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T. Junghanss 1 · M. Bodio 2 1 Abt.Tropenhygiene u.Öffentliches Gesundheitswesen, Universitätsklinikum, Heidelberg 2 Schweizerisches Tropeninstitut,Basel Gefahren durch Gifttiere und tierische Gifte Nagetieren sind, die ihrerseits Nah- rung in menschlichen Behausungen su- chen. Kinder sind in besonderem Maß durch ihre Neugierde und Unvorsich- tigkeit gefährdet. Verläßliche Statistiken über Gift- tierunfälle bei Reisenden sind uns nicht bekannt. Die meisten ereignen sich je- doch wahrscheinlich dort, wo sie am we- nigsten vermutet werden: beim Essen und im Wasser. Fisch- und Muschel- vergiftungen sowie Bade-Gifttier-Un- fällen sollen deshalb hervorgehoben werden. Giftaufnahme (passive oder aktive Vergiftung) Verständlicherweise will der behandeln- de Arzt, vor allem in Notfallsituationen, nur so viel biologische Identifikations- arbeit leisten, wie für die sachgerechte Behandlung erforderlich ist. Der Grad der Identifikation, der erreicht werden muß, wird in erster Linie von der Mög- lichkeit und Notwendigkeit des Einsat- zes eines spezifischen Antidots (Antive- nin) bestimmt. In den meisten Fällen wird das Gift- tier vom Betroffenen nicht gesehen, und die Beschreibungen sind wenig auf- schlußreich. Ein einfacher Fragenkatalog hat sich als ein nützliches Instrument für die Charakterisierung der Unfall- verursacher bewährt. Wichtige Gifttier- gruppen sind fett hervorgehoben, reise- medizinisch besonders relevante sind zusätzlich unterstrichen [1]. Unter der großen Vielfalt von Gifttie- ren spielen nur wenige für Reisende eine Rolle. Es sind in erster Linie Mahlzeiten von Meeresfrüchten sowie Badeunfälle mit Quallen und Stachel bewehrten Fi- schen, die zu Vergiftungen führen. Äu- ßerst selten werden schwere Vergiftun- gen durch andere Gifttiere (Schlangen, Spinnen) verursacht. Die medizinisch relevanten Gifttiere lassen sich in 2 große Gruppen einteilen, passiv giftige (Ver- giftungen kommen durch orale Auf- nahme zustande) und aktiv giftige (Ver- giftungen werden durch Kontakt, Biß oder Stich verursacht). Die weitere Un- terteilung der aktiv giftigen Tiere in Gruppen hilft bei der Identifikation der Unfallverursacher: (1) Nesseltiere, (2) aktiv giftige Fische, (3) Skorpione, (4) Spinnen, (5) Hymenopteren, (6) See- schlangen, (7) terrestrische Schlangen. Die wichtigste Maßnahme für Reisende ist die Prävention. Touristen erobern immer versteck- tere Winkel der Welt und dringen in Le- bensräume ein, die ihnen völlig unge- wohnt sind. Giftschlangen, die Reisende am meisten in der natürlichen Umge- bung dieser Regionen als Gefahr wahr- nehmen, kommen ihnen selten unter die Augen. Es sei denn, gebändigt durch die Flöte eines Schlangenbeschwörers (Abb. 1). Werden präventive Maßnahmen bei Streifzügen durch von Giftschlangen bewohnte Gebiete getroffen, ist das Risi- ko eines Giftschlangenbisses extrem ge- ring. Schlangenbisse sind ein Problem für Einheimische, meist Arbeitsunfälle von Bauern, Land- und Plantagenarbei- tern. Des weiteren sind es Unfälle zu Hause, beim Umdrehen im Schlaf auf dem Hüttenboden, wenn Schlangen, nachtaktiv, auf Nahrungssuche nach Der Internist 11·99 | 1181 Übersicht Internist 1999 · 40:1181–1188 © Springer-Verlag 1999 Zum Thema Diese Arbeit gibt einen Überblick über tierische Gifte, die der Mensch durch die Nahrung zu sich nehmen kann, und über Gifte, die ihm durch ein giftiges Tier durch Biß, Stich oder Hautkontakt zugeführt werden können. Unter pragmatischen Gesichtspunkten werden die klinische Symptomatik und die therapeutischen Optionen behandelt. Etwas kursorisch bleibt festzustellen, daß dramatische Ereignisse mit letalem Ausgang, z.B.ein tödlicher Kobrabiß, bei Touristen gro- ße Rarität sind.Vergleichsweise häufig sind dagegen äußerst unangenehme Hautverlet- zungen durch Quallen und andere Meeres- tiere, sowie Fisch- und Muschelvergiftungen. Die wichtigste Maßnahme für Reisende ist die Prävention. Schlüsselwörter Vergiftung, tierische Gifte · Reisemedizin, tierische Vergiftungen · Muscheln,Vergiftung · Quallen,Vergiftung Dr.T.Junghanss Abteilung Tropenhygiene und Öffentliches Gesundheitswesen, Universitätsklinikum, Im Neuenheimer Feld 324, D-69120 Heidelberg& / f n - b l o c k : & b d y :

Gefahren durch Gifttiere und tierische Gifte

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Page 1: Gefahren durch Gifttiere und tierische Gifte

T. Junghanss1 · M. Bodio2

1 Abt.Tropenhygiene u.Öffentliches Gesundheitswesen, Universitätsklinikum, Heidelberg2 Schweizerisches Tropeninstitut, Basel

Gefahren durch Gifttiere und tierische Gifte

Nagetieren sind, die ihrerseits Nah-rung in menschlichen Behausungen su-chen. Kinder sind in besonderem Maßdurch ihre Neugierde und Unvorsich-tigkeit gefährdet.

Verläßliche Statistiken über Gift-tierunfälle bei Reisenden sind uns nichtbekannt. Die meisten ereignen sich je-doch wahrscheinlich dort, wo sie am we-nigsten vermutet werden: beim Essenund im Wasser. Fisch- und Muschel-vergiftungen sowie Bade-Gifttier-Un-fällen sollen deshalb hervorgehobenwerden.

Giftaufnahme (passive oder aktive Vergiftung)

Verständlicherweise will der behandeln-de Arzt, vor allem in Notfallsituationen,nur so viel biologische Identifikations-arbeit leisten, wie für die sachgerechteBehandlung erforderlich ist. Der Gradder Identifikation, der erreicht werdenmuß, wird in erster Linie von der Mög-lichkeit und Notwendigkeit des Einsat-zes eines spezifischen Antidots (Antive-nin) bestimmt.

