Genetik des Retinoblastoms

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Habilitationsschrift von Dr. med. Dietmar Lohmann aus EssenEssen, 1998

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INHALTSVERZEICHNIS1. 2. EINLEITUNG UND BERSICHT ........................................................................... 1 EPIDEMIOLOGIE, PAHTOLOGISCHE ANATOMIE UND K LINIK DES RETINOBLASTOMS .................................................................. 3 GENETIK DES RETINOBLASTOMS ....................................................................... 8 EIGENE ARBEITEN 4.1 Entwicklung von Methoden zur effizienten Identifikation von Mutationen im RB1-Gen .................................. 14 a) Fragmentlngenanalyse von Fluoreszenz-markierten MultiplexPCR Produkten (Multiplex-Fragmentlngenanalyse) ............. 14 b) Heteroduplexanalyse.................................................................. 17 c) Einzelstrangkonformationsanalyse (SSCP-Analyse) ............... 19 4.2 Mutationsanalyse bei Patienten mit isoliert beidseitigem und familirem Retinoblastom .................................. 23 a) Ergebnisse der Mutationssuche ................................................ 23 b) Verteilung der Mutationen ......................................................... 33 c) Genotyp-Phnotyp Korrelationen ............................................. 39 4.3 Mutationsanalyse bei Patienten mit isoliert einseitigem Retinoblastom ............................................................... 47 a) Mutationsanalyse in Retinoblastomen ...................................... 48 b) Untersuchung konstitutioneller DNA ....................................... 54 c) Genotyp-Phnotyp Beziehungen ............................................... 58 4.4 Prdiktive Diagnostik bei Angehrigen von Patienten mit Retinoblastom ............................................................................ 62 ZUSAMMENFASSUNG ...................................................................................... 68 LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................. 72 ANHANG 7.1 Abkrzungen ..................................................................................... 82 Genetisches Alphabet und Ein-Buchstabencode ............................ 82 Verwendete Abkrzungen ................................................................. 82 Nomenklatur der Mutationen ........................................................... 83 7.2 Methoden .......................................................................................... 84 7.2.1 Sequenzen der verwendeten PCR-Primer ............................. 84 i

3. 4.

5. 6. 7.

7.2.2 Multiplex-Fragmentlngenanalyse ........................................ 84 7.2.3 Heteroduplexanalyse............................................................... 84 7.2.4 SSCP ........................................................................................ 86 7.2.5 Sequenzierung ......................................................................... 86 7.2.6 Genotypisierung von STR-Loci .............................................. 86 7.2.7 Southern Blot Hybridisierung ................................................ 87 7.2.8 RT-PCR und Klonierung von PCR-Produkten ...................... 87 8. DANKSAGUNGEN ............................................................................................ 89

ii

1.

EINLEITUNG UND BERSICHT

Die Untersuchung von Tumorerkrankungen des Kindesalters hat die Aufklrung der Rolle genetischer Faktoren bei der Tumorentstehung wesentlich stimuliert. Das Retinoblastom, ein embryonaler Tumor der Netzhaut, ist der Prototyp eines soliden bsartigen Tumors des Kindesalters. Schon frh wurde berichtet, da es Familien mit mehreren Erkrankten gibt. Nach der Verbesserung der Therapie wurde auch vertikale Transmission beobachtet und daher ein dominanter Erbgang vermutet. KNUDSON entwickelte 1971 am Beispiel des Retinoblastoms eine Hypothese, wonach die Entstehung dieses Tumors durch zwei Mutationsereignisse ausgelst wird. Molekulargenetische Untersuchungen zeigten, da beide Mutationen nacheinander die beiden Allele eines Gens (Retinoblastomgen, RB1) treffen (Cavenee et al. 1983). Bei der dominant erblichen Form, die berwiegend zu Tumorbildung in beiden Augen fhrt, wird die Disposition zu Retinoblastom durch eine Keimzellmutation in einem Allel dieses Gens hervorgerufen. Die Tumorentstehung wird durch Verlust oder lokale Mutationen des zweiten Allels ausgelst. Bei der nicht-erblichen Form treten sowohl die erste wie auch die zweite Mutation in einer somatischen Zelle auf und die Patienten sind nur einseitig erkrankt. Nach der Identifikation des RB1-Gens durch FRIEND et al. (1986) wurde dieses Zwei-Schritt Modell durch Mutationsanalysen in DNA aus peripherem Blut von Patienten mit erblichem Retinoblastom und in Tumoren besttigt (Horsthemke et al. 1987; Lee et al. 1987; Fung et al. 1987; Dunn et al. 1989; Yandell et al. 1989). Der komplexe Aufbau des RB1-Gens 27 Exons mit ber 2,7kb codierender Sequenz und die Heterogenitt der Mutationen erschweren jedoch die Mutationssuche. Daher konnte bei der Mehrzahl der Patienten die urschliche Mutation nicht gefunden werden (Hogg et al. 1992; Kloss et al. 1991; Blanquet et al. 1991). Die hier vorgestellten Arbeiten hatten zum Ziel, durch eine umfassende Mutationsanalyse bei Patienten mit erblichem und nicht-erblichem Retinoblastom weitergehende Einblicke in die molekulare Genetik dieser Erkrankung zu gewinnen. Darber hinaus sollten die so gewonnenen Erkenntnisse fr die Verbesserung der Diagnose und Vorsorge bei Patienten mit Retinoblastom und ihren Angehrigen nutzbar gemacht werden. Zunchst war es erforderlich, Methoden zur effizienten Identifikation von Mutationen im RB1-Gen zu entwicklen (Abschnitt 4.1). Diese Verfahren wurden eingesetzt, um in DNA aus peripherem Blut von Patienten mit isoliert beidseitigem und familirem Retinoblastom die fr die Tumordisposition verantwortlichen Vernderungen im RB1-Gen zu identifizieren (siehe Abschnitt 4.2). Das Spektrum der Mutationen konnte bestimmt und mgliche Mechanismen der Mutationsentstehung ermittelt werden. Desweiteren konnte die Beziehung zwischen der funktionellen Konsequenz der Mutation 1

und der Manifestation der Erkrankung bestimmt werden (Genotyp-Phnotyp Korrelation). Die Mehrzahl der isoliert einseitig an Retinoblastom erkrankten Patienten haben die nicht-erbliche Form des Retinoblastoms. Einige knnen jedoch die Disposition zu Retinoblastom vererben. Um Patienten mit der erblichen Form des Retinoblastoms zu identifizieren, wurde eine Mutationsanalyse in DNA aus Retinoblastomen und Blut von Patienten mit isoliert einseitiger Erkrankung durchgefhrt (siehe Abschnitt 4.3). Bei einem unerwartet hohen Anteil der Patienten waren RB1-Gen Mutationen auch in Blut-DNA nachweisbar. Desweiteren stellten die Ergebnisse die Bedeutung von genetischen Mosaiksituationen bei diesen Patienten heraus. Dies hat ber die Konsequenzen fr die genetische Beratung hinaus auch wesentliche Bedeutung fr die weitere Vorsorge bei diesen Patienten. Fr die bulbuserhaltende Behandlung des Retinoblastoms ist eine mglichst frhe Diagnose wesentlich. Bei allen von einem erhhten Risiko betroffenen Angehrigen sind daher ophthalmologische Vorsorgeuntersuchungen erforderlich. Durch molekulargenetische Untersuchungen kann in vielen Fllen eine genaue prdiktive Diagnose gestellt werden. In Abschnitt 4.4 werden die Vorgehensweisen der indirekten und direkten Diagnostik erlutert und an Beispielen die Mglichkeiten und Grenzen dargestellt. Abschlieend sind die bislang erzielten Ergebnisse der prdiktiven Diagnostik zusammengefassend diskutiert. Viele der hier vorgestellten Ergebnisse wurden bereits in Fachzeitschriften verffentlicht (Lohmann et al. 1992, 1994a, 1994b, 1995, 1996, 1997). Die vorliegende Arbeit ist jedoch keine bloe Kumulation dieser Publikationen. Zum einen werden hier neue Ergebnisse erstmals vorgestellt. Desweiteren wurde versucht, die Erkenntnisse aus verschiedenen Untersuchungen miteinander zu verknpfen. Zur Verbesserung der Verstndlichkeit auch fr nicht auf diesem Gebiet ttigen Kolleginnen und Kollegen wurden Erklrungen hinzugefgt. Daher werden zu Beginn der Arbeit Klinik (Abschnitt 2.) und Genetik des Retinoblastoms (Abschnitt 3.) einleitend dargestellt.

2

2.

EPIDEMIOLOGIE, PATHOLOGISCHE ANATOMIE UND KLINIK DES RETINOBLASTOMS

Epidemiologie Das Retinoblastom ist der hufigste bsartige Augentumor des Kindesalters. Von 15.000 bis 20.000 lebend geborenen Kindern erkrankt eines an Retinoblastom (Suckling et al. 1982). Die Inzidenz dieses Tumors in verschiedenen Populationen ist weltweit bemerkenswert konstant (Vogel 1979). Dies deutet darauf hin, da Umweltfaktoren keine erkennbare Rolle bei der Entstehung dieses Tumors spielen (Buckley 1992). Darber hinaus wurde auch kein Anstieg der Zahl der Erkrankungen infolge der von den Atombombenexplosionen in Nagasaki und Hiroshima ausgehenden Strahlung festgestellt (Amemiya et al. 1993). Der Vergleich der Hufigkeit des Retinoblastoms in verschieden lange zurckliegenden Erfassungszeitrumen zeigt eine geringe Zunahme. Dieser Anstieg kann zum einen durch die zunehmend vollstndigere Erfassung von Erkrankungsfllen bedingt sein. Desweiteren ist als Konsequenz der verbesserten Therapie mit einer hheren berlebensrate und daher mit einer steigenden Zahl erblicher Erkrankungen zu rechnen (Vogel 1979). Historisches und Terminologie Die erste Beschreibung eines Retinoblastoms geht auf den niederlndischen Arzt PAWIUS im Jahr 1597 zurck (Albert 1987). Als spezifische Entitt wurde dieser Tumor von WARDROP in 1809 erkannt und als Fungus Haematodes bezeichnet. Nach VIRCHOW entstand diese Neoplasie aus glialen Anteilen der Retina und daher hielt er diesen Tumor fr ein Glioma retinae. Die heute verwendete Bezeichnung Retinoblastom wurde von VERHOEFF geprgt, der den Tumor aufgrund von Ergebnissen histologischer Studien fr eine spezielle Neoplasie der Netzhaut hielt, die aus primitiven, unreifen retinalen Zellen besteht. Pathologische Anatomie Das Retinoblastom entsteht whrend der Entwicklung der Netzhaut aus Zellen des neuralen Epithels, die sich noch in Photorezeptoren oder Mller-Zellen differenzieren knnen (Gonzalez-Fernandez et al. 1992). Der Tumor besteht aus dicht gelagerten Zellen mit chromatinreichen runden Kernen und schmalem Zytoplasmasaum. In ihm knnen groe Nekrosen entstehen, die verkalken knnen. Die Zellen des Retinoblastoms hngen nur locker zusammen und breiten sich leicht innerhalb des Auges aus. Eine Invasion in den Nervus Optikus verschlechtert die Prognose in dem Mae, je weiter sie hinter die Lamina cribrosa reicht (Shields et al. 1994). Eine massive Invasion der Aderhaut ist ebenfalls prognostisch ungnstig. Metastasenwachstum ist eine wesentliche Todesursache und daher fhren spte Diagnose und Therapie des Retinoblastoms zu einer hheren Sterblichkeit (Kodilinye 1967; Sinniah et al. 1980). Bei 3

etwa 3% aller Patienten wird vor oder nach der Diagnose eines Retinoblastoms ein intracerebraler Tumor erkannt, der die Histomorphologie eines Retinoblastoms zeigt (DePotter et al. 1994; Amoaku et al. 1996). Diese, mit einer sehr hohen Sterblichkeit verbundenen Tumoren entstehen primr aus dem Corpus pineale (Pinealoblastom) und ihr gemeinsames Auftreten mit einem Retinoblastom wird auch als trilaterales Retinoblastom bezeichnet (Blach et al. 1994). Differentialdiagnose Eine Reihe von angeborenen oder erworbenen Aufflligkeiten knnen in ihrem Erscheinen einem Retinoblastom gleichen (Pseudogliom) (Shields et al. 1991). Diese sind nicht selten: in einer Untersuchung von HOWARD und ELLSWORTH hatten von 500 Kindern, die mit der Verdachtsdiagnose eines Retinoblastoms in eine Klinik eingewiesen wurden, 265 (53%) kein Retinoblastom (Howard and Ellsworth 1965). Diese Aufflligkeiten sind mehrheitlich nicht maligne, knnen jedoch die Entfernung des Auges erforderlich machen. Bei der Erhebung der Familienanamnese kann daher das Vorliegen eines Retinoblastoms bei einem Angehrigen, der in seiner Kindheit aufgrund eines Tumors enukleiert wurde, nur dann als gesichert gelten, wenn eine histopathologische Diagnose vorliegt. Retinom Ein kleiner Teil der Patienten mit der Verdachtsdiagnose Retinoblastom zeigt nicht-progressive Tumoren, die sich als durchscheinende, graue Masse von der Retina in den Glaskrper ausdehnen (Gallie et al. 1982). Diese sind insbesondere bei lteren Kindern anzutreffen (Balmer et al. 1991; Shields et al. 1991). Nach GALLIE et al. werden diese Tumoren als Retinom bezeichnet und nicht selten weisen auch augengesunde Eltern von Kindern mit Retinoblastom solche Vernderungen in einem oder beiden Augen auf (Gallie et al. 1982). Obwohl Retinome keine Grenzunahme zeigen, ist eine regelmige Kontrolle erforderlich, da sich aus ihnen selbst in hherem Alter ein Retinoblastom entwickeln kann (Balmer et al. 1991; Eagle et al. 1989). Klinik des Retinoblastoms Das Wachstum des Retinoblastoms geht nicht mit Schmerz einher und im Verlauf der Erkrankung kommt es nur in Ausnahmefllen zu Entzndungszeichen. Am hufigsten lenkt der helle Widerschein des Tumors in der Pupille (Leukocorie) den Verdacht auf einen intraokulren Proze. Falls die Fovea eines Auges durch den Tumor verlegt wurde, kann auch Strabismus der erste Hinweis auf ein Retinoblastom sein. Weitaus seltener werden Glaukome, Uveitis oder Einblutungen in den Glaskrper als erste Symptome durch ein Retinoblastom verursacht (Balmer et al. 1993). Bei etwa 60% der Kinder ist zum Zeitpunkt der Diagnose nur ein Auge von Retinoblastom betroffen und bei weiteren Untersuchungen des anderen Auges wird kein 4

