10
1 Gibt es berechtigte Gründe für Folter? Ein Pro und Contra Ein Beitrag von Reinhard D. Schulz Zum Gästeabend in der Loge zur Siegenden Wahrheit Am 26. Okt. 2005 Folter ist laut der UN-Anti-Folter-Konvention jede Handlung, bei der Träger staatlicher Gewalt einer Person „vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen oder Leiden“ zu- fügen oder androhen, um eine Aussage zu erpressen, um einzuschüchtern oder zu bestrafen. Menschenrechte Völkerrechtlich enthalten in Artikel 5 der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen: Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Be- handlung oder Strafe unterworfen werden. Ähnlich lautet auch das Folterverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention. Im inner- staatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland ist ein Verbot der Folter verfassungsrechtlich in Artikel 1 Absatz (1) GG: Die Würde des Menschen ist unantastbar. und in Artikel 104 Absatz (1) Satz 2 GG verankert: Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden. Ergänzende Bestimmungen finden sich im Strafrecht. So wird es Vorgesetzten durch § 357 StGB verboten, ihre Mitarbeiter zu rechtswidrigen Taten zu verleiten oder auch nur solche zu dulden. Ferner sind Aussagen, die unter der Androhung von Folter erpresst werden, in einem Gerichts- verfahren nicht verwertbar (§ 136a StPO). Aussageerpressung ist auch selbst eine Straftat (Amtsdelikt). Allerdings verfügt das deutsche Strafrecht über kein direkt ausgesprochenes Folterverbot. Das Verbot ergibt sich erst aus dem Kontext. Die Geschichte der Folter in Deutschland In der weltlichen Gerichtsbarkeit wurde die Folter in Deutschland seit Anfang des 14. Jahrhun- derts praktiziert. Sie entwickelte sich bis zum Ende des Mittelalters als Mittel des Strafverfahrensrechts und wurde meist so definiert: Ein von einem Richter rechtmäßig in Gang gebrachtes Verhör unter Anwendung kör- perlicher Zwangsmittel zum Zwecke der Erforschung der Wahrheit über ein Verbre- chen. Nach mittelalterlicher Auffassung konnte eine Verurteilung entweder auf Grund der Aussage zweier glaubwürdiger Augenzeugen oder auf Grund eines Geständnisses erfolgen. Hingegen konnten bloße Indizien, selbst wenn sie noch so zwingend auf die Schuld des Angeklagten hin-

Gibt es berechtigte Gründe für Folter - FolterProContra_05-10-20

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Gibt es berechtigte Gründe für Folter - FolterProContra_05-10-20

1Gibt es berechtigte Gründe für Folter? Ein Pro und Contra Ein Beitrag von Reinhard D. Schulz Zum Gästeabend in der Loge zur Siegenden Wahrheit Am 26. Okt. 2005 Folter ist laut der UN-Anti-Folter-Konvention jede Handlung, bei der Träger staatlicher Gewalt einer Person „vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen oder Leiden“ zu-fügen oder androhen, um eine Aussage zu erpressen, um einzuschüchtern oder zu bestrafen. Menschenrechte Völkerrechtlich enthalten in Artikel 5 der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen:

Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Be-handlung oder Strafe unterworfen werden.

Ähnlich lautet auch das Folterverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention. Im inner-staatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland ist ein Verbot der Folter verfassungsrechtlich in Artikel 1 Absatz (1) GG:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. und in Artikel 104 Absatz (1) Satz 2 GG verankert:

Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden. Ergänzende Bestimmungen finden sich im Strafrecht. So wird es Vorgesetzten durch § 357 StGB verboten, ihre Mitarbeiter zu rechtswidrigen Taten zu verleiten oder auch nur solche zu dulden. Ferner sind Aussagen, die unter der Androhung von Folter erpresst werden, in einem Gerichts-verfahren nicht verwertbar (§ 136a StPO). Aussageerpressung ist auch selbst eine Straftat (Amtsdelikt). Allerdings verfügt das deutsche Strafrecht über kein direkt ausgesprochenes Folterverbot. Das Verbot ergibt sich erst aus dem Kontext. Die Geschichte der Folter in Deutschland In der weltlichen Gerichtsbarkeit wurde die Folter in Deutschland seit Anfang des 14. Jahrhun-derts praktiziert. Sie entwickelte sich bis zum Ende des Mittelalters als Mittel des Strafverfahrensrechts und wurde meist so definiert:

Ein von einem Richter rechtmäßig in Gang gebrachtes Verhör unter Anwendung kör-perlicher Zwangsmittel zum Zwecke der Erforschung der Wahrheit über ein Verbre-chen.

