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Hund oder Mensch? Teil 6 N o 7 10 / 2011 teilhaben-Teil werden V OICE FOR R EFUGEES Ich bin weder Psychologe noch Arzt, son- dern einfach nur ein Flüchtling. Seit Jah- ren schon lebe ich in einem dieser Lager in Bayern, ohne Hoffnung, Die Würde des Menschen ist unantastbar Teil 5 Die Gummikarottenstory oder : Soviel Luxus wie Hartz IV muss wirklich nicht sein... Weiter auf S.5 Weiter auf S.20 Von Flüchtlingen für Flüchtlinge Weiter auf S.36 Der Bischof in der GU

Heimfocus #07 - 10/2011

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Voice For Refugees teilhaben - Teil werden

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Hund oder Mensch? Teil 6

No 7 • 10 / 2011

teilhaben-Teil werdenVOICE FOR REFUGEES

Ich bin weder Psychologe noch Arzt, son-dern einfach nur ein Flüchtling. Seit Jah-ren schon lebe ich in einem dieser Lager in Bayern, ohne Hoffnung,

Die Würde des Menschen ist unantastbar Teil 5

Die Gummikarottenstory oder : Soviel Luxus wie Hartz IV muss wirklich nicht sein...

Weiter auf S.5 Weiter auf S.20

Von Flüchtlingen für Flüchtlinge Weiter auf S.36

Der Bischof in der GU

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2 [email protected]

Inhalt-Inside PagesEditorial ........................................................................................................................................... 3

DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASTBAR ........................................................................5

Mein erstes Mal in der GU ................................................................................................................8

Exhausted sound ........................................................................................................................... 10

Ferienspaß in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber ....................................................... 12

Flüchtlingskonferenz in Berlin ........................................................................................................ 13

„KRIEG IM FRIEDEN“-Gemeinschaftsunterkunft ........................................................................... 14

Sprichwörter .................................................................................................................................. 16

Blacks cannot hide their foreigner identity ..................................................................................... 17

One race ... human! ....................................................................................................................... 19

Hund oder Mensch? .......................................................................................................................20

„Das Gesicht ist wichtiger als das Brot“ ...........................................................................................22

Interview ....................................................................................................................................... 25

Danke! ...........................................................................................................................................28

Flüchtlinge als Vorboten gesellschaftlicher Veränderungen ............................................................ 30

Mauern verletzen Flüchtlingsrechte ............................................................................................... 31

Das Gymnasium Veitshöchheim – eine „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ .................. 33

Jugendliche sind unpolitische Hedonisten? Von wegen! .................................................................. 34

Von Flüchtlingen für Flüchtlinge ..................................................................................................... 36

Krisen fallen nicht vom Himmel ..................................................................................................... 38

Europa kann mehr, Deutschland auch ............................................................................................40

Durstig nach Menschenrechten, nicht hungrig nach Rundumversorgung .......................................42

Jeder Flüchtling „muss als Mensch respektiert und behandelt werden“ .......................................... 43

Vom Sehen und Begreifen ..............................................................................................................44

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310 / 2011

Addis Mulugeta

E d i t o r i a l

Der Friedenspreis:Von Menschen für MenschenEine einladende Brücke zueinander

Es gibt unvergessliche Erlebnisse und Erfahrungen, die das Leben von Grund auf verändern - im positiven oder auch im negativen Sinn. Manche Verände-rungen hinterlassen Spuren für immer. Die Entscheidung, aus seiner Heimat zu fliehen, ist für jeden Flüchtling si-cherlich einer jenen Augenblicke, die man niemals mehr vergisst. Nicht nur alles hinter sich lassen zu müssen, die Familie, die man so sehr vermisst, das Heimatland, die Freunde und seinen Beruf, nein, auch hier anzukommen, um sich für eine unbestimmte Zeit in einem jener Flüchtlingslager wieder zu finden, das sind wirkliche Grenzer-fahrungen im Leben eines Flüchtlings. Dazu kommt noch das Fremde des unbekannten neuen Landes, seine Kultur und Regeln, die eine weitere Herausforderung darstellen. Wie man als Flüchtling damit zurecht kommt, hängt von der Zuwendung oder Zu-rückweisung durch die Einheimischen ab. Wenn diese den Neuankömmlin-gen wohlwollend und unterstützend zur Seite stehen, wird ein jeder von ihnen seinen Weg suchen und finden und so schnell wie möglich ein unab-hängiges, selbstständiges Leben an-streben, ohne jemandem zur Last zu fallen oder dessen Platz zu beanspru-chen.

In Anerkennung unseres Bemühens, die Kluft in der Verständigung zwi-schen den einheimischen Bürgern und den Flüchtlingen zu schließen und neue gemeinsame Wege zum Wohle aller zu suchen, ist der Würz-burger Friedenspreis dieses Jahr den Flüchtlingen zuerkannt worden. Er ehrt damit den Frieden stiftenden Einsatz des Heimfocus-Magazins für Menschenwürde und Gerechtigkeit. Das Friedenspreis-Komitee bezeugt so seine Wertschätzung unseres Ma-gazins als Brücke, die Menschen von

beiden Seiten einlädt, sich auf den Weg zueinander zu machen, einan-der zuzuhören, sich mitzuteilen. Der Friedenspreis richtet den Blick endlich auf alle die vergessenen Flüchtlinge abseits der Gesellschaft, die um Wür-de, Freiheit und Zukunft ringen. Jeder Mensch braucht zum seelischen Über-leben Hoffnung, Ermutigung und Ver-trauen, ganz besonders in einem ihm unbekannten Land. Wie kann man in der Fremde jemals heimisch werden, wirklich ankommen mit Leib und Seele ohne Zuspruch und Unterstützung von Freunden, engagierten Helfern und Flüchtlingsorganisationen? Dies gilt umso mehr für Menschen, die aus der sogenannten Dritten Welt in ein hoch entwickeltes westliches Land kom-men. Sie sind verloren ohne Einheimi-sche, die ihnen mit Gastfreundschaft, Offenheit und Verständnis begegnen. Man sehnt sich nach einer Geste des Willkommens, nach einem Lächeln, nach menschlicher Wärme. Wer strebt auf seiner Flucht schon bewusst nach einem Land der Gewalt statt des Frie-dens, wer sucht eine Diktatur anstatt einer Demokratie, eine feindselige Gesellschaft anstatt einer gastfreund-lichen? Niemand, nicht einer würde dies freiwillig tun. Und doch ist dies die Erfahrung vieler Flüchtlinge, überlebt, angekommen, aber nicht willkommen zu sein. Herzlichkeit und Gastfreund-schaft, die Wertschätzung als Mensch vermissen wir als Flüchtlinge sehr. Je-der Mensch braucht Teilhabe und An-erkennung zum Leben. Auf die Kälte, die Ablehnung hier waren wir nicht vorbereitet und sie ist ein Alptraum für uns. Wir brauchen ein würdiges Le-ben, Hoffnung, Perspektive. So ist der Friedenspreis Verheißung für eine hof-fentlich bessere Zukunft. Er gibt uns Zuversicht und ist endlich ein Zeichen des Willkommens in diesem Land. Wir danken dem Friedenspreis-Komitee,

den Bürgern von Würzburg und dem Oberbürgermeister dieser Stadt für ihre Wertschätzung.

Unser Heimfocus Magazin soll ein Sprachrohr sein, durch das sich Flücht-linge Gehör verschaffen, in dem sie ausdrücken können, wer sie sind, was sie mitbringen, was sie ihrer neuen Heimat anbieten, was sie sich erseh-nen und was sie belastet. Wir, die Flüchtlinge, sind auch Menschen, Menschen, die wertvoll sind und etwas zu sagen und beizutragen haben. Der Friedenspreis macht uns Mut, dass wir irgendwann zeigen dürfen, wie frucht-bar unser Beitrag zur Wirtschaft, Ge-sellschaft und Politik des Gastlandes sein kann. Mit-Gefühl im wahrsten Sinne des Wortes zeigen angesichts der gegen-wärtigen Hungerkrise in Ostafrika selbst die Flüchtlinge hier in Würzburg. Somalia, Kenia, Äthiopien, Eritrea und Dschibuti sind von einer unvorstell-baren Dürre und Hungerkatastrophe betroffen. Hunderttausende Somalier irren durch die Wüste auf der verzwei-felten Suche nach Wasser und Nah-rung, Trotz ihrer eigenen schwierigen Situation wollen die Flüchtlinge in der Würzburger Gemeinschaftsunter-kunft Solidarität zeigen mit den vom Tod bedrohten Menschen in Ostafrika. Ungeachtet ihrer Nationalität und Re-ligion gaben sie bereitwillig jeweils ei-nen Euro von ihrem 40€-Taschengeld ab und stellten so eine Summe von 168€ bereit, nachdem muslimische Flüchtlinge bereits einen Betrag von 180€ als ein berührendes Zeichen der Anteilnahme gesammelt hatten. Ist das nicht eine großartige Geste von Menschen für Menschen?

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510 / 2011

DieGummikarottenstory oder : Soviel Luxus wie Hartz IV muss wirklich nicht sein...

Ich sehe sie schon vor mir, die Leserbriefseite der Lokalzei-tung: Sie würde überquellen vor Empörung, das Ende der Welt ist nahe, der Anstand im freien Fall usw... Was ist passiert? Se-hen Sie selbst: Schwarze, ausgetrocknete Ka-

abgeschabte Fleischreste, und Haut. Eine rosa Masse, die, ori-ginal verpackt, nach einem gan-zen Jahr im Kühlschrank noch genauso aussieht wie am ersten Tag. Von unwürdigen Zuständen wäre da die Rede, von einem Skandal. Bei den Tieren.

Die Würde des Menschen ist unantastbar Teil 5

rotten und vergammelte Bana-nen, so etwas hat das Tierheim doch tatsächlich seinen Schütz-lingen zum Fressen angebo-ten! Für Flüchtlinge kein unge-wöhnliches Bild; sie kennen es von ihren Essenspaketen. Und Wurst aus den Hauptbestand-teilen Separatorenfleisch, also vom Knochen der Schlachttiere

Und ich stelle mir die berechtigte Protestwelle quer durch das Land vor, wagte man die Bezüge der Sozialhilfe- und Hartz-IV-Empfänger auf Sachleis-tungen umzustellen. Warum? Damit man sichergehen kann, dass die Be-zieher auch wirklich zu essen bekom-men. Denen einfach bares Geld in die Hand drücken, ich bitte Sie! Wer weiß, worin die das im nächsten Supermarkt umsetzen? Man muss die Leute auch mal vor sich selber schützen... Dann hieße es also, wie bei den Asylbewer-bern, zweimal die Woche anstellen an der Ausgabestelle, mit einer grauen Plastikbox in der Hand und einer im-merzu gleichen, limitierten Auswahl auf einem Bestellzettel. Eine Kolon-ne der Bittsteller. Noch eine Klasse

unter den beschämten Mitmenschen, die sich als „Ritter der Tafel(runde)“ mit amtlicher Bescheinigung an der Resterampe unserer Überflussgesell-schaft bedienen dürfen. Nur nicht zu-sätzlich wie bei der „Tafel“, sondern ausschließlich. Sie fasten gerade aus religiösen Gründen? Viel Gemüse, Obst und Reis, sonst nichts? Ausnah-men sind nicht vorgesehen. Ah, Sie können den Bestellzettel gar nicht richtig lesen, der ist ja in einer Sprache, die Sie nicht verstehen und auch nicht zu lernen berechtigt sind? Sie werden schon einen Weg finden....Sie sind alt oder krank? Na, dann suchen Sie sich eine gute Seele, die Ihnen die Ration aufs Zimmer trägt. Was, Sie wollen in der Spalte Fleisch gar nichts bestel-

len? Sie wollen nur das ankreuzen, was sie auch wirklich essen werden? Es tut Ihnen weh, wenn Lebensmittel in der Mülltonne landen, weil mit ihnen niemand etwas anzufangen weiß? Es tut Ihnen weh, weil Sie anders er-zogen worden sind und es Ihnen Ihre Kultur und Religion verbieten, so mit Nahrung umzugehen? So weit geht ihre (Wahl-) Freiheit nun auch nicht: Entweder Sie nehmen von allem die vorgeschriebene Anzahl – oder Sie be-kommen gar nichts! Machen Sie damit, was Sie wollen. Und zu guter Letzt: Sie haben nicht mitbekommen, dass heute die Essensausgabe ausnahms-weise eine halbe Stunde eher schließt? Was glauben Sie denn, wo Sie hier sind? Wir schließen pünktlich, seeehr

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pünktlich. Sie haben dann für Tage wenig zu essen? Wasser auch nicht? Ja, ist das etwa unser Problem? Authentische Szenen aus dem Flücht-lingsleben, keine Phantasiegeschich-ten. Und sie sind nur die Spitze des Eisberges... Sie wissen schon, neun Zehntel des Selbigen sind verborgen unter der Oberfläche, niemand sieht sie. Das sollten wir in diesem Falle viel-leicht ändern. Wir reden hier nicht von physikalischen Naturgesetzen, son-dern von Menschen, von Menschenle-ben. Von Menschen, die hier und jetzt leben und denen nicht geholfen ist mit Vertröstungen auf ein eine Zukunft in Würde, irgendwann – vielleicht. Nicht Luxus, nicht ein Parasitendasein als Nutznießer und Schmarotzer, nein, ein einfaches, selbstbestimmtes, frei-es Leben ersehnen sie. Was gehört für Sie persönlich zu einem würdigen Leben? Nicht auch die Freiheit, selbst zu entscheiden, was ich esse, was ich anziehe, mit wem ich mein Zimmer, meine Privatsphäre, Jahre meines Le-bens teile? Nicht auch Bewegungs-freiheit? Schließen Sie die Augen und versetzen Sie sich in Gedanken in die Situation eines Flüchtlings. Setzen Sie sich an seine Stelle, mit Ihrem Na-men, mit allem, was Sie sind, was Ihre Identität ausmacht. Wie geht es Ihnen nun mit Essenfassen dieser Art über lange, lange Monate und Jahre? Nur ein Beispiel, nur ein kleines Detail von

viel zu vielen.... Und die Gummikarot-te bekommt auf einmal eine tiefere symbolische Bedeutung. Sie steht für die grundsätzliche Haltung gegenüber Ihnen als Mensch.Warum rührt offensichtlich das Schick-sal von Tieren so viele Bürger mehr an als Leid von Mitmenschen? Warum verbietet sich zu Recht auch nur der Gedanke an Entmündigung unserer Mitbürger durch Essenspakete in dem einen Fall, gehört aber zur langen, als selbstverständlich akzeptierten Nor-malität in dem anderen, für Flüchtlin-ge? Und erinnern Sie sich noch? Der Hartz-IV-Regelsatz wurde vom Bun-desverfassungsgericht auch deswe-gen zurückgewiesen, weil er soziale Teilhabe und damit persönliche Wür-de des Beziehers beschneidet. Aber die Leistungen für Flüchtlinge nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz, die noch um ein ganzes Drittel niedri-ger sind, sind in Ordnung? Auch hier: Was für die einen als zu wenig befun-den wurde, nicht nur vor Gericht, son-dern auch in einer breiten politischen und öffentlichen Debatte – für die ei-nen also inakzeptabel, für die anderen selbst nur ein Teil davon genug? Es gibt hier also nicht nur Menschen zweiter, sondern auch dritter Klasse und offen-sichtlich stört sich niemand daran? Vorsicht, Satire!? Von wegen... Nein, Sie sind hier nicht im falschen Film, wir haben auch nicht den 1.April. Es hat

schon etwas von Urban Priols „Aus der Anstalt“, aber das Lachen bleibt im Hals stecken, denn das ist entwür-digende Realität für ausgelieferte, Schutz suchende Mitmenschen und ein Armutszeugnis für uns alle.Es ist in Wirklichkeit ganz offensicht-lich nicht weit her mit der Würde des Menschen in unserem Lande. Das wol-len wir nicht hören. Das beschönigen wir, das verdrängen wir nach Kräften. Wer diese Ansicht nicht teilt, wer es eher mit dem „ungläubigen Thomas“ hält, dem kann geholfen werden: Tre-ten Sie näher, mitten in die Lebens-wirklichkeit tausender Flüchtlinge in Deutschland, in die oft abgelegenen Bruchbuden, in denen kein Normal-bürger, auch kein Hartz-IV-Empfänger, jemals einen Tag verbringen würde, er-nährt aus Kisten vom Amt, isoliert und entmündigt. Treten Sie näher, genie-ßen Sie die Kunstwurst aus Fleischres-ten und Haut und die schwarze Gum-mikarotte. Wochen, Jahre. Und auch die restlichen neun Zehntel des Eis-berges, die niemand sieht und sehen will. Dann ist es vielleicht auch für Sie höchste Zeit für eine breite Debatte über den Wert des Menschen und über das, was wir vorgeben zu sein und was wir wirklich sind. Über die Reste von dem, was Markenzeichen einer So-lidargesellschaft sein sollte, die uns immer mehr entgleitet. Über das, was und wohin wir wirklich wollen, und was wir bereit sind, dafür zu tun. Was wir dann ändern müssen – nicht irgend-wann, heute.

Eva Peteler

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Auszug aus „55 Forderungen zum Flüchtlings-, Ausländer-, Staatsangehörigkeits- und Sozialrecht“ , Juli 2010

Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) abschaffen

Die besondere Behandlung von Flüchtlingen, die für die-se Personengruppe ein Existenzminimumunterhalb dem anderer Bürger definiert, ist diskriminie-rend. Die Diskriminierung besteht in demAusschluss bestimmter Personengruppen aus der Sozial-hilfe und der Grundsicherung fürArbeitssuchende. Fest steht auch, dass der „Sachleis-tungsvorrang“ des Asylbewerberleistungsgesetzes teu-rer ist, als die Hingabe von Geld. Die Leistungen, die primär von Asylsuchenden und Geduldeten bezogen werden, betragen nur rund zwei Drittel der Leistungen für Sozialhilfeempfängerinnen

und – empfänger. Diese Leistungshöhe gilt seit 1993 unverändert. Nicht nur diese Leistungseinschränkun-gen führen zur Entmündigung von Flüchtlingen. Als besonders diskriminierend ist die Beschränkung der me-dizinischen Versorgung auf die unabweisbar notwendige Behandlung, z. B bei akuten Schmerzzuständen, zu be-werten. Ein Zustand, der dazu führt, dass sozialrechtliche Streitigkeiten vor den überlasteten Gerichte zugenom-men haben. Die Abschaffung des AsylbLG dient auch dem Abbau der Bürokratie und der Verschlankung des Rechst-staates.

