed hij alles op de makkelijkste en plezantste manier. Zo gebeurde het dat hij op een vrijdagnacht meer-dere honderden affiches in de hele stad ophing. „Mooi leven gezocht“ stond er in koeien van letters op. Ietsje overdreven misschien. Zijn affiches waren zwart-wit en heel simpel, ze hadden ook een amateurtoneelstuk of een smakeloos feestje kunnen aankondigen. Ook zijn eigen foto was zwart- wit. Hij hoopte met een glimlach Antwerpse harten te kunnen stelen. Onderaan stond zijn gsm- nummer. Tweeendertig af-fiches nam hij weer mee naar huis.

Amper een halve dag later, hij sliep nog diep en vast, kwa-men de eerste berichtjes binnen. Studenten die met hem iets wilden gaan drinken. Een oude vrouw die een nieuwe kleinzoon nodig had. Een jongen die op zoek was naar een vrijpartij. De Antwerpse regionale tv-zender belde hem op en maakte van hem een symbool van eenzaamheid. Een mo-notone vrouwenstem becommentarieerde zijn lot. De uit-zending duurde tweeendertig seconden.

Er verschenen artikels in kranten over hem en hij kreeg ongekend veel respons op zijn zwart-witte affiches. Had hij ooit zijn karakter mogen kiezen, dan was hij graag een van die stille waters met diepe grond geweest. Jammer genoeg kwam hij altijd in het midden van de belangstelling terecht en was hij allesbehalve ondoorgrondelijk. Nu dus ook. Iedereen wist hoe hij was. Cool vonden ze hem. »En wat een lef had hij.« Hij kreeg tweeendertig berichtjes en tweeendertig telefoont-jes. Antwerpenaren zijn een elegant volk, dat wist hij. Alles wat ze doen, doen ze op een deftige manier. De glazen waa-rin een koffie verkeerd wordt geserveerd, zijn hier mooier. Er ligt altijd een reepje chocolade bij. Iedereen is mooi gekleed, niemand schreeuwt of misdraagt zich. Als begroeting krijg je een nietszeggende kus op de wang. Door de rest van Vla-

Yulian begegnet Antwerpen. Die ungewöhnliche Geschichte eines FU-Studenten auf der Suche nach Glück in zweiunddreißig Atemzügen.

Door YULIAN IDE.

anderen worden ze als arrogant en onbereikbaar beschouwd. Antwerpenaren noemen hun stad »’t Stad« – alsof er geen andere bestond. Ze zijn trots op hun heden en verleden. En toch wilden ze hem daar deel van laten zijn. Blijkbaar had hij harten kunnen stelen.

De verkoopster in de tweedehandswinkel herkende hem en gaf hem extra korting op zijn aankopen, de vrouw in de bibliotheek vroeg of zijn leven nu wat mooier was geworden. »Tweeendertig keer zo mooi«, antwoordde hij een beetje ver-dwaasd. Op feestjes moest hij zich niet meer voorstellen, zijn naam was al bekend. De dj wuifde hem toe ter begroeting. Hij vertelde zijn verhaal – keer op keer – en was het bijna al een beetje beu om het tweeendertig keer te herhalen.

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Intussen was de bewuste vrijdagnacht al een tijdje achter de rug en besefte hij dat het redelijk makkelijk was van een dubbele nul een plus te maken. Net als veel verhalen daar-voor, zal dus ook dit verhaal gelukkig eindigen. Een mooie woning had hij ondertussen gevonden, hij lag in zijn bed. Geen volk of gedoe, gewoon eventjes alleen. Het was weer een vrijdagnacht. Op de achtergrond weerklonk zachtjes een liedje in zijn moedertaal. Zijn gsm rinkelde, het was een uit-nodiging voor het hipste feestje van de stad: »Je staat op de gastenlijst. Plus tweeendertig.« ■

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DIE INTERNATIONALE

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DIE LEhRE-DROhUNG77 Studenten kommen an der FU auf einen einzigen Dozenten. Lehrprofessuren sollen das Betreuungsdilemma lösen. Doch statt Erleichterung geht auf dem Campus die Angst um.

Von JONAS BRENG — llustration: MICHI SCHNEIDER

Im Kellergewölbe des OSI ist es heute gerammelt voll. Mit Gipsbein humpelt der Dozent Götz Aly in einen winzi-

gen Raum, in den sich bereits ein Haufen Studenten gezwängt hat. Die Luft ist ver-braucht und Sitzplätze gibt es schon seit einer halben Stunde nicht mehr. Eigentlich wollte Aly ein Seminar geben – wenn er doch nur durchkommen würde. »Das kann ja heiter werden«, sagt der Historiker. Nicht alle haben ihn gehört – denn ein Teil der Anwesenden muss vor der Tür warten.

An diesem Dienstag im Oktober be-kommt eine Zahl ein Gesicht: 77:1. So viele Studenten kommen an der FU nämlich auf einen einzigen Lehrenden. Negativrekord in der deutschen Hochschullandschaft. Deshalb sind Szenen wie die im Keller des Otto-Suhr-Instituts keine Seltenheit.

DER PRÄSIDENT BEIChTET

»Fast jeden Tag habe ich hier jemanden sitzen, der berichtet, dass sein Fach perso-nell unterausgestattet ist«. Peter-André Alt deutet auf einen grauen Stuhl in der Ecke seines geräumigen Büros. Platzprobleme gibt es hier keine. Trotzdem ist dem Präsi-denten nicht ganz wohl. Wie ein Beichten-der hat er die Hände im Schoß gefaltet,denn wenn die Bittsteller Platz nehmen, kann Alt nur schwer etwas versprechen. Echte Spiel-räume hat er nicht. Zum einen mangelt es für eine Erhöhung der Dozenten nämlich schlicht an Geld. Zum anderen wäre die FU verpflichtet, bei mehr Lehrenden auch

mehr Studierende an die Uni zu schleusen, »Ein Paradoxon« ärgert sich der Unilenker über die Kapazitätsverordnung*, die eigent-lich eine Betreuungssackgasse ist. Doch Alt hat einen Plan.

Ein »Unwort« soll zum Befreiungsschlag werden: Lehrprofessuren. Darunter versteht man am Campus die Erhöhung des Lehrde-putats für einzelne Professoren – auf Kosten der Forschungsaufgaben, versteht sich. Die-se würden zurückgeschraubt oder vorüber-gehend ganz entfallen. Die Kapazitätsver-ordnung ließe sich so umgehen. Es werden zwar keine neuen Stellen geschaffen, aber bereits vorhandene mit mehr Lehraufgaben und einem neuen Etikett versehen. Damit will man die Betreuungsarmut überwinden und die blasse FU-Lehre endlich gesund päppeln – ganz ohne Studiengebühren. Aber was zunächst harmlos klingt, ist ein kleines Erdbeben auf dem Campus.

»ABNEIGUNG, ÄNGSTE UND PhOBIEN«

Die Fachbereiche erzittern. Während sich die Naturwissenschaften einigermaßen offen zeigen, wird anderorts nämlich ge-poltert gegen die kleine Kulturrevolution. »Lehrprofessuren sind absoluter Unfug«, findet FU-Professor Gerd Hoff. »Univer-sität muss über Berufsausbildung hinaus-gehen«. Der Erziehungswissenschaftler ist auf das Präsidentenprojekt nicht gut zu sprechen. Ohnehin seien die Belastungen schon hoch genug. Von einer Professur, die den Fokus auf die Lehre legt und damit für

Forschung keinen Platz mehr lässt, will er nichts wissen. Damit ist er nicht allein. In vielen Fachbereichen stößt die Lehre-Dro-hung auf bange Blicke.

Da begegnen einem »Abneigung, Ängste und Phobien, gerade bei den älteren Gene-rationen«, sagt der Präsident zur Abwehr-haltung seiner Kollegen und rückt seine Brille zurecht. Ignorieren will er ihren Är-ger nicht. Deshalb entschied er, erst einmal nichts zu entscheiden. »Wir brauchen fle-xible Lösungen, einen Systembruch wollen wir nicht«, beschwichtigt er die Empörten und spielt den Ball stattdessen den Fach-bereichen zu. Sie sollen beraten und ihm bis Anfang 2011 eine Rückmeldung geben. Diskutiert werden 5-Jahres-Lösungen. Über ein Rotationsprinzip könnten die Professo-ren dann abwechselnd die Lehrfront ver-stärken. »Der Staffelstab zur Lehre soll in den Fachbereichen weitergegeben werden«, meint Vizepräsident Prof. Michael Bon-gard. Der Ethikprofessor ist Teil des Präsi-diums und einer von Alts engsten Vertrau-ten. Bongard und der Präsident sind sich einig. Strukturentscheidungen begeht man am besten in Trippelschritten. Tastend und vorsichtig.

