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HAVANNA Besuch in der Metropole von Kultur und Tourismus, wo die Bürger erstmals mit neuen Jobs in der Wirtschaft überleben wollen. FAKTEN ZU KUBA HISTORIE Christoph Kolumbus lan- det 1492 in der Bucht von Bariay, im Namen der spanischen Krone. Der erste Gouverneur Diego Veláz- quez rottet die indigene Urbevöl- kerung (196 000 Menschen) aus. 1607 wird Havanna Hauptstadt. Im 19. Jahrhundert ist Kuba Marktführer im Zuckerhandel und reichste Kolonie auf dem Globus. 1899 erhalten die USA die Hoheit über die Insel, behalten auch nach der Gründung der Republik (1902) das Recht auf Interventionen. 1960 verhängen sie nach Fidel Castros Revolution von 1958/59 ein Wirtschaftsembargo. Nur zu Kongressen und Ausstellungen dürfen US-Bürger einreisen. REGIERUNG 2008 wird Raúl Castro Präsident des Staatsrats und Regierungschef. 2011 streicht er rund 20 Prozent der Stellen in Ministerien und Behörden. WÄHRUNG Kuba hat eine doppelte Währung, kubanische Pesos und konvertierbare Pesos, die ver- gleichbar dem Dollar sind. Der durchschnittliche Verdienst eines Kubaners liegt bei 400 bis 450 Pesos. „Dafür kann man“, so die Reiseleiterin, „die Grundnah- rungsmittel, Kino, Theater und Klamotten in den Supermärkten einkaufen. Ärzte und Lehrer ver- dienen mehr.“ ARCHITEKTUR Alt-Havanna hat einen morbiden Charme. Von den Festungsanlagen über die Pracht des Capitolio bis zu Jugendstil und Plattenbau ist alles vertreten. TOURISMUS Es gibt 45 000 Hotel- betten und 10 000 Betten in Casas Particulares. Die Touristen (siehe Foto: H.M.) bringen jährlich 2,5 Milliarden US-Dollar ins Land. nicht erlaubt. Die acht offiziellen Galerien suchen sich die Werke aus und verkaufen sie ins Aus- land, zu Weltmarktpreisen. Wer dort Erfolg hat, bringt auch dem Staat Einnahmen. Symbolträchtige Bilder zu David und dem Politschwimmen im Pool Glenda León (36) etwa, eine vom Havana Club International geför- derte Künstlerin, die auf der Kar- riereleiter emporgestiegen ist, in 11. Kunstbiennale in Havanna. Nelson Herrera Ysla, Spezialist la- teinamerikanischer und kubani- scher Kunst und Architektur, ku- ratiert am Alten Platz die Schau „Die Jagd nach Erfolg“. Zu sehen sind Kopien berühmter Bilder. Maler wagen sich an Botero, Fri- da Kahlo, sogar an Picassos Guer- nica-Bild und an Figuren frei nach Walt Disney. Ysla erklärt die „Imitationen“mit eben jenen ei- genen, privaten, kleinen Unter- nehmen. Ein originaler Botero koste 500 000 Dollar und mehr. Den könne sich niemand leisten. Aber die Kopie sei für einen Bruchteil zu haben, und sie werde verkauft. Die Kopie dient also dem Lebensunterhalt. Der Havanna Club Internatio- nal hilft jährlich sechs jungen Kreativen, ihre Projekte zu ver- wirklichen, sie zu präsentieren und ihre Ergebnisse anzukaufen. Private Galerien jedoch sind Köln Medienwissenschaften stu- dierte und von der Galería Haba- na vertreten wird, erhält sogar eine Residenzerlaubnis im Aus- land. Sie organisierte zur Bienna- le auf eigene Kosten einen „Som- mertraum“ im Swimming Pool eines Wohngebäudes und klebte die Straßenpläne von Havanna und dem 180 Kilometer entfern- ten Miami an die Beckenränder. Wer wollte, konnte im Badean- zug die Grenzen schwimmend überwinden und eine spielerische Annäherung beider Länder er- proben. Die Künstlerin stammt aus einer griechisch-amerikani- schen Familie. Ihren Vater in Miami darf sie nicht besuchen. Fast schon ein Staatskünstler ist Alexis Leiva Machado, ge- nannt Kcho. Er sitzt im nationa- len Rat für plastische Kunst und ist stolz auf Kuba. Tag für Tag sammelt er gebrauchtes Material, Fässer und Holzstücke von der Küste. Diesmal baut er aus Plan- ken einen gigantischen David, Sieger über Goliath. 