Nach mittelalterlicher Auffassung konnte eine Verurteilung entweder auf Grund der Aussage zweier glaubwürdiger Augenzeugen oder auf Grund eines Geständnisses erfolgen. Hingegen konnten bloße Indizien, selbst wenn sie noch so zwingend auf die Schuld des Angeklagten hin-

Page 2: Gibt es berechtigte Gründe für Folter - FolterProContra_05-10-20

2wiesen, oder die Aussage eines einzigen – sei es auch noch so glaubwürdigen – Zeugen keine Verurteilung rechtfertigen. Die Folter selbst war keine Strafe, sondern eine Maßnahme des Strafverfahrensrechts und sollte eine Entscheidungsgrundlage liefern. Die geschichtlichen Wurzeln der Folter des deutschen Spätmittelalters liegen im römischen Recht, das die Folter ursprünglich nur gegenüber Sklaven, seit dem 1. nachchristlichen Jahrhundert aber bei Majestätsverbrechen, also bei Hochverrat, auch gegenüber Bürgern kannte. Das deutsche Lehnwort „Folter“ leitet sich denn auch aus dem lateinischen Wort poledrus (Foh-len) her, der Bezeichnung für ein pferdeähnliches Foltergerät. Es gab zwei Wege, auf denen römisches Recht in das deutsche Recht des Mittelalters importiert wurde. Zum einen war es das Kirchenrecht, das sich, entsprechend dem Zentrum der Papstkirche in Rom, seit jeher am römischen Recht orientiert hatte.

Ecclesia vivit lege romana – die Kirche lebt nach römischem Recht. Hatten Kirchenväter und Päpste vor der Jahrtausendwende die Anwendung von Folter noch aus-drücklich abgelehnt, so änderte sich das im Kampf der Kirche gegen die häretischen Bewegun-gen der Katharer und der Waldenser. 1252 erließ Papst Innozenz IV. seine berühmt-berüchtigte Bulle Ad extirpanda, in der er die Kommunen Norditaliens anhielt, die der Ketzerei verdächti-gen Personen mit Hilfe der Folter zum Eingeständnis ihrer Irrtümer zu zwingen, „ohne ihnen die Glieder zu zerschlagen und ohne sie in Lebensgefahr zu bringen“. Diese Anordnung wurde im 13. Jahrhundert auch in Deutschland im kirchlichen Strafverfahren von den dazu verpflichteten weltlichen Behörden angewandt. Der zweite Weg, war die so genannte Rezeption. Das Recht des deutschen Mittelalters war ü-berwiegend durch Gewohnheitsrecht geprägt, das sich örtlich und zeitlich recht unterschiedlich entwickelte und nicht wissenschaftlich-systematisch begründet und rational durchdrungen war. In Italien dagegen griff man seit dem beginnenden 12. Jahrhundert, vor allem an der Universität von Bologna, auf das altrömische Recht zurück, das am Ausgang der Antike auf eine tausendjäh-rige Entwicklung zurückblicken konnte. Auch in Deutschland, wo weltliche Herrschaftsträger sich immer wieder mit kirchlichen Einrichtungen und deren rechtlich geschulten Klerikern aus-einanderzusetzen hatten, schickte man nun Studenten zum Studium der – in Deutschland nicht existierenden – Rechtswissenschaft vermehrt an italienische Hochschulen. So wurden römisch-rechtliche Vorstellungen in die deutsche Rechtspraxis eingeführt.

Ursachen

Die Auflösung alter Stammes- und Sippenstrukturen hatte zu sozialer und auch örtlicher Mobili-tät geführt. Verarmende Ritter, umherziehende Landsknechte, wandernde Handwerksburschen, Gaukler, Bettler und sonstiges fahrendes Volk machten die Landstraßen unsicher, Raubüberfälle und Morde waren an der Tagesordnung.

Es bedrohte Handel und Wandel und damit die Grundlagen des Wohlstandes vor allem in den Städten, für die die Bekämpfung der Kriminalität daher zu einer Lebensnotwendigkeit wurde.