© DIE RECHTSBERATERKONFERENZder mit den Wohlfahrtsverbänden und dem Hohen Flücht-lingskommissar der Vereinten Nationenzusammenarbeitenden Rechtsanwältinnen und Rechts-anwälteELENA Koordinator für Deutschland:Prof. Dr. Holger Hoffmann, FH Bielefeld, FB Sozialwesen, Kurt-Schumacher-Str. 6, D-33615 Bielefeld,Tel: 0521 - 1067894, Fax: 0521 – 1067898

„Nicht, dass ich an die goldenen Fassaden unserer Ge-sellschaft je geglaubt hätte,“ so Heinz Ratz in seinem „Fazit der 1000 Brücken“ nach seiner 7000km-Tour durch Flüchtlingslager in ganz Deutschland. “Aber immerhin sollte doch ein Staat, der sich die goldenen Worte der Demokratie und der Freiheit groß auf die

Fahnen schreibt, der im Namen der Menschenrechte Soldaten in die weite Welt entsendet, diese demokra-tischen Grundsätze auch im Innern einhalten. Die Art jedoch, wie hierzulande mit Flüchtlingen umgegangen wird, hat mit Menschenrecht und Grundgesetz nicht mehr viel zu tun. Das ist schrecklich, war aber nicht überraschend für mich. Was mich aber wirklich zutiefst erschrocken hat, ist die Selbstverständlichkeit mit der das geschieht und möglich ist. In so vielen Städten! So offensichtlich! So begraben durch Desinteresse und Vorurteile – so bewusst isoliert, ausgeschlossen, stumm gemacht und gedemütigt! „Die Würde des Menschen ist unantastbar…!“ – haben wir denn schon vergessen, warum gerade dieser Satz am Anfang unseres Grund-gesetzes steht? Haben wir vergessen, was das hier für ein Land war vor 65 Jahren? Dass wir selbst die weltweit größten Flüchtlingsströme erzeugt haben? Dass wir ei-nen Diktator an der Spitze hatten, vor dessen Terror wir wohl alle geflohen wären?“

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Durch unseren Verein Standpunkt e.V. wurde ich aufmerksam gemacht auf die GU (Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge und Asylbewerber) in Würzburg., auf die Lebenssituation der Flüchtlinge „um die Ecke“ von mei-nem Arbeitsplatz bei Flyeralarm. Die-se Schilderung einer für mich bis dahin völlig unbekannten Welt mit all ihren Härten und der unglaublich anmuten-den Lebenssituation vieler Menschen ließ mir keine Ruhe mehr. Ich beschloss, mich für einen Besuch im „Heimcafé“ anzumelden, in dem in Zusammenar-beit von Flüchtlingen und deutschen Helfern betriebenen offenen Treff an jedem Montag Abend.Gesagt, getan, nein, ganz so einfach ist es nicht. Dies sei kein öffentlich zugänglicher Raum, wurde mir mitge-teilt, also hieß es, auf eine „Eintritts-erlaubnis“ zu warten, eine Genehmi-gung vom Leiter der GU. Irritierend, es ist doch kein Gefängnis, das sind doch keine Kriminellen, wunderte ich mich.Im Vorfeld waren wir eingeladen, wie alle interessierte Würzburger Mit-bürger, der feierlichen Verleihung des Würzburger Friedenspreises 2011 an Herrn Addis Mulugeta, Journalist und Flüchtling aus Äthiopien, beizu-

Mein erstes Mal in der GU

wohnen. Dieser ist das Sprachrohr der Flüchtlinge in der GU und nicht nur dort, sondern auch weit über die Landesgrenzen hinaus. Selten habe ich eine solche Zusammengehörigkeit gespürt als bei dieser Preisverleihung. Denn hier ging es nicht nur um den Preisträger, nein, hier ging es um das, was er vertritt und wofür er steht; er verleiht ALLEN, die ihr Land verlassen mussten unter meist erbärmlichen Bedingungen, eine Stimme, fasst nur einen Teil ihrer Angst, auch der Angst um den Zurückgebliebenen,Eltern, Geschwister, Verwandte in Worte zu-sammen, vieles kann man aber ein-fach nicht in Worte fassen, denn oft ist das Erlebte zu schlimm, zu ergreifend für Worte... Und es geht ihm um weit mehr, um Versöhnung, um Annähe-rung aller Menschen ohne Angst vor-einander. Mein Mann und ich waren froh und dankbar, dass wir teilhaben durften an diesem Ereignis der Preis-verleihung. Die Zeitschrift „Heimfocus“ , die von unserer Druckerei Flyeralarm sehr unterstützt und auch gedruckt wird, bietet vielen die Möglichkeit, sich ein Bild zu machen über den Alltag der Flüchtlinge in den Unterkünften - wo-

bei Alltag kein Alltag ist, nicht wie wir uns ihn vorstellen, sondern immer nur ein weiterer Tag der Ungewissheit, des zum Nichtstun verdammt sein, ein neuer Tag ohne ein Stück Privatleben und Perspektive.Heute Abend am 18.07.2011 war es dann endlich soweit, ich durfte mit ins Heimcafé! Ganz ehrlich, ich war schon aufgeregt, ich wusste ja nicht, was mich erwartet, wie man Kontakte knüpft mit den Bewohnern. Wie man auf sie zugehen kann, ohne den Ein-druck zu erwecken, man ist nur zum

„gaffen“ da, geht wieder, erzählt viel-leicht daheim davon und legt alles wie-der ad acta. Lehnt sich dann womög-lich mit dem selbstzufriedenen Gefühl zurück, etwas Gutes getan, somit das eigene Gewissen wieder mal beruhigt zu haben und so erleichtert den Luxus des Eigenheims mit allen „wichtigen“ Annehmlichkeiten wie neueste Elekt-ronik in allen Ecken, Heimsauna, Spül-maschine usw. genießen zu dürfen. Nein, wir haben diesen Luxus zu Hause nicht (außer Spülmaschine, also doch Luxus). wir haben aber ein wirkliches heimeliges Zuhause, wir haben gesun-de Kinder, die mittlerweile erwachsen sind und ihren Weg im Leben gefunden

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haben. Uns mangelt es an nichts, vor allem nicht an einem selbstbestimm-ten Leben in Freiheit.Nun ja, da stand ich also vor der Pfor-te der GU mit ihrer Furcht einflößen-den, vergitterten Eingangsschleuse und dachte: „Und jetzt ???“ Zum Glück konnte ich mich einer Gruppe anschließen, die den Weg zum Heim-café in dem weitläufigen ehemaligen Militärgelände kannte. Ja, die GU befindet sich auf einem ehemaligen Kasernen-Gelände noch aus den Zei-ten des Dritten Reiches. Nachdem der Tag heute ziemlich verregnet oder von Regenschauern geprägt war, dachte ich, viele Flüchtlinge würden ins Café kommen. Fehlanzeige, denn die Son-ne kam durch und wer konnte, ver-suchte wohl, der tristen Umgebung zu entfliehen. Ich sah zunächst nur zwei junge Män-ner im Café sitzen. Gehe ich auf sie zu oder nicht? In diesem Moment fühlte ich mich sehr unsicher, als Eindringling in ihre Welt und ich fragte mich, ob sie es überhaupt wollten, dass sich ein Fremder zu ihnen setzt??? Wie fühlt man sich da als Bewohner?! Muss man immer dankbar sein, wenn sich über-haupt jemand einem zuwendet, ob-wohl man es vielleicht eigentlich gar nicht möchte, aber man duldet es aus Höflichkeit? Für einen Augenblick be-fand ich mich in einer Achterbahn der Gefühle. Dann dachte ich mir: „Blöde Kuh, stell dich nicht so an, du gehst einfach auf den jungen Männern zu und wenn du spürst, dass sie lieber un-ter sich sind, ziehst du dich freundlich zurück.“ Also dann, tief Luft holen und auf geht's: Ich habe mich einfach vor-gestellt als Neuling, Azad und Salam stellten sich ebenfalls vor und so lang-sam entwickelte sich ein Gespräch.... Das Heimcafé blieb ziemlich leer; kein Wunder, denn alle versammelten sich, ohne das wir es mitbekommen haben, vor dem Haus, auf den Treppen: Kin-der spielten, Mütter mit ihrem Baby gingen an die frische Luft, mehr und mehr Bewohner gesellten sich hinzu.Draußen , dort auf den Treppen vor dem Sportplatz saßen im Nu bunt ge-mischt Deutsche und Flüchtlinge, die-jenigen die im Heimcafé „bewirten“, schleppten alles Nötige nach unten. Ich sah da junge Menschen, auch mit grell gefärbten Haaren, die alles mit viel Herzlichkeit und Engagement ma-

chen, spürte wie sehr sie beliebt sind bei den Bewohnern, alle auch kennen und ihnen somit ein Gefühl des Will-kommens vermitteln.Da saßen wir also, der Azad, der Sa-lam und ich, wir erzählten uns vieles, über das Land, unsere Familien, und die Zeit verging wie im Flug. Später kam Didar dazu, auch ein Iraker, auch er ein freundlicher junger Mann. Dar-aufhin erzählten sie mir alle offen über ihre Eltern, ihre Geschwister, wie sehr sie sich nach ihnen allen sehnen, wie ihre Eltern weinen, weil sie nicht mehr da sind und wie sie die 40 Euro, die sie monatlich bekommen, am liebsten in-vestieren in Anrufe nach Hause. Und ich sitze da als Mutter von vier gesunden Kindern, die ich jederzeit sehen kann und schäme mich dafür, dass wir alles als selbstverständlich

unsere Kinder irgendwo in der Frem-de wären, ohne Möglichkeit, uns zu verständigen oder nur zensiert, oder überhaupt nicht. Wenn wir damit zu-recht kommen müssten, unsere Kin-der leiden, wir leiden, und womöglich sehen wir uns nie wieder. Ich könnte heulen.............Wir haben uns so einiges überlegt, was wir machen könnten, wir als Fami-lie, wir als Flyeralarm-Familie, wie wir den Bewohnern der GU das Leben als lebenswert gestalten könnten, damit sie nicht versinken in der Aussichts-losigkeit, sondern spüren, dass sie zu uns gehören und nicht als Aussät-zige behandelt werden. Aber Gutes braucht seine Zeit, nicht alles geht auf einmal,der heutigen Abend war ein erster Schritt auf einem hoffentlich guten Weg des Respekts, des Ver-

betrachten und anderen nichts gön-nen.Azad und Didar, ich habe euch gleich als Söhne ins Herz geschlossen, viel-leicht dürfen mein Mann und ich euch in Zukunft begleiten, unterstützen und auch andere Bewohner, ältere Flüchtlinge, Familien, die die wahn-sinnig schmerzhafte, unerträgliche Erfahrung machen müssen, im immer noch im Vergleich so reichen „gelob-ten Land“ nicht willkommen zu sein. Als ich dann schließlich heute Abend nach Hause kam, haben der Eugen und ich uns lange unterhalten über euer Schicksal und stellten uns auch mal vor, wie es wäre, wenn unsere Kinder fliehen müssten aufgrund ei-ner politisch bedrohlichen Lage,wie wir uns fühlen würden, wenn wir oder

ständnisses und vor allem auf einem Weg der Anerkennung, des Mensch-seins, des Miteinanders, ein Schritt auf dem Wege der Hoffnung miteinander, füreinander.... Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Mütter und Väter un-ter uns, arbeiten wir doch zusammen mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus vielen anderen Ländern: Gerade WIR sollten es doch schaffen, unsere Mitmenschen „um die Ecke“, denen es nicht so gut geht, zu unterstützen, mit unserer Vielfalt an Sprachen, Traditio-nen und Verständnis für alle Kulturen! Packen wir es doch gemeinsam an, miteinander, füreinander!

Irene KernFlyeralarm GmbH Würzburg

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Exhausted sound

Part 6

I sat outside in the evening watching the sunset endlessly. Amazing red, yellow, pink and shadow colors re-flected in the atmosphere and going down to earth at the same time. Ex-cept those refugee children who were playing around, there was not a single barrier between the sun and me. As a refugee in this country, not knowing of anybody outside and with no other options to go out, I love sitting outside mostly in the evening to see refugees how they finish their day. It is always a routine life living in a refugee camp, young refugees playing football in a rough ground field, women and some men walking inside the camp; some people are riding bicycle, children are playing the same game every day etc. As all of you know, August is the month of holidays for most of the Germans. During this time people can do what they want including visiting some other countries, maybe even their fa-milies and friends.I am wondering what would be refu-gee children telling their teachers and friends in school about their holidays? Please, you teachers, don’t push them to explain about their holidays. I can tell you on behalf of them. It is short and simple. In every camp in this country there are a lot of children who have no choice but living together in this compound accommodation filled up with challen-ges and lack of everything. I asked tho-se children from my country, how was playing? They told me: “It is boring. We have nothing to play with, we cannot get out of this camp, no swimming, no holiday program like our classmates. We cannot even invite them to visit us. Nothing at all!” They play the same

exhausted game for more than six weeks of the summer holidays. I saw them running around in the morning, riding bicycle in the afternoon, that is all. Is it the same for German children too? Only the lucky ones amongst tho-se refugee children have got German friends and they can go to the city to visit some places. If children, however, don’t feel encouraged and supported at all, how do you expect them to be interested, active and attentive in class? Of course being a child, it is very easy to adapt to any system of a coun-try if they get the chance.

Frankly speaking, it is not only the children who have lost their home and friends in school but also parents are suffering a lot. They start to realize, they cannot provide support and sa-fety to their children. They don’t have any job, money, income and friends; unable to communicate with the lo-cal people they are in a dependent, weak position like being a small child themselves. And their children at least, by going to Kindergarten or having school education are moving forward in a sense while their parents are left behind. What a challenge for the fa-mily! At this point, one of the biggest worries and questions of refugees is what will be our future?

The United Nations High Commissi-oner on Refugees (UNHCR) uses the words of Euripides, 431 b.C., to de-scribe the state of being a refugee or asylum-seeker: “There is no greater sorrow on earth than the loss of one's

native land.” Refugees experience fear and uncertainty which is related to their individual asylum case. In ad-dition it is not easy to leave behind country, family and friends for years. For instance, if a family member pas-ses away in their home country, there is no chance to be part of the funeral ceremony. If there is happiness in the family like marriage, no chance to attend the ceremony or if a refugee yearns his/her family, no chance to vi-sit them unless there is a government change or end of conflicts, or in case a miracle has happened. In addition to this in the host country the refugees are far from integration with the local population.

Most people think refugees in Europe are living a nice comfortable life. No, no, this is not the reality! We are ea-ting the same food and just sleeping for years. There is no privacy in a room of four, five people living together with different culture, religion and behavior. That probably makes them aggressive and it is one source of con-flict between them. In the process of fleeing the country, many people have lost all they had in the society they left behind. Many of them came here with their qualifications. Many of them face a cultural shock and don’t have the of-fer to integrate with the local peop-le. The all are hoping and waiting for tomorrow’s bright sunrise of a human and independent life.

Isaa Yakubu

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1110 / 2011

Stimme der

ErschöpfungTeil 6

Ich saß draußen und schaute endlos der untergehenden Sonne nach. Ein unbeschreibliches Rot, Gelb, Rosa und viele Schattentöne – das wunderbare Spiel der Farben füllte den Horizont aus und ergoss sich gleichzeitig auf die Erde. Abgesehen von den spielenden Flüchtlingskindern steht nichts zwi-schen der Sonne und mir. Als Flücht-ling in diesem Land, der niemanden da draußen kennt und keine Möglichkeit hat, dies zu ändern oder weg zu kom-men von diesem Lager , liebe ich es, draußen zu sitzen, vor allem abends, und den anderen Flüchtlingen zuzu-schauen, wie sie ihren Tag zu Ende bringen. Der Tagesablauf ist immer gleich hier. Da spielen junge Flüchtlin-ge Fußball auf dem holprigen Unter-grund, einige Frauen und Männer sind unterwegs auf dem Gelände, manche auch mit dem Fahrrad, Kinder spielen die immer gleichen Spiele.Es sind Sommerferien. Viele Bürger sind verreist, der Ort wirkt wie ausge-storben. Es ist die Zeit, um andere Ge-genden und Länder zu bereisen und zu erkunden, Familie und Freunde zu be-suchen. Ich frage mich, was wird wohl ein Flüchtlingskind nach den Ferien in der Schule den Mitschülern und dem Lehrer zu erzählen haben über seine Ferienerlebnisse? Wird es sich stumm abwenden und ganz klein machen, wenn ein Schüler nach dem anderen von seinen schönsten Urlaubstagen berichtet? Ich bitte euch, ihr Lehrer, fragt diese Kinder besser nicht! Ich kann euch an ihrer Stelle die Antwort geben; sie ist kurz und einfach. In je-dem Lager in diesem Land leben Kin-der so, sie haben keine andere Wahl als diese abgeschlossene Welt mit ihren vielen Herausforderungen und Man-gel an allem. Ich fragte dort die Kinder aus meinem Land, wie sind für euch die Ferientage? „Sie sind langweilig“,

antworteten sie mir. „Wir haben nichts zum Spielen, wir können nicht raus aus dem Lager, nicht ins Schwimm-bad, nicht in die Kinderfreizeit wie un-sere Klassenkameraden. Wir können auch keinen von ihnen zum Spielen einladen. Gar nichts!“ Sie spielen das gleiche dröge Spiel die ganzen sechs Ferienwochen lang. Ich sah sie schon heute morgen herumlaufen , nachmit-tags einfach Runden drehen auf dem Fahrrad im Gelände, das war's. Sehen die Ferien der deutschen Kinder auch so aus? Nur die Glücklichen unter den Flüchtlingskindern haben Freunde draußen und die Möglichkeit, aus dem Lager herauszukommen und neue Eindrücke zu sammeln. Wenn Kinder aber keine Anregung bekommen, wie können sie dann gute Leistungen in der Schule bringen, motiviert sein und sich aktiv einbringen? Und dabei ist es doch gerade für Kinder so einfach, an-zukommen in der neuen Umgebung des Gastlandes und sich dort heimisch zu fühlen, wenn sie die Chance dazu bekommen. Um ehrlich zu sein, nicht nur die Flücht-lingskinder haben ihr altes Zuhause verloren und ihre Schulfreunde, auch ihre Eltern leiden.Sie müssen erken-nen, sie sind hier nicht mehr der siche-re Hafen für ihre Kinder, die Instanz, die alles im Griff hat und regelt. Sie haben keine Arbeit, kein Einkommen, keine Freunde; sie können sich nicht verständigen mit den Einheimischen, sie sind selbst schwach und abhängig wie kleine Kinder. Und während ihre Kinder durch Kindergarten und Schu-le Schritt für Schritt vorankommen, bleiben die Eltern immer mehr zurück. Was für eine Herausforderung für die Familie! Es kreist alles um die bange Frage: Wie soll da unsere Zukunft aus-sehen?

Der Hochkommissar für Menschen-rechte der Vereinten Nationen (UNH-CR) greift auf die Worte von Euripides zurück ( 431 v.Chr.), um zu beschrei-ben, was es bedeutet, Flüchtling oder Asylsuchender zu sein: „Es gibt keinen größeren Kummer auf Erden, als sei-ne Heimat zu verlieren.“ Flüchtlinge erfahren mehr als genug Angst und Ungewissheit in ihrem Asylverfahren. Und sie leiden unter der Trennung von ihren Familien zu Hause. Sie können nicht Abschied nehmen von ihren Ver-storbenen in der Heimat und an der Beerdigung teilnehmen. Bei freudi-gen Anlässen wie Hochzeiten sind sie weit weg, ausgeschlossen und einsam. auch dann, wenn sie sich einfach nur nach der Nähe ihrer Liebsten sehnen. Keine Chance auf ein Wiedersehen mit der Familie, außer bei Regierungs-wechsel, Ende der Konflikte daheim

– oder einfach durch ein Wunder. Dar-über hinaus sind die Flüchtlinge auch im Gastland weit entfernt von einer Integration.Die meisten Einheimischen hier den-ken wohl immer noch, die Flüchtlinge in Europa haben ein schönes, beque-mes Leben. Nein, nein, das ist nicht wahr! Sie bekommen jahrelang ein immer gleiches Essen zugeteilt und können nur schlafen und nichts tun. Es gibt keine Privatsphäre in einem Raum mit vier, fünf Insassen unter-schiedlicher Kultur, Religion und persönlicher Vorlieben. Viele kamen als qualifizierte Menschen in dieses Land. Viele erlitten und erleiden hier einen Kulturschock und haben keine Chance auf Integration in diese Gesell-schaft. Sie alle hoffen und warten auf die Morgenröte eines würdigen und selbstständigen Lebens.

Isaa YakubuÜbersetzung: elos

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12 [email protected]

Der Stadtjugendring hatte das Ziel, Vereine auch für diese Kinder niedrig-schwellig zugänglich zu machen. 25 Kinder konnten in das Vereinsleben

„reinschnuppern“ und einen schönen Tag mit Spaß und Action verbringen. Auf der anderen Seite hatten die Ver-eine die Möglichkeit, neue Kinder zu gewinnen und in Kontakt mit Kindern von Asylbewerber zu kommen, sowie die Situation vor Ort kennen zu lernen.Der Tanzclub Rot-Gold hatte sich einen besonderen Tanz ausgedacht, der in kurzer Zeit zu einer modernen coolen Musik einstudiert werden konnte. Die

„Mädels“ wie „Jungs“ machten sehr gut mit und ließen im Rhythmus der Musik das Tanzbein schwingen.Die Evangelische Jugend brachte Kleinspielgeräte mit und hatte krea-tive Spiele vorbereitet. Zum Beispiel gab es Sackhüpfen, Jonglierteller, Stelzen, Fallschirm und vieles mehr. Mit lustigen Turnieren und Geschick-lichkeitsspielen konnten sie die Kinder erfreuen.Keichu Do Karate war bei dem TSV Grombühl angesagt. Auch hier war Konzentration gefragt, denn bei die-ser Kampfkunst geht es nicht darum, die Muskeln spielen zu lassen. Den Kindern wurden verschiedene Kara-tetechniken gezeigt und wie sie ihre Kraft gezielt einsetzen können.Auch ein Wolkenbruch konnte dem

Ferienspaß in der Gemeinschaftsunterkunft

für Asylbewerber

Spaß keinen Abbruch tun. Ausgepo-wert trafen sich alle am Ende in einer Abschlussrunde. In einem kleinen Re-flexionsspiel sollten sich die Kinder zu dem Tag äußern bzw. ihren Spaßfak-tor demonstrieren. Allen Kindern hat-te es eine Menge Spaß gemacht und ein mutiger Junge traute sich sogar ein bisschen Kritik zu äußern: „Der Tag hat mir sehr gut gefallen, aber es war auch ganz schön anstrengend.“

„Es ist schön, Kinder mit leuchtenden Augen zu sehen, sie aus ihrem Alltag zu reißen und schöne und spannende Stunden mit ihnen zu verbringen“ so die pädagogische Mitarbeiterin des Stadtjugendrings, Swetlana Losowski.

