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 Tschechien und Slowakei Robert Schuster Völker und Nationen werden in ihrer Existenz oft von gro- ßen und tief verwurzelten Geschichtsbildern und Mythen begleitet. Manchmal stellen diese Geschichtsbilder eine Bürde dar, die es unmöglich macht, weitreichende Ver- änderungen in Gesellschaft und Politik anzuregen und vor- zu nehmen. Insofern können Geschichtsb il der und ge - schichtliche Mythen auch hinderlich sein, wenn es darum geht, in gesellschaftlichen Kreisen oder in der kommuna- len und regionalen Arbeit neue Entwicklungen anzuregen und durchzuführen. Doch Geschichtsbilder können durch- aus auch positiv behaftet sein und als Chance und Inspira- tion dienen; in turbulenten Zeiten können sie von daher auch zu wicht igen Ankern werden. Die Geschichtsbilde r, von denen im Zusammenh ang mit Tschechien und der Slowakei die Rede sein wird, las- sen sich unterscheiden in solche, die ihren Ursprung geo- graphisch gesehen außerhalb dieser beiden Länder haben, und solche, deren Wurzeln im Inneren der Tschechen und Slowaken liegen. Di e erste Form von Geschichts bildern ist vor allem durch das Verhältnis der beiden Länder zur Außenwelt und zu ihren Nachbarn geprägt; die zweite Form von Ge- schichts bi ldern, die von den jeweil ig en Gesellscha ft en selbst geprägt sind, betrifft vor allem ihren Status und ihre Lebensweise als moderne Nationalstaaten. Natürlich las- sen sich beide Formen nicht exakt von einander trennen, vielmehr stehen sie zueinander in einem komplexen und

Geschichtsbilder Tschechien-Slowakei

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Geschichte

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  • Tschechien und Slowakei

    Robert Schuster

    Vlker und Nationen werden in ihrer Existenz oft von gro-en und tief verwurzelten Geschichtsbildern und Mythenbegleitet. Manchmal stellen diese Geschichtsbilder eineBrde dar, die es unmglich macht, weitreichende Ver-nderungen in Gesellschaft und Politik anzuregen und vor-zunehmen. Insofern knnen Geschichtsbilder und ge-schichtliche Mythen auch hinderlich sein, wenn es darumgeht, in gesellschaftlichen Kreisen oder in der kommuna-len und regionalen Arbeit neue Entwicklungen anzuregenund durchzufhren. Doch Geschichtsbilder knnen durch-aus auch positiv behaftet sein und als Chance und Inspira-tion dienen; in turbulenten Zeiten knnen sie von daherauch zu wichtigen Ankern werden.

    Die Geschichtsbilder, von denen im Zusammenhangmit Tschechien und der Slowakei die Rede sein wird, las-sen sich unterscheiden in solche, die ihren Ursprung geo-graphisch gesehen auerhalb dieser beiden Lnder haben,und solche, deren Wurzeln im Inneren der Tschechen undSlowaken liegen.

    Die erste Form von Geschichtsbildern ist vor allemdurch das Verhltnis der beiden Lnder zur Auenweltund zu ihren Nachbarn geprgt; die zweite Form von Ge-schichtsbildern, die von den jeweiligen Gesellschaftenselbst geprgt sind, betrifft vor allem ihren Status und ihreLebensweise als moderne Nationalstaaten. Natrlich las-sen sich beide Formen nicht exakt von einander trennen,vielmehr stehen sie zueinander in einem komplexen undkomplizierten Verhltnis.

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  • Bei kleineren Vlkern oder Nationen kommt es wohlhufiger als bei groen Nationen vor, dass sie Einflsse vonauen weitaus schneller und strker absorbieren. Viele Ge-schichtsbilder in den Lndern Mitteleuropas hngen auchmit deren nationaler Struktur zusammen; sie sind stark be-einflusst von dem Umstand, dass auf ihren Territorien na-tionale Minderheiten leben. Zwischen Minderheit undMehrheitsvolk entsteht oft eine Spannung, die dadurch her-vorgerufen wird, dass eine Minderheit ihr wenn man so sa-gen will Muttervolk in der unmittelbaren Nachbarschafthat, eine Situation, die fr Mitteleuropa nicht untypisch ist.

    Unter diesen Gesichtspunkten lassen sich fnf Ge-schichtsbilder ausmachen, deren Entwicklungen und Struk-turen fr Tschechien und die Slowakei jeweils eigens behan-delt werden.

    Das Geschichtsbild des ewigen Feindes

    Tschechien

    Es gibt wohl kein Volk in Mitteleuropa, mit dem die Tsche-chen mehr Berhrungspunkte haben als mit den Deut-schen. Die Deutschen sind zunchst Nachbarn, spter,etwa ab dem 11. Jahrhundert, sind sie in Bhmen und Mh-ren Mitbewohner.

    Gleich zu Beginn des schwierigen und auch vielschichti-gen Verhltnisses zu den Deutschen steht der Unterwer-fungsakt Frst Wenzels gegenber dem deutschen KaiserHeinrich I. (der Vogler). Der sptere bhmische Landes-patron schwor Heinrich die Treue und wurde zu seinem Ver-bndeten. Zustzlich verpflichtete er sich im Jahr 895 dazu,jhrlich 120 Ochsen und 500 Pfund Silber an Heinrich alsTribut zu zahlen. Spter lste Heinrich I. Wenzel und dasbhmische Frstentum von diesen Tributzahlungen. Seit

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  • Jahrhunderten wird ber diesen Unterwerfungsakt gestrit-ten. Die einen sehen in ihm eine kluge Entscheidung, durchdie die westliche Ausrichtung Bhmens verankert wordensei. Die anderen wiederum verstehen ihn als Zeichen derSchwche gegenber den Deutschen, wenn nicht gar alseine Form von Kollaboration und geben daher dem BruderWenzels, dem spteren Frsten Boleslav, den Vorzug.

    Boleslav lehnte nicht nur den besagten Unterwerfungs-akt ab, sondern stand auch fr eine wie man heute sagenwrde andere Auenpolitik. Boleslav lie seinen Bruderim Jahr 935 ermorden, womit die Legende des HeiligenWenzel begrndet wurde. Bemerkenswert ist, dass diesesBild noch in den 1990er Jahren in der tschechischen Tages-politik oft instrumentalisiert wurde, und zwar vor allemdann, wenn es um die deutsch-tschechischen Beziehungenging. Dieses Bild wurde keineswegs nur von Vertretern derradikalen Rechten, wie den Republikanern (die damalsdank dumpfer Hetze gegen alles Deutsche den Einzug insParlament schafften), sondern auch vom damaligen sozial-demokratischen Oppositionsfhrer und spteren Premier-minister Milos Zeman bemht, so zum Beispiel anlsslicheiner Parlamentsdebatte im Zusammenhang mit derDeutsch-Tschechischen Erklrung vom Januar 1997.

    Seit den Zeiten des Heiligen Wenzel ist die Zahl derDeutschen auf dem historischen Gebiet Bhmens undMhrens relativ stark angestiegen. Es handelte sich dabeigrtenteils um Kolonisten, welche die Grenzgebiete Bh-mens besiedelten, zivilisierten und aus diesem Grund auchber zahlreiche Privilegien verfgten. Dass dies bei dentschechisch sprechenden Bewohnern Neidgefhle undAnimositten hervorrief, war wenig verwunderlich.

