Gesundheitsberichterstattung des Bundes - edoc.rki.deedoc.rki.de/documents/rki_fv/ren4T3cctjHcA/PDF/253bKE5YVJxo_30.pdf · Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 40 7 1

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  • Robert Koch-InstitutISBN 978-3-89606-185-0ISSN 1437-5478

    Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschftsbereich des Bundesministeriums fr Gesundheit

    Trotz leicht abnehmenden Alkoholkonsums ber die letzten Jahrzehnte liegt Deutschland im internationalen Vergleich des Pro-Kopf-Konsums von Alkohol mit an der Spitze. Bereits bei Kindern und Jugendlichen finden sich riskante Konsum muster. Von 12% der 12- bis 15-Jhrigen und fast der Hlfte der 16- bis 19-Jhrigen werden mindestens einmalige monatliche Trinkanlsse mit Intoxikation berichtet. Etwa 22 % der 18- bis 59-jhrigen Erwachsenen trinkt Alkohol in einem Aus-ma, in dem auf Dauer physische, psychische und soziale Folgeschden zu erwarten sind. bermiger Alkoholkonsum ist besonders ein Problem von Mnnern im mittleren Lebens-alter und kann Ursache fr verschiedene Krankheiten wie z. B. Leberstrungen, Krebs, Herz-Kreislauf-Krankheiten, neurolo-gische Strungen, psychische Erkrankungen sowie Ursache fr Unflle sein. Darber hinaus kann bermiger Alkohol-konsum whrend der Schwangerschaft zu Schdigungen des ungeborenen Kindes fhren. Schtzungsweise 1,6 Mio. der erwachsenen Wohnbevlkerung sind nach DSM-IV-Kriterien alkoholabhngig. Nach offiziellen Statistiken geschieht etwa jedes vierte bis fnfte Gewaltdelikt unter Alkoholeinfluss, bei jedem neunten tdlichen Verkehrsunfall war Alkohol im Spiel. Die Gesamtkosten fr alkoholbezogene Krankheiten werden auf knapp 20 Mrd. Euro jhrlich geschtzt. Auerdem hat Alkoholkonsum in Deutschland jhrlich etwa 42.000 Todes-flle zur Folge. Deutschland verfgt ber ein vergleichsweise differenziertes Betreuungs- und Behandlungsangebot Alkoholkranker. Die Primrprvention, die berregional von der Deutschen Hauptstelle fr Suchtfragen (DHS) und der Bundeszentrale fr gesundheitliche Aufklrung (BZgA) geleistet bzw. untersttzt wird, hatte in Deutschland schon immer einen hohen Stellenwert. Zunehmend gewinnen zur Senkung des Umfangs von Alkoholabhngigkeit und -miss-brauch sekundrprventive Manahmen an Bedeutung.

    R O B E R T K O C H I N S T I T U TStat ist isches Bundesamt

    Gesundheitsberichterstattung des Bundes

    Heft 40Alkoholkonsum und alkoholbezogene Strungen

  • Gesundheitsberichterstattung des BundesHeft 40

    Alkoholkonsum und alkoholbezogene Strungen

    Autorin und Autoren: Kim Bloomfield, Ludwig Kraus, Michael Soyka

    Herausgeber: Robert Koch-Institut, Berlin 2008

    Heft_40_0605.indd 1 08.05.2008 13:32:37 Uhr

  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 40 3

    Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) liefert daten- und indikatorengesttzte Beschreibungen und Analysen zu allen Bereichen des Gesundheitswesens.

    Als dynamisches und in stndiger Aktualisierung begriffenes System bietet die Gesundheitsbericht-erstattung des Bundes die Informationen zu den Themenfeldern in Form sich ergnzender und aufeinander beziehender Produkte an:

    Themenhefte der Gesundheitsberichterstattung des Bundes In den Themenheften werden spezifische

    Informationen zum Gesundheitszustand der Bevlkerung und zum Gesundheitssystem handlungsorientiert und bersichtlich pr-sentiert. Jedes Themenheft lsst sich einem der GBE-Themenfelder zuordnen; der inne-re Aufbau folgt ebenfalls der Struktur der Themenfelder. Somit bieten die Themen fel - der der GBE sowohl den Rahmen als auch die Gliederung fr die Einzelhefte. Inhalt - lich zusammengehrende Themen knnen

    gebndelt und gemeinsam heraus gegeben wer den. Die fortlaufende Erscheinungsweise ge whrleistet Aktualitt. Die Autorinnen und Autoren sind ausgewiesene Expertinnen und Experten aus dem jeweiligen Bereich.

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    Informationssystem der Gesundheitsbericht-erstattung des Bundes Das Informationssystem der Gesundheits-

    berichterstattung des Bundes liefert als Online-Datenbank schnell, kompakt und transparent gesundheitsrelevante Informa-tionen zu allen Themenfeldern der Gesund-heitsberichterstattung. Die Informationen werden in Form von individuell gestaltbaren Tabellen, bersichtlichen Grafiken, verstnd-lichen Texten und przisen Definitionen bereitgestellt und knnen heruntergeladen werden. Das System wird stndig ausgebaut. Derzeit sind aktuelle Informationen aus ber 100 Datenquellen abrufbar. Zustzlich knnen ber dieses System die GBE-The-menhefte sowie weitere GBE-Publikationen abgerufen werden.

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    Schwerpunktberichte In den Schwerpunktberichten werden spe-

    zielle Themen der Gesundheit und des Ge-sundheitssystems detailliert und umfassend beschrieben.

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    Die Aussagen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes beziehen sich auf die nationale, bundesweite Ebene und haben eine Referenz-funktion fr die Gesundheitsberichterstattung der Lnder. Auf diese Weise stellt die GBE des Bundes eine fachliche Grundlage fr poli-tische Entscheidungen bereit und bietet allen Interessierten eine datengesttzte Informa-tionsgrundlage. Darber hinaus dient sie der Erfolgskontrolle durchgefhrter Manahmen und trgt zur Entwicklung und Evaluierung von Gesundheitszielen bei.

    Gesundheitsberichterstattung des Bundes

    Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens

    Gesundheitliche Lage

    Gesundheits-probleme,

    Krankheiten

    Gesundheits-verhalten und -gefhrdung

    Leistungen und Inanspruchnahme

    Ausgaben, Kosten und

    Finanzierung

    Ressourcen der Gesundheits- versorgung

    Heft_40_0605.indd 3 08.05.2008 13:32:37 Uhr

  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 404

    Der Leser- und Nutzerkreis der GBE-Produkte ist breit gefchert: Angesprochen sind Gesund-heitspolitikerinnen und -politiker, Expertinnen und Experten in wissenschaftlichen Forschungs-einrichtungen und die Fachffentlichkeit. Zur Zielgruppe gehren auch Brgerinnen und Brger, Patientinnen und Patienten, Verbrauche rinnen und Verbraucher und ihre jeweiligen Verbnde.

    Das vorliegende Heft 40 der Gesundheits-berichterstattung des Bundes Alkoholkonsum und alkoholbezogene Strungen lsst sich folgen-dermaen in das Gesamtspek trum der Themen-felder einordnen:

    Gesundheits-beeinflussende Lebensweise

    Alkoholkonsum und alkoholbezogene

    Strungen

    Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens

    Gesundheitliche Lage

    Gesundheits-verhalten und -gefhrdung

    Gesundheits-probleme,

    Krankheiten

    Leistungen und Inanspruchnahme

    Ausgaben, Kosten und

    Finanzierung

    Ressourcen der Gesundheits- versorgung

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 40 5

    Inhaltsverzeichnis

    1 Einleitung 7

    2 Entwicklung des Pro-Kopf-Konsums 8

    3 Konsumenten und Konsummengen in der Bevlkerung 103.1 Erfassung der individuellen Konsummenge . . . . . . . . . . . . . . . . 103.2 Abstinenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103.3 Konsummuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

    4 Abhngigkeit und Missbrauch 134.1 Erfassung von Alkoholabhngigkeit und -missbrauch . . . . . . . . . . . 134.2 Indikatoren fr Alkoholmissbrauch und -abhngigkeit. . . . . . . . . . . 14

    5 Alkoholbezogene Strungen und Krankheiten 155.1 Morbidittsstatistik alkoholbezogener Krankheiten . . . . . . . . . . . . 155.2 Unflle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165.3 Gewalt und Kriminalitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

    6 Alkoholbezogene Mortalitt 17

    7 konomische Auswirkungen alkoholbezogener Krankheiten 20

    8 Therapie der Alkoholabhngigkeit und alkoholbezogener Krankheiten 218.1 Versorgungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218.2 Stationre Entwhnungsbehandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228.3 Ambulante Entwhnungstherapien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228.4 Defizite der Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238.5 Therapieergebnisse bei Alkoholabhngigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 23

    9 Konsumempfehlungen und prventive Manahmen 249.1 Trinkempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249.2 Prventionsaktivitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

    10 Forschungsperspektiven 25

    11 Ansprechpartner 26

    12 Literatur 26

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 406

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 40 7

    1 Einleitung

    Die epidemiologische Forschung weist Alkohol als einen bedeutenden Risikofaktor fr Morbidi-tt und Mortalitt aus [1, 2]. Die Global Burden of Disease Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kommt zu dem Ergebnis, dass in indus-trialisierten Lndern Alkohol nach Tabak und Bluthochdruck die dritthufigste Ursache fr ver-lorene Lebensjahre darstellt [3]. Es wird geschtzt, dass weltweit 1,5 % aller Todesflle, 2,1 % der durch vorzeitigen Tod verlorenen Lebensjahre, 6,0 % der durch krperliche und psychische Einschrn-kungen verlorenen Lebensjahre und 3,5 % der nach Einschrnkungen adjustierten Lebensjahre (DALYs) auf die Wirkung von Alkohol zurckzu-fhren sind. Neben den gesundheitlichen Folgen werden auch soziale Probleme wie Gewalt oder familire Probleme in Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum gebracht [4].

    Die negativen Folgen des Alkoholkonsums sind dabei weniger mit dem Durchschnittskon-sum als mit der Variabilitt des Trinkverhaltens assoziiert [4, 5]. Bei konstanter wchentlicher Kon-summenge ist eine tgliche moderate Konsum-aufnahme im Vergleich zum unregelmigen Konsum grerer Mengen mit einem geringeren Mortalittsrisiko [6, 7] sowie mit einem geringe-ren Risiko fr soziale Probleme verbunden [8]. Da die Mehrheit der Konsumenten, die selten viel Alkohol trinken, bezogen auf ihren Durchschnitts-konsum moderate Trinker sind, ergibt sich aus der rein quantitativen Mehrheit moderater im Ver-gleich zu exzessiven Alkoholkonsumenten [9, 10] die Situation, dass die Mehrheit der in der Bevl-kerung beobachteten alkoholbedingten Probleme von Personen mit einem moderaten Alkoholkon-sum verursacht werden [1, 11].

    Nach dem gegenwrtigen Wissensstand wer-den die Folgen des Alkoholkonsums weitgehend ber biochemische Effekte, den Zustand des Rausches oder der Intoxikation und die psychi-sche Strung der Abhngigkeit vermittelt [12, 13]. Trinkmuster, die neben der Trinkhufigkeit und der durchschnittlich konsumierten Menge zeit-liche Schwankungen des Konsums bestimmter Trinkmengen bercksichtigen, haben in diesem

    Vermittlungsprozess einen wesentlichen Einfluss. In Abhngigkeit der Trinkmuster lassen sich nm-lich verschiedene Folgen des Alkoholkonsums be-obachten. Bei einem starken Konsum ber einen lngeren Zeitraum spielen weniger die Effekte der Berauschung eine Rolle als die toxischen Wirkun-gen, die zu Schdigungen des Gewebes und der Entwicklung einer Alkoholabhngigkeit fhren knnen. Die kumulative Wirkung tglichen Alko-holkonsums kann bereits bei geringen Mengen zu Schdigungen beispielsweise der Leber fhren. Auf der anderen Seite kann ein seltener Konsum groer Mengen Alkohols durch den Zustand der Berauschung gesundheitliche und soziale Prob-leme wie Verletzungen durch Unflle oder Ge-walt, aber auch akute Gewebeschden zur Folge haben.