weiterer Tumor entdeckt (einseitiges Retinoblastom) (Vogel 1979; Draper et al. 1992). Die verbleibenden 40% der Kinder entwickeln mehrere Tumorherde (multifocales Retinoblastom), die berwiegend schon zum Zeitpunkt der ersten Diagnose beide Augen betreffen (beidseitiges Retinoblastom) (Abramson et al. 1994). Alle Patienten mit beidseitigem Retinoblastom, jedoch nur etwa 10% der einseitig betroffenen Patienten knnen die Disposition zur Entwicklung von Retinoblastom als autosomal dominantes Merkmal vererben (erbliches Retinoblastom) (Vogel 1979). Bei etwa 1/4 der Patienten mit beidseitigem Retinoblastom jedoch nur ausnahmsweise bei einseitig erkrankten Kindern sind in der Familie weitere Flle von Retinoblastom bekannt (familires Retinoblastom). Wird bei einem Angehrigen ein Retinom festgestellt, so mu ebenfalls von der familiren Form der Erkrankung ausgegangen werden. Da das Retinom oft erst durch gezielte Kontrolle des Augenhintergrundes entdeckt wird, ist eine diesbezgliche Untersuchung der Familienmitglieder aller Patienten mit Retinoblastom erforderlich. Altersverteilung Das Retinoblastom ist ein Tumor des Kindesalters: der berwiegende (>99%) Teil der einseitigen Erkrankungen wird vor dem 10. Lebensjahr, beidseitige Erkrankungen berwiegend vor dem 6. Lebensjahr festge130 beidseitiges Retinoblastom isoliert 120 familir stellt (Abb. 1) (Draper et al. 110 100 1992; Vogel 1954). Die 90 80 durchschnittlich frhste Dia70 60 gnose wird bei beidseitig be50 troffenen Kindern gestellt, 40 30 bei denen aufgrund weiterer 20 10 Erkrankungen in der Fami0 ]0,5-1] ]1,5-2] ]2,5-3] ]3,5-4] ]4,5-5] ]5-10] >10 lie schon vor dem Auftreten ]0-0,5] ]1-1,5] ]2-2,5] ]3-3,5] ]4-4,5] Alter bei Diagnose (Jahre) erster Zeichen regelmige Kontrolluntersuchungen der einseitiges Retinoblastom Netzhaut durchgefhrt wur90 isoliert 80 familir den. Dagegen wird der Tu70 60 mor bei Kindern mit einer fa50 40 miliren Disposition zu Re30 20 tinoblastom, die nur ein ein10 seitiges Retinoblastom ent0 ]0,5-1] ]1,5-2] ]2,5-3] ]3,5-4] ]4,5-5] ]5-10] >10 ]0-0,5] ]1-1,5] ]2-2,5] ]3-3,5] ]4-4,5] wickeln, deutlich spter erAlter bei Diagnose (Jahre) kannt.Anzahl der Patienten Anzahl der Patienten

Abb. 1 Verteilung des Alters bei Diagnose eines beidseitigen bzw. einseitigen Retinoblastoms. Die Daten wurden der Untersuchung von DRAPER et al. (1992) entnommen.

5

Therapie Die Behandlung des Retinoblastoms richtet sich nach Gre, Zahl und Lage der Tumoren, sowie nach Anwesenheit von Glaskrperaussaat und Netzhautablsung. Der Tumor kann unter Erhalt des Auges durch Hitze (Lichtkoagulation), Klte (Cryokoagulation), Bestrahlung (perkutan oder Brachytherapie) zerstrt werden. Grere Tumoren knnen durch die Ausschlung des Augapfels (Enukleation) sicher entfernt werden. Bei Tumoren, die in der Nhe des Nervus Opticus liegen, kann wegen der Gefahr der Invasion und Metastasierung ebenfalls eine Enukleation erforderlich werden. Bei extraokulrem Wachstum wird zustzlich eine Chemotherapie angewendet. Chemotherapie kann in Kombination mit nachfolgender fokaler Therapie (Licht- oder Cryokoagulation) auch bei der augenerhaltenden Behandlung des intraokulren Retinoblastoms eingesetzt werden, um die Anwendung externer Strahlentherapie zu vermeiden (Bornfeld et al. 1997; Gallie et al. 1996). Prognose Bei den meisten Patienten mit intraokulrem Retinoblastom ist die Behandlung erfolgreich und die 5-Jahres berlebensrate liegt ber 90% (Rubin et al. 1985). Beim metastasierenden Retinoblastom dagegen kann durch die Therapie das Tumorwachstum mehrheitlich nicht erfolgreich eingedmmt werden (Schvartzman et al. 1996). Sofern nicht die Entfernung beider Augen notwendig war, mu jeder Patient durch regelmige Untersuchungen auf das Auftreten weiterer Retinoblastome hin kontrolliert werden. Neue Tumore treten bei etwa 1/4 der Patienten mit beidseitigem Retinoblastom auf: in einer greren Gruppe untersuchter Patienten (n=325) lag das hchste Alter bei Diagnose eines neuen Tumors bei 6 1/4 Jahren (Abramson et al. 1992); unter primr einseitig erkrankten Kindern (n=427), die augenerhaltend behandelt wurden, kam es bis zum Alter von 7 1/2 Jahren zur Entwicklung neuer Tumore (Abramson et al. 1994). Engmaschige Vorsorgeuntersuchungen sind auch bei nicht erkrankten Kindern erforderlich, wenn aufgrund einer Retinoblastomerkrankung in der Familie ein erhhtes Risiko fr Retinoblastom angenommen werden mu (siehe Abschnitt 4.4). Zweittumoren Die Langzeitprognose bei Patienten mit Retinoblastom wird wesentlich durch das erhhte Risiko fr das Auftreten primrer Tumoren auerhalb des Auges (Zweittumoren) und der daraus resultierenden Sterblichkeit getrbt. Zu diesen Zweittumoren zhlen insbesondere bsartige Geschwulste des Knochens und der Bindegewebe, das maligne Melanom, sowie bsartige Tumoren des Hirns und der Meningen (Eng et al. 1993). Zweittumoren treten vor allem bei Patienten auf, die ein beidseitiges Retinoblastom hatten. Jedoch ist auch bei Patienten mit einseitigem Retinoblastom eine geringe Zunahme der Sterblichkeit an diesen Tumoren festzustellen (Abb. 2A). Bei Patienten mit beidseitigem Retinoblastom, die zur Behandlung des Retinoblastoms perkutane 6

Strahlentherapie erhalten hatten, ist die Sterblichkeit an Zweittumoren im Vergleich zu nicht bestrahlten Patienten nahezu verfnffacht (Abb. 2B). Die Zunahme der Hufigkeit von Zweittumoren betrifft dabei insbesondere das Bestrahlungsfeld (Abramson et al. 1984). Daher ist es zur Verbesserung der Langzeitprognose insbesondere bei Kindern mit beidseitigem Retinoblastom wichtig, die Anwendung externer Strahlentherapie zu vermeiden.30 35 26,0 3,9% 30,3 4,8%

Kumulative Mortalitt (%)

Kumulative Mortalitt (%)

25 20 15 10 5 0 beidseitiges RB

30 25 20 15 10 5 0 ohne mit Strahlentherapie

6,4 3,8% Strahlentherapie 10 20 30 Zeit nach Diagnose (Jahre)

einseitiges RB

1,5 0,7% 40

A

10 20 30 Zeit nach Diagnose (Jahre)

40

B

Abb. 2 Sterblichkeit an Zweittumoren nach Ergebnissen von ENG et al. (1993). A, Kumulative Mortalitt in einer Kohorte von 1603 Patienten mit beidseitigem oder einseitigem Retinoblastom. B, Kumulative Mortalitt bei Patienten mit beidseitigem Retinoblastom mit und ohne Strahlentherapie.

7

3.

GENETIK DES RETINOBLASTOMS

Die meisten Erkrankungen an Retinoblastom werden in Familien erkannt, in denen kein weiterer Fall eines solchen Tumors bekannt ist (sporadische Erkrankung). In einigen wenigen Familien jedoch wird ein gehuftes Vorkommen von Retinoblastomen beobachtet. Familires Auftreten von Retinoblastom wurde erstmals 1821 von LERCHE aufgezeichnet. Er beschrieb das Auftreten dieses Tumors bei drei Shnen und einer Tochter von nicht erkrankten Eltern (zitiert nach Kaelin 1955). In den folgenden Jahren wurden weitere Familien berichtet, in denen Retinoblastome bei mehreren Kindern nicht erkrankter Eltern festgestellt wurden. 1868 beschrieb VON GRAEFE das Vorkommen eines Retinoblastoms bei einem Kind, dessen Eltern gesund waren. Es waren jedoch mehrere Geschwister der Mutter noch im Kindesalter an Augenkrebs gestorben (zitiert nach Kaelin 1955). Dieser Bericht gilt als der erste verffentlichte Hinweis auf eine Vererbung von einer Generation auf die nachfolgende. Erst mit der Verbesserung der Behandlungsmethoden konnte das Retinoblastom berlebt werden und in ihrer Kindheit erkrankte Patienten erreichten das Erwachsenenalter. Nun wurde vermehrt vertikale Transmission beobachtet (Vogel 1979; Kaelin 1955). Damit einher ging auch eine Erhhung des Anteils familirer Flle an allen Erkrankungen von 4,1% in der von KAELIN 1955 verffentlichten Zusammenstellung bis auf ber 10% in neueren Serien (Draper et al. 1992; Briard-Guillemot et al. 1974). Das Retinoblastom wird durch ein autosomal dominant erbliches Gen verursacht Das Muster der Erkrankungsflle in Familien legte den Schlu nahe, da dieser Tumor durch ein autosomal dominant erbliches Gen verursacht wird (siehe Vogel 1979). Das berwiegen sporadischer Flle wurde zunchst durch das aufgrund des selektiven Nachteils der Mutationstrgerschaft verschobene genetische Gleichgewicht zwischen Mutation und Selektion erklrt (Vogel 1979). VOGEL konnte jedoch 1954 zeigen, da es sehr unwahrscheinlich ist, da alle oder fast alle sporadischen Retinoblastome Neumutanten sind. Ein betrchtlicher Teil von ihnen ist sehr wahrscheinlich als nicht erblich aufzufassen (Vogel 1954). Als Ursache fr die nicht erbliche Form des Retinoblastoms diskutierte er mehrere Hypothesen, darunter auch die von anderen Autoren schon zuvor in Betracht gezogene Mglichkeit einer nicht erblichen somatischen Mutation (Vogel 1954). Die KNUDSONsche Zwei-Schritt Hypothese In seiner 1971 verffentlichten Schrift Mutation and Cancer: Statistical Study of Retinoblastoma entwickelte KNUDSON eine Hypothese, die wegweisend fr die weitere Aufklrung der dem Retinoblastom zugrundeliegenden genetischen Mechanismen war. Er ging von der Anschauung aus, da bei der Entstehung von Krebs somatische 8