In den meisten Fällen wird das Gift-tier vom Betroffenen nicht gesehen, unddie Beschreibungen sind wenig auf-schlußreich. Ein einfacher Fragenkataloghat sich als ein nützliches Instrumentfür die Charakterisierung der Unfall-verursacher bewährt. Wichtige Gifttier-gruppen sind fett hervorgehoben, reise-medizinisch besonders relevante sindzusätzlich unterstrichen [1].

Unter der großen Vielfalt von Gifttie-ren spielen nur wenige für Reisende eineRolle. Es sind in erster Linie Mahlzeitenvon Meeresfrüchten sowie Badeunfällemit Quallen und Stachel bewehrten Fi-schen, die zu Vergiftungen führen. Äu-ßerst selten werden schwere Vergiftun-gen durch andere Gifttiere (Schlangen,Spinnen) verursacht. Die medizinischrelevanten Gifttiere lassen sich in 2 großeGruppen einteilen, passiv giftige (Ver-giftungen kommen durch orale Auf-nahme zustande) und aktiv giftige (Ver-giftungen werden durch Kontakt, Bißoder Stich verursacht). Die weitere Un-terteilung der aktiv giftigen Tiere inGruppen hilft bei der Identifikation derUnfallverursacher: (1) Nesseltiere, (2)aktiv giftige Fische, (3) Skorpione, (4)Spinnen, (5) Hymenopteren, (6) See-schlangen, (7) terrestrische Schlangen.Die wichtigste Maßnahme für Reisendeist die Prävention.

Touristen erobern immer versteck-tere Winkel der Welt und dringen in Le-bensräume ein, die ihnen völlig unge-wohnt sind. Giftschlangen, die Reisendeam meisten in der natürlichen Umge-bung dieser Regionen als Gefahr wahr-nehmen, kommen ihnen selten unterdie Augen. Es sei denn, gebändigt durchdie Flöte eines Schlangenbeschwörers(Abb. 1).Werden präventive Maßnahmenbei Streifzügen durch von Giftschlangenbewohnte Gebiete getroffen, ist das Risi-ko eines Giftschlangenbisses extrem ge-ring. Schlangenbisse sind ein Problemfür Einheimische, meist Arbeitsunfällevon Bauern, Land- und Plantagenarbei-tern. Des weiteren sind es Unfälle zuHause, beim Umdrehen im Schlaf aufdem Hüttenboden, wenn Schlangen,nachtaktiv, auf Nahrungssuche nach

Der Internist 11·99 | 1181

ÜbersichtInternist1999 · 40:1181–1188 © Springer-Verlag 1999

Zum Thema

Diese Arbeit gibt einen Überblick über

tierische Gifte, die der Mensch durch die

Nahrung zu sich nehmen kann, und über

Gifte, die ihm durch ein giftiges Tier durch

Biß, Stich oder Hautkontakt zugeführt

werden können. Unter pragmatischen

Gesichtspunkten werden die klinische

Symptomatik und die therapeutischen

Optionen behandelt.

Etwas kursorisch bleibt festzustellen, daß

dramatische Ereignisse mit letalem Ausgang,

z.B. ein tödlicher Kobrabiß, bei Touristen gro-

ße Rarität sind.Vergleichsweise häufig sind

dagegen äußerst unangenehme Hautverlet-

zungen durch Quallen und andere Meeres-

tiere, sowie Fisch- und Muschelvergiftungen.

Die wichtigste Maßnahme für Reisende ist

die Prävention.

Schlüsselwörter

Vergiftung, tierische Gifte ·

Reisemedizin, tierische Vergiftungen ·

Muscheln,Vergiftung ·

Quallen,Vergiftung

Dr.T. Junghanss

Abteilung Tropenhygiene und Öffentliches

Gesundheitswesen, Universitätsklinikum,

Im Neuenheimer Feld 324, D-69120 Heidelberg&/fn-block:&bdy:

Page 2: Gefahren durch Gifttiere und tierische Gifte

Orale Giftaufnahme durch passiv giftiges Tier

● Muscheln● Schnecken● Stachelhäuter (Seesterne, Seeigel, See-

gurken)● Krebstiere● Pfeilschwanzkrebse● Fische oder Fischeier● Meeresschildkröten● Wale und polare Säugetiere

Parenterale Giftaufnahme durch aktiv giftiges Tier (Biß, Stich)

Hat die Vergiftung im Süsswasser statt-gefunden?

● Fische● Seeschlangen● Schnabeltier (nur Australien)

Hat die Vergiftung im Salz- oder Brack-wasser stattgefunden?Liegt eine Verletzung durch flächigenKontakt/Schürfung vor?

● Schwämme● Nesseltiere (Quallen, Seeanemonen,

Korallen, Federpolypen)● Borstenwürmer

Liegt eine Verletzung durch Stich/Biß vor?

● Conusschnecken● Blaugeringter Octopus● Stachelhäuter (Seesterne, Seeigel,

Seegurken)

die Letalitätsrate liegt unter 1%. Muschel-vergiftungen kommen in 4 verschiede-nen Varianten vor, wobei bei der paraly-tische Form eine Letalität bis zu 14%verzeichnet wurde. Langstreckenschwim-mer unter den Fischen mit dunklemFleisch, wie Thunfische und Makrelenkönnen giftig werden, wenn sie un-sachgemäß gelagert wurden. Bakterienauf der Haut wandeln dann muskuläresHistidin in Histamin um.

Klinik

Dominierende Symtome und Befundesind Erbrechen, Diarrhoe, Gefühlsstö-rungen, Paralyse, Herzrhythmusstörun-gen und arterielle Hypotension. Dasdifferentialdiagnostische Problem zuanderen Nahrungsmittel-bedingten Er-krankungen ist offensichtlich, wie z.B.Lebensmittelvergiftung, Norwalk-Virus-Gastroenteritis, Botulismus Typ E, umnur einige mit vergleichbar kurzen In-tervallen zwischen Aufnahme und Er-krankungsbeginn zu nennen. Gleich-zeitig sind Allergien gegenüber Mee-resfrüchten abzugrenzen. In der Regelbetreffen Allergien jedoch Individuen,während Vergiftungen in Ausbrüchenauftreten.

