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Prof. Dr. Karl-Dieter Bünting (Univerität Duisburg-Essen, Campus Essen): Sprachstil 1 Gebundene Sprache: Zeilenformen, Strophenformen und Gedichtformen Themen des zweiten Blockes: Bisher: Silben und Rhythmus Versfuß, Versmaß, Verszeile Heute: Strophenformen und Gedichtformen

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Prof. Dr. Karl-Dieter Bünting (Univerität Duisburg-Essen, Campus Essen): Sprachstil 1

Gebundene Sprache: Zeilenformen, Strophenformen und Gedichtformen

Themen des zweiten Blockes:Bisher: Silben und Rhythmus

Versfuß, Versmaß, VerszeileHeute: Strophenformen und Gedichtformen

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Prof. Dr. Karl-Dieter Bünting (Univerität Duisburg-Essen, Campus Essen): Sprachstil 2

Gebundene Sprache: Zeilenformen, Strophenformen und Gedichtformen

Zeilenstil: syntaktischer Einschnitt und Zeilenende fallen zusammen.Wirkung:• Sprechpause, Stimme gesenkt• ruhiger Rhythmus

Hakenstil: syntaktischer Einschnitt und Zeilenende fallen nicht zusammen.Wirkung:• kurze Sprechpause, Stimme bleibt oben• vorwärtsdrängender Rhythmus

Bertold BrechtVOM SPRENGEN DES GARTENS

0 Sprengen des Gartens, das Grün zu ermutigen!Wässern der durstigen Bäume! Gib mehr als genug. UndVergiss nicht das Strauchwerk, auchDas beerenlose nicht, das ermatteteGeizige! Und übersieh mir nichtZwischen den Blumen das Unkraut, das auchDurst hat. Noch gieße nurDen frischen Rasen oder den vermengten nur:Auch den nackten Boden erfrische du.

Bertold BrechtDER RADWECHSEL

Ich sitze am StraßenrandDer Fahrer wechselt das Rad.Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.Warum sehe ich den RadwechselMit Ungeduld?

Gesammelte Werke 10, Gedichte 3,Suhrkamp Frankfurt am Main 1967, S. 1009 u. 861

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Strophen und Strophenformen, viele Möglichkeiten und Muster

Zur ErinnerungAnnchen von Tharau ist, die mir gefällt;Sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld.Annchen von Tharau hat wieder ihr HerzAuf mich gerichtet in Lieb' und in Schmerz.Annchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut,Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!

Ausgangspunkt: mindestens 2 Zeilenda sonst kein Muster mit Wiederholung2. Beispiel mit Refrain (wiederholten Schlusszeilen)

Die Vögel wollten Hochzeit haltenin den grünen Walde.

Fiderallalla, fiderallallaFiderallallallala

Der Uhu, der Uhu,Der bringt der Braut die Hochzeitsschuh.

Fiderallalla …

Schlichte Form: 4 Zeilen,dann gewöhnlich mit Reim

Heinrich Heine(Hanser Werkausgabe 7, S. 327 u. 314

Das Fräulein stand am MeereUnd seufzte lang und bang,Es rührte sie so sehreDer Sonnenuntergang.Mein Fräulein! Sein Sie munter,Das ist ein altes Stück;Da vorne geht sie unterUnd kehrt von hinten zurück.

Der Brief, den du geschrieben,Er macht mich gar nicht bang;Du willst mich nicht mehr lieben,Aber dein Brief ist lang.Zwölf Seiten, eng und zierlich!Ein kleines Manuskript!Man schreibt nicht so ausführlich,Wenn man den Abschied gibt.

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Gebundene Sprache: Zeilenformen, Strophenformen und GedichtformenVolksliedstrophe: 4-zeiliger Jambus Heinrich Heine (1797-1856)

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,Dass ich so traurig bin;Ein Märchen aus alten Zeiten,Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt,Und ruhig fließt der Rhein;Der Gipfel des Berges funkeltIm Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzetDort oben wunderbar;Ihr goldnes Geschmeide blitzet,Sie kämmt ihr goldenes Haar.

