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Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2015 Grundzüge der Rechtsphilosophie und der Juristischen Methoden- und Argumentationslehre § 3 Begriff der Juristischen Methoden- und Argumentationslehre I. Begriffsbestimmungen in der Lehrbuchliteratur 1. Klaus Adomeit, Rechtstheorie für Studenten 2. Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts 3. Arthur Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung 4. Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft 5. Friedrich Müller, Juristische Methodik 6. Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung 7. Hans-Martin Pawlowski, Einführung in die juristische Methodenlehre 8. Bernd Rüthers/Christian Fischer, Rechtstheorie 9. Jan Schapp, Hauptprobleme der juristischen Methodenlehre 10. Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre II. Verhältnis der Juristischen Methodenlehre zur Rechtsphilosophie 1. Zur Erinnerung: Einheit der Jurisprudenz (§ 2) 2. Wesensmerkmale der Juristischen Methodenlehre a) Herkunft und Bedeutung des Wortes „Methode“ b) „Vorgehensweise“ und Orientierung an einem Leitstern c) „Hermeneutische Spirale“ zwischen Auslegung und Anwendung eines Gesetzes 3. Verbindung mit der Juristischen Argumentationslehre a) Der Streit als Grundphänomen des Rechts b) Nochmals: Der Begriff des Rechts und das Rechtsverhältnis c) Dialogischer Charakter des materiellen Rechts d) Dialogischer Charakter des formellen Rechts III. Jurisprudenz als Kunst 1. Begriff der Kunst a) „Techne“ in der hippokratischen Medizin b) „Ars“ in der römischen Jurisprudenz c) Entscheidungsfähigkeit heutiger Juristen 2. Verhältnis zur Methode a) Verweisungszusammenhang zwischen Kunst und Methode b) Verweisungszusammenhang zwischen Logik und Dialogik c) Vermittlung durch Urteilskraft und Witz

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Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2015

Grundzüge der Rechtsphilosophie und der Juristischen Methoden- und Argumentationslehre

§ 3 Begriff der Juristischen Methoden- und Argumentationslehre

I. Begriffsbestimmungen in der Lehrbuchliteratur

1. Klaus Adomeit, Rechtstheorie für Studenten 2. Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts 3. Arthur Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung 4. Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft 5. Friedrich Müller, Juristische Methodik 6. Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung 7. Hans-Martin Pawlowski, Einführung in die juristische Methodenlehre 8. Bernd Rüthers/Christian Fischer, Rechtstheorie 9. Jan Schapp, Hauptprobleme der juristischen Methodenlehre 10. Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre

II. Verhältnis der Juristischen Methodenlehre zur Rechtsphilosophie

1. Zur Erinnerung: Einheit der Jurisprudenz (§ 2) 2. Wesensmerkmale der Juristischen Methodenlehre

a) Herkunft und Bedeutung des Wortes „Methode“ b) „Vorgehensweise“ und Orientierung an einem Leitstern c) „Hermeneutische Spirale“ zwischen Auslegung und Anwendung eines

Gesetzes

3. Verbindung mit der Juristischen Argumentationslehre a) Der Streit als Grundphänomen des Rechts b) Nochmals: Der Begriff des Rechts und das Rechtsverhältnis c) Dialogischer Charakter des materiellen Rechts d) Dialogischer Charakter des formellen Rechts

III. Jurisprudenz als Kunst

1. Begriff der Kunst a) „Techne“ in der hippokratischen Medizin b) „Ars“ in der römischen Jurisprudenz c) Entscheidungsfähigkeit heutiger Juristen

2. Verhältnis zur Methode

a) Verweisungszusammenhang zwischen Kunst und Methode b) Verweisungszusammenhang zwischen Logik und Dialogik c) Vermittlung durch Urteilskraft und Witz

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Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2015

Grundzüge der Rechtsphilosophie und der Juristischen Methoden- und Argumentationslehre