ZöLLNERS UNVERSTÄNDNIS

Einige Kilometer nordöstlich von Dah-lem in einem großzügigen Vorzimmer kann man diese Aufregung nicht verstehen. »Wenn Professoren den Anspruch haben schwergewichtig zu forschen, muss es auch

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POLITIK

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welche geben, die schwergewichtig in der Lehre tätig sind.« Berlins Bildungssenator Zöllner blinzelt herausfordernd hinter den runden Brillengläsern. Der Mann mit der bunten Fliege und dem weißen Bart war früher selbst Professor und will von Be-rührungsängsten nichts wissen. »Wenn wir ehrlich die Gleichstellung von Lehre und Forschung wollen, muss das erlaubt sein.« Von draußen ist Baulärm zu hören. In Ber-lin tut sich was. Im neuen Hochschul-rahmengesetz hat Zöllner auf flexiblere Stellen mit höherem Lehrdeputat ge-drängt. Er war die treibende Kraft hinter den Lehrprofessuren. Geht es nach ihm, dürfen es dann auch mal 15 Stunden Lehre in der Wo-che sein.

Bei solchen Zahlen winkt man im FU Präsidium ab. »Unsinn« nennt das der Präsident. Die Schmerzgrenze der FU liegt bei zwölf Stunden in der Woche, mehr seien auch bei Lehrprofessuren nicht zumut-bar. Dabei ist das bereits erstaunlich dicht an der aktuellen Situation. Momentan stöhnen die meisten Professo-ren nämlich unter ei-ner Lehrlast von neun Stunden pro Woche, international ist das überdurchschnittlich.

Wie die Lehrprofessu-ren im Einzelnen ausse-hen werden? Man ist sich uneinig. Zöllner hat den Rahmen bereitgestellt, aber die konkrete Umsetzung liegt bei den Universitäten. Vorschrei-ben lassen möchte man sich an der FU nichts. Schließlich steht einer ihrer Liebsten auf dem Spiel.

DAS hUMBOLDT-ARGUMENT

Denn auch weil Hochschulikone Humboldt und seine Idee der Einheit von Forschung und Lehre als unantastbar gel-ten, ist man im Präsidium so vorsichtig. Die Angst um den Altgedienten schweißt Uniführung und Kritiker zusammen. Man wolle keinen Graben schaffen zwischen den beiden Bereichen, heißt es von dort. So sind dauerhafte Lösungen und reine Lehrprofes-suren ohne Forschungsbezug zunächst kein Thema.

Doch fraglich bleibt, wie zeitgemäß das Humboldtargument noch ist. Mit den ge-burtenstarken Jahrgängen, dem Abitur in acht Jahren und der Aussetzung der Wehr-pflicht schwappt eine stattliche Studenten-welle auf die FU zu. Bis zur demografischen

Atempause 2017 müssen deshalb so schnell wie möglich neue Lösungen gefunden wer-den, um die schlechte Betreuungssituation in den Griff zu kriegen. Andere Länder sind hier besser aufgestellt. In Bayern beispiels-

weise sind Lehrprofessuren bereits Realität. Dort zeigt sich: Lehrprofessuren sind mit Sicherheit kein Garant für einen Qualitäts-schub in der Lehre. Aber die Wahrschein-lichkeit auf eine bessere Lehre steigt bei enger Betreuung erheblich.

UNGELIEBT UND SChLEChT BEZAhLT

Bei der Diskussion an der FU drängt sich dagegen vor allem ein Eindruck auf: Viel Zuneigung haben die Professoren nicht für die Lehre. Das hat viele Gründe. So ist die

Rechnung nämlich bisher einfach: Je mehr man forscht, umso mehr verdient man auch. »Das ist ein Problem, das wir ange-hen müssen«, gibt man sich im Präsidium kämpferisch. Lehrprofessuren dürften nicht ausschließlich in die schlechter bezahlten Professorenkategorien abgeschoben wer-

den, heißt es. Der Stellenwert der Lehre solle so verbessert und ihr graues Image endlich aufpoliert werden.

Bereits bei Alts Amtsantritt hieß es griffig: »Lehre muss sich wieder lohnen.« Schaut man aber auf die Gehaltszettel, hat sich bislang we-nig getan. Denn auch im Präsidi-um weiß man, dass im Wettstreit

um die besten Köpfe feste Regeln herrschen. Das Gü-tekriterium eines Professors orientiert sich nun mal an

seiner Forschungsleistung – ein Naturgesetz im Unikosmos. Mit einer guten Vorlesung al-lein verschafft man sich einfach keinen Namen bei den werten

Kollegen.»Ein Professor, der nicht

forscht, ist kein richti-ger Professor«, fasst Uwe Kirmse, Studentenver-treter im Akademischen Senat, die Haltung vieler Professoren zusammen. Er befürchtet, dass Lehrpro-fessoren von den Kol-legen belächelt werden könnten und zu »Profes-

soren zweiter Klasse« wer-den. Ob seine Angst begrün-

det ist, wird sich zeigen.Vielleicht wünscht man sich

im Präsidium auch deshalb eine Exzellenzinitiative für die

Lehre. Denn gerade der Präsi-dent liefert das beste Beispiel, dass

sich die »Forschungsfürsten« irren könnten. Auch nach seinem Amts-

antritt gibt Alt Seminare. »Ich möch-te Kontakt zu den Studierenden meines

Faches halten, das ist mir wichtig«, sagt der Unilenker. Auch Götz Aly hatte Kon-takt zu seinen Studenten an diesem Diens-tag im Oktober. Vielleicht aber ein wenig zu viel. ■ — — — — — — — — — — * Die Kapazitätsverordnung legt die »Erschöpfen-de Nutzung der Ausbildungskapazität« (§1) fest. In dem Schriftwerk ist seit den siebziger Jahren festgeschrieben, wie die Zulassungsquote genau zu ermitteln ist (§13) und wie das Verhältnis zwischen Professoren und Studierenden nach einem kompli-zierten mathematischen Verfahren ausgerechnet werden kann. Für jede Universität ist die Betreu-ungsrelation somit bindend festgelegt und kann durch mehr Professoren nicht verbessert werden.

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POLITIK

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Drei gegen den Rest der Welt, zu-mindest im Kosmos der FU-Demo-kratie. Im Prinzip rudern sie einträchtig in die gleiche Richtung, die drei professoralen Gruppen im Akade-

mischen Senat, auch wenn sie das selbst nicht hören wollen. Lieber beharren sie auf ihrer Eigenständigkeit. Doch hinter den Kulissen spielen sie sich die Bälle gegenseitig zu.

Der Akademische Senat ist das oberste Entscheidungsorgan der Universität. Zehn- bis zwölfmal im Jahr tritt das 25-köpfige Gre-mium zusammen. Hier wird debattiert und um die Zukunft der Uni gerungen. Es geht um alle Anliegen von Forschung, Lehre und Verwaltung.

BOLLWERK GEGEN DEN KOMMUNISMUS

Friederike Fless ist eine von denen, die über die Geschicke der Uni mitbestimmen. 2007 kandidierte die Ärchäologieprofessorin mit den kurzen grauen Haaren zum ersten Mal für den Akademi-schen Senat. »Dass ich bei der Liberalen Aktion gelandet bin, ist eher Zufall. Ein Kollege hatte mich mal zu einem Treffen eingela-den«, erinnert sich die 46-jährige.

In den Siebzigern als Zusammenschluss konservativer Profes-soren entstanden, verstand sich die Liberale Aktion als Bollwerk gegen die Umwälzung der Hochschule von links, gegen DDR-hörige Kommunisten, Neostalinisten und linksradikale Gruppen aller Art. »Die ursprüngliche politische Ausrichtung hat aber mitt-lerweile sehr an Bedeutung verloren«, konstatiert Fless. Damals standen sämtliche hochschulpolitischen Diskurse im Zeichen der Rechts-Links-Polarisierung. Die starke Stellung der Linksaußen wurde vor allem durch die paritätische Beteiligung der Studenten, der akademischen Mitarbeiter und der sonstigen Angestellten ge-sichert.