„Es war auf alle Fälle ein großer Erfolg für alle Seiten. Die Kinder und auch die Jugendleiter konnten viel mitnehmen und hatten gemeinsam Spaß. Wir als Dachorganisation konnten ein Stück interkulturelle Öffnung in der Würz-burger Jugendarbeit vorantreiben.“

Frida Tshilomba

Weitere Informationen über Aktionen und zu den Integrationsprojekten kön-nen jederzeit beim Stadtjugendring angefragt werfen. Kontakt:

Tel. 0931-7800 7800 oder [email protected]

Der Stadtjugendring Würzburg veranstaltete im Rahmen seines Integrationsprojekts „Kulterbunt“ mit drei Jugendvereinen eine Ferienaktion für die Kinder der Gemeinschaftsunterkunft für Asyl-bewerber. Mit von der Partie war der Tanzclub Rot-Gold, die Evan-gelische Jugend und der TSV Grombühl. Das Ganze fand auf dem Gelände der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber statt.

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1310 / 2011

Flüchtlingskonferenz in BerlinVom 13. bis 16. Juli 2011 fand auf Ein-ladung der Partei „DieLinke“ eine Flüchtlingskonferenz in Berlin statt. An der vom Bayerischen Flüchtlings-rat organisierten Fahrt nahmen viele Flüchtlinge aus Bayern teil. Auch ich folgte dieser Einladung und verbrach-te einige spannende und ereignisrei-che Tage in Berlin.Zunächst wählten die Flüchtlinge, die aus unterschiedlichen Lagern gekom-men waren, einige Vertreter aus, die beauftragt wurden, bei den anstehen-den Gesprächen mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages und anderen Politikern die Interessen der Flücht-linge zu vertreten und deren Anliegen vorzutragen. Obwohl alle Fraktionen des Bundestages eingeladen waren, fanden sich, von einer Ausnahme ab-gesehen, nur Mitglieder der Partei

„DieLinke“ ein. Zu den Kernforderungen der Flücht-linge gehörten ein schneller Zugang zu Deutschkursen und zu gesell-schaftlicher Integration wie auch die

Gewährung einer Arbeitserlaubnis und persönlicher Bewegungsfreiheit. Abschaffung der Essenspakete und Eigenverantwortung für persönlichen Bedarf und Ernährung gehörten eben-falls zu den wesentlichen Punkten. Darüber hinaus forderten die Dele-gierten stellvertretend für tausende von Flüchtlingen die Abschaffung des Asylbewerber-Leistungsgesetzes. Dies befürworteten auch die anwe-senden Mitglieder der Partei „DieLin-ke“, Ulla Jelpke MdB, Kornelia Möl-ler MdB, Niklas Schrader, Hakan Tas und von Bündnis90/DieGrünen Josef Winkler MdB. Sie sicherten zu, sich sowohl auf der Bundes- als auch auf Landesebene für eine Verbesserung der Flüchtlings- und Asylpolitik einzu-setzen und zeigten sich allgemein sehr offen für die vorgetragenen Anliegen der Flüchtlinge. Diese hießen sie nicht nur willkommen, sondern zollten ih-nen Anerkennung für ihr Engagement und ihren Einsatz für die Rechte der Flüchtlinge und Asylbewerber. Auch

die guten Kenntnisse der deutschen Sprache trotz mangelnder Möglichkei-ten von Sprachkursen fanden Lob und Wertschätzung.Zum Programm des Treffens gehörte auch das Kennenlernen des Reichs-tagsgebäudes als Sitz des Deutschen Bundestages. Dies beeindruckte uns Flüchtlinge sehr, nicht nur die einzig-artige Architektur, sondern auch der herrliche Blick über das „grüne“ Berlin.

Auch mit Vertretern des Bundesmi-nisteriums für Arbeit und Soziales war eine Begegnung vereinbart. Dort be-grüßten uns die Referenten Dr. Felix Schadendorf sowie Rene Jaruzalski. Viele wesentliche Anliegen und Prob-leme wie am Vortag wurden vorgetra-gen und erörtert wie Arbeitserlaubnis, individuelle Bewegungsfreiheit, Miss-stände in der Unterbringung, Proble-matik des Asylverfahrens usw.. Von Herrn Dr. Schadendorf wurden wir verabschiedet mit dem Satz:“Ich wün-sche Ihnen, also den Leuten, die schon lange da sind, ein halbwegs gutes Le-ben.“Diese Flüchtlingskonferenz bot nicht nur eine wichtige Möglichkeit, in di-rektem Kontakt und im Austausch mit unterschiedlichen Politikern die bren-nenden Anliegen der Flüchtlinge vor-zubringen, sondern es war auch eine Gelegenheit, Freude an der Gemein-schaft zu haben und Berlin kennenzu-lernen. Besonders für uns Flüchtlinge, die oftmals lange Zeit ihres Lebens nichts anderes sehen als Flüchtlingsla-ger und keine Zugang zu den Sehens-würdigkeiten und den Schönheiten Deutschlands haben, war dies ein ein-maliges Erlebnis. Mit der Busrundfahrt die beeindruckenden Sehenswürdig-keiten der Hauptstadt zu erleben, die fröhlichen Stunden in Restaurants und Cafés, die Bootsrundfahrt, die Besich-tigung der historischen Plätze entlang der früheren Zonengrenze und vieles mehr: all das waren einzigartige Er-fahrungen und Einblicke für uns, die wir niemals vergessen werden.

Abay Kiros

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14 [email protected]@heimfocus.net14 [email protected]

Ich habe eine Frau getroffen, zufällig. Sie hat sich sehr für mich interessiert. Sie wollte wissen, woher ich komme und wo ich lebe. Ich habe gedacht, ich lade sie zu mir ein. Aber ich hat-te Angst, dass sie enttäuscht ist und nichts mehr mit mir zu tun haben will, weil ich im Asylheim lebe.Gabi ist Künstlerin. Sie ist eine inter-essante und gute Frau. Sie hat mich kennen gelernt und hat uns in der Gemeinschaftsunterkunft für Asyl-bewerber besucht. Meine Mutter, meine Tante und mich. Für Gabi war unser Haus nicht wichtig, aber es hat ihr weh getan zu sehen, wie wir leben. Jeden Tag sind wir von Stacheldraht umgeben und fühlen uns wie im Ge-fängnis. Oft dachte ich, ich bin nichts

wert, weil ich hinter diesem Stachel-draht lebe. Die deutschen Menschen denken, ich bin eine Kriminelle oder ich brauche Mitleid. Ich habe Men-schen kennen gelernt, die mein Zu-hause ein „Loch“ genannt haben.Ende 2009 hat die Regierung von Un-terfranken endlich wenigstens einen Teil des Stacheldrahtes durch einen anderen Zaun ersetzt.Gabi hatte dann die Idee, aus dem Stacheldraht eine künstlerische Ar-beit zu machen. Ihr wurde der Draht überlassen, und sie hat daraus einen Raum gebaut. Dieser Raum hat vier Zaunpfosten aus Stahl und ist um-schlossen von Stacheldraht. 3m x 4m groß und 2.80m hoch.In München am Stachus im alten botanischen Garten gibt es ein gro-

ßes Gebäude, den Kunstpavillon. Vom 12.Mai bis 12.Juni 2011 fand hier die Ausstellung „Krieg im Frieden“ statt.23 ausgewählte Künstler aus ganz Deutschland nah-men daran teil. Es gab Gemälde, Skulp-turen, Zeichnungen und Installationen zu sehen. Auch der Stacheldrahtraum, dem Gabi Weinkauf den Titel „GEMEIN-SC H A F T SU N T E R-

KUNFT“ gab, wurde dort ausge-stellt.Ich habe mir die Ausstellung zur Eröffnung angesehen. Und zuerst dachte ich, wie kann eine Frau das machen? Dieses Kunstwerk „Ge-meinschaftsunterkunft“ sieht so massiv und gefährlich aus. Ich habe mich an die 3½ Jahre erinnert, die ich hinter diesem Zaun verbracht habe. Ich denke, die Seelen und die Gefühle sind darin eingeschlossen, für alle. Dieser Stacheldrahtraum erzählt genau diese Geschichte von Isolation und Gefangensein in der freiheitlichen deutschen Demokra-tie, wie ich sie erlebt habe.Inzwischen lebe ich in einer kleinen Wohnung in Würzburg. Doch trotz eines, wenn auch vorerst zeitlich limitierten, „Passes“ fühle ich mich oft nicht frei und sehr allein. Ich wünsche mir Freunde, mit de-nen ich in meinem neuen Leben glücklich sein kann und ich möchte gebraucht werden. Ich beginne eine Ausbildung zur Krankenschwester und hoffe, dass ich dann in die Ge-sellschaft aufgenommen werde.Ich möchte dazu gehören. Alle Menschen sind gleich.

Mane Hovhannisyan

„KRIEG IM FRIEDEN“

Eine Kunstausstellung in München, in der es auch um Asylpolitik geht

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Mein Weg nach Würzburg führt mich an der Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Asylbewerber vorbei. Schon immer fand ich die Umzäunung mit dem Stacheldraht für die Frauen, Männer und Familien, die dort leben

,unpassend und Angst einflößend. Aber ich tat nichts dagegen.2009 lernte ich Mane Hovhannisyan kennen. Sie lebte schon zwei Jahre in der GU. Oft unterhielten wir uns über die kasernenartige Situation, mit der die hier lebenden Menschen konfrontiert sind. Als ich durch die Medien vom Abbau des Stacheldrahtzauns erfuhr, kam mir die Idee für meine Installation. Um auf unser Handeln, bzw. Nicht-handeln aufmerksam zu machen, wollte ich einen Raum schaffen, der genauso unpassend und Angst ein-flößend wirkt. Nach einer Anfrage bei der Regierung von Unterfranken überließ man mir den Stacheldraht. Mane stellte den Kontakt zu anderen Asylbewerbern her, die ich in einem Video über die Situation befragte.Die Installation „Gemeinschaftsun-terkunft“ besteht aus vier 280cm hohen Stahlpfosten, die unten und oben mit Stahlwinkeln verbunden sind. Der Raum misst 400cm x 300cm und ist im Abstand von jeweils 15cm mit Stacheldraht umgeben. Das „Ge-meinschaftsunterkunft- Video“ ist auf dem Bildschirm eines Fernseh-gerätes zu sehen und kann neben dem Stacheldraht-Raum gezeigt

werden. Die beiden Arbeiten bezie-hen sich aufeinander, sind aber jede für sich eigenständig.Die Frage an mich, wie ich auf eine so politische Arbeit komme, ist ganz einfach, denn die Antwort ist eine ganz Menschliche:Wir leben in einem freien, demokra-tischen Land. Welche Gefühle ent-stehen, wenn Asylbewerber, nach oftmals traumatischen Erlebnissen, in ein fremdes Land kommen, des-sen Kultur ihnen fremd ist, dessen Sprache sie erst lernen und dessen Bürokratie sie erst begreifen müs-

eine Installation aus Stahl und Stacheldraht

GEMEINSCHAFTSUNTERKUNFT

sen und umgeben sind von Sta-cheldraht, wie in einem Gefängnis? Wir sollten sensibler mit Menschen umgehen, die auf Grund politischer Verfolgung oder Flucht vor Krieg nach Deutschland kommen.20 Jahre hat es gedauert, bis der Stacheldraht endlich zumindest teilweise abgebaut und durch einen normalen Zaun ersetzt wurde.Eine kleine Geste, für die Freiheit.

Gabi Weinkauf

www.gabi-weinkauf.de

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16 [email protected]

SprichwörterSprichwörter, die sowohl in Afghanistan als auch in Deutschland identisch sindSprichwörter sind ein wichtiger Teil jeder Gesellschaft, Kul-tur und Sprache. Sie spiegeln die Weisheit und die Traditio-nen, den Reichtum eines Volkes wider. Sprichwörter öffnen einem Türen und erlauben, die Bevölkerung eines Landes besser kennen zu lernen.Die Sprichwörter sind ein untrennbarer Teil auch unserer Kultur und werden oft in der täglichen Kommunikation verwendet. Somit wird das Gesagte klarer und deutlicher erklärt. Viele Sprichwörter stammen aus Gedichten der Dari- (Farsi)- Sprache. Und was erstaunlich ist: Fast jedes Mal, wenn ich ein Sprich-wort in Deutsch höre oder lese, fällt es mir auf, dass es mir bekannt ist. Aus diesem Grund liste ich einige dieser Sprich-wörter auf. Manche sind tatsächlich in beiden Sprachen identisch, andere weniger.

تادوست یک دشمن زیاد ١٠٠ کم

„Alle Dinge sind gut, wenn sie neu sind, aber alte Freunde sind wertvoll“

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Living in a foreign country is always a challenge, partly be-cause human beings are naturally resistant to change. Both foreigners and locals tend to be overly sensitive about the behaviour of the other. Under such a prejudiced relations-hip, it is quite common to have small incidents being blown out of proportion, thereby ending up in serious confronta-tions, complaints, dissatisfactions, and sometimes physi-cal/body injuries to either party. In most cases, it is however the foreigners who suffer more. This is mainly contributed by their minority, and thus less support structures and ins-titutions. The situation becomes worse when the problem is systemic.Actually, you don’t have to be a refugee to encounter stran-ge things from the locals. Any foreigner, especially those who can be easily identified by the colour of their skin and accent, face some form of discrimination. Being a black man hiding my foreigner identity (which I would never try to do anyway!) has certainly been impossible. My overt foreigner look has exposed me to some incidents which have given me the ‘opportunity’ to clear some of my doubts about the lurking negative attitude towards foreigners. From my experience living in a foreign country, I have had some le-arning points. My objective observation of several events tells me that in every society there are extremists, that is, there are both extremely very nice people and extremely very unfriendly people. Fortunately, I consider myself very lucky because – overall, my life in Germany has been quite rewarding, as I have always been surrounded by very nice individuals, probably extremely very nice people! Another reason could also be that I have had to sacrifice some things in order not to fall victim of the ingrained prejudice from the locals and the entire system.I will share with you some saddening (but also laughable!) incidents that I have quite commonly faced and which keep reminding me that despite being gifted with extremely very nice people around me and not being in a precarious refugee situation some section of the society still does not regard me as a normal human being – an inferior creature to be precise! I will present each incident very briefly and in a separate bullet point.

• All blacks are stowaways from Africa and pro-bably all are from Somalia!

Unfortunately, for some time now Somalia and a few other countries in a 54-country African continent have been facing political instability, and Somalia is currently hard hit by famine. To my surprise, some of people who

Blacks cannot hide their foreigner identity, but do

they need to anyway?know me by colour (black) and that I come from ‘some’ country (x) in Africa have been writing emails expres-sing their (heartfelt!) sorrows for the famine in Africa (the country-Africa!). To me, this sounds very similar to someone expressing their heartfelt sorrows to a Polish friend for the recent street violence in London, simply because London is in Europe! This has indeed been dis-turbing me a lot, not because I do not want to be a So-mali, but because it is a fact that I am not from Somalia at all, just like a German is not from Poland or Britain! I am however indeed very sorry for the victims in Soma-lia and London streets, but I am not from Somalia just like I am not from the UK, or the USA or South Africa! Africa is too large a continent with a diversity of culture to just be simplified into one poor country!

• I am very sorry for accidently stepping on your toe, but I am not if you are black!

In one recent incident I was just stepping out of a public transport bus. In front of me there was a well dressed old lady, also stepping out of the bus. I had to wait for her to go first (good manners … and ladies first!). She was so keen minding her step, and so she had not seen me that I was just behind her and for sure she had no idea how much respect I had for her, mainly due to her age and her cute dressing. Indeed she looked just like my own granny! After she stepped outside for some reasons she suddenly changed her mind and decided to step back onto the bus. She made such a quick turn that she accidentally collided with me – or just to be fair she accidentally hit me! A reflex action instructed her to profusely apologise to me, but till then she had not set her eyes on me, and so she did not know which colour I was. A reflex action also forced some sorry words from my mouth, knowing that the old lady was probably hurt or that she could have probably needed some re-ironing of her dress after bumping onto me! To my shock, when she heard my foreigner’s accent for Entschuldigung (Enshuligung’u) and finally saw my black face she sud-denly replaced her apologetic words with some insul-ting words and gesture! I felt so small, so insignificant, so foreigner, so helpless, and so black!

• Beware with ‘new friends’, they may not be re-garding you as a friend at all!

The society in which I was raised is so different to this

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one when it comes to treating people you have met be-fore when you meet again in street. My experience in Germany has been very different. It is indeed very dif-ficult making a friend in Germany. From my discussions with some well travelled German friends, I have learnt some things. That Germans, especially those with little international exposure are generally cold people. They regard people from less developed countries as depen-dent, demanding, dishonest, not critical thinkers, etc! This has made me always cautious when dealing with some people, especially those whom I only know for a short time. It is quite common, but still strange to me, to see someone you know turning his eyes/face away from yours when you unexpectedly meet in a street. What always comes to my mind when I meet such peo-ple is that they do that so that they are either seen not to have seen me, or they just do not want to be seen by their colleagues greeting a miserable foreigner!

• Do not shop the same stuff with blacks!

When I go shopping or just window-shopping I am quite sure of repelling some non-black people in some sec-

tions I visit in the supermarket. Normally, when a black guy moves towards a discount/sale section in a super-market, locals suddenly become uncomfortable and leave the section immediately. When such a thing hap-pens, two things come to my mind: Either the non-black doesn’t want to be seen by a black shopping cheap stuff, creating an impression to me that such stuff were me-ant for poor blacks, or that the non-black feels that their security and safety were threatened by being close to a black!

I hope some of you may also have come across one of these situations, if not then don’t panic when you experience it one day. On the other hand, if you are the one doing these things to blacks, I hope you now understand how you might be hurting people, probably unintentionally. I only decided to share this experience with everyone just as my contri-bution to making our world a better place for all, irrespec-tive of our differences in the colour of our skin, countries of our origin, our languages etc. I strongly urge you to do your best part, and the rest will surely be done by others!

Moses Black!

Heimfocus - AktionsstandFreitag, 9. Dezember 2011 10.00 – 18.00Samstag, 10. Dezember 2011 10.00 – 15.00

Stadtbücherei im Falkenhaus Marktplatz Würzburg

Besuchen Sie uns.Diskutieren Sie mit uns.Herzlich willkommen!

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1910 / 2011 1910 / 2011

One race ... human!Das Afrika Festival in Aschaffenburg

Eine Rasse...Mensch! Ein starkes Mot-to, das sich die Macher des Aschaf-fenburger Afrika Festivals ausgedacht haben. Bereits zum 13. Mal fand vom 12. bis 15. August 2011 das bunte Kul-turfest auf den Mainwiesen gegenüber dem Schloss statt. Eine Rasse...Mensch: ein hoher An-spruch. Allein diese Aussage könnte der Startschuss zu einem anregenden Begleitprogramm sein, als Ergänzung zu dem exotischen und heiteren Flair, die allen Festivals dieser Art zu Recht eigen ist und das ihre Anziehungskraft ausmacht. Es wäre kein Widerspruch, sondern ein interessantes Angebot, um dem eigenen Leitmotiv Taten fol-gen zu lassen. Aber so differenziert will man es wohl doch nicht.