Texte zu § 3

Zu den Begriffsbestimmungen in der Lehrbuchliteratur

Adomeit, Rechtstheorie, S. 61: „Die juristische Methode erstrebt die Lösung von Rechtsfragen. Dies geschieht in einem vorwiegend von Gesetzen beherrschten Rechtssystem durch Anwendung von Gesetzen. Die Anwendbarkeit oder Unanwend-barkeit eines konkreten Gesetzes klärt sich in Zweifelsfragen durch Auslegung (= In-terpretation). Daher ist die Lehre von der juristischen Methode in ihrem Kernstück eine Auslegungslehre“. Fikentscher, Methoden, Bd. IV, S. 201: „Die Bildung der Fallnorm beruht [. . .] auf ei-ner Unterbrechung (Sistierung) des hermeneutischen Zirkels an einer bestimmten Stelle des Erkenntnisgangs zwischen Norm und Sachverhalt. Besteht die Aufgabe darin, aus einer Gesetzesnorm die Fallnorm herauszupräparieren, dann ist der ‚Zir-kel‘ desto kürzer, je präziser das Gesetz ist. Je weiter die gesetzliche Norm gefaßt ist, desto mehr ‚Windungen‘ weist die – sich zum Punkt (dem ‚Umkehrpunkt‘) veren-gende – ‚hermeneutische Spirale‘ auf“. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 1: „Nach dem herkömmlichen Methodenverständ-nis, das im Positivismus des 19. Jahrhunderts seine Wurzeln hat, erschöpft sich die Rechtsanwendung in der Subsumtion des Falles unter die Gesetzesnorm. Die Sub-sumtion ist der einfachste und sicherste Syllogismus, nämlich eine Deduktion. Die hinter diesem Modell stehende Ideologie ist das Bestreben, die Rechtswissenschaft als eine echte Wissenschaft zu begründen“. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 51: „Das Postulat, der Richter solle richtig subsumieren, ist zwar zu billigen, aber es ist völlig nichtssagend. Wenn Rechtsan-wendung sich in Subsumtion erschöpfen soll, so muß sich die Forderung an den Ge-setz- und Verfassungsgeber richten: an ihm ist es, für jeden nur denkbaren Rechtsfall den treffenden Obersatz eindeutig und unmißverständlich vorzuformulieren. Da die Möglichkeiten unerschöpflich sind, wäre das freilich eine utopische Forderung“. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 92: „Um zu erkennen, welche Rechtsfolge für einen – mir woher immer gegebenen – Sachverhalt gilt, muß ich [. . .] prüfen, ob dieser Sachverhalt einem bestimmten gesetzlichen Tatbestand als ein ‚Fall‘ unterzuordnen ist. Trifft dies zu, so ergibt sich die Rechtsfolge aus einem Syllogismus [. . .]. Diesen Syllogismus in kurzer und leicht verständlicher Weise auf formalisierte Art auszu-drücken, ist äußerst schwierig“. Pawlowski, Einführung, S. 131: „Die ‚richtige‘ Methode der Rechtswissenschaft be-stimmt sich [. . .] nach dem, was ‚Recht‘ ist, nach der ‚richtigen‘ Vorstellung vom Recht. Welche der verschiedenen Vorstellungen vom Recht aber nun die ‚richtige‘ ist, das kann sich offensichtlich nicht aus der Methodenlehre selbst ergeben, deren ‚Rich-tigkeit‘ ja wiederum von den Vorstellungen über die Herkunft des Rechts (vom Rechtsbegriff) abhängig ist“. Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, S. 408: „Das Methodenproblem ist eine der vernachläs-sigten Grundsatzfragen der deutschen Gerichtspraxis und Rechtswissenschaft. Die Literatur dazu füllt zwar inzwischen ganze Bibliotheken. Anerkannte einheitliche Lösungen sind aber nicht absehbar“. Schapp, Hauptprobleme, S. 65: „Am nächsten kommt man dem Vorgang wohl, wenn man davon ausgeht, daß der Richter mit dem Gesetzgeber in ein Gespräch darüber