Doch 1973 war Schluss damit. Das Bundesverfassungsgericht kassierte die Viertelparität, um »der herausgehobenen Stellung der Hochschullehrer« Rechnung zu tragen. Seither beanspruchen die Professoren eine knappe Mehrheit der Sitze. Den Studenten gilt der Akademische Senat als Hort einer überkommen geglaubten Ordinarienuniversität, ein Ort, an dem ihre Stimme nichts mehr zählt. Diese Wunde ist bis heute nicht verheilt. Kein Bildungspro-test, der ohne den Ruf nach Wiedereinführung der Viertelparität ausgekommen wäre.

MIETMAUL ALS GEhEIMWAFFE

In den letzten Jahren entzündeten sich die Kontroversen zudem am ehemaligen Ober-FUler Dieter Lenzen. Seine Kritiker schmäh-ten ihn als Mietmaul, autokratischen Wirtschaftsfreund und neoli-beralen Antidemokraten.

Dabei galt Lenzen mal als Hoffnungsträger. Jahrelang war er der Kopf der Vereinten Mitte. »Sie war Ende der Siebziger als Samm-lungsbewegung einer neuen Macht angetreten«, erinnert sich Hajo Funke, emeritierter FU-Politologe. Nach und nach löste die Ver-einte Mitte die Liberale Aktion als stärkste professorale Gruppe ab. Ihre Gründung war auch Konsequenz der wiedererstarkten Profes-sorenschaft. Ideologische Großkonflikte spielten keine Rolle mehr. Dafür gab es neue Spannungen: »Es ging um Geld«, sagt Funke, der selbst viele Jahre für die dritte professorale Gruppe, den links-orientierten Dienstagskreis, im Akademischen Senat saß. Trotzdem etablierte sich in dieser Zeit eine neue Kompromissbereitschaft.

In den Nachwendejahren geriet die FU zunehmend in schwie-riges Fahrwasser. Die Humboldt-Uni stand mit ihrem Nachholbe-darf im Fokus der Berliner Hochschulpolitik. An der FU wurden hingegen ganze Studiengänge, wie die Musikwissenschaften, ab-geschafft. Weitere Kürzungen folgten zu Beginn des neuen Jahr-tausends als Folge des Berliner Bankenskandals, der das Land in Milliardenhöhe belastete. Auf die Universitätspolitik an der FU wirkte das zunächst disziplinierend. In dieser Phase der Konsolidie-rung trat Dieter Lenzen auf den Plan, glaubt man Hajo Funke »als Geheimwaffe der neuen Mitte.« Die neue Machtstatik stellte die Arbeit im Akademischen Senat vor neue Herausforderungen. Inte-ressenausgleich war gefragt, allerdings mit Folgen. »Durchmarsch-versuche Einzelner konnten wir verhindern, aber leider auf Kosten von Demokratie und Transparenz«, blickt Hajo Funke selbstkri-tisch zurück. »Auch der Dienstagskreis hat sich da eine Zeit lang nicht energisch genug behauptet.«

KLÜNGELEIEN UND SChAUGEFEChTE

Ob sich das inzwischen geändert hat, wie Funke behauptet, wird von manchen bezweifelt. Es finden nach wie vor gemeinsame in-formelle Treffen der Gruppen im Vorfeld der Sitzungen statt. Die tragen nicht gerade dazu bei, den Vorwurf der Klüngelei zu entkräf-ten. »Der Dienstagskreis hört uns zwar gelegentlich zu. Bei wich-tigen Entscheidungen halten sie sich dann doch an die internen Absprachen«, stellt Jacob Beuchel nüchtern fest. Offene Meinungs-verschiedenheiten zwischen den Professoren sind für den Juso, der als einer von vier studentischen Vertretern im Akademischen Senat sitzt, reine Schaugefechte. Vielleicht bedarf es hin und wieder der inszenierten Dissenz, um nicht aus der Übung zu kommen. Denn in den entscheidenden Zukunftsfragen ist man sich einig.

»Als Dieter Lenzen 2003 ins Amt kam, gab es ein gemeinsames Wollen, gruppenübergreifend«, betont Andreas Fijal von der Ver-

DIE DREI ???Wie arbeitet der Akademische Senat? Wer verbirgt sich hinter den professoralen Gruppen? Demokratische Arena oder Politbüro? Was bisher geschah.

Von HENDRIK PAULI

Illustration: STEPHAN GARIN

Politik in der Nussschale: Das Professoren-Boot auf Kurs in die Zukunft.

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einten Mitte. Der 53-jährige Jurist mit Vorliebe für elegante Anzü-ge ist Studiendekan der Rechtswissenschaft und sitzt als sonstiger Mitarbeiter im Akademischen Senat. Mit dem neuen Präsidenten wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen. »Wir waren in erster Linie an der Weiterentwicklung der Uni interessiert, ohne dabei unpo-litisch zu sein.« Mit seinen Konzepten traf Lenzen den richtigen Nerv: Die Exzellenzinitiative als Existenzsicherung, eine Ironie, der viele etwas abgewinnen konnten. »Die anfänglich gute Kom-munikation hat allerdings im Laufe der Zeit immer mehr abge-nommen.« Fijal formuliert abgewogene Juristensätze, wenn er über den Ex-Präsidenten spricht. »Sein ausgeprägter Führungsstil wurde nicht mehr von allen mitgetragen. Und das hat man Lenzen auch deutlich zu verstehen gegeben.«

EINER GEGEN ALLE

Der selbstbewusste Lenzen spielte gern mit hohem Einsatz, im-mer kurz davor, sein Blatt zu überreizen. Wiederholt legte er, der CDU-Mann, sich mit dem SPD-Bildungssenator Zöllner an, woll-te mehr Geld für die Forschung auf Kosten der Lehre und mehr Autonomie bei der Berufungspraxis.

Lenzen wusste sein Machiavelli’sches Geschick zu nutzen und setzte auf seine geballte Präsidentenmacht, so wie 2007 bei der Aus-bootung des studentennahen Vizepräsidenten Väth oder bei dem Streit um die Berufung des linken Nordamerika-Wissenschaftlers Scharenberg. Die Professorenkollegen machten häufig gute Miene zum bösen Spiel. »Unter Lenzen war die Arbeit im Akademischen Senat eher auf notwendige Routinebeschlüsse reduziert. Da konnte man nur akklamieren«, gesteht Friederike Fless ein. Widerspruch

wurde meist nur hinter verschlossenen Türen geäußert.

Als im Mai das neue Präsidium ins Amt kam, gab es ein regelrechtes Auf-atmen. »Ein echter Bruch zur vorange-gangenen Präsidentschaft.« So empfindet Friederike Fless den kommunikativen Stil von Peter-André Alt. Der kommt zwar aus der Vereinten Mitte, für Hajo Funke ist er trotzdem ein absoluter Glücksfall: »Ein unabhängiger intellektueller Kopf, weiß Gott kein Lenzen-Zögling.«

Die Professoren sehen sich für die kommenden Aufgaben, die schwierige Anpassung der Bologna-Reform und die im Herbst an-gelaufene neue Runde der Exzellenzinitiative, gut aufgestellt. Bei den Neuwahlen zum Akademischen Senat im Januar könnte es zu einem Nachbeben des Lenzen-Weggangs kommen. Üblicherweise werben die professoralen Gruppen vor den Wahlen neu um ihre Lis-tenkandidaten. Es gibt Gerüchte, dass die Vereinte Mitte ohne ihren Zuchtmeister Lenzen in der jetzigen Form nicht fortbestehen wird. Ob sich mit einer weiteren Gruppe allerdings Mehrheiten jenseits des Professorenblocks ergeben, steht auf einem anderen Blatt. ■

Hendrik Pauli schreibt meistens über Campuspolitik. Was die Kollegen nicht wissen: Nebenbei arbeitet er am Aufbau des Sportressorts.

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Page 26: FURIOS 05 – Massenuni

der Kanzler. Humorvoll sei er, manchmal auch ein wenig flapsig, sagen diejenigen, die das Privileg haben, ihm gelegentlich zu begegnen. Vielleicht ein Überbleibsel seiner Zeit als AStA-Vorsitzender – von offizieller Seite gerne totgeschwiegen, hält sich dieses Gerücht hartnäckig.

Einen gehetzten Eindruck macht Lan-ge trotz Zeitnot eigentlich nicht, wie er so dasitzt auf einer dieser Senatssitzungen, die ja doch immer gleich ablaufen. Gemütlich wirkt er, mit seinen silberweißen Haaren, dem markanten Schnauzer und der tief sit-zenden Halbmondbrille. Als würde ihn so schnell nichts aus der Ruhe bringen, nicht mal sein ständig vibrierendes Handy. Über-haupt scheint das spannender zu sein als das Gerede seiner Kollegen – pure Zeitver-schwendung. Kein Wunder also, dass der

Kanzler früher geht.

