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Gleichgewichtsökonomik und mikroökonomische Entscheidungstheorie Author(s): Werner Meißner Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 26, H. 1 (1967), pp. 70-77 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40910373 . Accessed: 14/06/2014 14:16 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.44.79.22 on Sat, 14 Jun 2014 14:16:34 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Gleichgewichtsökonomik und mikroökonomische Entscheidungstheorie

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Gleichgewichtsökonomik und mikroökonomische EntscheidungstheorieAuthor(s): Werner MeißnerSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 26, H. 1 (1967), pp. 70-77Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40910373 .

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Gleidigewichtsökonomik und mikroökonomische Entscheidungstheorie

von

Werner Meißner

Die Ansätze zur mikroökonomischen Modellbildung sind nach dem Ver- dikt des umfassenden Gültigkeitsanspruchs der Marginalanalyse vielfältiger geworden. Wie speziell der neoklassische Ansatz war, hat Kode1 gezeigt. Darüber hinaus hat er bewiesen, daß die so entwickelten Modelle den An- sprüchen einer erfahrungswissenschaftlichen Theorie nicht genügen. Ollen- burg2 hat den dabei verwandten Gedankengang in seinem Besprechungs- auf satz noch einmal skizziert. Darüber hinaus hat er versucht, die von Kade mit seinem Buch angeregte methodenkritische Reflexion der mikro-ökono- mischen Theorie um einige Gedanken zu bereichern. Dies geschieht zunächst dadurch, daß er die neoklassische Entscheidungslogik mit Modellen der ,, modernen" Entscheidungslogik in Verbindung setzt und feststellt, daß sich diese gleichfalls ,,ihre Axiome in Richtung auf die Existenz von Lösungen aufgebaut hat" und sich hier von der neoklassischen Variante lediglich da- durch unterscheidet, ,,daß sie um der Existenz von Lösungen willen weder Probleme ausklammert noch Axiome so unbestimmt formuliert oder durch Leerformeln absichert, daß sie nicht mit empirischem Gehalt erfüllt werden können" (S. 343). Sicherlich wurden und werden die Entscheidungsmodelle auf die Lösung hin konzipiert. Der Ausdruck ,, Existenz einer Lösung" soll hierbei einmal bewußt zurückgestellt werden. Er schmeckt nach mathema- tischem Beweis und zielt auf den Lösungsalgorithmus und damit letztlich auf die Frage nach der gegenseitigen Bedingung von Lösungstechnik und Modellform. Das werden wir bald aufgreifen.

Ollenburg kritisiert nun, daß sich Kade nicht um den Begriff der ,, Lösung einer Entscheidungsaufgabe" bemüht hätte. Dadurch sei versäumt worden, die Entscheidungslogik neoklassischer Prägung mit der modernen Entschei- dungslogik zu verbinden. Nun ist zunächst einmal klar (was auch Ollenburg betont), daß die Funktion der neoklassischen Entscheidungsmodelle lediglich

1 Kade: Die Grundannahmen der Preistheorie. Eine Kritik an den Ausgangs- sätzen der mikroökonomischen Modellbildung. Berlin -Frankfurt/M. 1962.

