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1/16 Hans-Günther Morr Segelflug im Überwald Abbildung 1: Freier Segelflug über die Landstraße L3105 bei Grasellenbach. Bild Fritz Kessler, Grasellenbach Segelflugschule Grasellenbach Gegenstand dieser Veröffentlichung ist ein Stück fast vergessener Heimatgeschichte aus dem Überwald. Selbst ältere Mitbürger können sich nur noch dunkel erinnern, dass einmal im oberen Ulfenbachtal bei Grasellenbach ein reger Segelflugbetrieb herrschte. Dazu diesem Thema keine Unterlagen zu finden waren und es vielleicht auch keine mehr gibt, war es angebracht dieses Kapitel, bevor es gänzlich in Vergessenheit gerät, aufzuarbeiten. Dass diese Dokumentation entstehen konnte ist der Bereitschaft und der uneigennützigen Mitarbeit einiger Zeitzeugen zu verdanken. An erster Stelle ist besonders Frau Käthe Wilberg, geborene Bauer zu nennen. Sie war damals für die Verpflegung der Flugschüler zuständig und damit von Anfang an dabei. Aus ihrem Fundus stammt auch der Großteil der historischen Bilder. (1) Segelflugschüler Adolf Trautmann aus Hetzbach. Helmut Walter aus Grasellenbach Zeitzeuge. Fritz Kessler aus Grasellenbach war als Bub interessierter Zuschauer. Segelflugschüler Peter Fuhr aus Fürth. Heinz Monnheimer, als Sägewerksbetreiber war er Nachfolger in der stillgelegten Flughalle. Frau und Herr Ader als Heimatvertriebene Nachbewohner der Mannschaftsunterkunft. In vielen persönlichen Gesprächen mit diesem Personenkreis wurde die Geschichte der Segelflugschule rekonstruiert und niedergeschrieben.

Hans-Günther Morr Segelflug im Überwaldim+Ü… · Wilberg, geborene Bauer zu nennen. Sie war damals für die Verpflegung der Flugschüler zuständig und damit von Anfang an dabei

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Hans-Günther Morr

Segelflug im Überwald

Abbildung 1: Freier Segelflug über die Landstraße L3105 bei Grasellenbach. Bild Fritz Kessler,

Grasellenbach

Segelflugschule Grasellenbach Gegenstand dieser Veröffentlichung ist ein Stück fast vergessener Heimatgeschichte aus dem Überwald. Selbst ältere Mitbürger können sich nur noch dunkel erinnern, dass einmal im oberen Ulfenbachtal bei Grasellenbach ein reger Segelflugbetrieb herrschte. Dazu diesem Thema keine Unterlagen zu finden waren und es vielleicht auch keine mehr gibt, war es angebracht dieses Kapitel, bevor es gänzlich in Vergessenheit gerät, aufzuarbeiten. Dass diese Dokumentation entstehen konnte ist der Bereitschaft und der uneigennützigen Mitarbeit einiger Zeitzeugen zu verdanken. An erster Stelle ist besonders Frau Käthe Wilberg, geborene Bauer zu nennen. Sie war damals für die Verpflegung der Flugschüler zuständig und damit von Anfang an dabei. Aus ihrem Fundus stammt auch der Großteil der historischen Bilder. (1)

Segelflugschüler Adolf Trautmann aus Hetzbach. Helmut Walter aus Grasellenbach Zeitzeuge. Fritz Kessler aus Grasellenbach war als Bub interessierter Zuschauer. Segelflugschüler Peter Fuhr aus Fürth. Heinz Monnheimer, als Sägewerksbetreiber war er Nachfolger in der stillgelegten Flughalle. Frau und Herr Ader als Heimatvertriebene Nachbewohner der Mannschaftsunterkunft. In vielen persönlichen Gesprächen mit diesem Personenkreis wurde die Geschichte der Segelflugschule rekonstruiert und niedergeschrieben.