Mutationen wesentlich beteiligt sind. So untersuchte er zunchst, ob fr die Entstehung des Retinoblastoms lediglich zwei Mutationsereignisse hinreichen (Knudson 1971). Er analysierte dazu eine Serie von 48 Patienten mit Retinoblastom und prfte Daten zum Auftreten der Tumore in einem oder beiden Augen, dem Diagnosealter, zur Familienkrankengeschichte und zog soweit mglich zustzlich Informationen zur Zahl einzelner Tumorherde in den betroffenen Augen heran. Er fand, da die Anteile beidseitig und einseitig erkrankter sowie nicht betroffener Mutationstrger mit einer PoissonVerteilung bei Annahme einer mittleren Tumorzahl von m=3 zu vereinbaren ist. Diese geschtzte mittlere Tumorzahl war mit der bei Patienten beobachteten Zahl unabhngiger Tumorherde vereinbar. Er stellte folgende Hypothese auf: Das Retinoblastom wird durch zwei Mutationsereignisse verursacht, bei der dominant erblichen Form wird eine Mutation ber Keimzellen ererbt, die zweite Mutation tritt in einer somatischen Zelle auf, bei der nicht-erblichen Form treten beide Mutationen in einer somatischen Zelle auf. Die weitere Prfung der Daten zeigte, da diese Hypothese auch mit der Verteilung des Alters bei Diagnose von einseitigen und beidseitigen Erkrankungsfllen bereinstimmt. Beide Mutationsereignisse treffen einen genetischen Locus Bei zytogenetischen Untersuchungen peripherer Blutlymphozyten waren bei einem kleinen Teil der Patienten mit Retinoblastom Deletionen am langen Arm des Chromosoms 13, Bande q14 aufgefallen (Knudson et al. 1976). Desweiteren zeigten Analysen in Familien mit Retinoblastom, da eine enge Koppelung zwischen dem genetischen Locus des Enzyms Esterase-D und dem Genort des Retinoblastomgens (RB1) besteht (Sparkes et al. 1980; Connolly et al. 1983). CAVENEE et al. untersuchten auf dem langen Arm des Chromosom 13 lokalisierte genetische Polymorphismen in konstitutioneller DNA und Tumoren von Patienten mit Retinoblastom (Cavenee et al. 1983). Sie stellten fest, da in Tumoren hufig ein Verlust konstitutioneller Heterozygotie (Loss-of-Heterozygosity, LOH) an einigen dieser polymorphen Loci anzutreffen ist. Nach dem Muster des LOH fr Polymorphismen unterschiedlicher Lokalisation in 13q konnten sie mehrere Klassen von Vernderungen identifizieren, deren Entstehung sie auf verschiedene chromosomale Mutationsmechanismen zurckfhrten (Abb. 3). Alle diese somatischen Mutationen sind mit einem Verlust eines RB1-Allels verbunden. CAVENEE et al. stellten daher die Hypothese auf, da die zwei Mutationen, die nach KNUDSON fr die Entstehung des Retinoblastoms urschlich sind, nacheinander die beiden Allele des RB1-Gens treffen. Dabei fhrt die erste Mutation zu einer lokal beschrnkten genetischen Vernderung. Das mutante Allel ist rezessiv gegenber dem normalen Allel. Durch den Verlust des nicht mutierten Allels infolge chromosomaler Mechanismen oder durch eine zweite lokal beschrnkte Mutation wird das mutante 9

Allel demaskiert und die Entwicklung des Tumors eingeleitet. Diese Hypothese impliziert, da nur ein genetischer Locus das RB1-Gen bestimmend fr die Auslsung der Tumorbildung ist.Tumor erblich

prdisponierter

nicht erblich

Retinoblast

Abb. 3 Schematische Darstellung der chromosomalen Mechanismen, die zum Verlust konstitutioneller Heterozygotie (LOH) in Tumoren fhren (nach CAVENEE). A und B stellen flankierende polymorphe Loci dar. Allele an polymorphen Loci A und B sind durch Zahlen reprsentiert; +: normales RB1-Gen; rb: mutiertes RB1-Gen; die eingerahmte Bandenmuster rechts im Bild stellen schematisch die Muster von Restriktionsfragmentlngenpolymorphismen (RFLPs) in konstitutioneller DNA (N) und Tumor-DNA (T) dar. I: Nondisjunction, II: Nondisjunction mit Duplikation des Chromosoms, III: Mitotische Rekombination. Durch diese Vernderungen wird das auf zellulrer Ebene rezessive mutante RB1-Allel demaskiert. IV: Kleine Deletionen oder Punktmutationen knnen ebenfalls das im prdisponierten Retinoblasten anwesende normale Allel inaktivieren ohne da es zu LOH kommt.

Die Identifikation des Retinoblastomgens Ausgehend von diesen Vorarbeiten konnte angenommen werden, da das RB1Gen auf dem langen Arm des Chromosom 13 (13q14) lokalisiert ist und da in Tumoren beide Allele des Gens mutiert sind. Durch die Untersuchung genomischer Klone, die aus einer fr das Chromosom 13 spezifischen Genbank isoliert worden waren, konnte eine Sequenz von 1,5 kb Lnge identifiziert werden, die in zwei Retinoblastomen homozygot deletiert war (Lalande et al. 1984; Dryja et al. 1984). Unter der Annahme, da dieser Klon in oder in enger Nhe zu dem gesuchten RB1-Gen lokalisiert ist, wurde die Umgebung dieser Sequenz auf dem Chromosom 13 untersucht und so konnte ein Gen identifiziert werden (Friend et al. 1986). Der Nachweis von Mutationen, die in ihrer Ausdehnung auf dieses Gen beschrnkt sind (Fung et al. 1987; Lee et al. 1987; Bookstein et al. 1988) sowie die enge genetische Kopplung zwischen der erblichen Disposition zu 10

Retinoblastom und diesem Locus (Wiggs et al. 1988) legen nahe, da es sich um das gesuchte RB1-Gen handelt. Die Beobachtung, da es nach Transfektion klonierter RB1cDNA mit normaler Sequenz (Wildtyp) in Tumorzellen, die homozygote RB1-Genvernderungen aufweisen, zu einer Unterdrckung des neoplastischen Phnotyps kommt, besttigt die Authentizitt dieses Gens auch funktionell. Diese Eigenschaft charakterisiert das RB1-Gen als Tumorsuppressorgen (Stanbridge 1990).Chromosom 13Abb. 4 Chromosomale Lokalisation und genomische Organisation des RB1-Gens. Das RB1-Gen ist in der Bande q14 auf Chromosom 13 lokalisiert (A). Die 27 Exons des Gens liegen in 180 kb genomischer Sequenz (B). Die Lnge der Introns reicht von 80 bp (Intron 15) bis ber 70 kb (Intron 17). Die 27 Exons kodieren fr ein Transkript mit einem offenen Leserahmen von 2,7 kb (C). Die Exons innerhalb der exprimierten Sequenz sind zwischen 32 bp (Exon 15) und 197 bp (Exon 17) lang. Das Gen wird ubiquitr in ein Protein von 928 Aminosuren (aa) Lnge translatiert (D). Dieses wird in Abhngigkeit vom Zellzyklus an mehreren Stellen phosphoryliert (symbolisiert durch eingekreiste P). In der kleinsten, fr die Wachstumshemmung erforderlichen Region (aa395 bis aa876) liegen die Funktionsdomnen A, B und C (siehe Text) sowie ein Signalmotiv, das fr die nuklere Lokalisation des Proteins erforderlich ist (NLS, nuclear loclization signal).

ARB1 Gen12 5 36 7 17 18 27 3 10 kb

Boffener Leserahmen1 2 3 4 6 7 8 9 10 13 17 18 19 20 21 22 23

25

CProteinA1PP PP PP

100 bp

B

C NLSP PP PP

928 876

395

D

100 aa

Der genomische Aufbau des Retinoblastomgens Die exprimierte Sequenz des RB1-Gens ist auf 27 Exons verteilt, die ber 180 kb genomische Sequenz verstreut lokalisiert sind (McGee et al. 1989; Toguchida et al. 1993) (Abb. 4). Das 5-Ende des Gens weist eine CpG-Insel auf, die wie fr konstitutiv exprimierte Gene (Housekeeping-Gene) typisch nicht methyliert ist (Greger et al. 1989). Ebenfalls charakteristisch fr ein Housekeeping-Gen ist das Fehlen von TATA oder CAAT-Elementen in der Promoterregion (TAng et al. 1989; Hong et al. 1989). Als fr die basale Transkription wesentliche Sequenzmotive des Promoters wurden Sp1- und ATF-Elemente erkannt (Sakai et al. 1991). Das Gen wird ubiquitr in eine mRNA von 4,7 kb Lnge transkribiert (TAng et al. 1989; Friend et al. 1987; Lee et al. 1987). Diese enthlt am 3-Ende nahezu 2 kb an nicht-translatierter Sequenz. Der offene Leserahmen kodiert fr ein Protein von 928 Aminosuren. In anderen Vertebraten wurden Gene mit sehr hoher Sequenzhnlichkeit zum menschlichen RB1-Gen identifiziert. Die Sequenzhomologie ist dabei nicht auf die kodierenden Abschnitte beschrnkt 11

sondern erstreckt sich bis in die nicht-translatierten Bereiche am 3-Ende und umfat am 5-Ende auch die Promoterregion (Destree et al. 1992; Zacksenhaus et al. 1993). Das Genprodukt Das RB1-Gen kodiert fr ein Phosphoprotein von 110 kD (pRB), das im Zellkern lokalisiert ist (Lee et al. 1987). pRB liegt whrend der G0/G1-Phase des Zellzyklus unterphosphoryliert vor und wird vor dem bertritt in die S-Phase phosphoryliert (Mihara et al. 1989; Buchkovich et al. 1989; Chen et al. 1989; Ludlow et al. 1989). Die Phosphorylierung findet an mehreren Serin- und Threonin-Seitengruppen statt, die innerhalb von Aminosuresequenzen liegen, die von Cyklin-abhngigen Kinasen (CDKs) erkannt und gebunden werden (Lees et al. 1991). Eine Dephosphorylierung findet erst gegen Ende der Mitose statt. Hypophosphoryliertes pRB kann verschiedene Transkriptionsfaktoren binden und dadurch deren Funktion steuern. Unter diesen befinden sich Mitglieder der E2F Familie, die Gene kontrollieren, die fr den Eintritt in die S-Phase erforderlich sind (Mller 1995). Komplexe aus hypophosphoryliertem pRB und E2F wirken als Repressoren der Transkription. Nach Phosphorylierung von pRB kommt es zur Freisetzung dieser Faktoren, welche nun die Transkription abhngiger Gene aktivieren knnen. pRB kann also, vermittelt durch E2F, den G1/S-bergang steuern (Weinberg 1995). Durch Bindung an pRB werden auch andere Regulatoren der Transkription in ihrer Aktivitt bestimmt. Bei einigen Transkriptionsfaktoren fhrt dies zu einer Aktivierung (Kim et al. 1992). Auer diesen physiologischen zellulren Bindungspartnern knnen auch einige virale Onkoproteine an hypophosphoryliertes pRB binden. Bei der Bindung an das E1a Protein des Adenovirus und das T Antigen von SV40 sind auf der Seite des pRB zwei nicht zusammenhngende Domnen (A und B, siehe Abb. 4D) beteiligt, die auch fr die Bindung von E2F essentiell sind (Ludlow et al. 1989; Whyte et al. 1988; DeCaprio et al. 1988). Neben der A/B Domne sind fr die Funktionen des pRB-E2F-Komplexes jedoch auch Regionen, die C-terminal der A/B Domne lokalisiert sind, erforderlich (Hiebert 1993). In C-terminalen Abschnitten befinden sich auch Bindungsstellen fr die zellulren Oncoproteine Mdm-2 und c-Abl (Welch and Wang 1993; Xiao et al. 1995). Neben pRB wurden mit p107 und p130 zwei zellulre Proteine identifiziert, die mit E1a ebenfalls ber eine A/B Domne interagieren und dabei eine Struktur in Form einer Tasche ausbilden (Li et al. 1993; Mayol et al. 1993; Ewen et al. 1991; Hannon et al. 1993). Daher werden pRB, p107 und p130 auch als Pocket-Proteine bezeichnet. Die Aminosuresequenzen dieser Proteine weisen im Bereich der A/B Domne groe hnlichkeit auf. Als funktionelle Gemeinsamkeit zeigen die Pocket-Proteine eine zellzyklusabhngige Bindung von Transkriptionsfaktoren. Die einzelnen Pocket-Proteine habenjedoch je verschiedene Bindungspartner (Wang 1997). 12

Die Funktionen des pRB Die durch die Kontrolle des G1/S-bergangs vermittelte Wachstumshemmung ist nur eine Facette der zellulren Funktionen des RB1-Gens. Durch homologe Rekombination und Kreuzung konnten Muse erhalten werden, denen ein funktionelles Rb-Gen fehlt (Rb-/-) (Lee et al. 1992; Jacks et al. 1992; Clarke et al. 1992). Rb-/Tiere versterben noch in utero zwischen Tag 13 1/2 und 15 1/2 der Embryonalentwicklung infolge von Strungen der Hmatopoese sowie massivem Untergang von Nervenzellen. Diese Befunde legen nahe, da pRB auch einen Schutz vor Zelltod im Rahmen der Differenzierung von Geweben vermitteln kann (Wang 1997). Heterozygote Tiere (Rb+/-) werden ohne erkennbare Aufflligkeiten geboren und entwickeln im Gegensatz zu Menschen, die ein mutiertes RB1-Allel tragen keine Retinoblastome. Mit zunehmendem Alter bilden diese Muse jedoch multiple Tumoren im Intermedirlappen der Hypophyse, der beim Menschen nur rudimentr ausgebildet ist (Hu et al. 1994). Mit geringerer Penetranz entwickeln Rb+/- Muse auch medullre Schilddrsenkarzinome (Williams et al. 1994). Einige Tumoren des Menschen zeigen hufig Verlust von pRB und Mutationen des RB1-Gens (Horowitz et al. 1990). Zu diesen zhlt z.B. das kleinzellige Lungenkarzinom (Hensel et al. 1990; Xu et al. 1991). Dieser Tumor wird bei Patienten mit beidseitigem Retinoblastom (d.h. mit RB+/- Genotyp) jedoch nicht hufiger beobachtet als bei Individuen ohne Retinoblastom (Eng et al. 1993). Dies kann bedeuten, da bei der Entstehung des kleinzelligen Lungenkarzinoms im Gegensatz zum Retinoblastom die Inaktivierung des RB1-Gens kein geschwindigkeitsbestimmender Schritt ist. Der Verlust von pRB erleichtert jedoch den G1/S-bergang und untersttzt damit die Progression des kleinzelligen Lungenkarzinoms. Zusammengefat zeigt pRB ein Spektrum von Funktionen, das von der Art der Zelle und ihrem Differenzierungsstadium beeinflut wird. Welche Funktionsverluste fr die Entstehung des Retinoblastoms relevant sind, ist (noch) nicht bekannt. Die Strung der Differenzierung der unreifen Netzhautzellen scheint dabei jedoch eine wesentliche Rolle zu spielen.