2 Günter Ollenburg: Preistheorie und Methodenkritik, in: „Finanzarchiv", N. F., Band 25, 1966, S. 339 ff.

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dazu diente, die durch sie dargestellten mikroökonomischen Bereiche in ein allgemeines Gleichgewichtssystem einzupassen. Dieser alles beherrschende Gesichtspunkt war für die zugrunde liegende (und nachträglich explizit formulierte) Axiomatik verantwortlich. Das gilt nicht nur für die Ausgestal- tung des Informations- und des Reaktionsaxioms. Es gilt auch, wie an Bei- spielen aus der Produktionstheorie gezeigt worden ist1, für die Wahl der Handlungsmaxime. Die Aufgabe der zugrunde liegenden Gleichungssysteme besteht gerade in einer eindeutigen Bestimmung der unternehmerischen Handlungsmaxime. Wenn es, wie Ollenburg sagt, in der modernen Entschei- dungslogik darauf ankommt, „von einer bestimmten Situation ausgehend das Zustandekommen einer Folgesituation zu erklären" (S. 342), so ist diese Transformationsvorstellung der neoklassischen Entscheidungslogik gleich- falls nicht inadäquat. Im Fall der neoklassischen Produktionstheorie wird aber eine Transformation auf eine durch Gleichungssysteme vom Walras- Casselschen Typ beschriebene Entscheidungssituation nur anwendbar, wenn die Maxime des Unternehmers eindeutig und invariant ist - bei einer Kon- kurrenzwirtschaft also auf Kostendeckung gerichtet. Die Definition der Lösung einer Entscheidungsaufgabe als Feststellung von Handlungsalternativen, deren Resultate auf Grund der Handlungsmaxime angestrebt werden, ist sicherlich plausibel. Es bleibt aber doch fraglich, ob damit wegen der oben angedeuteten Interdependenzen von Situationsbeschreibung und Maxime viel gewonnen wird.

Der (so Ollenburg) heute herrschende Gesichtspunkt der Transformation in der modernen Entscheidungslogik hat in der Neoklassik nicht minder gegolten. Der von Kode beschrittene Weg der Axiomatisierung des neoklas- sischen Entscheidungsansatzes gestattet doch am besten die Verbindung zur modernen Entscheidungslogik, auch wenn Kode darauf verzichtet hat, diese Gegenüberstellung vorzunehmen. Gerade unter dem Transformationsgesichts- punkt bietet sich das neoklassische Axiomensystem dazu an, die neueren Entwicklungen der mikroökonomischen Entscheidungstheorie zu erkennen und mit dem Ansatz der Gleichgewichtstheorie zu verbinden.

1. Die Aufgabe des Reaktionsaxioms. - Die beherrschende Rolle des In- finitesimal-Kalküls in der Marginalanalyse bedingte eine Vorstellung von der zugrunde liegenden Entscheidungssituation, wie sie Kode in seinem Reak- tionsaxiom präzisiert hat: die Erfaßbarkeit der Entscheidungssituation durch stetige und stetig differenzierbare Funktionen, welche die ökonomischen Größen eindeutig miteinander in Beziehung stellen. In der Produktions- theorie verbirgt sich dahinter die Voraussetzung der vollständigen Teilbarkeit der Produktionsfaktoren und ihres restlosen Einsatzes im Produktionsprozeß, also die Unmöglichkeit von Kapazitätsreserven, die der Harmonie Vorstellung der Gleichgewichtstheorie widersprochen hätten. Gibt man das Reaktions- axiom auf, behält aber die Voraussetzung der vollkommenen Information bei2, so liefert die Linearprogrammierung einen operationalen Kalkül, der

1 J.v.Kempski: Über einige Systeme von Produktionsgleichungen, in: „Zeit- schrift für die gesamte Staatswissenschaft", Bd. 118, S. 412ff. 2 In der Produktionstheorie ist diese Annahme wegen des Vorliegens tech- nischer Beziehungen oft möglich.

