2
368 Be f prechungen WOLTERECK, R.: Grundziige einer allgemeinen Biologie. Die Organismen als Gefiige/Getriebe, als Normen und als erlebende Subjekte. XVI und 629 Seiten, 271 Abbildungen. Stuttgart i932. Verlag F. Enke. Preis: Geh. RM 4o.~. Das Werk W o I t e r e & s iff, im Gegenfatz zu anderen allgemeinen Biologien, von bewus Subjektivit~it und unleugbar reich an neuen und intereffanten Gedanken. Freilich iff es nicht leicht lesbar; Dispofition, Ausdrucksweife und Eint~ellung weichen erheblich vom Herk6mmlichen ab. Nach W. ifi ein Ver- fi~indnis der Lebewefen nur m~glich, wenn man fie nicht nur als materielle Syfteme, fondern auch als erlebende und handelnde Subjekte auffas Dem- entfprechend find bedeutende Teile des Buches von erkennmistheoretifchen und pfychologifchen Auselnanderfetzungen eingenommen. Der zweite Anfatz liegt in der Auffaffung der Organismen als ,,Gefiige", geordneter Mannigfaltigkeiten, deren Teile durch wechfelfeitlge Bezlehungen zu einem Ganzen verbunden find. In diefem Sinn behandelt ein umfangreicher Hauptteil die Organismen als ,,phyfifch-extenfive Gefiige (Einzel-, Beziehungs-, Kollektivgefiige, zeitliche Ge- ftalten) und Getriebe", ein zweiter als ,,Normen und erlebende Subjekte". Da in diefem Rahmen eine fy~ematifche Inhaltsangabe unm~glich if~, feien bloll einige Hauptgedanken ohne Vollfi~indigkeit und Stellungnahme angedeutet. Der grundlegende Unterfchied zwifchen phyfikalifcher und biologifcher Wirklich- keit befieht nach W. darin, dab in erfierer eine allgemeine Tendenz zur Abnahme der Mannigfaltlgkeit, ,,Katamorphofe'" bePceht (Entropie uff.), w~ihrend fiir die ietztere ,,Anamorphofe", fch/~pferifche Steigerung der Mannigfaltigkeit, im Hin- blick auf die Phylogenefe, die pfychifche Mannigfaltigkeit uff., charakterifiifch ifi. In der Betrachtung der Organismen als ,,Selbfigefiige" ~nd ,,Beziehungsgefiige" (in ihrer Relation zu ihrer Umwelt) gibt W. den Verfuch einer ,,SyPcemanik der biologifchen Grundt0rmen" im Sinne einer nicht krifiaUographifch, fondern bio- logifch orientierten Promorphologie, wobei gleichartige Formen bei den ver- fchiedenften ein- und vielzelligen Gebilden realifiert rein k~nnen. Die Mannig- faltigkeit der Organbildungen ifc gr/~tler als die Mannigfaltigkeit der Lebens- bedingungen (G~bel, z. B. Unzahl verfchiedener Diatomeenformen in einem und demfelben Meeresteil); das Prinzip der ,,Niitzlichkeit" reicht darum zum Ver- t~indnis der organifchen Formen ni&t aus, es gibt vielmehr rein morphologifche Gefetzlichkeiten. Die Artbildung kann nicht dutch Darwinismus oder Lamarckis- mus erkl~irt werden, fondern es mug der ,,Gi~belfche Faktor" eines immanenten Gefialtungstriebes angenommen werden. Die Reaktionen der Organismen find geleitet dutch eine Auswirkung ihrer fch~pferifchen Aktivit~it darftellende ,,Bio- impulfe", die Willensakten vergleichbar find. Diefe Impulfe k/~nnen -- in An- n~iherung an Gurwitfch -- als ,,Feldwirkungen" aufgefa~t werden. Bilden rich z. B. bei den Radiolarien geometrifch charakterifierte Skelettformen, fo miiffen im fir~menden Plasma geordnete Feldzuft~inde angenommen werden. In ~ihn- licher Weife find folche raumanifotropifche Zufi~inde bei den Determinations- und Regenerations,,feldern" der Ontogenefe und Regeneration anzunehmen. Die autogenen Impulfe, refp. ihnen zugrunde liegende Stoffe, k~nnen in drei Gruppen unterfchieden werden: i. in der Stoffwechfelphyfiologie als Enzyme und Hor- mone, z. in der Entwicklung als Organifatoren, 3. in der Vererbung als Gene. Auf Grund defgen unterfcheidet W. im Gefiige der Zellen dreierlei Vorg~inge, die den Diffimilations-Affimilationsradikalen, den Organifatoren, und der

Grundzüge einer allgemeinen Biologie

Embed Size (px)

Citation preview

368 Be f prechungen

WOLTERECK, R.: G r u n d z i i g e e i n e r a l l g e m e i n e n B i o l o g i e . Die Organismen als Gefiige/Getriebe, als Normen und als erlebende Subjekte. XVI und 629 Seiten, 271 Abbildungen. Stuttgart i932. Verlag F. Enke. Preis: Geh. RM 4o.~.