DER UNSIChTBARE KANZLERAn der FU herrscht ein Unsichtbarer. Kanzler Peter Lange ist eine der einflussreichsten Personen, doch am Campus kennt ihn kaum jemand.

ANCHALEE RÜLAND auf der Suche nach einem Phantom.

Illustration: CHRISTINE SPADY

Die Mauern des FU-Präsidiums sind dick. Zu dick. Denn wer dahinter ungesehen bleiben will, dem gelingt das auch.

FU-Kanzler Peter Lange weiß das: Sicher verschanzt sitzt er in seiner Festung, in Watte gehüllt von einer Armee von Ange-stellten. Klopfen, Telefon, Email – es nützt alles nichts. Der Kanzler hat leider keine Zeit. Dabei möchte man doch eigentlich so gerne behilflich sein im »Kanzleramt«, wenn da nicht diese »vielfältigen terminli-chen Verpflichtungen« wären. Wie ärger-lich, aber vielleicht ein andermal!

Doch wie bekommt man einen Unsicht-baren zu fassen, ohne zu sehr dem Gemun-kel und Getuschel der Leute zu vertrauen? Gar nicht. Er lebt davon.

Es heißt, er solle eigentlich ein ganz »lockerer Typ« sein,

Urkunden, Briefe, Archivie-rung – ursprünglich war der Kanzler oberste Verwaltungsins-tanz des Papstes. Er war der zwei-te Mann im Kirchenstaat, Vertreter seiner Eminenz. Auch heute leitet der Kanzler an deutschen Hochschulen noch den Verwaltungsapparat. Er ist Mitglied des Präsidiums und Vorgesetz-ter aller nichtwissenschaftlichen Refera-te. Als »Herr der Akten« sind Haushalt,

Rechts- und Verwaltungsaufgaben sein tägliches Geschäft.

INFO

Die Studenten, die ihn kennen, beschrei-ben Lange gerne als einen jovialen Mann. Einen, mit dem man auch mal ein Bier trinken kann und der dann »einen dicken Schluck aus der Pulle nimmt.« Aber wehe, man will etwas von ihm wie beispielsweise den aktuellen Haushaltsplan, dann heißt es Geduld, mindestens bis zur nächsten Ab-fuhr.

Was aber soll dieses Versteckspiel? Als Verwaltungschef hat Lange viel Macht. 440 Millionen umfasst der Haushalt. Wie viel er davon verteilen darf? Nicht einmal das ist klar. Aber fest steht: Wenn es ums Geld geht, muss sogar der Präsident lieb bitten. Den wird Lange jedoch nicht vor verschlossener Türe stehen lassen, oder vielleicht doch? Wahrscheinlich könnte er sichs leisten. Denn für gewöhnlich kann dem Kanzler so schnell keiner etwas anha-

ben. Als alter Hase an der FU hat er immer noch viele Freunde – sein Glück, als

er im letzten Jahr dann doch einmal ins Straucheln ge-riet. So ein Spen-denskandal lässt sich eben nicht einfach unter den Tisch kehren.

Über eine Million Euro ver-

schleuderte die Freie Universität

mit ihrer Fundraising Organisation

Ein Schatten

macht sich selbstständig.

Von Interviews hält er wenig.

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»Friends of Freie Universität Berlin«. Ob-wohl Lange als Verwaltungschef in letzter Instanz verantwortlich gewesen wäre, blieb er im Amt. Dem damaligen FU-Präsiden-ten Dieter Lenzen gefiel das nur bedingt, wie es aus präsidiumsnahen Kreisen heißt. Überhaupt war ihm Langes Behördenmen-talität ein Dorn im Auge, die ein Relikt aus West-Berlins privilegierten Inselzeiten ist. Als der Präsident den Kollegen nicht zu sei-ner Abschiedsfeier einlud, war das für Lan-ge »ein Schlag ins Gesicht«, berichtet der studentische Vertreter im Akademischen Senat Uwe Kirmse. Die Demütigung war groß für den Mann, dessen Laufbahn so eng mit der Universität verwoben ist.

Er kennt die Hochschule wie seine Wes-tentasche, studierte hier Betriebswirtschaft und Wirtschaftspädagogik und wurde nach seinem Referendariat wissenschaftlicher Mitarbeiter. Seit über 20 Jahren arbeitet er im Präsidium. Zunächst als Referent im Präsidialamt, nachher als Vertreter des Kanzlers und seit 2000 als dessen Nachfol-ger.

Die Anonymität ist Langes Schutzschild im Minenfeld Freie Universität. Er weiß, wer sich nach außen unsichtbar macht, läuft seltener Gefahr zum Sündenbock ge-macht zu werden. Wie unangenehm eine aufgebrachte Studierendenschaft sein kann, lehrte ihn das Beispiel Lenzen. Macht und Öffentlichkeit können zwei unliebsame Be-gleiter sein, besonders im Doppelpack. So aber kann Lange das Scheckbuch weiterhin gezückt halten und unbekümmert über die Finanzen der FU wachen. Einem Unsicht-baren kann man eben nicht auf die Finger schauen. ■

Anchalee Rüland ist Leiterin des Campus-Ressort. Sie studiert Geschichte und Poli-tikwissenschaft. Im Sommer möchte sich sich zwei Monate hinter der Kamera versuchen.

Die zweite Phase des Exzellenzwettbewerbs läuft an, die alten Förderungen aus. Die FU ist zum Erfolg verdammt. MAX KRAUSE berichtet von den Risiken.

ELITE IN DER FALLE

Als im Jahr 2007 die Entscheidungen der Exzellenzinitiative bekanntgegeben wurden, zählte die Freie Universität Ber-lin zu den großen Gewinnern: In der Hauptkategorie war sie mit ihrem Zu-kunftskonzept »Internationale Netzwer-kuniversität« erfolgreich. Darüber hin-aus hatte sie sich die Förderung für die beiden Exzellenzcluster »TOPOI« und »Languages of Emotion« sowie für drei Graduiertenschulen gesichert. Insgesamt war die FU die deutsche Universität mit den meisten genehmigten Anträgen.

Doch der Erfolg ist zur Bürde gewor-den: Die FU ist mittlerweile abhängig von diesen Fördermitteln. 30 Mio. Euro betragen die jährlichen Zuwendungen. Davon finanziert die Universität Stipen-dien, Graduiertenschulen und holt nam-hafte Forscher an den Campus. Kaum zu überschätzen ist die Imagewirkung des Elitesiegels, das international als Quali-tätsmerkmal im deutschen Hochschuld-schungel gilt. Besonders ausländische Universitäten orientieren sich bei der Wahl ihrer Kooperationspartner daran.

Mit der Ausschreibung der zweiten Exzellenzrunde im September 2010 nahm der Wettbewerb zwischen den Universitäten eine neue Qualität an. 65 Hochschulen ringen bundesweit um die Fördermittel, davon allein 22 in der »Königsklasse« Zukunftskonzept. Mit Hilfe der Landesregierungen und exter-ner Sponsoren haben diese Universitäten in den vergangenen Jahren massiv auf-gerüstet. Für die FU wird es schwieriger werden, ihre Ziele zu erreichen. Sie hat Folgeanträge für alle bisher geförderten

Projekte eingereicht und hofft noch mehr Mittel vom Bund zu ergattern: Sechs wei-tere Anträge wurden gestellt. Viel steht auf dem Spiel. Eine Niederlage wäre eine Katastrophe, finanziell und imagetech-nisch.

2012 werden die Entscheidungen be-kanntgegeben. Für Einrichtungen, die dann nicht erfolgreich waren, ist eine Auslaufförderung von einem Jahr vorge-sehen, in dem sich die Uni auf die neuen Verhältnisse einzustellen hat.

Bei der Frage, wie man bei einer Nie-derlage mit diesem Spardruck umzugehen gedenkt, bleibt Präsident Peter-André Alt vage. Die Graduiertenschulen wolle er erhalten, für die Cluster könnten andere Förderer gefunden werden. Auch die im Rahmen des Zukunftskonzepts der FU etablierten Einrichtungen wie etwa das »Center for Cluster Development« könn-ten »in reduziertem Maß« weitergeführt werden. Allerdings gehe man nicht vom »worst case« aus. Zu viel Aufwand steckt in der Bewerbung.