Sofern wir die Verfügbarkeit einesAntidots als entscheidendes Kriteriumbetrachten, den Unfallverursacher ex-akt zu bestimmen, dürfen nur 2 Vergif-tungen nicht verpaßt werden: dieCiguatera- und die Scombroid- (Hist-amin-) Vergiftung. Die Ciguatera-Ver-giftung beginnt mit einer Phase gastro-intestinaler Beschwerden (Erbrechen,Durchfall), an die sich neurologische Er-scheinungen anschliessen, insbesonde-re Dysästhesien beim Berühren kalterGegenstände. Diese gelten als relativspezifisch. Nur die neurotoxische Mu-schelvergiftung verursacht vergleich-bare Symptome. Bei der Scombroid-(Histamin-) Vergiftung, die sich haupt-sächlich in „flushs“ und einem Erythemäussert, ist die Zeitspanne bis zum Auf-treten ausserordentlich kurz (10 Minu-ten bis 2 Stunden)

Erste Hilfe

Wie bei vielen oralen Vergiftungen er-scheinen Aktivkohle, induziertes Erbre-chen und Laxantien als sinnvolle Metho-den, um die Resorption der Toxine zuverhindern. Dieses Vorgehen wurde für

● Fische● Seeschlangen

Hat die Vergiftung an Land stattgefun-den?

● Skorpione● Spinnen● Zecken● Hundertfüssler● Hymenopteren (Bienen, Wespen,

Ameisen)● Schmetterlinge und Raupen● Käfer● Krustenechsen● Giftschlangen

Für die reisemedizinische Beratung isteine entsprechend einfache Gruppen-einteilung sinnvoll, die für biologischeLaien verständlich ist und in erster Liniedie Vermittlung präventiver Massnah-men unterstützt. Präventive Strategienwerden unter den einzelnen Gifttier-gruppen abgehandelt.

Giftig durch Verzehr:Muscheln und Fische [1]

In tropischen Regionen können vor al-lem Fische und Krustentiere giftig sein,in gemässigten Regionen Muscheln. DieGifte stammen meist von Dinoflagella-ten und Bakterien und werden über dieNahrungskette angereichert.

Tropische Riffische verursachendie sogenannte Ciguatera-Vergiftung(Abb. 2a und b). Weltweit sind jährilich10 000 bis 50 000 Patienten betroffen;

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Übersicht

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Abb. 1 m„Schlangenbeschwörer“ mit Kobra (Naja Naja ssp.) in Südindien. Dieser Mann spürt Giftschlangen auf, fängt sie und transportiert sie ab [Foto: Junghanss]

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die durch passiv giftige Tiere verur-sachten Vergiftungen jedoch nie syste-matisch evaluiert.

Therapie

20%iges Mannitol (250 ml über 30 Mi-nuten; evtl. wiederholt verabreicht)kann die neurologische Symptomatikvon Cignatera-Vergiftungen bessern,sofern innerhalb von 72 Stunden thera-piert wird. Die Wirkungsweise vonMannitol ist unbekannt. Unbehandeltkönnen die Sensibilitätsstörungen überMonate anhalten, sind jedoch offen-sichtlich immer vollkommen reversibel.Dies ist eine Tatsache, die man bei derBetreuung von Patienten hilfreich ein-setzen kann, da für die chronische Phaseder Erkrankung bisher keine gesichertwirksame Therapie zur Verfügung steht.

Die Scombroid- (Histamin-) Vergif-tung kann mit H1-, kombiniert mit H2-Rezeptorenblockern antagonisiert wer-den. Die Vergiftungserscheinungen ver-schwinden jedoch innerhalb kurzer Zeitauch ohne Behandlung, und Todesfällewurden bisher nie berichtet.

In allen anderen Fällen erfolgt dieBehandlung von Patienten mit Vergif-tungen durch passiv giftige Tiere reinsymptomatisch. Dies ist insbesonderedie Rehydratationstherapie bei Erbre-chen und Durchfall und die künstlicheBeatmung bei Patienten mit neurotoxi-schen Vergiftungen, die die Atemmus-kulatur einbeziehen.

doch offensichtlich auch eine allergisie-rende Wirkung. Es wurden Fälle be-schrieben,bei denen es bei Reexpositionzum allergischen Schock kam.

Im Indopazifik und Atlantik kön-nen bereits Erstkontakte mit Quallen le-bensgefährlich sein. In Australien wur-den in den letzten Jahrzehnten ca. 60Todesfälle durch die Würfelqualle Chi-ronex fleckeri registriert, in den USAmehrere Todesfälle durch die atlantischeForm der portugisischen Galeere (Phy-salia physalis). Der Tod tritt bei massivdurch Chironex fleckeri genesselten Pati-enten innerhalb von Minuten ein. InAustralien wurden vehement Massnah-men ergriffen, um diese Gefahren zuminimieren. Es wurden ausschwenkba-re, Fussballfeld grosse Netze entwickelt,in deren Umfriedung ungestört gebadetwerden kann (Abb. 4), in Sportgeschäf-ten werden sogenannte „stinger suits“zur individuellen Protektion verkauft,in Metallboxen steht an Stränden Haus-haltsessig (4–6%ige Essigsäure) zur Ver-fügung, und paramedizinisches Personalin Strandnähe ist in der Verabreichungvon spezifischem Chironex Antiveninausgebildet.

Klinik

Alle Nesseltiere verursachen lokale Haut-erscheinungen mit Rötung, u.U. uner-trägliche Schmerzen, Schwellung, Ne-krosen- und Narbenbildung. Hautver-färbungen können über lange Zeit undauch permanent bestehen bleiben.Nesseltiere mit harter Gerüstsubstanz

Prävention

● Die Gifte sind hitzestabil, d.h. Kochenund Braten entgiften nicht

● Der Geschmack warnt nicht zuver-lässig

● Nur Fische essen, die vom Fang biszum Verzehr konstant gekühlt wurden

● Riff-Fische verursachen Ciguatera-Vergiftungen. Es ist nicht erkennbar,ob ein Riff-Fisch die dafür verantwort-lichen Gifte enthält oder nicht.

Aktiv giftige Tiere im Meer:Nesseltiere und Stachel-bewehrte Fische [1, 2]

Nesseltiere

Quallen, Seeanemonen, Korallen undihre Verwandten jagen und verteidigensich mit Hilfe von Gift beladenen Kap-seln (Nematozysten). Diese sind mit ei-ner Harpune ausgestattet. Wird das Sin-neshaar einer Nematozyste berührt,platzt diese auf, und die Harpune dringtin die Haut. So gelangt das Gift unzähli-ger Nematozysten in das Gewebe.