Das überkommene deutsche Strafverfahrensrecht war für eine wirksame Verbrechensbekämpf-ung weitgehend untauglich. Es hatte auf der Vorstellung beruht, dass die Reaktion auf begange-

Page 3: Gibt es berechtigte Gründe für Folter - FolterProContra_05-10-20

3nes Unrecht allein Sache des Betroffenen und seiner Sippe war. Verbrechensbekämpfung war damals keine öffentliche Aufgabe.

Die Rechtsordnung hatte den Beteiligten zwar geregelte Formen für ihre Auseinandersetzung (Eid, Gottesurteil, Zweikampf) zur Verfügung gestellt, aber zu einem Verfahren war es lange Zeit nur auf Klage des Betroffenen oder seiner Sippe hin gekommen. Es hatte sich immer um Verfahren gehandelt, die erst auf eine private Klage hin zu Stande kamen: Es galt das Akkusationsprinzip - Grundsatz der Anklage durch einen Privaten.

Wo kein Kläger, da kein Richter – dieser heute noch für den deutschen Zivilprozess geltende Grundsatz, lag lange Zeit auch dem Strafverfahrensrecht zu Grunde.

Für den Kampf gegen die „landschädlichen Leute“ war dieser Verfahrenstyp weitgehend unge-eignet. So griff man auf einen anderen Verfahrenstypus zurück, der sich ebenfalls in der Kirche entwickelt hatte, nämlich das so genannte Inquisitionsverfahren (von lateinisch inquirere = erforschen), bei dem die Obrigkeit von sich aus das Verfahren in Gang setzte und bei dem es nicht mehr um eine formale Beweisführung ging, sondern um die materielle Wahrheit.

Der Beweis durch zwei Augenzeugen spielte dabei in der Praxis keine bedeutende Rolle. Er konnte nur zum Zuge kommen, wenn der Verbrecher sich bei seiner Tat von zwei Zeugen hatte beobachten lassen und wenn er ungeschickt genug gewesen war, diese Zeugen überleben zu las-sen. So wurde gerade auch im Inquisitionsverfahren das Geständnis des Beschuldigten zur „Kö-nigin aller Beweismittel“, und das Geständnis besorgte man sich im Zweifel eben mit Hilfe der aus dem römischen Recht importierten Folter.

Aus all diesen Gründen breitete sich die Folter im Laufe des Spätmittelalters nahezu im gesam-ten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation aus. Gesetzliche Regelungen Was fehlte, war eine gesetzliche Regelung des Gebrauchs der Folter. Dies führte zu einer weit-gehend willkürlichen Folterpraxis. Vielfach waren es juristisch nicht gebildete Laienrichter, die über die Folterung zu entscheiden hatten. Die willkürlichen Folterungen führten zu Klagen. Ein auf Deutsch geschriebenes Rechtsbuch, der um 1436 in Schwäbisch Hall verfasste Klagspiegel (über lange Zeit handschriftlich verbreitet und später vielfach gedruckt) geißelte die Missstände der Strafjustiz und versuchte, den Beschuldigten Anleitungen zu geben, wie sie sich gegen unfähige und willkürliche Richter, „närrische Heckenrichter in den Dörfern“, mit juristi-schen Mitteln zur Wehr setzen könnten. Der in diesem Jahr in Regensburg abgehaltene Reichstag stimmte der „Peinlichen Gerichtsord-nung Kaiser Karls V.“ zu. Besonders eingehend regelte das Gesetz die Folter. Sie durfte danach nur angewandt werden, wenn gegen den Beschuldigten schwerwiegende Verdachtsgründe vorlagen und wenn diese Ver-dachtsgründe durch zwei gute Zeugen oder wenn die Tat selbst durch einen guten Zeugen bewie-sen waren. Vor der Entscheidung über die Anwendung der Folter müsse dem Angeklagten Gelegenheit zur Entlastung gegeben werden. Selbst bei feststehenden Verdachtsgründen dürfe nur gefoltert wer-den, wenn die gegen den Angeklagten vorliegenden Gründe schwerwiegender als die für seine Unschuld sprechenden Gründe seien.