Das Werk W o I t e r e & s iff, im Gegenfatz zu anderen allgemeinen Biologien, von bewus Subjektivit~it und unleugbar reich an neuen und intereffanten Gedanken. Freilich iff es nicht leicht lesbar; Dispofition, Ausdrucksweife und Eint~ellung weichen erheblich vom Herk6mmlichen ab. Nach W. ifi ein Ver- fi~indnis der Lebewefen nur m~glich, wenn man fie nicht nur als materielle Syfteme, fondern auch als erlebende und handelnde Subjekte auffas Dem- entfprechend find bedeutende Teile des Buches von erkennmistheoretifchen und pfychologifchen Auselnanderfetzungen eingenommen. Der zweite Anfatz liegt in der Auffaffung der Organismen als ,,Gefiige", geordneter Mannigfaltigkeiten, deren Teile durch wechfelfeitlge Bezlehungen zu einem Ganzen verbunden find. In diefem Sinn behandelt ein umfangreicher Hauptteil die Organismen als ,,phyfifch-extenfive Gefiige (Einzel-, Beziehungs-, Kollektivgefiige, zeitliche Ge- ftalten) und Getriebe", ein zweiter als ,,Normen und erlebende Subjekte".

Da in diefem Rahmen eine fy~ematifche Inhaltsangabe unm~glich if~, feien bloll einige Hauptgedanken ohne Vollfi~indigkeit und Stellungnahme angedeutet. Der grundlegende Unterfchied zwifchen phyfikalifcher und biologifcher Wirklich- keit befieht nach W. darin, dab in erfierer eine allgemeine Tendenz zur Abnahme der Mannigfaltlgkeit, ,,Katamorphofe'" bePceht (Entropie uff.), w~ihrend fiir die ietztere ,,Anamorphofe", fch/~pferifche Steigerung der Mannigfaltigkeit, im H i n - blick auf die Phylogenefe, die pfychifche Mannigfaltigkeit uff., charakterifiifch ifi. In der Betrachtung der Organismen als ,,Selbfigefiige" ~nd ,,Beziehungsgefiige" (in ihrer Relation zu ihrer Umwelt) gibt W. den Verfuch einer ,,SyPcemanik der biologifchen Grundt0rmen" im Sinne einer nicht krifiaUographifch, fondern bio- logifch orientierten Promorphologie, wobei gleichartige Formen bei den ver- fchiedenften ein- und vielzelligen Gebilden realifiert rein k~nnen. Die Mannig- faltigkeit der Organbildungen ifc gr/~tler als die Mannigfaltigkeit der Lebens- bedingungen (G~bel, z. B. Unzahl verfchiedener Diatomeenformen in einem und demfelben Meeresteil); das Prinzip der ,,Niitzlichkeit" reicht darum zum Ver- t~indnis der organifchen Formen ni&t aus, es gibt vielmehr rein morphologifche Gefetzlichkeiten. Die Artbildung kann nicht dutch Darwinismus oder Lamarckis- mus erkl~irt werden, fondern es mug der ,,Gi~belfche Faktor" eines immanenten Gefialtungstriebes angenommen werden. Die Reaktionen der Organismen find geleitet dutch eine Auswirkung ihrer fch~pferifchen Aktivit~it darftellende ,,Bio- impulfe", die Willensakten vergleichbar find. Diefe Impulfe k/~nnen - - in An- n~iherung an Gurwitfch - - als ,,Feldwirkungen" aufgefa~t werden. Bilden rich z. B. bei den Radiolarien geometrifch charakterifierte Skelettformen, fo miiffen im fir~menden Plasma geordnete Feldzuft~inde angenommen werden. In ~ihn- licher Weife find folche raumanifotropifche Zufi~inde bei den Determinations- und Regenerations,,feldern" der Ontogenefe und Regeneration anzunehmen. Die autogenen Impulfe, refp. ihnen zugrunde liegende Stoffe, k~nnen in drei Gruppen unterfchieden werden: i. in der Stoffwechfelphyfiologie als Enzyme und Hor- mone, z. in der Entwicklung als Organifatoren, 3. in der Vererbung als Gene. Auf Grund defgen unterfcheidet W. im Gefiige der Zellen dreierlei Vorg~inge, die den Diffimilations-Affimilationsradikalen, den Organifatoren, und der