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eintritt, ob die Entscheidungsgründe des Gesetzgebers für einen bestimmten Fall die richterliche Entscheidung für den dem Richter vorliegenden Fall zu begründen ver-mögen“. Gröschner, Justizsyllogismus? Jurisprudenz! (in: Lerch, Recht verhandeln, 2005), S. 203 ff.: „Das A und O der Jurisprudenz ist der Fall. Er steht am Anfang der Laien-erzählung dessen, was ‚passierte‘ und am Ende der Entscheidung über die daraus zu ziehenden rechtlichen Konsequenzen. Weil der juristische Laie diese Konsequenzen aber nicht beurteilen kann, vermag er allein aus seiner Laiensicht auch nicht festzu-stellen, was ‚der Fall‘ ist. Die Konstituierung des Falles erfolgt nicht durch Feststel-lung der Fakten einer unabhängig vom Recht existierenden objektiven Wirklichkeit, sondern durch juristische Beurteilung eines lebensweltlichen Geschehens, das zwi-schen den Beteiligten tatsächlich und rechtlich in Streit steht. Wo Recht gesprochen wird, wird über Fälle gestritten. Das Schema des Justizsyllogismus kennt den Fall freilich nur in jener unstreitigen Form, die er am Ende seiner Konstituierung gefun-den hat: in der Form des ‚konkret-individuellen Sachverhalts‘ (S), der unter den ‚abs-trakt-generellen Tatbestand‘ (T) der einschlägigen Rechtsnorm zu subsumieren sei. Auch wenn man zwischen Modellen der Entscheidungsfindung und der Entschei-dungsbegründung differenziert, ist der ‚Syllogismus der Rechtsfolgebestimmung‘ eine juristisch wie logisch fragwürdige Konstruktion. In der ursprünglichen Fassung der Methodenlehre von Karl Larenz hatte er folgende Gestalt: ‚1. Wenn T in irgend-einem Sachverhalt verwirklicht ist, gilt für diesen Sachverhalt die Rechtsfolge R (Obersatz). 2. Dieser bestimmte Sachverhalt S verwirklicht T, d.h. er ist ein ‚Fall‘ von T (Untersatz). 3. Für S gilt R (Schlußfolgerung)‘. Was ist damit gewonnen, die Schluß-folgerung als eine formal-logische Konklusion aus Ober- und Untersatz darzustellen, wenn die innerhalb des Untersatzes stattfindende Subsumtion ein juristisches Urteil erfordert, das seinerseits von der rechtlichen Würdigung des Obersatzes abhängt? Ist die Subsumtion erst einmal erfolgt, vollzieht sich der Schluß auf die Rechtsfolge von selbst, ohne juristisches Zutun und ohne logische Schwierigkeit. Mehr als ein Kinder-spiel der Logik ist der Justizsyllogismus demnach nicht. Was die juristischen Urteile betrifft, die jeder Subsumtion zugrunde- und jedem Jus-tizsyllogismus vorausliegen, hat Hannah Arendt alles Notwendige kurz und bündig so formuliert: ‚Mit logischen Operationen – etwa in der Art der folgenden: Alle Men-schen sind sterblich, Sokrates ist ein Mensch, also ist Sokrates sterblich – haben Urtei-le nichts gemein‘. Außerdem gehört es zum kleinen Einmaleins der formalen Logik, daß ein Syllogismus, dessen Obersatz den Allquantor enthält (‚Alle A sind B‘) nach dem Muster des ersten Beispiels, das Aristoteles in seiner Ersten Analytik gibt, mit dem Untersatz ‚Alle B sind C‘ fortgeführt werden muß, um zum Schlußsatz ‚Alle A sind C‘ zu gelangen. Hier ein Individualurteil (‚S verwirklicht T‘) oder einen Eigen-namen (‚Sokrates‘) aufzunehmen, ist ganz und gar unsyllogistisch im aristotelischen Sinne. In einem gern gekauften Lehrbuch eines angesehenen Autors der juristischen Methodenlehre heißt es dazu: ‚Genaugenommen sollte auch die zweite Prämisse all-gemein sein, nach dem Muster ‚Alle Athener sind Menschen‘. Aber die individuali-sierende Form hat sich eingebürgert‘. Ist dies die ironische Konzession eines Logikers an den gesunden Menschenverstand der ‚Bürger‘ oder die komplette Kapitulation der Logik vor den Anforderungen der Jurisprudenz? Mit Untersätzen von der Art ‚Alle Athener sind Menschen‘ läßt sich der Fall Sokrates ebensowenig lösen wie jeder andere Einzelfall. Deshalb sollte es sich langsam ‚eingebürgert‘ haben, Subsumtionen von (Einzel-)Fällen unter das Gesetz als ‚Urteile‘ zu begreifen und dafür juristischen Sachverstand und gemeine Menschenvernunft vorauszusetzen. Mit deren Hilfe wird auch der ‚Syllogismus der Rechtsfolgebestimmung‘ ohne Denkfehler verlaufen“.