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229 ist geneigt zu fragen: stecld hier nieht doch etwas mehr als Zufall dahinter? Beginnen wir mit dem m/innlichen Namen. An sich ist es durchaus erkl~ir- lieh, dab ein Autor, der einmal ein Selbstbekenntnis in poetischer Form niedergeschrieben und sich selbst (mehr oder weniger) unter einem be- stimmten Namen geschildert hat, in sp/itern Jahren auf denselben Namen zur/ickgreift f/ir eine Person, die wieder von seinem eignen Herzblut am meisten ~itbekommt, auch dann, wenn die beiden in Betracht kommenden Werke weiter nichts miteinander zu tun haben. Die Leiden des junKen Werthers, obwohl in der Modeform des richard- sonschen Briefromans verfaBt, sind - was den ersten Teil anbelangt -im tiefsten Grunde Selbstbekenntnisse. Was Werther an Wilhelm schreibt, gesteht Goethe sich selbst, m. a. W. Goethe ist (so kann man es auffassen) Werther + Wilhelm, wie er schon Eridon + Lamon gewesen war, wie er naehmals "lasso + Antonio sein sollte u. s. w. DaB Wilhelm in der Theatralischen Sendung Goethe selbst ist, braucht nicht mehr gesagt zu werden, und dab der Wilhelm der Geschwister vom Dichter die bedeutsamsten Z/ige erhielt, ist ebenso bekannt. Wenn also Goethe dreimal unter dem Namen Wilhelm erscheint, so erhebt sich die Frage, welcher Wilhelm ist der/ilteste, wenigstens der Konzeption nach? Und wenn dann ferner, wie allgemein angenommen wird, Wilhelm Meister nach William Shakespeare benannt wurde, dem der Dichter seit seinen StraB- burger Tagen die h6chste Bewunderung zollte, so liegt m.E. die SchluBfol- gerung nahe: Wilhelm Meister mug - mindestens in der Konzeption - wohl der erste Wilhelm gewesen sein. Auch dies w/irde demnach fiir die Annahme sprechen, dab die frtiheste Konzeption des Urraeister vorwetz- larisch gewesen sein kann. Andrerseits sind jedoch die beiden Wilhelm in dem ersten Buch dieses Urraeister und in den Oeschwistern so wesensverwandt, dab ich es nicht fiir ang~ingig halten kann, die Anf~inge der Ausarbei- tung der Theatralischen Sendung erheblich vor die Entstehungszeit der Oeschwister (1776) heraufzuriicken. Eine weitere Frage, die sich mir schon vor Jahren aufgedriingt hat, ist die: wenn diesem Wilhelm-Goethe mehr als einmal eine Marianne zugesellt wird, geht dann nicht auch diese entweder auf ein literarisches Vorbild zur/ick, oder liegt nicht auch hier vielleicht ein Erlebnis zugrunde? Wet mag dann aber die Marianne gewesen sein zu einer Zeit, als Marianne yon Willemer noch geboren werden muBte? Berlin-Weiflensee. G. VAN POPPEL HALBARBEIT. lm AnschluB an obige Miszelle m6chte ich noch einmal auf meine Ful3- note zu S. 36 yon Scholtes Aufsatz zuriickkommen. Ich vermutete dort, anstatt des vom Schreiber iiberlieferten, mir unverst~indlichen, Haltbarkeit, ein Goethesches Wort Plalbarbeit, konnte aber augenblicklich fiir diese und ~ihnliche Bildungen bei Goethe keine Belege beibringen. Inzwischen geriet ich auf die Beitrii~e zu einem Ooethe-W~rterbuck yon W. Kiihlewein und Th. Bohner (Beihefl zur Z. f. d. Wortforschung yon Kluge, Bd. VI), und

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ist geneigt zu fragen: stecld hier nieht doch etwas mehr als Zufall dahinter? Beginnen wir mit dem m/innlichen Namen. An sich ist es durchaus erkl~ir-

lieh, dab ein Autor, der einmal ein Selbstbekenntnis in poetischer Form niedergeschrieben und sich selbst (mehr oder weniger) unter einem be- stimmten Namen geschildert hat, in sp/itern Jahren auf denselben Namen zur/ickgreift f/ir eine Person, die wieder von seinem eignen Herzblut am meisten ~itbekommt, auch dann, wenn die beiden in Betracht kommenden Werke weiter nichts miteinander zu tun haben.

Die Leiden des junKen Werthers, obwohl in der Modeform des richard- sonschen Briefromans verfaBt, sind - was den ersten Teil anbelangt - i m tiefsten Grunde Selbstbekenntnisse. Was Werther an Wilhelm schreibt, gesteht Goethe sich selbst, m. a. W. Goethe ist (so kann man es auffassen) Werther + Wilhelm, wie er schon Eridon + Lamon gewesen war, wie er naehmals "lasso + Antonio sein sollte u. s. w.

DaB Wilhelm in der Theatralischen Sendung Goethe selbst ist, braucht nicht mehr gesagt zu werden, und dab der Wilhelm der Geschwister vom Dichter die bedeutsamsten Z/ige erhielt, ist ebenso bekannt.

Wenn also Goethe dreimal unter dem Namen Wilhelm erscheint, so erhebt sich die Frage, welcher Wilhelm ist der/ilteste, wenigstens der Konzeption nach?