Immerhin: Einen alternati-ven Lichtblick bot das groß-räumige weiße Zelt des

„Afrika Freundeskreises Aschaffenburg e.V.“ (www.afka-ab.de) mit Infotafeln, vielseitigen Vorträgen, Dis-kussionen und Begegnun-gen von Mensch zu Mensch. Engagierte Afrikaner und Deutsche arbeiten dort Hand in Hand. Wir hörten gebannt der lebhaften Le-sung der Berliner Antirassis-mus-Trainerin Manuela Ritz zu, die in dem Buch „Die Farbe meiner Haut“ ihre

mitunter absurden, schmerzlichen wie auch skurrilen Erfahrungen als farbige Deutsche zusammenfasst. Im vollbe-setzten Zelt reichten die Reaktionen von ungläubigem Kopfschütteln bis hin zu heiterem Schmunzeln. Schade nur, dass auch dieses Festival für Flüchtlinge aus der großen Ge-meinschaftsunterkunft in Aschaffen-burg unerschwinglich war. 25€ Eintritt am Freitag und Samstag und 10€ am Sonntag, von 40€ Taschengeld im Monat unbezahlbar. Anfrage an die Organisatoren, allen Flüchtlingen frei-en Eintritt zu gestatten als Zeichen der Solidarität, blieb ohne Antwort. Vielleicht nächstes Jahr? One race...human!

Eva Peteler

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20 [email protected]

Dog

human? or

Part 6

I am neither psychologist nor medical doctor, rather a refugee who has lived in a camp in Bayern for years without hope, option, chance or future. Even though some officials treat me as inhu-man and put me in the “third class” of the society even below dogs, I can at least express my feelings with words. Ohh, God! What a stressful year! No, no, years…When I always wake up from sleep I am worrying about me and my fami-ly. I am not talking about the stress of work, studying, running some busi-ness or something else! No, no, that is not the reality. Let me ask you a question, especially those German re-fugees who fled from their homeland to a host country during the First and Second World War. What were you telling your family back home about your refugee situation? Did you tell them the reality? I hope you did. In my case, it is the other way round. Give me some advice what can I tell my fa-mily about my refugee situation here in Bayern? Can I tell them the reality like you did? When I contact them by any means, I am telling them stories, not the real conditions here. Because why give them additional stress and worry, it is more than enough that has happened on me. For their informati-on, everything is going well. Do you have the slightest idea how it feels to lie deliberately to those who have been your family since you were born? To those who have always sheltered and encouraged you, who were there day and night to give you advice and to love you deeply? What it means to play the role of the strong, confident son on the phone while the tears of loneliness and pain are running down your cheeks?

Is it really true what I saw about dogs on TV recently? Those professionals were reporting about the importance of dogs in Germany. It is not my pro-

fession to argue about dogs. I like dogs, you know, but can anybody explain to me how people can treat those pets like this, spending all their affection and billions of Euro on them, best food, best accommodation, all the care you can imagine including best treatment by a vet? All for the dogs – and nothing, nothing of all these benefits for refu-gees like me! In this case, help me un-derstand why German dogs are much more valuable and respected than

“third class humans” like me. The point is, who is ready to raise their voice for those “third class” human beings? Who will publicize about the real situation and conditions of refu-gees here? For me, it is not acceptab-le to treat people under dog. It is not acceptable turning faces on humans. It is not acceptable pointing out a finger and saying “those refugees…”! Some officials say, we don’t want you in this country. It is not my job to treat peop-le like you in my office. This and that is not allowed because it is a new rule decided today, the day before… For me, it is not acceptable to change ru-les which decide about human beings overnight just like dealing with bricks or potatoes. And it is not acceptable to invest all your energy and power as officials in telling refugees all the time what they are NOT allowed to do or to have or to be. Nobody except refugees experiences life being a challenge like this if you are not living in a camp. No-body except refugees understands the real situation practically. Is there any-body willing to experience the life in a refugee camp even for a month?

I don’t really know which sections of a constitution of a given country say: insult your fellow humans, push them aside as much as you can, discriminate and consider them as inhuman, don’t show them a happy face, particularly

not to foreigners and even more not to refugees, instead of respecting and granting asylum as a human right. If nothing of this is part of any consti-tution what has gone wrong then that people play like this on their fellow hu-mans?

Which one is really first, Dog or Hu-man? Is it okay for human crying when their dog has died? Who is going to cry when people are dying inside or their minds and souls get lost, only their body is still present? For me it is an un-forgettable moment when this official in Zirndorf told me like this. It is still in my mind, his body expression and vo-ice to save his time and energy for his dog instead of investing it on me, just a refugee in front of him.

If I am wrong please correct me. Let’s say for example if this official person sacrificed his time and energy for me, would his dog be emotionally deprived and sad? What about me as human, lacking those basic human rights? It is true that dogs feel joy when they know we are there, they feel sad when someone passes away. However, they do not premeditate, do not plan ahead and do not dwell in the past or future. They live for whatever is happening at the moment. What about me, howe-ver, how can I forget this experience being not a dog but a human being?

I think in every religion or belief a hu-man is of value whether they are rich or poor, tall or short, strong or weak, black or white and all deserve respect and value. This is the essence of the Bible, Quran and any constitution.

Abasi Kibwana

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2110 / 2011

Hund

Mensch?oder

Teil 6

Ich bin weder Psychologe noch Arzt, sondern einfach nur ein Flüchtling. Seit Jahren schon lebe ich in einem dieser Lager in Bayern, ohne Hoffnung, Chan-ce oder Zukunft. Einige Beamte sehen mich zwar als Mensch dritter Klasse, ja, vielleicht nicht einmal das, eigentlich noch geringer als einen Hund. Aber ich kann wenigstens meine Gefühle in Worte fassen.

Oh Gott, was für ein schreckliches Jahr! Nein, nein, Jahre.... Ich rede hier nicht über die Belastungen, die der Beruf mit sich bringt oder ein Studium oder ein eigenes Unternehmen. Nein, nein, das ist ganz und gar nicht das, was meine Wirklichkeit ist. Wissen Sie, wenn ich aufwache, mache ich mir Sorgen um meine Familie und um mich. Was mir auf der Seele brennt: Ihr deutschen Flüchtlinge, die ihr im Ersten und Zwei-ten Weltkrieg Zuflucht gefunden habt irgendwo im Ausland, was habt ihr euren Lieben daheim erzählt? Hab ihr ihnen die Wahrheit erzählen können? Ich hoffe es. In meinem Fall ist es ganz anders. Gebt mir einen Rat, was kann ich meiner Familie berichten über mein Leben als Flüchtling in Bayern? Soll ich ihnen wirklich die Wahrheit sagen? Wenn ich ihre vertrauten Stimmen am Telefon höre, erzähle ich ihnen alles andere als die Wahrheit. Warum soll ich ihnen mehr Sorgen und Kummer bereiten, ich selbst trage mehr als ge-nug davon. Nein, es geht mir gut, das erzähle ich ihnen. Können Sie sich überhaupt vorstellen, was in mir vor-geht, wenn ich die Menschen, die mir am nächsten stehen, so belügen muss? Wenn ich meinen Lieben, die für mich zu Hause der sichere Hafen, die Quelle von Rat und Unterstützung waren, seit ich denken kann, einen starken, frohen Sohn vorspielen muss, während mir vor Einsamkeit und Schmerz die Tränen die Wangen herunter laufen?

Ist das wirklich wahr, was ich neulich

in einer Fernsehsendung über Hunde gesehen habe? Einige Fachleute haben sich da über die Bedeutung von Hunden in Deutschland ausgetauscht. Ich verstehe nicht viel davon. Ich mag Hunde, wissen Sie. Aber kann mir irgend jemand er-klären, wie Menschen diese Haustiere mit soviel Liebe über-

gerufen werden, ihre Mitmenschen zu beleidigen, sie so weit wie möglich zu verstoßen, sie zu diskriminieren und nicht als Menschen zu betrachten. Wo steht es in Verfassungen geschrieben, verweigert den Mitmenschen ein of-fenes, freundliches Gesicht, besonders den Ausländern und erst recht den Flüchtlingen, anstatt Asyl als Men-schenrecht zu respektieren und zu ge-währen? Wenn nichts von alledem Teil einer Verfassung ist, was ist dann schief gelaufen, dass Bürger ihre Mitmen-schen so behandeln?

Wer steht an erster Stelle, Hund oder Mensch? Gehört es sich wirklich, dass ein Mensch bitterlich weint, wenn sein Hund stirbt, aber niemand auch nur eine Träne vergießt um Menschen, die innerlich sterben, deren Verstand und Seele sterben, während der Körper noch weiterlebt? Ich werde diesen Au-genblick niemals vergessen, als mich dieser Beamte damals in Zirndorf so angesprochen hat. Ich sehe ihn vor mir, als wäre es heute, seinen Gesichtsaus-druck, ich höre seine Stimme, als er mir sagt, er wolle seine Zeit und seine Ener-gie lieber für seinen Hund aufsparen, als sie an mich zu verschwenden, an mich als Flüchtling, der vor ihm steht mit sei-nen Fragen. Wenn ich mich irre, korri-gieren Sie mich bitte: Wenn also dieser Beamte seine Zeit und Energie für mich verwendet hätte, fühlte sich sein Hund deswegen zurückgesetzt und traurig? Und was ist mit mir als Mensch? Es stimmt wohl, dass Hunde sich freuen in Gegenwart „ihres“ Menschen und dass sie trauern, wenn sie ihn verlieren. Aber sie können nicht vorplanen, sich mit der Vergangenheit oder mit der Zukunft befassen. Sie leben im Augenblick. Ich aber bin ein Mensch, kein Hund, wie kann ich also das jemals vergessen, was mir da widerfahren ist?

In jeder Religion oder in jedem Glauben, davon bin ich überzeugt, ist der Mensch wertvoll, ob reich oder arm, groß oder klein, stark oder schwach, schwarz oder weiß; und jeder von ihnen verdient Re-spekt und Wertschätzung. Das ist das Wesen der Bibel, des Korans und einer jeden Verfassung.

Abasi Kibwana

Übersetzung: elos

schütten können, für sie bereitwillig viele Millionen Euro ausgeben für den besten Schlafplatz, das beste Futter, die beste Fürsorge einschließlich me-dizinischer Versorgung vom Feinsten? Alles für den Hund – und nichts, gar nichts davon für Flüchtlinge wie mich. Helft mir doch, das zu begreifen, wieso ein deutscher Hund soviel mehr wert ist als ein Mensch dritter Klasse wie ich.

Wer also ist bereit, für drittklassige Menschen wie uns die Stimme zu er-heben? Wer ist bereit, die Wahrheit zu schreiben und zu veröffentlichen über das Leben der Flüchtlinge hier? Nein, für mich ist es nicht akzeptabel, Men-schen schlechter zu behandeln und weniger zu achten als einen Hund. Es ist nicht akzeptabel, den Flüchtlingen den Rücken zuzukehren. Es ist nicht akzeptabel, auf sie mit dem Finger zu zeigen und zu rufen:“Diese Flüchtlin-ge...!“ Einige Beamte sagen einem ins Gesicht, wir wollen dich hier nicht. Es ist nicht mein Job, mich mit Leuten wie dir in meinem Büro abzugeben. Dies und das geht jetzt nicht, weil diese oder jene Bestimmung über Nacht geändert wurde. Für mich ist es nicht akzeptabel, Regelungen, die Menschen zutiefst be-treffen, einfach über Nacht über den Haufen zu werfen, sang- und klanglos, als handele es sich um Ziegeln oder Kartoffeln. Und es ist für mich nicht akzeptabel, als Beamter seine ganze Energie und Macht darauf zu verwen-den, den Flüchtlingen den ganzen Tag zu sagen, was ihnen NICHT erlaubt ist zu tun oder zu bekommen oder zu sein. Niemand außer den Flüchtlingen in den vielen Lagern kann sich ausmalen, was so ein Leben bedeutet. Ist jemand von Ihnen oder von den Verantwortli-chen bereit, sich der Erfahrung des La-gerlebens auch nur für einen Monat zu stellen?

Ich weiß wirklich nicht, in welchen Tei-len von Verfassungen die Bürger auf-

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„Das Gesicht ist wichtiger als das Brot“Es ist ein ganz besonderer Tag, eine Premiere – vielleicht nicht nur für Würzburg.Der junge Flüchtling Addis Mulugeta lebt seit fast zwei Jahren in Deutschland. Anfangs fühlte er sich in Würzburg fremd und unwill-kommen. Jetzt ist das anders, denn außerhalb des Lagers ist er gut angekommen, aber er kämpft immer noch um seinen dauerhaften Auf-enthalt in Deutschland. Vielleicht ist heute der Anfang für einen Neu-beginn im Umgang mit Flüchtlingen, denn Addis Mulugeta erhält den Würzburger Friedenspreis

Seine beiden Hände liegen ruhig inei-nander. Feingliedrig sind sie. Außen dunkelbraun und innen hell.Plötzlich bewegt sich eine weiße Hand auf die dunkelhäutige zu. Sie wirkt gröber und dicker. Während die wei-ße Hand, die dunkelhäutige kräftig schüttelt, ist der Händedruck der dun-kelhäutigen herzlich und weich.

Viele Besucher sind am 17. Juli 2011 ins Foyer des Mainfrankentheaters Würz-burg gekommen, um Addis Mulugeta die Hand zu schütteln, darunter auch Flüchtlinge aus verschiedenen Lagern, die diesen besonderen Tag miterleben wollten. Auch der Oberbürgermeister der Stadt Würzburg, Herr Georg Ro-senthal mit seiner Gattin sowie Ver-treter des Würzburger Stadtrates und Landtagsabgeordnete nahmen an der Veranstaltung im Theaterfoyer teil. Träger des diesjährigen Würzburger Friedenspreises ist der äthiopische Journalist aus der Gemeinschafts-unterkunft für Flüchtlinge und Asyl-bewerber in Würzburg (GU). Das Friedenspreis-Komitee zeichnet sei-nen außergewöhnlichen Einsatz für Integration und Verständigung zwi-schen Flüchtlingen und Einheimischen aus. Gelungen ist ihm das durch das Magazin "Heimfocus - Voice for refu-gees". Unter der Federführung von Ökopax e.V. verleiht das Komitee den Würzburger Friedenspreis heute zum 17. Mal. Vergeben wird er an heraus-ragende Einzelpersonen und Gruppen

aus der Region, die sich „von unten her“ für Frieden, Völkerverständigung und Bewahrung der natürlichen Le-bensgrundlagen einsetzen.

Es ist viertel vor elf. Alle Stühle sind bis auf den letzten Platz besetzt.Addis Mulugeta nimmt die letzten Glückwünsche vor Beginn der Verlei-hung entgegen, macht zwei Knöpfe seines grauen Jackets zu und setzt sich neben Eva Peteler in die erste Reihe. Sein Blick ist wach zur Bühne gerichtet. Die Verleihung beginnt. Eine eigenar-tige Anspannung liegt in der Luft.

„Ich möchte dieses Jahr besonders die Flüchtlinge herzlich willkommen heißen. Oft kommt dieses Willkom-men nicht herüber, wir aber freuen uns, dass Sie hier sind“, begrüßt An-dreas Schrappe, stellvertretend für das Friedenspreiskomitee, die Gäste.

Flüchtlinge sind in unserem Land sind eine Bereicherung. Ein Beispiel ist der diesjährige Friedenspreisträger Addis Mulugeta. „Addis, Sie haben nicht auf Leute gewartet, die auf Sie zukommen, sondern Sie haben selbst die Initiative ergriffen“, so Andreas Schrappe. Auf Addis Gesicht stiehlt sich ein stolzes Lächeln.

In diesem Jahr wird ein junger Jour-nalist ausgezeichnet, der von seiner Biografie etwas besonderes ist. Der 28-Jährige ist in Addis Ababa, der Hauptstadt Äthiopiens aufgewachsen. Er zählte nicht zu den Kindern, die zu hundert auf zwanzig Quadratmetern ihr Basiswissen erwerben. Addis konn-te Sozialwissenschaften studieren und ein Aufbautraining im Journalismus machen. Er nahm seinen Beruf ernst und tat das, was ein Journalist tun

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sollte. Der Äthiopier deck-te vom Regime geheim gehaltene Missstände auf und berichtete über sie. Die totalitäre Regierung tat das, was sie immer und überall tut, um kritische Menschen zum Schweigen zu bringen. Sie verhafteten, inhaftier-ten und folterten Addis mehrere Male. Um sein Leben zu retten, musste er aus Äthiopien fliehen und kam im November 2009 als Asylbewerber nach Zirndorf in Bayern.

„In meiner Einsamkeit dort entwickelte ich die Idee, ein Magazin ins Leben zu rufen. Es soll die Kluft zwischen den Flüchtlingen und den Einheimischen von beiden Seiten schließen. Es soll ein Umdenken bewirken vom Misstrauen und Vorurteil, hin zu Dialog und Wert-schätzung der Kulturen-Vielfalt“, sagt Addis. Das ist ihm gelungen. Heute wird er mit dem Würzburger Friedens-preis ausgezeichnet.

Oberbürgermeister Herr Georg Ro-senthal tritt auf die Bühne. „Ich kann mich an ein tolles Interview mit Ihnen für den Heimfocus erinnern. Sie berei-chern unsere Stadt“, sagt er. Es mache ihn sehr traurig, dass wir Menschen in unserem Rechtsstaat menschenun-würdig behandeln. Dringend müsse ein Umdenken stattfinden. Persönlich und politisch müsse mit Flüchtlingen anders umgegangen werden. „Lieber Addis, ich wünsche mir, Sie auf ihrem Lebensweg weiterhin zu begleiten, in-sofern es mir möglich ist.“Addis wischt sich mit Daumen und Zei-gefinger über seine Augen. Anschlie-ßend schaut er zu Eva Peteler rechts neben sich. Sie legt den Arm um sei-ne Schulter. Tief atmet der Äthiopier durch, beißt die Lippen aufeinander und sieht nach vorne.

Die Verleihung des Preises steht kurz bevor. Eva Peteler, die Herausgebe-rin des Heimfocus-Magazins, tritt auf

die Bühne, um die Laudatio zu halten. „Lieber Addis, du stehst hier stellver-tretend für all die namenlosen Flücht-linge, denen vorsätzlich die Möglich-keit versagt wird, wahrgenommen zu werden und ihr Können zu zeigen. Du gibst ihnen ein öffentliches Gesicht! Und du bist für sie ein Hoffnungsträ-ger, der uns vor Augen führt, welches Potenzial sie mitbringen und wie be-reichernd sie für uns alle wären, wenn man sie ließe und unterstützte,“ be-ginnt sie ihre Ansprache. „So ist dies nicht nur für dich, sondern für alle ein bedeutsamer Tag. Und ich wünsche dir und allen Flüchtlingen, dass es nicht bei diesem einen Tag bleibt, sondern dass du, dass sie alle endlich auf Dauer in der Mitte der Gesellschaft ankom-men, wo sie hingehören.“ Bis dahin sei es noch ein weiter Weg. Jeder Mensch sollte frei sein. Das wünscht Eva Pete-ler ihrem Sohn und allen Flüchtlingen.

„Lieber Addis", sagt sie abschließend,

“Ich wünsche dir die Freiheit, die du brauchst, um wei-ter Türöffner der Verstän-digung zu sein, um das zu erreichen, was du dir vor-genommen hast und wozu du begabt bist - Freiheit der Gedanken, der Meinungs-äußerung, der persönlichen Selbstbestimmung.“ Addis steht von seinem Platz auf und umarmt seine Mutter. Tränen laufen über seine Wangen. Für einen Moment versteckt er das Gesicht in

seinen Händen.

Andreas Schrappe bittet den jungen Journalisten auf die Bühne. Zwei Mit-glieder des Komitees überreichen ihm den Friedenspreis. Das Publikum er-hebt sich von den Plätzen und schenkt Addis einen tosenden Applaus. Sicht-lich gerührt und überwältigt hält Addis Mulugeta den Preis in seinen Händen. Immer wieder reibt er sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. Be-vor er die Rede beginnt, atmet er tief durch. „Das letzte Mal, als ich hier eine Rede gehalten habe, habe ich auf Eng-lisch gesprochen. Heute nicht, heute rede ich auf Deutsch!“, sagt er. „Ich kann gar nicht in Worte fassen, was in meinem Innern vorgegangen ist, als ich erfahren habe, für den Würzburger Friedenspreis nominiert zu sein. Und erst recht nicht meine Freude, als er mir dann tatsächlich zugesprochen wurde. Dies gibt mir

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Das Friedenspreis-Komitee hat seine Hand ausgestreckt zu uns bisher „Un-berührbaren“. Es macht uns Mut, dass wir irgendwann zeigen dürfen, wie fruchtbar unser Beitrag zur Wirtschaft, Gesellschaft und Politik des Gastlan-des sein kann.

Ich habe viel über die Frage nachge-dacht, wie es wäre, wenn die Flücht-linge eine Möglichkeit hätten, sich zu äußern, wer sie sind, was sie mitbringen,was sie brauchen, warum sie hergekommen sind und was sie be-

Aus der Ansprache des Trägers des 17. Würzburger Friedenspreises,Addis Mulugeta:

lastet?

