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76 Van Stockum - Cervantes in Deutschland besonders eindrficklich Eichendorff (speziell der Roman Ahnung und Gegenwart, 1815, 274-289) und Jean Paul (namentlich seir~ unvollendeter Roman Der Komet, I82o-I822, 289-3Io). Dass der so fiberaus belesene, gewissenhafte und wohlunterrichtete Verfasser das neueste Werk von Wolfgang Kayser, Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dich- tung (Oldenburg I957) nicht mehr kennen gelernt hat, ist insofern zu bedauern, als dessen Auseinandersetzungen fiber die ,,Nachtwachen", fiber Hoffmann und vor allem fiber Jean Pauls ,,Komet" sich vielfach mit seinen Deutungen berfihren. Groningen. TIt. C.VAN STOCKUM. GOETHE UND DIE WELT DES OKKULTEN Beitr~ige zu diesem wichtigen und interessanten Thema sind seit dem Anfang dieses Jahrhunderts vielfach geliefert worden: ich brauche nut an Agnes Bartscherer (i 912), Eugen Wolff (19z6), R. D. Gray (I 952) und G. H. Hartlaub (I954) zu erinnern. Aber niemals in einem so umfassen- den Sinne und mit so gewissenhafter Begrfindung wie in dem Buch von Christian Lepinte, Goethe et l'occultisme, Paris i957 (Publications de la facult~ des lettres de l'universit~ de Strasbourg, fascicule I34, I86 S.). Man liest das Werk dieses begabten Frfihvollendeten nicht bloss mit staunender Bewunderung, sondern auch mit tiefer Wehmut fiber das allzu frfihe Hinscheiden dieses so vielversprechenden Forschers. Und man weiss nicht, was man mehr bewundern soll: sein erstaunliches Wissen um Goethe und sein Werk, seine genaue Bekanntschaft mit der Goethe-Literatur oder seine Belesenheit auf dem Gebiet des ~ilteren und des ffir Goethe zeitgenfssischen ,,okkulten" Schrifttums (Paracelsus, van Helmont, yon Welling, Gottfried Arnold, die Aurea catena Homeri, Mesmer und Eschenmayer). Dabei unterscheidet er hinsichtlich des VerNiltnisses Goethes zu den okkulten Erscheinungen drei Perioden: die der aufnahmefreudigen ersten Bekanntschaft seit r768, die der vorsichtigen Skepsis etwa seit I773 (und um 1792 kulminierend) und die einer neuen, keineswegs bedingungslosen Glfiubigkeit seit etwa I798. Besonders eindringlich beschreibt er die pie- tistisch-mystisch-alchimistische Leipzig-Frankfurter Krisis der Jahre I768-I769 (S. I2-73), den allm~hlichen Umschlag, der sich in seinem Interesse ffir Cagliostro und in seinem ambivalenten VerMltnis zu Lava- ter manisfestiert und den Durchbruch der Skepsis, die in seinem kuriosen ,,Revolutionsdrama" Der Gross-Cophta" (1792) gipfelt. Was er fiber dieses Schauspiel zu sagen hat (S. 86-Io4), gehSrt zu den allerbesten Partien des Buches. Aber auch seine Darstellung der Periode der neuen Gl~iubigkeit, der Integration des Okkultismus in Goethes Naturphilosophie und Na- turwissenschaft, bietet in ihrer Erhellung der Begriffe ,,UrpMnomen" und ,,Polarit~t", in ihrer Deutung von Goethes ,,Neptunismus" (S. io8-

Goethe und die Welt des Okkulten

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Page 1: Goethe und die Welt des Okkulten

76 Van Stockum - Cervantes in Deutschland

besonders eindrficklich Eichendorff (speziell der Roman Ahnung und Gegenwart, 1815, 274-289) und Jean Paul (namentlich seir~ unvollendeter Roman Der Komet, I82o-I822, 289-3Io). Dass der so fiberaus belesene, gewissenhafte und wohlunterrichtete Verfasser das neueste Werk von Wolfgang Kayser, Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dich- tung (Oldenburg I957) nicht mehr kennen gelernt hat, ist insofern zu bedauern, als dessen Auseinandersetzungen fiber die ,,Nachtwachen", fiber Hoffmann und vor allem fiber Jean Pauls ,,Komet" sich vielfach mit seinen Deutungen berfihren.

Groningen. T I t . C . V A N S T O C K U M .

G O E T H E U N D D I E W E L T DES O K K U L T E N

Beitr~ige zu diesem wichtigen und interessanten Thema sind seit dem Anfang dieses Jahrhunderts vielfach geliefert worden: ich brauche nut an Agnes Bartscherer (i 912), Eugen Wolff (19z6), R. D. Gray (I 952) und G. H. Hartlaub (I954) zu erinnern. Aber niemals in einem so umfassen- den Sinne und mit so gewissenhafter Begrfindung wie in dem Buch von C h r i s t i a n Lep in te , Goethe et l'occultisme, Paris i957 (Publications de la facult~ des lettres de l'universit~ de Strasbourg, fascicule I34, I86 S.). Man liest das Werk dieses begabten Frfihvollendeten nicht bloss mit staunender Bewunderung, sondern auch mit tiefer Wehmut fiber das allzu frfihe Hinscheiden dieses so vielversprechenden Forschers. Und man weiss nicht, was man mehr bewundern soll: sein erstaunliches Wissen um Goethe und sein Werk, seine genaue Bekanntschaft mit der Goethe-Literatur oder seine Belesenheit auf dem Gebiet des ~ilteren und des ffir Goethe zeitgenfssischen ,,okkulten" Schrifttums (Paracelsus, van Helmont, yon Welling, Gottfried Arnold, die Aurea catena Homeri, Mesmer und Eschenmayer).