Page 4: Gibt es berechtigte Gründe für Folter - FolterProContra_05-10-20

4Das Maß der Folterung habe sich nach der Schwere der Verdachtsgründe zu richten. Ein unter der Folter abgelegtes Geständnis dürfe nur verwertet werden, wenn der Angeklagte es mindes-tens einen Tag später bestätige. Auch dann müsse der Richter es noch auf seine Glaubwürdigkeit überprüfen. Hexenverfolgung Nahezu völlig versagt hat die Peinliche Gerichtsordnung dagegen bei den massenhaften Hexenverfolgungen in der zweiten Hälfte des 16. und im 17. Jahrhunderts. Für diese Hexenver-folgungen war es – ebenso wie für die zeitlich meist früheren Ritualmordbeschuldigungen gegen Juden – kennzeichnend, dass man so lange, so heftig und so oft folterte, bis die von den Peini-gern erwünschten Geständnisse vorlagen. „Die Folter machte die Hexenleute!“ Die Begründung für die Missachtung der Peinlichen Ge-richtsordnung bei den großen Hexenverfolgungen war auf katholischer wie auf protestantischer Seite die gleiche. Die Hexerei sei ein Ausnahmeverbrechen, ein Verbrechen schrecklichster Art – bei solchen Verbrechen brauche man die normalen Verfahrensregelungen nicht zu beachten. Abschaffung Vereinzelte Bedenken gegen den Sinn der Folter hatte es schon im Mittelalter gegeben. Ganz überwiegend vertrat man aber die Meinung, dass die Folter ein notwendiges Mittel zur Erfor-schung der Wahrheit in Strafsachen sei und dass Gott dem Unschuldigen die Kraft verleihen werde, die Qualen der Folter ohne ein Geständnis zu überstehen. Der Humanist, Philosoph und Theologe Juan Luis Vives, ein spanischer Judenkonvertit, lehnte die Folter in einer bereits 1522 erschienenen Schrift als unchristlich und sinnlos ab. Ähnlich ar-gumentierte der französische Rechtsphilosoph Michel de Montaigne in einer kurz vor 1580 er-schienenen Schrift. 1602 wandte sich der reformierte Pfarrer Anton Praetorius in seinem "Gründlichen Bericht Von Zauberey und Zauberern" gegen die Folter. Der französische Philosoph und Schriftsteller Pierre Bayle, ein Vertreter der Idee der Toleranz, kämpfte in einer 1686 erschienenen Schrift gegen die Folter. Der Sache nach hatte gegen die Folter aber auch der deutsche Jesuit Friedrich Spee von Langen-feld plädiert, der 1631 in seiner anonym erschienenen Schrift "Cautio Criminalis" radikale Kritik an den Hexenverfolgungen übte. Allmählich brach im 18. Jahrhundert der Widerstand auch der Obrigkeit und ihrer Juristen gegen die Abschaffung der Folter zusammen. Den Startschuss für Deutschland gab der Preußenkönig Friedrich der Große. Bereits wenige Tage nach seinem Amtsantritt ließ er in einer Kabinettsorder vom 3. Juni 1740 die „Tortur“ ausdrücklich abschaffen, allerdings mit drei Ausnahmen: Hoch-verrat, Landesverrat und „große“ Mordtaten mit vielen Tätern oder Opfern. Wenige Jahrzehnte später folgten ihm andere deutsche Territorien mit der Abschaffung oder wesentlichen Ein-schränkung der Folter. Die Entwicklung im übrigen Europa verlief parallel, 1815 wurde die Folter sogar im Kirchenrecht abgeschafft. Zuletzt erfolgte die Abschaffung 1851 im schweizerischen Kanton Glarus, wo 1782 auch Europas letzte Hexe Anna Göldi hingerichtet worden war.