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seine Brauchbarkeit in vielen Fällen bewiesen hat. Dies gilt im besonderem Maße für die Produktionstheorie der Unternehmung, einem Gebiet, auf dem nach Maßgabe der Marginalanalyse sich die Entscheidung quasi-automatisGh vollzog. Die Linearprogrammierung behandelt gerade diesen Optimierungs- prozeß, sie liefert der Unternehmung ein „Programm", eine Handlungs- anleitung, um diese optimalen Lösungen berechnen zu können. Die Linear- programmierung enthält genau wie die Marginalanalyse ein durchaus nor- matives Konzept. Der Unterschied zwischen diesen beiden Modellen kann jedoch nicht übersehen werden: Die Linearprogrammierung ist operational definiert und behandelt unmittelbar die Erfordernisse konkreter unterneh- merischer Entscheidungsprozesse. Dabei ist es zunächst unerheblich, daß es sich um eine ganz spezielle Art von Entscheidungsprozessen handelt, nämlich um solche mit vollkommener Information1. In dieser Hinsicht wird die tra- ditionelle Auffassung von der Unternehmung nicht verändert. Wichtig ist jedoch, daß sich der Ausgangspunkt der Untersuchung verlagert hat: von der ökonomischen Theorie, die für die Entscheidungseinheit ,, Unterneh- mung" gerade so viel Interesse aufbrachte, wie es für die Behandlung ihres Hauptanliegens, der Gleichgewichtsbestimmung, notwendig war, hin zu einer Theorie der unternehmerischen Produktionsentscheidung, bei der die Pro- bleme dort anfangen, wo die Analyse der ökonomischen Theorie aufhört. Auch das Konzept der Dynamischen Programmierung gehört hierher. Es handelt sich bei diesem Ansatz um die von Ollenburg geforderte Erweiterung der Entscheidungskonzeption insofern, als der Zusammenhang der Alter- nativenmengen und die Interdependenzen der Resultate erfaßt werden. Diese Interdependenzen liegen vor, weil bei der Dynamischen Programmierung nicht nur eine einzige, abgeschlossene Entscheidungssituation betrachtet wird, sondern eine zeitliche Abfolge von Entscheidungen. Dabei wird durch das Entscheidungsresultat der vorausgehenden Entscheidung die Alternativenmenge (und damit auch das Resultat) der nachfolgenden be- stimmt. Das Informationsaxiom wird in seinem Kern allerdings nicht ver- ändert; die sich daraus ergebenden Beschränkungen sind an Beispielen aus der gesamtwirtschaftlichen Entwicklungsplanung aufgezeigt worden2. Auch die stochastische Interpretation des Informationsaxiom ist eher als eine Modi- fizierung denn als eine Ablösung der grundlegenden Informationsannahme zu werten. Immerhin ist auf dieser Basis eine Reihe von Entscheidungs- techniken entwickelt worden, die gewöhnlich (zusammen mit der Linear- programmierung) unter dem Begriff der Unternehmensforschung („opera- tions research") zusammengefaßt werden. Das gemeinsame Charakteristikum der Methoden der Linearprogrammierung und der Unternehmensforschung (i. e. S., das sind solche Methoden, die Situationen mit Ungewissen Entschei- dungsresultaten behandeln) ist die Tatsache, daß das umfangreiche Problem des ,, Firmenoptimums", wie es von der traditionellen ökonomischen Theorie als gelöst angesehen wurde, in viele einzelne, eher überschaubare Probleme

1 Das Modell der Linearprogrammierung kann derart abgewandelt werden, daß es auch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen einbezieht.

2 W. Meißner: Die Theorie der Dynamischen ±Togrammierung una rroDieme der Entwicklungsplanung, in: „Konjunkturpolitik", 12. Jahrgang, 1966.

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der Unternehmung zerlegt wird, die einem operationalen Ansatz besser zu- gänglich sind.

Der erste Schritt zu einer solchen Aufteilung der unternehmerischen Problemkreise wurde in der ökonomischen Theorie durch die getrennte Be- trachtung der Produktions- und Marktentscheidungen der Firma gemacht, die zusammen mit einer Theorie der Konsumentenentscheidung die Grund- lage für die Aggregation zur makroökonomischen Betrachtungsweise ab- gaben. Diese Aufteilung blieb jedoch so lange ohne Bedeutung für eine Theo- rie der Unternehmung, wie alle diese Entscheidungsprobleme mit dem glei- chen Werkzeug, nämlich dem der Marginalanalyse, angegangen wurden.