Sie kämmt es mit goldenem KammeUnd singt ein Lied dabei;Das hat eine wundersame,Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen SchiffeErgreift es mit wildem Weh;Er schaut nicht die Felsenriffe,Er schaut nur hinauf in die Höh.

Ich glaube, die Wellen verschlingenAm Ende Schiffer und Kahn;Und das hat mit ihrem SingenDie Lore-Ley getan.

Sprecherin: Ingeborg BüntingQuelle: Carl Otto Conrady (Hrsg.): S. 467, an die neue Rechtschreibung angepasst

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Prof. Dr. Karl-Dieter Bünting (Univerität Duisburg-Essen, Campus Essen): Sprachstil 5

Einige Beispiele für ganz verschiedenen Strophenlängen

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,Ein Birnbaum in seinem Garten stand,Und kam die goldene HerbsteszeitUnd die Birnen leuchteten weit und breit,Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl,Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,Und kam in Pantinen eine Junge daher,So rief er :»Junge, wiste ’ne Beer?«Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,Kumm man röwer, ick hebb ’ne Birn.«

So ging es viele Jahre, bis lobesamDer von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.Er fühlte sein Ende. ’s war Herbsteszeit,Wieder lachten die Birnen weit und breit;Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.Legt mir eine Birne mit ins Grab.«Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,Trugen von Ribbeck sie hinaus,Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht,Sangen »Jesus meine Zuversicht«,Und die Kinder klagten, das Herze schwer,»He is dod nu. Wer giwt uns nu ’ne Beer?«

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

So klagten die Kinder. Das war nicht recht –Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;Der neue freilich, der knausert und spart,Hält Park und Birbaum strenge verwahrt.Aber der alte, vorahnend schonUnd voll Misstraun gegen denn eigenen Sohn,Der wusste genau, was damals er tat,Als um eine Birn ins Grab er bat,Und im dritten Jahr aus dem stillen HausEin Birnbaumsprössling sprosst heraus.

Theodor Fontane (1819–1898)

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Ein alter Tibetteppich

Deine Seele, die die meine liebet,Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.

Strahl in Strahl, verliebte Farben,Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit,Maschentausendabertausendweit.

Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron,Wie lange küsst dein Mund den meinen wohlUnd Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon?

Else Lasker-Schüler (1869-1945), Conrady S. 701

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Eine schwierige Strophenform ist die Terzine, ein Dreizeiler, weil hier eine Verszeile im Grunde frei steht; sie wird dann aber mit der folgenden Strophe durch den Reim verknüpft.

Terzinen (III)Wir sind aus solchem Zeug, wie das zu Träumen,Und Träume schlagen so die Augen aufWie kleine Kinder unter Kirschenbäumen,

Aus deren Krone den blassgoldnen LaufDer Vollmond anhebt durch die große Nacht.Nicht anders tauchen unsre Träume auf,

Sind da und leben wie ein Kind, das lacht,Nicht minder groß im Auf- und NiederschwebenAls Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht.

Das Innerste ist offen ihrem Weben;Wie Geisterhände in versperrtem RaumSind sie in uns und haben immer Leben.

Und drei sind eins: ein Mensch, ein Ding, ein Traum.

Hugo von Hofmannsthal (1874-1929), aus »Flügel der Zeit«, S. 18

We are such stuffAs dreams are made on, and our little lifeIs rounded with a sleep.

The TempestWilliam Shakespeare (1564-1616): The Works of William Shakespeare, London 1957, S. 17

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Heidenröslein

Sah’ ein Knab’ ein Röslein stehn,Röslein auf der Heiden,War so jung und morgenschön,Lief er schnell, es nah zu sehn,Sah’s mit vielen Freuden.Röslein, Röslein, Röslein rot,Röslein auf der Heiden.