    In jngster Zeit scheint auch in Deutschland das Bewusstsein gewachsen zu sein, dass Alkohol-konsum nicht nur zu Abhngigkeit fhren, son-dern auch eine Reihe von gesundheitlichen, ko-nomischen und sozialen Auswirkungen mit sich bringen kann. Dieser Erkenntnisgewinn hat mit verbesserten Verfahren der Datenerhebung und mit internationalen Vergleichsuntersuchungen nach einheitlichen Standards zu tun, die in ber-sichtsarbeiten wie die von Edwards et al. [1] oder Babor et al. [12] den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und einer Vielzahl von negativen Konsequenzen zeigen.

    Trotz eines langsam abnehmenden Alkohol-konsums ber die letzten drei Jahrzehnte liegt Deutschland im internationalen Vergleich des Pro-Kopf-Konsums von Alkohol nach wie vor mit an der Spitze. Der Trend des Alkoholkonsums wird zwar durch Surveydaten in der erwachsenen Bevlkerung besttigt [14], Beobachtungen bei Kin-dern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen deu-ten jedoch in jngster Zeit auf eine Umkehrung dieses Trends hin [15, 16]. Die Ergebnisse des bun-desweiten reprsentativen Kinder- und Jugend-gesundheitssurveys (KiGGS) zeigen, dass schon im Alter von elf Jahren knapp 20 % der Jungen und 12 % der Mdchen Alkohol getrunken haben; 45 % der Kinder im Alter von 13 Jahren haben nach

    Alkoholkonsum und alkoholbezogene Strungen

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 408

    2 Entwicklung des Pro-Kopf-Konsums

    Eine leicht zu ermittelnde Kenngre fr den in-ternationalen Vergleich ist der Pro-Kopf-Konsum eines Landes. Der fr die Berechnung dieser Kenn-zahl ntige Gesamtverbrauch errechnet sich als Ge-samtmenge des produzierten Alkohols zuzglich des importierten und abzglich des exportierten Alkohols. Verzerrungen, die durch nicht erfasste Mengen aus Schmuggel, Grenzverkehr, zollfreien Verkufen, Touristenkonsum, Schwarzmarkt, Schwarzbrennerei und Hausproduktion entste-hen und je nach Land unterschiedlich ausfallen knnen, werden nicht bercksichtigt. Die Validitt des Pro-Kopf-Konsums in Reinalkohol hngt dabei von der Aktualitt der Faktoren zur Bestimmung des durchschnittlichen Ethanolgehalts aus den Gesamtmengen des Verbrauchs von Bier, Wein, Schaumwein und Spirituosen ab. Vor allem bei Lndervergleichen haben sich Studien zum Pro-Kopf-Konsum vorteilhafter erwiesen gegenber sol-chen, die Individualdaten vergleichen. Man kommt schnell und gnstig an aggregierte Daten vieler Lnder, auerdem sind oft Daten zu mehreren Jahren erhltlich, was wiederum einen Trendver-gleich erlaubt. Darber hinaus knnen Daten zum Pro-Kopf-Konsum eher eine realistische Schtzung des Gesamtkonsums liefern als Umfragen, die bli-cherweise niedrigere Schtzungen des Gesamtkon-sums einer Population ergeben [18].

    Angaben ber die produzierten Mengen al-koholischer Getrnke finden sich sowohl in der amtlichen Statistik des Statistischen Bundesamtes (z. B. Fachserie 14: Finanzen und Steuern) als auch in den Verffentlichungen des Deutschen Brauer-Bundes, des Deutschen Weinbauverbandes sowie des Bundesverbandes der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure e. V. (BSI). Die um Im- und Exporte bereinigten Produktionsmengen sind jedoch fr die Betrachtung von durchschnittlichen Trinkmengen nur eingeschrnkt brauchbar, ent-scheidend ist hier einzig der Konsum.

    Tabelle 1 gibt einen berblick ber den Ver-brauch je Einwohner an Bier, Wein, Schaumwein und Spirituosen in Litern zwischen 1900 und 2005. Wie sich zeigt ging seit 1970 der Konsum an Bier deutlich und der von Spirituosen leicht zurck, whrend der Pro-Kopf-Verbrauch pro Einwohner an Wein und Schaumwein in dieser Zeit gestiegen ist.

    Selbstangaben Erfahrungen mit Alkoholkonsum. Regelmig, d. h. mindestens einmal pro Woche, trinken 18 % der mnnlichen Jugendlichen im Alter von 14 Jahren Alkohol. Diese Quote steigt mit dem Alter kontinuierlich bis auf 67 % der 17-jh-rigen jungen Mnner. Mdchen berichten selte-ner einen regelmigen Alkoholkonsum mit 9 % (14 Jahre) bis 40 % (17 Jahre). Eltern unterschtzen den Alkoholkonsum ihrer Kinder [17].

    Auf die aktuelle Entwicklung der Folgen des Alkoholkonsums bei Kindern und Jugendlichen, kann hier nicht ausfhrlich eingegangen werden. Das Statistische Bundesamt teilt im Juni 2007 mit, dass im Jahr 2000 immerhin 9.500 junge Menschen im Alter zwischen zehn und 19 Jahren mit akuter Alkoholintoxikation im Krankenhaus behandelt werden mussten. Im Jahr 2005 wurden bereits mehr als doppelt so viel Kinder, Jugend-liche und junge Erwachsene (19.400 Flle) wegen Alkoholvergiftung stationr behandelt. Reaktio-nen auf die dynamische Entwicklung des Alko-holkonsums von Kindern und Jugendlichen mit ihren spezifischen Trinkmustern sind notwendig und auch erfolgt. Weitere Informationen sind z. B. bei der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, bei der Bundeszentrale fr gesundheitliche Auf-klrung und bei der Deutschen Hauptstelle fr Suchtfragen zu erhalten (Adressen am Schluss des Heftes).

    Der vorliegende Beitrag will einen berblick geben ber Alkoholkonsum, Konsummuster, alko-holbezogene Strungen, alkoholbezogene Morta-litt und konomische Auswirkungen des Alko-holmissbrauchs in Deutschland. Darber hinaus werden Therapiemglichkeiten und deren Effekti-vitt behandelt sowie Konsumentenempfehlungen diskutiert und prventive Manahmen vorgestellt. Schlielich werden einige Forschungsperspekti-ven aufgezeigt. Von diesen Darstellungen soll der Leser profitieren und ein aktuelles Bild ber den Alkoholkonsum und seine Folgen erhalten.

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 40 9

    Die Entwicklung des Gesamtverbrauchs an Alkohol in Litern Reinalkohol seit 1900 ist in Tabelle 2 dargestellt. Beobachtungen ber einen Zeitraum von ber 30 Jahren lassen erkennen, dass der Pro-Kopf-Verbrauch in den letzten Jahren zwar leicht abgenommen hat, ein Trend, der auch in einigen westeuropischen Lndern zu beobach-ten ist, aber insgesamt zwischen 1970 und 2005 nur geringfgig gefallen ist [19]. Im internationa-len Vergleich nahm Deutschland mit 10,2 l Rein-alkohol pro Kopf 2003 Platz 5 in der Rangreihe ein, und weist damit im Vergleich der EU Staaten einen relativ hohen Pro-Kopf-Verbrauch auf [20].

    Tabelle 2Verbrauch je Einwohner an reinem Alkohol Quelle: [19]

    Tabelle 1Verbrauch je Einwohner an Bier, Wein, Schaumwein und Spirituosen in Liter zwischen 1900 und 2005 Quelle: [19]

    Jahr Bier Wein* Schaum- wein*

    Spirituo-sen**

    1900 125,1

    1929/30 90,0

    1938/39 69,9

    1950 35,6 4,7 2,5

    1960 94,7 10,8 1,9 4,9

    1970 141,1 15,3 1,9 6,8

    1975 147,8 20,5 2,6 8,0

    1980 145,9 21,4 4,4 8,0

    1985 145,8 21,2 4,2 6,1

    1990 142,7 21,9 5,1 6,2

    1994 138,0 18,0 5,1 6,7

    1995 135,9 17,4 4,9 6,5

    1996 131,9 18,3 4,8 6,3

    1997 131,2 18,1 4,9 6,1

    1998 127,5 18,1 4,7 6,0

    1999 127,5 18,0 4,9 5,9

    2000 125,5 19,0 4,1 5,8

    2001 122,4 19,8 4,2 5,8

    2002 121,5 20,3 3,9 5,9

    2003 117,5 19,8 3,8 5,9

    2004 b) 115,9 20,1 3,8 5,8

    2005 a) 115,2 19,9 3,8 5,7

    * Weinkonsum einschl. Wermut- und Kruterwein, jeweils fr das Weinwirtschaftsjahr (01.09. bis 31.08.); bis 1960 einschl. Schaum-wein

    ** Angaben beinhalten ab 2002 Spirituosen-Mischgetrnke umge-rechnet auf einen durchschnittlichen Alkoholgehalt von 33 Vol %

    b) revidierte Schtzunga) vorlufige Schtzung

    Jahr Liter

    1900 10,1

    1913 7,5

    1929 5,2

    1950 3,2

    1960 7,8

    1970 11,2

    1975 12,7

    1980 12,9

    1985 12,1

    1990 12,1

    1995 11,1

    1996 11,0

    1997 10,8

    1998 10,6

    1999 10,6

    2000 10,5

    2001 10,4

    2002 10,4

    2003 10,2

    2004 10,1

    2005 10,0

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 4010

    Als Auenkriterium zur Abschtzung der Validitt der verschiedenen Schtzverfahren wer-den Verkaufs- bzw. Produktionszahlen verwen-det [24]. Die in Bevlkerungssurveys ermittelten Anteile des Durchschnittskonsums am Pro-Kopf-Verbrauch der Schtzungen aus den Produktions-zahlen schwanken zwischen 40 % und 60 % [30]. Lemmens, Tan und Knibbe [31] ermitteln fr die Tagebuchmethode einen Anteil von 67 %, wh-rend die Raten aus retrospektiven Verfahren mit unter 60 % hnliche Werte aufweisen. Ein wei-terer Einflussfaktor geht von den Umrechnungs-werten der konsumierten Mengen alkoholhaltiger Getrnke in Gramm Reinalkohol aus. Der Alko-holgehalt in Vol % in den verschiedenen Lndern schwankt bei Bier zwischen 4 % und 5 %. Bei Wein liegen die Werte zwischen 10 % und 13 Vol % und bei Spirituosen zwischen 34 % und 40 Vol %. Bei Vergleichen ist die Gltigkeit der verwendeten Umrechnungsfaktoren zu prfen.

    Bhringer und Kollegen [32] legen 2000 in ihrer Reanalyse verschiedener epidemiologischer Studien zum Alkoholkonsum fr Bier, Wein/Sekt und Spirituosen jeweils 4,8 Vol %, 11,0 Vol % und 33,0 Vol % zu Grunde, was einer Alkoholmenge von 38,1 g, 87,3 g und 262,0 g Reinalkohol pro Liter entspricht.

    3 2 Abstinenz

    In einer bersicht zu Alkoholkonsum und alko-holbezogenen Strungen in Deutschland berich-ten Bhringer et al. [32] die Prvalenzwerte fr Lebenszeit- und 12-Monats-Abstinenz. Insgesamt zeigt sich, dass mehr Frauen als Mnner lebens-zeitabstinent bzw. 12-Monats-abstinent sind. Dies gilt mit wenigen Ausnahmen fr alle Studien und alle Altersgruppen. Erwartungsgem nimmt der Anteil der Lebenszeitabstinenten mit steigendem Alter tendenziell ab, whrend der Anteil der 12-Monats-Abstinenten eher zunimmt. Aus den Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys aus dem Jahre 2003 [14] geht hervor, dass bundesweit lediglich 2,7 % der Befragten 18- bis 59-jhrigen Erwachsenen lebenslang abstinent bleiben. In den letzten zwlf Monaten und den letzten 30 Tagen tranken weitere 5,2 % bzw. 9,0 % keinen Alkohol. Insgesamt lag der Anteil der Alkoholabstinenz bezogen auf die letzten 30 Tage damit bei 16,8 %.