Viele Fragen - und darauf EINE Ant-wort: Heimfocus! Ganz einfach, es soll die Kluft zwischen den Flüchtlin-gen und den Einheimischen schließen, und zwar von beiden Seiten. Es soll ein Umdenken bewirken von Misstrauen und Vorurteil hin zu Dialog und Wert-schätzung der Kulturen-Vielfalt.

Das Heimcafé als Ort direkter Begeg-nung zwischen Flüchtlingen und Ein-

heimischen im Camp: Mit einer Tasse Kaffee oder Tee geht Integration wie von selbst. Flüchtlinge und ihre deut-schen Freunde kommen ins Gespräch, haben Spaß miteinander und so ent-stehen hier Verbindungen von Mensch zu Mensch.

Lassen sie uns zusammen kämpfen gegen Diskriminierung und Vorurteil.Lassen sie uns zusammen einstehen für Gemeinsamkeit und für eine offe-ne Gesellschaft.

„für eine offene Gesellschaft“

auch die Gelegenheit, meine Gedan-ken über Versöhnung, Brüderlichkeit und Frieden mit Ihnen zu teilen. Es war eine harte, schmerzliche Erfah-rung, hier als Flüchtling angekommen, aber nicht willkommen zu sein. Dieser Preis hat eine besondere Bedeutung für mich und er ist auch Verheißung für eine hoffentlich bessere Zukunft

– nicht nur für mich, sondern für alle Flüchtlinge, für die ich hier stehe. Er gibt uns Hoffnung und Zuversicht und ist endlich ein Zeichen der Aner-kennung.“ „Es gibt einen Spruch in meiner Heimat, der sagt:„Das Gesicht ist wichtiger als das Brot.“ Es kommt zuerst auf die Haltung, auf die Geste an, nicht auf die Gabe. Wir Flüchtlinge brauchen eine Geste des Willkommens

in diesem Land und des Respekts. Es ist ein Menschenrecht, frei zu sein von Verfolgung und Diskriminierung. Mehr noch als nur Nahrung und Obdach be-reit zu stellen, zählt die Haltung da-hinter, die den Unterschied macht, die Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die Wertschätzung als Mensch. Und die vermissen wir als Flüchtlinge sehr. Jeder Mensch braucht Teilhabe und Anerkennung zum Leben. Auf die Käl-te, die Ablehnung hier waren wir nicht vorbereitet und sie ist ein Alptraum für uns. Wir brauchen hier und jetzt Ab-hilfe, ein würdiges Leben, Hoffnung, Zukunft.“Für jeden Flüchtling sei es eine schwe-re Entscheidung, seine Heimat, Fami-lie und Freunde zu verlassen und als

Asylbewerber in ein fremdes Land zu kommen. Neu in einem Land zu sein, in dem man unwillkommen ist, die Spra-che nicht spricht und nur „der Auslän-der“ ist. Es sei etwas anderes, in das Gesicht „des Ausländers“ zu blicken und ihn bei seinem Namen zu kennen. Dann seien es plötzlich Menschen und Freunde. Bei allen Freunden und Un-terstützern der Flüchtlinge bedankt er sich ganz besonders.

Vor allem dankt er seiner Mutter Eva. Das Publikum schmunzelt. Viele wis-sen nicht um die besondere Bindung zwischen beiden. Für Addis ist Eva Pe-teler seine Mutter geworden. Zusam-men mit ihm macht sie Integrations-arbeit, hält Vorträge und Workshops oder führt Diskussionen mit Schülern, Studenten oder Medienvertretern. Gemeinsam bringen sie das preisge-krönte Magazin heraus. „Kommst du bitte auf die Bühne, Mama?", bittet er sie überraschend. Er umarmt Eva und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Dann nimmt Addis ihre hellhäutige Hand und umschließt sie mit seiner dunklen. „Sehen Sie", sagt er ins Mik-rofon, ,,das ist gelebte Integration!“

Ronja Goj

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„Wer nicht kämpft, hat schon

verloren“Bertolt Brecht

Addis Mulugeta und Eva Peteler vom Heimfocus Magazin im Gespräch mit Frau Jelena Mirotadze aus Georgien, Kinderärztin und Mitglied des Würz-burger Ausländer- und Integrations-beirats

Heimfocus:Frau Mirotadze, herzlichen Dank für die Zeit, die Sie sich für unser Inter-view genommen haben. Erzählen Sie uns bitte zunächst über sich selbst.Frau Mirotadze:Mein Name ist Jelena Mirotadze, ich komme aus Georgien und bin vor rund sieben Jahren nach Deutschland ge-kommen. Die ersten 27 Jahre meines Lebens verbrachte ich in der Haupt-stadt meiner Heimat, Tbilisi (Tiflis). Hier in Würzburg leben meine Familie und ich seit rund sieben Jahren, mehr als vier davon waren wir in der Ge-meinschaftsunterkunft für Flüchtlinge und Asylbewerber (GU) in Würzburg untergebracht. In meiner Heimat war ich Kinderärztin, doch hier in Deutsch-land ist mein Abschluss noch immer nicht anerkannt. Heimfocus:Können Sie sich noch an das Bild von Deutschland erinnern, das Sie in Ihrer Heimat noch vor der Flucht hatten?Frau Mirotadze:Es war jedenfalls das eines demokra-tischen, freundlichen Landes, in dem wir in Frieden leben können. In dem wir nicht allein gelassen werden mit unseren Problemen und Schwierig-

keiten als Fremde. Doch es kam ganz anders. Von der Erstaufnahmeeinrich-tung in Lübeck, die ein Alptraum war, wurden wir mit einer Fahrkarte, aber ohne jede Ahnung und Sprachkennt-nis, in den Zug gesetzt und landeten schließlich in Zirndorf bei Nürnberg. Dort blieben wir drei Monate, und ka-men dann schließlich nach Würzburg.Heimfocus:Und welches Bild von Deutschland haben Sie jetzt, nach fast acht Jahren Erfahrung?Frau Mirotadze;Meine Eindruck von Deutschland lässt sich nicht auf ein einziges Bild festle-gen: Da ist einmal der Mikrokosmos des Lagers, der in jeder Hinsicht ver-schieden ist von dem Deutschland, das ich dann „draußen“ erfahren habe. Im Lager, in der Gemeinschaftsunter-kunft, ist alles anders: die Menschen, die dort arbeiten, die Menschen, die dort leben müssen, die Stimmung, die Umstände. Gegensätzlich die Begeg-nungen im normalen Deutschland. Hier waren die meisten Menschen bisher nett, freundlich, hilfsbereit, ein völlig anderes Gesicht von Deutsch-land.Zwei Bilder also, die unterschiedlicher nicht sein könnten.Heimfocus:Lange Jahre im Lager, in der Gemein-schaftsunterkunft in Würzburg, liegen hinter Ihnen und Ihrer Familie. Wie war Ihr Leben dort, welche Erkenntnisse hat diese Zeit bei Ihnen hinterlassen?

Frau Mirotadze:Es war eine sehr schwierige Situation für uns alle, meinen Mann, meinen Sohn und mich. Ein kleines Zimmer, kaum Platz für zwei Betten. Stellen Sie Ihren Schrank doch auf den Flur, wenn es zu eng ist, wurde und da lapidar ge-sagt. Wie, auf eine öffentlichen Flur? Das ist kein Hotel hier, das muss für ein paar Habseligkeiten reichen, mit diesen Worten wurde uns damals der Umzug in ein freies größeres Zimmer verweigert. Aber ich kämpfte, ich gab nicht auf. Schließlich war ich schwan-ger und wir brauchten eine würdige Unterbringung. Die Essensration musste damals jeden Tag abgeholt werden, das heißt jeden Tag anstellen, um eine Banane, eine Karotte usw. zu bekommen. Das fand ich so erniedri-gend. Alles war ein Kampf, wer dem nicht gewachsen war, ging unter: Arzt, Zahnarzt, Kleiderbestellung, Windeln organisieren... Der Lichtblick war die Hilfsbereitschaft der Ehrenamtlichen. Und das habe ich als Wichtigstes begriffen: Wenn man als Flüchtling hierher kommt, muss man unter allen Umständen, egal wie, so schnell wie möglich die Sprache lernen. Und man muss für sich kämpfen, versuchen, sei-ne Bedürfnisse durchzusetzen. Nur dann, wenn man sich traut und sich bemüht, mit den Verantwortlichen zu verhandeln, geht man nicht unter. Das waren immer nur sehr wenige, die soviel Mut und Kraft hatten. Viele Ver-

I n t e r v i e w

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antwortlichen wollten auch bewusst nicht mein Deutsch verstehen. Heimfocus:Was von diesen Erfahrungen im Lager hat sie tief geprägt?Frau Mirotadze:Zu den positiven Erinnerungen ge-hört die gute Nachbarschaft von da-mals, Familien aus vielen Ländern und Kontinenten. Wir haben im Großen und Ganzen eine gute Gemeinschaft gepflegt, wir haben Erfolge und Freu-dentage zusammen gefeiert, aber auch schmerzliche Erfahrungen wie-Abschiebungen von Familien zusam-men durchlitten. Als Familie ist man wenigstens nicht allein, man gibt sich gegenseitig Halt. Alleinstehende wa-ren und sind viel schlechter dran, für die ist das Leben im Lager sehr hart. Ein Jahr Lagerleben sind wie drei Jahre normales Leben... Die schlimmste der vielen schlimmen Erfahrungen war wohl einmal die, im-mer wieder zu hören und zu erfahren: Ihr dürft, braucht, kriegt gar nichts, das ist ja kein Hotel hier! Und am meisten schmerzt mich die folgende unglaubliche Begebenheit: Kurze Zeit vor dem Geburtstermin meines zwei-ten Sohnes bat ich um das mir zuste-hende Geld für die Erstausstattung. Dies wurde mir verweigert mit der Be-gründung, man müsse abwarten, ob das Baby die Geburt überhaupt über-lebt, sonst wäre das Geld ja umsonst ausgegeben. Ich solle wiederkommen, wenn alles gutgegangen ist.Heimfocus:Und Ihr Leben heute, wie können sie dessen Entwicklung in den mehr als drei Jahren jenseits des Lagers be-schreiben?Frau Mirotadze:Ich kann mich noch gut erinnern an die Einschüchterungsversuche wegen meines Kampfes um meine und unse-re Rechte als Flüchtlinge. An die Dro-hungen, mich in ein sehr abgelegenes Lager zu transferieren, wo ich kaum Zugang zur Außenwelt hätte. Du setzt sich zu sehr ein, wurde ich oft gewarnt. Und alles war immer Kampf, immer neue Hindernisse, die es zu überwin-den galt. Zum Beispiel, einen unbe-fristeten Arbeitsvertrag vorweisen zu müssen, wenn man ausziehen möchte. Wer hat heutzutage schon einen als Anfänger im Berufsleben, selbst von den Deutschen? Immer kämpfen und

kämpfen...Heute schätze ich eine gewisse Stabi-lität in meiner Lebenssituation, ohne eine akute Angst vor Abschiebung; ich habe unbefristete Arbeit, eine gewisse Sicherheit, mein Deutsch ist gut, aber da ist immer noch Angst, wer weiß, ob es in Zukunft auch so bleibt, ob wir hier bleiben dürfen, dort, wo meine Kinder zur Schule gehen, wo sie zu Hause sind. Die Hoffnung gibt Kraft.Heimfocus:In Würzburg leben Menschen aus rund 120 Nationen, also auch viele Landsleute oder Glaubensbrüder von Flüchtlingen aus dem Lager. Wie ist nach Ihrer Einschätzung deren aktive Unterstützung für die Flüchtlinge?Frau Mirotadze:Die Migranten, die niemals die Erfah-rung des Lagerlebens als Flüchtling gemacht haben, haben meistens lei-der weder Verständnis für noch Inte-resse an Flüchtlingen, nicht einmal an Landsleuten. Viele Migranten wis-sen nicht einmal, dass es hier in der Stadt eine Gemeinschaftsunterkunft gibt. Kein Interesse, keine Solidarität. Mehr Verständnis und Hilfe habe zu-mindest ich persönlich von Deutschen bekommen als z.B. vor russischspra-chigen Migranten. Nicht nur die gro-ße russischsprachige Gemeinde hier, auch die islamischen Mitbürger und Gruppen engagieren sich nicht für die Flüchtlinge. Sie laden zwar zu Festen ein; aber wie sollen die Flüchtlinge daran teilhaben können, ohne Geld für den Bus, ohne Ortskenntnis? Und, was noch viel wichtiger ist, wer hilft ihnen bei ihren vielen Alltagsproble-men? Kein Interesse, kein Mitgefühl und Verständnis – wirklich sehr trau-rig. Ehemalige Flüchtlinge hingegen setzen sich viel eher ein, die wissen, was man da durchgemacht und erlebt hat. Sie bemühen sich z.B. als Dol-metscher, sie halten Verbindung zum Lager, sie gehen auch hin, wenn sie erfahren, neue Landsleute treffen ein. Und wie gesagt, es waren immer wieder Deutsche, die uns geholfen haben.Heimfocus:Sie sind Mitglied des Ausländer- und Integrationsbeirats der Stadt Würz-burg. Wie engagiert sich dieses Gre-mium für die Flüchtlinge vor Ort, sowohl im Lager als auch nach dem Auszug?

Frau Mirotadze:Der Ausländer-und Integrationsbei-rat ist immer offen für die Anliegen der Flüchtlinge, für viele von ihnen sind die Sprachbarriere und der Weg in die Stadt jedoch ein Hindernis. Die Caritas-Beratung im Lager ist für sie meist die erste Anlaufstelle. Nach dem Auszug ist für viele die Situation jedoch noch schwieriger. Dann fängt einen kein Netz von Freiwilligen mehr auf bei den vielen, vielen kleinen und großen Problemen und Fragen. Man ist dann auf sich gestellt und kommt dann eher mit der Bitte um Hilfe zum Ausländerbeirat. Deutsch ist drinnen wie draußen der Schlüssel. In allen Fäl-len muss sich der Einzelne erst einmal selbst trauen, die Initiative zu ergrei-fen. Und man muss nicht nur nehmen, sondern auch geben wollen.Heimfocus:Integration – funktioniert sie in über-haupt? Was gehört dazu für beide Partner, für die deutschen und für die ausländischen Mitbürger?Frau Mirotadze:Wie gesagt, ohne Sprachkenntnis geht gar nichts. Nur - wie die Spra-che lernen? Anspruch darauf und Förderung hat man als Flüchtling lan-ge Zeit, Monate, Jahre, nicht. Und selbst wenn engagierte Freiwillige wenigstens für einige Flüchtlinge Kur-se anbieten, reicht das nicht. Sprache lernt man nur durch deren Gebrauch, also durch Kontakt zu Einheimischen. Sprachkurs und Schule, Sprachkurs und Arbeit, Sprachkurs und Kontakte nach draußen, das ist wesentlich. Für Spätaussiedler werden Kurs um Kurs bezahlt, für Flüchtlinge nicht . Das ist unverständlich und schwer erträglich. Die meisten Deutschen waren mir ge-genüber verständnisvoll, offen und bemüht, wenn ich auf sie zugegangen bin. Richtige Erfahrungen von Diskri-minierung hatte ich persönlich weni-ge; es liegt sehr viel auch an einem selbst, an der eigenen Offenheit, an eigenem Engagement. Und vielleicht auch daran, woher man kommt, wie man aussieht... Andererseits habe ich durch das Lebensumfeld meiner Kin-der, Kindergarten und Schule, leider so gut wie keine neuen Kontakte zu Einheimischen knüpfen können. Das liegt wohl eher daran, dass heute viele Menschen hier damit mehr als ausge-

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lastet sind, ihren Alltag zu organisie-ren mit Job und Familie, ob man nun Ausländer ist oder Deutscher. Das ist weniger eine Frage fehlenden Interes-ses, eher der Mangel an Zeit. Und im Lager gehen diese Kontakte sowieso gar nicht.Heimfocus:Noch einmal zum Stichwort Diskri-minierung: Über welche Erfahrungen können Sie uns berichten?Frau Mirotadze:Wie gesagt, ich selbst hatte Glück. Persönlich habe ich meistens wirklich sehr nette, offene Deutsche getrof-fen; ich gehe aber auch gerne auf Men-schen zu und suche Kontakt. Wer das nicht kann, hat es viel schwerer. Zum Beispiel ein Flüchtling, den ich zufällig beim Einkaufen von Kleidung mittels Kleidergutschein getroffen habe. Der konnte gar kein Deutsch, nicht ein Wort. Die Verkäuferinnen haben die-sen hilflosen Mann doch tatsächlich mitten im Verkaufsraum vehement zwingen wollen, die ausgesuchten Kleidungsstücke öffentlich anzupro-bieren, weil sie teilweise um eine Klei-dergröße abwichen. Um sicher zu ge-hen, er besorge sich die Sachen nur für sich selbst, sagten sie. Wie im Zirkus, das geht gar nicht! Da habe ich mich eingemischt und gefragt, wie kom-men Sie zu so einem Verhalten, wer gibt Ihnen das Recht dazu, mit einem

Menschen in aller Öffentlichkeit so umzugehen? Da waren sie schnell still. Oder wenn in der Schule eine Lehrerin die ausländische Mutter abkanzelt in einem Ton, der jenseits allen Anstan-des liegt, da muss man laut sagen, so geht es nicht, das dürfen sie nicht, das steht Ihnen nicht zu, mit jemandem so zu sprechen. Es geht also auch um Zi-vilcourage.Oft will man einfach nicht das holprige Deutsch des Ausländers verstehen, es ist kein guter Wille da. Missverständ-nisse und Konflikte entstehen auch durch die Kulturbarriere, die Unkennt-nis über Regeln, Bräuche und Umgang, weil man ja kaum Kontakte hat. Bei-spielsweise über Ruhezeiten im Miets-

haus: Nachtruhe ab 22h, das kennen wir von daheim überhaupt nicht.Heimfocus:Was schätzen Sie an Deutschland, was vermissen Sie hier?Frau Mirotadze:Zu den positiven Punkten gehören sicherlich Ordnung, zumindest theo-retische Pünktlichkeit, das elterliche Engagement im Kindergarten und in der Grundschule. Bemerkenswert ist die Fürsorge beider Eltern, nicht die ausgeprägte rollenspezifische Fixie-rung, die ich aus meiner Heimat kenne. Und was ich hier besonders schätze im Unterschied zu meiner Heimat, ist das Gesundheitssystem mit Krankenkas-sen und einer garantierten Grundver-sorgung. Was ich hier vemisse, ist die Lebenslust und die Freizeit, auch die Spontaneität, sich auch ohne verabre-deten Termin zu sehen, Und ich ver-misse meine Familie.Aber dennoch möchte ich unbedingt hier bleiben; meine Kinder kennen nichts anderes als Deutschland! Des-wegen mag ich nicht plakativ verglei-chen. Positives und Negatives gibt es überall. Vergleichen und zurückden-ken macht nur traurig – und vielleicht ungerecht.

Heimfocus:Frau Mirotadze, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch.

Wir spielen wieder Champions-League!Heiß ersehnt und nun endlich da!Unser Unterstützer und Gönner Flyeralarm hat dem Heimcafé in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlin-ge in Würzburg einen tollen neuen Tischkicker spendiert. Damit sind das Heimcafé und die Teestube des Asyl-Arbeitskreises der KHG wieder um einen beliebten Anziehungspunkt reicher.

Danke, Flyeralarm!

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28 [email protected]

Jede(r) von uns hatte aufgrund einer lebensbedrohlichen Situation im Hei-matland keine andere Wahl als eine Flucht in ein fernes Land mit unbe-kannter Zukunft. Eine Flucht ist im-mer mit Schmerzen, Heimweh und Trennung von der Familie verbunden. Wie Herr Alexander Jansen, der Künstlerische Betriebsdirektor des Theaters, schreibt: "Es regiert dort der Alptraum".Der Flüchtling, der nach Deutschland kommt, hat in seinem Land seine Exis-tenzgrundlage zurücklassen müssen, kann die neue Sprache nicht sprechen und verstehen, so dass sein Leben nur aus Enttäuschung und Frustration be-steht.Trotz aller anfänglichen Schwie-rigkeiten und Unannehmlichkeiten als Asylbewerber fühlen wir uns in Würz-burg nicht als Fremde, weil ihr uns freundlich aufgenommen habt.