13

4.4.1

EIGENE ARBEITENEntwicklung von Methoden zur effizienten Identifikation von Mutationen im RB1-Gen

Verschiedene Mutationen knnen zu einer nderung der Expression oder Funktion eines Gens fhren. Die Arten und Lokalisationen der vorkommenden Vernderungen definieren das Mutationsspektrum, welches von Gen zu Gen unterschiedlich ist. Vom RB1-Gen war zu Beginn der eigenen Arbeiten bekannt, da groe Strukturanomalien, die durch zytogenetische Analysen oder Southern-Blot-Hybridisierung identifiziert werden knnen, weniger als 20% der Mutationen ausmachen (Horsthemke 1992). Darber hinaus waren nur 5 kleine Deletionen von 1 bis 10bp, eine Insertion von 55bp sowie 8 Substitutionen einzelner Basen bei Patienten mit Retinoblastom berichtet worden (Yandell et al. 1989; Dunn et al. 1989). Diese Punktmutationen zeigten keine Bevorzugung bestimmter Regionen des RB1-Gens. Daher konnte vermutet werden, da das Mutationsspektrum des RB1-Gens sehr viele verschiedene Mutationen umfat, die ber die gesamte kodierende und regulatorische Sequenz des RB1-Gens verstreut auftreten knnen. Durch DNA-Sequenzierung von Produkten der Polymerasekettenreaktion (PCR) knnen Punktmutationen genau bestimmt werden. Zur Mutationssuche ist die Sequenzierung jedoch aufgrund der Gre und komplexen Organisation des RB1-Gens nicht zweckmig. Es muten deshalb Vorgehensweisen entwickelt werden, die eine effiziente Identifikation von RB1-Gen-Mutationen erlauben. Da dieses Problem bei einigen Genen auftritt sind verschiedene Methoden zur Mutationssuche entwickelt worden. Den meisten Verfahren ist gemeinsam, da die zu untersuchenden Sequenzabschnitte zuerst mittels PCR vermehrt und dann auf Sequenzabweichungen hin durchgemustert werden (Mutationsscreening). Kann der Mutationsort auf einen bestimmten Sequenzabschnitt eingegrenzt werden, so wird dieser zur genauen Bestimmung der Vernderung sequenziert. Fr das Mutationsscreening im RB1-Gen wurden hier drei verschiedene Methoden entwickelt bzw. adaptiert: a) Fragmentlngenanalyse von Fluoreszenz-markierten Multiplex-PCR Produkten (Multiplex-Fragmentlngenanalyse) b) Heteroduplexanalyse c) Einzelstrangkonformationsanalyse (SSCP-Analyse) a) Fragmentlngenanalyse von Fluoreszenz-markierten Multiplex-PCR Produkten (Multiplex-Fragmentlngenanalyse)

Die elektrophoretische Auftrennung von DNA-Fragmenten in einem denaturierenden Polyacrylamidgel erlaubt unter geeigneten Bedingungen eine genaue Bestimmung der Fragmentlnge. Eine besonders hohe Auflsung wird unter Auftrennungs 14

bedingungen erzielt, wie sie auch fr die Sequenziergelelektrophorese verwendet werden. Durch eine solche hochauflsende Fragmentlngenanalyse knnen in PCR-Produkten kleine Deletionen und Insertionen mit hoher Zuverlssigkeit erkannt werden, falls der Mutationsort innerhalb der von den Amplifikationsprimern erfaten Sequenz liegt. Bei Verwendung von automatischen Sequenzierapparaturen mit mehreren Detektionskanlen kann durch eine spurinterne Auftrennung von DNA-Fragmenten bekannter Gre und unterscheidbarer Fluoreszenzmarkierung (DNA-Lngenstandard) zudem eine absolute Lngenbestimmung erreicht werden. Zur Identifikation von Tab. 1 Simultane Amplifikation und Analyse der kodierenden und regulativen Regionen des RB1-Gens Mutationen im RB1-Gen stand eine automatische SeProdukt Fluoreszenz- Multiplex- AnalyseRegion (bp) 586 317 263 239 224 190 210 236 241 230 221 249 185 201 230 322 357 216 241 219 224 328 269 211 281 214 180 markierung FAM FAM FAM HEX FAM HEX FAM FAM TAMRA FAM HEX FAM FAM FAM FAM FAM FAM TAMRA FAM FAM TAMRA FAM FAM HEX FAM FAM FAM PCR-Set e e 5 2 1 e 1 2 1 3 2 4 1 2 e e1 4 1 1 2 1 e2

Set 2 2 2 1 1 2 1 1 1 2 1 2 1 1 3 2 2 1 1 1 1 4 1 2 2 3 2

Promoter Exon 1 Exon 2 Exon 3 Exon 4 Exon 5 Exon 6 Exon 7 Exon 8 Exon 9 Exon 10 Exon 11 Exon 12 Exon 13 Exon 14 Exon 15 und 16 Exon 17 Exon 18 Exon 19 Exon 20 Exon 21 Exon 22 Exon 23 Exon 24 Exon 25 Exon 26 Exon 27

2 s 3 3 3

poly(A)-Si312 FAM 5 2 gnal e, einzel-PCR; 1 PCR mit Vent DNA-Polymerase; 2 Restriktionsenzymverdau durch DdeI vor Durchfhrung der Fragmentlngenanalyse.

quenzierapparatur mit vier Detektionskanlen zur Verfgung (Applied Biosystems 373 Automatic Sequencer). Durch Verwendung von PCRPrimern, die mit verschiedenen Fluoreszenzfarbstoffen markiert wurden (FAM, HEX, TAMRA, siehe Anhang 7.1), konnten daher PCR-Produkte gleicher oder hnlicher Lnge in einer Auftrennungsspur gleichzeitig analysiert werden (Multiplex-Fragmentlngenanalyse). Zur weiteren Erhhung des Analysedurchsatzes sollten, verschiedene Abschnitte des RB1-Gens in einem PCR-Ansatz gemeinsam vermehrt werden (MultiplexPCR). Zunchst wurden die Sequenzen der einzelnen Primerpaare zur Amplifikation der kodierenden und regulatorischen Abschnitte des RB1Gens ausgewhlt (Primer-

15

sequenzen siehe Anhang 7.2.1). Bei der Auswahl der Primersequenzen mute wegen der geplanten Multiplex-PCR darauf geachtet werden, da Primer zur Amplifikation verschiedener Abschnitte des RB1-Gens untereinander keine Kreuz-Hybridisierungen ausbilden knnen, da diese zur Bildung unspezifischer Nebenprodukte fhren. Nach der Bestimmung der Reaktionsbedingungen der einzelnen PCRs wurden dann die bezglich ihrer Anlagerungstemperatur zusammenpassenden Primer-Paare zu MultiplexSets vereint und die Reaktionsbedingungen optimiert. Insgesamt konnten fnf verschiedene Multiplex-Sets etabliert werden. Fr die Amplifikation aller 27 Exons des RB1Gens, sowie des Promoters und der poly(A)-Signalsequenz waren 12 Reaktionen ausreichend (Tab. 1). Durch die Wahl unterschiedlicher Fluoreszenzfarbstoffe konnten PCRProdukte gleicher oder nur wenig unterschiedlicher Lnge zu Analysesets vereinigt und simultan auf ihre Lnge hin analysiert werden. Insgesamt waren fr die Fragmentlngenanalyse des RB1-Gens vier Auftrennungsspuren pro untersuchter Person ausreichend.175Exon 12

200

225

250

275 bp

cDNA Position 2425

T T T C A C C C C T G A AG T G A A GAExon 7

Exon 13

Exon 20

Exon 19

Exon 23

269 bp 268 bp

Exon 6

Multiplex-Fragmentlngenanalyse PCR-Set 1, FAM-Kanal

Exon 4

Sequenzierung Exon 23 PCR-Produkt

A

B

Abb. 5 Ergebnisse der Multiplex-Fragmentlngenanalyse bei Patient G10 mit zustzlich zum normal langen Produkt des Exon 23 auftretendem verkrztem Produkt (A). Sequenzierung des Exon 23 PCR-Produkts bei Patient G10 mit heterozygoter 1-bp Deletion c2425delC (B) .

Ein Beispiel fr die Ergebnisse einer Multiplex-Fragmentlngenanalyse ist in Abb. 5 gezeigt. Hier wurden zuerst in zwei Multiplex-PCR Anstzen sechs bzw. sieben verschiedene Regionen des RB1-Gens simultan amplifiziert (Multiplex-PCR-Set 1 und 2, Tab. 1). Die PCR-Produkte beider Reaktionen acht Produkte mit FAM-, drei Produkte mit TAMRA- sowie zwei Produkte mit HEX-Markierung wurden zusammengegeben und in einer Analysespur aufgetrennt. Die Fragmentlngenbestimmung der einzelnen Signale erfolgte mit der Genescan-Software (Applied Biosystems) anhand des in derselben Spur mit aufgetrennten ROX-2500 Lngenstandards (Applied Biosystems). Die Lngenbestimmung ermglicht die Zuordnung der einzelnen Signale zu den Produkten der jeweils amplifizierten Genbereiche. Abb. 5A zeigt die Signale im Detektionskanal 16

fr FAM-markierte Produkte (Amplifikation von DNA aus peripherem Blut des Patienten G10). Zustzlich zu dem Signal des Exon 23 PCR-Produkts mit einer erwarteten Lnge von 269 bp ist hier ein weiteres Signal von hnlicher Intensitt und einer Lnge von 268 bp zu erkennen. Durch Sequenzierung des Exon 23 PCR-Produkts konnte festgestellt werden, da dieser Vernderung eine 1-bp-Deletion im Exon 23 (c2425delC, siehe auch Tab. 3, S. 25) zugrunde liegt (Abb. 5 B). Die Untersuchung von DNA aus peripherem Blut bei einer groen Zahl von Patienten mit isoliert beidseitigem oder familirem Retinoblastom zeigte, da das Mutationsscreening mittels Multiplex-PCR und Fragmentlngenanalyse Lngenmutationen effizient identifiziert (Lohmann et al. 1994b). Modifiziert wurde diese Methode auch von einer anderen Arbeitsgruppe zur Mutationssuche im RB1-Gen eingesetzt (Bremner 1997). b) Heteroduplexanalyse

Da Basensubstitutionen durch die Fragmentlngenanalyse nicht erfat werden, ist zur Erkennung dieser Art von Mutation ein weiteres Screeningverfahren erforderlich. Um einen hohen Analysedurchsatz zu erreichen, sollte dieses Untersuchungsverfahren mglichst einfach Homoduplex-DNA normal Homoduplex-DNA mutiert durchfhrbar sein. Bei der A G C T Mutationssuche in DNA aus peripherem Blut von PatienSchmelzen der Doppelstrang-DNA ten mit Retinoblastom mu und Wiederanlagerung der Einzelstrnge zudem bedacht werden, da Homoduplex-DNA normal Homoduplex-DNA mutiert die Mutationen heterozygot A G vorliegen. Unter BercksichC T tigung dieser Vorgaben whlplus Heteroduplex-DNA ten wir ein auf der HeteroduG A T plexanalyse basierendes C Abb. 6 Schematische Darstellung der Bildung von Hetero- Screeningverfahren (White et duplex-DNA. Doppelstrang-DNAs mit normaler (A:T) und mutierter (G:C) Sequenz werden durch thermische Denaturierung (Schmel- al. 1992). Bei der Heterozen) in Einzelstrnge berfhrt. Whrend des Abkhlens bilden die duplexanalyse werden DNAEinzelstrnge miteinander zustzlich zu Homoduplices (Strang und Gegenstrang genau invers komplementr) auch Heteroduplex-Mo- Doppelstrnge untersucht, lekle (Strang und Gegenstrang nicht exakt invers komplementr) aus. Basenfehlpaarungen (G:T bzw. A:C) in den Heteroduplex-Mole- die aus Einzelstrngen von klen knnen nderungen der Struktur bedingen, die die elektroPCR-Produkten mit mutanter phoretische Mobilitt beeinflussen knnen. und normaler Sequenz gebildet werden (Heteroduplex-DNA, Abb. 6). Durch die verschiedenen Kombinationen von Strang und Gegenstrang entstehen dabei zwei verschiedene Heteroduplex-DNAs. Diese Heteroduplices weisen einen Konformationsunterschied zu den DNA-Homodu 17

plices auf, der unter geeigneten Elektrophoresebedingungen zu einem Mobilittsunterschied fhrt. Eine heterozygote Mutation kann daher durch zustzlich zu dem Signal der Homoduplex-DNA auftretende, einzelne oder doppelte Banden auffallen. Zur Erhhung des Laufunterschiedes zwischen Homo- und Heteroduplex-DNAs werden fr die Heteroduplexanalyse besondere Elektrophoresebedingungen gewhlt. Eine gute Auftrennung der verschiedenen DNA-Konformationen wird in Polyacrylamidgelen mit geringer Quervernetzung (1 2% Bisacrylamid) und unter leicht denaturierenden Bedingungen beobachtet (White et al. 1992). Zur Optimierung der Sensitivitt der Heteroduplexanalyse prften wir das Auftrennungsverhalten von Heteroduplex-DNA in verschiedenen Gelmatrices, Elektrophoresepuffern und bei unterschiedlichen Lauftemperaturen. Es wurden Proben untersucht, die heterozygot fr kleine Lngenmutationen waren. Die beste Auftrennung erzielten wir unter Bedingungen, wie sie von GANGULY et al. (1993) berichtet wurden (Protokoll siehe Anhang 7.2.3). Diese Bedingungen wurden daher fr die Mutationssuche im RB1Gen eingesetzt. Um einen hohen Analysedurchsatz zu erreichen, verwendeten wir eine Elektrophoresekammer, mit der in vier einzelnen Gelen von je 24 cm Lnge und 1,5 mm Dicke eine gleichzeitige Auftrennung von 112 Proben unter identischen Bedingungen mglich war. Ein Beispiel fr das Ergebnis einer Heteroduplexanalyse zeigt Abb. 7. Das Exon 23 des RB1-Gens wurde durch PCR aus peripherem Blut von Patienten mit erblichem Retinoblastom amplifiziert. Die PCR-Produkte wurden dann unter den Bedingungen der Heteroduplexanalyse elektrophoretisch aufgetrennt und nach Frbung mit Ethidiumbromid mit einem UV-Transilluminator dargestellt (Abb. 7A). In Spur 5 (Patient G917, siehe Tab. 3, S. 25) ist zustzlich zur Bande der Homoduplex-DNA eine weitere Bande geringerer Laufstrecke zu erkennen. Als Ursache fr die Heteroduplexbildung konnte durch Sequenzierung dieses PCR-Produktes eine heterozygote Punktmutation (c2359C>T, R787X) identifiziert werden (Abb. 7B).1 2 3 4 5 6 7 Codon 787ACA T T CC T C G AA GCCC T T T