    Ausdruck dafr war Jahrhunderte nach Eintreffen derersten Kolonisten die erste auf Tschechisch geschriebeneChronik des Mnches Dalimil aus dem 14. Jahrhundert.Dort wurden die Deutschen erstmals erwhnt und mit

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    Tschechien und Slowakei

  • dem tschechischen Wort Nemci bezeichnet, was aufDeutsch die Stummen heit, eben weil sie kein Tsche-chisch verstanden und somit auf Fragen gar nicht reagier-ten, sich also wie Stumme verhielten. Hier entstand daserste Geschichtsbild der Deutschen, als eines Volkes, vordem man auf der Hut sein msse. Jedenfalls wurden sieals etwas Fremdes, aber auch Unbekanntes und Negativesdargestellt. Kein Wunder also, dass diese Chronik zu denStandardwerken in der Zeit der Nationalen Wiederge-burt im 19. Jahrhundert gehrte.

    Auch wenn seit den Zeiten Dalimils einige Jahrhun-derte vergangen sind, war es von daher nicht mehr allzuweit bis zu der These, dass die Deutschen die ewigenFeinde der Tschechen seien. Das geschah in der Mitte des19. Jahrhunderts, in einer Zeit, in der sich die beidenZweige des bhmischen Volkes, der deutschsprachige undder tschechischsprachige Teil, endgltig verselbstndigtenund das betrifft zunchst vor allem die Tschechen sichauf den Weg zu einer eigenstndigen Nation machten. Eskonnte also nicht mehr von einer bhmischen Einheit ge-sprochen werden, sondern von zwei Nationen, die aufdem Gebiet Bhmens und Mhrens immer mehr aneinan-der vorbei als miteinander lebten.

    Der Auslser dieses Bruchs war im Revolutionsjahr1848 die Einladung an die Tschechen, an den Beratungender Deutschen Nationalversammlung in der FrankfurterPaulskirche teilzunehmen. Die Vertreter der tschechischenPolitik, an der Spitze der Historiker Frantiek Palackylehnten dies jedoch ab, womit endgltig die nationale wieauch die politische Eigenstndigkeit bezeugt worden war.Letztere uerte sich in der Einberufung eines so genann-ten Slawenkongresses, der zeitgleich mit den Frankfur-ter Beratungen in Prag stattfand.

    Der Einladungsbrief aus Frankfurt hat im Kontext dernationalen und nationalstaatlichen Bewegung der tsche-

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  • chischen Gesellschaft eine generelle Polemik gegen dendeutschen Einfluss auf die tschechische Kultur und Ge-sellschaft ausgelst, wobei dieser Einfluss eindeutig nega-tiv gesehen wurde. Sptestens hier entsteht das Bild vonden Deutschen als dem ewigen Feind, der der gedeihli-chen Entwicklung des tschechischen Volkes im Wege stehtund gegen den sich die Tschechen behaupten mssen.

    Diese Metapher der ewigen Feindschaft findet sich so-wohl bei Palacky wie auch bei anderen tschechischen Poli-tikern der damaligen Zeit; sie zeugt von einer starken Radi-kalisierung der politischen Atmosphre. Ganz besonderssichtbar wurde das bei Palacky. Sein Urteil ber das Zu-sammenleben zwischen Deutschen und Tschechen in sei-nem wichtigsten Werk, der Geschichte Bhmens und Mh-rens, deren erste Auflage noch vor den Ereignissen von1848 erschienen ist,1 fiel allerdings weitgehend neutralaus, indem er zum Beispiel dem deutschen Element positi-ven Einfluss auf das Tschechische zugestand.

    Es gab dann in den folgenden Jahren insbesondere nachder Verfassung von 1867 und der Entstehung Zisleitha-niens in Bhmen Versuche, eine Art politischen Ausgleichzwischen der deutsch- und der tschechischsprachigen Be-vlkerung zu erreichen so etwa bei der Zusammensetzungdes Landtags und der Besetzung von Posten in derVerwaltung , doch diese Versuche scheiterten. Dagegenkonnte man sich in Mhren auf einen solchen Ausgleich ei-nigen, allerdings erst im Jahr 1905.

    Das Bild von den Deutschen als den ewigen Feindenspielte dann spter noch einmal eine wichtige Rolle, undzwar als Begrndung dafr, warum das Jahrhunderte wh-rende Zusammenleben von Deutschen und Tschechennach 1945 zu Ende ging und die Deutschen als ewigeFeinde aus dem Land vertrieben wurden.

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    Tschechien und Slowakei

  • Slowakei

    Das, was fr die Tschechen die Deutschen, sind fr die Slo-waken die Ungarn (Magyaren). Gemeinsame Beziehungenund deren Entwicklungen lassen sich bis tief ins frhe Mit-telalter zurckverfolgen. Die Wurzeln ihrer staatlichenSelbststndigkeit sehen die Slowaken in der Zeit des Neu-traer Frstentums und des spteren Gromhrischen Rei-ches (bis Anfang des 10. Jahrhunderts). Dieses slawischeReich spielte eine wichtige Rolle im Kampf des Frnki-schen Reiches gegen die Awaren, die im heutigen Ungarnlebten. Doch als 907 in Folge der drei verlorenen Schlach-ten bei Preburg das Gromhrische Reich zerbrach undsich auflste, tauchten erstmals in der slowakischen Ge-schichte die siegreichen Magyaren auf, die damals nochals Nomaden lebten. Bis zum Beginn des 12. Jahrhundertseroberten die Magyaren den Groteil des Gebiets der heuti-gen Slowakei, wobei das Neutraer Frstentum integralerBestandteil Ungarns wurde.

    Aus heutiger Sicht lsst sich keinesfalls von einerfeindlichen bernahme sprechen, denn die Magyarenzwangen den Slawen keineswegs ihr eigenes Verwaltungs-wesen auf; vielmehr bernahmen sie von ihnen sowohl dieverwaltungsmige als auch die militrische Gliederungund anderes mehr. Ein Teil der ursprnglichen lokalen sla-wischen Herrscher und deren Untertanen wurden sogarvon den Magyaren als Verbndete akzeptiert und inte-griert. Auch in sprachlicher Hinsicht lsst sich nicht voneinem Druck seitens der Magyaren sprechen; denn das La-teinische blieb als Amtssprache erhalten, und auch dieSprachen der brigen Vlker wurden nicht unterdrckt.

    Die Schwierigkeiten im Verhltnis zwischen Slowakenund Ungarn begannen im Zusammenhang mit den Reform-versuchen Kaiser Josephs II. Unter ihm wurde die Verwal-tung zentralisiert und 1784 in ganz Ungarn Latein als Amts-

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  • sprache durch Ungarisch ersetzt, das auch Unterrichtsspra-che wurde. Das fhrte zu einem Erstarken des ungarischenNationalismus, was sich in einer konsequenten Frderungdes Ungarischen auf Kosten der anderen Sprachen uerte(u. a. durch spezielle, vom Landtag beschlossene Sprach-gesetze). Die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung warder Adel, und so begannen die Magyaren sich als ein einzigesStaatsvolk in Ungarn zu betrachten.

    Eine hnliche Entwicklung, die als Nationale Wiederge-burt bezeichnet wurde, gab es auch bei den Slowaken. AmEnde dieser Entwicklung standen die Konstituierung desStaates als einer modernen slowakischen Nation sowiedie Kodifizierung der slowakischen Schriftsprache in ihrerheutigen Form durch Ludovt tr im Jahr 1843.