2. Die Abwandlung des Informationsaxioms. - War das Informations- axiom im mikroökonomischen Bereich der Produktions- und der Konsum- theorie noch diskussions würdig, so mußte es auf einem anderen mikroöko- nomischen Gebiet scheitern: bei der Theorie der Marktentscheidung, speziell bei der Oligopoltheorie. Die neoklassischen Lösungs versuche, deren Argu- mentation auf ein deterministisches Handlungsmodell gegründet ist, haben eines gemeinsam: Dem Oligopol wird der Stachel gezogen, das konkurrenz- bedingte Unsicherheitsproblem wird ausgeklammert, das Oligopolproblem wird zurechtgestutzt, bevor mit den Mitteln der neoklassischen Entschei- dungslogik eine Lösung angebbar ist. Der Scharfsinn der Autoren konzen- triert sich darauf nachzuweisen, welch' großer Teil des gesamten Oligopol- problems in das Entscheidungsmodell der traditionellen Preistheorie über- führt werden kann. Das Axiom der vollkommenen Information, das der Theorie der Produktions- und Konsumentscheidung zugrunde lag und das für die Theorie der Marktentscheidung in zwei Fällen, nämlich bei vollkommener Konkurrenz und beim Monopol, gleicherweise gilt, soll durch diese Taktik auf einen möglichst großen Teil des Oligopolproblems ausgedehnt werden. Dies war auch die Verfahrensweise der Theorie der unvollkommenen Kon- kurrenz dort, wo sie erfolgreich war, d. h. wo sie für das Oligopolproblem eine Lösung fand. Der Fall des homogenen Oligopois bei Chamberlin repräsentiert dieses Prinzip.

Die Spieltheorie lieferte den adäquaten entscheidungslogischen Kalkül für derartige Marktsituationen, die durch interdependente Entscheidungen gekennzeichnet sind. Die explizite Abwandlung des Informationsaxioms im spieltheoretischen Konzept führt dann zur Umwandlung der Handlungs- maxime vom Maximierungs- zum Minimax-Postulat. Beiden Postulaten je- doch liegt eine Optimalvorstellung zugrunde, denn es ist letztlich unerheblich, ob das sichere absolut maximale Resultat oder das maximale Resultat der absolut sicheren Minimalergebnisse angestrebt wird. Das Problem der unter- nehmerischen Marktentscheidung ist durch die Spieltheorie zwar nicht gelöst worden, hingegen hat das spieltheoretische Konzept geholfen, das Problem klar zu beschreiben, das sich ergibt, wenn mehr als eine Entscheidungseinheit in einer Entscheidungssituation vorhanden ist. Sie hat den Begriff der Ratio- nalität in Konflikt- und Interdependenzsituationen neu definiert und ihn zu gleicher Zeit in die Diskussion gebracht1.

1 Im letzten Abschnitt seiner Schrift hat Kode, aaO., die Neuorientierung der

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Der begrenzte Wert des spieltheoretischen Rationalitätskonzepts ist ein- mal in direkten Spielexperimenten zutage getreten1. Dies hat Anlaß gegeben, das Rationalitätspostulat neu zu durchdenken. Auf der anderen Seite wurde gesagt: Wenn der Entscheidungsablauf innerhalb einer Unternehmung nicht als durch das Rationalitätskonzept fixiert angesehen werden darf, so muß er selbst zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden.

3. Die Modifizierung des Rationalitätsaxioms. - Die Grundlage der bisher erörterten Entscheidungsmodelle war ein ganz spezieller Aspekt des Ratio- nalitätskonzeptes: die Annahme, daß rationales Handeln in einer ökonomi- schen Entscheidung sich in einer bestimmten Form von Optimierung äußert.

Es ist diese Annahme, die wir in der engen Ausgestaltung des Ratio- nalitätsaxioms der mathematisch orientierten neoklassischen Nationalöko- nomie vorfanden - hier wesentlich hervorgerufen durch den in der Infinite- simalrechnung vorgegebenen Extremalkalkül. Es hat sich gezeigt, daß eine Lockerung der Informationsbeziehungen zu einer Abwandlung des Ratio- nalitätsaxioms geführt hat; in der Spieltheorie schließlich wird das Ratio- nalitätskonzept repräsentiert durch den Minimax-Kalkül.