Dabei unterscheidet er hinsichtlich des VerNiltnisses Goethes zu den okkulten Erscheinungen drei Perioden: die der aufnahmefreudigen ersten Bekanntschaft seit r768, die der vorsichtigen Skepsis etwa seit I773 (und um 1792 kulminierend) und die einer neuen, keineswegs bedingungslosen Glfiubigkeit seit etwa I798. Besonders eindringlich beschreibt er die pie- tistisch-mystisch-alchimistische Leipzig-Frankfurter Krisis der Jahre I768-I769 (S. I2-73), den allm~hlichen Umschlag, der sich in seinem Interesse ffir Cagliostro und in seinem ambivalenten VerMltnis zu Lava- ter manisfestiert und den Durchbruch der Skepsis, die in seinem kuriosen ,,Revolutionsdrama" Der Gross-Cophta" (1792) gipfelt. Was er fiber dieses Schauspiel zu sagen hat (S. 86-Io4), gehSrt zu den allerbesten Partien des Buches. Aber auch seine Darstellung der Periode der neuen Gl~iubigkeit, der Integration des Okkultismus in Goethes Naturphilosophie und Na- turwissenschaft, bietet in ihrer Erhellung der Begriffe , ,UrpMnomen" und ,,Polarit~t", in ihrer Deutung von Goethes ,,Neptunismus" (S. io8-

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II5) und in ihrer tiefsinnigen Analyse der als Medien zu begreifenden Frauengestalten Ottilie und Makarie (und ihrer Vorlfiuferin Mignon) einen sehr wertvollen Beitrag zum Verstfindnis des Lebensgeffihls des filteren Goethe (S. I2O-163).

Eine ausffihrliche Bibliographie (S. I66-I7I), in der ich nur Peuckerts ,,Pansophie" (1936, 21956) vermisse, und ein recht brauchbares Register (S. I72-I78, yon der Hand des Herausgebers, seines Lehrers Prof. Albert Fuchs) beschliessen die wertvolle Schrift. Natfirlich ist auch dieses Buch Menschenwerk und daher nicht fehlerfrei, wenn auch nur recht Weniges zu ~ beanstanden ist. An Druckfehlern sind mir aufgestossen : S. 7, Zeile I yon oben (alind m.s. aliud); S. I36, Z. 5 yon unten (vous m.s. voue); S. I48 Fussnote 3 (J. A. 4, 246 s. m.s. 248 s.); S. 168 (Bibliographie; zu Goethe et l'irrationel, I92 m.s. I926). lDber den Ausbruch von Goethes Jugendkrankheit (S. 19) ist ein chronologischer Zweifel m6glich: ich halte Juni 1768 f/Jr richtiger als Juli. In dem kurzgefassten Lebenslauf des Para- celsus (S. 29, Fussnote 2) ist das angegebene Datum ffir die Basler Pro- fessur (1525) kaum richtig, eher 1527, w~ihrend der Satz , E n I5o6, il alla 4tudier ~ B~le, ou Tritheim fur son maitre" weniger auf den Tatsachen als (was Trithemius betrifft) auf unglaubwfirdiger Tradition beruht.

Auf Seite 80 finder sich ein philologischer Irrtum - es ist meines Wissens der einzige! Das ,,Goethewort" Ich bin kein Christ stammt nicht aus Goethes Brief an Lavater und Pfenninger vom 26. April I774, son- dern ist erschlossen aus einem Brief Lavaters an Goethe vom 30. Novem- ber I773. Erst in Goethes Brief an Lavater vom 29. Juli 1782 kommt eine vergleichbare Formulierung (,,ein dezidirter Nichtkrist") vor.

Groningen. Tt-I. C. VAN STOCKUM.'

B O E K B E S P R E K I N G E N

W. Z i l t e n e r , Chr~tien und die Aeneis; H. B6hlaus Nachf., Graz-K61n, 1957.

Dans cette ~tude de 14o pages M. Z. cherche ~ 4tablir l'influence profonde que l'En~ide a exerc~e sur l'ceuvre de Chr4tien de Troyes. Dans une premiere partie iI passe en revue les diff4rents proc4d4s stylis- tiques dont use Chr4tien, les compare ~ ceux de Virgile, et constate que le porte frangois dolt l'essentiel de sa technique ~ son module latin; dans la seconde partie il soumet ~ un examen d4tail]~ les th~mes et les motifs litt4raires des deux auteurs et en conclut qu'ici encore Chr4tien a con- stamment mis ~ contribution le po~me de Virgile. Les deux parties se soutiennent l 'une !'autre; si pour tel d~tail on pouvait penser ~ une autre source, le fait que tous les proc4d4s, tousles thbmes litt4raires du porte courtois se trouvent r4unis dans le porte latin, et uniquement chez lui, prouve ~ n'en point douter d'apr~s M.Z. que Chr4tien a consciemment