    Eine der wichtigsten Forderungen der Slowaken war dieEinfhrung von Slowakisch als Amtssprache, was jedochnie im vollen Umfang verwirklicht wurde. Im Gegenteil:Denn wenngleich nach der Niederschlagung der ungari-schen Revolution von 1848 Slowakisch als Unterrichts-sprache in den Volksschulen und den Amtsstuben auf un-terer Beamtenebene erlaubt wurde, setzte nach demsterreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 eine neueMagyarisierungs-Welle ein. Diese war Folge der Umwand-lung des Kaisertums sterreich in eine Realunion (ster-reich-Ungarn) und der faktischen Schwchung des Einflus-ses Wiens in Ungarn. Die Magyarisierung wurde zuroffiziellen Staatsideologie erhoben; per Gesetz wurden alleBewohner des Knigreichs Ungarn zu Mitgliedern einereinzigen Ungarischen Nation erklrt, wobei das Ungari-sche einzige Amtssprache war. Slowakische nationale Ein-richtungen und alle Schulen mit Slowakisch als Unter-richtssprache wurden zu Horten des Panslawismus erklrtund geschlossen. Zu den Hhepunkten der Magyarisierunggehrte ein Gesetz aus dem Jahr 1898 ber die Einfhrungvon ungarischen Namen fr smtliche Gemeinden im K-

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    Tschechien und Slowakei

  • nigreich, unabhngig von der nationalen Zusammenset-zung der Einwohner. Im Jahr 1907 wurde auf Grund der Ge-setze des ungarischen Schulministers Graf Albert Apponyieine zustzliche Restriktion eingefhrt: Slowakisch undDeutsch durften nur noch eine Stunde pro Woche alsFremdsprache unterrichtet werden. Eine Folge der Unter-drckung war eine starke Auswanderungswelle aus derSlowakei, vor allem in die Vereinigten Staaten.

    Die Grndung der Tschechoslowakei im Jahre 1918 hatdie Konflikte zwischen Slowaken und Ungarn etwas gemil-dert, doch latente Spannungen sind geblieben. Auf Grunddes Vertrags von Trianon und der Grenzziehung zwischender Tschechoslowakei und Ungarn bestand im Sden derSlowakei eine auf homogenem Gebiet lebende, nicht unbe-trchtliche ungarische Minderheit. Nach den beiden Volks-zhlungen, die in der Zwischenkriegszeit in der Tschecho-slowakei durchgefhrt wurden, bildeten die Ungarnungefhr 5 % der Gesamtbevlkerung.

    Diese Ereignisse boten also genug Stoff fr die spterenAnimositten zwischen Slowaken und Ungarn, die nach1945 nur schwer vom Mantel der offiziellen sozialisti-schen Bruderschaft im Rahmen des Ostblocks zwischender wiedererrichteten Tschechoslowakei und Ungarn ber-deckt werden konnten. Die so genannten Bene-Dekrete,die nach 1945 die Grundlage fr die Enteignung des Eigen-tums von Kollaborateuren bildeten, bezogen sich nicht nurauf die Deutschen, sondern auch auf die ungarische Min-derheit. Eine vergleichbare und systematische Aussiedlungaus der Tschechoslowakei, wie bei den Sudetendeutschen,fand jedoch im Fall Ungarns nicht statt. Der Grund war dieWeigerung insbesondere der westlichen Alliierten; die Rus-sen waren dagegen in dieser Frage eher reserviert. Endgltigabgelehnt wurde die Aussiedlung der Ungarn auf der Frie-denskonferenz in Paris im Jahr 1946. In Folge dessen fan-den dann bilaterale Verhandlungen zwischen Ungarn und

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  • der Tschechoslowakei statt. Die wichtigste Konsequenzwar die Einigung ber einen Bevlkerungsaustausch. Frjeden in Ungarn lebenden Slowaken (insgesamt ca.200.000), der sich zur die Rckkehr in die Slowakei ent-schloss, musste ein Ungar das Land verlassen. Rund 70.000Slowaken machten von dieser Regelung Gebrauch (die dieursprnglichen Erwartungen nicht erfllte), whrend aufder anderen Seite ca. 90.000 Ungarn in ihr Heimatland um-zogen. Weitere Manahmen mit dem Ziel, den Einfluss derUngarn im Lande zu verringern, war deren Umsiedlung inrein slowakische Gebiete sowie die so genannte Reslowa-kisierung, eine Manahme, durch die die Bene-Dekreteumgangen wurden und konfisziertes Eigentum zurck-erstattet wurde. Auf diese Weise reduzierte sich Anfangder 1950er Jahre die offizielle Zahl der Ungarn in der Slo-wakei von einer Million auf 275.000; Ende der 1950er Jahrebekannte sich jedoch wieder rund eine halbe Million Br-ger zu ihrer ungarischen Nationalitt.

    Nach dem kommunistischen Putsch vom Februar 1948wurde den Ungarn wieder der Status einer nationalen Min-derheit zugestanden, das Eigentum formell zurckgegeben,und es wurden auch gewisse Autonomierechte zugestan-den; diese betrafen u. a. eigene Zeitungen sowie den Schul-unterricht in ungarischer Sprache.

    Kurz vor dem Zusammenbruch des Kommunismus kames zu einer schweren Belastung der slowakisch-ungari-schen Beziehungen. Der Grund war die Erklrung der unga-rischen Regierung, am Bau des in den 1970er Jahrengemeinsam vereinbarten Wasserkraftwerks Gabckovo-Na-gymaros nicht mehr mitzuwirken. Budapest rckte vomdiesem Groprojekt nicht nur aus finanziellen Grndenab, sondern auch auf Druck der Bevlkerung, vor allem we-gen des Umweltschutzes. Die Tschechoslowakei hielt da-gegen an dem Kraftwerk fest, und als 1992 der Kanal beiGabckovo geflutet wurde, wobei ein Teil des Wassers aus

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    Tschechien und Slowakei

  • der Donau auf slowakisches Territorium umgeleitet wurde,sahen die Ungarn darin eine Verletzung des Grenzverlaufs,gegen die sie protestierten. Beide Seiten einigten sich 1993bei der Anrufung des Internationalen Gerichtshofes in DenHaag; dieser entschied, dass sowohl Ungarn, wie auch dieSlowakei internationales Recht verletzt htten und der ur-sprngliche, von Ungarn aufgekndigte Vertrag weiter gelte.Bis heute ist eine Einigung zwischen beiden Lndern nichtzustande gekommen, was die Beziehungen zustzlich belas-tet. Nicht von ungefhr war dies zu einer Zeit, als die Slowa-kei von Vladimr Meciar regiert wurde und auch die Natio-nalisten von der Slowakischen Nationalpartei an derRegierung beteiligt waren. Meciar verfolgte auch in anderenPolitikbereichen Manahmen, die eine Schwchung der un-garischen Minderheit zur Folge hatten. So wurde etwa durchdie Verwaltungsreform des Jahres 1996 verhindert, dass dieUngarn in einer der neu geschaffenen Regionen bevlke-rungsmig die Mehrheit erringen konnten. Die slowaki-schen Ungarn wurden im Rahmen dieses Vorhabens in dreiverschiedene Regionen aufgeteilt (Trnava /Tyrnau, Nitra/Neutra und Banska Bystrica/Neusohl).