1999 hatte ihn Kurator Harald Szeemann nach Venedig eingeladen, 2002 kam Fidel Castro zur Vernissage. Kcho sagt zu seiner Kunst, die stets seine Heimat symbolisiert: „Ich nehme keine Nägel, keine Taue, keine Schrauben. Es ist eine Idee, die sich selbst trägt. Der Druck ist Teil des Lebens. Es ist eine konstruktive Energie.“ Kubas Sozialismus und die Götter REPORTAGE Reise in ein Land, das Kunst und Kommunismus liebt, und Staatsdiener in die Wirtschaft entlässt. Von Helga Meister (Texte und Fotos) Seit dem Besuch von Papst Bene- dikt XVI im März gerät Kuba ver- stärkt in den Blickpunkt der Öf- fentlichkeit. Das Land braucht das Geld der Touristen und hofft, in diesem Jahr drei Millionen Gäste aus aller Welt beherbergen zu können. So wurden jetzt Jour- nalisten aus Europa zur Kunst- biennale über den Havana Club International eingeladen. Die Au- torin gehörte dazu, als einzige Vertreterin aus Nordrhein-West- falen. Der erste Eindruck: Die Hauptstadt Havanna ist wunder- schön, wenn auch nur in der Alt- stadt. Die Architektur aus der Ko- lonialzeit hat die Jahrhunderte fast unberührt überstanden und wird als Unesco-Kulturerbe he- rausgeputzt. Es gibt Erstaunliches in diesem sozialistischen Land, das so voller Widersprüche ist. Exilkubaner aus Florida verbessern die Außenhandelsbilanz In fließendem Deutsch schwärmt die Reisebegleiterin, die uns mit dem Bus vom Flughafen abholt, von der kommunistischen Partei (PCC), die es ermöglicht, dass Schulen und Universitäten gratis sind. Sie spricht von Kunst und Musik in der Metropole und von den „Fortschritten in der Volks- wirtschaft“. Keine Rede von der Armut des Landes. Kuba lebe zu neun Prozent des Bruttoinland- produktes vom Tourismus. Au- ßerdem würden alljährlich 1,2 Milliarden US-Dollar von Exilkubanern etwa aus Florida an ihre Familien überweisen. Dritte Devisenquelle sind die Kubaner selbst, Ärzte, Lehrer und Sportler, die in befreundeten Ländern ar- beiten und bei denen der Staat an den Einnahmen beteiligt ist. „Es gibt eine Solidarisierung der la- teinamerikanischen Welt mit Kuba“, sagt die Begleiterin. Arbeit auf eigene Rechnung für die ehemaligen Staatsdiener Der Zusammenbruch der Sowjet- union, die Schäden durch Hurri- kans, die Krise der Weltwirtschaft und die eigene Misswirtschaft gingen an Kuba nicht spurlos vo- rüber. Um den defizitären Staats- haushalt zu entlasten, verordnete General Raúl Castro eine „Ar- beitsmarktreform“ und entließ die Bediensteten massenweise aus dem Staatsdienst. Sie betreiben nun eine Arbeit „auf eigene Rech- nung“ und zahlen dafür Steuern. Das heißt, so die Reiseleiterin: „Die Menschen gründen kleine Geschäfte, Cafés, verkaufen zu Hause Kleidung oder Schuhe. Sie dürfen in Panama oder Spanien Waren einkaufen oder sich von ihren Verwandten schicken las- sen, um sie bei uns zu verkaufen.