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In Zeitschriften und im Fernsehen wird gerade in letzter Zeit immer wieder berichtet, dass Alko- hol das Herz schütze. Deshalb hoffen viele, dass die Ärzte bald grünes Licht für Wein, Bier und Schnaps geben: Alkohol für die Gesundheit. Eine solche – von der Wissenschaft getragene – Empfehlung ist nicht zu erwarten. Dazu ist die Gefährdung, die vom Alkohol ausgeht, vor allem das Suchtpotential viel zu groß. Vor kurz- em hat Focus gemeldet, die Deutsche Gesell- schaft für Ernährung (DGE) empfehle Alko- hol in kleinen Mengen. Das war eine Falschmeldung. Die DGE hat sofort energisch dementiert. Aber es gibt doch Studien, die belegen, dass Alko- hol vor Herzinfarkt und Angina pectoris schüt- zen kann? Ja, das stimmt. Aber Alkohol kann auch Herz- rhythmusstörungen auslösen, in größeren Men- gen zu Bluthochdruck und zu Herzversagen führen. Das Thema Herz und Alkohol ist kom- plex. Die Forschung dazu ist immer noch sehr im Fluss. Was kann man heute dazu sagen? Schon seit langem gab es Studien, die auf die günstige Wirkung von Alkohol auf die koronare Herzkrankheit hinwiesen. Genaueres weiß man seit der Physicians‘ Health Study (1997). In dieser Studie wurden 22 071 amerikani- sche Ärzte fast elf Jahre lang beobachtet. Die Ärzte, die man für die Studie auswählte, hat- ten weder einen Herzinfarkt noch einen Schlag- anfall erlitten und waren nicht krebskrank. In den elf Jahren stellte sich heraus, dass die Ärzte, die mäßig Alkohol tranken (zwei bis sechs Drinks in der Woche) ein geringeres Risiko hatten, Angina pectoris zu entwickeln und am Herzinfarkt zu sterben, als die, die keinen Alkohol tranken. Zwei bis sechs Drinks sind auf deutsche Ver- hältnisse umgerechnet 1/4 l bis 3/4 l Wein in der Woche oder die doppelte Menge Bier. Das Interessante an dieser Studie war, dass bei diesen geringen Alkoholmengen auch die Gesamtsterblichkeit gegenüber Nichttrinkern gerin- ger war und zwar um mehr als 20%. Aller- dings kippt dieser Einfluss sehr schnell bei höheren Alkoholmengen: In der Gruppe, die am meisten Alkohol trank (mehr und deutlich mehr als zwei Drinks pro Tag), war die Sterb- lichkeit um 51 % höher als bei Nichttrinkern.* Es ist ja allgemein bekannt, dass Alkoholkon- sum ein Risikofaktor für Krebserkrankungen ist. Frauen, die mehr als 30 g Alkohol pro Tag trin- ken, haben ein doppelt so hohes Brustkrebsrisi- ko. Außerdem gilt Alkohol als Risikofaktor für andere Krebsarten, z. B. Mund-, Luftröhren- und Rachenkrebs. Hat die amerikanische Studie das bestätigt? Ja. Allerdings konnte Brustkrebs nicht untersucht werden, da nur Männer in die Studie aufge- nommen waren – wie ja überhaupt die Wirkung von Alkohol auf Frauen wenig erforscht ist. In dieser Studie hatten die Männer, die mehr als zwei Drinks pro Tag tranken, ein doppelt so hohes Risiko an Krebs zu sterben. Nur bei sehr geringen Alkoholmengen (ein Drink pro Woche) ergab sich keine Krebsgefährdung. Die günstige Wirkung auf die Gesamtsterb- lichkeit ist auf die Verringerung von tödlichen Herzinfarkten zurückzuführen. Wie lässt sich diese Wirkung erklären? Dafür gibt es verschiedene Gründe: Alkohol wirkt auf den Fettstoffwechsel vor allem durch den Anstieg des gefäßschützenden HDL-Cholesterins. Alkohol wirkt auf die Fließeigenschaften des Blutes, weil er die Verklumpung der Blut- plättchen hemmt und die Auflösung von Gerinn- seln verstärkt. Außerdem verringert Alkohol die Insulinresti- stenz, d. h. er verbessert die Wirkung des Insu- lins und somit die Kohlehydratverwertung des Körpers. Ist Alkohol gleich Alkohol? Oder ist Wein, vor allem Rotwein, überlegen? Wein, insbesondere Rotwein hat einen Vor- teil. Er enthält Polyphenole, vor allem Fla- vonoide, also Pflanzeninhaltsstoffe, die ein so genanntes antioxidatives Potential haben, das vor arteriosklerotischen Prozessen schützen kann. Der Gehalt an Flavonoiden fällt je nach Rebsorte, Lage und Jahrgang verschieden aus. An der Universität Köln wurde eine interes- sante Studie gemacht: An isolierten Koronar- arterien stellten die Forscher fest, dass ledig- lich en barrique d. h. in Eichenfässern ausgebaute Rotweine – italienischer Barolo, Bordeaux und Châteauneuf-du-Pape aus Frank- reich – die Fähigkeit hatten, die zuvor mit Phenylephrin verengten Adern zu erweitern. 25 24 Grünes Licht für Alkohol? Grünes Licht für Alkohol? Interview mit Privat-Dozent Dr. med. Arno Schöneberger, Königstein i. Ts. *Nach neueren Daten der Physicians‘ Health Study war die Minderung des allgemeinen kardiovaskulären Risikos durch geringen Alko- holgenuss auch für Männer nachweisbar, die einen Herzinfarkt erlitten hatten.