Zu bestimmten Jahreszeiten kannman bereits am Mittelmeer an manchenTagen die Badegäste unter benachbartenSonnenschirmen gar nicht so schnellwarnen, wie diese ins Wasser springenund nach kurzer Zeit mit brennendenSchmerzen genesselter Hautareale wie-der heraus kommen. Dies wird meistdurch Quallen mit dem wohlklingendenNamen Pelagia noctiluca hervorgerufen(Abb. 3a und b). Deren Gifte haben je-

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Abb. 2 m Passiv giftige Tiere sind giftig, wenn sie verspeist werden. a Barracuda, ein Räuber im Riff.Da er am Ende der Nahrungskette in diesem Ökosystem steht, ist sein Gewebe besonders Ciguatoxin-haltig. Baracudas können jedoch auch „aktiv“ gefährlich werden; sie fügen schwere Bissverletzungen zu [Foto: Junghanss], b Fischmarkt in Adelaide (Australien). Rifffische sind sehr gute Speisefische [Foto: Bodio]

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(steinbildende Korallen) bewirken zu-dem mechanische Verletzungen.

Einige Quallenarten verursachenschwere systemische Vergiftungen. Es han-delt sich dabei sehr wahrscheinlich umneuro- und kardiotoxische Giftwirkun-gen. Derartige Quallenarten kommen imIndopazifik und in der Karibik vor.

Eine Besonderheit stellt die soge-nannte „seabather’s eruption“ dar, dieseit einigen Jahren vor allem aus Floridaberichtet wird, und die auch wir beiTouristen, die aus diesen Regionen zu-rückkehren, sehen können. Diese Haut-erscheinung wird von Linuche unguicu-lata, den sogenannten „sea lice“, her-vorgerufen und findet sich vor allem anexponierten Hautarealen, im Brustbe-reich (Brustschwimmen) oder unter Ba-dekleidern (verlängerte Kontaktzeit undenger Hautkontakt).

Sensibilisierung gegenüber Nessel-tiertoxinen findet statt und kann beiReexposition zu Hypersensitivitätsreak-tionen vom Typ I führen. AllergischeReaktionen vom verzögerten Typ kom-men vor und sind eine differentialdia-gnostische Falle.

Erste Hilfe

Es gibt kein universell wirksames Mittelzur Inaktivierung von Nesselkapseln.Haushaltsessig wurde zur Inaktivierungder Nesselkapseln von Würfelquallenidentifiziert, versagt jedoch bei der pazi-fischen Form der portugiesischen Galee-re und aktiviert gar die Nematozystender atlantischen Form. Es ist nicht über-raschend, daß Alkohol und Süßwasser

gut in der Suppe (Bouillabaisse1), sindjedoch äusserst schmerzhaft, wenn siemit den Stacheln ihrer Rückenflossenund Kiemendeckel stechen.

Klinik

Alle Stichverletzungen sind extremschmerzhaft. Die Weichteilverletzun-gen haben 2 Komponenten, eine me-chanische durch den harten, unter Um-ständen sehr großen Stachel (Stechro-chen), und eine lokal toxische durchdas entlang dem Stichkanal applizierteGift. Die meisten Verletzungen sindoberflächlich, tief penetrierende Verlet-zungen mit Schädigung von Nerven,Gelenken und inneren Organen sind je-doch gut dokumentiert. SystemischeGifteffekte werden von Stein- und Feu-erfischen berichtet.

Erste Hilfe

Verletzte müssen so schnell als möglichan Land gebracht werden. Alleine dervernichtende lokale Schmerz kann Pa-nikreaktionen auslösen, die Ertrinkenzur Folge haben können. Die Debatteum den Wert der Heißwassermethodehält an. Da die Toxine hitzelabil sind, hatdiese Methode für dicht unter der Haut-

aus osmotischen Gründen die Nessel-kapselentladung fördern. Whiskey hatseinen Platz auf der Liste der Antidotewahrscheinlich lediglich auf Grund derTatsache erobert, daß er in einigen Re-gionen der Welt häufig in Kühltaschenan Badestränden zu finden ist.

Therapie

Die Therapie der Hautläsionen bestehtaus Schmerzbehandlung und Wundpfle-ge.Tetanusschutz muß gewährleistet sein.Die Schmerzbehandlung ist nicht einfach.In Australien wurden gute Erfolge mitflexiblen Kühlelementen erzielt. Systemi-sche Gifteffekte bei den lebensgefährli-chen Quallenkontakten erfordern u.U.Reanimation und intensivmedizinischeBehandlung. Für Chironex Vergiftungensteht ein Antivenin zur Verfügung.

Mit Stacheln bewehrte Fische

Es gibt eine Vielzahl von Fischarten, diezur Verteidigung Stacheln einsetzen, diemit Giftdrüsen ausgestattet sind. DieStacheln befinden sich zumeist in derRückenflosse, aber auch in Brust- undAnalflossen (vor allem Skorpionfische,Feuer- und Steinfische). Stechrochenhaben einen sägeartigen, bei manchenArten bis über 30 cm langen Dornsta-chel am Schwanz. Beim Auftreten aufdie schlecht sichtbaren Grundbewohnerdes Flachwassers wird der Schwanzpeitschenartig eingesetzt. Die Weberfi-sche oder Petermännchen (Trachinussp.) der Küstenregionen des Mittel-meeres und Nordatlantiks schmecken

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Abb. 3 m Nesselungen durch Quallen sind sehr häufig Badeunfälle. a Die Qualle Pelagia noctiluca imMittelmeer nesselt mit den Tentakeln, aber auch der Glocke [Foto: Junghanss],b Nesselung durch Pelagia noctiluca unmittelbar nach Kontakt [Foto: Gonon-Junghanss]

1 Bouillabaisse (provenzalische Fisch-suppe): 1 kg kleine Fische (Petermänn-chen, vorsicht Stacheln, stechen auchnoch in der Küche; meist kommen siejedoch ohne die erste Rückenflosse aufden Markt), 100 g Zwiebeln, 2 EL Oliven-öl, 250 g Tomaten, 1 Knoblauchzehe,1 mittelgrosse Kartoffel, 1/2 Fenchelknolle,2 Stengel Petersilie, 2 Zweige Thymian,Salz, frischgemahlener Pfeffer (Bürginu. Mitarb. (1998) Seafood. TeubnerEdition, S. 236)

Page 5: Gefahren durch Gifttiere und tierische Gifte

oberfläche deponierte Gifte mit großerWahrscheinlichkeit etwas für sich. Esmuß jedoch immer mit einer gesundenExtremität die Temperatur kontrolliertwerden, da eine Verbrühungsgefahr mitder betroffenen Extremität eventuellnicht wahrgenommen wird.