“ „Coco-Taxis“ oder Fahrräder mit Touristen an Bord sind möglich. Auf die Frage, ob mit der Aus- weitung der privaten Beschäfti- gung weniger Kommunismus verbunden sei, kommt jedoch ein entschiedenes Nein. „Wir möch- ten das Land aktualisieren, aber keinen Kapitalismus haben. Wir werden immer noch ein sozialis- tisches Land sein“, sagt die Reise- leiterin. An einen Ausverkauf der Revolution sei nicht gedacht. Die Kunstkopie als neuer Erwerbszweig im Sozialismus Ein beredtes Beispiel, wie Pro- duktion durch Eigeninitiative ge- steigert werden kann, liefert die Die Kunst der alten Götter wird von dem Maler Manuel Mendivi wiederbelebt. Im Teatro Grande, dem Hauptsitz der Biennale, malt er junge Menschen an. Ein Fingernagelstudio kann eine neue Existenzgrundlage für Kubaner sein. Das Cocotaxi ist eine der ersten Möglichkeiten für eine Nebentätigkeit in Kuba. 2002 kam Fidel Castro zur Vernissage des berühmten Bildhauers Kcho. MARXISMUS Im Sozialismus ist der Atheismus vorherrschend. Man durfte praktisch nicht gläubig sein. SANTERIA Sie gilt als Hauptreligion im kommunistischen Kuba. Deren Götter werden von allen Bevölkerungsschich- ten kultisch verehrt, aber auch mit christlichen Heiligen gleichgesetzt. OFFIZIELLE MEINUNG Die Botschaftsrä- tin Deborah Azcuzy Carillo erklärt: „In den 20er und 30er Jahren war es diskri- Götter, die mit den Sklaven nach Süd- amerika und in die Karibik kamen. „Ich möchte, dass die Kultur Afrikas auflebt. Ich lasse mich von Orichas inspirieren.“ VOLKSFEST Die Kubaner lieben die Musik und den Tanz unter freiem Him- mel. Performances sind bei ihnen selbstverständlich. Der Künstler Men- dive gilt als renommiertester Maler des Landes. Ohne Gage zu verlangen, machen die Kubaner bei ihm mit. RELIGION: DER GLAUBE AN DIE ALTE KULTUR AFRIKAS IST TROTZ DES CHRISTENTUMS LEBENDIG GEBLIEBEN PROZESSION Im Vorraum des Gran Teatro de la Habana, dem Hauptge- bäude der Havanna-Biennale, steht Manuel Mendive (67). Der afro-ku- banische Künstler organisiert eine große Prozession („Las Cabezas“, „Köpfe“) mit Bildern und Masken, die über die Flaniermeile Prado zie- hen wird. Er schminkt Gesichter und Körper junger, schlanker Männer und Frauen wie in der Yoruba-Tradi- tion, also im Glauben an die alten minierend bei uns, mit afro-kuba- nischer Kultur zu arbeiten. Seit Ende der 70er Jahre, Anfang der 80er Jahre, gibt es eine Revitalisie- rung. Seit dem Parteitag von 1994 dürfen Mitglieder der Partei meh- rere Glaubensrichtungen haben. Ende Dezember tun sich alljährlich die Hohepriester der Religionen, die Babalaos, zusammen und beschließen, welche Götter im kommenden Jahr regieren.“ USA gelten noch immer als Erzfeind WUNSCH Bevölkerung sehnt sich nach besseren Beziehungen. Das Verhältnis zwischen Kuba und den USA ist kompliziert. Die USA gelten seit dem Wirtschafts- embargo von 1960 als Erzfeind vor der Tür, dennoch sind sie ein wichtiger Handelspartner. Offi- ziell sind die Grenzen dicht. Es muss schon der Papst einreisen, damit Exilkubaner ihre alte Hei- mat betreten können. US-Künst- ler Ben Jones erhält Einlass zur Biennale und schleust 75 Lands- leute ein, damit sie Kubas aufblü- hende Kunst sehen. Seine Mei- nung zur Blockade: „80 Prozent der US-Bürger wünschen Bezie- hungen zu Kuba, die Mehrheit der kubanischen Amerikaner so- wieso. Sie lieben Fidel Castro nicht, aber sie hoffen auf bessere Kontakte.“ US-Künstler Ben Jones in Havanna. K Weltweit 15 WZ MONTAG, 9. JULI 2012