Grünes Licht für Alkohol? - · PDF fileIn Zeitschriften und im Fernsehen wird gerade in letzter Zeit immer wieder berichtet, dass Alko-hol das Herz schütze. Deshalb hoffen viele,

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In Zeitschriften und im Fernsehen wird geradein letzter Zeit immer wieder berichtet, dass Alko-hol das Herz schütze. Deshalb hoffen viele, dass dieÄrzte bald grünes Licht für Wein, Bier und Schnapsgeben: Alkohol für die Gesundheit.

■ Eine solche – von der Wissenschaft getragene– Empfehlung ist nicht zu erwarten. Dazu istdie Gefährdung, die vom Alkohol ausgeht, vorallem das Suchtpotential viel zu groß. Vor kurz-em hat Focus gemeldet, die Deutsche Gesell-schaft für Ernährung (DGE) empfehle Alko-hol in kleinen Mengen. Das war eineFalschmeldung. Die DGE hat sofort energischdementiert.

Aber es gibt doch Studien, die belegen, dass Alko-hol vor Herzinfarkt und Angina pectoris schüt-zen kann?

■ Ja, das stimmt. Aber Alkohol kann auch Herz-rhythmusstörungen auslösen, in größeren Men-gen zu Bluthochdruck und zu Herzversagenführen. Das Thema Herz und Alkohol ist kom-plex. Die Forschung dazu ist immer noch sehrim Fluss.

Was kann man heute dazu sagen?

■ Schon seit langem gab es Studien, die auf diegünstige Wirkung von Alkohol auf die koronareHerzkrankheit hinwiesen. Genaueres weißman seit der Physicians‘ Health Study (1997).In dieser Studie wurden 22 071 amerikani-sche Ärzte fast elf Jahre lang beobachtet. Die Ärzte, die man für die Studie auswählte, hat-ten weder einen Herzinfarkt noch einen Schlag-anfall erlitten und waren nicht krebskrank. In den elf Jahren stellte sich heraus, dass die