Therapie

In den meisten Fällen genügt dieSchmerzbekämpfung und die lokaleWundversorgung einschliesslich Teta-nusprophylaxe. Sofern erforderlich, istdie regionale Nervenblockade mit einemLokalanästhetikum (ohne Adrenalinzu-satz!) ideal. Wird eine tiefe Verletzungoder in der Wunde verbliebenes Stachel-material vermutet,kann die chirurgischeExploration erforderlich sein. Wundin-fektionen kommen häufig vor. Ein Anti-venin ist für Steinfischvergiftungen er-hältlich und ist auf jedenfall hinsicht-lich der Schmerzen wirksam.

Seeschlangen

Unfälle bei Badenden sind ausserordent-lich selten [1,3].Kinder sollte man daraufhinweisen, daß sie am Strand angespülteTiere nicht anfassen sollen. Ein derarti-ger Unfall mit beinahe tödlichem Aus-gang ist aus Australien beschrieben.

Prävention aktiver Vergiftungen im Wasser (Quallen,Fische, Seeschlangen)

● Schuhe mit fester Sohle und Taucher-anzüge schützen vor Verletzungen. FürMeere, in denen giftige Quallen vor-kommen, eignen sich sogenannte„stinger suits“, wie sie in Australienerhältlich sind.

Kompressionsverband zur Verzögerungdes systemischen Gifteintritts.

Therapie

Die lokalen Schmerzen lassen sich sehrgut mit lokaler oder regionaler Anäs-thesie kontrollieren. Wundversorgungund Tetanusprophylaxe sind obligat.Die Kontroverse zwischen den Verfech-tern einer ausschliesslich medikamen-tösen Kontrolle des überstimuliertenautonomen Nervensystems (sehr er-folgreiche Behandlungsschemata wur-den in den letzten Jahren in Israel undIndien ausgearbeitet) und denjenigen,die den Einsatz von Antiveninen favori-sieren, ist weiter ungelöst.

Spinnen

Die allermeisten der ca. 30 000 Spin-nenarten haben mit Giftdrüsen verse-hene Mundklauen [1]. Diese dienen vorallem dem Beutefang,aber auch der Ver-teidigung. Bis auf wenige Arten sind dieKlauen jedoch zu klein oder die Giftezu schwach, um Vergiftungen beimMenschen hervorzurufen. Die soge-nannten Brown Spiders, (Loxosceles sp.)sind Kosmopoliten in warmen und tro-pischen Regionen. Sie und verschiede-ne andere Spinnenarten verursachenden sogenannten „nekrotischen Arach-noidismus“. Vogelspinnen sind in derRegel nicht sehr beißfreudig. SchwarzeWitwen (Latrodectus sp.) sind ebenfallsKosmopoliten, anzutreffen zwischendem 50. nördlichen und dem 45. südli-chen Breitengrad. Kammspinnen oderBananenspinnen (Phoneutria sp.) lebenim tropischen und subtropischen Süd-amerika oder kommen mitunter in Ba-nanenladungen in andere Teile derWelt. Trichterspinnen (Atrax sp. undHadronyche sp.) beschränken sich aufSüdostaustralien. Die letztgenanntenArten verursachen systemische Vergif-tungen.

Klinik

Schmerzen an der Bißstelle treten nichtregelmäßig auf. Unproblematische Lo-kalerscheinungen sind Erythem undSchwellung. Insbesondere Loxoscelesverursacht jedoch hartnäckige nekroti-sierende Prozesse im Bereich des Bis-ses. Vogelspinnen können zur Verteidi-gung Brennhaare des Hinterleibes ab-

● Beim Baden und Tauchen besserSchwimmen als Waten. Eine Taucher-brille schafft klare Sicht.

● In trübem Wasser und bei stürmi-schem Wetter nicht schwimmen odertauchen.

● Keine giftigen oder unbekanntenTiere anfassen [1, 2, 3].

Skorpione

Skorpione kommen, mit Ausnahme derAntarktis, auf allen Kontinenten vor. Sieverursachen schmerzhafte Stiche [1]. Ineinigen Regionen der Welt leben Skorpi-onarten, deren Stiche zu lebensgefährli-chen systemischen Vergiftungen führenkönnen: im südwestlichen USA undMexiko, in Brasilien und Trinidad, inNordafrika und im Nahen und Mittle-ren Osten, im südlichen Afrika und aufdem indischen Subkontinent. Reisendesind nur gefährdet, wenn sie unter ein-fachsten Bedingungen mit Rucksackund Schlafsack reisen oder bei Wüsten-durchquerungen unvorsichtig sind.

Klinik

Lokal treten Schmerzen, Eythem undSchwellung auf. Systemische Effekte be-ruhen auf der Toxin-induzierten Frei-setzung von endogenem Azetylcholinund Katecholaminen. Eine cholinergeVergiftungsphase (Erbrechen, Schwitzen,Hypersalivation, Priapismus, Bradykar-die, arterielle Hypotension) geht meistder adrenergen (Tachykardie, arterielleHypertension, Herzversagen) voraus.

Erste Hilfe

Es gibt keine formale Evaluation derWirksamkeit von Ruhigstellung bzw.

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Abb. 4 b„Coastguard“ und “Quallennetz” in Townsville, Queensland(Australien) [Foto: Junghanss]

Page 6: Gefahren durch Gifttiere und tierische Gifte

streifen, die zu Haut- und vor allemBindehautirritationen führen. Systemi-sche Vergiftungen werden von der be-rühmt-berüchtigten Schwarzen Witwe(Latrodectus sp.), Phoneutria-, Atrax-and Hadronyche-Arten verursacht. Dieklinische Symptomatik ist vergleichbarder der Skorpionvergiftung, da es auchhier zur Freisetzung von Azetylcholinund Katecholaminen kommt. Muskel-spasmen sind bei Latrodectus-Vergif-tungen ein das Leiden des Patienten be-herrschendes Problem.