Das Rationalitätsaxiom stützt sich aber solange noch auf eine reine Verhaltensannahme, wie keine ,, Gründe für die Vermutung bestehen, daß irgendwelche Rollenträger des wirtschaftlichen Geschehens die betreffenden Regeln als Richtschnur für ihr Verhalten akzeptiert haben"2. Es bleibt ökonomisches Denken in Modellen, wobei es keinen Unterschied macht, ob diese Modelle in der Sprache der Mathematik formuliert sind, wie im Falle der Spieltheorie, oder in der Sprache eines Adam Smith für den Fall der vollkommenen Konkurrenz. Die Definition des rationalen Verhaltens als Optimierungs verhalten ist nicht zufällig: Die meisten Oligopöltheorien sind Gleichgewichtsmodelle. Das Optimierungskonzept ist eine wesentliche Grund- lage zur Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen und zur Bestimmung des Gleichgewichtszustandes, sei es als Extrempunkt im Sinne des Infinite- simalkalküls oder als Sattelpunkt des spieltheoretischen Gleichgewichtes.

So gesehen, war auch die Optimierungsanweisung der mikroökonomi- schen Theorie ein normatives Konzept. Der mikroökonomische Prozeß der Alternativenwahl wurde wegen des Gleichgewichtskonzepts als zielgerichtet angenommen: Die Unternehmung war eine Einheit, die optimale Entschei- dungen traf. Im Fall der Marktentscheidungen bestimmte die besondere Struktur des (oligopolistischen) Marktes das Kriterium der Optimalität. Ver- lassen wir den Rahmen der Gleichgewichtsökonomik und damit den strengen Richtpunkt der Optimalität, so muß das Rationalitätspostulat anders defi-

mikroökonomischen Entscheidungstheorie durch die stochastische und spieltheo- retische Interpretation des Rationalitätsaxioms bereits angesprochen. 1 Vgl. hierzu B. Liebermann: Experimental Studies of Conflict, in: Criswell, Solomon and Suppes (Ed.): Mathematical Methods in Small Group Process, Stan- ford 1962; desgl. P. Suppes and R. C.Atkinson: Markov Learning Models for Multi- person Interactions, Stanford University Press 1960, S. 181 ff. und S. HOff.; ferner M.Shvbik: Some experimental non-zero-sum games with lack of information about the rules, in: „Cowles Foundation Discussion Paper", No. 105, Jan. 1961.

2 H.Albert: Die Problematik der sozialökonomischen Perspektive, in: „Zeit- schrift für die gesamte Staatswissenschaft", Bd. 117, 1961, S. 445.

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niert werden. Die Experimentalpsychologie bietet für derartige Situationen das Konzept des Anspruchsniveaus1 an, das auch von einigen Ökonomen durch Beobachtung2 oder intuitiv erkannt und als Grundlage einer Hand- lungsmaxime vorgeschlagen wurde.

Ist aber einmal die Mechanik des Optimalverhaltens in Frage gestellt, so muß eine bisher implizierte Annahme aufgehoben werden: Die Struktur der Entscheidungseinheit selbst hat keinen Einfluß auf die Entscheidung. Vielmehr ist nun, da die (in diesem Falle) oligopolistische Marktstruktur nicht mehr allein den Anhaltspunkt für eine ,, rationale" Entscheidung ab- gibt, das Organisationsgefüge einer Firma von gleicher Wichtigkeit für den Entscheidungsprozeß wie die Struktur des Marktes: Wie läuft der Entschei- dungsprozeß innerhalb der Entscheidungseinheit ab?

An dieser Stelle allerdings wird eine entscheidende Abwandlung in der mikroökonomischen Modellbildungstechnik deutlich, nämlich