Heteroduplexanalyse Exon 23 PCR-Produkte

Sequenzierung Exon 23 PCR-Produkt

A

B

Abb. 7 A, Ergebnisse der Heteroduplexanalyse von PCR-Produkten des Exon 23 mit HeteroduplexDNA (Bande mit geringerer Laufstrecke) in Spur 5 (Patient G917). B, Sequenzierung des Exon 23 PCRProdukts bei Patient G917 mit heterozygoter CGA nach TGA Transition im Codon 787 (c2359C>T).

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Durch die Heteroduplexanalyse konnten wir bei 35 von 73 Patienten, deren konstitutionelle Mutation weder durch Southern-Blot-Hybridisierung noch durch MultiplexFragmentlngenanalyse gefunden werden konnte, die krankheitsverursachende Vernderung im RB1-Gen identifizieren. Zustzlich wurden bei vier Patienten seltene neutrale Sequenzvarianten entdeckt (siehe Abschnitt 4.2, Tab. 4). Unter den 33 neu erkannten Mutationen waren auch vier kleine Lngenmutationen in PCR-Produkten des Exons 15-16 und 17. Diese PCR-Produkte sind mit 322-bp bzw. 357-bp die lngsten der hier untersuchten Fragmente. Da zuvor durch Fragmentlngenanalyse auch eine 1-bp Deletion in Exon 17 identifiziert wurde, war nicht erwartet worden, da die Fragmentlngenanalyse nicht alle Lngenmutationen detektiert. Es ist jedoch mglich, da die Auftrennung kleiner Lngenvernderungen auch vom Sequenzkontext abhngt. Ein entsprechendes Phnomen ist bei der Elektrophorese von Sequenzierreaktionen als Kompression (band compressions) bekannt und wird auf Wechselwirkungen zwischen benachbarten Basen in der Einzelstrang-DNA zurckgefhrt. c) Einzelstrangkonformationsanalyse (SSCP-Analyse)

Als drittes Screeningverfahren zur Suche nach Punktmutationen im RB1-Gen wurde die Einzelstrangkonformationsanalyse (SSCP-Analyse) etabliert und optimiert. Diese 1989 von ORITA et al. vorgestellte Methode beruht auf der Beobachtung, da einzelstrngige DNA- oder RNA- Fragmente unter nicht-denaturierenden Bedingungen durch Hybridisierungen innerhalb des Einzelstranges Rckfaltungen ausbilden (Abb. 8). Dabei knnen selbst kleine Sequenzabweichungen, wie z.B. Einzelbasensubstitutionen, Vernderungen der Sekundarstruktur bedingen. Diese sequenzabhngigen Konformationsunterschiede fhDoppelstrang-DNA normal Doppelstrang-DNA mutiert ren bei elektrophoretischer A G C T Auftrennung in einem Polyacrylamidgel unter geeigneSchmelzen der Doppelstrang-DNA ten Bedingungen zu einer Mobilittsnderung und daEinzelstrnge normalA C T

Einzelstrnge mutiertG

Abb. 8 Schematische Darstellung der Bildung von Einzelstrang-DNA mit sequenzabhngiger Konformation. DoppelstrangDNAs mit normaler (A:T) und mutierter (G:C) Sequenz werden durch thermische Denaturierung (Schmelzen) in Einzelstrnge berfhrt. Durch schnelles Abkhlen wird die Renaturierung zu DoppelstrangDNA unterdrckt. Die einzelnen DNA-Strnge knnen durch Rckfaltung Sekundrstrukturen ausbilden. Diese knnen auch durch geringe Sequenzunterschiede verndert werden.

mit zu einem Laufstreckenunterschied. Da durch die SSCP-Analyse Sequenzabweichungen unabhngig von der Anwesenheit einer Referenzsequenz erkannt werden knnen, ist diese Methode auch fr die Suche nach Punktmutationen in Tumoren

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mit nur einem mutierten Allel geeignet. Die von den einzelstrngigen Fragmenten ausgebildeten Konformationen werden wesentlich von der Temperatur bestimmt. Einen deutlichen Einflu hat desweiteren auch die Zusammensetzung des Elektrophoresepuffers. Um reproduzierbare SSCP-Ergebnisse zu erhalten sind daher konstante Bedingungen whrend der elektrophoretischen Auftrennung erforderlich. Dies wurde hier durch die Immersion der Gelkassetten in den durch ein Konstantwasserbad temperierten Anodenpuffer realisiert. Die Auftrennung kann so bei einer Temperatur durchgefhrt werden, die zwischen 5C und 35C frei einstellbar ist. Herkmmliche Protokolle der SSCP-Analyse erfordern eine radioaktive Markierung der aufzutrennenden DNA. Zum Nachweis der Einzelstrang-DNA-Banden wird das Gel nach der Elektrophorese getrocknet und dann in Kontakt mit einem Rntgenfilm gebracht (Autoradiographie). Sowohl die radioaktive Markierung als auch die fr die Autoradiographie erforderlichen Arbeiten erschweren die Durchfhrung der SSCPAnalyse. Ausgehend von eigenen Erfahrungen bei der Anwendung der SSCP-Analyse zur Mutationssuche im p53-Gen konnte hier ein nicht-radioaktiver Nachweis der Einzelstrang-DNA durch alkalische Silberfrbung eingesetzt werden (Lohmann et al. 1993). Diese Modifikationen des Protokolls fhrten zu einer guten Reproduzierbarkeit der SSCP-Bandenmuster bei hohem Probendurchsatz (Protokoll siehe Anhang 7.2.4). Ein Beispiel fr das Ergebnis einer SSCP-Analyse zeigt Abb. 9. PCR-Produkte, die das Exon 8 des RB1-Gens enthalten, wurden thermisch denaturiert, in einem SSCPGel bei 5C elektrophoretisch aufgetrennt und durch Silberfrbung dargestellt (Abbildung 9A). In der Spur 7 (Patient M2233, siehe Tab. 3, S. 25) ist ein abweichendes Banden-Muster zu erkennen. Durch Sequenzierung dieses PCR-Produktes konnte eine heterozygote Punktmutation (c751C>T, R251X) identifiziert werden (Abb. 9B). Die durch Punktmutationen bedingten nderungen der Einzelstrangkonformationen fhren oft nur bei bestimmten Temperaturen und Gelzusammensetzungen zu

Abb. 9 A, Ergebnisse der SSCP-Analyse von PCR-Produkten des Exon 8 mit abweichendem Bandenmuster (Intensittsnderung einer starken Bande) in Spur 7 (Patient M2233). B, Sequenzierung des Exon 8 PCR-Produkts in Gegenstrangrichtung bei Patient M2233 mit heterozygoter CGA nach TGA Transition im Codon 251 (c751C>T).

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Tab. 2

Ergebnisse der Auftrennung unter verschiedenen SSCP-Bedingungen.S CREENINGMETHODE HDA 5 C S G pos pos pos pos pos neg neg pos pos pos neg neg pos pos pos neg neg pos pos pos neg neg neg pos pos pos neg neg neg pos pos pos pos pos pos pos pos neg pos pos pos + ++ +++ +++ +++ +++ ++ ++ ++ +++ + +++ +++ +++ +++ ++ n.u. n.u. +++ ++ +++ +++ +++ +++ +++ +++ ++ ++ ++ +++ +++ ++ ++ +++ +++ +++ ++ +++ ++ +++ +++ +++ +++ +++ +++ +++ +++ +++ +++ +++ + +++ ++ +++ + +++ ++ ++ +++ +++ +++ +++ SSCP 15 C G + +++ +++ +++ +++ +++ + ++ +++ ++ +++ +++ ++ +++ ++ + +++ +++ ++ +++ +++ +++ +++ +++ ++ ++ + + ++ 25 C G +++ +++ +++ +++ ++ + +++ +++ +++ ++ +++ +++ +++ +++ +++ ++

PCR-PRODUKT Mutation

M +++ +++ +++ +++ +++ ++ + +++ + + +++ ++ +++ +++ ++ ++

S +++ +++ +++ +++ + + +++ + +++ +++ + ++

M ++ +++ +++ +++ +++ +++ +++ +++ + +++ +++ + +++ +++ ++

S +++ +++ +++ +++ + +++ + ++

M + ++ +++ +++ +++ +++ +++ ++ n.u. +++ +++ ++

Exon 2 c184C>T c194insA c203delA Exon 3 IVS3+1G>A IVS3+10C>G Exon 4 c409G>T c411A>T Exon 5 c532ins5 Exon 6 IVS6+1G>C IVS6+1G>T Exon 7 IVS6-24T>A Exon 8 c751C>T c763C>T c796C>T Exon 9 c909delT Exon 10 IVS9-1G>C c957C>T Exon 11 c1060C>T c1072C>T Exon 12 IVS12+1G>C Exon 13 c1332G>A IVS13+1G>A Exon 14 c1333C>T c1363C>T c1388C>G Exon 15-16 c1399C>T Exon 17 c1654C>T c1659T>A c1660G>T Exon 18 c1700C>T c1723C>T c1735C>T IVS18+1G>C Exon 19 c1901C>G c1915C>T Exon 20 c1982C>T Exon 21 c2134T>C c2158A>T Exon 23 c2359C>T c2447C>G Exon 24 c2515delT

HDA-Ergebnisse: pos, Heteroduplexbande erkennbar; neg, keine Heteroduplexbande erkennbar. SSCP-Bedingungen: S, Zusatz von 10% Sucrose zum Gelpolymer; G, Zusatz von 10% Glycerin zum Gelpolymer; , Gelpolymer ohne weitere Zustze; M, MDE-Gelpolymer. SSCP-Ergebnisse: +, Mobilittsnderung einer schwachen Bande; ++, Intensittsnderung einer starken Bande; +++, Mobilittsnderung einer starken Bande; , keine deutliche Abweichung des Bandenmusters; n.u., nicht untersucht.

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erkennbaren nderungen der elektrophoretischen Mobilitt. Um einen Anhalt fr die zur Darstellung von Mutationen in einem bestimmten DNA-Fragment am besten geeigneten Bedingungen zu gewinnen, haben wir Proben mit bekannten Mutationen bei verschiedenen Temperaturen und in unterschiedlichen Gelmatrices aufgetrennt (Tab. 2). Fr viele PCR-Produkte konnten so Bedingungen bestimmt werden, unter denen alle jeweilig untersuchten Mutanten deutlich auffllige SSCP-Muster zeigten. Bei einigen Mutationen waren jedoch unter allen hier verwendeten Bedingungen keine Vernderungen des Bandenmusters zu erkennen. Daher mu damit gerechnet werden, da durch die hier eingesetzten Screeningverfahren nicht alle Basensubstitutionen erfat werden knnen. Der Vorteil einer im Vergleich zur Sequenzierung schnellen und preiswerten Identifikation der Mehrzahl der Mutationen berwiegt jedoch bei weitem den Nachteil der unvollstndigen Sensitivitt, wenn wie hier geplant eine groe Zahl von Proben untersucht werden mu.