Erste Hilfe

Wie bei den Skorpionstichen liegen kei-ne gut evaluierten Methoden vor, mitAusnahme der Anwendung des Kom-pressionsverbandes bei Atrax-Bissen inAustralien.

Therapie

In den meisten Fällen reichen Wundbe-handlung und Tetanusprophylaxe be-züglich der lokalen Verletzung aus. DieBehandlung des sogenannten nekroti-schen Arachnoidismus ist nach wie vorsehr umstritten, wahrscheinlich genügtjedoch die alleinige sorgfältige Wund-behandlung. Systemische Vergiftungensprechen nach Erfahrungen in Austra-lien und Südafrika sehr gut auf eineAntiveninbehandlung an. Dies gilt ins-besondere für die Schmerzstillung derSchwarze-Witwe-Vergiftungen.

Prävention (Skorpione und Spinnen)

● Kleider und Schuhe nicht am Bodendeponieren. Vor dem Anziehen Klei-der kontrollieren und Schuhe aus-klopfen.

● Sauberkeit im und um das Haus ver-mindert die Ungezieferdichte, die wie-derum Spinnen und Skorpionen alsNahrung dienen.

● Ritzen und Löcher sind Wohnnischenfür Skorpione und müssen verschlos-sen werden. Glattes Verputzen vonWänden und Böden ist empfehlens-wert.

● Ein Saum glatter, senkrecht ans Hausgemauerter Kacheln, sowie Abdichtenvon Türen und Fenstern, verhinderndas Eindringen von Skorpionen insHaus.

unter auch den Menschen. Das Gift istSchlangen wert und teuer und ist in er-ster Linie für den Beuteerwerb reser-viert. Verteidigungsbisse sind daherhäufig „leere“ Bisse, bei denen kein Giftabgegeben wird. Man kann in über 50%aller Bisse giftiger Schlangenarten da-mit rechnen, daß nichts oder nur wenigpassiert. Dies erklärt, warum selbst beiBissen sehr giftiger Schlangen Patien-ten unbeschädigt davonkommen. Es istdamit auch plausibel, warum die zahl-reichen, zumeist völlig unwirksamen,wenn nicht gar schädlichen Erste-Hilfe-Maßnahmen so erfolgreich sind (Stau-ungsverbände, insbes. arterielle Unter-bindungen, Wundinzisionen, Kryothe-rapie, lokal applizierte Elektroschocksetc.). Zudem erklärt sich daraus dieSchwierigkeit der Indikationsstellungzur Antiveningabe, die bei diesen Gege-benheiten natürlich nicht auf der blos-sen Tatsache einer sichtbaren Bissmarkeberuhen kann, sondern auf der sorgfäl-tigen Beobachtung von Frühzeichendrohender systemischer Vergiftung.

Trugnattern haben ihre Giftzähneim hinteren Gaumen und sind damitäußerst ineffiziente Beißer. Vipern ha-ben dagegen wie die Elapiden und Cro-taliden ihre Giftzahnpaare ganz vorneim Oberkiefer. Die Zähne der Vipernund Grubenottern sind zudem ausge-sprochen lang.

Klinik

Die klinischen Zeichen der Vergiftungendurch die verschiedenen Giftschlangen-arten sind sehr vielfältig. Dennoch las-sen sich „typische“ Vergiftungsmusterauf Art, Unterart und z.T. sogar auf derEbene geographischer Varianten be-schreiben. Lokale Zeichen bestehen ausSchmerz, Rötung, Schwellung und Ne-krose. Bei Schlangenarten, die gleichzei-tig systemische Vergiftungen hervorru-fen, sind die Lokalerscheinungen einHinweis, daß u.U. mit einer Generalisie-rung der Vergiftungserscheinungen zurechnen ist. Es gibt jedoch auch Arten,bei denen systemische Vergiftungenohne jegliche Lokalerscheinungen ab-laufen. Systemisch treten autopharma-kologische (Freisetzung von Autakoiden,z.B. Histamin, Bradykinin), hämostati-sche, neurologische (am gefürchtetstenist die Lähmung der Atemmuskulatur),muskuläre (Rhabdomyolyse), kardialeund renale Effekte auf.

Bienen, Wespen und andere Hymenopteren

Insektengiftallergien fallen nicht in dasGebiet der Vergiftungen. Toxische Effek-te im engeren Sinne werden durch dieVertreter dieser Gruppe in nur ca. 5%der Fälle verursacht. Die medizinischmit Abstand wichtigsten Hymenopte-ren sind Bienen und Wespen. Sie sindweit verbreitet, von kalten bis tropischenKlimazonen [1, 4].

Tödliche Vergiftungen durch Bie-nen- und Wespengifte erfordern Tausen-de von Stichen. Die dadurch verursach-ten ausgedehnten Schwellungen führenzur Hypovolämie und zum hypovolämi-schen Schock. Hämolyse, neurologischeStörungen, Myolyse und Nierenversagensind weitere toxische Gifteffekte.

Ob reiselustig oder nicht, Personen,die gegen Bienen und Wespen allergischsind, sollten fachärztlich abgeklärt undberaten werden.

Terrestrische Giftschlangen

Die echten Giftschlangen umfassenknapp 500 Arten. Allerdings besitzenviele der als ungiftig ausgeschlossenenNattern ebenfalls toxische Bestandteilein den Drüsen (sogenannte Trugnat-tern) [1, 2, 3]. Folgende Gruppen lassensich unterscheiden:

● Colubriden (Nattern)● Elapiden (Giftnattern): hierzu zählen

z.B. die Kobras (Afrika und Asien)und Mambas (Sub-Sahara Afrika) undauch die Korallenottern Amerikas.

● Viperiden: Vertreter sind unsere ein-heimische Kreuzotter, die in landwirt-schaftlich genutzten Trockengebietenvon Westafrika bis Indien und SriLanka sehr gefürchtete Sandrasselot-ter (Echis sp.) und die in Reisanbauge-bieten Indiens und Südostasiens häu-fige Kettenviper (Daboia russelli spp.).

● Crotaliden (Grubenottern): den mei-sten bekannt sind die nordamerika-nischen Klapperschlangen. Es zählenjedoch auch sehr gefährliche süd-und mittelamerikanische Vertreter da-zu und die malaysische Grubenotter,die in den Gummibaumplantagen Süd-ostasiens grosse Probleme bereitet.