    Whrend diese Daten zwar einen Anhalts-punkt fr Gesamtalkoholmengen liefern, sagen sie nichts ber Trinkmuster aus, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu alkoholbezogenen Prob-lemen fhren [4]. Hierfr braucht man Bevlke-rungsbefragungen, mit deren Hilfe sich genauer ermitteln lsst, wie der Konsum nach unterschied-lichen Trinkgewohnheiten und nach bestimmten soziodemographischen Merkmalen in der Bevl-kerung verteilt ist.

    3 Konsumenten und Konsummengen in der Bevlkerung

    3 1 Erfassung der individuellen Konsummenge

    In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine Viel-zahl von Methoden zur Erfassung des Alkohol-konsums entwickelt. Eines der gebruchlichsten Verfahren geht auf Straus und Bacon [21] zurck. Dieser Index erfordert von den Befragten die Reduktion des vergangenen Verhaltens auf die Dimensionen Hufigkeit des Alkoholkonsums und durchschnittliche Menge pro Trinkgelegen-heit. Dieser Frequenz-Menge-Index (FM) wurde in zahlreichen Variationen verwendet. Cahalan, Cisin und Crossley [22] erweiterten den Frequenz-Menge-Index um die Dimension der Variabilitt des Trinkverhaltens (Hufigkeit verschiedener Trinkmengen). Neben diesen Verfahren der Durchschnittsbildung lsst sich auch die tatsch-liche Frequenz und Menge des in der jngsten Vergangenheit bei verschiedenen Gelegenheiten konsumierten Alkohols erfassen [23].

    Da diese Konzepte auf den Angaben der Per-sonen zu ihrem eigenen Verhalten beruhen, sind Fehler auf Seiten des Individuums zu erwarten. Die Befragten vergessen mglicherweise einen Teil der Trinkanlsse und/oder die bei diesen Gelegenhei-ten konsumierten Mengen oder geben nur einen Teil ihres Alkoholkonsums zu. Validittsstudien auf der Grundlage von prospektiven Tagebuchaufzeich-nungen (Protokoll-Methode) kommen zu keiner bereinstimmenden Einschtzung [24, 25, 26, 27, 28]. Midanik [29] weist in diesem Zusammenhang kritisch darauf hin, dass Tagebuchaufzeichnungen auf Selbstbeobachtungen beruhen, die das Verhal-ten selbst wieder beeinflussen knnen.

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 40 11

    3 3 Konsummuster

    Als Indikator riskanten Alkoholkonsums werden Konsumgrenzen pro Tag verwendet, oberhalb de-rer auf Dauer physische, psychische und soziale Folgeschden zu erwarten sind. Ab welcher Gren-ze Alkoholkonsum zu gesundheitlichen Schden fhrt, wird in Fachkreisen kontrovers diskutiert (vgl. [1]). Dies fhrte in verschiedenen Lndern zur Festsetzung unterschiedlicher Gefhrdungsgren-zen in Gramm Reinalkohol, ab der jeweils ein hheres Gesundheitsrisiko zu erwarten ist. In der Stellungnahme der British Medical Association [34] wurden Empfehlungen fr risikoarmen Alko-holgebrauch von weniger als 21 Getrnkeeinheiten (Units) pro Woche fr Mnner und 14 Getrnke-einheiten fr Frauen gegeben. Dies entspricht in etwa maximal 30 g pro Tag fr Mnner und 20 g pro Tag fr Frauen.

    Die Diskussion um Grammgrenzen wird auch vor dem Hintergrund empirischer Ergebnisse ge-fhrt, die berichten, dass miger Alkoholkonsum ein niedriges, wogegen Abstinenz ein geringfgig hheres Risiko fr koronare Herzerkrankungen bedeutet [1]. Der bivariate Zusammenhang zwi-schen Alkohol und koronaren Herzerkrankungen vernachlssigt allerdings andere Risiken, die mit Alkohol im Zusammenhang stehen. Wie sich zeigt, lassen sich beispielsweise fr durch Alko-hol bedingte Unflle oder soziale Probleme keine klaren Grenzen fr ein verringertes Risiko feststel-len [35, 36]. Bei der Diskussion ber Grenzwerte sollte bercksichtigt werden, dass ein Konsum un-terhalb dieser Grammgrenzen keine Sicherheit bedeutet [34]. Insofern besteht international weit-gehend Konsens, die Trinkmenge bis zur Grenze von 20 g bzw. 30 g pro Tag als risikoarm und nicht als risikolos oder harmlos zu bezeichnen.

    Bhringer et al. [32] definieren Konsumenten-gruppen ber die Menge des tglich konsumierten Alkohols und schlagen eine Einteilung des Alko-holkonsums in den letzten zwlf Monaten in Ab-stinenz, risikoarmen Konsum (Mnner: > 030 g, Frauen: > 020 g), riskanten Konsum (Mnner: > 3060 g, Frauen: > 2040 g), gefhrlichen Kon-sum (Mnner: > 60120 g, Frauen: > 4080 g) und Hochkonsum (Mnner: > 120 g, Frauen: > 80 g) vor.

    Trendvergleiche seit 1995 weisen auf einen leich-ten Rckgang der 30-Tage-Abstinenz hin. Dieser Rckgang ist auf das Konsumverhalten der Frauen zurckzufhren. Whrend der Anteil der 30-Tage-Abstinenz bei den Mnnern konstant blieb, nahm er bei den Frauen deutlich ab.

    Angaben zum Alkoholkonsumverhalten von Kindern und Jugendlichen liefert beispielsweise der Jugendgesundheitssurvey im Rahmen der Stu-die Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) [16]. Gefragt nach ihrem Alkoholkon-sum in der letzten Zeit berichteten von den 11- bis 12-Jhrigen 79 % der Jungen und 89 % Mdchen, von den 13- bis 14-Jhrigen 54 % der Jungen und 56 % der Mdchen und von den 15- bis 16-Jhrigen 21 % der Jungen und 22 % der Mdchen ber kei-nen Alkoholkonsum. Weitere Prvalenzwerte zur Abstinenz werden aus der Europischen Schler-studie zu Alkohol und anderen Drogen (ESPAD) berichtet [33]. Whrend von den 15- bis 16-Jhrigen 16 % der Jungen und 17 % der Mdchen in den letz-ten 30 Tagen keinen Alkohol konsumierten, wa-ren bezogen auf die letzten zwlf Monate lediglich 6 % der Jungen und 5 % der Mdchen abstinent. Aus der KiGGS-Studie ist bekannt, dass 80 % der 11-jhrigen Jungen und 88 % der 11-jhrigen Md-chen bisher keinen Alkohol konsumiert haben. Die Quote der abstinenten Kinder und Jugend-lichen fllt mit dem Alter auf 5 % der 17-Jhrigen [17].

    Die Daten des Epidemiologischen Sucht-surveys lassen kein klares Muster bezglich der Verteilung der Abstinenzquoten der einzelnen Bundeslnder erkennen. Es zeigten sich weder eindeutige Ost-West-Unterschiede noch Nord-Sd-Differenzen, die aufgrund der angrenzenden Trinkkulturen die skandinavische im Norden und die mediterrane im Sden Deutschlands zu erwarten gewesen wren. Unterschiede zwischen Stadtstaaten und Flchenstaaten traten ebenfalls nicht auf. Von den drei Stadtstaaten nimmt Bre-men in der Rangreihe der Abstinenzquoten eine niedrige Position, Hamburg eine mittlere Position und Berlin eine hohe Position ein [32].

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 4012

    des Ernhrungssurveys wurde ber den Bundes-lebensmittelschlssel der durchschnittliche tg-liche Alkoholkonsum berechnet. Nach Burger und Mensink [38] trinken 31 % der Mnner tglich mehr als 20 g Alkohol und 16 % der Frauen mehr als 10 g. Diese strengeren Grenzwerte basieren auf den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft fr Ernhrung. Deutlich wird in Abbildung 1, dass im mittleren Lebensalter um 50 sowohl fr Frau-en als auch fr Mnner der Alkoholkonsum am hchsten ist.

    Neben der Durchschnittmenge hat die Hu-figkeit von Anlssen, in denen von einer Alko-holintoxikation auszugehen ist, einen wesentliche Einfluss auf das Risiko fr negative alkoholbezo-gene Folgen. Ein Indikator fr Intoxikation ist der Konsum von fnf oder mehr Glsern Alkohol (exzessiver Trinkanlass), was ungefhr einer Men-ge von > 70 g Ethanol entspricht. Aus den Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys geht hervor, dass 31,5 % der Erwachsenen mindestens einmal pro Monat exzessiv Alkohol trinken, ein exzessiver Konsum von mindestens einmal pro Woche wird von 13 % berichtet [14].

    Die Mehrheit der 18- bis 59-jhrigen Befragten des Epidemiologischen Suchtsurveys 2003 [14] liegt nach dieser Definition innerhalb der Grenzen fr risikoarmen Konsum (gesamt: 71 %; 71 % der Mn-ner und 72 % der Frauen). In allen anderen Katego-rien sind prozentual die Mnner strker vertreten als die Frauen: Riskanten Konsum (insgesamt 9 %) weisen 12 % der Mnner, aber nur 6 % der Frauen auf. Beim gefhrlichen Konsum (insgesamt 2,5 %) stehen 3,7 % bei den Mnnern 1,2 % bei den Frauen gegenber; in der Kategorie Hochkonsum (insge-samt 0,3 %) finden sich 0,4 % Mnner und 0,1 % Frauen. Trendanalysen zwischen 1995 und 2003 lassen bei beiden Geschlechtern eine Verschiebung von strkerem zu moderaterem Konsum erkennen. Zeitvergleiche des Bundes-Gesundheitssurveys zwischen 1991/92 und 1998 zeigen darber hinaus eine Angleichung der Konsummuster von Mn-nern und Frauen [37].

    Bei einem Teil der Probanden des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 wurde das Ernhrungs-verhalten in den letzten vier Wochen mittels des computergesttzten Ernhrungserhebungsinstru-ment DISHES 98 erhoben. Fr diese Teilnehmer

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    Abbildung 1Anteil der Alkoholkonsumenten oberhalb der Grenzwerte von 20 g/Tag fr Mnner und 10 g/Tag fr Frauen nach AltersgruppenQuelle: Ernhrungssurvey im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 [38]

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 40 13

    4 Abhngigkeit und Missbrauch

    In der Bundesrepublik Deutschland gibt es nur wenige Studien, die sich mit der Epidemiologie von Alkoholabhngigkeit und -missbrauch in der Bevlkerung befassen. Hufig genannt wird die Schtzung von 2,5 Mio. Alkoholabhngigen in Deutschland. Die Basis fr diesen epidemio-logischen Schtzwert bildet eine Studie aus dem Jahre 1974 [39]. Die Daten dieser Studie sowie einer Erhebung in Bremen [40] fhrten zu der Einschtzung, dass etwa 3 % der Bevlkerung ein Alkoholproblem aufweisen. Hieraus entstand der Schtzwert von 1,8 Mio. Alkoholabhngigen in den alten Bundeslndern, was unter Hinzunahme der neuen Bundeslnder einem Wert von 2,5 Mio. entspricht. Gesttzt wurde diese Schtzung durch die Ergebnisse der Oberbayern-Studie, bei der mit differenzierterer Diagnostik 2,1 % der Befragten innerhalb der letzten sieben Tage einen behand-lungsbedrftigen Alkoholismus aufwiesen und weitere 2,3 % einen Alkoholismus mit geringerer Ausprgung der Schwere [41].

    4 1 Erfassung von Alkoholabhngigkeit und -missbrauch

    Jngere Studien [42, 43, 44, 45] verwendeten fr die Erfassung von Alkoholabhngigkeit und -miss-brauch das internationale Diagnosesystem DSM-IV, das die Strungen Alkoholabhngigkeit und -missbrauch unterscheidet (vgl. [46]). Fr persn-liche Interviews liegt mit dem M-CIDI [47] eine va-lidierte Operationalisierung der DSM-IV und ICD-10-Kriterien vor, die in den regionalen Studien in Mnchen [42] und Lbeck [45] eingesetzt wurde.