    Die Lage entspannte sich erst nach den Wahlen von1998, als Meciar in die Opposition musste und der neueMinisterprsident Mikul Dzurinda in seine breite Regie-rungskoalition auch Vertreter der Ungarn aufnahm. Dasfhrte zu einer gewissen Beruhigung der ungarisch-slowa-kischen Spannungen, wenngleich nicht zur Lsung der be-stehenden Probleme. Eine nderung der Verwaltungs-struktur zugunsten der Ungarn wurde zwar von dermitregierenden Ungarn-Partei SMK immer wieder gefor-dert, jedoch nie verwirklicht. Nachdem die SMK nach denWahlen von 2006 in der Opposition landete und die slowa-kischen Nationalisten im Gegenzug in die Regierung zu-rckkehrten, spitzte sich das Verhltnis wieder zu. ImHerbst 2007 wurde von einigen ungarisch sprechenden Un-

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  • ternehmern und Kommunalpolitikern der so genannteSdliche Rat gegrndet mit dem Ziel, den in der Slowa-kei lebenden Ungarn eine territoriale Autonomie zu ge-whren und deshalb ein Referendum durchzufhren.

    Geschichtsbild der Niederlage

    Ein besonderes Kapitel sowohl in der tschechischen wieauch in der slowakischen Geschichte stellen die Folgenvon Niederlagen dar. Diese Niederlagen mssen jedochnicht unbedingt immer das Resultat von militrischenAuseinandersetzungen oder von Kmpfen sein.

    Tschechien

    Viele dieser Niederlagen in der tschechischen Geschichtehaben fast schon einen mythischen Charakter. Es gilt derGrundsatz, dass je weiter ein Ereignis zurckliegt, es destostrker verklrt wurde. Zu diesen Mythen gehrt dieSchlacht auf dem Marchfeld in Niedersterreich 1278, alssich der bhmische Knig Ottokar II. und Knig Rudolfvon Habsburg gegenberstanden, die einen Kampf um dieKaiserkrone fhrten. Ottokar unterlag dabei, Rudolf wurdeDeutscher Kaiser und begrndete die Habsburger Dynastie.Glaubt man der patriotischen tschechischen Geschichts-schreibung, htte bei einem anderen Ausgang der Schlachtdie weitere Geschichte Mitteleuropas, wenn nicht gar desganzen Kontinents anders ausgesehen.

    Auch die Schlacht am Weien Berg 1620 sorgte fr einewichtige Zsur in der tschechischen Geschichte. Aus derSicht Europas handelte es sich um eine von vielen Schlach-ten im Rahmen des Dreiigjhrigen Krieges. Fr die Bhmenjedoch hatte die Schlacht weitreichende Konsequenzen:Durch die Niederlage der mehrheitlich protestantischen

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    Tschechien und Slowakei

  • bhmischen Stnde, die einige Monate zuvor Friedrich vonder Pfalz zum bhmischen Knig gewhlt hatten, gelangtedas Knigreich Bhmen endgltig an die katholischen Habs-burger. Was folgte, war die Rekatholisierung des Landes, ver-bunden mit der Flucht der protestantischen geistigen Eliteaus Bhmen und Mhren ins Exil.

    Fr die Zeit, die nach der Niederlage bei der Schlacht aufdem Weien Berg folgte, wurde spter der Begriff einer so ge-nannten Zeit der Finsternis geprgt, der auf den Schrift-steller und Romancier Alois Jirsek zurckgeht. Im Mittel-punkt seiner Werke standen vor allem die glorreichenKapitel der tschechischen Geschichte, bei denen oft das ein-fache Volk als Hauptakteur von wichtigen geschichtlichenEreignissen oder als Trger lngst vergessen geglaubter Tra-ditionen auftrat. In den Bchern ging es entweder um denKampf gegen eine fremde militrische oder gesellschaftlicheMacht oder um die Darstellung der geistig-kulturellen ber-legenheit eines einfachen Volkes. Dabei musste es nicht im-mer unbedingt um eine deutsche oder als deutsch emp-fundene weltliche Macht gehen, sondern es konnte sichauch um eine religise Institution handeln. So wurde zumBeispiel das Wirken des Jesuitenordens, dessen Mitgliederangeblich massenhaft tschechisch geschriebene Bcher ver-brannt haben sollen, zu einem beliebten Motiv nicht nurvon Jirsek, sondern auch von allen anderen historisieren-den Autoren des 19. Jahrhunderts. Es verwundert daherkaum, dass Jirsek dadurch mittelbar die spteren Ideologender kommunistischen Kulturpolitik, wie etwa Zdenek Ne-jedly, zu entsprechenden Agitationen animierte.

    Zu jenen Niederlagen in der tschechischen Geschichte,die ebenfalls eine Reihe von Geschichtsbildern produzier-ten, gehrte auch eine, die aus militrischer Sicht eigent-lich keine war, weil es nie zu einer militrischen Aus-einandersetzung im eigentlichen Sinn gekommen ist.Dabei geht es um die Begleitumstnde des Mnchener Ab-

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  • kommens vom September 1938, in Folge dessen sich Hit-ler, Mussolini, der britische Premierminister NevilleChamberlain und der franzsische Regierungschef EdouardDaladier in Mnchen auf die Abtretung des Sudetengebietsvon der Tschechoslowakei an das Deutsche Reich einigten.Nachdem Prsident Edvard Bene das Mnchener Abkom-mens akzeptierte, mussten tausende Reservisten, die wh-rend der so genannten Sudetenkrise in die Grenzgebieteabkommandiert worden und von der Bevlkerung mit pa-triotischem Eifer untersttzt worden waren, wieder ent-tuscht nach Hause zurckkehren. Das aus diesen Erfah-rungen stammende Bonmot O ns, bez ns (ber uns,ohne uns), wird auch heute noch wenn auch in anderenZusammenhngen als Schlagwort gebraucht.

    Sicherlich hat die Atmosphre dieser Niederlage ma-geblich auch zum Sittenbild der folgenden Jahre beigetra-gen: Nach der Abtretung des Sudetengebiets und demRcktritt von Prsident Bene wurde fr einige Monatedie so genannte Zweite Republik aus der Taufe gehoben die sich durch autoritre Zge, offenen Antisemitismusund die Verfolgung von politisch Andersdenkenden aus-zeichnete. Einige Monate spter am 15. Mrz 1939 wurde die so genannte Rest-Tschechei, wie das Landvon Hitler bezeichnet wurde, von den deutschen Truppenbesetzt und das Protektorat Bhmen und Mhren ausgeru-fen. Einen Tag zuvor hatte sich die Slowakei fr unabhn-gig erklrt.

    Widerstand gegen die Besetzung gab es keinen; nach denMeldungen, die in den ersten Monaten nach Berlin ge-schickt wurden, zeichnete sich die tschechische Bevlke-rung durch eine gute Zusammenarbeit sprich durchein hohes Ma an Kollaboration aus. Mit dem Begriff Kol-laboration haben wir ein weiteres wichtiges Schlagwort,das im Geschichtsbild der Niederlage einen festen Platzeinnimmt.

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    Tschechien und Slowakei

  • Slowakei

    Sucht man nach vergleichbaren Situationen, bei denen eszwischen den Slowaken und Ungarn zu militrischen Kon-frontationen und Kmpfen gekommen ist, muss man nichtallzu weit in die Geschichte zurckblicken.

    Das erste Aufeinandertreffen der Slowaken und der Un-garn fand im Revolutionsjahr 1848 statt, als fhrende Per-snlichkeiten der Bewegung fr eine slowakische Wieder-geburt (darunter Ludovt tr, Jozef Miloslav Hurban,Milan Hoda, Janko Krl) im September 1848 zur Teil-nahme am Feldzug gegen den Aufstand von Lajos Kossuthin Ungarn aufriefen. Am ersten Feldzug nahmen 6.000Freiwillige, darunter vor allem Studenten, teil. Nach derVerkndung der Oktroyierten Verfassung legten die Slowa-ken im Mrz 1849 Kaiser Franz Joseph I. eine Bittschriftvor, in der sie die Anerkennung der slowakischen Nation(einschlielich der Einberufung eines slowakischen Land-tags) vom Kaiser als Belohnung fr ihre Kaisertreue einfor-derten, was ihnen vor dem Feldzug auch versprochen wur-de. Nach der Niederlage der Kaisertruppen im April inUngarn nderte aber die Regierung ihren Standpunkt, wo-nach erst nach der endgltigen Niederschlagung des unga-rischen Aufstands entschieden werden sollte.