Eines steht fest: Das Präsidium beschäf-tigt sich nicht mit einer ernsthaften Not-fallplanung. »Ein gutes Zukunftskonzept zeichnet sich durch den Glauben an eine gute Zukunft aus«, meint der Präsident lapidar. Vielleicht zeichnet es sich aber auch dadurch aus, dass man auf Rück-schläge vorbereitet ist. ■

Max Krause studiert Mathe-matik und Philosophie im dritten Semester. Die FU wird er auch noch mögen, wenn sie eines Tages nicht mehr zur Elite Deutschlands gehört.

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POLITIK

FURIOS 05/2011

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Page 28: FURIOS 05 – Massenuni

Eine Kunstfigur auf Streifzug. Dieses Mal wandelt DER FLANEUR um die Donnerbalken der FU, entdeckt die lyrische Versuchung des stillen Örtchens und nimmt es mit der Wahrheit mal wieder nicht so genau.

Von KONSTANZE RENKEN Illustration: CHRISTIAN GÜSE — Fotos: JULIA PAUSELIUS

STILLE ERLEICHTERUNGFLANEUR

Die Gedanken des Flaneurs notierte Konstanze Renken. Für ihre Richtigkeit übernimmt sie keine Verantwortung.

Es ist der Ort der Uni, dem sich niemand entziehen kann – für viele ein not-

wendiges Übel, für einige ein »Hort der Ruhe und Glückseligkeit«, von jedem

aufgesucht und genutzt. Es ist der Ort, der uns alle gleich macht, der unser

Menschsein in seiner triebhaftesten Urform hervorlockt und an dem jeder ein

Abbild seines wahren Charakters auf der Klobrille hinterlässt. Durchschnittlich

2,75 Mal pro Tag wird der Student vom hektischen Unibetrieb in diesen Ort ge-

spült, die Studentin sogar 3,5 Mal. Auch ich verspüre ein gewisses Bedürfnis und

begebe mich auf die Suche nach einem geeigneten Ort …

Ein großer Gang gegenüber der Mensa führt hinab in die tiefen Katakomben, deren einziger Zweck darin besteht, ih-rer Laufkundschaft Erleichterung zu verschaffen. Das ist vernünftig, schließlich bauten schon die alten Ägypter ihre Aborte fernab der Stadtmauern, um der Übertragung von Krankheiten und der allgegenwärtigen Präsenz eines weniger lieblichen Odeurs entgegenzuwirken. Ich schreite durch die Eingangstür. Vor mir erstreckt sich ein Meer aus Waschbecken und Seifenspendern, elektrisches Licht erhellt den fensterlo-sen Raum. Ich durchquere ihn und betrete das Herzstück, ein schummriger Ort, an dem 16 orangefarbene Türen zwei Minuten visuelle Privatsphäre versprechen. Ein großer Stapel Toilettenpapierrollen an der Wand garantiert außerdem einen steten Nutzungsfluss aller Kabinen. Massenabfertigung at its best.

Eine Studie hat ergeben, dass der Anteil von Keimen und Bakterien in den mittleren Kabinen am höchsten ist, dreimal so hoch wie in der letzten und sogar viermal höher als in der zweiten und ersten. Mir scheint der Grad der Verdreckung jedoch in jeder Latrine gleich hoch, keiner entspricht auch nur im Geringsten meinen Bedürfnissen. Ich setze mei-ne Suche fort.

DER NÄChSTE, BITTE!

Page 29: FURIOS 05 – Massenuni

Nach einigem Irren über den Campus betrete ich das JFK-Institut und glaube mich am Ort meiner kühnsten Träume. Ein antiker blauer Mosaikbrunnen geleitet mich zum Verrichtungsort der Notdurft. Wie mir zu Ohren kam, ist dieser Brunnen ein Geschenk der Partneruniversität von Athen, errichtet nach dem heraklitischen Mo-dell »Alles fließt«. So fließe ich denn auch hinein in den hellen Raum, der luxuriös ausgestattet ist mit Fenstern und Wasserhähnen, die sogar warmes Wasser speien sollen. Erwartungsvoll öffne ich eine der beiden Kabinen, doch – o Schreck! – auch diese Kabinenwand wurde nicht verschont vom studentischen Geist revolutionärer Rü-pel, die mit schwarzen Eddingstiften bewaffnet zum Kampf gegen eine zu missachtende politische Überzeugung aufrufen: »Chase those crazy boldheads out of town! Together against facism!«. Und auch die Wand der anderen Kabine konfrontiert mich mit persönlicher Überzeugung, diesmal jedoch weitaus emotionaler: »Ich liebe dich Alex, und das fortwährend« – »Schön, jetzt weiß es wenigstens die Klofrau«, kommentierte ein mir sehr sympa-thischer Zyniker. Ich beschließe, zu bleiben.Als ich mir nach verrichteten Dingen die Hände wasche,

fällt mein Blick auf ein kleines Plakat der Aktion »Wir gegen Viren«, eine Art Selbstverteidigungskurs gegen üble Krank-heitserreger. Paradoxerweise finden sich die meisten Viren und Bakterien jedoch nicht in diesem Teil Uni, sondern in der Ze-dat. Vielleicht sollte dort das Plakat angebracht werden, gleich neben dem Zertifikat über die virenfreien Betriebssysteme im Druckerraum. Während ich darüber sinniere, fällt mir auf, dass gegenwärtig doch nur kaltes Wasser über meine Finger fließt. Erwartungsvoll drehe ich den Hebel nach links in Richtung Wärme, doch – nichts. Rien ne va plus, es fließt gar kein Wasser mehr. Grund dafür sind vermutlich die Ratten im Rohrsystem der Uni, Nachkommen eines aus dem Ruder gelaufenen Forschungsprojekts von Biologiestudenten zum Thema »Nagetiere im künstli-chen Habitat«. Die Quelle ist versiegt, das heraklitische Motiv ist an seine thermalen Grenzen gestoßen – nichts fließt. Was für ein Affront.

WIR GEGEN VIREN!

STILLE ERLEICHTERUNG

BILINGUALES SPÜLENWerde ich hier fündig, inmitten der großen Namen der Weltlitera-

tur? In der philologischen Bibliothek findet sich ebenfalls ein Ort der

Erleichterung für die stressgeplagten Lernenden. Ich wandere durch

die statischen Windungen des Gehirns, das in seiner Form tatsächlich

dem Cerebrum Einsteins im Maßstab 1:1250 nachempfunden sein

soll. Dann öffne ich eine obskure Falttür und befinde mich – mitten

im Bunker. Geschätzte zehn Quadratmeter gekachelter, fensterloser

Raum, eine Lokusschüssel, ein Waschbecken, eine Handtuchrolle, das war’s – stumm schmerzt

mein Ästhetenherz. Dies ist kein Ort, der Wohlbefinden und Entspannung verschafft. Dies ist ein

Ort, der Bilder von psychiatrischen Heilanstalten und Atombunkern vor meinem inneren Auge

erscheinen lässt.Ein rotes Warnschild erregt meine Aufmerksamkeit – „Achtung Automatikspülung!“. Zweispra-

chig wird die Benutzung dieser abnormalen Spülung erklärt. Plötzlich ein gurgelnder Lärm, die

Toilette spült geräuschvoll wie von Geisterhand, erschrocken taumele ich rückwärts gegen die

Falttür, die sofort einknickt und mich wieder ausspuckt in den orangefarbenen Gang. Ich stemme

mich gegen eine Eisenpforte und flüchte zurück ins Tageslicht.

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TATWAFFE WOLLEKleben, Stricken und Gärtnern sind die alternativen Streetart-Formen. Was Omas Hobbys mit politischem Protest zu tun haben. Von CAROLIN BENACK, CHRISTIAN GÜSE und ANGELINA SCHECK.

Illustration: CHRISTIAN GÜSE

»You don’t go to a restaurant and order a meal because you want to have a shit.« Was das sagenumwobene Streetart-Phantom Bank-sy uns damit sagen will: Ruhm ist bestenfalls das Abfallprodukt von Kunst. Seine anonym verzierten Häuserfassaden haben nur den Namen, nicht den Mann dahinter berühmt gemacht. Ano-nym, weil illegal. Doch während Banksy noch ganz old school sei-ne Werke per Sprühdose an die Wand bringt, sind andere schon

weiter. Denn die Streetartkünstler von heute haben Omis alte Lieblinge wie-der entdeckt. Mittlerweile sind Wolle,

Klebeband und Pflanzen-samen die angesagtesten Materialien zur künst-

lerischen Gestaltung unseres urba-

nen Plane-ten. So lä-cherlich das

klingt: Auch mit ihnen kann der fluchtartige exit through the gift shop durchaus mal notwendig werden.

