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11 wurde Ende der 1990er-Jahre durch das Jugendhilfeverbundsystem Eylarduswerk in Niedersachsen aufgegriffen und weiterentwickelt. 18 Eine besondere Form der Lebensbücher wurde durch das „Ten Million Hero Book Projekt“ bekannt, das inspiriert wurde durch die „National Community of Women Living with HIV/AIDS in Uganda“. Neben der Erstellung von Memorybooks aidskranker Mütter für ihre Kinder wird dort auch die Gestaltung von „Hero Books“ durch die Kinder selbst angeregt, in denen sie sich mit schwierigen Abschnitten ihres Lebens auseinandersetzen. 19 Wir lehnen uns in unserer Arbeit an das Modell von Birgit Lattschar und Irmela Wiemann an. Ihr Konzept, aus dem wir grundlegende Richtlinien und Bestandteile übernommen haben, war der Ausgangspunkt für die Entwicklung unseres Ansatzes für den Schulunterricht. Zugleich verfolgt Biografiearbeit in der Jugend- hilfe und in der Schule unterschiedliche Ziele, weshalb umfassende Änderungen notwendig waren. Grundlagen ressourcenorientierter Biografiearbeit Bevor wir unsere Vorgehensweise in den konkreten Projekten näher erläutern, möchten wir die wichtigsten Grundlagen unserer Arbeit vorstellen und Hintergrundinformationen zu den methodischen Schritten erläutern. In den letzten Jahrzehnten hat sich in den Sozial- und Gesundheitswissenschaften die Erkenntnis verbrei- tet, dass die ausschließliche Erforschung von Defekten und Krankheiten eine einseitige Sichtweise auf den Menschen beinhaltet. Es entstanden Konzepte, die nicht mehr Defizite, sondern Ressourcen und Wachs- tumspotenziale des Menschen in den Mittelpunkt stellen. Dazu gehören insbesondere die Resilienzfor- schung 20 , die Salutogenese 21 , das Modell der Selbstwirksamkeit 22 und die ressourcenorientierte bzw. Positive Psychologie. 23 Die Ressourcenorientierung, die in allen genannten Ansätzen ein zentrales Merkmal darstellt, ist prägend für neuere Ansätze der Biografiearbeit 24 und bildet deshalb die Grundlage für unsere Lebensbuch- projekte. Besondere Bedeutung für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen haben hierbei die Resilienz- forschung und das Modell der Salutogenese. Wir betrachten beide in unserer Tätigkeit nicht nur als erhellende Theorien, sondern gleichzeitig auch als Lernfeld. Ressourcenorientierung ist unserer Auffas- sung nach eine Sichtweise, die sich nicht durch einmalige Wissensaufnahme aneignen lässt, sondern nur in einem längeren Erfahrungsprozess eingeübt und umgesetzt werden kann. Resilienz Der Begriff Resilienz stammt von dem lateinischen Wort „resilire“, was so viel wie „zurückspringen“ bedeutet. Ursprünglich war damit die physikalische Materialeigenschaft gemeint, nach der Ausübung von Druck oder Deformierung in den vorherigen Zustand zurück- zukehren. Auf den Menschen übertragen sieht man darin die Fähigkeit, erfolgreich mit belastenden Ereignissen und Lebensumständen umzugehen. Resiliente Menschen zeichnen sich durch psychische Widerstandsfähigkeit und Elastizität aus. Sie sind in der Lage, auf ihre inneren Res- sourcen zurückzugreifen, um Krisen zu bewältigen und nicht daran zu zerbrechen. 25 Damit dies möglich ist, müssen eine Reihe schützender Faktoren vorhanden sein, die bewirken, dass die Reaktion auf die zu bewältigende Situation erfolg- reich verläuft. Schutzfaktoren haben eine ausgleichende Funktion gegenüber Risikofaktoren. 18 ter Horst/Mohr 2006; 2009 19 vgl. Morgan 2004; 2005 20 Welter-Enderlin/Hildenbrand 2010; Opp/Fingerle 2008; Wustmann 2009 21 Antonovsky 1997; Bengel et al. 1998; Lorenz 2004 22 Bandura 2008 23 Snyder/Lopez 2009; Auhagen 2004; Klemenz 2009 24 vgl. Hölzle/Jansen 2009 25 vgl. Welter-Enderlin 2010; Zander 2010; Wustmann 2009 Gedicht einer Projektteilnehmerin zum Thema Freundschaft

Grundlagen ressourcenorientierter Biografiearbeit · Umschlagbilder: Memory Biografie- und Schreibwerkstatt e.V. Umschlagbild hinten: Die Collage wurde von SchülerInnen der Hedwig-Dohm-Realschule