    Weniger aufwndig als die Durchfhrung von diagnostischen Interviews ist der Einsatz von Screening-Verfahren. Weit verbreitet sind der Michigan Alcoholism Screening-Test (MAST [48]) oder der Kurzfragebogen CAGE [49]. Mit dem Lbecker Alkoholabhngigkeits und -missbrauchs- Screening-Test, das die Items des MAST und CAGE kombiniert, steht im deutschen Sprach-raum eine sensitive Diagnostik von Alkoholab-hngigkeit und -missbrauch zur Verfgung (LAST [50]). Andere Entwicklungen wie der Alcohol Use Disorders Identification Test (AUDIT) zielen eher

    Epidemiologische Daten zu durchschnitt-lichen Konsummengen und zur Hufigkeit ex-zessiver Trinkanlsse fr Kinder und Jugendliche werden regelmig in der Drogenaffinittsstudie (DAS) der Bundeszentrale fr gesundheitliche Aufklrung (BZgA) erhoben. Im Survey des Jah-res 2004 berichten 5 % der 12- bis 15-Jhrigen und 24 % der 16- bis 19-Jhrigen einen wchentlichen Konsum von 120 g Ethanol oder mehr. Interessan-ter Weise finden sich aber bezogen auf die letz-ten 30 Tage vor der Befragung bei 12 % der 12- bis 15-Jhrigen und bei fast der Hlfte (46 %) der 16- bis 19-Jhrigen mindestens ein exzessiver Trink-anlass. Von 1 % der 12- bis 15-Jhrigen und von 6 % der 16- bis 19-Jhrigen wurden in den letzten 30 Tagen sechs oder mehr exzessiver Trinkanlsse angegeben [15].

    Konsumtrends fr Kinder und Jugendliche zwischen 1993/94 und 2001/02 werden aus der HBSC Studie in Nordrhein-Westfalen berichtet [16]. Whrend die Anteile regelmiger Konsu-menten bei den 11-Jhrigen bei Jungen und Md-chen auf niedrigem Niveau leicht zurckgegangen sind, stiegen sie bei den 13-jhrigen Jungen von 5 % auf 11 % und bei den 13-jhrigen Mdchen von 4 % auf 9 %. Zunahmen der Prvalenz regelm-igen Konsums finden sich auch bei den 15-Jhri-gen. Die Anteile regelmiger Konsumenten nah-men bei den Jungen von 25 % auf 37 % und bei den Mdchen von 18 % auf 25 % zu. Weiterhin weisen die Indikatoren problematischen Konsumverhal-tens darauf hin, dass die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die ihre ersten Rauscherfahrungen in jungen Jahren machen, steigt. Whrend die Anteile der 11-Jhrigen mit Rauscherfahrung im Zeitvergleich nur leicht zunahmen, stiegen diese Anteile bei den 13-jhrigen Jungen von 7 % auf 13 % und bei den 13-jhrigen Mdchen von 7 % auf 10 %. Bei den 15-Jhrigen zeigt sich bei den Jungen ein Zuwachs von 34 % auf 44 % und bei den Mdchen von 26 % auf 34 %.

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 4014

    Bhringer et al. [32] nahmen fr das Jahr 1997 eine Hochrechnung auf die Wohnbevlkerung ab 18 Jahren vor (66,0 Mio. Personen) und ermittel-ten eine aktuelle Alkoholabhngigkeit bei 1,6 Mio. Deutschen (2,4 %) und eine remittierte Alkoho-labhngigkeit bei 3,2 Mio. (4,9 %), so dass insge-samt 4,8 Mio. Personen irgendwann im Verlauf des Lebens eine Alkoholabhngigkeit hatten. Da davon auszugehen ist, dass in epidemiologischen Studien ein Teil der schweren Alkoholkonsumen-ten die Teilnahme verweigert oder nicht erreicht wird, drfte es sich bei diesem Wert um eine kon-servative Schtzung handeln [54].

    4 2 Indikatoren fr Alkoholmissbrauch und -abhngigkeit

    Eine Reihe klinisch-chemischer Parameter knnen die Diagnose Alkoholmissbrauch und -abhngig-keit untersttzen, haben fr sich aber noch keine Beweiskraft. Dazu gehren in erster Linie die so genannten Leberwerte, speziell die Gamma-Glu-tamyltranspeptitase (Gamma-GT). Erhhte Gam-ma-GT-Spiegel sind bei Alkoholismus sehr hufig und Primrausdruck einer Enzyminduktion in der Leber, nicht einer Leberzellschdigung. Bei str-kerer Alkoholbelastung knnen auch andere Le-berwerte wie GOT und GPT oder GLDH ansteigen. Die diagnostische Sensitivitt fr die Gamma-GT ist relativ gut, die Spezifitt aber nicht befriedi-gend, da eine Vielzahl anderer Erkrankungen (z. B. nicht alkoholische Lebererkrankung, aber auch zahlreiche Medikamente) ebenfalls zu Gam-ma-GT-Erhhungen fhren knnen. Nach Entzug normalisiert sich die Gamma-GT in der Regel in-nerhalb von zwei bis fnf Wochen. Hufig finden sich bei Alkoholkranken auch Erhhungen des mittleren corpusculren Erythrozytenvolumens (MCV) als Ausdruck einer alkoholtoxischen Kno-chenmarksschdigung. Erhhungen von MCV sind bei Alkoholkonsumenten deutlich seltener als Erhhungen der so genannten Leberwerte. Wegen der langen berlebensdauer der Erythrozyten tritt aber eine Normalisierung erst nach zwei bis drei Monaten ein. In der Alkoholismusdiagnostik hat darber hinaus der Nachweis eines bestimmten Eiweies, des so genannten Carbohydrate-Defici-ent-Transferrins (CDT) in den letzen Jahren starke Bedeutung erlangt (bersicht in [55, 56, 57]). Die

    auf die Identifikation von Personen mit riskantem oder schdlichem Alkoholkonsum ab [51, 52].

    Im 1997 durchgefhrten Epidemiologischen Suchtsurvey [44] erhielten bezogen auf die letzten zwlf Monate 3,0 % der befragten 18- bis 59-Jhri-gen die Diagnose Alkoholabhngigkeit und 5,0 % die Diagnose Alkoholmissbrauch. Mit dem Kurz-fragebogen CAGE wurde fr denselben Zeitraum ein Anteil von 8,7 % mit Anzeichen von Missbrauch und Abhngigkeit identifiziert. Unter Verwendung eines Schwellenwerts von acht Punkten [52] wurde bezogen auf die letzten zwlf Monate bei 21,7 % der Stichprobe ein riskanter und schdlicher Alkohol-konsum festgestellt. Bei Mnnern war der Anteil mit 34,7 % ungefhr viermal so hoch wie bei Frauen (8,5 %). Im Vergleich dazu kamen bezogen auf die Lebenszeit die beiden Screening-Verfahren CAGE und LAST auf einen Anteil von 15 % bis 16 % von Personen, die einmal im Leben die Kriterien von Missbrauch und/oder Abhngigkeit erfllten.

    Meyer und Kollegen [45] diagnostizierten in ihrer Lbecker Studie nach den Kriterien von DSM-IV im Lebensverlauf bei 3,8 % der befrag-ten 18- bis 64-Jhrigen eine Alkoholabhngigkeit. Weitere 4,5 % hatten irgendwann in ihrem Leben einen Alkoholmissbrauch, erfllten jedoch nie die Diagnose der Abhngigkeit. In den letzten zwlf Monaten lag bei 1,4 % der Befragten eine Alkohol-abhngigkeit und bei 1,1 % ein Alkoholmissbrauch vor. Auf der Grundlage des AUDIT zeigte sich bei 6,1 % der Stichprobe ein riskanter oder schdlicher Alkoholkonsum. Im Lbecker Alkoholabhngig-keits und -missbrauchs-Screening-Test (LAST [50]) erreichten 7,6 % der Stichprobe den Schwel-lenwert von zwei Punkten.

    Von den im Mnchner Raum befragten 14- bis 24-Jhrigen Jugendlichen und jungen Erwachse-nen [53] wiesen 9,7 % die Diagnose eines Alkohol-missbrauchs nach DSM-IV auf, weitere 6,2 % die Diagnose einer Alkoholabhngigkeit. Wesentlich mehr Jungen als Mdchen erfllten die Kriterien fr Missbrauch (15,1 % vs. 4,5 %) und fr Abhngig-keit (10 % vs. 2,5 %). Ein Vergleich der Daten der Lbecker Studie mit denen der Mnchner Studie weist auf regionale Unterschiede in der Prvalenz von Strungen durch Alkohol hin. In der ber-schneidungsgruppe der 18- bis 24-Jhrigen, fan-den sich in der Mnchner Studie etwa dreifach hhere Prvalenzen fr Alkoholabhngigkeit und -missbrauch.

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 40 15

    sowie Probleme und Unflle am Arbeitsplatz [60]. Auf eine nhere Erluterung aller dieser Problem-bereiche soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. In den nachfolgenden Abschnitten ge-hen wir ein auf ausgewhlte alkoholbezogene Erkrankungen und auf die Verbindung zwischen Alkoholmissbrauch und Unflle beziehungsweise Gewalt und Verbrechen.

    5 1 Morbidittsstatistik alkoholbezogener Krank-heiten

    Bei den meisten oben genannten Erkrankungen ist Alkohol als Risikofaktor anzusehen. Einige Erkrankungen sind dagegen ausschlielich alkoholbedingt. Bei Krankheiten, die einen Zusammenhang mit Alkohol aufweisen, muss der Anteil der Flle geschtzt werden, der auf Alkohol zurckzufhren ist (Alkoholattributable Fraktion, AAF). Mit Ausnahme von chronischer Leberkrankheit und -zirrhose werden in diesem Beitrag nur alkoholassoziierte Krankheiten aufge-fhrt, deren Entstehung vollstndig auf Alkohol zurckzufhren ist (AAF=1). Unter chronischer Leberkrankheit und -zirrhose sind u. a. alko-holische Fettleber, akute alkoholische Hepatitis, alkoholische Leberzirrhose und der nicht nher bezeichnete alkoholische Leberschaden (alle mit einer AAF=1) subsumiert.

    Laut Krankenhausstatistik Diagnosedaten der Krankenhauspatienten, bei der es sich um eine Totalerhebung aller Flle (incl. Stundenflle) an allen Krankenhusern, Vorsorge- und Rehabi-litationseinrichtungen handelt, wurden im Jahr 2005 300.000 Patienten wegen psychischer und Verhaltensstrungen durch Alkohol (ICD-10: F10) behandelt. Seit Einfhrung des ICD-10 im Jahr 2000 ist eine leichte Steigerung der Behandlungs-flle im Krankenhaus wegen psychischer und Ver-haltensstrung durch Alkohol zu beobachten. Fr Mnner liegen die altersstandardisierten Fallzah-len mehr als 3-mal so hoch wie fr Frauen. Fr 45- bis 64-Jhrige ist die Wahrscheinlichkeit am hchsten, im Krankenhaus wegen dieser Erkran-kung behandelt zu werden. Ebenfalls ist in dieser mittleren Altersgruppe die grte Steigerung der Fallzahlen in den Jahren 2000 bis 2005 zu beob-achten.

    Spezifitt von CD-Transferrin-Erhhungen ist ins-besondere bei Mnnern gut, weniger gut dagegen die Sensitivitt. Nicht-alkoholische Leberschdi-gungen knnen im Einzelfall auch zu CDT-Erh-hungen fhren. Die Halbwertzeit von CDT betrgt etwa 14 Tage, entsprechend rasch normalisieren sich pathologische Befunde. Allgemein gilt, dass bei der Frage eines Nachweises oder Ausschluss einer Alkoholbelastung weniger Einzelwerterhe-bungen denn Verlaufsuntersuchungen Aussage-kraft haben.

    Nur fr spezielle forensische Begleitfragestel-lungen hat im brigen der chemisch-toxikologi-sche Nachweis von begleitenden Inhaltsstoffen alkoholischer Getrnke, wie z. B. Fuselalkohole (Methanol, Isopropanol, Aceton etc.) Bedeutung. Im Gegensatz zu den oben genannten klinisch-chemischen Parametern ist die Begleitstoffanaly-tik speziellen Labors vorbehalten.

    In den letzten Jahren sind aussichtsreiche Versuche erkennbar, die genetischen Grundlagen der Alkoholkrankheit nher einzugrenzen. Es ist davon auszugehen, dass Alkoholismus eine star-ke genetische Komponente besitzt und nicht eine mono- sondern polygenetische Erkrankung ist.