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Es begann als Freizeitvergnügen Der Baumbestand am Hang des Dachsberges war in den Jahren 1937/38 als Kahlschlag gefällt worden. Eine Segelflugabteilung aus Darmstadt, das „DEUTSCHE FORSCHUNGSINSTITUT FÜR SEGELFLUG“, kurz DFS, hatte festgestellt, dass dort am waldfreien Ende des Ulfenbachtales eine günstige Thermik mit segelflugtauglichen Aufwinden herrscht. In den Jahren 1938 / 1939 kamen an Sonntagen begeisterte Segelflugpioniere in den Überwald um ihrer Fliegerleidenschaft zu frönen. Das zusammengeklappte Sportgerät, einen Segelgleiter, brachte sie auf einem LKW-Anhänger mit. Damit begann der Segelflugbetrieb in Grasellenbach. Der Freizeitsport Segelflug im Odenwald wurde in kurzer Zeit so beliebt, dass schon bald zwei Lastkraftwagen mit 30 bis 40 Flugsportlern am Sonntag in den Überwald kamen. Dazu brachten sie auch zwei Segelgleiter mit. Mit der gewachsenen Anzahl Segelsportler kam das Problem der ganztägigen Mannschaftsverpflegung auf. Ab jetzt wurde im ortsansässigen Gasthaus Rothermel für die hungrigen Flieger eine Eintopfsuppe gekocht. Dazu gab es Brot und ein Stück Wurst. Für die Essenszubereitung und Verteilung war Frau Bauer zuständig. Dabei half ihr die 17 jährige Tochter Käthe, sie war es die dann als Frau Wilberg alleinverantwortlich für die Mannschaftsverpflegung wurde. Von Anbeginn war der Segelgleiter SG 38, ein Hochdecker der Firma Edmund Schneider mit einer maximalen Flügelspannweite von 10.41 m das Standartfluggerät der Grasellenbacher Segelsportler.

Abbildung 2: Mitarbeiter an dieser Dokumentation Peter Fuhr, er sitzt startbereit auf dem Segelgleiter SG38. Am 27.06.1943 war die Abnahme der Prüfung „A“. Am Heck zwei Kollegen der Haltemannschaft.

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Abbildung 3: Junge Flugschüler, in der Bildmitte Adolf Trautmann aus Hetzbach Ausbildung an der Segelflugschule Grasellenbach Für einen neuen Flugschüler begann die Ausbildung am sogenannten „Bock“. Dies war ein fest am Boden verankerter Flugsimulator, der sich beim Betätigen des Steuerknüppels wie ein echtes Segelflugzeug verhielt. Das heißt, Steuerknüppel nach vorn, Sinkflug; Steuerknüppel nach hinten, Steigflug; Steuerknüppel nach links, Linkskurve; Steuerknüppel nach rechts, Rechtskurve. Dazu musste das Gerät immer gegen den Wind ausgerichtet sein. Diese Trockenübungen waren bei den Flugeleven nicht beliebt. So war jeder froh, wenn er endlich diese Grundausbildung abgeschlossen hatte. Jetzt konnte das eigentliche Abenteuer Segelfliegen beginnen. Mit dem untergeschobenen Handwägelchen konnte der Gleiter bewegt werden.

Abbildung 4: Flugschüler am "Bock" (1)

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Die Segelfliegerei ist ein echter Mannschaftssport. Um einen Flug durchzuführen waren 15 bis 20 Mann erforderlich. Die gesamte Mannschaft beteiligte sich am Transport des Gleiters auf den Starthang. Dazu wurde am Schwerpunkt unter dem Gerät ein gummibereiftes Handwägelchen gesetzt. Einige Flugschüler zogen an der Wagendeichsel, der Rest verteilte sich an den Flügeln und hielt das Gleichgewicht. Am Starthang angekommen wurde der Segler in den Hangwind gedreht. Fliegen konnte immer nur einer. Die Reihenfolge war schon vorab festgelegt, damit war gewährleistet, dass jeder einmal zum Fliegen kam. Der Pilot nahm am Steuerknüppel Platz. An der Spitze des Gleiters wurden zwei Gummizugseile eingehängt. Die Begleitmannschaft teilte sich auf, eine Gruppe am linken Seil, eine zweite Gruppe am rechten Seil. Am Heck nahm die Haltemannschaft Platz. Jetzt begann der eigentliche Startvorgang. Die Mannschaften an den Seilen zogen die Gummi stramm an. War dies optimal geschehen, kam das Kommando „los“, nun ließ die Haltemannschaft den Segler frei. Dadurch schnellte das Fluggerät nach vorn gegen den Hangaufwind und kam dadurch in einen gewissen Segelflug dem Tal entgegen. Die Seile klinkten aus und fielen zu Boden. Nach dem Motto „runter kommen alle“, war der Segelflug gänzlich von der Geschicklichkeit und dem Können des Flugzeugführers abhängig. Natürlich spielten Thermik und Windverhältnisse eine entscheidende Rolle. So kam es öfter vor, dass ein Gleiter im Kornfeld landete. Dies führte natürlich zu vehementen Protesten der ortsansässigen Bauernschaft. Vereinzelt soll es auch zu Bruchlandungen im nahen Wald gekommen sein. Schmerzhafte Verletzungen wie Hautabschürfungen, Knochenbrüchen usw. waren an der Tagesordnung. Ernsthaftere Unfälle sind nicht bekannt.