Page 5: Gibt es berechtigte Gründe für Folter - FolterProContra_05-10-20

5Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland enthält kein ausdrückliches Verbot der Folter. Das ist auch nicht notwendig, weil das Verbot sich bereits aus dem Gebot der Achtung und des Schutzes der Menschenwürde (Art. 1 des Grundgesetzes) ergibt. In die deutsche Strafprozessordnung ist ein ausdrückliches Verbot der Folter – ohne Verwen-dung dieses Begriffes – erst 1950 eingefügt worden (§ 136 a). In der Bundesrepublik ist jegliche Beeinträchtigung der freien Willensentschließung und Willensbetätigung des Beschuldigten durch Misshandlung, Schlafentzug u. a. gesetzlich verboten. Obwohl es seitens der deutschen Rechtsordnung bei gerichtlicher Verurteilung mit schwerer Strafe bedroht ist, werden in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts immer wieder Fälle bekannt, dass Folter in Deutschland sehr wohl vorkommt. Amnesty International hat mehrfach auf Willkürakte und Misshandlungen seitens deutscher Be-amter gegen Asylbewerber - so genannte Abschiebehäftlinge - hingewiesen. Wegen diverser Todesfälle hat es sogar Gerichtsverfahren und Verurteilungen gegen Beamte in Frankfurt am Main, Köln und Hamburg gegeben. Die aktuelle Diskussion Folter durch US-Amerikaner Gefangene der USA werden bis heute im exterritorialen Häftlingslager Guantanamo in Käfige gesperrt und dort z.B. durch erzwungenen Schlafentzug gefoltert. Als Ergebnis des Dritten Golfkrieges folterten US-amerikanische Soldaten Beschuldigte, iraki-sche Kriegsgefangene, Al-Kaida-Mitglieder und Talibankämpfer. Rumsfeld hatte 14 Verhörme-thoden abgesegnet, wie leichte körperliche Misshandlungen, "die nicht zu Verletzungen führen", Verharren in schmerzhaften Positionen, bis zu 20-stündige Verhöre, Isolation von Gefangenen bis zu 30 Tagen, Dunkelhaft und stundenlanges Stehen, Bedrohung der Gefangenen mit Hunden und Befragungen nackter Häftlinge. Regelmäßig verfrachten die USA Gefangene in Drittstaaten, um sie dort foltern zu lassen. "Offs-hore-Folter" ist für die US-Regierung legitim, da Folter durch die US-Verfassung auf US-Territorium verboten ist. Die USA bestanden aber lange Zeit weiter auf einer Verlängerung der für US-Bürger geltenden Immunität gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof. Interessanterweise bemühte sich die US-Regierung in den Monaten vor dem Feldzug gegen den Irak verstärkt um Immunität ameri-kanischer Soldaten. Wenn die Sonderregelung für US-Amerikaner nicht verlängert werde, droh-ten die USA mit einem Abzug ihrer Soldaten aus UN-Friedenseinsätzen. Seit dem 23. Juni 2004 haben die US-Diplomaten im UN-Sicherheitsrat ihr Ansinnen zurückge-zogen. Kritiker bemängelten, das sei erst geschehen, als eine Mehrheit für diese Regelung aus-sichtslos erschien, also nur taktisch, um einer drohenden, Aufsehen erregenden Abstimmungs-niederlage zuvorzukommen. "Gefahrenabwehr" und das absolute Folterverbot In Deutschland findet seit einiger Zeit eine öffentliche Diskussion zum Begriff Rettungsfolter statt. Ausgelöst wurde diese durch den Entführungsfall Jakob von Metzler.

Page 6: Gibt es berechtigte Gründe für Folter - FolterProContra_05-10-20

6 Eine Chronologie zum Entführungsfall Metzler: 27. September 2002: Auf dem Schulweg wird der elf Jahre alte Jakob von Metzler von dem Jura-Studenten Magnus Gäfgen entführt. Dieser erstickt den Sechstklässler und versteckt die Leiche in einem See. 29. Sept.: Die Familie zahlt eine Million Euro Lösegeld. Die Polizei beobachtet Gäfgen bei der nächtlichen Geldübergabe und lässt ihn fortan nicht mehr aus den Augen. 30. Sept.: Magnus Gäfgen macht keinerlei Anstalten, seine Geisel zu versorgen und damit die Beamten zum Versteck zu führen. Gemeinsam mit seiner 16 Jahre alten Freundin wird er am Frankfurter Flughafen festgenommen. 1. Oktober: Beim nächtlichen Verhör gibt Magnus Gäfgen ein falsches Geiselversteck an. Der damalige Frankfurter Vizepolizeipräsidenten Wolfgang Daschner ordnet an gegenüber Magnus G., "massive Schmerzzufügung" anzudrohen, und diese gegebenenfalls auch durchzu-führen. Bereits nach dieser Androhung der Folter sagte Magnus G. aus, und verriet den Ermitt-lern den Aufenthaltsort des Vermissten, der allerdings schon getötet worden war. Daschner informiert die Staatsanwaltschaft über sein Vorgehen. 27. Januar 2003: Die Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen gegen Daschner und den Verneh-mungsbeamten wegen Verdachts der Aussageerpressung ein. 28. Juli 2003: Das Landgericht verurteilt Magnus Gäfgen wegen Mordes zu lebenslanger Haft und erkennt eine besonders schwere Schuld. 20. Februar 2004: Die Staatsanwaltschaft klagt Daschner und den Vernehmungsbeamten an. Der Vorwurf gegen Daschner lautet Verleitung zur schweren Nötigung. 22. Juni 2004: Die 27. Große Strafkammer des Landgerichts lässt die Anklage gegen die beiden Polizisten zu. 18. November 2004: Der Prozess gegen Daschner und den Vernehmungsbeamten beginnt. 20. Dez. 04: Daschner wird auf Bewährung verurteilt. Die Rechtslage: Nötigung oder Aussageerpressung Wegen der Folterdrohungen kommen zwei Straftatbestände in Betracht:

Nötigung oder Aussageerpressung. Nötigung Die im § 240 des StGB geregelte Nötigung kann im Prinzip von Jedermann begangen werden, der einen anderen mit Gewalt oder schweren Drohungen zu einem bestimmten Verhalten zwingt oder dies auch nur versucht. Der Strafrahmen liegt zwischen einer Geldstrafe und drei Jahren Haft, in besonders schweren Fällen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren Haft. Die beson-ders schweren Fälle sind nach dem Gesetz vor allem dann gegeben, wenn jemand zu einer sexu-ellen Handlung oder einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen wurde. Dennoch sind die mög-lichen Strafen deutlich niedriger als bei einer Aussageerpressung. Für die in Frankfurt angeklagten Polizisten kommt ein besonders schwerer Fall in Frage, weil sie als Amtsträger ihre Stellung oder ihre Befugnisse missbraucht haben könnten. Der Ver-

Page 7: Gibt es berechtigte Gründe für Folter - FolterProContra_05-10-20

7nehmungsbeamte ist wegen Nötigung im schweren Fall, Daschner wegen Verleitung dazu an-geklagt. Für beides gilt der Strafrahmen mit bis zu fünf Jahren Haft. Die im § 343 StGB aufgeführte Aussageerpressung ist eine Spezialvorschrift für Amtsperso-nen, die in Strafverfahren mitwirken, also Polizisten und Juristen. Zum Schutz des möglicher-weise unschuldigen Bürgers im Gewahrsam des Rechtsstaates, bedroht dieser seine Beamten mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Haft, wenn sie mit Gewalt, Drohungen oder seelischen Qua-len versuchen, Aussagen zu erpressen. Die Höchststrafe von zehn Jahren wie bei Totschlag unterstreicht die Schwere dieser Anschul-digung, unter der das Ermittlungsverfahren der Frankfurter Staatsanwaltschaft eingeleitet worden war. Daschner hat immer abgestritten, die Aussage des von ihm bedrohten Entführers in dem Ermitt-lungsverfahren verwenden zu wollen. Ihm sei es immer ausschließlich um die Rettung des ent-führten Kindes gegangen. Individuelle Moral und allgemeines Recht Das allgemein geltende Recht sieht ein absolutes Verbot der Folter vor. Dies gilt auch für die Androhung von Folter, da ansonsten dieses Verbot obsolet wäre.

Davon unabhängig ist es jedoch die Entscheidung des Einzelnen eine Entscheidung zu treffen, die illegal ist, die jedoch individual-moralisch zu rechtfertigen ist - was natürlich nicht vor Be-strafung schützt.

Die negativen Auswirkungen einer Folterandrohung für eine effektive Strafverfolgung liegen auf der Hand. Im Strafprozess gegen Magnus Gäfgen konnten die unter Folterandrohung gemachten Aussagen nicht verwertet werden (§ 136a StPO).

Gegen Daschner, der die Androhung von Folter angeordnet hatte, und gegen den Polizeibeamten, der die Androhung ausgesprochen hat, wurde wegen Nötigung in einem besonders schweren Fall verhandelt. Am 20. Dezember 2004 wurden gegen beide rechtskräftig Geldstrafen auf Bewäh-rung verhängt. Damit ist festgestellt, dass die Gewaltandrohung auch in diesem Fall rechtswidrig und strafbar war.