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4.2

Mutationsanalyse bei Patienten mit isoliert beidseitigem und familirem Retinoblastom

Zu Beginn der eigenen Arbeiten, im Jahr 1992, war das Spektrum der fr die erbliche Disposition zu Retinoblastom verantwortlichen RB1-Gen-Mutationen weitgehend unbekannt. Zytogenetisch erfabare Deletionen der Bande 13q14 wurden bei weniger als 5% der Patienten gefunden (Bunin et al. 1989). Durch qualitative und quantitative Southern Blot Hybridisierung konnten in greren Untersuchungsserien Mutationen bei 13% (Blanquet et al. 1993) bzw. 16% (Kloss et al. 1991) der Patienten mit erblichem Retinoblastom erkannt werden. Die Ergebnisse der ersten, auf die Erkennung von Punktmutationen ausgerichteten Analysen lieen die Vermutung zu, da kleine Lngenmutationen und Basensubstitutionen im Mutationsspektrum des RB1-Gens berwiegen (Yandell et al. 1989; Dunn et al. 1989). Bei vielen Patienten konnte mit den zur Verfgung stehenden Methoden jedoch keine RB1-Gen-Mutation gefunden werden. Da aber alle familiren Flle genetische Kopplung zum RB1-Gen zeigten, bestand kein Grund zu der Annahme, da auch Mutationen in anderen Genen urschlich fr die Disposition zu Retinoblastom sein knnen. Vor dem Hintergrund dieses Wissensstandes hatten unsere Untersuchungen zum Ziel: a) das Spektrum konstitutioneller Mutationen des RB1-Gens durch die Anwendung neu entwickelter Screeningverfahren (siehe Abschnitt 4.1) mglichst umfassend zu bestimmen; b) durch die Analyse der Verteilung der Mutationen Sequenzabschnitte mit erhhter Mutationsdichte zu erkennen und Hinweise auf mgliche Mechanismen der Mutationsentstehung zu gewinnen; c) Beziehungen zwischen der Art und dem Ort der Mutation und der klinischen Manifestation des Retinoblastoms aufzudecken (Genotyp-Phnotyp-Korrelation). Wir untersuchten dazu DNA aus peripherem Blut von Patienten mit isoliert beidseitigem oder familirem Retinoblastom. Diese Patienten wurden klinisch mehrheitlich in der Tumorsprechstunde der Augenklinik des Universittsklinikums Essen (bis 1995 unter der Leitung von Prof. Dr. med. W. Hpping) betreut. Bei allen Patienten war die Diagnose klinisch-ophthalmologisch und gegebenenfalls auch histopathologisch gesichert. Durch ophthalmologische Nachuntersuchungen in der Tumorsprechstunde der Augenklinik wurden die Patienten auf das Auftreten weiterer Retinoblastome hin kontrolliert. a) Ergebnisse der Mutationssuche

In einer ersten Untersuchungsreihe wurde DNA aus peripherem Blut von 119 Patienten mit isoliert beidseitigem (78 Personen) oder familirem (41 Familien) Retinoblastom zunchst durch quantitative Southern-Blot Hybridisierung auf das Vorliegen 23

groer struktureller Vernderungen des RB1-Gens untersucht. Bei 18 (15%) Patienten konnte ein ganzes oder teilweises Fehlen des Gens auf einem der homologen Chromosomen 13 nachgewiesen werden (Kloss et al. 1991, und unverffentlichte Daten). Bei den verbleibenden 101 Patienten wurden durch Multiplex-Fragmentlngenanalyse 28 kleine Insertionen bzw. Deletionen identifiziert (Lohmann et al. 1994b, 1992). Durch Anwendung der Heteroduplexanalyse, SSCP-Analyse und DNA-Sequenzierung konnten krankheitsverursachende Punktmutationen bei weiteren 55 Patienten erkannt werden (Lohmann et al. 1994a, 1996, und unverffentlichte Daten). Insgesamt gelang bei 101 (85%) von 119 Patienten die Bestimmung der krankheitsurschli15,1% 15,1% groe Deletionen chen Mutation im RB1-Gen (Tab. 3A kleine Lngenmutationen und B). Da in dieser Serie ein geschlossenes Patientenkollektiv auf 26,0% Vernderungen des gesamten Muta43,7% tionsspektrums hin untersucht wurde, erlauben die Ergebnisse die Abb. 10 Anteile verschiedener Mutationsarten am Spektrum konstitutioneller Mutationen des RB1-Gens in Schtzung der Anteile der verschieeiner Serie von 119 Patienten mit isoliert bilateralem oder denen Mutationsarten am Mutationsfamilirem Retinoblastom. spektrum des RB1-Gens (Abb. 10). Bei 18 Patienten konnte keine RB1-Gen Mutation in DNA aus peripherem Blut entdeckt werden. Dies ist zum Teil darin begrndet, da einige Mutationen im Screening nicht auffallen, obwohl sie innerhalb der untersuchten Sequenz liegen. Es ist auch mglich, da bei einigen dieser Patienten die urschlichen Mutationen auerhalb der hier analysierten Gensequenzen liegen. So wurden in einigen Genen Punktmutationen in groer Entfernung von kodierenden und regulatorischen Regionen gefunden. Diese knnen z.B. durch Aktivierung kryptischer Splice-Signale zu einer vernderten mRNA fhren (Nakai und Sakamoto 1994; Chilln et al. 1995). Die Gre der Introns des RB1-Gens zusammen fast 180 kb ist ein technisch schwer zu berwindendes Hindernis fr eine umfassende Mutationssuche in allen Bereichen genomischer DNA. Es knnen bei diesen Patienten aber auch Mutationen vorliegen, die von den hier angewandten Screeningmethoden nicht erfat werden. So wurden im RB1-Gen Deletionen gefunden, die aufgrund ihrer Ausdehnung und Lage von den hier zur Southern-BlotHybridisierung eingesetzten Sonden nicht erfat werden (Hashimoto et al. 1991; Kato et al. 1993).Basensubstitutionen keine Mutation identifiziert

24

Tab. 3AP ATIENT Nummer

Kleine Lngenmutationen im RB1-GenForm MUTATION Region Vernderung mgliche Konse quenz 109X Sequenz mutantes Allel normales AllelAGAAATTAAA A GATACCAGA AGAAATT AAA GATACCAGA 064 ACCAG TCATGTCAGAGAGA ACCAGATCATGTCAGAGAGA 067 GC A TACAGAAAAACATACGA GC TACAGAAAAAC A TACGA 121 TAACT AAAAGAAATTG TAACTTACTAAAAGAAATTG 134 TTGTTTG TTTG CACTCTTCA TTG TTTG CACTCTTCA 159 ACACAACCCA ACCCA GCAGT ACACA ACCCA GCAGT 176 GCGAG TCAGAACAGGAGTG GCGAGGTCAGAACAGGAGTG 256 GCGAGG G TCAGAACAGGAGT GCGAG G TCAGAACAGGAGT 256 TCAGAACAG AGTGCACGGA TCAGAACAGGAGTGCACGGA 259 GAATTCTC TGGACTTGTAA GAATTCTCTTGGACTTGTAA 303 AACCTTG G ATGAAGAGGTGA AACCTT G ATGAAGAGGTGA 362 AACCTTGATGA GAGGTTGA AACCTTGATGAAGAGGTTGA 362 AATTAATGAT T GATTTTAAA AATTAATGA T GATTTTAAA 386 TGAATCCAAAA AAAGTATA TGAATCCAAAAGAAAGTATA 413 AAAGAGAAATT GCTAAAGC AAAGAGAAATTTGCTAAAGC 428 AATGACA TTTTTCATAT AATGACAACATTTTTCATAT 479

G431

isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir

Exon 2

c194insA

M4440

Exon 2

c203delA

76X

M2049

Exon 3

c357insA

137X

G821

Exon 4

c401del4

L134X

G401

isoliert beidseitig familir

Exon 4

c478ins4

171X

G279

Exon 5

c532ins5

187X

G394

isoliert beidseitig familir

Exon 8

c767delG

263X

M2595

Exon 8

c767insG

270X

G429

familir

Exon 8

c777delG

263X

G1115

isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir

Exon 9

c909delT

306X

G492

Exon 11

c1087insG

364X

M655

Exon 11

c1092delA

366X

G414

isoliert beidseitig familir

Exon 12

c1160insT

394X

G452

Exon 13

c1237delG

416X

M1104

isoliert beidseitig familir

Exon 13

c1290delT

432X

G281

Exon 16

c1439delACA

delN480

25

G415

isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir

Exon 16

c1450delAT

491X

GACAACATTTTTCAT GTC GACAACATTTTTCATATGTC 479 TGTCTT G(8)TCTTGA TGTCTTTATTG(8)TCTTGA 486 GTAATGGCCA TATAGCAG GTAATGGCCACATATAGCAG 496 ttagGA GTACATCTCAGAA ttagGAAGTACATCTCAGAA 501 GGAACAGATT GTCTTTCCC GGAACAGATTTGTCTTTCCC 511 GCAGAA ATG GCAGAAGG(11)GAGAAATG 539 CTGCAGCAGA GA TATgtaag CTGCAGCA GA TATgtaag 604 TCTTTCTCCT AAGATCTC TCTTTCTCCTGTAAGATCTC 610 ATCTACCT TCTTTCACTGT ATCTACCTCTCTTTCACTGT 646 TAAAAAAG ttagtagatga TAAAAAAGgttagtagatga 653 TAAAAAAG ttagtagatga TAAAAAAGgttagtagatga 653 ATCA(12)TC CA(12)TC CA AT CA(12)TC CA 679 ATTGTA CAGCATACAAAGG ATTGTAACAGCATACAAAGG 726 ATCTTCC CATGCTGTTCAG ATCTTCCTCATGCTGTTCAG 732 ATCTTCCTCATG G CTGTTCA ATCTTCCTCAT G CTGTTCA 732 TATAGTAT ATAACTCGG TATAGTATTCTATAACTCGG 755 tctagCCCC TACCTTGTCA tctagCCCCCTACCTTGTCA 777 TTTCCT TACG TTTCCTAGTTCACCCTTACG 793

G419

Exon 16

c1457del4

490X

G448

Exon 16

c1490delCA

498X

G364

Exon 17

c1501delA

518X

G32

isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir

Exon 17

c1535delT

518X

G384

Exon 17

c1618del18

delG540 E545 611X

G457

Exon 18

c1811insGA

G232

familir

Exon 19

c1828delGT

651X

G362

familir

Exon 19

c1937delC

657X

G376

isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir

Intron 19

IVS19+1delG

splice donor splice donor 696X

M3829

Intron 19

IVS19+1delG

M1932

Exon 20

c2052ins16

G367

Exon 21

c2176delA

743X

G385

familir

Exon 21

c2196delT

743X

G435

familir

Exon 21

c2200insG

750X

G387

isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig

Exon 22

c2264delTCT

delF755

G834

Exon 23

c2330delC

809X

G1129

Exon 23

c2380del10

810X

26

G407

isoliert beidseitig familir

Exon 23

c2415delT

Y805X

ACATCTA ATTTCACCCCTG ACATCTATATTTCACCCCTG 805 ACATCTA ATTTCACCCCTG ACATCTATATTTCACCCCTG 805 TTTCACCC TGAAGAGTCCA TTTCACCCCTGAAGAGTCCA 809 TCAT CGGGgtgagtatttt TCATTCGGGgtgagtatttt 840 TCATTCGGGgt atttt TCATTCGGGgtgagtatttt 840

G1358

Exon 23

c2415delT

Y805X

G10

familir

Exon 23

c2425delC

L809X

M4525

familir

Exon 24

c2516delT

848X

G444

isoliert beidseitig

Intron 24

IVS24+3del4

splice donor

Leerschritte sind eingefgt, um den Sequenzvergleich zu erleichtern. Exonsequenzen in Grobuchstaben, Intronsequenzen in Kleinbuchstaben; repetitive Sequenzen in Kursivschrift; Nummerierung zeigt Codonpositionen an. Die Kurznomenklatur zur Notation der Mutationen ist in Anhang Abschnitt 7.1 erlutert.

Tab. 3BP ATIENT Nr G349 M2648 G421 G162 G381 M2188 G383 G405 G422 M2233 M3748 G420 G392 G447 G368 G371 G372

Basensubstitutionen im RB1-GenForm familir isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir isoliert beidseitig MUTATION Region Vernderung Exon 3 Intron 3 Exon 4 Intron 6 Intron 6 Intron 6 Exon 8 Exon 8 Exon 8 Exon 8 Exon 8 Exon 8 Exon 8 Intron 9 Exon 10 Exon 10 Exon 10 c296G>A IVS3+1G>A c409G>T IVS6+1G>T IVS6+1G>C IVS6+1G>C c751C>T c751C>T c751C>T c751C>T c751C>T c763C>T c796C>T IVS9-1G>C c957AC>GT c958C>T c958C>T mgliche Konsequenz W99X invariable Base E137X invariable Base invariable Base invariable Base R251X R251X R251X R251X R251X R255X Q266X invariable Base R320X R320X R320X SequenzTGG TAG AGgtaaagt AGataaagt GAA TAA AGgtaagt AGttaagt AGgtaagt AGctaagt AGgtaagt AGctaagt CGA TGA CGA TGA CGA TGA CGA TGA CGA TGA CGA TGA CAA TAA tccagagG tccagacG AAACGA AAGTGA CGA TGA CGA TGA

27

G432 M1317 M5014 G365 G94 G434 G486 G823 M4193 G488 M1510 M4197 G497 G1 M2779 G397 G417 G468 G1092 G416 M4693 M3254 G1505 G430 G496 G1001 G393 M624 M2481 M2904 G740 G189

isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir isoliert beidseitig familir familir familir familir isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir familir isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir familir

Exon 10 Exon 10 Exon 10 Exon 11 Exon 11 Exon 11 Exon 11 Exon 11 Exon 11 Intron12 Intron12 Intron12 Intron12 Intron 13 Intron 13 Exon 14 Exon 14 Exon 14 Exon 14 Exon 14 Exon 14 Exon 14 Intron 14 Exon 15 Exon 15 Exon 15 Intron 16 Exon 17 Exon 17 Exon 17 Exon 17 Exon 17

c958C>T c958C>T c958C>T c1060C>T c1072C>T c1072C>T c1072C>T c1072C>T c1072C>T IVS12+1G>A IVS12+1G>A IVS12+1G>A IVS12+1G>A IVS13+1G>A IVS13+1T>C c1333C>T c1333C>T c1333C>T c1333C>T c1363C>T c1363C>T c1388C>G IVS14+5G>A c1399C>T c1399C>T c1399C>T IVS16+5G>A c1654C>T c1654C>T c1654C>T c1659T>A c1660G>T