Abbildung 5: Der Segelgleiter "Hummerrich" mit Pilo t ist startbereit, der Fluglehrer gibt letzte

Anweisungen (1)

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Abbildung 6: Fluglehrer Heinz Thomas (1) Abbildung 6 zeigt Fluglehrer Heinz Thomas aus Heppenheim vor den Flugschülern bei einem Fachvortrag. Er sitzt in einem Segler vom Typ GRUNAU BABY. Das vorn angebrachte Drahtseil beweist, dass das Fluggerät schon für den Windenbetrieb gebaut war, dies muss etwa 1943 gewesen sein. Die Vollverkleidung des Pilotensitzes war eine Selbstfertigung der Flugschüler.

Vormilitärische Ausbildung in Grasellenbach Mit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges im Herbst 1939 änderte sich das so fröhlich begonnene Freizeitvergnügen Segelflugsport schlagartig. Von Seiten der NS-Machthabern war der Wert des Segelsports als vormilitärische Ausbildung für zukünftige Flugzeugführer erkannt worden. Durch Propaganda in der HJ (Hitlerjugend) wurden im weiten Umkreis Jungmänner angeworben. An Werktagen am frühen Morgen kamen mit der Überwaldbahn junge Flugbegeisterte nach Grasellenbach und beteiligten sich am Segelflugsport. Am späten Abend fuhren die Flugschüler wieder nach Hause. Um die Flugschulungen zu koordinieren wurden zwei Fluglehrer, die Herren Stark und Flach, angestellt. Sie hatten im Ort ein ständiges Quartier. Die Verpflegung hatte mittlerweile Frau Bauer, später verheiratete Wilberg, von ihrer Mutter als festangestellte Dienstkraft übernommen. In kurzer Zeit war die Zahl der neuen Flugschüler auf über 100 angewachsen. Die Verpflegung so vieler Personen konnte mit dem vorhandenen Provisorium nicht mehr geschafft werden. Mittlerweile hatte sich die Anzahl der Segelgleiter auf 15 Stück erhöht, auch für sie wurde eine wetterfeste Unterstellmöglichkeit benötigt. Durch das ungeschickte

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Verhalten der ungeübten Flugschüler kam es öfter zum Bruch eines der aus Sperrholz und Segeltuch bestehenden Leichtfluggeräte. Eine mit Maschinen und Werkzeugen ausgestattete Werkstatt wurde dringend gebraucht. So rückte im Frühjahr 1941 eine Baufirma aus Nidda mit den nötigen Baumaschinen und Baumaterialien an. Als erstes wurde ein geräumiger Flugzeughangar mit Platz für 25 Segler am Fuße des Fluggeländes am Dachsberg gebaut. Am gegenüber liegenden Waldrand des Berges Spessartskopf entstanden kasernenartige Mannschaftsunterkünfte, mit Küche, Mensa, Toiletten, Werkstatt und Gemeinschaftsräumen, die auch als Schlafsäle genutzt wurden.