    Am 17. September 1849 begann in Wien unter dem Vor-sitz des Kaisers Franz Joseph eine Konferenz, welche berdie Fderalisierung Ungarns entscheiden sollte. Die Slowa-ken verlangten die Errichtung der Slowakei als eigenstndi-ges Kronland, was jedoch abgelehnt wurde, so dass die Slowa-kei weiterhin Bestandteil Ungarns blieb. Das Slowakischewurde als Unterrichtssprache in den Volksschulen und alsAmtssprache auf unterer Beamtenebene erlaubt. Die Ergeb-nisse der Konferenz kamen somit in den Augen der Fhrerder slowakischen Nationalen Wiedergeburt einer Niederlagegleich.

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  • Die folgende militrische Auseinandersetzung fand zwi-schen den Slowaken und den Ungarn nach dem WienerSchiedsspruch vom 2. November 1938 statt. Die Slowakeimusste als Konsequenz des Mnchener Abkommens dievon der ungarischen Minderheit bewohnte Sdslowakeiabtreten. Nach der Selbstndigkeitserklrung der Slowakeivom 14. Mrz 1939, die auch von Ungarn anerkannt wurde,suchte eine gemeinsame slowakisch-ungarische Kommis-sion den Verlauf der gemeinsamen Grenze im Osten desLandes festzulegen, da die Karpathoukraine, die ebenfallszur frheren Tschechoslowakei gehrte, von Ungarn be-setzt wurde. Einen Tag, nachdem die Kommission ihre Ar-beit beendete, drangen am 23. Mrz 1939 ungarische Trup-pen vom Osten in die Slowakei ein und stieen insslowakische Inland vor. Die Kmpfe im Rahmen dieses sogenannten slowakisch-ungarischen Krieges endeten mit ei-nem Waffenstillstand, bei dem die Slowakei noch einenweiteren Landstreifen im Osten abtreten musste.

    Ein weiteres Kapitel slowakischer Geschichte, das manals identittsstiftend bezeichnen kann, war der Slowaki-sche Nationalaufstand des Jahres 1944. Dieser richtetesich nicht gegen die Ungarn, sondern gegen die hitler-freundliche Regierung der I. Slowakischen Republik. DerAufstand begann am 29. August 1944 unter der Beteiligungbetrchtlicher Teile des slowakischen Heeres. Ziel war es,den heranrckenden Truppen der Roten Armee die ber-querung der Gebirgspsse an der slowakisch-polnischenGrenze zu erleichtern. Der Aufstand wurde nach zwei Mo-naten von der deutschen Wehrmacht niedergeschlagen.Der Kampf dauerte aber weiter an als Partisanenkrieg biszum Einmarsch der Roten Armee in die Slowakei. Nachder Machtergreifung durch die Kommunisten im Jahr 1948wurde der Aufstand glorifiziert und eindeutig im kom-munistischen Sinne interpretiert. Heute ist die slowaki-sche ffentlichkeit in dieser Hinsicht geteilter Meinung;

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  • so wird z. B. zwischen den einzelnen Phasen des Aufstandsdifferenziert: Die erste Phase war durch Kmpfe gekenn-zeichnet, die von abtrnnigen Offizieren der slowakischenArmee geleitet wurden; in der zweiten Phase setzte einPartisanenkrieg ein, bei dem es zu zahlreichen Vergehenan der Zivilbevlkerung gekommen ist. Trotz alledemwird der Nationalaufstand in der Slowakei als identitts-stiftend angesehen, als wichtiger Beitrag im Kampf gegendie Diktatur ein Kampf, der oft auch als Gegenbild zumVerhalten der Tschechen whrend des Zweiten Weltkriegsgedeutet wurde.

    Bemerkenswerte Unterschiede zwischen Tschechenund Slowaken zeigten sich zum Beispiel auch beim Ab-stimmungsverhalten der beiden Lnder bei den Par-lamentswahlen 1946, die fr viele Jahrzehnte die einzigenhalbwegs demokratischen Wahlen in der Tschechoslowa-kei sein sollten. Whrend die Tschechen die Kommunistenzur strksten Kraft gemacht hatten, hatten mehr als 62 %der Slowaken fr die antikommunistische DemokratischePartei gestimmt, so dass die Kommunisten abgeschlagenauf Platz zwei landeten. Das sollte natrlich Konsequen-zen fr die Slowakei haben: Die Zustndigkeiten des Slo-wakischen Nationalrats (des Regionalparlaments) wieauch der regionalen Regierung wurden sogleich beschnit-ten, whrend das Land politisch und wirtschaftlich einemstarken Zentralismus unterworfen wurde. Das erfolgte un-ter Mitwirkung nichtkommunistischer Parteien im tsche-chischen Landesteil. Das aktive Eintreten gegen die Kom-munisten endete fr die Slowaken unverkennbar miteiner Niederlage.

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  • Das Geschichtsbild des freiheitsliebenden Slawentums

    Tschechien

    Die Anfnge der tschechischen nationalen Emanzipationwaren in betrchtlichem Mae von Johann Gottfried Herderbeeinflusst. Gem seiner Typologie der Vlker sind die Sla-wen friedfertig und zeichnen sich durch Freiheitsliebeaus. So wurde von Vertretern der Nationalen Wiedergeburtden Slawen eine urdemokratische Verhaltensweise beimAufbau ihrer Gesellschaft attestiert. Alles, was die slawi-sche Gesellschaft spter heimsuchte wie Leibeigenschaft,Unterdrckung und hierarchische Gesellschaftsstrukturen sei durch den negativen Einfluss der Deutschen zustande ge-kommen. Dies war zumindest die Sichtweise fhrender Ver-treter der tschechischen Nationalen Wiedergeburt.

    Die erste Phase der Nationalen Wiedergeburt stand ganzund gar im Zeichen der slawischen Ideologie. Charakteris-tisch fr diese Epoche waren einerseits schwrmerischeGedichte, die von einer Union mit dem groen fernenReich handelten, womit Russland gemeint war. Bemer-kenswert war andererseits ein geradezu fieberhaftesSuchen nach Beweisen fr die Grundmerkmale des slawi-schen Charakters, wie auch deren berlegenheit gegenberder germanischen Kultur. Belegen sollten das zwei Hand-schriften, deren Fund seinerzeit als Sensation gewertetwurde: die Grnberger und die Kniginhofer Handschrift.Beide enthielten Texte und Lieder aus dem Mittelalter.Doch zeigte sich sehr bald, dass es sich in beiden Fllenum Flschungen handelte.