R320X R320X R320X Q354X R358X R358X R358X R358X R358X invariable Base invariable Base invariable Base invariable Base invariable Base invariable Base R445X R445X R445X R445X R455X R455X R463X CV:79 64 R467X R467X R467X CV: 79 64 R552X R552X R552X C553X E554X

CGA TGA CGA TGA CGA TGA CAG TAG CGA TGA CGA TGA CGA TGA CGA TGA CGA TGA ACgtaagc ACataagc ACgtaagc ACataagc ACgtaagc ACataagc ACgtaagc ACataagc AGgtaact AGataact AGgtaact AGgcaact CGA TGA CGA TGA CGA TGA CGA TGA CGA TGA CGA TGA TCA TGA CAgtaagt CGgtaaat CGA TGA CGA TGA CGA TGA CAgtaagt CAgtaaat CGA TGA CGA TGA CGA TGA TGT TGA GAA TAA

28

G438 G461 G445 G818 G852 G1313 G1111 G373 G377 M1007 G442 M3256 G382 M1483 G370 G433 G449 G917 M4086 M2696 G1241

isoliert beidseitig familir isoliert beidseitig familir familir familir isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir familir familir isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig familir isoliert beidseitig isoliert beidseitig isoliert beidseitig

Intron 17 Exon 18 Exon 18 Exon 18 Exon 18 Exon 18 Intron 18 Exon 19 Exon 19 Exon 20 Exon 20 Exon 20 Exon 21 Exon 21 Exon 23 Exon 23 Exon 23 Exon 23 Exon 23 Exon 23 Exon 23

IVS17+3A>C c1723C>T c1735C>T c1735C>T c1735C>T c1735C>T

CV: 79 69 E575X R579X R579X R579X R579X

CAgtaagt CAgtcagt CAA TAA CGA TGA CGA TGA CGA TGA CGA TGA ATgtaagc ATctaagc TCA TGA CAG TAG CGG TGG CGG TGG CTA TTA TAC TAA TGC CGC CGA TGA CGA TGA CGA TGA CGA TGA CGA TGA CGA TGA TCA TGA

IVS18+1G>C invariable Base c1901C>G c1915C>T c1982C>T c1982C>T c1985C>T c2184C>A c2134T>C c2359C>T c2359C>T c2359C>T c2359C>T c2359C>T c2359C>T c2447C>G S634X Q639X R661W R661W L662P Y728X C712R R787X R787X R787X R787X R787X R787X S816X

CV, Konsensuswerte nach Shapiro und Senapathy (1987). Die Kurznomenklatur zur Notation der Mutationen ist in Anhang Abschnitt 7.1 erlutert.

Insgesamt liegt die hier erzielte Rate gefundener Mutationen mit 85% weit ber der vergleichbarer Studien: BLANQUET et al. (1993; 1994; 1995) fanden Mutationen bei 46 von 176 (26%) Patienten mit erblichem Retinoblastom und einer Gruppe um COWELL gelang der Mutationsnachweis bei 54 von 113 (48%) Patienten (Liu et al. 1995; Cowell et al. 1994). In einer zweiten Serie untersuchten wir weitere 44 Patienten mit isoliert beidseitigem (37 Personen) oder familirem Retinoblastom (7 Familien). Bei diesen war zuvor durch Southern-Blot Hybridisierung (intragene Sonde H3.8, Horsthemke et al. 1987) oder Segregationsanalyse intragener polymorpher Marker (Lohmann et al. 1995) kein Hinweis auf das Vorliegen groer struktureller Vernderungen des RB1-Gens gefunden worden. Durch Heteroduplex- und SSCP-Analyse wurden bei 26 (59%) der Patienten onkogene Mutationen des RB1-Gens gefunden (Tab. 3A und B). Die geringere Mutationsfinderate in der zweiten Untersuchungsserie ist durch die Auswahl aus einer zuvor schon auf groe Strukturvernderungen hin untersuchten Patientengruppe bedingt. 29

26,6%

9,2%

Basensubstitutionen kleine Deletionen kleine Insertionen

6%

30%

In-frame Deletionen und Insertionen, Missense-Mutationen Splice-Mutationen Frameshift Deletionen und Insertionen Nonsense-Mutationen

17%

A

64,2%

B

47%

Abb. 11 A, Verteilung der Mutationsarten unter 109 Punktmutationen des RB1-Gens. B, Spektrum der funktionellen Konsequenzen unter diesen RB1-Gen-Mutationen.

Insgesamt konnten bei 109 nicht miteinander verwandten Patienten Punktmutationen im RB1-Gen identifiziert werden (Abb. 11). Von den meisten dieser Vernderungen kann aufgrund ihrer Art und Lokalisation angenommen werden, da sie die Expression oder Funktion des RB-Proteins wesentlich beeintrchtigen: Die berwiegende Mehrheit der Lngenvernderungen (33 von 39, 85%) sind in kodierenden Regionen des Gens lokalisiert und fhren durch eine Leserasterverschiebung zur Bildung eines vorzeitigen Stop-Codons (Frameshift-Mutationen). Durch 51 von 70 Basensubstitutionen werden fr Aminosuren kodierende in Stop-Codons umgewandelt (Nonsense-Mutationen). Drei Lngenmutationen und 14 Basensubstitutionen fhren zu einer wesentlichen Vernderung hoch-konservierter Splice-Donor-Sequenzen. Dabei sind berwiegend die invariablen +1 (Guanin) und +2 (Thymin) Positionen betroffen. Vernderungen an diesen Positionen fhren zum Verlust des vorangehenden Exons (Exon-Skipping) in der reifen mRNA (Nakai und Sakamoto 1994; Krawczak et al. 1992) und damit zu Deletionen. Mit Ausnahme der Splice-Donor-Mutationen des Intron 13 (Patient G1 und M2279) bedingen die Splice-Site-Mutationen eine Verschiebung des Leserasters und vorzeitige Stop-Codons. Die Auslassung des Exon 13 fhrt dagegen zu keiner Verschiebung des Leserasters. Die deletierte Region kodiert fr 39 Aminosuren, die Teil der Pocket-Domnene A sind. Von der Deletion mit erfat ist eines der vier Cysteine, die fr die Protein- und DNABindung erforderlich sind (Stirdivant et al. 1992; Kratzke et al. 1992). Daher ist anzunehmen, da es infolge der Splice-Donor-Mutationen im Intron 13 zu einer wesentlichen Beeintrchtigung der Funktion des Rb-Proteins kommt. Strungen des Splicing sind nicht nur von den Mutationen zu erwarten, die invariable Positionen der konservierten Splice-Donor-Sequenz verndern. Viele SpliceMutationen verursachen durch eine deutliche Minderung der hnlichkeit zur Konsensus-Sequenz eine Strung der Splice-Site-Erkennung (Nakai und Sakamoto 1994). Das Ausma der Minderung kann durch die Ermittlung des Konsensus-Wertes (Consensus Value nach Shapiro und Senapathy 1987) quantifiziert werden. Zu verndertem Splicing knnen auch Mutationen der konser 30

vierten Splice-Akzeptor-Sequenz fhren (Nakai und Sakamoto 1994). Eine Basensubstitution der invariablen -1 Position des Intron 10 wurde bei einem Patienten (G447) gefunden. Untersuchungen von DUNN et al. (1989) haben gezeigt, da Transkripte des RB1-Gens, die vorzeitige Stop-Codons tragen, in konstitutionellen Zellen nicht nachweisbar sind. Diese Beobachtung konnte von KATO et al. (1994) bei weiteren RB1-Gen-Mutationen besttigt werden. Aufgrund dieses Phnomens, das auch bei Transkripten anderer Gene beobachtet wurde (McIntosh et al. 1993), kann vermutet werden, da von Allelen mit vorzeitigen Stop-Codons in konstitutionellen Zellen keine verkrzten Proteine gebildet werden. Bei einem nur kleinen Teil der hier identifizierten Mutationen sind vergleichsweise geringe Vernderungen der Aminosuresequenz des mutanten Proteins zu erwarten: Drei Deletionen innerhalb der kodierenden Sequenz fhren zu keiner Vernderung des Leserasters (In-Frame Deletionen): Eine 18bp Deletion in Exon 17 bei Patient G384 verursacht den Verlust von 6 Aminosuren (G540E545) in einer fr die Funktion des Rb-Proteins kritischen Pocket-Domne (siehe Abschnitt 3). Bei Patient G387 ist durch eine 3bp Deletion das Codon fr die Aminosure F755 deletiert, die ebenfalls Teil einer Pocket-Domne ist. Durch die Analyse von mutanten Formen muriner Rb1-cDNA konnnte gezeigt werden, da selbst kleine In-Frame Deletionen in dem zu F755 homologen Bereich die Proteinbindung und Phosphorylierung des Rb-Proteins beeintrchtigen (Hamel et al. 1992; Hamel et al. 1990). Daher ist zu vermuten, da durch die Deletion von F755 eine wesentliche Funktionseinschrnkung verursacht wird. Die bei Patient G281 mit familirem Retinoblastom identifizierte 3bp Deletion fhrt zum Verlust der Aminosure N480, die Teil der Pocket-Domne A ist. Ein Vergleich mit der Sequenz der Maus (Bernards et al. 1989) und des Huhns (Feinstein et al. 1993) zeigt in beiden Spezies ebenfalls ein Asparagin an den jeweils homologen Positionen. Diese Konservierung spricht fr die funktionelle Bedeutung der Aminosure N480. Auch lt die Beobachtung, da das mutante Allel in dieser Familie ber drei Generationen gemeinsam mit der Disposition zu Retinoblastom vererbt wird die Vermutung zu, da diese Vernderung krankheitsurschlich ist (siehe auch Abschnitt 4.2c und Stambaum in Abb. 18).

31

Vier Patienten zeigten Basensubstitutionen, die zum Austausch einer Aminosure fhren (Missense-Mutation): Bei Patient M1483 ist das Codon fr Cystein (T GC) an Position 712 in ein fr T Arginin codierendes Triplett (C GC) verndert. Die Cysteine an den PositioC nen 407, 553, 666 und 706 sind fr eine normale Protein- und DNA-Bindung erforderlich (Stirdivant et al. 1992; Kratzke et al. 1992). Obwohl eine solche Bedeutung fr die Aminosure C712 nicht gezeigt werden konnte, ist eine Beeintrchtigung der normalen Funktion des RB-Proteins durch den C712R Austausch wahrscheinlich. Gegen die Mglichkeit, da diese Sequenzabweichung ein neutraler genetischer Polymorphismus ist spricht auch, da sie bei den Eltern des Patienten nicht nachweisbar ist und somit neu aufgetre-

ten ist. Bei Patientin M3256 mit familirem Retinoblastom besteht ein Austausch von Leucin nach Prolin an Position 662 (L662P), die Teil der Pocket-Domne B ist. Infolge des Einbaus von Prolin, das aufgrund einer zyklischen Struktur eine fixierte Konformation aufweist, kann eine Strung der Faltung des RBProteins erwartet werden. Die Mutation ist bei der Mutter (II-2) neu aufgetreten (Stammbaum siehe Abb. 16B, S. 40) und hat bei beiden mutationstragenden Kindern (III-1 und III-2) zu beidseitigem Retinoblastom gefhrt. Bei zwei, nicht miteinander verwandten Patienten mit familirem Retinoblastom wurde die gleiche Mutation (c1982C>T, R661W) gefunden. Diese Mutation wurde auch von anderen Arbeitsgruppen in Familien mit Retinoblastom identifiziert (Onadim et al. 1992; Yandell et al. 1991). Die Untersuchung des in vitro translatierten mutanten Proteins zeigte einen Verlust der Fhigkeit, den E2F Transkriptionsfaktor zu binden (Kratzke et al. 1994). Nach transienter Transfektion in Tumorzellen ohne funktionelle RB1-Allele wurde das mutante Protein jedoch hyperphosphoryliert und in den Zellkern transloziert (Kratzke et al. 1994). Wie in Abschnitt 4.2c nher ausgefhrt, zeigen heterozygote Trger dieser Mutation eine verminderte Disposition zu Retinoblastom (Stammbume siehe Abb. 17). Zustzlich zu den oben beschriebenen onkogenen Mutationen haben wir bei 6 der untersuchten Patienten Sequenzabweichungen gefunden, deren funktionelle Bedeutung nicht offensichtlich ist (Tab. 4). Da diese jeweils nur einmal in einer groen Zahl von Patienten gefunden wurden, handelt es sich nicht um hufige Sequenzpolymorphismen. Auch von anderen Arbeitsgruppen konnten im RB1-Gen verschiedene, seltene Sequenzvarianten identifiziert werden (Blanquet et al. 1995; Shimizu et al. 1994). In Tumor-DNA eines Patienten mit isoliert einseitigem Retinoblastom wurde eine 1bpDeletion (IVS14-17delT) am 3-Ende des Intron 14 berichtet (Shimizu et al. 1994), die 32

Tab. 4 Seltene SequenzvariantenPatient G1092 G32a G421b Ort Intron 3 Abweichung IVS3+10C>G Sequenz wt: AGgtaaagtttcttgt var: AGgtaaagtttgttgt wt: ctttctttaaaaatgt var: ctttcttaaaaaatgt wt: ACT ACG CGT var: ACT ACA CGT wt: caacttcttttttttt var: caacttcttttgtttt wt: caacttc(14t)aaat var: caacttc(13t)aaat wt: actgttcttcctcagA var: actgatcttcctcagA