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wurde Ende der 1990er-Jahre durch das Jugendhilfeverbundsystem Eylarduswerk in Niedersachsenaufgegriffen und weiterentwickelt.18

Eine besondere Form der Lebensbücher wurde durch das „Ten Million Hero Book Projekt“ bekannt, dasinspiriert wurde durch die „National Community of Women Living with HIV/AIDS in Uganda“. Neben derErstellung von Memorybooks aidskranker Mütter für ihre Kinder wird dort auch die Gestaltung von „HeroBooks“ durch die Kinder selbst angeregt, in denen sie sich mit schwierigen Abschnitten ihres Lebensauseinandersetzen.19

Wir lehnen uns in unserer Arbeit an das Modell von Birgit Lattschar und Irmela Wiemann an. Ihr Konzept,aus dem wir grundlegende Richtlinien und Bestandteile übernommen haben, war der Ausgangspunkt fürdie Entwicklung unseres Ansatzes für den Schulunterricht. Zugleich verfolgt Biografiearbeit in der Jugend-hilfe und in der Schule unterschiedliche Ziele, weshalb umfassende Änderungen notwendig waren.

Grundlagen ressourcenorientierterBiografiearbeit

Bevor wir unsere Vorgehensweise in den konkreten Projekten näher erläutern, möchten wir die wichtigstenGrundlagen unserer Arbeit vorstellen und Hintergrundinformationen zu den methodischen Schrittenerläutern.

In den letzten Jahrzehnten hat sich in den Sozial- und Gesundheitswissenschaften die Erkenntnis verbrei-tet, dass die ausschließliche Erforschung von Defekten und Krankheiten eine einseitige Sichtweise auf denMenschen beinhaltet. Es entstanden Konzepte, die nicht mehr Defizite, sondern Ressourcen und Wachs-tumspotenziale des Menschen in den Mittelpunkt stellen. Dazu gehören insbesondere die Resilienzfor-schung20, die Salutogenese21, das Modell der Selbstwirksamkeit22 und die ressourcenorientiertebzw. Positive Psychologie.23

Die Ressourcenorientierung, die in allen genannten Ansätzen ein zentrales Merkmal darstellt, istprägend für neuere Ansätze der Biografiearbeit24 und bildet deshalb die Grundlage für unsere Lebensbuch-projekte. Besondere Bedeutung für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen haben hierbei die Resilienz-forschung und das Modell der Salutogenese. Wir betrachten beide in unserer Tätigkeit nicht nur alserhellende Theorien, sondern gleichzeitig auch als Lernfeld. Ressourcenorientierung ist unserer Auffas-sung nach eine Sichtweise, die sich nicht durch einmalige Wissensaufnahme aneignen lässt, sondern nurin einem längeren Erfahrungsprozess eingeübt und umgesetzt werden kann.

Resilienz

Der Begriff Resilienz stammt von dem lateinischen Wort „resilire“, was so viel wie „zurückspringen“bedeutet. Ursprünglich war damit die physikalische Materialeigenschaft gemeint, nach der Ausübung vonDruck oder Deformierung in den vorherigen Zustand zurück-zukehren. Auf den Menschen übertragen sieht man darindie Fähigkeit, erfolgreich mit belastenden Ereignissenund Lebensumständen umzugehen. Resiliente Menschenzeichnen sich durch psychische Widerstandsfähigkeit undElastizität aus. Sie sind in der Lage, auf ihre inneren Res-sourcen zurückzugreifen, um Krisen zu bewältigen und nichtdaran zu zerbrechen.25 Damit dies möglich ist, müssen eineReihe schützender Faktoren vorhanden sein, die bewirken,dass die Reaktion auf die zu bewältigende Situation erfolg-reich verläuft. Schutzfaktoren haben eine ausgleichendeFunktion gegenüber Risikofaktoren.

18 ter Horst/Mohr 2006; 200919 vgl. Morgan 2004; 200520 Welter-Enderlin/Hildenbrand 2010; Opp/Fingerle 2008; Wustmann 200921 Antonovsky 1997; Bengel et al. 1998; Lorenz 200422 Bandura 200823 Snyder/Lopez 2009; Auhagen 2004; Klemenz 200924 vgl. Hölzle/Jansen 200925 vgl. Welter-Enderlin 2010; Zander 2010; Wustmann 2009

Gedicht einer Projektteilnehmerinzum Thema Freundschaft

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„Resilienz ist dann die Konsequenz solch abschwächender Prozesse, die Risiken und Belastungen zwarnicht beseitigen, es dem Individuum aber ermöglichen, wirkungsvoll damit umzugehen.“26

Werden genügend Schutzfaktoren wirksam, können sie den schädigenden Einfluss von Risikofaktorennicht nur ausgleichen, sondern bergen auf lange Sicht sogar die Chance zur Stärkung der Persönlichkeitund Kompetenzentwicklung.