Abbildung 7 und 8: Abladen von Zementsäcken und Beton-Mischmaschine auf der Baustelle durch eine Private Baufirma aus Nidda. Der Unterbau der Gebäude wurde in massiver Sandsteinbauweise ausgeführt. Die eigentlichen Nutzräume entstanden barackenartig aus Holz in Fertigbauweise. Zur Verwirklichung des Großbauvorhabens wurden auch russische und polnische Kriegsgefangene eingesetzt. Sie hatten vorrangig die Erdarbeiten für Fundamente und die nötige Infrastruktur (Trinkwasser, Strom usw.) auszuführen. Mit den neuen Räumlichkeiten konnte ab 1942 eine mehr professionelle, vormilitärische Segelflugausbildung stattfinden. Die Schulung wurde jetzt auf längere Zeit ausgeweitet. Einen Monat musste jeder Teilnehmer im Trainingslager verbringen. Dienstzeit war durchgehend täglich, auch an Sonn- und Feiertagen, vom 2. bis zum 28. Tage eines jeden Monats. Die restlichen Tage waren frei und konnten als Heimaturlaub genutzt werden.

Abbildung 9: Segelflughalle (Hangar) am Dachsberg, Bild von Heinz Monnheimer.

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Abbildung 10: Die Mannschaftsunterkunft am Fuße des Spessartskopfes (1)

Abbildung 11: Lageskizze der Anlage Abbildung 12: Fam. Bauer vor der Küche (1) Tagesablauf in der Segelflugschule Grasellenbach Der Arbeitstag der Flugeleven begann mit dem zeitigen Wecken am Morgen. Es folgte das gemeinsame Waschen im Toilettenbau, natürlich mit kaltem Wasser. Auf Reinlichkeit wurde besonderen Wert gelegt. Dabei lernte manch junger Bursche erstmals eine Zahnbürste kennen. Als Frühstück gab es von der Familie Bauer / Wilberg zubereitet, Brot, Butter und Marmelade. Als Getränk wurde Tee oder Saft gereicht. Zum 10 Uhr Frühstück bekam jeder Flugschüler ein Brötchen mit. Nach dem Frühstück marschierte der größte Teil der Mannschaft im Gleichschritt unter Absingens eines Marschliedes durch das Dorf zum Dachsberg. Dort fanden die praktischen Flugübungen statt. Der Rest der Mannschaft blieb zurück zum Küchendienst, zur theoretischen Schulung oder arbeitete in der Werkstatt.

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Abbildung 13: Flugschüler mit Fluglehrer Stork am Dachsberghang um 1943 (1)

Zum Mittagessen kamen alle zurück. Es gab in der Regel, Tagessuppe, Gemüse und Fleisch. An Sonn- und Feiertagen gab es mehr einfache Gerichte wie Erbsensuppe mit Wursteinlage. Am Nachmittag wiederholte sich der Marsch zum Fluggelände mit den Flugübungen bis zum späten Nachmittag. Zum Abendessen wurde Brot, Butter und Wurst gegessen, als Getränk wieder Tee oder verdünnter Fruchtsaft. Der Flugtag endete in der Mensa beim gemeinsamen Abendessen. Dabei ging es recht rustikal zu. Vor dem Setzen zum Esseneinnehmen wurde noch ein Trinkspruch aufgesagt. Als Beispiel ist noch ein solcher derber Spruch bekannt:

„Esst bis euch der Nabel glänzt, hell wie ein Karfu nkel, dass er eine Leuchte ist, in des Daseins Dunkel;

Es esse ein jeder was er kann, alle Mann rann!“

Danach allgemeines Stühlerücken, bevor man sich dem eigentlichen Essen widmete. Das Essen das gereicht wurde, war, trotz der Kriegsverhältnisse, immer gut und reichlich, dafür sorgte die junge attraktive Köchin Fräulein Bauer, später verheiratete Wilberg. Nach einem solchen erlebnisreichen Tag ging es zur Bettruhe in die Mannschaftsbaracke. Nach und nach wurde auch die Bekleidung den Ansprüchen angepasst. Jeder Flugschüler bekam einen strapazierfähigen Drillichanzug in einheitsgrau. Die Schülerzahl stieg ständig weiter an, mittlerweile waren etwa 150 Personen zu verköstigen. Der prominenteste Flugschüler zu dieser Zeit war ein junger Graf von Erbach, der sich, laut Aussage von Frau Wilberg ohne Starallüren in den strengen Tagesablauf, wie die anderen Schüler, einfügte.