KNASTERFAhRUNG ERWÜNSChT

Tikki* sitzt auf einer verschlissenen Couch im Studentenca-fé. Ihren roten Lockenkopf hat sie über einen Schal gebeugt, an dessen Ende sie geschickt mit zwei Nadeln hantiert. »Das ist für unser project«, sagt die FU-Studentin mit britischem Akzent. Mit project meint sie das nächtliche Einstricken von … was denn ei-gentlich? Sie lacht nur, das bleibe erstmal ein Geheimnis. »Aber bald werden es viele Leute sehen. Und es wird sie hoffentlich zum Lächeln bringen.«

Was Tikki macht, hat viele Namen: Guerilla-Stricken, Yarn Bombing, Knit Grafitti. Sie selbst nennt sich Extreme Knitter. Wie die Begriffe schon andeuten, hat das Ganze nicht mehr viel mit den selbstgestrickten Schlupfmützen zu tun, die man als wehrloses Kind von Omi übergestülpt bekommen hat. Die An-hänger der Bewegung lassen ganze Straßenschilder, Bäume oder Telefonzellen unter ihrer Wolle verschwinden. Hintergrund ist der Streetart-Gedanke: die Zurückeroberung des urbanen Raums. Der soll nicht nur gemütlicher, sondern auch schöner werden. Wie die Fachsprache der Strickenden zeigt, gibt es hier so einige Paralle-len zum Graffiti: So wird das Einstricken von besonders großen Objekten wie Bussen oder Panzern als »bombing« bezeichnet, bestimmte Künstler stricken sogar ihre eigenen »tags«, also ihre persönliche Signatur, in die kuscheligen Kunstwerke. Ein großer Unterschied zur altmodischen Sprühvorlage findet sich trotzdem: Die Knit Graffitis sind bewusst nicht für die Ewigkeit konzipiert, schließlich ist der Ausgangsstoff biologisch abbaubar.

Dass Tikki um ihr project ein solches Geheimnis macht, ist nicht verwunderlich. Immerhin ist das Strickbombardement nicht so ganz legal. Darauf angesprochen, bricht sie in Lachen aus. Man stelle sich vor, ein Gerichtsverfahren, Tatwaffe Wolle. »Eigentlich hoffe ich sogar, dass wir festgenommen werden. Das wäre super

lustig!«

PUNK ZU VERKAUFEN

Vor einer Festnahme müssen Timm Zolpys’ Schützlinge kei-ne Angst haben. Der Mann mit dem lichten Haar ist Manager von so ziemlich allen Tape Art Künstlern in Berlin. Gerade begutachtet er die Arbeit von einem, der das Schaufenster

eines Ku’dammer Klamotten-geschäfts beklebt. Das Ganze findet

nicht nachts statt, sondern an einem brütend heißen Sommertag von 30 Grad, die sich aber an-

fühlen wie 40. Er habe auch mal an der FU Politik stu-diert, erzählt Zolpys, jaja, die OSIs seien schon ein komisches

Volk. Doch keine Zeit zum Plaudern, der Geschäftsführer des Klamottenladens naht. Zolpys muss noch ein paar Dinge mit ihm

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KULTUR

FURIOS 05/2011

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klären. Der sieht nach Anfang 30 aus, hat die blondierten Haare zu kleinen Spitzen gegelt. Er scheint wie die wandelnde Version seines Ladens, in dem zwischen Nike-Schuhen und überteuerten unifar-benen T-Shirts gelegentlich das »Never Mind the Bollocks«-Shirt hervorblitzt. Rebellion für den, der genug Asche hat.

Passend dazu pappt der Tape Art Künstler gerade ein Abbild des Markenschuhs ans Schaufenster. Seine Klebebänder in verschie-densten Größen und Farben hat er aus Zolpys »Klebeland Shop« im Wedding. Immer wieder streicht er bei seiner Arbeit die zotte-ligen Haare aus dem Gesicht. Nach zehn Minuten muss erstmal Zigarettenpause sein. Zolpys gesellt sich dazu. Ganz entspannt.

Nervenkitzel und message? Fehlanzeige. Auf die Frage, ob denn auch illegal getapet wird, antwortet Zolpys vage: »Es gibt welche, die das machen. Das sind aber nicht viele.« Sowieso bemüht man sich um das Saubermann-Image von Tape Art. Auf der Website von Klebeland ist unter anderem von der Kooperation mit Kunst-hochschulen zu lesen. Fragt man aber nach, entpuppt sich diese »Kooperation« als eine einzige Seminarsitzung am privaten Insti-tute of Design in Berlin. Etwas dünn für den Plural.

SChöNER SChEITERN

»Mit Saubermann-Image hat das hier denkbar wenig zu tun«, lacht Jane Doe* über die Tape Art-Jungs vom Ku’damm. Mit Spa-ten und Papierbaumschmuck in der Hand tritt sie in den Hof ne-ben der Philologischen Bibliothek. Sie trägt eine schwarze Kurz-haarperücke und eine 3D-Brille, schließlich studiere sie hier und wolle nicht erkannt werden. »Und mit der 3D-Brille kann man im Dunkeln immer noch besser sehen, als mit einer Sonnenbrille.« Dicht hinter ihr folgt John Doe*, der trägt eine Spidermanmaske und eine kleine Tanne. »Wir wollen unsere Uni ein bisschen weih-nachtlicher machen«, dringt gedämpft hinter der Maske hervor. Eine besinnliche Version des sogenannten »Guerilla Gärtnerns«, die die beiden hier betreiben.

Die Analogie von Landschaftsbebauern und Widerstandskämp-fern wirkt bei der Szenerie ein wenig befremdlich. Doch tatsäch-lich ist die Bewegung stark politisch motiviert. So wurde am 1. Mai 2000 der Parliament Square in London zum Schauplatz ei-ner großangelegten Protestaktion. Schilder mit Aufschriften wie »Resistance is Fertile« und »The Earth is a Common Treasury for All« wurden hochgehalten, der Platz mit Blumen und Gemüse be-pflanzt.

Während Stricken und Tapen noch in den Kinderschuhen ste-cken, ist Guerilla Gärtnern schon mit einigen Jahren geschlagen. Die Bewegung kommt ursprünglich aus London und wurde in den 1970ern besonders in New York populär. Mit der jahrelangen Erfahrung der autonomen Schrebergärtner geht auch eine äußerst gute Organisation einher. Per Internet kann man sich in Foren unter www.guerrillagardening.org/community für die Nacht- und

Nebelaktionen verabreden. Damit man sich dort zurecht findet, muss man allerdings zumindest die Grundlagen des grünen Parti-sanenjargons kennen. So sind »Seedbombs« Kügelchen aus Erde, Samen und Tonpulver, die man unauffällig und schnell an den erwählten Tatort werfen kann. Außerdem wichtig: das »Moosgraf-fiti«. Dafür nehme man Moos, Buttermilch, Zucker und eventuell ein wenig Wasser, jage das Gemisch durch den Mixer und schmie-re das Endprodukt an Wände.

»Moosgrafitti können wir leider an der Rost- und Silberlaube nicht machen, die Außenwände sind nicht rau genug, damit das haftet.«, erklärt John enttäuscht. Währenddessen fegt Jane mit der Hand eine dünne Schneeschicht weg. »Hoffentlich ist der Boden nicht schon gefroren. Eigentlich sollte es heute nicht so kalt wer-den.« Jane setzt den Spaten an, versucht ihn in die Erde zu drü-cken. Nichts tut sich. Sie setzt ein zweites Mal an, diesmal stemmt sie ihren Fuß mit aller Wucht auf das Blatt. Immer noch kein Riss. John rollt mit den Augen. »Mädchen! Gib her, ich mach das.« Der zusammengepresste Mund lässt einen tödlichen Blick hinter Janes 3D-Brille vermuten. Wortlos reicht sie den Spaten weiter.

Ihre Laune bessert sich, als auch John nicht im Stande ist, das Loch für die Tanne zu buddeln. Nach fünfzehn Minuten, die einem in der nächtlichen Kälte wie fünzig vorkommen, geben die beiden schließlich auf. Zumindest Jane wirkt positiv ob ihrer Niederlage gegen die Minus-grade. Sie würden in den nächsten Wochen das Wetter genauer beobachten, verspricht sie. »Bis euer Magazin rauskommt, steht der Baum bestimmt.« ■ — — — — — — — — — — *Name von der Redaktion geändert

Angelina Scheck studiert Biochemie auf Bachelor und strickt schon seit der Immatrikulation fleißig an ihrem ersten Schal.