Intron 6

IVS6-24T>A

Exon 19

c1860G>A

G375 G468c

Intron 14

IVS14-26T>G

Intron 14

IVS14-17delT

der bei Patient G468 gefundenen Sequenzvariante entspricht. Das deletierte Basenpaar ist Teil des poly-PyrimidinTraktes im Bereich der Splice-Akzeptor-Sequenz dieses Introns. Vom CFTR-Gen ist bekannt, da eine verminderte Lnge des poly-

Pyrimidin-Traktes im Splice-Akzeptor des InZustzlich konnte bei folgenden Patienten an anderer Stelle im RB1Gen eine onkogene Mutation identifiziert werden: a, c1535delT, b, tron 8 zur Auslassung des c409G>T, c, c957AC>GT Exon 9 in der reifen mRNA fhren kann (Chu et al. 1993). Da, wie bereits erwhnt, Transkripte von RB1Allelen mit vorzeitigen Stop-Codons in konstitutionellen Zellen nicht nachweisbar sind, kann der Effekt der analogen Vernderung im Intron 14 des RB1-Gens nicht berprft werden. Bei Patient G468 und zwei weiteren Patienten wurden jedoch zustzlich zu seltenen Sequenzvarianten auch Mutationen mit unzweifelhafter funktioneller Konsequenz an anderer Stelle im Gen gefunden. Dies besttigt die Vermutung, da es sich bei diesen Varianten nicht um die krankheitsurschlichen Mutationen handelt.G497 Intron 21 IVS20-11T>A

b)

Verteilung der Mutationen

Durch die Analyse der rtlichen Verteilung der Mutationen in der Sequenz des RB1-Gens knnen Orte mit erhhter Mutationsdichte erkannt werden. Die Kenntnis solcher Hufungspunkte (Hot-Spots) ist fr die Planung eines effizienten Mutationsscreening wichtig. Zustzlich lassen die in diesen Regionen aufzufindenden Sequenzmotive Aufschlsse ber mgliche Mechanismen der Mutationsentstehung zu. Da Lngenmutationen und Basensubstitutionen ein unterschiedliches Verteilungsmuster zeigen, werden sie im folgenden getrennt betrachtet. rtliche Verteilung der Lngenmutationen Die Verteilung der hier identifizierten kleinen Lngenmutationen ist in Abb. 12 A gezeigt. Die Mutationsorte sind ohne offensichtliche Hot-Spots fast ber die gesamte untersuchte Sequenz des RB1-Gens verstreut. Bei genauerer Analyse knnen jedoch Gemeinsamkeiten bei den von kleinen Lngenvernderungen betroffenen Sequenzen erkannt werden: 33

100 bp

25

23

22

21

20

19

18

17

16

13

11 12

10

9

8

7

6

4

3

2

1

A

1

2

3

4

6

7

8

9

10

11 12

13

16

17

18

19

20

21

22

23

25

Abb. 12 A Verteilung kleiner Deletionen und Insertionen bei Patienten mit erblichem Retinoblastom. Nach unten weisende Pfeile: Orte mit kleinen Lngenmutationen bei hier untersuchten Patienten; nach oben weisende Pfeile: von anderen Arbeitsgruppen bei Retinoblastom berichtete Lngenmutationen (T auf eine Transition des Cytosin an Position 958 der kodierenden Sequenz. Zur Bezeichnung kleiner Deletionen wird zuerst das von dem Verlust erfate Nukleotid gennant und dann die Lnge der Deletion angegeben. Bei Deletionen unter 4 Basenpaaren wird zustzlich die deletierte Sequenz angegeben. Die Bezeichnung c203delA bezeichnet einen Verlust des Nukleotids A an Position 203 der kodierenden Sequenz. Zur Bezeichnung kleiner Insertionen wird zuerst das vor der Einfgung liegende Nukleotid gennant und dann die Lnge der Insertion angegeben. Bei Insertionen unter 4 Basenpaaren wird zustzlich die eingefgte Sequenz angegeben. Die Bezeichnung c357insA bezeichnet die Einfgung eines Adenin hinter das 357te Nukleotid kodierender Sequenz.

83

7.2

Methoden

Die meisten der hier verwendeten Methoden (Extraktion von DNA aus Blut und Tumorgewebe, Polymerasekettenreaktion, Agarosegelelektrophorese usw.) sind Standardverfahren der molekulargenetischen Analyse. Ihre Durchfhrung ist in Protokollhandbchern molekulargenetischer Techniken ausfhrlich beschrieben (siehe z.B. Sambrook, J., Fritsch, E.F., Maniatis, T. (Herausgeber). Molecular Cloning: A Laboratory Manual. 2nd ed. Cold Spring Harbor Press, 1989). Fr einige der hier durchgefhrten Analysen wurden von Herstellern entwickelte Verfahren nach den empfohlenen Protokollen angewendet. 7.2.1 Sequenzen der verwendeten PCR-Primer Die Sequenzen der zur Amplifikation und Sequenzierung der verschiedenen Abschnitte des RB1-Gens eingesetzten Primer und die jeweils zur Amplifikation verwendeten Reaktionsbedingungen sind in Tabelle 7 aufgefhrt. 7.2.2 Multiplex-Fragmentlngenanalyse Die verschiedenen Abschnitte des RB1-Gens wurden in Multiplex-PCR Anstzen oder einzeln unter Verwendung Fluoreszenz-markierter Primer vermehrt und zur simultanen Analyse zusammengegeben (siehe Tabelle 1). Die Produkte wurden mit T4-DNA-Polymerase behandelt, um die durch die Taq-DNA-Polymerase bei einem Teil der Produkte am 3-Ende angefgten berhngenden Nukleotide zu entfernen (Clark 1988). Nach Zugabe von ROX-2500 DNA Lngenstandard (Applied Biosystems) und deionisiertem Formamid wurde die DNA mittels Hitze denaturiert und in einem Applied Biosystem 373 Sequenzierautomaten unter Verwendung eines 6%-igen Polyacrylamidgels (Acrylamid : Bisacrylamid = 19:1) elektrophoretisch aufgetrennt. Die Daten wurden mittels der Genescan Analysesoftware ausgewertet (Applied Biosystems). 7.2.3 Heteroduplexanalyse Die verschiedenen Abschnitte des RB1-Gens wurden in einzelnen PCR Anstzen vermehrt. Zwei bis 4 l des Produkts wurden mit einem gleichen Volumen Ladepuffer (20% Ethylenglycol, 70% Formamid, 1x TTE-Puffer {89 mM TRIS, 15mM Taurin, 0.5 mM EDTA, pH=9}, 0,025 Xylencyanol) versetzt und in einem 10%-igen Polyacrylamidgel (Acrylamid : Bisacrylamid = 39:1) bei einer konstanten Temperatur von 30 C und einer Spannung von 200V elektrophoretisch aufgetrennt. Nach einer Laufzeit von 15 bis 20 Stunden wurde die im Gel enthaltene DNA in einem Bad mit Ethidiumbromid (1 g/ml) gefrbt und unter einem UV-Transilluminator sichtbar gemacht.

84

Tab. 7Region

Primersequenzen fr regulatorische und kodierende Regionen des RB1-GensName Rbi0se Rbi0as Rbi1se Rbi1as Rbi1Blm Rbi2se Rbi2as Rbi3se Rbi3as Rbi4se Rbi4as Rbi5se Rbi5as Rbi6se Rbi6as Rbi7se Rbi7se Rbi8se Rbi8as Rbi9se Rbi9as Rbi10se Rbi10as Rbi11se Rbi11as Rbi12se Rbi12as Rbi13se Rbi13as Rbi14se Rbi14asint Rbi15 Rbi16 Rbi17se Rbi17seint RBi17asint Rbi17as Rbi18se Rbi18as Rbi19se Rbi19as Rbi20se Rbi20as Rbi21se Rbi21as Rbi22se Rbi22as Rbi23se Rbi23as Rbi24se Rbi24as Rbi25se Rbi25as Rbi26se Rbi26as Rbi27se Rbi27as RbipAse RbipAas Sequenz (5 nach 3) GCGAATTCCCAAAAGGCCAGCAAGTGTCTAAC GCGAATTCAATTTCAACGTCCCCTGAGAAAAACCG GCGAATTCGTGCGCGCGCGTCGTCCTCC GCGAATTCGGCCCCTGGCGAGGACGGGTC CCCTCGCCCAAGAACCCAGAATC GCGAATTCGTATGTACTGAATCAATTTG GCGAATTCGAAGTTGGTTTTAAAATGAG GCGAATTCTAACATAGTATCCAGTGTGTG GCGAATTCGTTTCCTTTTATGGCAGAGG GCGAATTCGAAATAACACAAATTTTTAAGG GCGAATTCAGTGTAACCCTAATAAAATG AGCATGAGAAAACTACTATG CCTAACTATCAAGATGTTTG GCGAATTCTTTCAGTGATACATTTTTCC GCGAATTCAATTTAGTCCAAAGGAATGC GCGAATTCTCTCATACAAAGATCTG GCGAATTCAATAAGCAACTGCTGA GCGAATTCATTGTTCTTATCTAATTTACCAC GCGAATTCTACATCTAAATCTACTTTAACTG GCGAATTCTGCATTGTTCAAGAGTCAAGAG GCGAATTCAATTATCCTCCCTCCACAGTC GCGAATTCAAAGGATAATTGTCAGTGACT GCGAATTCTACCTATATCAGTATCAAC GCGAATTCGAGACAACAGAAGCATTATAC GCGAATTCTGAAACACTATAAAGCCA GCGAATTCATTGCTTAACACATTTTC GCGAATTCTTTGCCAAGATATTACAA GCGAATTCATCCTCGACATTGATTTCTG GCGAATTCTAGTACCACGAATTACAATG GCGAATTCTGATTTTCTAAAATAGCAGGCTC GATGATCTTGATGCCTTGAC GCGAATTCAATGCTGACACAAATAAGGTTTC GCGAATTCGATCTAAAATAAGCATTCCTTCTCC GCGAATTCCAAAAAAATACCTAGCTCAAG TTCCCATGGATTCTGAATGTG GATGTTCACATCGTTCTAAATG GCGAATTCGTTAAGAAACACCTCTCACTAAC GCGAATTCAATTATGCTTACTAATGTGG GCGAATTCAGTTTGATGGTCAACATAAC GCGAATTCAACTTGAAATGAAGACTTTTCC GCGAATTCTAGTTTCAGAGTCCATGCTC GCGAATTCGACTAATTTTTCTTATTCCCAC GCGAATTCGAGGAGAGAAGGTGAAGTGC GCGAATTCCATGTAATAAAATTCTGACTAC GCGAATTCCTATGTTATGTTATGGATATGG GCGAATTCCTTTATAATATGTGCTTCTTACCAG GCGAATTCGTTTTGGTGGACCCATTACATTAG GCGAATTCATGTAATGGGTCCACCAAAAC GCGAATTCTTTACTACTTCCCTAAAGA GTATTTATGCTCATCTCTGC ATGAGGTGTTTGAATAACTG GCGAATTCTTGAGGTTGCTAACTATGAAACAC GCGAATTCTGGATTCCCCAGATGACCATC GCGAATTCATCGAAAGCATCATAGTTAC GCGAATTCGAAAAGACTTCTTGCAGTG GCGAATTCAATGCTGTTAACAGTTCTTC GCGAATTCTGTGAGAGACAATGAATCC GCGAATTCAGAGATCGTGTATTGAG GCGAATTCGGAAATCTCTAGCATATAG Ta (C) 52 621

Promoter

Exon 1

Exon 2 Exon 3 Exon 4 Exon 5 Exon 6 Exon 7 Exon 8 Exon 9 Exon 10 Exon 11 Exon 12 Exon 13 Exon 14 Exon 15/16

52 58 55 55 55 58 55 55 58 55 55 58 55 55

Exon 17

55

Exon 18 Exon 19 Exon 20 Exon 21 Exon 22 Exon 23 Exon 24 Exon 25 Exon 26 Exon 27 poly(A) Signal

55 55 58 55 55 58 55 55 55 55 52

1 Reaktionsansatz mit 2.5% DMSO

85

7.2.4 SSCP Einzelne Abschnitte des RB1-Gens wurden durch PCR vermehrt. Drei l des Produkts wurden mit einem gleichen Volumen Denaturierungspuffer (deionisiertes Formamid, 0,025 Xylencyanol) versetzt und nach Hitzedenaturierung (2 min bei 95 C) in einem Gemisch aus Isopropanol und Trockeneis schnell abgekhlt. Ohne Verzug wurden die Proben in einem 9%-igen Polyacrylamidgel (Acrylamid : Bisacrylamid = 49:1) bei einer konstanter Temperatur und einer Leistung von 15W elektrophoretisch aufgetrennt. Nach einer Laufzeit von 15 bis 20 Stunden wurde die im Gel enthaltene DNA durch eine Silberfrbung sichtbar gemacht. 7.2.5 Sequenzierung Als Templates fr die Sequnzierreaktionen wurden PCR-Produkte verwendet, die durch Ultrazentrifugation (Microcon-100) von nicht eingebauten Primern und freien Nukleotiden gereinigt worden waren. Fr die Sequenzreaktion wurde die Farbstoffterminatorentechnologie in Kombination modifizierter Taq-DNA-Polymerase eingesetzt (Cycle-Sequencing Dye Terminator Kit, Applied Biosystems). Die Auftrennung der Reaktionsprodukte erfolgte auf einem 373 Sequencer oder 310 Genetic Analyzer (Applied Biosystems). Die Daten wurden mittels der Seq