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Abbildung 14 u. 15: Frau Wilberg hinter der Essensausgabe und die Verpflegungsbude am Dachsberg (1)

Durch das Marschieren der Flugeleven vom Übungshang am Dachsberg zur Mannschaftsunterkunft zur Mittagspause und danach wieder zurück, einfache Wegstrecke etwa zwei Kilometer, ging eine Menge Zeit verloren, die für die eigentliche Flugschulung verloren war. Dieser Nachteil wurde durch die Errichtung einer Verpflegungsbude am Fuße des Dachsberges ausgeglichen. Ab etwa 1940 kam der Mittagstich mit Frau Wilberg an den Übungshang. Das Essen wurde unter freiem Himmel auf selbst gefertigten Tischen und Bänken eingenommen.

Abbildung 16: Speisetische im Freien am Dachsberghang (1)

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Abbildung 17: "Kasernenleben", Küchendienest, Brennholz machen, Warten auf den nächsten Einsatz (1)

Abbildung 18: Natürlich gab es auch Zeit zum Nichtstun (1) Modernisierung und Ende der Grasellenbacher Segelfl ugzeit

In den Jahren 1942/43 wurde der Fluggerätpark durch modernste Segelflugmodelle ersetzt. Dazu wurde im Wiesental eine mobile Seilzugwinde aufgebaut. Damit war für die Flugschüler das mühsame Bergschleppen der Gleiter zu Ende. Mit der Schleppwinde konnten größere Flughöhen erreicht werden. War bisher mit den Gleitern nur ein zu Tal schweben möglich,

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konnte ab jetzt mit den moderneren Fluggeräten richtige Rundflüge über dem Odenwald von geschickten Flugpiloten unternommen werden.

Abbildung 19: Verkleideter Segelgleiter GRUNAU-BABY 2 B-2 aus der DSF-Produktion (1)

Abbildung 20: DSF-Modell KRANICH, Zweisitzer mit einer Flügelspannweite von 18 m (1)

Wie Zeitzeugen berichten, wurden zu dieser Zeit auch sogenannte Lastensegler auf dem Grasellenbacher Fluggelände vom DFS-Darmstadt getestet. Diese einfache Art Segelgleiter, sollten im Schlepp von Motorflugzeugen gezogen, kriegswichtige Materialien an die Front bringen. DFS war das deutsche Forschungsinstitut für Segelflug in Darmstadt-Griesheim unter der Leitung von Prof. Dr. Walter Georgii. In den Jahren 1944/45 wurden immer mehr junge Segelflieger zum aktiven Dienst zur Wehrmacht eingezogen. Zwar rückten junge Flugschüler nach, aber die kriegsbedingten Einflüsse waren stark spürbar. Als zu Beginn des Jahres 1945 feindliche Tiefflieger über dem Odenwald kreisten, wurde der Segelflugbetrieb eingestellt. Einige der modernsten Seglermodelle holte die deutsche Wehrmacht noch ab. Nach Kriegsende war alles, was den Grasellenbacher Segelflugbetrieb betrifft herrenlos. Aus der Flugzeughalle wurde von Bürgern geholt was noch brauchbar erschien. Besonders begehrt war das reichlich vorhandene Segeltuch und die Sperrholzteile. Werkstatt und Kleiderkammer im Fliegerlager wurden geplündert. Selbst mit Fuhrwerken soll das herrenlose Material abgefahren worden sein.

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Abbildung 21: Ummanteltes Gummiseil zum Hochziehen (Starten) der Segler

Nach dem Krieg wurden die Segelflugbauten anderen friedlicheren Zwecken zugeführt. Die geräumige Flugzeughalle am Dachsberg wurde zum Sägewerk Monnheimer ausgebaut. Die Mannschaftsbaracken wurden sofort von neuankommenden Heimatvertriebenen belegt. Hier konnte sogar die Schreinerfamilie Rudolf Ader, später ansässig in Affolterbach, ihren Holzbearbeitungsbetrieb wie in der verlassenen Heimat, wieder aufnehmen. Später nutzte die Gemeinde Grasellenbach das Areal als Gemeindebauhof.

Abbildung 22: Hangar übernommen von Fa. Monnheimer. Bildpostkarte von H. Monnheimer, um 1955

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Abbildung 23: Die Mannschaftsunterkunft nach dem Krieg, Bild Rudolf Ader

Abbildung 24: Mannschaftsunterkunft als Gemeindebauhof 1985

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Abbildung 25: Mannschaftsunterkunft als Gemeindebauhof 1985. Heute (2012) sind nur noch die Gebäudefundamente vorhanden.