"Den Alptraum überwinden wir ge-meinsam. ...Die Frucht, die Ernte, war und ist beglückend, denn was da reifte, heißt Vertrauen" (Alexander Jansen).Da wir vollkommenes Vertrauen zu unseren deutschen Freunden haben, erhoffen wir uns durch sie die Chan-ce, uns in Deutschland integrieren zu können. Mit Hilfe unserer deutschen Freunde versuchen wir Tag für Tag, die deutsche Sprache zu erlernen und somit eine neue Heimat zu finden, da dies für uns als Asylbewerber unsere Hoffnung ist. Wir versichern, dass wir uns, solange wir uns im Lande aufhal-ten, in keiner Weise gegenüber der Bundesrepublik Deutschland etwas zuschulden kommen lassen.Wir bedanken uns hiermit recht herz-lich bei allen ehrenamtlichen Mitar-

beiterinnen und Mitarbeitern für ihren persönlichen Einsatz für Asylbewer-ber. Vor allem Herrn Alexander Jansen, dem Künstlerischen Betriebsdirektor und Stellvertreter des Intendanten des Mainfranken Theaters und der Regis-seurin, Frau Barbara Duss sowie Frau Hanna Förster und Frau Eva Giese ge-bührt besondere Anerkennung. Auch herzlichen Dank an die professionel-len Darsteller und Darstellerinnen des Mainfranken Theaters, Herr Max De Nil, Frau Anna Sjöström und Frau Ca-rolin Kipka, dass sie sich bereit erklärt haben, mit uns Amateuren zusammen zu arbeiten. Ebenso bedanken wir uns bei Frau Eva Peteler für ihren Einsatz für uns und andere Asylbewerber. Sie ermöglichten und ermöglichen es uns, unsere Heimatländer vorzustel-len und unsere Gefühle als Asylbewer-ber zu zeigen.

Würzburg, den 12.07.2011

Mohammad Fahim DostiAzad Farhan MradHossein SohrabiTaha Ali JutlarAli HaschimiFeroz HabibzadaFatemeh Aryaee Nejad (Mina)Daud AzimiMohammad FeroozJoseph Degefa DadySolomon Mahteme HailegiorgisThomas Solomon

 

Danke!Von den im Theaterstück " Traum vom Leben

"mitwirkenden Flüchtlingen und Asylbewerbern aus der Gemeinschaftsunterkunft in Würzburg an alle ehrenamtlichen Unterstützern/Innen sowie Mitarbeitern/ Innen des Mainfranken Theaters Würzburg:

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2910 / 2011

„Wegmarken“ Die soziokulturelle Reihe im Museum am Dom

Veranstaltungen Oktober – Dezember 2011Museum am Dom – Kiliansplatz 1 – 97070 Würzburg

Wegmarke I:

„Traum vom Leben“ Momentaufnahmen und Betrachtungen

von und mit Flüchtlingen und AsylsuchendenFreitag, 21. Oktober 2011, 19:30 Uhr

Ein Stück der Theatergruppe „Die Vögel“ aus der Gemeinschaftsunterkunft Würzburg in Kooperation mit dem Mainfranken Theater Würzburg

Projektleitung: Alexander Jansen; Inszenierung: Barbara Duss; Interkulturelle Begleitung: Eva Giese, Hannah Förster

„... das, was da auf der improvisierten Bühne präsentiert wird, geht direkt ins Herz.“Bayerischer Rundfunk

„Es sind aufwühlende Handlungen, welche die Zuschauer betroffen machen: Gewalt, Folter und Tod spielen sich lebensnah vor ihnen ab, obwohl es kaum Requisiten gibt.“

Nummer 67 – Zeitschrift für Kultur in Würzburg

* * *Wegmarke II:

„Unterwegs“ - Geschichten vom Leben auf der Straße

Sonntag, 27. November 2011, 19:30 UhrEin Projekt von Alexander Jansen und Barbara Stehmann (Förderverein Wärmestube e.V.)

Eine Gruppe von Menschen im Alter zwischen Anfang 20 bis Anfang 70, die obdachlos waren oder sind, schufen die erste in Würzburg hergestellte Straßenzeitung. Die Geschichten über das Unterwegssein

bilden nicht nur konkrete Lebenssituationen ab, sondern stehen gleichermaßen für das Unbehaustsein des Menschen.

Rezitation: Hermann Schneider, Intendant des Mainfranken Theaters u.a.

* * *Wegmarke III:

„Märchen der Völker“Sonntag, 11. Dezember 2011, 15 Uhr

Ein Projekt von Alexander Jansen und Eva Peteler / Addis Mulugeta („Heimfocus“)

Flüchtlinge und Asylsuchende aus der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft präsentieren Lieblings-märchen ihrer Heimat, die Sinn stiften und die Liebe als stärkste Macht feiern. Eine weise und fröhliche

Veranstaltung für junge Menschen jeden Alters.

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30 [email protected]

Flüchtlinge als Vorboten

gesellschaftlicher Veränderungen

Seit der Gründung von PRO ASYL im September 1986 hat sich das Bild von Flüchtlingen geändert. Damals ka-men viele aus dem Osten und stellten Asylanträge in Deutschland. Heute kommen sie häufig aus südlichen Län-dern. Flüchtlinge sind Botschafter von politischen, kulturellen oder sozialen Umbrüchen. Damals spürten die Men-schen, dass sie in kommunistischen politischen und gesellschaftlichen Systemen keine Zukunft haben. Die Flüchtlinge waren Vorboten für den bevorstehenden Zusammenbruch kommunistischer Staaten. Sie wollten Freiheit und Demokratie und wurden deshalb verfolgt. Sie flüchteten vor sozialistischen Diktaturen oder den Kriegen im zerfallenden Jugoslawien. Tausende Flüchtlinge aus der damali-gen DDR suchten Zuflucht in der west-deutschen Botschaft in Ungarn. Und genau der dadurch entstandene po-litische Druck hat entscheidend dazu beigetragen, dass die DDR später zu-sammenbrach. Flüchtlinge haben zu Innovationen beigetragen.Gegenwärtig sieht viel danach aus, dass wir eine Zeit mit ähnlichen Um-brüchen erleben. Viele islamisch ge-prägte Länder werden durch Militär-diktaturen beherrscht. Die Menschen werden dort seit Jahrzehnten unter-drückt und gedemütigt. Die Systeme sind korrupt, undemokratisch und ohne Meinungsfreiheit. Insbesondere die junge Generation stellt sich dem entgegen. In immer mehr arabischen Ländern gibt es demokratische Re-

volutionen. Die Menschen wollen in Würde, Freiheit und demokratischen Verhältnissen leben. Sie wollen weder durch Diktatoren noch durch religiöse Führer in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Insbesondere die Menschen in Staaten um das Mittelmeer kom-men uns dadurch näher – sie fühlen sich den auch in Europa verbreiteten Werten verbunden. Junge Menschen wollen in säkularen Gesellschaften le-ben.Die europäischen Staaten sind auf diesen Umbruch ebenso wenig vorbe-reitet wie die Diktatoren selbst. Man glaubt, mit den Staaten auf dem Weg zur Demokratie im Grunde umgehen zu können wie zuvor: Sie sollen sich an der Flucht- und Migrationsverhinde-rung beteiligen und Rohstoffe liefern. Dies ist eine gewaltige Unterschät-zung der historischen Wende, die die-ses Jahrhundert prägen könnte: Die Aufstände in der arabischen Welt kön-nen einmal die gleiche Rolle spielen, wie die Französische Revolution für Mitteleuropa. Angesichts der damit verbundenen Auseinandersetzungen flüchten Men-schen aus ihrer Heimat. Sie suchen zuerst Zuflucht in den Nachbarstaa-ten – die arabischen Länder tragen die Hauptlast für diese Flüchtlinge und Mi-granten. Manche von ihnen kommen auch nach Europa – und da vor allem in südliche Staaten. Wenn Europa eine Wertegemeinschaft ist, dann müssen wir uns für diese Menschen engagie-ren. Wir haben der Stimmungsmache

entgegen zu wirken, die bei manchen Politikern gegenüber Arabern und Muslimen zu beobachten ist. Diese Flüchtlinge und Migranten sind Vor-boten gesellschaftlicher Veränderun-gen. Wir sollten sie unterstützen und uns als Europäer für sie einsetzen. Europa muss nach jahrzehntelanger Kumpanei mit Diktatoren alles dafür tun, dass dort stabile demokratische und freiheitliche Strukturen entste-hen können. Zu unseren eigenen de-mokratischen Strukturen gehört das unverbrüchliche Eintreten für den Flüchtlingsschutz und die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen. Das Hin- und Herschieben der Verantwor-tung für Flüchtlinge zwischen den EU-Staaten muss zugunsten einer so-lidarischen Teilung der Verantwortung beendet werden. Die europäischen Staaten haben sich beim Kampf um die Demokratie und die Menschenrechte zu engagieren. Auch für PRO ASYL entstehen da-durch 25 Jahre nach der Gründung neue Herausforderungen. Durch die Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL, den Förderverein PRO ASYL mit über 14.000 Mitgliedern und die vielen För-derer sowie die STIFUNG PRO ASYL haben wir heute ein hilfreiches Inst-rumentarium, mit dem wir uns diesen Aufgaben widmen können.

PRO ASYLDER EINZELFALL ZÄHLT.

PRO ASYLDER EINZELFALL ZÄHLT.

PRO ASYLDER EINZELFALL ZÄHLT.

PRO ASYLDER EINZELFALL ZÄHLT.

PRO ASYLDER EINZELFALL ZÄHLT.

25 Jahre PRO ASYLDr. Jürgen Micksch Vorsitzender von PRO ASYL

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PRO ASYLDER EINZELFALL ZÄHLT.

PRO ASYLDER EINZELFALL ZÄHLT.

PRO ASYLDER EINZELFALL ZÄHLT.

PRO ASYLDER EINZELFALL ZÄHLT.

PRO ASYLDER EINZELFALL ZÄHLT.

Mauern verletzen Flüchtlingsrechte25 Jahre Tag des Flüchtlings - 25 Jahre PRO ASYL Auszug aus dem Artikel von Günter Burkhardt © ProAsyl

»Wer hat Angst vor Asylsuchenden? Of-fenbar nicht wenige Deutsche. Vielfach wird vergessen, dass es Asylsuchenden oft ums Überleben geht …« So beginnt der Aufruf zum ersten Tag des Flücht-lings in der Bundesrepublik Deutsch-land. Im März 1986 ging diese Initiative vom »Ökumenischen Vorbereitungs-ausschuss zur Woche der ausländischen Mitbürger« (heute Interkulturelle Wo-che) und dem DGB Bundesvorstand aus. Ein wichtiger Impuls, der zur Gründung einer neuen bundesweiten Arbeitsge-meinschaft führt: Am 8. September 1986 gründen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Kirchen, Gewerkschaf-ten, Wohlfahrts- und Menschenrechts-organisationen und Initiativgruppen in Frankfurt am Main PRO ASYL. Ge-mahnt wurde schon 1986, die Grenzen Europas nicht abzuschotten, sondern Flüchtlingen den Zugang in die Bun-desrepublik Deutschland weiterhin zu ermöglichen. Das damals befürchtete Szenario ist längst eingetreten. Europa schottet sich ab – ein Paragraphend-schungel, gekoppelt mit Hightech-Überwachung an den Grenzen, führt dazu, dass die Zahl der Flüchtlinge, die Europa erreichen, relativ gering ist. Die Wege über das Mittelmeer wurden Zug um Zug beschnitten, Fluchtwege über Nordafrika versperrt. Eine zentrale Rolle spielen hier die so genannte eu-ropäische Grenzagentur Frontex, aber auch die bilateralen Kooperationen mit Transitstaaten. Flüchtlinge gilt es abzu-wehren – mit allen Mitteln. »Stoppt das Sterben«, die PRO ASYL Kampagne aus dem Jahr 2008, war die Reaktion auf die hemmungslos und ungebremst vollzogene Abschottungspolitik. Wann kommt Europa endlich zu der Einsicht, dass die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz nicht allein den Staaten an den Grenzen Europas auf-gebürdet werden kann? Als eines der wirtschaftlich stärksten und ökono-misch am meisten von der Europäi-

schen Union profitierenden Länder ist Deutschland auf dem Egotrip. Konst-ruiert als asylrechtliche Insel nach der Grundgesetzänderung im Jahr 1993 betätigte sich das Bundesinnenminis-terium über Jahrzehnte hinweg wie ein mittelalterlicher Festungsbauer. Ring um Ring, Graben um Graben wird ge-zogen, damit Verfolgte auf keinen Fall Deutschland erreichen können. Die Fluchtwege sollen versperrt werden – möglichst schon, bevor die Flüchtlinge Europa erreichen.Die Revolution in den nordafrikani-schen Staaten stellt für die Festungs-bauer nun einen schweren Rückschlag dar. Die Auswirkungen der Umbruchsi-tuation in Nordafrika sind heute noch unabsehbar. Doch eines ist deutlich: Es muss einen Neuanfang in der europäi-schen Politik geben. Alle Signale deuten jedoch darauf hin, dass die Bedeutung dieser Umwälzung verkannt wird. Eilig wird versucht, die alte Politik mit den im Umbruch befindlichen Regierun-gen fortzusetzen.Alle Signale deuten jedoch darauf hin, dass die Bedeutung dieser Umwälzung verkannt wird. Eilig wird versucht, die alte Politik mit den im Umbruch befindlichen Regierun-gen fortzusetzen.Wenn es darum geht, Opfer von Menschenrechtsverletzun-gen von Europa fernzuhalten, kennt Deutschland keine Skrupel. Eine Politik verselbstständigt sich – wird über Jahr-zehnte hinweg konsequent fortgeführt, ohne je darüber nachzudenken, ob sie nicht langfristig auch den elementaren Interessen Deutschlands und Europas schadet. Wer Menschenrechte vergisst, vergisst sich selbst, lautete 1997/98 der Slogan zum Tag des Flüchtlings. Ein Ap-pell, eine Mahnung, dass eine moderne Gesellschaft nicht ohne Grundwerte und Menschenrechte existieren kann. Der Staat hat die Würde der Menschen zu schützen und zu achten. Im Alltag ist für Flüchtlinge davon oft wenig zu spüren.

Menschen wie Menschen behandeln»Die Menschenwürde der Flüchtlinge in der Bundesrepublik nicht durch Ab-schreckungsmaßnahmen zu verletzen«, dies war eine der weiteren zentralen Forderungen aus 1986. Das bestehen-de Arbeitsverbot, der zwangsweise Aufenthalt in Lagern, die Einschrän-kung der Bewegungsfreiheit, Kürzun-gen und Auszahlungen der gewährten Sozialhilfe in Sachleistungen, all dies waren damals – und sind es noch heute – zentrale Streitpunkte. Einzelne Verbes-serungen wurden seither erreicht – das Grundprinzip jedoch wurde von Seiten der Politik nie in Frage gestellt: Die be-wusste Entwürdigung und Diskriminie-rung zum Zweck der Abschreckung. 25 Jahre nach der Gründung von PRO ASYL haben wir einiges erreicht und wissen doch: Unser Auftrag ist nicht beendet. 2011 jährt sich zum 25. Mal der Tag des Flüchtlings. Die Tätigen in der Flüchtlingsarbeit werden diesen Tag auch diesmal nutzen, um die harten Zeiten für Flüchtlinge in unserem Land ein wenig freundlicher zu gestalten. Machen Sie mit. Versuchen Sie über Informationen und persönliche Begeg-nungen Verständnis für Flüchtlinge zu schaffen, Politiker in Gespräche einzu-beziehen und so über die menschliche Anteilnahme auch politischen Druck zu entfalten. Nicht aufgeben, nicht nach-lassen, sich nicht von bloßen Worten blenden lassen beim Einsatz für die Menschenwürde in unserem Land und in Europa: Dies ist und bleibt das Kon-zept auch für die Zukunft.

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Mit dieser Auszeichnung werden seit 1991 von der Würzburg-SPD Persönlichkeiten, Gruppen und Initiati-ven geehrt, die im gesellschaftlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bereich zum Wohle der Menschen wirken.

Die Verleihung findet am 07. Oktober 2011 um 16:30 Uhr im Wappensaal des Würzburger Rathauses statt.

Eva Peteler setzt sich dafür ein, dass die Flüchtlinge und Asylbewerber nicht nur in der Gemeinschaftsun-terkunft in Würzburg, sondern überall mit Respekt und Wertschätzung aufgenommen werden. Das geht für sie weit über humanitäre und individuelle Hilfe hinaus, vielmehr schließt es den Einsatz für eine Wende in der Asylpolitik und im gesellschaftlichen Bewusstsein ein.Dafür setzt sie sich auch als Herausgeberin des Heimfocus Magazins ein.

Dieses Magazin, für das sie Verantwortung trägt, versteht sich als:

Stimme für Flüchtlinge, Stimme der Flüchtlinge: Hier können sie ihre Nöte und Probleme, aber auch ihr Potenzial, ihre Erwartungen und Hoffnungen aus-drücken. Hier können sie auch den Reichtum ihrer Heimatländer mit den Einheimischen teilen.

Stimme von allen und für alle:Das Magazin setzt sich ein für eine wirkliche Integration. Dies geschieht durch Bewusstseinswandel, Of-fenheit und Respekt von beiden Seiten, in direkter Begegnung ohne Dominanz und Bevormundung. Diese Integration ist der Schlüssel zu einer zukunftsfähigen, stabilen Gesellschaft.

Die Ziele von Heimfocus sind: • Mauern aus Vorurteilen und Fremdenangst durch Kommunikation und direkte Begegnung von

Mensch zu Mensch abzutragen• Flüchtlingen und Asylbewerbern ein Gesicht des Willkommens, der Anerkennung als Mensch zu

schenken, sie offen in unsere Gemeinschaft aufzunehmen• Wertschätzung eines jeden Menschen mit seinem individuellen Reichtum und Potenzial zu fördern,

gleich welcher Herkunft, Rasse oder Religion• Vielfalt der Kulturen als wertvoll und bereichernd für unsere gemeinsame Zukunft aufzuzeigen • gesellschaftlich und politisch für einen Wandel in der Flüchtlings- und Asylpolitik zu kämpfen, gemäß

unserer Verfassung und den Menschenrechten

Das Heimfocus Magazin ist der Ausgangspunkt vieler nachfolgender Projekte, z.B von Seminaren über Menschenrechte, Diskussionen über die Situation von Flüchtlingen und über ihre Heimatländer sowie Kulturveranstaltungen. Zu den wichtigsten und beliebtesten Aktivitäten gehört das Heimcafé in der Ge-meinschaftsunterkunft, eine Begegnungsmöglichkeit für Flüchtlinge und engagierte Bürger.