Knabe sprach: Ich breche dich,Röslein auf der Heiden!Röslein sprach: Ich steche dich,Dass du ewig denkst an mich,Und ich will’ s nicht leiden.Röslein, Röslein, Röslein rot,Röslein auf der Heiden.

Und der wilde Knabe brach‘s Röslein auf der Heiden;Röslein wehrte sich und stach,Half ihm doch kein Weh und Ach,Musst es eben leiden.Röslein, Röslein, Röslein rot,Röslein auf der Heiden.

Franz SchubertFassbaender, Garben

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Kein BlumengedichtMit Datum „vom 26. 08. 1813“ an seine Frau Christiane geschickt.

Gefunden

Ich ging im WaldeSo für mich hin,Und nichts zu suchen,Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ichEin Blümchen stehn,Wie Sterne leuchtend,Wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen,Da sagt es fein:Soll ich zum WelkenGebrochen sein?

Ich grub’s mit allenDen Würzlein aus,Zum Garten trug ich’sAm hübchen Haus.

Und pflanzt’ es wiederAm stillen Ort;Nun zweigt es immerUnd blüht so fort.

Richard Strauss,Fischer-Dieskau, Engel

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Gedichtformen (SMS der Klassik)Einfachste Form: Distichen; Sg. Distichon (gr. dis = zweimal, stichos = Zeile)

Wie willst du weiße Lilien, zu roten Rosen machen?Küss eine weiße Galatee, sie wird errötend lachen.

Friedrich von Logau

PentameterIm Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,

Im Pentameter drauf, fällt sie melodisch herab.HexameterSchwindelnd trägt wer dich fort auf rastlos strömenden Wogen,

Hinter dir siehst u, du siehst vor dir nur Himmel und Meer

Der SprachforscherAnatomieren magst du die Sprache, doch nur ihr Kadaver;

Geist und Leben entschlüpft flüchtig dem groben Skalpell.

Sinnreich bist du, die Sprache von fremden Wörtern zu säubern;Nun, so sage doch, Freund, wie man Pedant uns verdeutscht

Schillers Werke Band 1, hrsgg. von Friedrich Kutscher, Deutsches Verlagshaus Bong & Co. Berlin o .J;die Rechtschreibung ist der Neuregelung angepasst mit einer Ausnahme:Die zweite Verszeile wird prinzipiell großgeschrieben wie in allen Gedichten, die vor 1901 erschienen sind.

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Gebundene Sprache: Zeilenformen, Strophenformen und Gedichtformen

Spielformen: Rundgesang, Rondell, Triolett, Limerick

Rondell

Verflossen ist das Gold der Tage,Des Abends braun und blaue Farben:Des Hirten sanfte Flöten starbenDes Abends blau und braune FarbenVerflossen ist das Gold der Tage.

Georg Trakl (1887-1914), Conrady S. 720

Der Uhu, der Uhu,der klappt die Augen auf und zu.Fiderallala, Fiderallala, Fiderallallallala.

Der Wiedehopf, der Wiedehopf,der wackelt dauernd mit dem Kopf.Fiderallala, Fiderallala, Fiderallallallala.

Triolet

Easy is the Triolet,If you really learn to make it!

Once a neat refrain you get,Easy is the Triolet.As you see! - I pay my debt

With another Rhyme. Deuce take it,Easy is the Triolet,

If you really learn to make it!

W. E. Henley, aus Wolfgang Kayser:Das sprachliche Kunstwerk. Bern 19595, S. 93

Triolett

Ein Triolett ist leicht zu dichten,Man muss nur lernen, wie es geht!

Man muss den Reimen sich verpflichten.Ein Triolett ist leicht zu dichten.Ich komm dem nach, und werd' es richten

mit diesem Reime, wie ihr seht!Ein Triolett ist leicht zu dichten,

Man muss nur lernen, wie es geht.

KDB.