HAVANNA Besuch in der Metropole von Kultur und …/menu/standard/file/... · Ich lasse mich von Orichas inspirieren

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HAVANNA Besuch in der Metropole von Kultur und Tourismus, wo die Bürger erstmals mit neuen Jobs in der Wirtschaft überleben wollen.

■ FAKTEN ZU KUBA

HISTORIE Christoph Kolumbus lan-det 1492 in der Bucht von Bariay,im Namen der spanischen Krone.Der erste Gouverneur Diego Veláz-quez rottet die indigene Urbevöl-kerung (196 000 Menschen) aus.1607 wird Havanna Hauptstadt.Im 19. Jahrhundert ist KubaMarktführer im Zuckerhandel undreichste Kolonie auf dem Globus.1899 erhalten die USA die Hoheitüber die Insel, behalten auch nachder Gründung der Republik (1902)das Recht auf Interventionen.1960 verhängen sie nach FidelCastros Revolution von 1958/59ein Wirtschaftsembargo. Nur zuKongressen und Ausstellungendürfen US-Bürger einreisen.

REGIERUNG 2008 wird Raúl CastroPräsident des Staatsrats undRegierungschef. 2011 streicht errund 20 Prozent der Stellen inMinisterien und Behörden.

WÄHRUNG Kuba hat eine doppelteWährung, kubanische Pesos undkonvertierbare Pesos, die ver-gleichbar dem Dollar sind. Derdurchschnittliche Verdienst einesKubaners liegt bei 400 bis450 Pesos. „Dafür kann man“, sodie Reiseleiterin, „die Grundnah-rungsmittel, Kino, Theater undKlamotten in den Supermärkteneinkaufen. Ärzte und Lehrer ver-dienen mehr.“

ARCHITEKTUR Alt-Havanna hateinen morbiden Charme. Von denFestungsanlagen über die Prachtdes Capitolio bis zu Jugendstil undPlattenbau ist alles vertreten.

TOURISMUS Es gibt 45 000 Hotel-betten und 10 000 Betten in CasasParticulares. Die Touristen (sieheFoto: H.M.) bringen jährlich2,5 Milliarden US-Dollar ins Land.

nicht erlaubt. Die acht offiziellenGalerien suchen sich die Werkeaus und verkaufen sie ins Aus-land, zu Weltmarktpreisen. Werdort Erfolg hat, bringt auch demStaat Einnahmen.

Symbolträchtige Bilder zu Davidund dem Politschwimmen im PoolGlenda León (36) etwa, eine vomHavana Club International geför-derte Künstlerin, die auf der Kar-riereleiter emporgestiegen ist, in

11. Kunstbiennale in Havanna.Nelson Herrera Ysla, Spezialist la-teinamerikanischer und kubani-scher Kunst und Architektur, ku-ratiert am Alten Platz die Schau„Die Jagd nach Erfolg“. Zu sehensind Kopien berühmter Bilder.Maler wagen sich an Botero, Fri-da Kahlo, sogar an Picassos Guer-nica-Bild und an Figuren freinach Walt Disney. Ysla erklärt die„Imitationen“mit eben jenen ei-genen, privaten, kleinen Unter-nehmen. Ein originaler Boterokoste 500 000 Dollar und mehr.Den könne sich niemand leisten.Aber die Kopie sei für einenBruchteil zu haben, und sie werdeverkauft. Die Kopie dient alsodem Lebensunterhalt.

Der Havanna Club Internatio-nal hilft jährlich sechs jungenKreativen, ihre Projekte zu ver-wirklichen, sie zu präsentierenund ihre Ergebnisse anzukaufen.Private Galerien jedoch sind

Köln Medienwissenschaften stu-dierte und von der Galería Haba-na vertreten wird, erhält sogareine Residenzerlaubnis im Aus-land. Sie organisierte zur Bienna-le auf eigene Kosten einen „Som-mertraum“ im Swimming Pooleines Wohngebäudes und klebtedie Straßenpläne von Havannaund dem 180 Kilometer entfern-ten Miami an die Beckenränder.Wer wollte, konnte im Badean-zug die Grenzen schwimmend

überwinden und eine spielerischeAnnäherung beider Länder er-proben. Die Künstlerin stammtaus einer griechisch-amerikani-schen Familie. Ihren Vater inMiami darf sie nicht besuchen.