Und wenn dann ferner, wie allgemein angenommen wird, Wilhelm Meister nach William Shakespeare benannt wurde, dem der Dichter seit seinen StraB- burger Tagen die h6chste Bewunderung zollte, so liegt m.E. die SchluBfol- gerung nahe: Wilhelm Meister mug - mindestens in der Konzeption - wohl der erste Wilhelm gewesen sein. Auch dies w/irde demnach fiir die Annahme sprechen, dab die frtiheste Konzeption des Urraeister vorwetz- larisch gewesen sein kann. Andrerseits sind jedoch die beiden Wilhelm in dem ersten Buch dieses Urraeister und in den Oeschwistern so wesensverwandt, dab ich es nicht fiir ang~ingig halten kann, die Anf~inge der A u s a r b e i - t u n g der Theatralischen Sendung erheblich vor die Entstehungszeit der Oeschwister (1776) heraufzuriicken.

Eine weitere Frage, die sich mir schon vor Jahren aufgedriingt hat, ist die: wenn diesem Wilhelm-Goethe mehr als einmal eine Marianne zugesellt wird, geht dann nicht auch diese entweder auf ein literarisches Vorbild zur/ick, oder liegt nicht auch hier vielleicht ein Erlebnis zugrunde? Wet mag dann aber die Marianne gewesen sein zu einer Zeit, als Marianne yon Willemer noch geboren werden muBte?

Berlin-Weiflensee. G. VAN POPPEL

HALBARBEIT.

lm AnschluB an obige Miszelle m6chte ich noch einmal auf meine Ful3- note zu S. 36 yon Scholtes Aufsatz zuriickkommen. Ich vermutete dort, anstatt des vom Schreiber iiberlieferten, mir unverst~indlichen, Haltbarkeit, ein Goethesches Wort Plalbarbeit, konnte aber augenblicklich fiir diese und ~ihnliche Bildungen bei Goethe keine Belege beibringen. Inzwischen geriet ich auf die Beitrii~e zu einem Ooethe-W~rterbuck yon W. Kiihlewein und Th. Bohner (Beihefl zur Z. f . d. Wortforschung yon Kluge, Bd. VI), und

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land in dieser /iuBerst sorgf/iltigen Arbeit S. 2 - 1 7 das ganze Material bei- sammen: nicht weniger als 143 substantivische und 131 adjektivische Korn- posita mit der Vorsilbe hal& unter diesen auch [-[albarbeit! Die Stelle lautet S. 9: und vide Par- und tlalbarbeiten liegen da (Bride 26, S. 347). Dazu auf derselben SeRe die chronologische Tabelle, aus welcher hervorgeht, da6 Goethes Vorliebe fiir diese Bildungen sich besonders in den Jahren 1796~ 1800 und 1806-1815 ~iul3ert. Aus ersterer Zeit (Juli 1796) stammt eben die yon Scholte besprochene Briefstelle. Ich glaube also, daft durch diesen Fund meine Vermutung eine starke Stiitze gewinnt.

Utrecht. FRANTZ EN.

B O E K B E S P R E K I N G E N .

G. REYNIER, Le roman iddaliste au XVIIe steele. Paris, Hachette, 3 fr. 50.

De tout temps il y a eu deux courants dans Ia litt~rature fran(;aise, le courant id6aliste et le courant rdaliste. Tant6t l 'un est plus fort que l'autre, tant6t ils se rapprochent et semblent se confondre, tant6t ils sont nettement s(~par~s, jamais ni run ni l 'autre ne tarit compl~tement. Si la vie de soci~t~ far naRre une litt~rature oh les femmes sont admir6es et v~n~r~es comnte des idoles, la litt~rature bourgeoise est anim6e d 'un autre esprit. Ainsi au moment m~me oh Chr~tien de Troyes au XIIe et Guillaume de Lorris au XIIIe si~cle ont dcrit leurs romans pour la soci~t~ courtoise de leur ~p0que, nous voyons les bourgeois -- et les nobles - se d~lecter des fabliaux les plus grossiers.

Ces deux tendances, qui se manifestent naturellement sous des aspects diff~rents selon les ~poques, M. Reynier, maitre de conferences ~ rUniversit~ de Paris, les a cl~peintes dans deux livres int(~ressants, x) II continue maintenant l'~tude du second courant dans un nouveau livre, Le roman iddaliste au XVIIe steele.

Les romans r~alistes ont eu du succ~s seulement dans la premiere moitid du si~cle: de 1623 ~t 1646 Francion a eu dix-sept ~ditions, de 1646 ~ la fin du si~cle on n'en compte que neuf; le Roman bourKeois de Fureti~re, qui date de 1666, n 'a eu qu'une seule ~dition au XVIIe si&cle. On pourrait faire la m~me remarque pour les grands romans id~alistes. On voit par lb., combien les auteurs classiques ont satisfait aux aspirations de leur g~n~ration en cr~ant une litt6rature belle et vraie. Le Sage, qui continuera le roman r6aliste, apprendra beaucoup d'eux.

II est difficile d'etre simple et naturel. De m~me que la litt6rature prdcieuse pbche par une d6bauche de chastet6 - - le mot est de Brunot - - , de m6me les romans r6alistes se trainent dans l 'ordure. Le but d'auteurs comme Sorel, Du Bail et autres, n ' e s t pas de peindre la r6alitd telle quelle, ils sbnt loin de la conception d'un Stendhal et d 'un Flaubert, ils veulent avant tout amuser le public. Voyez les titres: Cdlestine ou Histoire tragicomiqae de

1) Le roman sentimental avant l'Astr~e, Paris, Colin 1908 et Les origines du roman rdaliste, Paris, Hachette, 1912.