4. der Übergang von analytischen zu Prozeßmodellen. Damit ist gemeint die verschiedene Konstruktion von Entscheidungsmodellen hinsichtlich der auf sie angewandten Lösungstechnik. Die Prozeßmodelle, die die mikro- ökonomische Entscheidungseinheit selbst3 zum Gegenstand machen, stellen der analytischen Lösungsmethode der klassischen Entscheidungsmodelle die numerische Lösungstechnik des Computers gegenüber. Das bewirkt eine größere Variationsmöglichkeit bei der Annahmenbildung der Entscheidungs- modelle, als es der Deduktions Vorgang analytischer Entscheidungsmodelle erlaubt4. Diese Beschränkung der Modellannahmen durch die analytische Lösungstechnik zeigt sich eben am besten in der beherrschenden Kolle des Infinitesimalkalkülsund der entsprechenden Ausgestaltung des neoklassischen Axiomensystems. Analytische Entscheidungsmodelle kommen schnell an die Grenze ihrer Keduktions- und Lösungsmöglichkeiten. Die Komplexität der Prozeßmodelle verhindert andererseits eine derartige Reduktion, die sie einer analytischen Lösungsmethode zugänglich machen würde. Die Frage nach dem Gleichgewichtspunkt eines solchen Modells tritt zurück zugunsten der Prüfung, ob ein Prozeßmodell im Zeitablauf überhaupt einen „Verhaltens-

1 Vgl. S.Siegel: Level of aspiration and decision making, in: „Psychological Review", 1957, S. 235 ff. - K. Lewin and others : Level of Aspiration, in: J. Me V. Hunt : Personality and the Behavior Disorders, New York 1944. Zur Anwendung dieses Konzepts siehe insbes.: H.A.Simon: A Comparison of Game Theory and Learning Theory, in: Models of Man, New York 1957, S. 278; ders.: A Behavioral Model of Choice, in: Models of Man, aaO. - S.Siegel and L.E.Fouraker: Bargaining and Group Decision Making, New York- London-Toronto 1960, S. 62. 2 Vgl. H. Sauermann und R.Seiten: Ein Oligopolexpenment, in: „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft*', Bd. 115, 1959, S. 427 ff. 3 In der Theorie der Produktion und der Marktentscheidung wurde die mikro- ökonomische Entscheidungseinheit „Unternehmung" dadurch problemlos, daß sie mit der Einzelperson des „Unternehmers" identifiziert wurde. Damit war die interne Organisation des Entscheidungsprozesses ausgeklammert. 4 Es treten bei Prozeßmodellen sogar die gegenteiligen Probleme auf. Die Freiheit in der Annahmenbildung bei Prozeßmodellen wirft z.B. die Frage auf, welche Funktionsformen unterstellt werden sollen, da sich ja hier nicht die Be- grenzung analytischer Modelle auswirkt, die etwa nach stetigen, differenzierbaren oder linearen Funktionen verlangt. Die Variationsmöglichkeiten werden nur durch die Kapazität des Computers begrenzt.

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pfad" liefert. Die Outputwerte bei der Komputation t-1 werden zu den Inputwerten bei der Komputation t. Das Ergebnis einer Oligopolsimulation könnte z.B. sein, daß sich der Markt nach einer geringen Anzahl von Markt- perioden (Komputationen) selbst zerstört.

Hier werden die verschiedenen Ausgangspunkte bei der Bildung dyna- mischer Gleichgewichtsmodelle klar. Die Frage lautet nicht: Wie müssen die Annahmen beschaffen sein, um aktuelles Geschehen erfassen zu können, und wieweit sind sie testbar? Sondern: Welches sind die notwendigen und hin- reichenden Bedingungen für einen „Pfad" von einem gegebenen Ausgangs- zustand hin zu einem dynamischen Gleichgewicht und für dessen Stabilität? Prozeßmodelle sind nicht derartigen Einschränkungen unterworfen. Die Hypothesenbildung ist angelehnt an Vermutungen, die aus der Beobachtung des realen Entscheidungsprozesses entstanden sind, sie bilden die Grundlage für ein ,, Laborexperiment", das den wirklichen Prozeß abzubilden versucht. Ein ,, Verhaltenspfad" kann für eine Menge verschiedener Annahmen und Variablenkombinationen gebildet werden. Die Entwicklung dieses Pfades stellt dann auch ein Kriterium für die Bewertung des Prozeßmodells dar. Ist ein solcher ,, Verhaltenspfad" möglich (im weiten Sinne) und ergibt er sich überhaupt aus einer gewissen Kombination von Annahmen?