    Durch den Umstand, dass der erste Slawenkongresses1848 in Prag abgehalten wurde, konnte leicht der Eindruckentstehen, als ob die tschechischen Nationalpolitiker aufdiesem Feld ganz besonders aktiv gewesen wren. Doch inWirklichkeit war der Panslawismus eine Fiktion: Er war le-

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    Tschechien und Slowakei

  • diglich ein Instrument der politischen Propaganda. Zu un-terschiedlich waren die Standpunkte der Politiker, vor al-lem bezglich der Rolle, die Russland als fhrende Kraftin der Slawenwelt, wie es damals hie, zufallen sollte. Ei-ner der wichtigsten Vertreter der panslawistischen Ideo-logie, der liberale Journalist und Dichter Karel Havlcek,kehrte ziemlich desillusioniert nach einem Russlandauf-enthalt 1844 in seine Heimat zurck mit der berzeugung,dass die behauptete slawische Verwandtschaft nicht mg-lich sei. Als im Jahre 1867 tschechische Politiker zu eineroffiziellen Mission nach Russland aufbrachen, htte zu-mindest aus der Sicht eines anderen wichtigen slawischenVolkes, nmlich der Polen, der Zeitpunkt der Reise nichtschlechter gewhlt werden knnen und zwar kurz nachder Niederschlagung des polnischen Aufstands durch dieRussen. Die Reise nach Moskau glich somit lediglich einerDemonstration; sie entbehrte jeglicher positiver Folgen.

    Dennoch wurde die slawische Karte in verschiedenenVarianten immer wieder gezogen, oder sie musste zur Er-klrung einer bestimmten Verhaltensweise herhalten. Sowurde die Vertreibung der Deutschen wie der Ungarn ausder Tschechoslowakei im Jahr 1945 unter anderem auchdamit begrndet, dass es nun nach vielen Jahrhundertenauf dem historischen Gebiet des Landes wieder einen sla-wischen Staat geben solle.

    In der jngsten Vergangenheit ertnten panslawischeTne auch regelmig im Zusammenhang mit der Lageim Kosovo. Erstmals zeigte sich das whrend des Kosovo-Kriegs im Frhjahr 1999, als ein Groteil der tschechischenffentlichkeit den damaligen NATO-Einsatz in Jugosla-wien ablehnte, weil die Bomben der NATO die serbischenBrder treffen wrden. Eine hnliche Haltung lsst sichbrigens auch bei der gegenwrtigen Debatte feststellen,wo es um die Frage geht, ob Tschechien das unabhngigeKosovo anerkennen soll.

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  • Slowakei

    hnlich wie bei den Tschechen war auch bei den Slowakendie nationale Selbstfindung ein Ergebnis der Aufklrungaus der Zeit des endenden 18. Jahrhunderts. Dieser Prozessmndete, wie auch bei den Tschechen, in die Bewegung derso genannten Nationalen Wiedergeburt. Vor allem in derersten Phase gab es in dieser Hinsicht starke Einflsse ausden bhmischen Lndern, zumal einige slowakische Ge-lehrte wie Jan Kollr, Pavel Josef afrik und andere zuden wichtigsten Vertretern der tschechischen NationalenWiedergeburt gehrten. Gerade bei Kollr stand derWunsch nach einer Vereinigung aller slawischen VlkerEuropas unter der Obhut Russlands besonders stark imVordergrund.

    Erst in den weiteren Phasen hat sich bei den Slowakeneine eigenstndige Argumentationslinie entwickelt. Ange-sichts des radikalen Vorgehens Russlands im besetzten Po-len bei der Niederschlagung des Aufstands von 1830/31und der Einsicht, dass es keine einheitliche slawische Na-tion gebe, wandten sich die slowakischen Intellektuellenendgltig vom Panslavismus ab und verfolgten die Liniedes Austroslawismus. Damit verband sich ihre Hoffnung,dass dadurch die fortschreitende Magyarisierung aufgehal-ten werden knne. Nach dem Slawenkongress in Prag1848 haben die Slowaken auch vom Austroslawismus Ab-stand genommen. Erst in den 1890er Jahren blickte die imEntstehen befindliche slowakische Politik wieder ber dieeigenen Grenzen hinweg, und zwar in Richtung Westen.Der Bund mit den Tschechen wurde als einzige Mglich-keit gesehen, um aus Ungarn auszubrechen.

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    Tschechien und Slowakei

  • Das Geschichtsbild des Tschechoslowakismus

    Tschechien

    Ein weiteres wirksames Geschichtsbild bezieht sich auf dieGrndung der Tschechoslowakei im Jahr 1918. Mit derEntstehung des Staates eng verbunden war nmlich dieIdee des Tschechoslowakismus der Fiktion eines einheit-lichen tschechoslowakischen Volkes mit zwei gleichwerti-gen Zweigen: dem tschechischen und dem slowakischen.

    Der Tschechoslowakismus, der in der Verfassung von1920 zur Staatsdoktrin erhoben wurde, war die erste Ver-drngung der Wirklichkeit im Zusammenhang mit der Ent-stehung der Tschechoslowakei. Die zweite Verdrngungbetraf den Umstand, dass die Tschechen zwar mit derGrndung der Republik ihre Selbstndigkeit erhielten undden so genannten Vlkerkerker, wie die Habsburger Mo-narchie plakativ genannt wurde, verlieen. Doch der Staat,den sie ins Leben riefen, war praktisch wieder ein Vielvl-kerstaat. Von den Slowaken, die nicht als eigenstndigeEinheit betrachten wurden, abgesehen, sind jedoch ins-besondere die drei Millionen Deutsch-sterreicher zu er-whnen, die unmittelbar nach dem Fall der Monarchieund der Ausrufung der Tschechoslowakischen Republikzu erkennen gaben, sich Wien und der ebenfalls ausgerufe-nen Republik Deutsch-sterreich anschlieen zu wollen.In den Sudetengebieten, wo diese deutschen Volksgruppenlebten, kam es in Folge dessen zu Ausschreitungen mit To-desopfern. Zu den weiteren Vlker, die das bunte Nationa-littengemisch in der Tschechoslowakei bildeten, zhltendie Polen, die Ungarn, die hnlich wie die Deutschen ur-sprnglich das Ziel verfolgten, sich mit ihren Mutterln-dern zu vereinen. Schlielich lebten in dem Gebiet der Kar-pathoukraine auch die Ruthener.

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  • Slowakei

    Wie in den vorangehenden Zeilen bereits angedeutet wur-de, war in der Slowakei die Idee einer kulturellen und teil-weise auch sprachlichen Einheit von Tschechen und Slo-waken schon wesentlich frher prsent als in Bhmenund Mhren. Ein wichtiger Teil der Fhrer der slowaki-schen Nationalen Wiedergeburt (wie z. B. Jan Kollr undPavel Josef afrik) waren davon berzeugt, dass es eineneinheitlichen tschechisch-slowakischen Stamm gebe.

    In den Jahren nach dem sterreichisch-ungarischen Aus-gleich sahen die Slowaken in den Tschechen angesichts derfortschreitenden Magyarisierung potentielle Verbndete,wenn nicht gar Erlser. Am 30. Mai 1918 vereinbartentschechische und slowakische Exilgruppen in den USAdas so genannte Pittsburgher Abkommen, in welchem dieGrundlagen fr einen gemeinsamen Staat gelegt wurden.Den Slowaken wurde dabei insbesondere Gleichberechti-gung mit den Tschechen und eine Autonomie zugesichert.