    Trotz einiger positiver Befunde [58] konnten bislang keine sicheren prdisponierenden Genorte fr Alkoholismus ausreichend gesichert und repli-ziert werden. Besonders fokussiert werden im Mo-ment Gene, die fr die Wirkung der Neurotrans-mitter GABA, Dopamin sowie fr die glutamaterge Neurotransmission von Bedeutung sind [59].

    5 Alkoholbezogene Strungen und Krankheiten

    Es wurde mehrfach nachgewiesen, dass exzessiver Alkoholkonsum verschiedenste Formen und Ab-stufungen gesundheitlicher und sozialer Probleme verursacht. Zu den gesundheitlichen Problemen gehren diverse Krebsarten, neurologische und psychische Strungen, kardiovaskulre und Ma-gen-Darm-Krankheiten, perinatale Erkrankungen, Alkoholvergiftungen, Unflle, Suizide und durch Gewalt verursachte Todesflle [60]. Die sozialen Folgen, die durch Alkoholkonsum verursacht werden, sind Gewalt, Vandalismus, ffentliche Ruhestrung, familire und finanzielle Probleme

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 4016

    vorliegt dies betrifft auch Unflle mit Alkohol-einwirkung ist eine polizeiliche Erfassung der Unflle vorgeschrieben. Nicht in allen Fllen wer-den Blutproben von Unfallbeteiligten genommen, sondern nur bei Vorliegen von Verdachtsmomen-ten. In der Praxis betrifft dies etwa jeden vierten Unfallbeteiligten. Allerdings wird eine groe Zahl von Trunkenheitsfllen nicht erkannt [63], sodass die Daten aus offiziellen Statistiken zu Unfllen unter Alkoholeinfluss vermutlich betrchtlich un-ter den tatschlichen Zahlen liegen.

    Von 336.619 Verkehrsunfllen mit Personen-schden, die sich 2005 in Deutschland ereignet haben, ereigneten sich nach offiziellen Angaben 6,5 % unter Alkoholeinfluss. Im Gebiet der alten Bundesrepublik wurden 2005 6,3 % der Unflle mit Personenschden unter Alkoholeinfluss re-gistriert, in den neuen Bundeslndern 7,7 %. Wh-rend in den alten Bundeslndern die Zahl der Stra-enverkehrsunflle mit Personenschden unter Alkoholeinfluss in den letzten Jahren kontinuier-lich zurckgegangen ist, nahmen diese nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundeslndern zunchst bis auf 16,8 % im Jahr 1993 deutlich zu. In den letzten Jahren hat sich die Entwicklung jedoch dem rcklufigen Trend des frheren Bun-desgebietes angeglichen.

    Von 109.736 Fhrerscheinentzgen im Jahr 2004 wurden rund 90 % (n = 99.346) wegen Trunkenheit im Straenverkehr entzogen. Trotz dieses hohen Anteils sind die Absolutzahlen seit Mitte der 1990er Jahre rcklufig. Der Anteil der Alkoholdelikte bei tdlichen Unfllen im Straen-verkehr lag 2005 bei 11,2 % (n = 603). Die Absolut-zahl der Verurteilungen wegen Straftaten im Stra-enverkehr im Zusammenhang mit Trunkenheit belief sich 2005 auf 103.727. Trunkenheit spielte bei rund 55 % aller Verurteilungen wegen im Stra-enverkehr begangener Straftaten eine Rolle. Gut ein Viertel der Verurteilungen wegen fahrlssiger Krperverletzungen im Straenverkehr hing mit Trunkenheit zusammen. Bei den Verurteilungen wegen fahrlssiger Ttung im Straenverkehr ent-fielen 17 % der 2005 registrierten Flle auf Trun-kenheit.

    Der Anteil der Mnner an den Trunkenheits-delikten lag je nach Schwere des Delikts zwischen 88 % (alle Trunkenheitsdelikte) und 91 % (fahrls-sige Ttung).

    Im Jahr 1999 wurden 178.058 Frauen und Mnner im Alter ber 15 Jahren stationr wegen Alkoholabhngigkeit und 46.179 wegen Alkohol-psychosen behandelt. Dies ist eine leichte Steige-rung gegenber 1995 (177.613 bzw. 32.709 Flle). Dagegen ist die Zahl der Personen mit chroni-scher Leberkrankheit und -zirrhose von 1995 auf 1999 von 67.680 auf 66.201 zurckgegangen. Whrend 1995 noch 14.536 Flle mit toxischer Wir-kung durch Alkohol festgestellt wurden, waren es 1999 12.106. Da alkoholbezogene Krankheiten stigmatisiert sind, ist jedoch davon auszugehen, dass die tatschliche Anzahl der Krankheitsflle hher ist als die hier angegebenen Zahlen. Zah-len aus Alkoholentzugskliniken drften im Allge-meinen zuverlssiger sein als Daten aus anderen Einrichtungen [32].

    5 2 Unflle

    Alkoholgenuss mindert die akute physische und kognitive Leistungsfhigkeit. Insbesondere moto-rische Geschicklichkeit, Koordination und Reak-tionsvermgen sind gegenber dem nchternen Zustand reduziert. Whrend der grte Teil der Alkoholkonsumenten sich in seinem Verhalten darauf einstellt, in dem sie etwa das Auto zu Hau-se lassen oder Alkohol erst nach der Arbeit zu sich nehmen, sind Unflle unter Einfluss von Alkohol dennoch hufig. Besonders stark betroffen sind dabei Personen mit regelmig hohen Konsum-mengen (vgl. [60]), da Regelmigkeit und Aus-ma ihres Alkoholkonsums in Verbindung mit dem hufig reduzierten Kontrollvermgen den sicheren Umgang mit Alkohol erschwert oder unmglich macht. Unflle betreffen dabei insbe-sondere die Bereiche Arbeit, Verkehr und Haus-halt.

    So bekannt die kritische Rolle von Alkohol bei Unfllen am Arbeitsplatz und auch im huslichen Bereich aus Einzelstudien und aus der Alltags-erfahrung ist, so unzureichend ist die vorhandene Datenlage fr eine Abschtzung ihres Umfangs. Mit Hilfe der Statistik der Verkehrsunflle [61] bzw. der Verurteilungen [62] ist jedoch eine Abscht-zung alkoholbedingter Unflle mglich. Soweit Personenschden auftreten oder als Unfallursache eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat im Zusam-menhang mit der Teilnahme am Straenverkehr

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 40 17

    iert der Anteil der unter Alkoholeinfluss verbten und aufgeklrten Flle wegen geringer Fallzahlen zwischen ca. 20 % und 60 %.

    Bei Krperverletzung war der Einfluss von Alkohol umso hufiger, je schwerer die Delikte waren. Bei gefhrlicher und schwerer Krper-verletzung lag der Anteil im Jahr 2006 bei 33 %, bei Krperverletzung mit tdlichem Ausgang bei 38,5 % und bei Totschlag bei 40,5 %. Auch bei der alltglichen Gewalt in Familien, von der nur ein relativ kleiner Teil bekannt und sichtbar wird, spielt Alkohol eine erhebliche Rolle. Hierber lagen jedoch keine verlsslichen Angaben vor. Ein-schrnkend ist darauf hinzuweisen, dass sich die polizeiliche Kriminalstatistik auf aufgeklrte Fl-le bezieht und das Dunkelfeld empirisch schwer abzuschtzen ist.

    6 Alkoholbezogene Mortalitt

    Bisher existieren nur wenige offizielle Statistiken zu den gesundheitlichen Folgen des Alkoholkon-sums, also zu den alkoholassoziierten Krank-heiten. Die Mortalitt gilt dabei als entscheidender Indikator fr das Auftreten bzw. das Vorhanden-sein einer Krankheit und kann gegebenenfalls an-stelle von Inzidenz und Prvalenz als Ma heran-gezogen werden, wenn andere Datenquellen nicht vorhanden sind. Sie ist darber hinaus besonders fr regionale und internationale Vergleiche geeig-net, da sie in vielen Lndern eine bliche Stati-stik ist. Mittels geeigneter statistischer Verfahren lassen sich Trends erkennen und Einflussgren auf die Mortalittsentwicklung bestimmen. Die amtliche Todesursachenstatistik der Bundesrepu-blik Deutschland beruht auf den Todesbeschei-nigungen, auf denen der ausstellende Arzt die Todesursache eintrgt und die die Laienkodierer in den Statistischen Landesmtern aufgrund des vierstelligen International Code of Diseases, bis 1998 Version 9 (ICD-9), seit 1999 ICD-10, ver-schlsseln. Obwohl die Leichenschau hufig kri-tisch beleuchtet wird, sind die Angaben ber das Grundleiden, das zum Tod gefhrt hat, mit die zuverlssigsten, die im Gesundheitswesen ber-haupt erhltlich sind.

    In der ffentlichen Diskussion werden ver-schiedene Grenordnungen der mit Alkohol in

    5 3 Gewalt und Kriminalitt

    Alkohol wirkt akut enthemmend, in manchen Fllen auch aggressionsfrdernd. Personen, die immer wieder wegen Delikten mit dem Gesetz in Konflikt kommen, die sie vor allem oder sogar ausschlielich unter Alkoholeinfluss ver ben, sind im Bereich der Justiz keine Ausnahme. Ohne die Frage hier vertieft behandeln zu kn-nen, ob Alkohol Ursache, (Mit-) Verursacher oder Mediator bei Gewalthandlungen ist, ist doch ein enger Zusammenhang zwischen Alkohol und Gewalt klar festzustellen. Roizen [64] fasste die Ergebnisse fr den amerikanischen Raum zusammen und stellte Alkoholeinfluss beim Tatzeitpunkt bei 86 % der Totschlagsdelikte und 60 % der Sexualdelikte fest. Pernanen [65] geht von einem Gesamtwert von 42 % aller Gewalt-delikte aus, die mit Alkohol in Zusammenhang stehen. Martin [66] gibt eine bersicht ber verschiedene Bereiche, in denen Alkohol und interpersonelle Gewalt verknpft sind. McCord [67] weist auf die Schwierigkeiten bei der Fra-ge nach einer urschlichen Verknpfung hin und fhrt unter anderem aus, dass Alkohol als Teil des Lebensstils eines Gewalttters, als aku-ter Auslser einer nicht intendierten Gewalttat, aber auch als Mittel zur geplanten Durchfhrung einer solchen wirksam sein kann. Insbesondere das Konzept der selektiven Enthemmung wird von Parker und Rebhun [68] in diesem Zusam-menhang ausfhrlich diskutiert.

    Wie aus der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (http://www.bka.de/pks/) hervorgeht, lag der Anteil aller im Jahr 2006 aufgeklrten, unter Alkoholeinfluss begangenen Straftaten bei 10 %. Insgesamt handelt es sich dabei um rund 350.000 Flle [69]. Dieser Anteil der unter Alkoholeinfluss begangenen und aufge-klrten Straftaten an allen aufgeklrten Straf taten ist seit Mitte der 1990er Jahre gestiegen (1996 7,6 %, 2005 9,7 %). Fast jedes dritte Gewaltdelikt geschah 2006 unter Alkoholeinfluss und schwe-re Delikte, insbesondere Ttungsdelikte, waren in noch hherem Ausmae mit dem Einfluss von Alkohol verbunden. Etwa 40 % der Totschlagsflle erfolgten unter Alkoholeinfluss, whrend Morde in gut 25 % unter Alkoholeinfluss begangen wur-den. Etwa vier von zehn Raubmorden erfolgten unter Alkoholeinfluss und bei Sexualmorden vari-

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 4018

    John und Hanke [72] schtzten in ihrer Unter-suchung, dass im Jahre 1997 in Deutschland 73.717 alkoholbezogene Todesflle in der Altersgruppe zwischen 35 und 64 Jahren auftraten. Da 73,5 % dieser Todesflle eine Kombination aus nikotin- und alkoholbezogenen Todesfllen darstellten, ist ungeklrt, welchen Anteil zum einen Alkohol und zum anderen Nikotin an diesen Todesfllen hatten [72]. Dennoch konnten die Autoren mithilfe ihrer Analyse fr diese Altersgruppe bestimmen, dass 25 % der Gesamtsterblichkeit bei den Mnnern und 13 % der Gesamtsterblichkeit bei Frauen auf alkoholbezogene Krankheiten zurckgingen.