Beutebisse gelten den Tieren, dieSchlangen als ihre Nahrung erkennen,Verteidigungsbisse allen anderen, dar-

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Übersicht

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Page 7: Gefahren durch Gifttiere und tierische Gifte

Erste Hilfe

Es gibt keine universell einsetzbare Me-thode.Die meisten der propagierten Mit-tel sind unwirksam oder gar schädlich.Wichtig ist die Ausschaltung der Muskel-pumpe, die wesentlich am Eintritt derGifte in die systemische Zirkulation be-teiligt ist. Dies kann durch Ruhigstel-lung der betroffenen Extremität unddurch den Transport des Patienten er-reicht werden. Fixierung des Giftes ander Bißstelle wäre ideal, wenn diesenicht in vielen Fällen mit Zirkulations-störungen und verstärkter lokal zytoto-xischer Giftwirkung erkauft werdenmüsste. Empfehlungen müssen regional,entsprechend dem Spektrum der Mög-lichkeiten, gegeben werden (für regio-nale Empfehlungen siehe [1, 2, 3]).

Therapie

Die Behandlung beruht auf 2 Pfeilern:

● Symptomatische Therapie zur Wieder-herstellung und Aufrechterhaltung vi-taler Organfunktionen,

● spezifische Behandlung mit Antive-nin zur Neutralisation von Toxinen.

Dazu kommen Tetanusprophylaxe undWundbehandlung, die sich bei lokal zy-totoxischen Giften sehr schwierig undlangwierig gestalten und auch Amputa-tionen erforderlich machen kann.

Die Identifikation des Verursa-chers, meist mit Hilfe indirekter Krite-rien, da Schlangen in aller Regel uner-kannt entkommen, ist ein schwierigerSchritt in der Patientenversorgung. Erist entscheidend für die Auswahl desAntivenins, vor allem wenn nur mono-spezifische Antivenine zur Verfügungstehen. Die zweite Hürde stellt die Indi-kationsstellung zur Antiveningabe dar.Wegen der hohen Nebenwirkungsratevieler Antivenine muß diese gut be-gründet sein.Auf der anderen Seite darfdie Nebenwirkungsproblematik jedochnicht Anlaß sein, im begründeten FallAntivenin vorzuenthalten. Wichtig zuwissen ist, daß der Eintritt systemi-scher Vergiftungserscheinungen mitgroßer Verzögerung eintreten kann. Ei-ne Beobachtungszeit von 24 bis 48Stunden wird dringend empfohlen.

In Europa sind wir seit einigen Jah-ren in der glücklichen Lage, zur Be-handlung von europäischen Vipernbis-

Schlangen, Skorpione, Spinnen, Nessel-tiere (nur Chironex fleckeri/Chiropsal-mus quadrigatus), aktiv giftige Fische(Steinfisch) und Zecken (Ixodes holo-cyclus) (siehe Antiveninlisten in [1, 2]).

In der reisemedizinischen Bera-tung wird oft die Frage gestellt, ob Anti-venine mitgenommen werden sollen. Inder Regel ist die Antwort ein klares„nein“, da die Entscheidung, Antiveninzu verabreichen, die erforderliche in-travenöse Applikation und die Beherr-schung schwerer Nebenwirkungen vonLaien überhaupt nicht und selbst vonÄrzten unter Expeditionsbedingungennur schwer geleistet werden können.

Fazit für die Praxis

Zu den passiv giftigen Tieren, deren Giftdurch die Nahrung aufgenommen wird,zählen in erster Linie Muscheln und Fische.Die Gifte stammen häufig von Dinoflagel-laten und Bakterien, die über die Nahrungs-kette angereichert werden. Klinisch domi-nierende Symptome können Erbrechen,Diarrhoe, Gefühlstörungen, Paralyse, Herz-rhythmusstörungen und Hypotension sein.Von besonderer Bedeutung sind Muschel-,Ciguatera- und Scombroid-(Histamin) Ver-giftungen.

Die symptomatische Behandlungsteht im Vordergrund: Aktivkohle, Laxantien,Flüssigkeitsersatz, Kreislaufstützung, beiCiguatera Vergiftungen Mannitol und beiScombroid-Vergiftung H1-kombiniert mitH2-Rezeptorenblockern als Antagonisten.

Bei Vergiftungen durch aktiv giftigeTiere stehen quantitativ Nesseltiere (Qual-len, Seeanemonen, Korallen, Federpoly-pen) ganz im Vordergrund, deren Gifte zuschweren, z.T. nekrotischen und äußerstschmerzhaften Hautverletzungen führenkönnen, bei einigen Quallenarten imExtremfall sogar mit Todesfolge. BeiTouristen selten, aber u.U. sehr gefährlichsind Stiche durch Skorpione oder Bissevon Giftspinnen.

Am wichtigsten sind Präventivmaß-nahmen, z.B. auch der Verzicht zu baden,geeignete Schutzkleidung und, am wich-tigsten für den modernen Stadtmenschenaus gemäßigten Klimazonen, ein wacherSinn für natürliche Gefahren. Eine Füllevon symptomatischen lokalen und allge-meinen Maßnahmen sind zur Therapie imEinzelfall erforderlich. Jede Verletzung istauch im Hinblick auf Sekundärinfektionenmit großer Sorgfalt zu versorgen.

sen, also auch Kreuzotternbissen, einAntivenin der Qualität der therapeuti-schen Antikörper zur Behandlung vonDigitalisintoxikationen zur Verfügungzu haben [6].Antivenine dieser Qualitätwären ein Segen für Entwicklungslän-der.

Prävention

● Fernhalten von Schlangen aus demWohnbereich: Keine Abfälle undNahrungsreste herumliegen lassen.Diese ziehen Nager an, Beutetiereder Schlangen.

● Schauen, wo man hingreift.● Beim Gehen fest auftreten; Schlangen

sind sehr vibrationsempfindlich.● Lange Hosen und feste, hohe Schuhe

bieten sehr guten Schutz.● Wo ein Weg ist, soll dieser benutzt

werden.● Vorsicht beim Hochheben von Steinen

und Holz, oder beim Klettern in Bäu-men: Schlangen immer einen Flucht-weg offen halten.

● Bei Nacht keinen Schritt ohne Ta-schenlampe gehen.

● Keine Schlangen,auch nicht vermeint-lich tote, anfassen.