    Die Erwartungen auf eine Autonomie der Slowakei wur-den jedoch nicht erfllt im Gegenteil. Nach der Republik-grndung von 1918 wurden Tschechen als Beamte, Soldatenund Lehrer in die Slowakei entsandt, um dort die Verwal-tung aufzubauen, was bei Vielen angesichts des unbekann-ten gesellschaftlichen und kulturellen Umfeldes groe An-passungsschwierigkeiten hervorrief. Sehr bald verfestigtesich das Bild der Tschechen als Protektoren der Slowakei,was der slowakischen Autonomie-Bewegung Auftrieb gab.Einer der Fhrer der slowakischen Autonomisten, der ka-tholische Priester Andrej Hlinka (18641938) brachte diesauf den Punkt, als er meinte, dass die ungarische Hegemo-nie durch eine tschechische ersetzt worden sei.2

    Die Kommunisten haben den Tschechoslowakismuszwar traditionell durchgehend abgelehnt, doch schufen sienach 1948 mit ihrem sozialistischen Zentralismus prak-

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    Tschechien und Slowakei

  • tisch die gleiche Situation wie in den Jahren 19181938.Erst 1968 wurde der Unitarismus offiziell aufgegeben. DieTschechoslowakei wurde fderalistisch aufgebaut, wobeidie Slowakei formell wieder eine eigenstndige Regierungund ein Parlament bekam; an dem ursprnglichen Regle-ment, dass alles Wichtige in Prag entschieden werde, n-derte dies jedoch wenig.

    Das Geschichtsbild einer fortschrittlichen Gesellschaft

    Tschechien

    Die Entwicklung der modernen tschechischen Gesellschaftist untrennbar mit der so genannten Nationalen Wiederge-burt verbunden. Ihr Beginn lsst sich formell in die Zeit un-mittelbar nach der Aufhebung der Leibeigenschaft durchKaiser Joseph II. im Jahr 1781 datieren. Das hatte zur Folge,dass die Tschechisch sprechende Landbevlkerung relativstark in die Stdte strmte und allmhlich deren Charaktervernderte. Nach und nach entstanden quasi von unten die Strukturen einer neuen nationalen Gesellschaft. DieseEntwicklung war ungefhr um den Zeitpunkt des Revoluti-onsjahrs 1848 abgeschlossen.

    Diese neue tschechische Gesellschaft, die sich als Folgesozialer Entwicklungen herausbildete, war in ihrem Kernbrgerlich. Diese brgerlichen Schichten stellten sich be-wusst gegen die bis dahin vorherrschenden gesellschaftli-chen und politischen Eliten, d. h. in erster Linie gegen denAdel, dessen bernationaler Charakter die Einbeziehungund Teilhabe am bestehenden sterreichischen Regierungs-system praktisch ausschloss, so dass er sich an die Spitze derneu entstehenden Gesellschaftsstruktur stellen konnte.

    Dieses Plebejertum der Tschechen wurde spter oft alsTugend deklariert, als Beweis eines vermeintlich natrli-

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  • chen Demokratismus, der als slawische Urtugend dar-gestellt wurde. Eine weitere wichtige Quelle, auf die mansich ebenfalls gerne bezog, waren die Hussiten und derenantiautoritrer Aufbau ihrer Gemeinden.

    Der Philosoph und sptere erste Prsident der Tschecho-slowakei, Tom Masaryk, definierte in einem seinerWerke die europische und die Weltgeschichte als einenKampf zwischen Demokratie und Theokratie. Die Tsche-chen standen dabei laut Masaryk whrend ihrer gesamtenGeschichte an der Seite des Fortschritts, also der Demokra-tie. Das begann schon in der Zeit der Hussiten und mn-dete in die Untersttzung der politischen Ziele der En-tente-Mchte whrend des Ersten Weltkriegs durch dentschechischen Widerstand, der von Masaryk angefhrtwurde.3 In dieser Hinsicht wurde auch die Tschechoslowa-kische Republik als Vorhut der demokratischen und pro-gressiven Krfte in Mitteleuropa verstanden, umgeben vontheokratischen Staaten im Sinne autoritrer Regime.Whrend dann in der Zwischenkriegszeit und vor allem inden 1930er Jahren oft das Bild von der Tschechoslowakeials einem Hort der Demokratie, umgeben von lauter auto-ritren Staaten, strapaziert wurde, hatte der Tschechozen-trismus auch Folgen in den 1990er Jahren, als Tschechienzum Beispiel eine Zeit lang eine engere Zusammenarbeitmit den brigen Staaten Mitteleuropas (Stichwort: Vise-grad-Gruppe) vllig ablehnte.4

    Auch wenn die tschechische Gesellschaft vorgab, ohnenatrliche Eliten auszukommen, so neigte sie dennochumso strker dazu, einige wenige Fhrungspersnlichkei-ten zu verehren und ihnen manchmal auch blind zu folgen.Im tschechischen Kontext gehrte zum Beispiel der Repu-blikgrnder Tom Masaryk dazu, teilweise auch dessenNachfolger Edvard Bene. Selbst die kommunistischen Pr-sidenten, sofern sich nicht in Personalunion auch General-sekretre ihrer Partei waren, konnten sich beim Volk auf

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    Tschechien und Slowakei

  • eine natrlich vorhandene Autoritt und Beliebtheit stt-zen, die sie vom Prsidentenamt ableiten konnten.

    Slowakei

    Die Ausgangslage bei der Konstituierung einer modernenGesellschaft war bei den Slowaken mit der tschechischenSituation vergleichbar: Auch in der Slowakei fielen die Ver-treter des Adels als natrliche Fhrer ihrer Nation aus. Undauch dort gehrten die Schriftsteller zur geistigen Elite desVolkes. Aber weitaus strker als etwa bei den Tschechenspielte bei den Slowaken der konfessionelle Aspekt eineRolle; die Elite des Volkes bildeten dort in den Anfngender Nationalen Wiedergeburt evangelische Schriftstellerund Pastoren. Diese waren mageblich an der Kodifizierungder Schriftsprache beteiligt, und sie waren auch die erstenFhrer ihrer Nation. Die Breitenwirkung auf das einfacheVolk kann jedoch wiederum auch als Ergebnis des Einflus-ses von katholischen Geistlichen gesehen werden, die vorallem auf der unteren und mittleren Ebene oft mit der Be-wegung fr eine nationale Wiedergeburt sympathisierten.Aufgrund der starken Religiositt, die in der Slowakei stetswesentlich hher ausgeprgt war als in Bhmen, erlangte dieKatholische Kirche in der Slowakei auch den Charakter ei-ner nationalen Fhrungskraft. Das erklrt, warum an derSpitze der slowakischen Autonomiebewegung in der Tsche-choslowakei zahlreiche Geistliche standen Andrej Hlinkaund der sptere Prsident der selbstndigen SlowakischenRepublik, Jozef Tiso5. Als nach der Wende die Diskussionber eine mgliche Teilung der Tschechoslowakei begann,waren die slowakischen Bischfe in dieser Frage gespalten,wobei ein wichtiger Teil der Bischfe mehr oder wenigerverdeckt fr die Loslsung des Landes pldierte und darinauch eine Rckkehr zu den mehr als tausend Jahre zurck-reichenden Wurzeln des slowakischen Volkes sah.

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  • Zusammenfassung

    Das Verhltnis von Deutschen und Tschechen hat eineEntwicklungsgeschichte, die sich ber Jahrhunderte er-streckt und die verschiedene Formen annahm. So gab esPhasen der Kooperation wie auch der Konfrontation, diefr eine der beiden Seiten existenzbedrohende Folgen ha-ben konnte. Diese Spannungen fanden fast ausschlielichauf einem historisch als Einheit gegebenen und fest um-grenzten Territorium statt den Lndern der bhmischenKrone. Das Bild der Deutschen als Feinden tritt im Zugeder europischen Integration und als Ergebnis des prakti-schen Zusammenlebens mit den Deutschen im Rahmender Europischen Union immer strker in den Hinter-grund. Darin liegt wohl auch der wesentlichste Unter-schied Tschechiens zur slowakischen Situation.