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Gebundene Sprache: Zeilenformen, Strophenformen und GedichtformenLimericks: 5 Zeilen, Reimschema a-a-b-b-a; Scherzabwandlung erlaubt,Zeilenlänge der 3. und 4. deutlich kürzer. .

There was an Old Man with a beard,Who said, „It is just as I feared –

Two Owls and a Hen,Four larks and a Wren

Have all built their nests in my beard!“zitiert nach The Encyclopedia Americana 17, S. 489, New York 1973

Es war mal ein Mann mit ‘nem Bart,Der sagte: „Es ist wirklich hart,

Zwei Eulen, ein Gänschen,Vier Lerchen, ein Rotschwänzchen

Bauten alle ihr Nest in meinen Bart!“

Übertragung KDB

Da war mal ein Mädchen aus Steele,das war eine ganz treue Seele:

treu dem Fritz, treu dem Franz,treu dem Heinz, treu dem Hans ...

Deren Eifersucht konnt’ sie nicht quäle.

Die schöne Ilona aus Soestwar über ihren Freund ganz erboest:

Der treulose Kerlschmust mit Mädchen aus Werl!

Sie sucht jetzt in Meschede Troest

Da war mal ein Engländer aus Worcester,die neue Rechtschreibung lernen morcester.

Schrieb jetzt rau wie Frau Blau,doch schrieb weiter Kakao. –

Schlau war der Engländer, das worcester

Da war mal ein Engländer aus Leicester,zu dem sagt seine Freundin: „Mein beicester,

du leicesterst zu viedas hat keinen Stil.

Er hörte auf sie, und jetzt leiceserts.

Ein dicker Mann aus Jakarta,der aß so gern á la carta:

Bami und Nasi Goreng –ihm ward die Hode zu eng.

Jetzt übt er fleißig Karata.

Aus Rio die schöne Amanda,die tanzte den Tango im Tanga.

Sie tanzte ihn heißsie tanzt‘ esich in Schweiß:

Amanda stand bald ohna Mann da.

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Gebundene Sprache: Zeilenformen, Strophenformen und Gedichtformen

Das Shakespeare-Sonett : Shakespeare hat viele Sonette geschrieben, in den Complete Workssind sie bis CLIV (154) durchnumeriert, und es folgen noch weitere, eingebunden in Zyklen . Das Shakespeare-Sonett hat 12 Zeilen im Kreuzreim und zwei abschließende im Paarreim. Hier ein Sonett mit Übertragungen von Otto Gildemeister (Fischer Bücherei Exempla Classica 5, 1960, S.22/3 und S. 134/5).

130My mistress’ eyes are nothing like the sun;Coral is far more red than her lips red:If snow be white, why then her breasts are dunIf hairs be wires, black wires grow on her head.I have seen roses damask’d, red and white,But no such roses see I in her cheeks;And in some perfumes is there more delightThan in the breath that from my mistress reeks.I Love to hear her speak, yet well I knowThat music hath a far more pleasing sound:I grant, I never saw a goddess go,My mistress, when she walks, treads on the ground:

And yet, by heaven, I think my love as rareAs any she belied with false compare.

130Mein Mädchen hat nicht Augen wie zwei Sonnen,Noch Lippen wie Korallen anzuschaun;Ist Haar Gespinst, so ist sie schwarz besponnen;Ist Schnee recht weiß, sind ihre Brüste braun.Ich kenne purpurne, auch weiße RosenDoch fand ich beid’ auf ihren Wangen nicht,Und mehr Arom ist oft in SalbendosenAls in dem Atem, wann mein Liebchen spricht.Ihr hör ich gerne zu, doch muss gestehen,Dass die Musik viel süßern Wohllaut hat;Ich hab noch keine Göttin wandeln sehen;Mein Liebchen tritt beim Gehen auf dem Pfad.

Doch find ich sie, bei Gott, so hübsch wie jede,Die man belügt mit falscher Gleichnisrede.