Der Grund für die Verurteilung war aber, trotz zum Teil anders lautender Me-dienmeldungen, allerdings nur eine fehlende Erforderlichkeit der möglichen Notwehr.

Die Frage, ob solcherart folterähnliche Handlungen abstrakt als Notwehr gerecht-fertigt sein können, ließ das Gericht offen.

Das Pro und Contra nach dem Prozess

o Die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel, um Menschenleben zu retten, müsste auch im Verhör erlaubt sein. (Daschner im FOCUS-Interview)

o Die Tat Daschners ist nicht als Folter gewertet worden. Das Gericht hat die Chance ver-passt, hier ein unmissverständliches Wort beizutragen. (Barbara Lochbihler - Amnesty International)

o Eine Verwarnung mit Strafvorbehalt wird der Bedeutung des absoluten Foltergebotes nicht gerecht (Heiner Bielefeldt - Deutsches Institut für Menschenrechte)

Page 8: Gibt es berechtigte Gründe für Folter - FolterProContra_05-10-20

8o Das Urteil schafft Rechtssicherheit für die Polizei und hat die äußerst schwierige

menschliche Konfliktsituation berücksichtigt. (Konrad Freiberg – Gewerkschaft der Po-lizei)

o Es ging dem Angeklagten darum, ein Leben zu retten (Bärbel Stock - vorsitzende Rich-terin)

o Die Lage war ein rechtfertigender Notstand (Brigitte Zypries - Bundesjutizministerin) Rechtslage, nach der Folter gerechtfertigt werden kann § 32 StGB - Notwehr (1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. § 34 StGB - Rechtfertigender Notstand Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem ande-ren abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interes-sen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte, wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden. § 35 StGB - Entschuldigender Notstand (1) Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Frei-heit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies gilt nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzuneh-men; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Täter nicht mit Rück-sicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte. (2) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 ent-schuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Stra-fe ist nach § 49 Abs. 1 Als finaler Rettungsschuss wird der gezielt tödliche Einsatz von Schusswaffen im Dienst von Polizisten, um Gefahr von Dritten abzuwenden, bezeichnet. Typische Einsatzgebiete sind Geiselnahmen, die nicht über Verhandlungen oder mit nichttödlichem Einsatz von Waffen gelöst werden können. In den Polizeigesetzen existieren nahezu wortgleiche Regelungen. Danach ist der finale Ret-tungsschuss nur als Ultima Ratio zur Abwendung einer akuten Gefahr für Leib oder Leben zu-lässig:

Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensge-fahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperli-chen Unversehrtheit ist.

Die Polizeigesetze in einigen Bundesländern u.a. in Berlin beinhalten den finalen Rettungsschuss nicht. Die gezielte Tötung kann hier nur durch den Rückgriff auf die Notwehr bzw. den Notstand gerechtfertigt werden.

Page 9: Gibt es berechtigte Gründe für Folter - FolterProContra_05-10-20

9 Gedanken zum Pro & Contra Wenn im Zuge der Regelungen über Notwehr, Notstand und mittels des finalen Rettungs-schusses zur Rettung von Menschen sogar die Tötung erlaubt ist, weshalb dann nicht auch die Aussage-Nötigung durch Gewaltanwendung? Dazu ein durchaus realitätsnahes Szenario:

Ein terroristischer, todesbereiter Bombenleger wird von Sicherheitskräften ergriffen. Auf-gefundene Beweismittel belegen, dass bereits mehrere Zeitzünderbomben in öffentlichen Gebäuden abgelegt und scharfgestellt sind. Die Orte sind allerdings nicht bekannt. Der Bombenleger beansprucht sein Recht auf Aussageverweigerung.