Dieser „Möglichkeitstest" eines dynamischen Prozeßmodells ist aller- dings nicht so streng wie das Gleichgewichtskriterium analytischer Modelle.

Die Frage nach den Gleichgewichtsbedingungen stellt zwar ein strenge- res Testkriterium dar, auf der anderen Seite besagt ein solcher positiver Test jedoch lediglich eines: Es ist eine Prüfung der Konsistenz dieses Modelles. Die Untersuchung des „Verhaltenspfades" eines Prozeßmodelles verlagert den Akzent von der Frage nach der Konsistenz des Modelles zu der Frage nach seinem explikativen Wert. Dies ist zweifellos der entscheidende Punkt für die Bewertung eines Prozeßmodelles.

Diese kurze Übersicht über den Weg der mikroökonomischen Entschei- dungstheorie von ihrem esoterischen Gipfel der neoklassischen Blütezeit auf das Feld problemorientierter Ansätze zur Bewältigung einzelwirtschaftlicher Entscheidungsprobleme macht eines ganz deutlich: Erst nachdem sich die Versuche zur Bildung von mikroökonomischen Entscheidungsmodellen frei- machen konnten von ihrer Unterordnung unter das allumfassende Ziel der gedanklichen Konstruktion eines makroökonomischen Gleichgewichtszustan- des gelang es, sich den Problemen zuzuwenden, wie sie den mikroökonomi- schen Entscheidungsrahmen direkt betreffen. Ollenburg nennt vor allem das Informations- und Bewertungsproblem und fragt, „welches Informations- axiom notwendig und hinreichend für die logische und materielle Gleich- gewichtstheorie ist" (S. 347). Kade hat sich diese Frage gar nicht erst gestellt, sondern hat umgekehrt nachgewiesen, daß das Informationsaxiom im Kah- men des von ihm axiomatisierten neoklassischen Entscheidungsmodells in- effizient ist. Damit hat er allerdings „das neoklassische System in seiner logisch konsistenten Form auf seinen ihm gemäßen Anwendungsbereich ver- wiesen" (S. 346), wie Ollenburg fordert. Wenn diese Verweisung als Bruch mit der neoklassischen Entscheidungslogik verstanden wurde, so möchte man mehr das Verständnis als die Bestürzung darüber begrüßen. Tatsächlich ist

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der Bruch doch wohl tiefer: Kodes Arbeit legt eine Abkehr vom gesamten Gleichgewichtskonzept der Wirtschaftstheorie nahe. Dabei zielt der Hinweis auf die Gefährlichkeit des Gleichgewichtspostulats weniger auf die Bereit- willigkeit, mit der sich ein derart empirisch leeres Wirtschaftsmodell einer ideologischen Auffüllung leiht. Der Angriff auf dieses Konzept wird vielmehr mit den strengen Mitteln der Methodenkritik vorgetragen. Tatsächlich be- ginnt sich nicht nur in der mikroökonomischen Entscheidungstheorie, son- dern auch auf makroökonomischem Gebiet zu zeigen, daß die normative Kraft des Gleichgewichtskonzepts im Schwinden ist: Neben den ausgedehnten Forschungen um die Formulierung gleichgewichtiger Wachstumsmodelle stehen die ökonometrischen Bemühungen, gesamtwirtschaftliche Zusam- menhänge unbekümmert um etwaige gleichgewichtige Harmonievorstel- lungen quantitativ und funktional zu erfassen. Allerdings wird dabei der Anspruch umfassender Geltung aufgegeben zugunsten einer räumlich-zeit- lichen Relativierung der Ergebnisse, die aber gerade dadurch sich einer Tautologisierung entziehen.

Wie Ollenburg vermutet, wird Kadea Schrift nicht nur das Methoden- bewußtsein bei der theoretischen Arbeit schärfen, sondern kann, wie zu zei- gen versucht wurde, auch als Bezugspunkt für die Weiterentwicklung der mikroökonomischen Entscheidungstheorie gelten.

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