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Gebundene Sprache: Zeilenformen, Strophenformen und Gedichtformen

Das Petrarca-Sonett schreibt 4 Strophen vor: 4-zeilig, 4-zeilig, 3-zeilig, 3-zeilig; das kunstvolle Reimschema lautet abba, cddc, eef, ggf, also im Grundmuster Kreuzreim, dann Paarreim mit Schweifreim gekoppelt. Die letzte Strophe soll sich inhaltlich deutlich von den anderen absetzen, eine Art Schlussfolgerung ziehen, einen Schlusspunkt markieren.

Das Sonett

Sich in erneutem Kunstgebrauch zu üben,Ist heil’ge Pflicht, die wir dir auferlegen:Du kannst dich auch, wie wir, bestimmt bewegenNach Schritt und Tritt, wie es dir vorgeschrieben.

Denn eben die Beschränkung lässt sich lieben,Wenn sich die Geister gar gewaltig regen;Und wie sie sich denn auch gebärden mögen,Das Werk zuletzt ist doch vollendet blieben.

So möcht’ ich selbst in künstlichen Sonetten,In sprachgewandter Maße kühnem Stolze,Das Beste, was Gefühl mir gäbe, reimen:

Nur weiß ich hier mich nicht bequem zu betten,Ich schneide sonst so gern aus ganzem Holze,Und müsste nun doch auch mitunter leimen.

Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehenUnd haben sich, eh’ man es denkt, gefunden;Der Widerwille ist auch mir verschwunden,Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.

Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!Und wenn wir erst in abgemessnen StundenMit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.

So ist’s mit aller Bildung auch beschaffen:Vergebens werden ungebundne GeisterNach der Vollendung reiner Höhe streben.

Wer Großes will, muss sich zusammenraffen;In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.

Johann Wolfgang Goethe (1749-1832), Goethes Werke 1, Hamburg 1956², S. 245

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Andreas Gryphius(1616-1664)

BildquelleBrockhaus 19. A., Bd. 9, 247

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Gebundene Sprache: Zeilenformen, Strophenformen und Gedichtformen

Materialien zu einer Kritik der bekanntestenGedichtform italienischen Ursprungs

Sonette find ich sowas von beschissen,so eng, rigide, irgendwie nicht gut;es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,dass wer Sonette schreibt. dass wer den Mut

hat, heute noch so’n dumpfen Scheiß zu bauen;allein der Fakt, dass so ein Typ das tut,kann mir in echt den ganzen Tag versauen.Ich hab da eine Sperre. Und die Wut

darüber, dass so’n abgefuckter Kackermich mittels seiner Wichserein blockiert,schafft in mir Agressionen auf den Macker.

Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert.Ich tick es echt nicht. Und ich will’s nicht wissen:Ich find Sonette unheimlich beschissen.

Robert Gernhardt: Wörtersee. Zweitausendeins Frankfurt am Mein 1981, S. 165

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Die Nacht auf dem DrachenfelsAn Fritz v.B.

Um Mitternacht war schon die Burg erstiegen,Der Holzstoß flammte auf am Fuß der Mauern,Und wie die Burschen lustig niederkauern,Erscholl das Lied von Deutschlands heilgen Siegen.

Wir tranken Deutschlands Wohl aus Rheinweinkrügen.Wir sahn den Burggeist auf dem Turme lauern,Viel dunkle Ritterschatten uns umschauern,Viel Nebenfraun bei uns vorüberfliegen.

Und aus den Trümmern steigt ein tiefes Ächzen,Es klirrt und rasselt, und die Eulen krächzen;Dazwischen heult des Bordsturms Wutgebrause. –

Sieh nur, mein Freund, so eine Nacht durchwacht ichAuf hohem Drachenfels, doch leider bracht ichDen Schnupfen und den Husten mit nach Hause.

Heinrich Heine (1797-1856), Conrady S. 474Sprecherin: Ingeborg Bünting