Fast schon ein Staatskünstlerist Alexis Leiva Machado, ge-nannt Kcho. Er sitzt im nationa-len Rat für plastische Kunst undist stolz auf Kuba. Tag für Tagsammelt er gebrauchtes Material,Fässer und Holzstücke von derKüste. Diesmal baut er aus Plan-ken einen gigantischen David,Sieger über Goliath. 1999 hatteihn Kurator Harald Szeemannnach Venedig eingeladen, 2002kam Fidel Castro zur Vernissage.

Kcho sagt zu seiner Kunst, diestets seine Heimat symbolisiert:„Ich nehme keine Nägel, keineTaue, keine Schrauben. Es ist eineIdee, die sich selbst trägt. DerDruck ist Teil des Lebens. Es isteine konstruktive Energie.“

Kubas Sozialismus und die GötterREPORTAGE Reise in einLand, das Kunst undKommunismus liebt,und Staatsdiener in dieWirtschaft entlässt.

Von Helga Meister (Texte und Fotos)

Seit dem Besuch von Papst Bene-dikt XVI im März gerät Kuba ver-stärkt in den Blickpunkt der Öf-fentlichkeit. Das Land brauchtdas Geld der Touristen und hofft,in diesem Jahr drei MillionenGäste aus aller Welt beherbergenzu können. So wurden jetzt Jour-nalisten aus Europa zur Kunst-biennale über den Havana ClubInternational eingeladen. Die Au-torin gehörte dazu, als einzigeVertreterin aus Nordrhein-West-falen. Der erste Eindruck: DieHauptstadt Havanna ist wunder-schön, wenn auch nur in der Alt-stadt. Die Architektur aus der Ko-lonialzeit hat die Jahrhundertefast unberührt überstanden undwird als Unesco-Kulturerbe he-rausgeputzt. Es gibt Erstaunlichesin diesem sozialistischen Land,das so voller Widersprüche ist.

Exilkubaner aus Florida verbesserndie AußenhandelsbilanzIn fließendem Deutsch schwärmtdie Reisebegleiterin, die uns mitdem Bus vom Flughafen abholt,von der kommunistischen Partei(PCC), die es ermöglicht, dassSchulen und Universitäten gratissind. Sie spricht von Kunst undMusik in der Metropole und vonden „Fortschritten in der Volks-wirtschaft“. Keine Rede von derArmut des Landes. Kuba lebe zuneun Prozent des Bruttoinland-produktes vom Tourismus. Au-ßerdem würden alljährlich1,2 Milliarden US-Dollar vonExilkubanern etwa aus Florida anihre Familien überweisen. DritteDevisenquelle sind die Kubanerselbst, Ärzte, Lehrer und Sportler,die in befreundeten Ländern ar-beiten und bei denen der Staat anden Einnahmen beteiligt ist. „Esgibt eine Solidarisierung der la-teinamerikanischen Welt mitKuba“, sagt die Begleiterin.

Arbeit auf eigene Rechnung fürdie ehemaligen StaatsdienerDer Zusammenbruch der Sowjet-union, die Schäden durch Hurri-kans, die Krise der Weltwirtschaftund die eigene Misswirtschaftgingen an Kuba nicht spurlos vo-rüber. Um den defizitären Staats-haushalt zu entlasten, verordneteGeneral Raúl Castro eine „Ar-beitsmarktreform“ und entließdie Bediensteten massenweise ausdem Staatsdienst. Sie betreibennun eine Arbeit „auf eigene Rech-nung“ und zahlen dafür Steuern.Das heißt, so die Reiseleiterin:„Die Menschen gründen kleineGeschäfte, Cafés, verkaufen zuHause Kleidung oder Schuhe. Siedürfen in Panama oder SpanienWaren einkaufen oder sich vonihren Verwandten schicken las-sen, um sie bei uns zu verkaufen.“„Coco-Taxis“ oder Fahrräder mitTouristen an Bord sind möglich.