Emmy Werner und Ruth Smith führten von 1955 bis 1995 eine Langzeitstudie auf der Insel Kauaidurch, die heute als Grundstein der Resilienzforschung betrachtet wird. Ihre empirische Studie befasst sicherstmals systematisch mit dem Einfluss von Schutz- und Risikofaktoren auf individuelle Lebensläufe undbelegt, wie das Resilienzprinzip dabei wirksam wird:27 30% der untersuchten Personen, die alle 1955 aufder hawaiischen Insel Kauai geboren wurden, waren in ihren frühen Lebensjahren als „Risikokinder“eingestuft worden. Die Studie zeigt, dass es etwa einem Drittel dieser Menschen trotz widriger Lebensum-stände in ihrer frühen Kindheit gelungen ist, sich im späteren Leben zu glücklichen, fürsorglichen underfolgreichen Menschen zu entwickeln. So zeigten ProbandInnen, die in ihrer Jugendzeit aufgrund ihresVerhaltens zahlreichen negativen Stereotypen entsprachen, in späteren Lebensphasen wesentlich posi-tivere Eigenschaften. „Ihre schulischen und beruflichen Leistungen waren den Leistungen jener Individuenvergleichbar oder sogar überlegen, die in einem ökonomisch sichereren und stabileren häuslichen Umfeldaufgewachsen sind.“28

Diese und andere Studien29 kamen zu dem Ergebnis, dass sich entwicklungsschützende Faktoren indrei Bereichen finden lassen:

beim Kind selbst/ personale Schutzfaktorenbei der Familie undim näheren Umfeld.30

Personale Schutzfaktoren:

Temperamentseigenschaften, die bei Sorge- und Erziehungspersonen positive Reaktionen auslösen.

Selbstvertrauen, ein positives Selbstwertgefühl sowie die Überzeugung, das eigene Schicksalund die Lebenswelt durch eigene Handlungen positiv beeinflussen zu können.Autonomie und Leistungsfähigkeit.hohe Sozialkompetenz, z.B. Kommunikationsfähigkeit, Geselligkeit und das Übernehmen vonVerantwortung.Problemlösefähigkeiten und Bewältigungsstrategien, z.B. die Fähigkeit, Hilfe zu erbitten und

soziale Unterstützung zu mobilisieren.eine optimistische, zuversichtliche Lebenseinstellung.androgynes bzw. nicht stereotypes Rollenverhalten bei Jungen und Mädchen.

.Schützende Faktoren in der Familie:

eine stabile emotionale Beziehung zu mindestens einem Elternteil oder einer anderen Bezugsperson (wie Großeltern, ältere Geschwister u.a.)

ein emotional positives, unterstützendes und Struktur gebendes Erziehungsklima, das zugleich die Autonomie des Kindes fördert.

Erfahrung von Sinn und Bedeutung in der eigenen Entwicklung, z.B. durch Religiosität in derFamilie.

Schützende Faktoren in der Umwelt:

verlässliche Verwandte, Freunde, Nachbarn, ältere Menschen, die in Krisenzeiten zur Seitestehen.Verbindung zu Freunden in stabilen Familien und zu deren Eltern.positive Rollenmodelle in der Schule/im Freizeitbereich.positive Erfahrungen in der Schule.

26 Werner 2010, S. 2927 Werner 1989, 1992, 200128 Werner 2010, S. 3129 vgl. Lösel/Bender 2008; Werner 2008a, 2008b30 Werner 2008a

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Beim letzten Punkt spielt besonders eine gelungene Bezie-hung zwischen LehrerInnen und SchülerInnen eine wich-tige Rolle.