Segelflugzeuge aus Wald-Michelbach. Eine äußerst interessante Begebenheit aus der Wald-Michelbacher Heimatgeschichte konnte dank des Zeitzeugen Hans (Schorsch) Hering aus der Schwalbengasse in Bild und Wort festgehalten werden. In den Jahren 1938/39 wurden in Wald-Michelbach Segelflieger gebaut. Die HJ (Hitlerjugend) machte es möglich. Nach Original-Bauplänen der Firma GRUNAU zimmerten die jungen Wald-Michelbacher Segelflugzeuge in der Schreinerei Bretschi. Die Werkstatt war im Kellergeschoss des Karrillon-Hauses untergebracht. Gefertigt wurden Segelflieger der Baureihe GRUNAU 9. Die aus Holzleisten, Draht und Segeltuch bestehenden Flugapparate wurden Stück für Stück in der Werkstatt gefertigt, um dann außerhalb des Hauses montiert zu werden.

Abbildung 26: Wald-Michelbacher Flieger HJ

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Im Bild oben ist die Wald-Michelbacher Flieger-HJ mit einem Heckleitwerk in der Schreinerei Bretschi abgebildet, links auf der Werkbank ein Flügelgerippe. Personen von links: Zeitzeuge und Bildspender Hans (Schorsch) Hering, Georg Heim; Leonhard Schmitt; Jakob (Goob) Hering; Fritz Schmitt; Heinz Riesinger; Walter Heim; Georg Weigold. Vorn von links: Adam Schäfer; Hans Hering (Schlosser). Für die jungen Wald-Michelbacher war das Bauen eines Segelflugzeuges, neben dem Erlernen eines Handwerkes, ein kostenloser Einstieg in die faszinierende Welt des Flugsports. War ein Segler nach langer Arbeit fertig, ging es nach Grasellenbach zur praktischen Erprobung. Dort konnten die „Flugzeugbauer“ unter Anleitung eines Fluglehrers die ersten „Rutscher“, sprich Gleitflüge machen. Mit dem selbstgebauten Segelgleiter GRUNAU 9 war eine Flugschulung bis zum Erwerb des Flugscheines „A“ möglich. Sobald das Fluggerät zusammengebaut und von den Inspektoren abgenommen war, ging es, meist mit einem Pferdefuhrwerk, zur Erprobung nach Gras-Ellenbach. Groß war dort jedoch die Enttäuschung, denn fliegen durfte nur derjenige der im Besitz des Flugscheines „A“ war.

Abbildung 27: Vorstellung eines in Wald-Michelbach gefertigten Segelflugzeugs, Bild Klaus Lammer

Ein in der Werkstatt Bretschi von den Wald-Michelbacher-Jungmännern gefertigtes Segelflugzeug der Baureihe GRUNAU 9 wurde auf dem Dorfplatz an der „Kreuzgass“ vor den Kirchen einem staunenden Publikum vorgestellt. Am 23 und 24. Mai 1938 oder 1939 am Tag des Luftsports ist eine Inspektionsgruppe, bestehend aus älterem Fachpersonal in NS-Uniformen, dabei, das Fluggerät auf seine präzise Handwerksarbeit zu prüfen. Auch interessierte Bürger bestaunen den Segler. Mit dem Beginn des zweiten Weltkrieges endete für die Flugzeugbastler eine schöne und kreative Zeit. Die meisten Jungmänner wurden zum Wehrdienst eingezogen.

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Segelflug im Überwald, Nachbetrachtung

Schaut man in die jugendlichen Gesichter der Segelflugschüler auf den historischen Bildern, kommt dem Leser unwillkürlich der Gedanke:

„Was wird aus den fröhlichen jungen Männern geworde n sein?“ Wie hinlänglich bekannt, führte zu jener Zeit eine vormilitärische Ausbildung unweigerlich zum Kriegseinsatz. Es lässt sich vermuten, dass viele der jungen Burschen die Kriegszeit nicht überlebt haben! Stellvertretend soll in einem separaten Bericht die tragische Geschichte des jungen Wald-Michelbacher Bürgers Anton Weber erzählt werden, dessen Leidenschaft zur Fliegerei dort in Grasellenbach in der Vorkriegszeit begonnen hatte. (1) Bilder aus dem Archiv von Frau Käte Wilberg