    Beschrnkt man sich auf die Todesursachen, die allein auf Alkoholkonsum zurckzufhren sind (AAF=1), kann die Entwicklung der altersstan-dardisierten Mortalitt von 1980 bis 2005 beobach-tet werden [73]. Die altersstandardisierte Mortali-ttsrate (SMR pro 100.000) eignet sich fr einen Zeitvergleich, weil die Vernderung des Bevlke-rungsaufbaus bercksichtigt wird. Fr Mnner lag Anfang der 1980er Jahre die SMR bei knapp 20, seit Mitte der 1980er Jahre steigt die SMR auf ber 30 in der Mitte der 1990er Jahre und sinkt seitdem auf einen Wert von gut 25 im Jahr 2005 (siehe Ab-bildung 2). Mnner haben ungefhr eine dreifach so hohe alkoholbedingte Sterblichkeit wie Frauen.

    Verbindung stehenden Gesamtverstorbenen von 30.000 bis 100.000 pro Jahr genannt. Die deut-sche Hauptstelle fr Suchtfragen (DHS) schtz-te 1995 die Anzahl der Alkoholtoten auf 40.000 Personen pro Jahr [70] bzw. neuerdings auf mehr als 73.000. In einer Studie hat das Robert Koch-Institut (RKI) eine Schtzungen zur Mortalitt, zum mittleren Sterbealter und zur Zahl verlorener Lebensjahre bei alkoholassoziierten Krankheiten vorgenommen [71].

    Da einige Todesursachen nur z. T. mit Alkohol assoziiert sind, wrde eine einfache bernahme der Zahlen eines ICD-Codes zu einer berscht-zung der tatschlichen Flle fhren. Beschrnkt man sich auf diejenigen Todesflle, die allein auf Alkohol zurckzufhren sind, d. h. eine alko-holattributable Fraktion AAF=1 haben, wie z. B. alkoholische Leberzirrhose, Alkoholabhngig-keit, alkoholische Myokardiopathie, wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 1996 in Deutschland ber 17.000 Flle registriert [32]. Werden Annahmen ber die tiologischen Fraktionen der einzelnen Todesursachen, die nicht direkt im Zusammenhang mit Alkoholkon-sum stehen, gemacht, ermitteln Bergmann und Horch einen Schtzwert von ca. 42.000 Verstor-benen pro Jahr [71].

    Abbildung 2Entwicklung der altersstandardisierten Mortalittsrate fr alkoholbedingte Erkrankungen von 1980 bis 2005 fr Mnner und FrauenStandardisierte Mortalittsrate auf 100.000Quelle: [73]

    1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 Jahr

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    Mnner Frauen

    Mortalittsrate

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 40 19

    74,2 bzw. 76,9 Jahren fr diejenigen, die an ande-ren Todesursachen verstarben. In Westdeutsch-land fllt dieser Unterschied mit 58 vs. 74,6 Jahren fr Mnner und 57 vs. 77 Jahren fr Frauen etwas geringer aus.

    Fr die Trendbetrachtung des durchschnitt-lichen Sterbealters muss man sich wieder auf die alkoholbedingten Todesursachen (AAF=1) beschrnken.

    Die positive Entwicklung des mittleren Sterbe-alters bei Todesursachen alkoholbedingter Krank-heiten um 5,3 Jahre widerspiegelt hauptschlich den allgemeinen Trend zur hheren Lebenserwar-tung (siehe Abbildung 3). Insofern partizipieren auch durch Alkoholkonsum Schwersterkrankte am allgemeinen Trend zur Alterung der Gesell-schaft. Darber hinaus ist das mittlere Sterbealter bei alkoholbedingten Krankheiten im Zeitraum von 1980 bis 2005 um 0,7 Jahre strker gestie-gen als der Anstieg des mittleren Sterbealters bei allen Todesursachen erwarten lsst. Ob hierbei Ein-flsse durch bessere Behandlungsmglichkeiten Alkoholkranker eine Rolle spielen, oder ob Prven-tionsmanahmen einen strkeren Erfolg zeigten bzw. nderungen in Konsumgewohnheiten sich auswirkten, muss hier offen bleiben.

    Die Mortalittsentwicklung fr Frauen von 1980 bis 2005 steigt seit Anfang der 1980er Jahre mit einer SMR von gut fnf auf eine SMR von ber zehn Mitte/Ende der 1990er Jahre und erreicht im Jahr 2005 einen Wert von neun.

    Die alkoholbedingte Sterblichkeit ist regional stark unterschiedlich ausgeprgt. Im Jahr 2005 lag die SMR in Mecklenburg-Vorpommern mit 34,3 ca. doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt mit 17,6. Im Osten Deutschlands und in den Stadt-staaten liegt die Sterblichkeit an alkoholbedingten Erkrankungen immer hher als im Westen, wobei Bayern die niedrigste SMR von 13,2 aufweist.

    Die grten Unterschiede zwischen Ost und West sind bei den alkoholbezogenen Lebererkran-kungen und Alkoholpsychosen festzustellen: Es starben 1996 an alkoholbezogenen Lebererkran-kungen Mnner im Osten dreimal so hufig wie im Westen.

    Wie sich zeigt, haben in Verbindung mit Alkoholkonsum Verstorbene im Mittel ein um ca. 20 Jahre niedrigeres Sterbealter als an anderen Todesursachen Verstorbene. 1996 lag das mittlere Sterbealter der an alkoholbezogenen Krankheiten Verstorbenen in Ostdeutschland bei 54,8 Jahren fr Mnner und 53,2 Jahren fr Frauen, gegenber

    Abbildung 3Entwicklung des durchschnittlichen Sterbealters von 1980 bis 2005 fr Mnner und Frauen mit alkoholbedingten ErkrankungenQuelle: [73]

    Jahr1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004

    60

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    Mnner Frauen Insgesamt

    Durchschnittliches Sterbealter

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 4020

    Die Schtzung fr das Jahr 1995 ergab 20 Mrd. Euro an Gesamtkosten fr alkoholbezogene Krankheiten, davon 8 Mrd. Euro direkte und 12 Mrd. Euro indirekte Kosten [32]. Die Berechnung der direkten Kosten war dabei mit einer gewis-sen Ungenauigkeit behaftet [77]. ber die verur-sachten Kosten fr vorbeugende und betreuende Manahmen, Ausbildung und Forschung, Verwal-tung und Investitionen, Krankentransporte sowie Arbeits- und Wegeunflle waren keine krankheits-spezifischen Kostenangaben erhltlich, so dass diese pauschal geschtzt werden mussten.

    In die Berechnung der indirekten Kosten, verursacht durch Mortalitt, gingen die verlore-nen Lebensjahre, die Erwerbsttigkeitsquote und die sich daraus ergebende Anzahl der Erwerbs-ttigkeitsjahre whrend der Restlebensdauer, das Einkommen sowie eine Diskontierung der in Zukunft zu erwartenden Einkommen ein. Dar-ber hinaus sind auch Nichtmarktttigkeiten wie Hauswirtschaft, Handwerk, Ehrenamt und sozi-ale Hilfeleistungen enthalten. Die Berechnung des Ressourcenverlustes durch alkoholbezogene Frhberentung erfolgte analog zur Berechnung des Ressourcenverlustes durch Mortalitt, wobei nicht auf einem Markt gehandelte Ttigkeiten un-bercksichtigt bleiben. Die indirekten Kosten der Arbeitsunfhigkeit wurden aus der Anzahl der Ar-beitsunfhigkeits-Tage und dem entsprechenden durchschnittlichen Jahreseinkommen berechnet.

    Eine Aufschlsselung der indirekten Kosten nach West- und Ostdeutschland zeigt eine an der Einwohnerzahl gemessene hhere finanzielle Belastung durch bermigen Alkoholkonsum in Ostdeutschland. Lediglich fr die Rehabilita-tion fallen in Westdeutschland erheblich hhere Kosten an als im Verhltnis zur Einwohnerzahl zu erwarten wre. Der berwiegende Teil der in-direkten Kosten wird durch Mnner verursacht. Auffllige Geschlechtsunterschiede finden sich mit 6.167 Mio. Euro fr die Mnner gegenber 850 Mio. Euro fr die Frauen vor allem bei den Kosten der Mortalitt [32]. Der Ressourcenverlust durch Arbeitsunfhigkeit wegen alkoholbezoge-ner Krankheiten betrgt insgesamt 18.861 Mio. Tage, das sind 3,8 % aller Arbeitsunfhigkeits-Tage. Kurze Zeiten von Arbeitsunfhigkeit (weniger als drei Tage) sind dabei in der Regel nicht erfasst. Differenziert man nach Geschlecht und Region, so geht ein erhhter Anteil der Kosten der Arbeits-

    7 konomische Auswirkungen alkohol-bezogener Krankheiten

    Kostenschtzungen von Krankheiten spielen in der Gesundheitspolitik eine zunehmende Rolle. Sie sind ein geeignetes Ma, um die soziokono-mische Relevanz einer Krankheit oder einer Grup-pe von Gesundheitsstrungen zu quantifizieren. Die mit der Alkoholabhngigkeit und anderen alkoholbedingten Problemen verbundenen ge-sellschaftlichen Kosten wurden in verschiedenen Lndern, insbesondere im angelschsischen Sprachraum, eingehend analysiert. Eine bewer-tende Literaturbersicht ber die Kostenstudien fr einen Zeitraum von zehn Jahren wurde 1995 von Robson und Single [74] erstellt.

    Eine Studie fr Deutschland, die systema-tisch die Kosten fr alkoholbezogene Krank-heiten schtzt, wurde 2002 vom Robert Koch-Institut (RKI) vorgelegt [71]. Die Kostenangaben in der Literatur schwanken zwischen 5 und 40 Mrd. Euro. Die DHS ging 1995 von jhrlichen Folgekosten des Alkoholkonsums von mehr als 15 Mrd. Euro aus [70]. Schtzungen von Fischer [75] zufolge betragen allein die Kosten fr die rund 6.000 durch Alkohol geschdigten Kinder, die jedes Jahr geboren werden, 150 bis 200 Mio. Euro jhrlich.

    Das am RKI in Kooperation mit der kanadi-schen Addiction Research Foundation durchge-fhrte Projekt zur Schtzung der direkten und indirekten gesellschaftlichen Kosten alkohol-assoziierter Krankheiten in Deutschland orien-tierte sich am cost-of-illness Ansatz (COI). Der in den USA von Rice [76] entwickelte COI-Ansatz hat zum Ziel, alle Opportunittskosten zu berechnen, die durch Krankheit oder Tod entstehen. Dabei sind die durch den bisherigen Alkoholkonsum verursachten Kosten eines Jahres in direkte und indirekte Kosten aufzuteilen. So werden direkte Kosten, d. h. der volkswirtschaftliche Ressourcen-verzehr zur Behandlung von Krankheiten, und indirekte Kosten, d. h. der bewertete Verlust an menschlicher Produktivitt infolge von Krankheit, Invaliditt und vorzeitigem Tod, berechnet. Intan-gible Kosten wie Leid und Schmerz von Betroffe-nen, die bei Suchtkrankheiten eine bedeutende Rolle spielen, knnen in den Kostenrechnungen nicht bercksichtigt werden.

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 40 21

    Trger der Sozialhilfe zustndig. Dagegen werden ambulante oder stationre Entwhnungsbehand-lungen als Teil einer medizinischen Rehabilitation im Regelfall von den Rentenversicherungstrgern, nur im Ausnahmefall von der Krankenversiche-rung oder den rtlichen Trgern der Sozialhilfe finanziert. Letztere sind gegebenenfalls auch fr andere Manahmen wie betreutes Wohnen, Ma-nahmen der niedrigschwelligen sozialen Reha-bilitation etc. verantwortlich. Diese Regelung mit mehreren Kostentrgern bei nicht immer klarer Zustndigkeit bedingt im klinischen Alltag hufig Unsicherheiten und einen erheblichen brokrati-schen Aufwand.