BeJprechungen 369 ,,Matrix" der Chromofomen entfprechen. Die organifatorifche Einheit des Lebe- wefens wird durch die Einheit der Matrix repriifentiert; die Chromofomen find Tr~iger additiver Eigenfchaften. W~ire jedes Organifationsmerkmal durch ein be- fonderes Gen repritfentiert, fo k~nnten diefe in den Chromofomen nicht Platz linden. Letzten Endes miiffen, wie gefagt, die Lebensvorgiinge ,,yon innen" betrachtet werden, was dadurch m~glich i/~, daf wir in uns felbft ein Innenfein erleben. Das ,,primiire Witlen" (ira InfHnkt, in der Ontogenefe uff.) darf nicht mit pfychifchem oder bewuftem Wiffen gleidagefetzt werden.

Die Ausfilhrungen W.s, die freilich herrfdaenden Anfchauungen oft fcharf widerfprechen, find doch jedenfalls ~iufert~ anregend.

L u d w i g y o n B e r t a l a n f f y (Wien).

KRUGER, FELIX: D a s W e f e n d e r G e f i i h l e . 3- u. 4- unveriinderte Aufl. 38 S. Leipzig i93o, Akademifclae Verlagsgefellfchaft. Karton. RM x.$o.

Wie ii~ das Gefiihlsmiiflige in unferm Erleben gegen das Nicht-Gefiildsmiifige abzugrenzen? Gefiihle im engeren Sinne z. B. Luft, Spannung, Erregung kSnnen im feelifchen Gefchehen t~etig ineinander iibergehen, in ihren Gegenfatz um- fdllagen oder rich in Indlfferenz aufl~Sfen; es kann fidl aus ihnen ohne Brudl ein Sinnes- oder Denkerlebnis entwickeln und umgekehrt; fie find yon allen Arten unferes Erlebens die labilften; dabei zwingen fie den Erlebenden, fie zu beachten, verlieren aber in dem Male an Intenfitiit, wie fie zergliedert werden; im Gegen- fatz zu Sinneswahrnehmungen k~nnen zwei Gef/ihle niemals gleichzeitig erlebt werden. Das Wefen der Gefilhle ergibt rich aus der Erkenntnis, daf das Erleben eines normalen Individuums in feiner Hauptmaffe aus unfcharf begrenzten, wenig oder gar ni&t gegliederten Komplexen bet~eht, die in ein Gefamtganzes einge- bettet find; die Erlebnisqualit~iten diefes Gefamtganzen find die Gefiihle; es ge- h~ren dazu die verfchiedenen Arten yon Luf~, Unluf~, Erregtheit, Spannung, Gel~i~heit und viele andere Fiirbungen des Gefamterlebens. Daraus ergibt fid~ ftir die Gefiihle dreierlei: Ihre Univerfalitiit, ihr Qualitiitenreichtum und ihre Labilitiit. Gefiihle bilden den Urfprung und gemeinfamen Hintergrund aller anderen Erlebnisarten; das if~ ihre Univerfalitiit; ihr Qualit~itenreichtum iR welt grafter als der der elementaren Erlebniffe; eine Anderung ganzheitlicher Kom- plexe wird ficherer und genauer bemerkt als die Anderung ihrer Teile; das ift die Labilitiit der Gefiihle.

Die dargelegte Anfchauung, nach welcher die Geftihle die Qualitiiten des Gefamterlebens find, trifft ficherlich fiir Erregung und Beruhigung, Spannung und L~fung, fowie fiir intenfivere Luft- und Unlui~gefiihle zu; aber die Unluf~- t~Snung eines miifigen Muskelfchmerzes oder die Luftbetonung des Gefchmacks eines Bonbons kommt nicht dem momentanen Erlebnisganzen, fondern einem um- fchriebenen Erlebnisteil zu und if~ daher auch neben einer fr~hlichen Grund- ftimmung oder einer driickenden Beforgnis ganz gut erlebbar. Man wird alfo um die Anerkennung nicht herumkommen, daft es auger den Geftihlen, welche Qua- litiiten des Erlebnisganzen find, audl folche gibt, welche einem Erlebnisteil zu- kommen, ins Gefamterleben aber nicht hineindiffundieren.

A l e x a n d e r H e r z b e r g (Berlin).