Die Georg-Sittig-Medaille geht dieses Jahr an Eva Peteler

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Das Gymnasium Veitshöchheim – eine „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“

Am 16. September 2011 war es soweit: Das Gymnasium Veitshöchheim er-hielt den Titel „Schule ohne Rassismus

– Schule mit Courage“. Der gleichnami-ge Arbeitskreis bestehend aus elf en-gagierten Schülerinnen und Schülern sowie einer Lehrkraft hat es geschafft, die Schulgemeinschaft zu überzeugen, dass Diskriminierungen jeder Art uns alle angehen.Die 1988 in Belgien entwickelte Idee, Schulen zu motivieren, in ihrem Le-bensumfeld gegen diskriminierende Tendenzen anzugehen, wird in unse-rer Region vom Würzburger Bündnis für Zivilcourage getragen. Der Titel

„SOR – SMC“ ist dabei nicht als Aus-zeichnung zu verstehen, sondern als Selbstverpflichtung der jeweiligen Schulgemeinschaft, initiativ zu wer-den, Verantwortung zu übernehmen, wenn es darum geht, den schulischen Lebensraum von Diskriminierung, Mobbing und Gewalt frei zu halten. Als Schirmherrn des Projekts konnten wir Sigmund Gottlieb, den Chefredak-teur des Bayerischen Fernsehens, und Thomas Lurz, den Schwimmweltmeis-ter und Träger des Bayerischen Sport-preises gewinnen.Am 16. September, dem Tag des fei-erlichen Festakts, wurde uns nicht nur der Titel verliehen, sondern die ganze Schule setzte sich an diesem Tag mit

den Themen Rasssismus, Diskrimi-nierung, Mobbing und Zivilcourage auseinander. Dazu hatten wir Ex-perten eingeladen: Menschen, die etwas bewegen, die sich für andere uneigennützig engagieren und ohne die viele erfreuliche und segensreiche Entwicklungen in unserer Gesellschaft undenkbar wären. Ob es Vertreter von Greenpeace waren, die unseren Sieb-tklässern zeigten, wofür sie „brennen“ und wie sie sich für unsere Umwelt einsetzen, oder Aktive von Amnesty International, die in Workshops zum Thema „Menschenrechte“ unseren Achtklässern bewusst machten, wie sehr jene überall auf der Welt noch mit Füßen getreten werden, sie alle ha-ben der Wehrlosigkeit von Natur und Mensch eine Stimme gegeben. Die Neuntklässer haben wiederum ganz konkret in Film- und Tondokumenten Sophie Scholl als historisches Beispiel für einen Menschen mit Zivilcourage kennengelernt.Und eine Begegnung der ganz be-sonderen Art erwartete an diesem Tag unsere Zehntklässer, nämlich mit Menschen, für die Rassismus und Diskriminierung vielfach leider noch immer eine alltägliche Erfahrung sind. Geladen hatten wir Flüchtlinge aus unserer Nachbarschaft, der Ge-meinschaftsunterkunft in der Veits-

höchheimer Straße; allen voran Ad-dis Mulugeta, den Chefredakteur des Heimfocus-Magazins und Träger des Würzburger Friedenspreises 2011, ge-meinsam mit seinem Redaktionsteam. Wir sind sehr stolz, dass sie alle diesen Aktionstag bereichert haben, damit das Wort „Asyl“ nicht nur eine Leerfor-mel im Sozialkundeunterricht bleibt, sondern mit Leben gefüllt wird. Auch der Asylseelsorger Rainer Behr und die Vertreter des Asylarbeitskreises der Katholischen Hochschulgemeinde hatten sich dankenswerterweise bereit erklärt, uns Einblick in ihre Arbeit vor Ort zu geben. Nur durch die Informa-tion aus berufenem Munde, nur durch die Begegnung von Angesicht zu An-gesicht werden wir die Mauern in den Köpfen zum Wanken und schließlich zu Fall bringen können. Dass wir un-sere Nachbarn in der Veitshöchheimer Straße nicht mit leeren Händen gehen lassen wollten, versteht sich von selbst. Daher haben wir die Aktion „Heimcafé“ ins Leben gerufen, die hoffentlich der Beginn eines Miteinanders und eines regen Austausches sein wird.Verantwortung zu übernehmen, rück-haltlos einzutreten für die gute Sache erfordert Mut. Doch wo, wenn nicht in der schulischen Gemeinschaft wird man Heranwachsenden die Bedeu-tung von Zivilcourage vermitteln kön-nen, die „das Gegenteil von Bequem-lichkeit, Servilität, Konformismus, Opportunismus und Heuchelei“ ist, wie es der Mainzer Kardinal Karl Leh-mann einmal in seiner Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung im Audimax der Universität München formuliert hat. Für uns sollte dieser Aktionstag am 16. September Initialzündung sein für vielfältige Begegnungen mit dem auf den ersten Blick sogenannten „Frem-den“, das unsere Zivilcourage braucht, um endlich ankommen zu können.

Jutta Merwald, Gymnasium Veits-höchheim, Projektinitiatorin.Für den Arbeitskreis „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“

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Jugendliche sind unpolitische Hedonisten? Von wegen!

Nicht, es muss etwas geschehen, sondern, ich muss etwas tun. Hans Scholl

Das Heimfocus-Team erlebte am 16.09.2011 eine Schule voll wacher, interessierter und engagierter Ju-gendlicher, genau das Gegenteil des landläufigen Bildes von einer trägen, ichbezogenen Jugend. An diesem Tag wurde das Gymnasium Veitshöchheim eine der vielen Schulen in Deutschland und europaweit, die Farbe bekennen und Zeichen setzen wollen: „Schule ohne Rassismus – Schule mit Coura-ge“.In vielen Diskussionen und Vorträgen stimmten sich die Schüler kreativ und kritisch auf diese neue Herausforde-rung und Haltung ein. Es soll nicht

bei Lippenbekenntnissen bleiben, das wurde uns immer wieder versichert, von Schülern, Lehrern und von der Schulleitung. Es fiel nicht schwer, es zu glauben. Beeindruckend der Ein-satz so vieler Aktiver, allen vorweg der treibenden Kraft der Initiative, der Lehrerin Jutta Merwald.

Beeindruckend auch die Herzlichkeit und das ehrliche Interesse der Ju-gendlichen für die Flüchtlinge und Asylbewerber faktisch „um die Ecke“. Das ist nicht selbstverständlich hier in Deutschland. Dabei könnte der Gegen-satz nicht krasser sein: Hier ein neues,

einladendes, modernes Gymnasium, bestens ausgestattet, in dem der Be-griff „Mangel“ kein Dauergast sein dürfte. Dort eine alte Kaserne, die Ge-meinschaftsunterkunft für Flüchtlinge, in der eben dieses Wort noch harmlose Untertreibung ist. Aber genau das ist die Herausforderung, genau das sieht nun die neue „Schule ohne Rassismus

– Schule mit Courage“ als Selbstver-pflichtung an: hier eine Brücke zu bau-en, aktiv zu werden, Kooperation und Hilfe anzubieten. Das ist die Gelegen-heit für ganz praktische Zivilcourage und für das, was Integration von bei-den Seiten wirklich sein sollte:

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Sich mit Offenheit und Respekt von Mensch zu Mensch zu begegnen und nichts hinzunehmen, was entwürdigt und diskriminiert. Dabei wird man erstaunt feststellen, der Fremde ist nur so lange fremd, bis man ihn kennt. Dann ist er ein Jemand mit Namen und mit vielen Gemeinsamkeiten; man muss sie nur sehen wollen. Eine Chan-ce ferner, den im Wohlstand aufge-wachsenen Schülern eine ganz andere deutsche Wirklichkeit zu zeigen, die in keinem Lehrbuch oder Lehrplan steht, die im Verborgenen gehalten wird und die man oft genug nicht glauben mag. Durch diese Jugendbewegung könn-te so etwas wachsen, das viel wichti-ger ist als so manches herkömmliche Schulwissen: Den bisher Fremden

und es dort, wie er selbst am besten verkörpert, genauso hoch gebildete, weltgewandte und aufgeschlossene Menschen gibt wie hier. So mancher Lehrer hätte ihn um die Aufmerksam-keit der Schüler beneiden können. Für Betroffenheit und Irritation sorgte bei ihnen der Selbstversuch, wie die Flüchtlinge ihr Essen in einer Sprache auszuwählen und zu „bestellen“, die sie absolut nicht verstehen. Realer Flüchtlingsalltag eben. Konzentriert und mit genau dieser ungläubigen Be-troffenheit folgten sie den weiteren Schilderungen, stellten viele Fragen und diskutierten engagiert mit, ob über Fluchtursachen, Fluchtwege, das Asylverfahren oder über die Härten des Lebens als Flüchtling in Bayern. Für beide Seiten, für die Schüler wie auch für ihre Gesprächspartner, Ad-dis Mulugeta und Eva Peteler, verging die Zeit wie im Flug. Es tat gut, sol-che Jugendlichen zu erleben, und das Heimfocus-Redaktionsteam bedankt sich herzlich für diese wertvolle und hoffentlich folgenreiche Begegnung. Das gilt ganz besonders auch Frau Merwald, der „Seele“ des Projektes und ihrem engagierten Schülerteam, allen voran unseren neuen Freunden Lukas und Angelika, die nach ihrem Besuch bei uns in der Gemeinschafts-unterkunft nun selbst tolle Gastgeber und Repräsentanten ihrer Schule wa-ren. Angelika, dein Apfelkuchen war einsame Spitze!

Herzlichen Dank im Namen der Flücht-linge auch für die vielen Spenden für unser Heimcafé! Wir waren überwäl-tigt und danken allen Schülern, Eltern, Lehrern und der Schulleitung des Gymnasiums Veitshöchheim für diese Geste der Solidarität!Auf Wiedersehen - und herzlich will-kommen!

Eva Peteler

Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage (SOR-SMC) ist eine europä-ische Jugendbewegung, in Deutsch-land seit 1995. Es ist das größte Schul-netzwerk in Deutschland. Ihm gehören fast 1000 Schulen an. www.schule-ohne-rassismus.org

ohne Angst und Vorurteil, dafür aber mit Achtung und Solidarität zu begeg-nen und praktische Verantwortung zu übernehmen in der und für die Gesell-schaft von heute und morgen. Men-schen, die nur reden und solche, die nur weg schauen, haben wir schon mehr als genug. Addis Mulugeta, der Träger des Würz-burger Friedenspreises 2011, selbst in der Gemeinschaftsunterkunft in der Veitshöchheimer Straße unter-gebracht, erzählte den Schülern von seinen Erfahrungen als Flüchtling. Er spannte den Bogen weit, machte in einem lockeren und unterhaltsamen Dialog den Jugendlichen klar, dass auch in Afrika wertvolle und uralte Kultur und Tradition beheimatet sind

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Von Flüchtlingen für FlüchtlingeFlüchtlinge in Deutschland strecken ihre Hände aus

zu Flüchtlingen in Ostafrika

Fais, 27, Flüchtling aus Somalia, ist seit rund einem Jahr in Deutschland. Er ist nun in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) in Würzburg untergebracht. Selbst lebend in einer schwierigen Lage, im Lager, ohne Hoffnung und eine gesi-cherte Zukunft, saß er eines Abends gemeinsam mit einem Freund in seinem Zimmer; sie sahen fern, die Nachrichten waren voll mit Bildern der humanitären Krise und des tödlichen Hungers in sei-ner Heimat Somalia. Augenblicklich be-schloss er, bei den Flüchtlingen im Würz-burger Lager Geld zu sammeln für die von der Dürre und dem Nahrungsman-gel betroffene somalische Bevölkerung. Mit seinem Freund ging er von Tür zu Tür und bat um den Beitrag von einem Euro

von dem Taschengeld eines Flüchtlings, gerade mal 40€ im Monat. Unter Mit-hilfe des Heimfocus-Teams kam so der stolze Betrag von fast 168€ zusammen. In dieser kritischen Situation streckten alle Flüchtlinge ungeachtet ihrer Na-tionalität und Religion ihre Hände aus zu den Menschen in Ostafrika, die von Hunger und Dürre betroffen sind.Es ist nichts Neues, dass die Erde über genug Nahrungsmittel verfügt, um jeden Menschen zu ernähren. Doch leider ist es auch nichts Neues, dass Un-terernährung und Hunger immer noch mehr als genug Menschen in der Welt heimsuchen. So sind gerade am Horn von Afrika geschätzte 13 Millionen Men-schen vom akuten Hungertod bedroht,

ausgelöst durch eine außergewöhnliche Dürre, aber auch durch die desolate po-litische Lage und bewaffnete Konflikte mit den Nachbarländern. Somalia, Ke-nia, Dschibuti und Äthiopien brauchen Nahrung, Wasser, neue Viehbestände und Saatgut. Es stellt sich die Frage, aus welchem Grund die Dürreperioden in diesen Gebieten immer dramatischer werden. Obwohl die Ausmaße der ak-tuellen Dürre wohl auch den Auswirkun-gen des Klimawandels geschuldet sind, spielt ferner das Versagen der dortigen Regierungen eine Rolle. Sie ignorieren diese Herausforderung beharrlich und kümmern sich nicht um eine Anpassung der Landwirtschaft und um die Entwick-lung effizienter Bewässerungssysteme.

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Und die Bürger der starken, hoch ent-wickelten Länder des Westens? Machen sie sich Gedanken über Zusammenhän-ge und Ursachen der schrecklichen Dür-re weitab ihrer Heimat? Liegt es an der Politik, diese Ursachen von Hungersnot zu beseitigen? Oder spielen sich Natur-katastrophen dieser Art ohne Einfluss des Menschen und der Politik ab?Sicherlich sind die Ursachen von Hun-gersnöten komplex, aber einige von ih-nen liegen sehr wohl in der Verantwor-tung des Menschen. An allererster Stelle wird Hunger durch Armut bedingt. Und als eine der wichtigsten Ursachen dafür ist der politische Wille betreffender Re-gierungen zu nennen, Selbstversorgung und damit wirtschaftliche Unabhän-gigkeit der Bevölkerung zu verhindern. Weiter können bewaffnete Konflikte sowohl im Land selbst als auch zwischen Nachbarstaaten zu Hungerperioden führen, wenn Ernten vernichtet und die Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Genau das ist in Ostafrika der Fall, insbesondere in Somalia. Dort gibt es seit rund 20 Jahren keine legitimierte, allgemein anerkannte Regierung. Das Land wird zerrieben durch innere Kon-flikte und Herrschaft von Milizen wie der Al-Shabaab. Darüber hinaus sind immer

wieder Kriege zwischen Äthiopien und Eritrea, Eritrea und Dschibuti, Äthiopi-en und Somalia und im Sudan Grund für Hungerperioden und Leid der Bevölke-rung. Die Staatsfinanzen werden dann für diese Konflikte eingesetzt, auf Kos-ten der Versorgung der Menschen wie auch der sozialen und ökonomischen Entwicklung des Landes. Für große Teile der Bevölkerung kann dies Ver-treibung und Heimatlosigkeit bedeu-ten, Verlust ihrer Felder und damit ihrer Lebensgrundlage. Sie vegetieren dann in Flüchtlingslagern dahin, vollständig abhängig von Hilfslieferungen. Es stellt sich die Frage, woher die Unmengen an Waffen kommen, die es diesen Konflikt-parteien erst möglich machen, Hundert-tausende zu töten oder zu vertreiben. Fragen Sie sich das selbst: Warum wer-den die westlichen Waffenlieferanten nicht daran gehindert, in diesen Regio-nen glänzende Geschäfte auf Kosten der Bevölkerung zu machen?Die Dürre hat Millionen von Menschen, vor allem in Somalia, gezwungen, auf Suche nach Wasser und Nahrung ihre Heimat zu verlassen. Wir alle kennen die Bilder aus den Medien nur zu gut. Viele suchen Zuflucht in den Lagern von Mo-gadischu, andere drängen sich in den

überfüllten Lagern in Kenia und Äthi-opien. Verglichen mit den rund 27.000 Flüchtlingen, die in den letzten Mona-ten in die gesamte EU gekommen sind, nimmt allein das bitterarme Äthiopien mehr als 30.000 Hungerflüchtlinge aus Somalia auf – pro Monat! Die UN bestä-tigt, dass die überfüllten Flüchtlingslager in Kenia und Äthiopien jeden Tag mehr als 3.000 Neuankömmlinge verkraf-ten müssen. Viele Familien sterben aus durch Hunger und Waffengewalt in ihrer Heimat, andere, die es sich noch zutrau-en, schleppen sich hunderte von Kilome-tern durch Wüstengebiete auf der Suche nach Hilfe, Wasser und Nahrung. Diese sind am Horn von Afrika ohnehin Man-gelware und schwinden derzeit noch schneller dahin als sonst. So sterben viele Menschen unterwegs. Die Behör-den befürchten, dass mehr als 800.000 Kinder in der Region nicht überleben werden. Wer zeichnet für diese Tragö-die verantwortlich, abgesehen von der Dürre? Zumindest für Somalia gilt, so die Berichte von „Independent“, dass die Auseinandersetzungen zwischen der schwachen somalischen Übergangs-regierung und den Al-Shabaab-Millizen im Süden des Landes zu dramatischer Verschärfung der Lage beitragen.Aber auch die internationale Gemein-schaft kann sich nicht von einer Mit-schuld freisprechen. Sie wusste lange vor der dramatische Zuspitzung der Lage um die drohende Katastrophe und hat die benötigte Hilfe nicht rechtzei-tig oder gar vorbeugend bereitgestellt. Erst als hunderttausende vom Verhun-gern bedrohter Menschen die Aufmerk-samkeit der Medien auf sich gezogen haben, rollte die Hilfe an – zu spät. Si-cherlich trug dazu auch die Herrschaft der Al-Shabaab über die am härtesten betroffenen Gebiete bei, indem die Mi-lizen dort die Kontrolle behalten wollten, Zugang verwehrten und Wegezoll auf die Hilfsgüter erhoben. Dies ist in zen-tralen und südlichen Teilen Somalias auch heute noch der Fall. Nicht nur für die Al-Shabaab Milizen spielt das Elend der Flüchtlinge keine Rolle. Dies ist die Erfahrung von Flüchtlingen auf der gan-zen Welt, ein Schattendasein abseits po-litischer Interessen zu fristen.

Addis Mulugeta

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Krisen fallen nicht vom HimmelDie Hungerkatastrophe in Ostafrika auch nicht

Humanitäre Hilfe und kein Ende des Elends in Sicht – das Szenario wie-derholt sich immer wieder. Tsunami in Südostasien, Haiti, Pakistan, Japan

– und nun Ostafrika. Wieder einmal. Tragödien, die berühren, zumindest solange die flüchtige Aufmerksamkeit der Medien Bilder und Schlagzeilen in unsere Wohnzimmer transportiert. Die Ursache sind Naturgewalten, ver-nichtend und urplötzlich hereinbre-chend – meistens zumindest. Nicht so in Ostafrika. Dürre diesen Ausmaßes kommt nicht über Nacht. Die flankie-renden Missstände, die sie zu einer solchen humanitären Katastrophe ma-chen, auch nicht. Es gab Monate zuvor warnende, mahnende Stimmen. Aber man kann sie so lange verdrängen und ignorieren, bis es zu spät ist,um dann mit den gleichen Reflexen zu antwor-ten wie immer. Spenden, debattieren, Flüchtlingslager errichten bis zum nächsten Desaster. Natürlich gilt in der akuten Krise nur eins: Menschen-leben retten, so viele wie möglich. Die Stunde der Wahrheit schlägt später, wenn die Objektive und Schlagzeilen der Medien längst abgezogen sind.