Wiegt das Recht eines Täters auf Menschenwürde und auf Unversehrtheit

höher, als das seiner Opfer? Foltermethoden Sensorische Deprivation, Elektroschock, Erschöpfung (Zwangsarbeit), anale oder vaginale Vergewaltigung (mit diversen Gegenständen, mit verbundenen Augen, von mehreren Personen), Pharmakologische Folter (Drogenmissbrauch, Zwangsmedikation), Zwangshaltungen (Stehen, Knien, Sitzen, Hängen, Strappado, Fesseln, Zuchtstuhl), Erniedrigung (Kot essen, Urin trinken, öffentlich masturbieren), Schläge ("Falanga", "Telefono", Auspeitschen), Aufhängen ("Papagei-enschaukel"), Sauerstoffmangel ("Submarino", Masken), Schlafentzug, Nahrungsentzug, Verbrennungen zufügen, Verstümmelungen (Haare, Nägel, Haut, Zunge, Ohren, Genitalien, Gliedmaßen, Embryo), Verhör-Folter, Zahnfolter, Zwangsuntersuchungen (gynäkologisch, gastroenterologisch), Torstehen, Pfahlhängen ... Foltermethoden, die keine offensichtlichen Spuren an den Opfern verursachen, nennt man Weiße Folter. Dazu gehören zum Beispiel

o Isolationshaft, o Schlafentzug, o Reizentzug (z.B. Dunkelhaft in einer Camera silens), o Sauerstoffmangel-Folter, o Scheinhinrichtungen, o Kitzeln.

Psychologie der Folter

Page 10: Gibt es berechtigte Gründe für Folter - FolterProContra_05-10-20

10Die meisten Menschen haben eine latente Bereitschaft zum Foltern. Diese Bereitschaft bricht sich leichter ihre Bahn, wenn die Folter durch "ethische" Gründe (siehe Wolfgang Daschner) oder Sachzwänge ("mir blieb ja keine Wahl") gerechtfertigt oder gar "zwingend" erscheint. Die Psychologie testet die latente Bereitschaft, anderen Menschen Grausames anzutun (indem man das eigene Gewissen dem Gehorsam unterordnet) mit dem Milgram-Experiment ("Abraham-Test"). Beim Stanford Prison Experiment wurden gesunde, normale Studenten in die Situation von Ge-fängniswärtern und Gefangenen versetzt, worauf es innerhalb weniger Tage zu Misshandlungen kam. Dies zeigt, dass Folter "normales" menschliches Verhalten ist, wenn Institutionen morali-sche Regeln außer Kraft setzen. In einem aktuellen Aufsatz untersucht der Psychologe Philip G. Zimbardo von der University of California, Berkeley, die Täterpsychologie: Unter welchen Bedingungen werden aus gewöhnli-chen Menschen folternde Sadisten? Unter anderem gibt er folgendes Zehnpunkte-"Rezept" an:

1. Gib der Person eine Rechtfertigung für ihre Tat. Zum Beispiel eine Ideologie, "Nationale Sicherheit", das Leben eines Kindes.

2. Sorge für eine vertragsartige Abmachung, schriftlich oder mündlich, in der sich die Per-son zum gewünschten Verhalten verpflichtet.

3. Gib allen Beteiligten sinnvolle Rollen (z.B. Lehrer, Schüler, Polizist), die mit positiven Werten besetzt sind.

4. Gib Regeln aus, die für sich genommen sinnvoll sind, die aber auch in Situationen be-folgt werden sollen, wo sie sinnlos und grausam sind.

5. Verändere die Interpretation der Tat: Sprich nicht davon, dass Opfer gefoltert werden, sondern dass ihnen geholfen wird, das richtige zu tun.

6. Schaffe Möglichkeiten der Verantwortungsdiffussion: Im Falle eines schlechten Aus-gangs soll nicht der Täter bestraft werden. (Sondern der Vorgesetzte, der Ausführende, etc.)

7. Fange klein an: Mit leichten, unwesentlichen Schmerzen. ("Ein kleiner Stromschlag von 15 Volt.")

8. Erhöhe die Folter graduell und unmerklich. ("Es sind doch nur 30 Volt mehr.") 9. Verändere die Einflußnahme auf den Täter langsam und graduell von vernünftig und ge-

recht zu unvernünftig und brutal. 10. Erhöhe die Kosten der Verweigerung, etwa indem keine üblichen Möglichkeiten des Wi-

derspruchs akzeptiert werden. (nach: G. Zimbardo, "A Situationist Perspective on the Psychology of Evil -- Understanding how Good People are Transformed into Perpetrators", In A.G. Miller (ed.), The Psychology of Good and Evil, Guildford Press, NY, 2004)

Die These Zimbardos und ein wesentliches Ergebnis des Milgram-Experiments ist, dass unter solchen Rahmenbedingungen die meisten Menschen bereit sind zu foltern.