    Idealerweise ergnzen sich die einzelnen Be-handlungseinrichtungen im Rahmen eines Netz-werks der Suchtkrankenhilfe. Deutschland verfgt ber ein vergleichsweise differenziertes Betreu-ungs- und Behandlungsangebot Alkoholkranker. Derzeit existieren insgesamt 934 Beratungsstel-len, 9.500 Therapiepltze fr Alkohol- und Medi-kamentenabhngigkeit und 5.100 Pltze fr quali-fizierte Entgiftung [81].

    Den Schwerpunkt bei Therapien von Alko-holabhngigen stellt immer noch das Erreichen einer dauerhaften Abstinenz dar. Versuche, bei Alkoholabhngigen kontrolliertes Trinken als dauerhaften Trinkstil zu vermitteln, sind fast berall gescheitert, erleben allerdings alle paar Jahre eine Renaissance und wurden zuletzt z. T. von verhaltenstherapeutischer wie von neuro-biologischer Seite (Die Sucht verlernen) wie-der propagiert. Klinisch-empirische Ergebnisse dazu fehlen bislang weitgehend. Dagegen ist ein Harm-Reduction-Ansatz zur Verminderung der Trinkmenge als erster Therapieschritt prinzipiell denkbar, speziell bei nicht anders erreichbaren oder unmotivierten Patienten, bei denen eine Ab-stinenz (noch) nicht erreichbar erscheint.

    Grundstzlich ist eine individuelle Gestaltung der Therapie anzustreben, nach Mglichkeit fr-he Intervention, ausreichende Ressourcenorien-tierung, Strkung von Selbsthilfeanteilen, Primat der Basisversorgung und ambulanter Hilfen mit der Bevorzugung von wohnortnahen Manahmen (bersicht in [78]). Auerdem sind eine Koopera-tion der Hilfesysteme und eine mehrdimensio-nale Schadensminderung notwendig.

    Die ca. 7.500 Selbsthilfegruppen in Deutsch-land bestehen aus etwa 120.000 Teilnehmern.

    unfhigkeit auf Frauen in Ostdeutschland zurck, der auch mit einer hheren Erwerbsttigkeitsquo-te der Frauen im Osten in Verbindung steht.

    8 Therapie der Alkoholabhngigkeit und alkoholbezogener Strungen

    8 1 Versorgungsstrukturen

    Die Behandlung Alkoholkranker lsst sich nach Feuerlein, Kfner und Soyka [78] in die Kontakt-phase, Entgiftungs- bzw. Entzugsphase, Ent-whnungsphase und Weiterbehandlungs- bzw. Nachsorgephase unterteilen. Die Kontaktphase dient im Wesentlichen der Diagnostik und Moti-vation des Patienten und soll das Trinkverhalten problematisieren, Krankheitseinsicht herstellen und Therapiebereitschaft frdern. Diese Aufgabe erweist sich hufig als langwierig und schwie-rig, sodass sie heute ein Hauptgegenstand der Entzugs- bzw. Entgiftungsphase ist. Diese ver-tiefte Motivationsbehandlung gemeinsam mit der Unterbrechung des Alkoholkonsums, der Diagnostik und Behandlung krperlicher und psychiatrischer Begleiterkrankungen sowie die Vorbereitung und Einleitung der mglicher-weise nachfolgenden Entwhnungsphase wird heute als qualifizierte Entzugsbehandlung be-zeichnet [79, 80]. Die medizinische Behandlung alkoholassoziierter Erkrankungen erfolgt in aller Regel durch den niedergelassenen Praktiker bzw. Facharzt oder stationr im Krankenhaus, wh-rend die Therapie der Grunderkrankung (Alko-holmissbrauch und Abhngigkeit) nur teilweise in medizinisch oder psychologisch gefhrten Facheinrichtungen durchgefhrt wird. Unter den stationren Einrichtungen kommt dabei Psychi-atrischen Kliniken eine herausragende Rolle zu. Je nach Strungsbild und Motivation erfolgt die Beratung und Therapie auch durch Selbsthilfe-einrichtungen, Beratungsstellen oder anderen Einrichtungen (bergangswohnheim, Mare-gelvollzug, Gefngnis, Wohnheim etc.).

    Eine deutsche Besonderheit ist die Regelung der zustndigen Kostentrger. Fr rztliche Thera-pien einschlielich Krankenhausbehandlungen in Form einer Entzugsbehandlung ist im Regelfall die Krankenversicherung, aushilfsweise der rtliche

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 4022

    handlungssystem aufgenommen werden. Hieraus hat sich ein weithin akzeptierter Konsens entwi-ckelt, wonach ein sehr ausdifferenziertes Thera-piesystem angeboten werden sollte, welches je nach Schweregrad der Abhngigkeit des einzelnen Patienten modifiziert wird [83].

    8 3 Ambulante Entwhnungstherapien

    Ambulante Therapien fr Alkoholabhngige sind in Deutschland lange vernachlssigt worden. Erst seit dem Abschluss der ersten Empfehlungsver-einbarung Ambulante Rehabilitation Sucht der Kranken- und Rentenversicherungstrger 1991 sind in Deutschland vermehrt Entwhnungs-therapien auf ambulanter Basis angeboten und durchgefhrt worden.

    Voraussetzung ist in der Regel ein relativ intaktes soziales Umfeld, die Fhigkeit und Bereit-schaft zur Suchtmittelabstinenz sowie zur aktiven Mitarbeit und Einhaltung des Therapieplans, eine ausreichende berufliche Integration und eine sta-bile Wohnsituation (bersicht in [84]). Schlie-lich sollten auch keine schweren krperlichen oder psychischen Begleiterkrankungen, die eine stationre Behandlung notwendig machen, vor-liegen. Derzeit bieten etwa 350 Einrichtungen in Deutschland eine ambulante Rehabilitation nach der genannten Empfehlungsvereinbarung an (Therapiedauer variabel bis neun Monate). 2004 wurden immerhin schon 18.113 ambulante Thera-pien bewilligt (2002: 12.273) [81].

    Offenkundige Vorteile der ambulanten Ent-whnungstherapie sind: Wohnortnhe, geringere Kosten und die Mglichkeit einer alltags- und rea-littsnahen Bearbeitung von sozialen Problemen und Konflikten sowie die Mglichkeit, berufs- und familienbegleitende Therapiemanahmen zu be-ginnen.

    Nachteile sind unter anderem: Naturgem weniger intensive Kontrolle des Patienten, eine vergleichsweise weniger dichte totale therapeuti-sche Atmosphre und eine vergleichsweise gerin-gere Strukturierung des Freizeitangebots whrend der Therapie.

    Auerdem existieren 2.100 Therapiepltze fr Suchtkranke im Regelvollzug [81].

    8 2 Stationre Entwhnungsbehandlungen

    Der Schwerpunkt in der Therapie Alkoholkranker lag jahrzehntelang auf der Durchfhrung stati-onrer (Entwhnungs-)Therapien in speziellen Fachkliniken, die zum Teil von den Rentenver-sicherungstrgern direkt, teilweise von anderen Trgern unterhalten werden. Der Schwerpunkt dieser Therapien liegt neben dem Erreichen der Abstinenz auch auf der sozialmedizinischen Reha-bilitation im Sinne der Erwerbsfhigkeit.

    Fast alle stationren Entwhnungstherapien sind stark gruppentherapeutisch orientiert und versuchen verschiedene psycho- und soziothera-peutische Verfahren zu integrieren, insbesondere verhaltens- und tiefenpsychologische Verfahren, Entspannungstechniken, ggf. Gestalt- sowie Part-ner- und Familientherapie, aber auch systemische Anstze. Dazu kommen Bewegungstherapie, Sport, bungen zur Freizeitgestaltung und sozio-therapeutische Manahmen im engeren Sinne.

    Die Zahl bewilligter stationrer Entwh-nungsbehandlungen fr Suchtkranke ist trotz er-heblichen Kostendrucks im Gesundheitswesen in den letzten Jahren nicht reduziert worden, in den neuen Bundeslndern sogar angestiegen. 2004 wurden von den Versicherungen 36.961 stationre Entwhnungsbehandlungen bewilligt, wobei etwa 1/5 der Bewilligungen auf Frauen entfielen [81]. Laut Jahresstatistik der stationren Suchtkran-kenhilfe waren Rentenversicherungstrger in ca. 77 % der dokumentierten Flle Kostentrger fr Rehabilitationsmanahmen. Seit Jahren Gegen-stand kontroverser Diskussionen ist die massive Verkrzung der stationren Behandlungsdauer Alkoholabhngiger in den letzten Jahren von im Regelfall sechs Monaten auf nur zwlf bis 16 Wo-chen. Die Frage, ob lngere stationre Behandlun-gen genauso effizient sind wie krzere, ist in der wissenschaftlichen Diskussion und wohl auch vor dem Hintergrund verschiedener Therapiekonzep-te nicht einheitlich beantwortbar. Meta-Analysen [82] sprechen dafr, dass krzere Behandlungs-dauern auch zum Teil auf Kosten des Therapie - erfolges gehen. Umgekehrt knnen durch ver-krzte Therapiedauern mehr Patienten ins Be-

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  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 40 23

    8 5 Therapieergebnisse bei Alkoholabhngigkeit

    Therapieergebnisse stationrer Entwhnungsthe-rapien sind deutlich besser als allgemein hufig angenommen wird und liegen zum Teil deutlich ber der Mitte der 1970er Jahre publizierten so genannten 1/3-Quote [88, 89]. Eine 4-Jahres-Ka-tamnese von Patienten, die an einer stationren Entwhnungstherapie teilgenommen hatten (MEAT-Studie, [90] 1989), hatte eine Abstinenz-rate von 46 % ergeben. Nach 18 Monaten betrug die Abstinenzrate sogar noch 53 %. Verschiedene Meta-Analysen und bersichten fanden unter Bercksichtigung internationaler Studien z. T. deutlich schlechtere Behandlungsergebnisse mit Abstinenzraten von gut 30 %, im langfristigen Be-reich sogar nur von 26 bis 28 % [91], bzw. von etwa 33 % [92]. Eine Meta-Analyse [82] im Jahr 2000 ergab dagegen wesentlich bessere Abstinenz- raten bei stationren Entwhnungstherapien von im Mittel 53 % nach einem Jahr, bei allerdings hoher Schwankungsbreite (12 % bis 63 %). Dabei zeigte sich auch, dass lngere Behandlungen im Mittel zu etwas besseren Ergebnissen fhrten. Die Forschungsbefunde von Sonntag und Knzel [82] deuten darauf hin, dass die oben angesprochene Krzung der Therapiedauer stationrer Behand-lungen bis zu einer kritischen Grenze von drei bis vier Monaten im Grundsatz ohne Verluste des Therapieerfolgs mglich sind, allerdings nur bei Patienten mit durchschnittlicher Strungsauspr-gung und nur dann, wenn die Krzungen nicht einfach zeitanteilig erfolgen, sondern die verblei-bende Therapiedauer konzeptionell umgestellt und in der Intensitt verbessert wird.

    Methodisch gute, internationale Untersu-chungen berichten z. T. deutlich schlechtere Therapieergebnisse als deutsche Studien (siehe z. B. Project MATCH Research Group [93]). Dabei konnte insbesondere die berlegenheit des einen ber das andere Therapieverfahren (z. B. kognitive Verhaltenstherapie, 12-Schritte-Programme, Kon-zept der Anonymen Alkoholiker etc.) nicht sicher nachgewiesen werden. Vergleichsweise effizient sind auch ambulante Entwhnungstherapien (Abstinenzrate 46 % nach 19 Monaten [94], bzw. 44 % nach drei Jahren in einer weiteren Katam-nese [95]). Die Effizienz von Selbsthilfegruppen ist klinisch offensichtlich, aber aus methodischen Grnden bislang kaum untersucht worden.

    8 4 Defizite der Versorgung

    Trotz des im internationalen Vergleich differen-zierten Therapieangebotes besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Anzahl der durchge-fhrten Entwhnungsmanahmen einerseits und der Anzahl potenziell therapiebedrftiger Alko-holkranker andererseits. Maximal 2 % der theo-retisch zu Erreichenden knnen pro Jahr in Ent-whnungseinrichtungen behandelt werden [85]. Auerdem ist fr bestimmte Patientengruppen das Therapieangebot ausgesprochen gering. Zu nennen ist hier vor allem die Gruppe der lteren Alkoholkranken, die sich kaum oder gar nicht in stationre oder ambulante Entwhnungstherapien integrieren lassen.