Ärzte, die mäßig Alkohol tranken (zwei bissechs Drinks in der Woche) ein geringeresRisiko hatten, Angina pectoris zu entwickelnund am Herzinfarkt zu sterben, als die, diekeinen Alkohol tranken.Zwei bis sechs Drinks sind auf deutsche Ver-hältnisse umgerechnet 1/4 l bis 3/4 l Wein inder Woche oder die doppelte Menge Bier.Das Interessante an dieser Studie war, dassbei diesen geringen Alkoholmengen auch dieGesamtsterblichkeit gegenüber Nichttrinkern gerin-ger war und zwar um mehr als 20%. Aller-dings kippt dieser Einfluss sehr schnell beihöheren Alkoholmengen: In der Gruppe, dieam meisten Alkohol trank (mehr und deutlich

mehr als zwei Drinks pro Tag), war die Sterb-lichkeit um 51% höher als bei Nichttrinkern.*

Es ist ja allgemein bekannt, dass Alkoholkon-sum ein Risikofaktor für Krebserkrankungen ist.Frauen, die mehr als 30 g Alkohol pro Tag trin-ken, haben ein doppelt so hohes Brustkrebsrisi-ko. Außerdem gilt Alkohol als Risikofaktor fürandere Krebsarten, z. B. Mund-, Luftröhren-und Rachenkrebs. Hat die amerikanische Studiedas bestätigt?

■ Ja. Allerdings konnte Brustkrebs nicht untersuchtwerden, da nur Männer in die Studie aufge-nommen waren – wie ja überhaupt die Wirkungvon Alkohol auf Frauen wenig erforscht ist.In dieser Studie hatten die Männer, die mehr

als zwei Drinks pro Tag tranken, ein doppeltso hohes Risiko an Krebs zu sterben. Nur beisehr geringen Alkoholmengen (ein Drink proWoche) ergab sich keine Krebsgefährdung.Die günstige Wirkung auf die Gesamtsterb-lichkeit ist auf die Verringerung von tödlichenHerzinfarkten zurückzuführen.

Wie lässt sich diese Wirkung erklären?

■ Dafür gibt es verschiedene Gründe:Alkohol wirkt auf den Fettstoffwechsel vorallem durch den Anstieg des gefäßschützendenHDL-Cholesterins.Alkohol wirkt auf die Fließeigenschaften desBlutes, weil er die Verklumpung der Blut-plättchen hemmt und die Auflösung von Gerinn-seln verstärkt.Außerdem verringert Alkohol die Insulinresti-stenz, d.h. er verbessert die Wirkung des Insu-lins und somit die Kohlehydratverwertung desKörpers.

Ist Alkohol gleich Alkohol? Oder ist Wein, vor allemRotwein, überlegen?

■ Wein, insbesondere Rotwein hat einen Vor-teil. Er enthält Polyphenole, vor allem Fla-vonoide, also Pflanzeninhaltsstoffe, die ein sogenanntes antioxidatives Potential haben, dasvor arteriosklerotischen Prozessen schützenkann. Der Gehalt an Flavonoiden fällt je nachRebsorte, Lage und Jahrgang verschieden aus.An der Universität Köln wurde eine interes-sante Studie gemacht: An isolierten Koronar-arterien stellten die Forscher fest, dass ledig-lich en barrique d. h. in Eichenfässernausgebaute Rotweine – italienischer Barolo,Bordeaux und Châteauneuf-du-Pape aus Frank-reich – die Fähigkeit hatten, die zuvor mitPhenylephrin verengten Adern zu erweitern.

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G r ü n e s L i c h t f ü r A l k o h o l ?

Grünes Licht für Alkohol?Interview mit Privat-Dozent Dr. med. Arno Schöneberger, Königstein i. Ts.

*Nach neueren Daten der Physicians‘ Health Study war die Minderung des allgemeinen kardiovaskulären Risikos durch geringen Alko-holgenuss auch für Männer nachweisbar, die einen Herzinfarkt erlitten hatten.