Carolin Benack studiert Nordamerikastudien und leitet das Kulturressort für FURIOS. Sie kann leider weder gut Basteln noch Stricken, arbeitet aber hart an ihren botanischen Fähigkeiten.

Christian Güse studiert Nordamerikastudien und plant im Geheimen “Lenzen was here” mit Moos-grafitti an die Fassade der Silberlaube zu bringen.

NOCH MEHR ZU WOLLE

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KULTUR

FURIOS 05/2011

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Page 32: FURIOS 05 – Massenuni

GOT PLANS?Mehr Veranstaltungstipps unter WWW.FURIOS-CAMPUS.DE/KALENDER Eure Veranstaltungen an [email protected]

CHEESEBURGER-MUSIKKlangwandler: 9., 13.–16. und 21. Januar 2011, jeweils 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131–133, Eintritt 9–21 €.

Alles auf der Welt hat einen Klang: Kaffeemaschinen, Kakteen, selbst Cheeseburger. Das weiß Jonathan (gespielt von Friedrich Rau). Der Einzelgänger hat sich in seinem Zimmer verschanzt und den Klangwandler gebaut. Damit kann er jeden Gegenstand in Frequenzen übertragen. Sein Ziel: die vollständige Umwandlung von Materie in Klang. Die Materie: Er selbst. Indem er zum Klang wird, will er der grauen Außenwelt, voll von Prüfungen und Leuten, die ständig etwas von ihm wollen, entfliehen. Kann man als Studie-render irgendwie nachvollziehen. Kai Ivo Baulitz und Komponist und Klangforscher Peter Michael von der Nahmer haben hier eine wunderbare Oper auf die Beine stellt. Nach dieser Geschichte hört man die Welt ein bisschen anders. www.neukoellneroper.de

JAN 12.–14.

JAN

Veranstaltungen von, für und mit Studenten der FU.Gesammelt von ELIESE BERRESHEIM, FANNY GRUHL, HENDRIK PAULI und KONSTANZE RENKEN.

SPIEL, AKT, SIEG!Theatersport Berlin: immer montags im Admiral-spalast, sonntags in der Komödie am Ku’damm, Anfangszeiten variieren, Eintritt: Admiralspalast 13 €, Komödie am Ku’damm 15 €

Man stelle sich vor: Man geht ins Theater und weiß nicht, was für ein Stück man gleich sehen wird. Der Veranstalter kann nicht einmal sagen, ob es sich um Komödie, Drama oder Musi-cal handeln wird. Die Schauspieler, die man sogleich sehen wird, wissen das alles auch nicht – So ungefähr fühlt es sich an, wenn man sich auf einen Abend mit dem Theatersport Berlin einstellt. Denn Theatersport ist Improvisationstheater pur! Und das in Wettkampfform: Zwei Teams treten an und spielen gegenein-ander Theater, am Ende gibt es einen Gewinner, Schiedsrichter ist das Publikum. Schmeiß’ dich in deine Fanmontur, feuere deine Mannschaft an und verhilf ihr zum improvisierten Sieg! www.theatersport-berlin.de

JEDEN

MO

ZUM GLÜCK SWINGENUni Bigband Berlin: Freitag 11.02.11, 20:30 Uhr, Kunstfabrik Schlot , Chausseestr. 18, Berlin-Mitte, Karten an der Abendkasse

Laut dem Berliner Urgestein Seeed hat diese Stadt »zu viel Kraft in der Lunge für zu wenige Trompeten« – glücklicherweise kann man ja aber auch noch auf Posaunen, Saxophone und Klarinetten ausweichen. Genau das macht die Uni Bigband Berlin des Collegium Musicums. Komplettiert mit Klavier, Schlagzeug und Bass präsen-tiert sie das Ergebnis unzähliger Proben am 11.2. in der Kunstfabrik Schlot unter der Leitung von Martin Gerwig. Der packt den Groove aus und swingt euch in die Knie! www.collegium-musicum-berlin.de

FEB

EIN HALBES JAHRHUNDERT FÜR DIE MENSCHENRECHTEHuman Rights Lectures: im Sommersemester 2011, immer mittwochs 18.00–20.00 Uhr, Rost- und Silberlaube, Habelschwerdter Allee 45.

Die mittlerweile weltweit größte Menschenrechtsorganisation wird stolze 50! Amnesty International feiert seinen runden Ge-burtstag auch an der FU. Die alljährlich stattfindende Vorle-sungsreihe steht in diesem Jahr unter dem Motto amnesty@50. Die zehn Veranstaltungen werden sich mit der Geschichte und Arbeit von Amnesty International sowie den Themen Todesstra-fe, Folter, Gewalt an Frauen und Flüchtlingsströmen beschäfti-gen. Die genauen Themen stehen noch nicht fest, sind aber bald nachzulesen unter: www.amnesty-fu-berlin.de

JEDEN

MI

STÖRTEBEKER SPEIT REGENBOGENIllustrative: Mai 2011. Ort und Zeit stehen noch nicht fest, werden aber bald auf fu-campus.de veröffentlicht.

Wer sich auf zeitgenössische Kunst einlassen will, braucht ein bisschen Interpretationstalent und ein paar freie Tage im Mai. In ihrem sechsten Jahr zeigt die Illustrative wieder Werke von Illustratoren und Grafikern aus aller Welt, Motive, die schwer zu fassen sind, surreal, verstörend oder einfach ausnehmend schön. »Avantgarde-Ausstellung der jungen Grafik« gab man der Schau als Prädikat bei ihrer Gründung 2006. Ein internationales Forum wollten die Macher schaffen – und eine Gelegenheit zum Nette-Leute-Treffen. Wer also keine künstlerischen Ambitionen hat, kann sich anderweitig erbauen: Neben den Ausstellungen gibt’s Filmprogramm, Party und die Preisverleihung bei der »Illustrators Night«. www.illustrative.de

MAI

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VERANSTALTUNGSKALENDER

FURIOS 05/2011

Page 33: FURIOS 05 – Massenuni

Zwei Urgewalten treiben derzeit ihr Unwesen in der Berliner Modesze-ne: Kälte und die Angst vorm Nicht-beachtet-werden. Darunter glaubt der Dahlemer Hipsterstudent noch mehr zu leiden, als seine Großeltern unter dem Krieg. Doch Rettung naht! Die Holzfäl-lermütze wärmt und ist auf dem Kopf eines 20-Jährigen in der Regel ein echter Hingucker. Und kommt auf jedem Facebook-Partyfoto saugut.

So weit die lebensprak-tischen Aspekte des Klei-dungs-stücks. Aber das kann nicht alles sein. Besonders dann nicht, wenn der Träger in hauchdün-nen Conver-se-Turnschu-hen durch den Schnee stapft. Auch um ein Aufmerksamkeits-defizit zu kompen-sieren sind dem Berliner Hipster bis-lang schon bessere Dinge eingefallen als etwas, das die Frisur zerstört und taub macht.

Wahrscheinlich gibt es die Holzfäller-mütze schon so lange wie den sibirischen Winter. Beziehungsweise seitdem in Si-birien zum ersten Mal eine Fichte gefällt wurde. Seither hat sich die Gestalt der Testosteronkappe so oft geändert wie der Name von St. Petersburg, a. k. a. Petrograd, a. k. a. Leningrad, a. k. a. letzte Tankstelle vor Russland. Welcher französische Kutscher im 18. Jahrhun-dert in eine Midlife Crisis stürzte und das »Kabriolett« – die offenen Kutsche – erfand, konnte nicht in Erfahrung ge-bracht werden. Für die Holzfällermütze bedeutete das die Umfunktionierung

zur Cabriohaube, aus Pelz wurde Le-der. So schützte sich auch Otto Lilien-thal bei seinem ersten Flugversuch vor Wind und skeptischen Blicken seiner Zeitgenossen mit eben dieser Haube. Seither heisst sie Fliegermütze. Zur Ka-mikazemütze wurde sie schliesslich, als

japanische »Selbstopf-erpiloten« mit

ihr in ame-rikanische Kriegsschiffe

stürzten.Wie alle

Jungsphä-nomene hat also auch das Tragen der Holz-

fäller-mütze mit

Flugzeugen zu tun. Sie steht für Tempo-rausch. Wer sie aufsetzt, der fühlt sich nicht nur im-stande, sibirische

Fichten zu fäl-len, sondern auch

amerikanische Fre-gatten zu versenken

oder sogar mit offenem Verdeck über die Hügel der märkischen Schweiz zu fahren. Selbst eine Fahrt mit der U3 nach Dahlem Dorf wird mit ihr zum kleinen Sturzflug, angesiedelt irgendwo zwischen einer Cabriofahrt in Richtung Midlife Crisis und Kamikaze.