Auf die Frage, ob mit der Aus-weitung der privaten Beschäfti-gung weniger Kommunismusverbunden sei, kommt jedoch einentschiedenes Nein. „Wir möch-ten das Land aktualisieren, aberkeinen Kapitalismus haben. Wirwerden immer noch ein sozialis-tisches Land sein“, sagt die Reise-leiterin. An einen Ausverkauf derRevolution sei nicht gedacht.

Die Kunstkopie als neuerErwerbszweig im SozialismusEin beredtes Beispiel, wie Pro-duktion durch Eigeninitiative ge-steigert werden kann, liefert die

Die Kunst der alten Götter wird von dem Maler Manuel Mendivi wiederbelebt. Im Teatro Grande, dem Hauptsitz der Biennale, malt er junge Menschen an.

Ein Fingernagelstudio kann eine neue Existenzgrundlage für Kubaner sein.Das Cocotaxi ist eine der ersten Möglichkeiten für eine Nebentätigkeit in Kuba.

2002 kam Fidel Castro zur Vernissage des berühmten Bildhauers Kcho.

MARXISMUS Im Sozialismus ist derAtheismus vorherrschend. Man durftepraktisch nicht gläubig sein.

SANTERIA Sie gilt als Hauptreligion imkommunistischen Kuba. Deren Götterwerden von allen Bevölkerungsschich-ten kultisch verehrt, aber auch mitchristlichen Heiligen gleichgesetzt.

OFFIZIELLE MEINUNG Die Botschaftsrä-tin Deborah Azcuzy Carillo erklärt: „Inden 20er und 30er Jahren war es diskri-

Götter, die mit den Sklaven nach Süd-amerika und in die Karibik kamen. „Ichmöchte, dass die Kultur Afrikas auflebt.Ich lasse mich von Orichas inspirieren.“

VOLKSFEST Die Kubaner lieben dieMusik und den Tanz unter freiem Him-mel. Performances sind bei ihnenselbstverständlich. Der Künstler Men-dive gilt als renommiertester Maler desLandes. Ohne Gage zu verlangen,machen die Kubaner bei ihm mit.

■ RELIGION: DER GLAUBE AN DIE ALTE KULTUR AFRIKAS IST TROTZ DES CHRISTENTUMS LEBENDIG GEBLIEBEN

PROZESSION Im Vorraum des GranTeatro de la Habana, dem Hauptge-bäude der Havanna-Biennale, stehtManuel Mendive (67). Der afro-ku-banische Künstler organisiert einegroße Prozession („Las Cabezas“,„Köpfe“) mit Bildern und Masken,die über die Flaniermeile Prado zie-hen wird. Er schminkt Gesichter undKörper junger, schlanker Männerund Frauen wie in der Yoruba-Tradi-tion, also im Glauben an die alten

minierend bei uns, mit afro-kuba-nischer Kultur zu arbeiten. SeitEnde der 70er Jahre, Anfang der80er Jahre, gibt es eine Revitalisie-rung. Seit dem Parteitag von 1994dürfen Mitglieder der Partei meh-rere Glaubensrichtungen haben.Ende Dezember tun sich alljährlichdie Hohepriester der Religionen,die Babalaos, zusammen undbeschließen, welche Götter imkommenden Jahr regieren.“

USA geltennoch immer alsErzfeindWUNSCH Bevölkerungsehnt sich nachbesseren Beziehungen.

Das Verhältnis zwischen Kubaund den USA ist kompliziert. DieUSA gelten seit dem Wirtschafts-embargo von 1960 als Erzfeindvor der Tür, dennoch sind sie einwichtiger Handelspartner. Offi-ziell sind die Grenzen dicht. Esmuss schon der Papst einreisen,damit Exilkubaner ihre alte Hei-mat betreten können. US-Künst-ler Ben Jones erhält Einlass zurBiennale und schleust 75 Lands-leute ein, damit sie Kubas aufblü-hende Kunst sehen. Seine Mei-nung zur Blockade: „80 Prozentder US-Bürger wünschen Bezie-hungen zu Kuba, die Mehrheitder kubanischen Amerikaner so-wieso. Sie lieben Fidel Castronicht, aber sie hoffen auf bessereKontakte.“

US-Künstler Ben Jones in Havanna.

K Weltweit 15WZ MONTAG, 9. JULI 2012