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Trotz dieser und anderer Studien gibtes keine verlässlichen Daten darüber,ob Rotwein besonders wirkungsvollist. Heute geht man davon aus – unddas gilt auch für die amerikanischeÄrztestudie – dass es der Alkohol ist,der den Schutz vor dem Herzin-farkt bewirkt.

Dann wäre damit die Frage,ob Traubensaft eine ähnlicheWirkung hat, schon erle-digt?

■ Traubensaft enthält vie-le Flavonoide. In USAhat man in einer tier-experimentellen Unter-suchung herausgefunden, dass der rote Saft –ähnlich wie der rote Wein – eine gerinnungs-hemmende Wirkung hat. Jetzt hat eine schwe-dische Studie berichtet, dass entalkoholisier-ter Wein die Endothelfunktion, d. h. dieReaktionsfähigkeit der Gefäßwände, sogar bes-ser beeinflusst als Rotwein. Aber diese Studi-en sind Einzelerscheinungen. Allgemeine Schlus-sfolgerungen lassen sich daraus noch nichtziehen. Zu vieles ist noch offen.

Dann also zurück zum Alkohol. Was raten Sieangesichts der Forschungslage?

■ Noch einmal: Eine allgemeine Empfehlung,Alkohol zu trinken, kann es nicht geben. Den-ken Sie an die drei Millionen, die allein inDeutschland alkoholsüchtig sind. In USA istAlkohol die drittgrößte Todesursache. Wereinem Patienten rät, mit dem Alkoholtrinken anzu-fangen, der zieht ihn vielleicht in die Suchthinein. Die Beratung wird eher in die umgekehrteRichtung gehen. Wer ohnehin Alkohol trinkt,sollte wissen, dass es Grenzen gibt, die man nichtüberschreiten sollte, wenn man seine Gesund-heit nicht ernstlich gefährden will.

Wo liegen diese Grenzen?

■ Sie sind niedrig. Die American Heart Associa-tion (AHA), die weltweit in solchen Frageneine hohe Autorität hat, schlägt als obere Gren-

ze für Männer zwei Drinks amTag vor, das entspricht rund 1/4 l

Wein oder der doppelten Menge Bier.Für Frauen ist wegen des Brustkrebs-risikos und der empfindlicheren Leberdie Grenze auf 1/8 l Wein pro Tagoder 1/4 l Bier gesetzt.

Bei diesen geringen Mengen könnte man-cher auf die Idee kommen, sich einen schö-

nen Abend zu machen und die gesamteWochenration auf einmal zu trinken.

■ Das wäre ungut. Die negativen Effekte, wennman relativ viel Alkohol auf einen Schlag trinkt,sind nachgewiesen in einer WHO-Studie inNew South Wales Australien (1997). Die ange-gebenen Alkoholmengen sollten auf die Wocheverteilt getrunken werden – und am bestenzum Essen. Mindestens einmal in der Woche soll-te man keinen Alkohol trinken.Übrigens: Angaben von Alkohol in Gläsern,wie man sie oft sieht, sind trügerisch. Es gibtgroße und kleine Bier- und Weingläser nicht nurin verschiedenen Ländern, sondern auch inner-halb der Bundesrepublik.

Angesichts der widersprüchlichen Eigenschaften vonAlkohol sind findige Köpfe auf die Idee gekom-men, ein alkoholfreies Rotweinkonzentrat zu ent-wickeln. Was halten Sie davon?

■ Auch hier gibt es keine verlässlichen Daten,die nachweisen könnten, dass dieses Kon-zentrat vor dem Herzinfarkt schützen kann.Außerdem: Ihre Frage ist typisch für die all-gemeine Suche nach einem Wundermittel.Dabei wissen wir doch alle, was im Kampfgegen den Herzinfarkt wichtig ist: die Änderungdes Lebensstils.

Interview: Irene Oswalt

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