„Ein Lieblingslehrer ist häufig ein positives Rollenmodell fürdiese Kinder. Alle resilienten Kinder in der Kauai-Längs-schnittstudie konnten auf mehrere Lehrer in der Grundschuleoder höheren Schule hinweisen, die sich für sie interessier-ten und sie herausforderten. Diese Kinder gehen gern zurSchule und machen sie in vielen Fällen zu einer zweitenHeimat. (…) Drei Arten von Schulaktivitäten scheinen beson-ders bedeutungsvoll für ‚Risiko’-Kinder zu sein:

1. Aktivitäten, die ihnen helfen, wichtige Erziehungs- oderBerufsziele zu erreichen;

2. Aktivitäten, die das kindliche Selbstgefühl stärken und

3. Aktivitäten, die anderen Menschen in Not helfen.“31

Die bestärkenden Eigenschaften der widerstandsfähigenKinder und die Unterstützung, die sie durch ihre Familie undihr Umfeld erfahren, bedingen und fördern sich dabeigegenseitig.32 Die Resilienzforschung geht davon aus, dasseine Vernetzung der verschiedenen Unterstützungsfak-toren wichtig ist und Hilfsangebote von den Betroffenen am besten angenommen werden, wenn sie Teilihrer alltäglichen Lebenswelt sind.33

Ressourcenorientierung im Sinne der Resilienz legt nahe, stärkende Faktoren wie positive Eigen-schaften und optimistische Einstellungen zu fördern. Dennoch soll dies nicht als oberflächlicheAusrichtung auf das Positive missverstanden werden. Vielmehr geht es darum, den Blick auf möglicheRessourcen zu richten angesichts der Tatsache, dass Menschen verletzbar sind und schwierige Situati-onen einen normalen Bestandteil des menschlichen Lebens ausmachen.34

Salutogenese

Eine weitere Grundlage der ressourcenorientierten Biografiearbeit stellt das von Aaron Antonovsky inden 1970er-Jahren entwickelte Konzept der Salutogenese dar, deren Kern das Kohärenzgefühl bildet.35

Bei seiner Studie über die Verarbeitung der Menopause bei Frauen in Israel befanden sich auch Teilneh-merinnen, die die Gefangenschaft in nationalsozialistischen Konzentrationslagern überlebt hatten. Anto-novsky stellte fest, dass 29% der Überlebenden (gegenüber 51% in der Kontrollgruppe) trotz ihrertraumatischen Erlebnisse über eine gute psychische und physische Gesundheit verfügten. Dies veranlass-te ihn, der Frage nachzugehen, was Menschen gesund erhält. Anstatt sie entweder als krank odergesund zu klassifizieren, geht Antonovsky von einem Kontinuum aus, das zwischen den Polen absoluterGesundheit und absoluter Krankheit existiert: Jeder Mensch befindet sich zu einem gegebenen Zeitpunktseines Lebens an einer bestimmten Stelle auf diesem Kontinuum. Es geht nun darum, herauszufinden,welche Faktoren beteiligt sind, damit man seine Position auf dem Kontinuum zumindest beibehalten odersich auf den gesunden Pol hin bewegen kann.36 Dabei ist es unmöglich, über einen längeren Zeitraumabsolut krank zu sein. Jeder ist in einem gewissen Ausmaß gesund, solange noch ein Minimum Leben inihm vorhanden ist.37

Antonovsky zufolge befindet sich der Mensch vom Beginn seiner Existenz bis zu seinem Tod mitten ineinem Fluss, dessen Stromschnellen und Gefahren es zu bewältigen gilt38. Dabei stehen ihm eine Reihevon Widerstandsressourcen zur Verfügung. Toni Faltermaier entwirft ein auf Antonovsky aufbauendes

31 Werner 2008a, S. 2532 ebd., S.2633 Werner 201034 vgl. Welter-Enderlin 2010, S. 1535 Antonovsky 199736 Antonovsky 1997, S. 3037 ebd., S. 2338 Antonovsky 1993, S. 6

Ressourcenorientierte Biografiearbeit fördert posi-tive Eigenschaften und optimistische Einstellungen

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Konzept von „Gesundheitsressourcen“, zu denen personal-psychische, sozial-interpersonale, körperlich-konstitutionelle, sozio-kulturelle und nicht zuletzt materielle Ressourcen zählen39. Er betont, dass geradein individuell geprägten Lebensläufen und biografischen Erfahrungen die Chance für den Aufbau eigenerGesundheitsressourcen liegt.40

Den Kern des salutogenetischen Modells bildet der „Sense of Coherence“, der sich im Deutschen amehesten mit dem Begriff „Kohärenzgefühl“ übersetzen lässt.41 Antonovsky erkannte, dass die Wider-standsressourcen, über die ein Mensch verfügt, im Zusammenhang mit der Fähigkeit stehen, sich selbstund das Leben als sinn- und bedeutungsvoll zu erfahren.