Auch die Frauen stehen in diesem Winter auf Testosteron. Sie haben den Holzfällerhelm für sich entdeckt und machen damit auf Boyfriend-Style: Die Frau versinkt in viel zu großen Klamot-ten und wird wieder zum unschuldigen Püppchen. Alles nur Masche. In Wirk-lichkeit wollen sie den Jungs nur ihr Spielzeug wegnehmen. Aber warum der ganze Zank? Zusammen machen Cab-riofahrt und Sturzflug doch sowieso am meisten Spaß! (fis) ■

TESTOSTERON ZUM AUFSETZENWARENFETISCh:

DIE BESSER-ESSERKlara, Julian und Juliane mögen’s frisch: Essen direkt vom Bauern, und zwar an der FU. Dazu gründeten sie eine Food Cooperation: Die FUUDCoop.

Ein Interview von KARL HOSANG und HENRICE STÖBESAND.

Was ist eine FoodCoop?

Mehrere Leute tun sich zusammen und be-

stellen ihre Lebensmittel direkt beim Bauern,

damit sie günstiger regionale und saisonale

Waren bekommen. Über eine extra dafür ent-

wickelte Software werden die Bestellungen

gesammelt und dann an die Uni geliefert.

Warum habt ihr das gera-

de an der Uni organisiert?

Wir sind täglich hier, beim Bauern

könnten wir nur selten vorbeischauen.

Außerdem möchten wir viele andere

Studierende auf FoodCoops und be-

wussten Konsum aufmerksam machen.

Wie lange hat es gedauert, die-

ses Projekt umzusetzen?

Die Idee existiert seit einem Jahr. Schwer

war es zunächst, ein geeignetes Lager an

der Uni und lokale Anbieter zu finden.

Bisher haben wir praktisch keine Werbung

gemacht und sind trotzdem relativ viele,

ungefähr 60. Das wird wohl die nächste Hür-

de: die Organisation für noch mehr Leute.

Werden FoodCoops die Zu-

kunft des Einkaufens?

(lachen) Das wäre ganz schön auf-

wändig, aber eine tolle Möglichkeit,

regionale Anbieter stärker zu unter-

stützen. Durch die FoodCoop lernen

wir Essen wieder mehr zu schätzen.

Es kommt ja auch vor, dass je-

mand zum Beispiel Zwiebeln be-

stellt, stattdessen aber die doppelte

Menge Möhren bekommt...

Das liegt daran, dass die Ware in größe-

ren Gebinden geliefert wird. Jeder kann

einen Toleranzbereich angeben, damit

wir besser ganze Gebinde zusammen

bekommen. Innerhalb dieses Toleranz-

bereiches sind Variationen möglich. Und

wenn dann zu wenig Zwiebeln bestellt

werden, werden die halt nicht geliefert.

Die moderne Uni gilt als kalte Kapita-

listenschmiede. Lindert ihr das Lei-

den mit mehr Gemeinschaftssinn?

(lachen) Definitiv, ja. Durch FUUDCoop ler-

nen sich viele Menschen mit ähnlichen Ide-

en kennen, wir kochen zusammen und hel-

fen einander bei der Verteilung der Waren.

Interessierte wenden sich an:

fu.foodcoops.net

Was die Berliner Szene im Holzfällerlager zu suchen hat. Über einen Hut zum Bäume ausreißen.

Illustration: JULIA SCHÖNHEIT

DAS GANZE

INTERVIEW

UNTER:

FU-CAMPUS.DE

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KULTUR

FURIOS 05/2011 33

KULTUR

FURIOS 05/2011

Page 34: FURIOS 05 – Massenuni

SATIRIKER AUF LEISEN SOhLENGemeinsam mit der Titanic-Rasselbande hielt F.W. Bernstein der jungen Bundesrepublik den Spiegel vor. FURIOS traf einen Pionier der deutschen Satire mit FU-Vergangenheit. Von FILIP TUMA.

Foto: KASSIAN MAYR

Sie erkennen mich an der rotgrünen Schirmmütze.« Eine Woge Studenten schwappt über den U-Bahnsteig in

Dahlem. Zurück bleibt eine hohe Erschei-nung im schwarzen Mantel, die Schultern leicht gebeugt: Fritz Weigle, besser bekannt als F. W. Bernstein, Urgestein der deut-schen Satire und Professor für Karikatur a. D. Seine hellen Augen über dem wir-ren Schnurrbart blicken neugierig umher, während der Satiriker mit bedächtigen Schritten vom Thielplatz zum Campus der FU läuft. Es war einmal seine eigene Uni, doch eine Weile ist das schon her. »Was hat ein alter Mann wie ich den jungen Leuten noch sagen?« fragt Bernstein. Er setzt lie-ber zu tief an, als zu hoch. Gemeinsam mit seinen Gefährten von der Neuen Frankfur-ter Schule besetzte er die klaffende Lücke im Niemandsland der deutschen Satire. Die Titanic-Gründer rund um Gernhardt, Waechter, Poth und Bernstein warfen einen scharfen Blick auf die hiesige Artenvielfalt. Bernsteins Kommentar: »Die größten Kri-tiker der Elche waren früher selber welche.«

Statt Wild gibt es heute Fisch. Den See-hecht mit Sahnesoße balanciert Bernstein zielsicher durch das Gedränge in der Men-sa. Obwohl sein Germanistikstudium bald 50 Jahre her ist, fragt die nette Dame an der Kasse nicht nach seinem Studentenausweis. »Fünfzig Jahre. Noch einmal so weit zu-

rück, da ist man schon in der Kaiserzeit,« amüsiert er sich. Der Seehecht scheint ihm zu schmecken.

Bernsteins FU war eine andere. Es geis-terten noch keine Massen durch das Laby-rinth der Silberlaube, die Germanisten re-sidierten in einer gediegenen Villa. Für ein «Schmalspurstudium« war er eingeschrie-ben, erinnert er sich. »Ein Nachhilfekurs in Literatur, um Goethe richtig verstehen zu lernen.« Das professorale Wort galt als Ge-setz. Bei diesem Gedanken kommt der jun-ge Student mit dem verschmitzten Lächeln zum Vorschein. »Es kam ja sonst niemand darauf, das auf die Schippe zu nehmen.« Dem akademischen Ernst setzte er Leich-tigkeit entgegen, auf Wollsocken tappt sei-ne Satire heran.

Schön und gut, doch was ist mit der Po-litik? Die Sechziger Jahre, Berlin, Revolte, Revolte! »Über Dutschke unterhalte ich mich nicht. Über den habe ich nicht viel zu erzählen.« Der Blick durch die 68er Brille ist ihm zu eng. Seine Kommilitonen waren keine Aufständler. Es war eine bürgerliche Elite, die da studierte, das verstand sich von selbst. Es brauchte kein Exzellenz-Komitee, um das Selbstwertgefühl der Studenten aufzupolieren. Politische Ambitionen hät-ten nur gestört. »Man war gegen Adenau-er«, damit erschöpfte sich der aufrühreri-sche Geist. Bernstein saß mit den anderen

auf der Wiese vor dem Henry-Ford-Bau, lauschte einem charismatischen US-Präsi-denten, der »ein geeintes Berlin in einem geeinten Deutschland« forderte – unter de-mokratischer Fahne, versteht sich. Behagli-cher als am radikalen Rand ist es Bernstein in der Mitte der Gesellschaft, da wo der gutbürgerliche Konsens schlummert, das Lieblingsobjekt seiner Satire.

Das Wichtigste liegt in der Mitte!Bitte:Streich weg das DE und am End das AND:DEUTSCHLAND wird hiermit UTSCHL

genannt.

So dichtete der Satiriker. Und dann, auf der Terrasse des Pi-Café bei einer Tas-se Tee, erzählt er doch von Dutschke. Da war diese Geschichte mit dem langhaarigen Typen. »Der wurde in Schöneberg von ei-ner aufgebrachten Menge vermöbelt. Weil die ihn mit Dutschke verwechselt haben.« Bernstein lächelt vielsagend. »Dabei war Dutschke ein gut frisierter Typ, mit einem gepflegten Auftritt.« Er nimmt noch einen letzten Schluck aus der Tasse. Wie der Sati-riker gekommen ist, verabschiedet er sich: auf leisen Sohlen Richtung U-Bahnhof. ■

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