    Sinnvoll wren auch ein verbessertes The-rapieangebot speziell fr alkoholkranke Frauen (z. B. vermehrte Mutter-Kind-Therapien), auer-dem mehr wohn- und gemeindenahe tagesklini-sche und andere teilstationre Therapieangebote auch fr Kranke mit gravierenden psychischen, krperlichen oder sozialen Folgeschden im Sin-ne der chronisch mehrfach geschdigten Alko-holkranken, fr die hufig nur eine so genannte Schadensminimierung (Harm-Reduction-Stra-tegie, keine dauerhafte Abstinenz) mglich ist. Sie werden fast ausschlielich in psychiatrischen Kliniken behandelt. Schlielich sollten die psy-cho- und sozialtherapeutischen Mglichkeiten in der Postentwhnungs- bzw. Stabilisierungsphase Alkoholkranker verbessert werden. Es ist bedau-erlich, dass zahlreiche niedergelassene rzte und vor allem Psychotherapeuten die Behandlung suchtkranker Patienten ablehnen. Neuere phar-makotherapeutische Mglichkeiten der Rckfall-prophylaxe von Alkoholkranken sind inzwischen empirisch gut belegt [86, 87]. Trotz einer ann-hernden Verdopplung der Abstinenzchancen wer-den diese Rckfallprophylaktika jedoch zu selten genutzt.

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    reich, beispielsweise wenn es um Verhaltensn-derungen geht, die auf einer allgemeinen Ebene schwer zu erreichen sind [97]. In diesen Fllen eig-nen sich Manahmen der Sekundrprvention, da die Adressaten leichter zu identifizieren sind und eventuell eine hhere Motivation besitzen, etwas gegen ihre Krankheit zu unternehmen. In Deutschland hatte die Primrprvention immer einen hohen Stellenwert. Zunehmend gewinnen zur Senkung des Umfangs von Alkoholabhngig-keit und -missbrauch sekundrprventive Ma-nahmen an Bedeutung.

    berregional leisten im Wesentlichen zwei Einrichtungen Aufklrungsarbeit zum Thema Alkohol, die Deutsche Hauptstelle fr Suchtfragen (DHS) und die Bundeszentrale fr gesundheit-liche Aufklrung (BZgA). Seit zehn Jahren be-treibt die DHS Alkoholprvention im Sinne des Public-Health-Ansatzes mit dem Schwerpunkt Schadensminimierung durch Reduzierung von Alkoholnachfrage und -angebot. Ihre Aktivitten laufen in Anlehnung an verschiedene europische und deutsche Aktionsplne zur Alkoholpolitik (z. B. den WHO Europischen Aktionsplan Alko-hol, die Europische Charta Alkohol, die EU-Stra-tegie zur Untersttzung der Mitgliedstaaten bei der Verringerung alkoholbedingter Schden, den Aktionsplan Alkohol der 70. Konferenz der fr das Gesundheitswesen zustndigen Minister und Senatoren, die Erklrung ber Jugend und Alkohol). Die DHS spricht mit verschiedenen Broschren die Alkoholkonsumenten und -missbraucher an. Mit dem Deutschen Frauenbund fr alkoholfreie Kultur wurde ein Informationsset Alkoholfrei ist besser zur Punktnchternheit (kein Alkoholkon-sum in bestimmten Situationen und Lebenslagen) entwickelt. Mit der Dachkampagne Alkohol Verantwortung setzt die Grenze frdert die BZgA einen verantwortungsvollen Umgang mit Alko-hol (Sensibilisierung der Allgemeinbevlkerung, Trinkmengen und -grenzen, risikoarmer Konsum, Punktnchternheit, Jugendschutz, Alkohol im Betrieb) in den Bundeslndern und untersttzt auch eigene Prventionsaktivitten der Bundes-lnder.

    9 Konsumempfehlungen und prven-tive Manahmen

    9 1 Trinkempfehlungen

    Bhringer und Kollegen [32] haben sich auch mit dem Thema Konsumempfehlungen fr alkoholische Getrnke beschftigt. Damit liegt ein berblick ber die historische Entwicklung von Trinkempfehlungen vor. In den Schlussfol-gerungen fr knftige Empfehlungen zum Alko-holkonsum wird auf zwei Aspekte hingewiesen: Empfehlungen sollten (1) maximale Trinkmengen pro Tag angeben und (2) auf einen vollstndigen Konsumverzicht in bestimmten Situationen und Lebensphasen wie z. B. im Straenverkehr, am Arbeitsplatz oder whrend der Schwangerschaft hinweisen.

    Das Forschungsprojekt Alkoholkonsum und Krankheit, das ebenfalls vom Bundesministerium fr Gesundheit (BMG) initiiert wurde, untersuch-te mit Hilfe von Meta-Analysen die gesundheit-lichen Konsequenzen migen Alkoholkonsums [96]. Auf der Grundlage der Ergebnisse ber den Zusammenhang zwischen Konsum und dem Auf-treten verschiedener alkoholbezogener Krankhei-ten, empfehlen die Autoren als tolerierbaren obe-ren Konsumgrenzwert eine Konsummenge von 10 bis 12 Gramm Reinalkohol pro Tag fr erwach-sene Frauen und von 20 bis 24 Gramm Reinal-kohol pro Tag fr erwachsene Mnner. Jugend-lichen und jungen Erwachsenen wird empfohlen, ihren Alkoholkonsum insgesamt zu reduzieren. Die Autoren schlagen einen Trinkstil vor, bei dem Alkohol langsam und zu den Mahlzeiten konsu-miert wird sowie einen Verzicht auf exzessives epi-sodisches Trinken. In verschiedenen Situationen und Lebensphasen sollte dagegen vollstndig auf Alkohol verzichtet werden.

    9 2 Prventionsaktivitten

    Aus der Public Health-Perspektive spielen Prven-tionsmanahmen fr die Krankheitsbekmpfung eine wesentliche Rolle. Aktivitten der Primrpr-vention sind zu bevorzugen, da sie die Entstehung einer Krankheit von vornherein vermeiden helfen. Allerdings ist dieser Ansatz nicht immer erfolg-

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    wird. Zu nennen wren hier die genetischen Grundlagen der Alkoholkrankheit, relevante zel-lulre Mechanismen und die Entwicklung neuerer Medikamente vor allem zur Rckfallprophylaxe sowie zur Behandlung alkoholassoziierter Folge-schdigungen.

    Durch die Einfhrung der Fachkunde sucht-medizinische Grundversorgung fr rzte mit entsprechenden Weiterbildungscurricula der je-weiligen Landesrztekammern hat sich die Aus-bildung in diesem Bereich verbessert. Dennoch sind weitere Anstrengungen ntig, um die Diag-nostik und Therapie von Alkoholabhngigkeit zu verbessern.

    Um den Zusammenhang zwischen Trink-situation und dem Auftreten negativer Konse-quenzen (social harm, z. B. Verkehrsunflle, Gewalt, Missbrauch) analysieren zu knnen, sind Kenntnisse ber Trinksituationen erforderlich, die aus den Angaben zu Menge und Frequenz in Bevlkerungsumfragen nicht abgeleitet wer-den knnen. Forschungsergebnisse zeigen, dass ein Bedarf in diesem Forschungsbereich besteht (z. B. [10]). Die Ergebnisse knnen dazu dienen, Situationen exzessiven Trinkens zu identifizieren und Prventionskampagnen zum Thema Punkt-nchternheit zu przisieren. Hinweise auf die Trinkgewohnheiten in Deutschland liefert der Epidemiologische Suchtsurvey [43], aus dessen Ergebnissen sich zwei Tendenzen ablesen lassen: Alkohol wird zum einen hauptschlich abends und zum anderen zumeist in geselliger Runde getrunken.

    In zuknftigen epidemiologischen Studi-en sollten neuere Verfahren zum Screening von Alkoholmissbrauch bzw. -abhngigkeit wie das AUDADIS [98] im deutschsprachigen Raum erprobt werden. Wnschenswert wren Validi-ttsstudien, die die Gte von schriftlichen Erhe-bungen des M-CIDI-Moduls [47] zu Substanzst-rungen ermitteln. Unzureichend ist auch noch die Befundlage bei Personen ab 60 Jahren.

    10 Forschungsperspektiven

    Die biomedizinische und klinische Alkoholismus-forschung hat in den letzten beiden Dekaden in Deutschland deutliche Fortschritte gemacht, ist aber insbesondere im Bereich der Neuro- und Psychowissenschaften vielerorts immer noch ein Stiefkind. So existiert in Deutschland derzeit nur ein Lehrstuhl fr Suchtmedizin und die sucht-medizinische Forschung ist selbst in vielen psychi-atrischen Universittskliniken kaum oder gar nicht prsent. berregionale Forschungseinrichtungen, die sich schwerpunktmig dem Bereich der Al-koholforschung und Therapie widmen knnten, wie z. B. in den USA das National Institute for Alcoholism and Alcohol Abuse (NIAAA), fehlen vllig. Die Einrichtung weiterer universitrer oder aueruniversitrer Forschungsbereiche und Insti-tute, die sich mit dem Problem Suchtmedizin, spe-ziell Alkoholismus auseinander setzen, erscheint dringend notwendig. Es scheint naheliegend, dass zumindest ein Teil der erheblichen Einnahmen der Alkoholsteuer speziell hierauf verwandt wer-den sollte. Im brigen wre hnlich wie in Teilen der USA auch eine finanzielle Beteiligung der Ge-trnkeindustrie im Bereich Prvention und Thera-pie von Alkoholismus wnschenswert.

    Die Initiierung von Forschungsverbnden in der Suchtforschung durch das Bundesminis-terium fr Bildung, Forschung und Technologie (BMBF, siehe oben) ist ein weiterer Schritt. Hier konnten vier bundesweite Netzwerke eingerichtet werden, wobei allerdings nicht immer auch der Alkoholismusbereich ausreichend bercksichtigt wurde. Anzustreben ist im Bereich der Therapie-forschung weiter ein verstrktes Engagement der Leistungstrger, insbesondere Krankenkassen und Rentenversicherungstrger, die einige Mo-dellprojekte, z. B. zur ambulanten Entgiftung oder ambulanten Rehabilitation frdern. Die wissen-schaftliche Erprobung und berprfung neuer Therapiemodelle scheint dringend notwendig.

    Schlielich steht eine Verbesserung der Er-forschung der neurobiologischen Grundlagen der Alkoholabhngigkeit noch aus. Nur vergleichswei-se wenige Universitten und Forschungseinrich-tungen haben sich speziell dieser Fragestellung gewidmet, obwohl dieses Gebiet international mittlerweile als sehr aussichtsreich angesehen

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    11 Ansprechpartner

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung im Bundesministerium fr GesundheitFriedrichstrae 10810117 BerlinTel.: 03018-441-14 52Fax: 030-20 640-49 60E-Mail: [email protected]

    Deutsche Hauptstelle fr Suchfragen (DHS)Westenwall 459065 HammTel.: 02381-90 15-0 Fax: 02381-90 15 30 E-Mail: [email protected]

    Bundeszentrale fr gesundheitliche Aufklrung(BZgA)Ostmerheimer Str. 22051109 KlnoderPostfach 91015251071 Klnnur fr schriftliche Medienbestellungen:51101 Kln (ohne Strae, ohne Postfach)Tel.: 0221-89 92-0Fax: 0221-89 92-300E-Mail: [email protected] (fr Anfragen, Mittei-lungen)E-Mail: [email protected] (fr Bestellungen)www.bzga.de

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    32. Bhringer G, Augustin R, Bergmann E et al. (Hrsg) (2000) Alkoholkonsum und alkoholbe-zogene Strungen in Deutschland. Schriftenrei-he des Bundesministeriums fr Gesundheit. Bd 128, Nomos Baden-Baden

    33. Kraus L, Heppekausen K, Barrera A et al. (2004) Die Europische Schlerstudie zu Alkohol und anderen Drogen (ESPAD): Befragung von Sch-lerinnen und Schlern der 9. und 10. Klasse in Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklen-burg-Vorpommern und Thringen. IFT-Berichte Bd 14, IFT Institut fr Therapieforschung Mn-chen

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