Er schreibt dem Kohärenzgefühl drei Komponenten zu:

Verstehbarkeit – Sense of ComprehensibilityHandhabbarkeit – Sense of ManageabilitySinnhaftigkeit – Sense of Meaningfulness

„Mit dem Kohärenzgefühl ist die tiefe Überzeugung eines Men-schen gemeint, dass das Leben trotz vieler Belastungen, Ri-siken und Unwägbarkeiten doch im Prinzip zu verstehen ist,überwiegend Sinn macht und die auf ihn zukommenden Pro-bleme zu bewältigen sind.“42

Menschen mit einem starken Kohärenzgefühl bleiben von Katastrophen nicht verschont, besitzen jedochdie Fähigkeit, sich diese zu erklären und ihnen eine persönliche Bedeutung zu verleihen. Dieses hohe Maßan Verstehbarkeit ist u.a. durch eine strukturierte Wahrnehmung von Informationen gekennzeichnet. DieHandhabbarkeit verweist darauf, inwieweit ein Mensch Kontrolle über seine Ressourcen hat und dieAnforderungen somit als kontrollierbar wahrnimmt.

„Wer ein hohes Maß an Handhabbarkeit erlebt, wird sich nichtdurch Ereignisse in die Opferrolle gedrängt oder vom Lebenungerecht behandelt fühlen“.43

Während die ersten beiden Komponenten vor allem kognitiveAspekte betreffen, repräsentiert die Sinnhaftigkeit motivatio-nale und emotionale Elemente des Kohärenzgefühls. Antonovs-ky zufolge kommt dieser Komponente die größte Wichtigkeitzu.44 In der Wahl der Begriffsbezeichnung sah er sich wesent-lich durch Viktor Frankls Werk beeinflusst.45 Frankl vertrat dieÜberzeugung, dass es Menschen auch unter widrigsten Leben-sumständen gelingen muss und kann, einen Sinn in ihrem zuDasein zu finden, um sich nicht aufzugeben.46 Im Laufe seinerForschungsarbeit stellte Antonovsky fest, dass Menschen mitstarkem Kohärenzgefühl immer Lebensbereiche nennen, dieihnen „am Herzen“ liegen und für die es sich lohnt, „emotionalin sie zu investieren und sich zu engagieren“.

Zwischen den drei beschriebenen Komponenten des Kohärenz-gefühls – Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit –existiert ein dynamischer, wechselseitiger Zusammenhang: Jeausgeprägter jedoch der Faktor Sinnhaftigkeit ist, umso höherist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person sich in Richtungdes Gesundheitspols entwickelt.47

39 Faltermaier 2005, S. 158-16340 ebd., S. 16341 Antonovsky 1997, S. 1242 Faltermaier 2005, S. 16443 Antonovsky 1997, S. 3544 ebd., S. 3845 ebd., S. 3546 Frankl war Psychologe und hat das Konzentrationslager überlebt. Er ging davon aus, dass psychische Krankheiten auch ausmangelnder Sinnhaftigkeit resultieren. Er gilt als Begründer der Logotherapie, auch Dritte Wiener Richtung der Psychotherapie ge-nannt (vgl. Frankl 2009).47 Antonovsky 1997, S. 36-38

Selbstporträt einer Schülerin

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ImpressumTitel: Projekt Lebensbuch – Biografiearbeit mit Jugendlichen

Herausgeber:Memory Biografie- und Schreibwerkstatt e.V.Wiclefstraße 4510551 BerlinAnsprechpartnerin: Isabel MorgensternE-Mail: info@memory-schreibwerkstatt.dewww.memory-schreibwerkstatt.deTelefon: 03212/ 103 29 17 (AB)

Autorin: Isabel Morgenstern

Layout: Isabel Morgenstern, Gerlinde Poppe

Bildnachweise:Umschlagbilder: Memory Biografie- und Schreibwerkstatt e.V.Umschlagbild hinten: Die Collage wurde von SchülerInnen der Hedwig-Dohm-Realschule Berlin erstellt.Die Bilder und Fotos im Buch werden mit ausdrücklicher Genehmigung der ProjektteilnehmerInnen abgedruckt. Weitere Bildnachweise: Foto „Buch“ Seiten 7, 9, 22, 33, 36, 70: © Schmotz Fotodesign / pixelio; Stiftebehälter Seite 17: andreas stix/ pixelio.de; Zeitschriftenstapel Seite 24: © 2010 stormpic / aboutpixel.de

Druck: Fa. Laserline, Berlin

Berlin, 2011

Über Ihre Spenden freuen wir uns sehr!

Spendenkonto:Memory Biografie- und Schreibwerkstatt e.V.Commerzbank BerlinBLZ 100 400 00Konto-Nr. 173081100Der Verein ist als gemeinnützig anerkannt.

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Gefördert im Rahmen des Bundesprogramms „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“.