● Moskitonetze schützen auch vorSchlangen.

Antivenine

Antivenine sind spezifische Therapeu-tika, die bestimmte Komponenten tieri-scher Gifte neutralisieren [1, 2, 3]. Sie be-stehen aus Antikörpern,die durch Immu-nisierung von Tieren, meist Pferden undSchafen, gewonnen werden. Antivenineunterscheiden sich stark in ihrer Wirk-samkeit und ihrer Nebenwirkungsratein Abhängigkeit vom Herstellungsver-fahren. Vortestung (intradermal, kon-junktival) hat bis auf seltene Fälle vor-bestehender Sensibilisierung, z.B. ge-genüber Pferdeserum, keinen Vorhersa-gewert für Antiveninreaktionen [5]. Esgibt monospezifische und polyspezifi-sche Antivenine. Monospezifische Anti-venine sind gegen das Gift einer Artoder Unterart hergestellt, polyspezifi-sche gegen Gifte verschiedener Gifttier-arten. Bei jedem Gifttierunfall muß dieFrage geklärt werden, ob ein geeigneteswirksames Antivenin zur Verfügungsteht, und ob der Einsatz indiziert ist.

Antivenine sind verfügbar zur Be-handlung von Vergiftungen durch

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Page 8: Gefahren durch Gifttiere und tierische Gifte

Die spezifische Behandlung mitAntiveninen setzt die notwendigenKenntnisse für die Indikationsstellung unddie Fähigkeit zur intravenösen Applikationund Behandlung von Nebenwirkungenvoraus. Somit hat das Mitführen vonAntiveninen im reisemedizinischenKontext wenig Sinn.

Literatur1. Junghanss T, Bodio M (1996)

Notfallhandbuch Gifttiere. Diagnose –Therapie – Biologie. Thieme Verlag Stuttgart

2. Meier J,White J (Hrsg) (1995) Handbook ofclinical toxicology of animal venoms andpoisons. CRC Press, Boca Raton

3. Warrell DA (1996) Injuries, envenoming,poisoning, and allergic reactions causedby animals. In:Weatherall DJ, Ledingham JGG,

Warrell DA (Hrsg): Oxford Textbook of

Medicine. Oxford University Press, Oxford.

3.Aufl. Bd. 1.:1124–1151

4. Mueller UR (1990) Insect sting allergy:Clinical picture, diagnosis and treatment.Georg Fischer Verlag, Stuttgart

5. Malasit P,Warrell DA, Chanthavanich P,

Viravan C, Mongkolsapaya J, Singhthong B

(1986) Prediction, prevention, and mechanism of early (anaphylactic) antivenom reactions in victims of snakebites. BMJ 292:17–20

6. Radovanovic D, Meier-Abt PJ, Junghanss T,

Pletscher W (1996) Antivenintherapie beiBissen und Vergiftungen durch einheimische Giftschlangen.Schweiz Ärztezeitung 77:1303–1306

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Förderpreis derSaarländisch-PfälzischenInternisten-Gesellschaft

Zur Förderung des wissenschaftlichenNachwuchses wird der „Förderpreisder Saarländisch-Pfälzischen Internisten-Gesellschaft“ in Höhe von 5000 DMausgeschrieben.

Um diesen Preis, der alljährlich im Frühjahr

anläßlich des Jahreskongresses der Saarländisch-

Pfälzischen Internisten-Gesellschaft verliehen

wird, können sich Ärzte bis zum 32. Lebensjahr

mit Arbeiten bewerben, die ein wissenschaftli-

ches Thema aus dem Gebiet der Inneren Medizin

behandeln.

Die Arbeiten dürfen zum Zeitpunkt der

Einreichung noch nicht zur Veröffentlichung ak-

zeptiert, von anderer Seite mit einem Preis aus-

gezeichnet oder zu einem anderen Preiswett-

bewerb eingereicht worden sein. Sie sind in

vierfacher Ausfertigung anonym und mit

einem Kennwort versehen, jeweils bis zum

1.12.1999 (Datum des Poststempels) beim

Schriftführer der Gesellschaft, Dr. med.

D. Wördehoff, Leitender Arzt der Inneren Abtei-

lung,Krankenhaus St.Michael,66333 Völklingen,

einzureichen.Für in englischer Sprache verfaßte

Arbeiten sind ein deutscher Untertitel und eine

deutsche Zusammenfassung erforderlich.

In einem verschlossenen Kuvert mit glei-

chem Kenntwort sind Name, Klinik und Adresse

des Autors bzw. der Autoren beizufügen.

Saarländisch-Pfälzische

Internisten-Gesellschaft e.V.

Der Vorstand

Fachnachrichten

Albert-Knoll-Preis derSaarländisch-PfälzischenInternisten Gesellschaft

Für hervorragende Arbeiten auf demGebiet der Inneren Medizin hat dieFirma Knoll AG in Ludwigshafen denAlbert-Knoll-Preis „der Saarländisch-Pfälzischen Internistengesellschaft“gestiftet, der mit DM 10 000 dotiert ist.

Um diesen Preis, der alljährlich im Frühjahr

anläßlich des Jahreskongresses der Saarländisch-

Pfälzischen Internisten-Gesellschaft verliehen

wird, können sich Ärzte bis zum 40. Lebensjahr

mit Arbeiten bewerben, die ein wissenschaftli-

ches Thema aus dem Gebiet der Inneren Medizin

behandeln.

Die Arbeiten dürfen zum Zeitpunkt der

Einreichung noch nicht zur Veröffentlichung ak-

zeptiert, von anderer Seite mit einem Preis aus-

gezeichnet oder zu einem anderen Preiswett-

bewerb eingereicht worden sein. Sie sind in

vierfacher Ausfertigung anonym und mit

einem Kennwort versehen, jeweils bis zum

1.12.1999 (Datum des Poststempels) beim

Schriftführer der Gesellschaft, Dr. med.

D.Wördehoff),Leitender Arzt der Inneren Abtei-

lung,Krankenhaus St.Michael,66333 Völklingen,

einzureichen.Für in englischer Sprache verfaßte

Arbeiten sind ein deutscher Untertitel und eine

deutsche Zusammenfassung erforderlich.

In einem verschlossenen Kuvert mit glei-

chem Kennwort sind Name, Klinik und Adresse

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Saarländisch-Pfälzische

Internisten-Gesellschaft e.V.

Der Vorstand