    Den Beziehungen zwischen den Slowaken und Ungarnhatte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und dem Beginnder Aufklrung im Vergleich zum Verhltnis von Deut-schen und Tschechen fast jegliche konfrontative Dimen-sion gefehlt; umso strker fanden dann die Auseinanderset-zungen im 19. Jahrhundert statt und erreichten ihrenHhepunkt in den Jahren 1867 (nach dem sterreichisch-ungarischen Ausgleich) bis 1918, also in einer Phase, alsdie Slowaken ihre nationale Existenz bedroht sahen. Heutesehen die Slowaken ihre nationale Existenz als gesichert,die territoriale Integritt ihres Landes aber sehen sie nachwie vor als gefhrdet an.

    Unterschiede ergeben sich bei Tschechen und Slowakenim Zusammenhang mit dem Bild der Niederlage. Whrenddie von den Tschechen als Niederlagen empfundenen Er-eignisse ihrer Geschichte oft die Folgen von passivem Ver-halten waren (typisches Beispiel ist das Schlagwort O ns,bez ns im Zuge des Mnchner Abkommens 1938), lagden Niederlagen der Slowaken hufig ein aktives Handeln

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    Tschechien und Slowakei

  • zu Grunde. In beiden Gesellschaften fhrte das jedoch zuvllig entgegengesetzten Schlussfolgerungen: Die Tsche-chen neigten in solchen Fllen zu der Haltung, das Besteaus der Situation zu machen, also zu einer weitgehendpragmatischen Einstellung. Die Slowaken reagierten oftmit Resignation.

    Das Geschichtsbild des Slawentums bzw. der slawi-schen Einheit gehrt zwar heute in beiden Lndern nichtzu den gngigsten Bildern, doch wird es aus gegebenem An-lass von Zeit zu Zeit strapaziert. Besonders sichtbar wirddas im Hinblick auf die Diskussion um die Anerkennungdes Kosovo. Die Slowakei war von Beginn des Konfliktesan dagegen, whrend die Tschechen zunchst eine abwar-tende Haltung einnahmen, eine vllige Anerkennung je-doch frher oder spter ins Auge fassen wollen. In beidenLndern gibt es eine Mehrheit gegen die Unabhngigkeitder frheren serbischen Provinz. Daneben hatte die Slowa-kei jedoch auch schon in den ersten Jahren nach der Auf-lsung der Tschechoslowakei mit der slawischen Kartegespielt. Der damalige Ministerprsident, Vladimr Meciar,der in Europa wegen seines autoritren Fhrungsstils weit-gehend isoliert war, gab die Parole aus: Wenn man uns imWesten nicht haben will, gehen wir in den Osten. Mit die-ser Trotzreaktion strebte Meciar eine enge wirtschaftlicheKooperation mit Russland an, fr die auch die Idee des Sla-wentums herhalten musste.

    Vllig ohne Relevanz ist mittlerweile das Geschichts-bild des Tschechoslowakismus. Die Trennung von Tsche-chen und Slowaken wird, wie nicht zuletzt der 15. Jahres-tag zeigte, in beiden Lndern positiv gesehen.

    Umso interessanter ist, wie es in Tschechien und in derSlowakei um das Geschichtsbild der fortschrittlichen, an-tielitren Gesellschaft bestellt ist. Dass diese alten Stereo-typen gegenber dem Adel zum Beispiel auch heute nochbestehen, zeigte sich nicht zuletzt Ende des vergangenen

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  • Jahres, als sich Tschechiens Prsident Vclav Klaus weiger-te, den Kandidaten der Grnen, Senator Karl Frst zuSchwarzenberg, zum Auenminister des Landes zu ernen-nen. Klaus argumentierte damals, bei Schwarzenberg, derviele Jahre in sterreich gelebt hatte, sei nicht gewhrleis-tet, dass er auch tatschlich und ausreichend die Interessendes Landes wahren wrde. Regierungschef Mirek Topol-nek, der derselben Partei wie Klaus angehrt, widersetztesich dem Ansinnen von Staatsprsident Klaus, der schlie-lich Frst zu Schwarzenberg ernennen musste. Hier kamenauf einmal bewusst oder unbewusst die altbekannten Ein-stellungen und Konnotationen zum Tragen: Ein Vertretereines bernationalen, alten bhmischen Adelsgeschlechtssollte auf einmal die Geschicke der tschechischen Auen-politik leiten. Man hat sich damals gelegentlich die Fragegestellt, ob dieser Schritt nicht auch einen Bruch mit derplebejischen Tradition des Landes bedeutete, die in der I.Republik geprgt und gepflegt wurde.

    Auch in der Slowakei wird insbesondere von der gegen-wrtigen links-populistischen Regierung unter Minister-prsident Robert Fico verstrkt nach Motiven und Bilderngesucht, welche es erlauben, die Regierungspolitik in denKontext der nationalen Geschichte zu stellen. Dass dabeiuerst selektiv vorgegangen wird, zeigt sich nicht zuletztbei Ficos Versuch, den Mythos um die Figur des slowaki-schen Freischrlers und Nationalhelden, Juraj Jnok,hochzustilisieren unter dem Motto, dass Jnok, der derLegende zufolge den Reichen nahm, um den Armen zu ge-ben, laut Fico der erste Sozialist in der slowakischenGeschichte gewesen sei.

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  • Anmerkungen1 Vgl. Frantisek Palacky: Geschichte Bhmens, 5 Bde. (Prag118361845), Neudruck: Osnabrck 1968.2 Vgl. Klaus Brill: Verstrickt in den braunen Terror. War der Volks-tribun Hlinka ein Held oder Wegbereiter der Nazis? Die Slowakenstreiten ber die Vergangenheit, in: Sddeutsche Zeitung vom 30.Oktober 2007; Olga Gyrfov: Slowakei, in: Gnter Buchstab /Rudolf Uertz (Hg.): Nationale Identitt im vereinten Europa, Frei-burg i. Br. 2006, S. 199220, hier: 202ff.3 Als Philosoph und berzeugter Demokrat entwickelte Masarykunter anderem auch (utopische) Gedanken zur Schaffung einesneuen Menschen durch eine bessere Gesellschaft; vgl DaliborTruhar: Thomas G. Masaryk Philosophie der Demokratie,Frankfurt/Main 1994.4 Die Visegrad-Gruppe ist eine am 15. Februar 1991 in Visegrad amungarischen Donauknie von Polen, Ungarn und der Tschechoslo-wakei beschlossene lose Kooperation, um nach dem Ende des Ost-blocks und des Kalten Krieges anstehende Probleme mglichst ge-meinsam zu lsen.5 Jozef Tiso (18871947), katholischer Priester, 19391945 Pr-sident des slowakischen Staates und gleichzeitig Vorsitzender derklerikal-nationalistischen Slowakischen Volkspartei (Hlinka-Par-tei) flchtete nach der Besetzung der Slowakei 1945 in ein Klosternach Alttting in Bayern, wo er von der amerikanischen Besat-zungsmacht aufgesprt und an die Tschechoslowakei ausgeliefertwurde, die ihn 1947 hinrichtete. Der am 14. Mrz 1933 beschlos-sene slowakische Staat, der vom nationalsozialistischen Deutsch-land abhngig als nationaler christlicher Staat deklariert wurde(Verfassung 21. Juli 1939), war der erste unabhngige slowakischeStaat in der Geschichte des Landes. In einer Erklrung der Slowaki-schen Nationalen Partei (SNS) vom April 1997 wurde Tiso anlss-lich seines 50. Todestages als groer Sohn des slowakischen Vol-kes und Mrtyrer, der das Volk und das Christentum gegenBolscheswismus und Liberalismus verteidigt hat bezeichnet; vgl.Gyrfov: Slowakei (wie Anm. 2).

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