„Viel zu lange sind Investitionen in ländliche Entwicklung vernachlässigt worden. Darum hat die Bundesregie-rung die Förderung der ländlichen Ent-wicklung zu einem Schwerpunkt der Entwicklungspolitik erklärt. Man kann viel vorbeugend tun, dass solche Kata-strophen nicht entstehen. Wir leisten unseren Beitrag dazu,“ so unser Bun-desentwicklungsminister Dirk Niebel über die deutsche Unterstützung für Ostafrika. Dafür seien zum Beispiel Äthiopien, dem neben Somalia am schlimmsten von der Dürre und von den Flüchtlingsströmen gebeutelten Land, in den kommenden drei Jahren 102 Millionen Euro zugesagt worden, so Herr Niebel weiter im Interview mit Hagen Strauss in der Mainpost vom 22.07.2011.Aha, so funktioniert also Entwick-lungshilfe: 102 Millionen sind viel, viel Geld in Äthiopien, willkommenes Geld

https://secure.flickr.com/photos/unhcr/5852749832/in/photostreamNewly arrived refugees from Somalia wait for registration at IFO camp in Dadaab, KenyaUNHCR / R. Gangale / May 2010

https://secure.flickr.com/photos/unhcr/6011203124/in/photostreamUNHCR has been feverishly preparing shelter in the new Dadaab camps, bu-urgently needs 45,000 more tents.UNHCR/ Brendan Bannon/ July 2011.

für ein totalitäres Regime, das mit der einen Hand diesen Obulus in die Ta-sche steckt und mit der anderen Hand Verträge unterschreibt, durch die, wie in ganz Ostafrika, Millionen Hektar fruchtbares Land den einheimischen

Kleinbauern entrissen werden, um es an ausländische Investoren zu ver-pachten. Wiederum für viel, viel Geld. Landraub gigantischen Ausmaßes an der eigenen hungernden Bevölkerung,

„Land Grabbing“. Allein in

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Ostafrika heute mehr als die gesam-te landwirtschaftlich genutzte Fläche von Deutschland, Frankreich, Groß-britannien und Portugal zusammen – Tendenz rasant steigend. Alles für den Export. Und das ohne Wissen der EU-Entwicklungsminister? Oder eher mit der stillschweigenden Billigung des Westens? „Das Bundesministerium ar-beitet seit vielen Jahren an einer nach-haltigen, langfristigen Verbesserung der Situation,“ so Herr Niebel im be-sagten Interview. Für die Eliten der be-treffenden Länder sicherlich. Was heißt das für den Kleinbauern als Familien-vater, für das kleine, vergessene Dorf

https://secure.flickr.com/photos/unhcr/5862357443/in/photostreamA displaced Somali sleeps rough on the outskirts of Bossaso after being evicted from Shabelle settlement.UNHCR/R. Gangale/May 2011

weitab der medialen Aufmerksamkeit, über Nacht enteignet, vertrieben zu werden von seiner Lebensgrundla-ge? Chinesische, indische, arabische, aber auch westliche Investoren stehen Schlange. Man kann es auch zynischer haben: „Wir haben gerade die Chance, die sich jeder Generation nur einmal bietet...Lebensmittel sind das Öl der Zukunft“, so Susan Payne, Leiterin des größten Investmentfonds für Land im südlichen Afrika, im erschüttern-den Bericht „Der Große Landraub“ im Stern-Magazin.[¹]Und Somalia? Die Dürre ist das Eine, die politische Lage als Brandbeschleu-niger das Andere. „Für Helmut Hess, den Somalia-Experten und früheren Leiter der Afrika-Abteilung von Brot

für die Welt , ist die Hungerkatastro-phe aber auch Folge einer falschen Politik des Westens gegenüber dem gescheiterten Staat Somalia. … Der Westen betrachtet Somalia nur unter dem Blickwinkel der Terrorbekämp-fung, an einer politischen Stabilisie-rung sei niemand interessiert...“[²] Klare Worte, die man sonst in Medien und Talkrunden nicht findet – genauso wenig wie auch diese bemerkenswer-te Interpretation der Hintergründe im gleichen Artikel: “Seit 2006 amtiert in Somalia eine Übergangsregierung, die von der UNO mit Rückendeckung Äthiopiens und der USA eingesetzt

wurde. Sie sollte verhindern, dass die Union für islamische Gerichtshöfe in Mogadischu die Macht übernimmt. Heute wünschen sich viele die mode-raten Muslime dieser Vereinigung zu-rück. Denn nach dem Einsatz der vom Ausland aufoktroyierten, total korrup-ten Übergangsregierung, die keinerlei Legitimität bei der Bevölkerung ge-nießt, sind die islamische Al-Shabaab-Milizen erst richtig stark geworden. Sie konnten sich als „Befreier“ von den ausländischen Mächten aufspielen.“ Cui bono – wem nützt dieses Spiel hin-ter den Kulissen? Der verhungernden, zwischen den Fronten zerriebenen Bevölkerung, die wir doch vorgeb-lich retten wollen? Sie spielt genauso wenig die Hauptrolle wie die hageren

„Piraten“, die vor der Küste Somalias die Frachter der reichen Welt kapern

– nachdem ihre Fischgründe von den Fangflotten ausländischer Fischin-dustrie leer gefischt worden sind. Ein ketzerischer Gedanke nur: Wenn es neuerdings eine Frage unserer inne-ren Sicherheit, also Verteidigungsfall ist, den Nachschub an Ressourcen zu gewährleisten, dürfte unserer Politik und Wirtschaft eine starke, wirklich demokratische Regierung von Soma-lia wenig Freude bereiten. Und nicht nur der Unsrigen. Sie könnte doch auf die Idee kommen, sich die Durchfahrt durch die Meerenge von Aden vergol-den zu lassen mit einem Wegezoll, der der großen Bedeutung dieser Route entspricht. Wer würde diesen Preis für ein prosperierendes Somalia ehrlich zahlen wollen?Die Menschen in Ostafrika bleiben ein Spielball machtpolitischer Inter-essen. Flüchtlinge anderswo auch. So bleibt die Frage unbeantwortet, ob es so weiter gehen soll und darf. Das im-mer gleiche Szenario: Katastrophen, Flüchtlingselend, als Antwort darauf Spenden, Scheindebatten, Flücht-lingslager und dann wieder von vorne?

„Man kann viel vorbeugend tun, dass solche Katastrophen nicht entstehen“, sagt also unser Entwicklungsminister. Man kann, Herr Niebel, aber will „man“ auch? Es bleibt vieles im Dunkeln, was an Interessen und Begehrlichkeiten am Horn von Afrika die entscheidende Rolle spielt und wem es nützt. Was aber alle sehen können, die hinschau-en, sind Millionen sterbender Men-schen. „Jedes Kind, das verhungert, wird in Wirklichkeit ermordet“, sagt Jean Ziegler, Mitglied des Beratenden Ausschusses des UNO-Menschen-rechtsrats. Das trifft in letzter Konse-quenz nicht nur auf Kinder zu.

Eva Peteler

[¹] © „Der große Landraub“ von Marc Goergen und Per-Anders Pettersson, Stern 23/2011, S. 54-63[²] © „Nomaden vor dem Nichts“ von Claudia Mende, Publik Forum 15/2011, S. 18-19

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Europakann mehr, Deutschland auch

Heimat und Stimme stehen nicht bloß im Zusammenhang mit dem Titel die-ses Magazins, sondern sie sind auch wichtige Anliegen innerhalb der Ar-beit des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR).Seit nunmehr 60 Jahren versucht UN-HCR Flüchtlingen eine Stimme zu ge-ben und arbeitet daran, dass interna-tionale Vereinbarungen möglichst zu Gunsten von Flüchtlingen entschieden und von den Regierungen erhört wer-den, um Heimat für Menschen möglich zu machen. Und so konnte UNHCR in den vergangenen Jahrzehnten bereits etwa 50 Millionen Betroffene entspre-chend schützen und ihnen Gehör ver-schaffen. Eine Stimme benötigen derzeit auch verstärkt die Menschen am Horn von Afrika, wo inzwischen mehr als zwei Millionen Somalier aus ihrer Heimat vertrieben und zur Flucht gezwungen wurden – einerseits wegen anhalten-der Konflikte zwischen der Bevölke-rung und den Al-Shabaab-Rebellen, andererseits wegen einer schreckli-chen Dürre und Hungersnot. Viele der Betroffenen, die täglich ver-

suchen, in Kenia, Dschibuti oder Äthi-opien Zuflucht zu finden, sind unterer-nährt und erschöpft; viele schaffen es erst gar nicht bis über die Landesgren-ze; Hunderttausende suchen Schutz nahe der Hauptstadt Mogadischu; an-dere wiederum investieren ihr letztes Geld und die verbliebene Hoffnung in eine gefährliche Überfahrt durch den Golf von Jemen; nur wenige schaffen es gar bis nach Europa; unzählige er-trinken in den Fluten, da ihre maroden Boote dem Seegang kaum standhal-ten.So nüchtern diese Aneinaderreihung von Fakten klingen mag, so drama-tisch ist sie auch. Und weil sich diese Entwicklungen von Flucht und Vertrei-bung nun auch noch mit einer nie da-gewesenen Hungersnot multipliziert, spricht der UN-Flüchtlingskommissar António Guterres von einer „Tragödie unvorstellbaren Ausmaßes“ und ruft die internationale Staatengemein-schaft auf, dringend benötigte Mittel zur Verfügung zu stellen: Die gleiche internationale Gemeinschaft, die sich verpflichtet fühlt, dreistellige Milli-ardensummen in den Erhalt der Fi-

nanzsysteme zu pumpen, sollte eine solche Verpflichtung zur Rettung auch gegenüber Menschen in großer Not verspüren, so sein Appell.Das gilt auch für jene sub-saharischen Flüchtlinge, die infolge des Libyen-Konfliktes zwischen alle Fronten ge-raten sind: Für die Betroffenen, die in Tunesien und Ägypten gestrandet und dort akut gefährdet sind, benö-tigt UNHCR dringend 8.000 Aufnah-meplätze. Potenzielle Aufnahmekan-didaten wie Deutschland und Europa wurden bereits mehrfach kontaktiert und könnten jetzt ein entsprechendes Signal senden, halten sich aber bislang zurück, obgleich sie bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Erstzufluchtslän-dern, dem sogenannten Resettlement, defensiver agieren als beispielsweise die USA, Kanada oder Australien. Ins-gesamt stehen weltweit nur 80.000 Resettlement-Plätze zur Verfügung; UNHCR benötigt aber etwa zehnmal so viele für Menschen, die dort nicht bleiben können, wo sie jetzt sind.Was UNHCR zudem Sorge bereitet, ist die Frage, ob der Zugang nach Eu-ropa per se gewährleistet ist und die

Rouven Brunnert, UNHCR Deutschland

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4110 / 2011

Schutzgesuche entsprechend geprüft werden können, um überhaupt zu be-urteilen, ob die Menschen gefährdet sind. Kernstück der Genfer Flüchtlingskon-vention, die in diesem Jahr ebenfalls 60 Jahre alt geworden ist, ist das Ge-bot für den Unterzeichnerstaat, kei-nen Schutzsuchenden in ein Land zurückzuweisen, wo ihr/ihm Gefahr droht. Aus Sicht von UNHCR gilt die Konvention dabei auch für Menschen, die auf hoher See, wie dem Golf von Jemen oder dem Mittelmeer, unter-wegs sind.In der Praxis mangelt es vielen Asylsys-temen allerdings häufig an ausreichen-den Verfahrens- und Schutzstandards; zudem werden aber auch grundlegen-de Punkte des internationalen Flücht-lingsrechts in Frage gestellt und mehr und mehr Asylsuchenden der Zugang zum Asylverfahren verweigert.Wenn heutzutage vier Fünftel aller Flüchtlinge weltweit in Entwicklungs-ländern leben müssen und die Staaten und ihre Anrainer mit dieser Belastung zunehmend alleine gelassen werden, müssen sich sowohl die reichen Indus-

triestaaten als auch die Europäische Union kritische Fragen gefallen lassen. Und obwohl 148 Staaten die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert ha-ben, heißt das jedoch leider nicht, dass sie sich immer entsprechend der hier-aus resultierenden Verpflichtungen verhalten. Der 60. Jahrestag des Abkommens sollte den europäischen Innenminis-tern, der polnischen Ratspräsident-schaft und der deutschen Bundes-regierung Ansporn genug sein, die vorherrschenden Dissonanzen in der europäischen Asylpraxis abzulegen und ein einheitliches gesamteuropäi-sches Asylsystem zu schaffen, dass die vorhandenen Kapazitäten zur Aufnah-me von Flüchtlingen jetzt ausschöpft und die Werte der Genfer Flüchtlings-konvention hochhält.

Rouven BrunnertAssociate External Relations Officer, UNHCR

www.unhcr.de

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Bildnachweis:

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Als Flüchtling gilt, wer gezwungen ist, aus Furcht vor Verfolgung oder auf Grund von Verfolgung wegen seiner Rasse, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen oder reli-giösen Überzeugung außerhalb seines Landes zu leben.Denen, die glauben, von einem unsiche-ren Ort an einen vermeintlich sicheren gelangt zu sein bedeute ein glückliches Ende der Geschichte, sei hier gesagt, dass ihr Glücksgefühl mitnichten von Dauer sein wird. In der neuen Umge-bung gehört zum Leben des Flüchtlings auch die Notwendigkeit, die Strukturen

Durstig nach Menschenrechten,nicht hungrig nach Rundumversorgung

Bus, Post, Anwalt, die 10€-Gebühr für die Erlaubnis, seinen beschränkten Auf-enthaltsbereich mal verlassen zu dür-fen und vieles mehr. Doch damit noch immer nicht genug der Schwierigkeiten. Viele Einheimische hegen immer noch das Bild des Flüchtlings als eines hung-rigen, ungebildeten Menschen, der nur hierher kommt, um sich ein schönes Le-ben zu machen, nicht weil er sich nach Freiheit und Sicherheit sehnt, nach ge-lebten Menschenrechten. So gehen sie, ihren Vorurteilen gehorchend, auf Dis-tanz, zeigen kein Interesse für die Lage der Flüchtlinge und lassen diese isoliert in ihren Lagern zurück. Ich habe dies oft

genug selbst erfahren, eine bittere Wahrheit.

Im Iran war ich ein wohlhabender Stu-dent, ich hätte wohl unter normalen Um-ständen in meiner Hei-mat ein sehr gutes, be-quemes Leben führen können, in mancherlei Hinsicht wohl besser als viele Deutsche. An Wochenenden waren meine Familie und ich

oft zu Festen eingeladen oder wir be-

Unmut und Widerstand geführt. In ei-nem solchen Fall reagiert das iranische Regime wie alle Regimes dieser Art: Anstatt gemeinsam mit den Menschen nachhaltige und allgemein akzeptierte Lösungswege zu suchen, antwortet es auf dringende demokratische Fragen mit Terror, Folter, Inhaftierungen und Gewalt.Um jedoch zu meinen Erfahrungen hier zurückzukehren: Zu dem Trauma, das die Erinnerungen an die Gefahren und Risiken der Vergangenheit in Heimat-land hinterlassen, zu dem Schmerz, die

….und in DeutschlandMein Leben in der Heimat....

und Regeln der Kultur und Gesellschaft des Gastlandes zu verinnerlichen. Dies geht unweigerlich nur durch rege Kon-takte mit der Lokalbevölkerung. Genau dieser Versuch aber kann ein psychi-sches Trauma verursachen.Die erste Begegnung mit dem Gast-land findet für gewöhnlich in der rau-en Umgebung eines Flüchtlingslagers statt. Dort erwartet den Flüchtling eine vorgegebene, limitierte Auswahl an Lebensmitteln, verglichen mit de-nen der Einheimischen und sogar mit der Nahrung, die man von Daheim gewohnt war, von einer erbärmlichen Qualität. Kleidung gibt es nur auf Gut-schein oder gebraucht. Das Taschen-geld beläuft sich auf ganze 1,30€ pro Tag für einen Erwachsenen, so gut wie nichts, bedenkt man die Ausgaben für

Familie, seine bisherigen Lebensart und Position verlassen zu haben, zu all dem gesellt sich die erneute Traumatisierung als Asylbewerber. Für mich kam der Ab-lehnungsbescheid meines Asylantrags genau am iranische Neujahr, nach Mo-naten des Wartens und Hoffens. Dies ruft in mit ein Gefühl der Heimatlosig-keit und der Angst vor eines ungewis-sen Zukunft hervor. Diese Erfahrungen und viele andere Probleme machen die Freude über die Rettung vor einem totalitären Regime zunichte und auch den Traum von einem neuen Leben in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Nein, der Flüchtling findet sich hier wie-der in einem diskriminierenden Umfeld, die Unterdrückung bekommt nur ein anderes Gesicht.

wirteten Gäste in unserem Heim, ohne finanzielle oder religiös motivierte Ein-schränkungen. Es gab auch alkoholi-sche Getränke, keine Verschleierung... Im Allgemeinen war ich im Iran finan-ziell gut abgesichert und hatte meine ganz persönlichen Freiheiten. Dies war also in keiner Weise ein Motiv, meine Heimat und meine gute persönliche Zukunft dort aufzugeben. Was mich zu diesem Schritt veranlasste, worun-ter ich litt, war der Mangel an sozialer und politischer Freiheit, die Restrikti-on freier Meinungsäußerung bis hin zu strengem Verbot jeglicher Kritik an der Regierung. Dies hat die Strukturen der Regierungsmacht im Iran in ein ineffi-zientes, selbstgefälliges System ver-wandelt ohne Rückbindung zum Volk und hat schließlich zu öffentlichem

Toomadj Avazzadeh

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Jeder Flüchtling „muss als Mensch

respektiert und behandelt werden“Die GU öffnet ihre Tür für den Bischof

Eine große Verwirrung unter vielen Flüchtlingen an diesem Nachmittag des 15.09.2011. Manche fragten ver-wundert, was ist denn heute im Lager los? Manche meinten überrascht, oh, heute ist großer offizieller Besuch hier im Lager angesagt, das könnte eine gute Gelegenheit sein, unsere schwierigen Lebensbedingungen zu erkennen und für Abhilfe zu sorgen. Wenige wussten Bescheid, dass dies der offizielle Besuch des Bischofs von Würzburg war. Sie hofften, er würde sich zu einem Gespräch mit Flücht-lingen aus verschiedenen Ländern einfinden, sonst wäre es wohl einer der vielen Vorzeigebesuche ohne positiven Einfluss auf den Lebensall-tag der Flüchtlinge. Sie fragten sich, gleich ob als Ergebnis einer Diskussion mit ihnen oder mit Mitarbeitern von Behörden,Gruppen und Verbänden, wird sich nach diesem offiziellen Be-such für uns etwas ändern, wird sich unsere Unterbringung verbessern und wird im Lager nach Menschenrechten gehandelt? Der bischöfliche Besuch ist in vielerlei Hinsicht von Bedeutung. Die Gemeinschaftsunterkunft ist nicht nur ein Flüchtlingslager, sondern auch Arbeitsplatz zahlreicher Menschen einschließlich der Caritas. Für diese alle war es eine gute Gelegenheit, sich und ihre Tätigkeit dem Bischof vorzu-stellen. Nutzten sie aber auch die gro-ße Chance, die wirkliche Situation der Flüchtlinge zu schildern? Dann erzähl-ten sie dem Bischof sicherlich, was es im Detail bedeutet, im Lager wohnen zu müssen, wie man dort das tägliche Leben bewältigt und wie schwierig In-

Lebenssituation der meisten Lagerbe-wohner zu besuchen, es wurden ihm zwei Flüchtlingszimmer im Frauen-haus vorgeführt.

Wenn wir schon über Flüchtlinge sprechen: Manche Menschen haben kein positives Bild von ihnen, sie den-ken, wir kämen von einem anderen Planeten, mit anderem menschlichen Verhalten, sie sehen nur das Negati-ve, die Schwächen und Differenzen, sie betrachten uns als nichtig und entbehrlich. So sind wir nicht, aber so werden für uns die Chancen, in die Gemeinschaft integriert zu werden, sehr klein. Wir sind bestrebt, durch diese schmale Tür Zugang zu der Ge-sellschaft hier zu erlangen. Unter uns sind so viele Menschen, die gebildet und in verschiedenen Bereichen gut ausgebildet sind, viele Menschen mit Energie und Willen, etwas zu schaffen und zu erreichen, Kinder, die zukünf-tige Generation. Wir sind die gleichen Menschen wie ihr, in demselben Boot wie ihr, das sich Planet Erde nennt, auf dem gemeinsamen Weg zum Jüngs-ten Gericht am Ende der Zeiten. Wie sagte doch der Bischof von Würzburg:

„Jeder Asylbewerber „muss als Mensch respektiert und behandelt werden“. Er kündigte an, gegenüber Politikern „die christliche Menschenbildvorstellung“ deutlich zu machen.“*

* Wolfgang Jung: „Bischof sorgt sich um Asylbewerber“, Mainpost 17.09.2011

Addis Mulugetategration mit den Einheimischen ist.

Der Bischof hatte keine Gelegenheit, eines der Männerhäuser als Abbild der

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Vom Sehen und Begreifen„Man sieht nur mit dem Herzen gut.“

Antoine de Saint -Exupéry

Heute war in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge irgendwie al-les anders. Es war besonderer Besuch angesagt, das konnte man schon im Vorfeld sehen; einmal daran, wie sorgfältig die Äußerlichkeiten dem Anlass angepasst wurden und zum anderen daran, dass die allermeisten Flüchtlinge keine Ahnung hatten und verwundert fragten: Was ist denn hier los? Kommt da wieder mal ein offizieller Besuch? So war es denn auch, viele wichtige Persönlichkeiten rund um die GU nahmen den Ehrengast in Empfang und umringten ihn auf Schritt und Tritt.

Sehr erfreulich, dass der Bischof der Diözese Würzburg das Lager besuch-te. Sehr erfreulich auch, dass er sich wenigstens kurz denen offen und auf-merksam zuwendete, um die es hier eigentlich gehen sollte, den Flüchtlin-gen. So recht erschließen mochte sich diesen der Besuch jedoch nicht. Auch

nicht denjenigen Protagonisten, von denen man zu Recht befürchten muss-te, die Realität des Flüchtlingsalltags vielleicht allzu direkt schildern und zei-gen zu wollen und die vorsorglich gar nicht erst eingeladen waren.

Das ist eben der Unterschied zwischen

Sehen und Be-greifen. Nehmen Sie den Friedensgruß bei christlichen Gottesdiensten, den Augenblick, in dem sich doch der eine Mensch dem anderen in der Tat zuwendet. Meinen Sie nicht auch, es ist ein entscheiden-der Unterschied, ob ich jemanden nur flüchtig anschaue und ihm Frieden

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wünsche oder ob ich ihm bewusst in die Augen blicke, seine Hand ergreife und mit ihm ganz nah bin für diesen Moment? So kann auch ein Besuch der Gemeinschaftsunterkunft so oder so sein...

Zu den haarsträubenden behördli-chen Worthülsen von der „adäquaten“

* Versorgung in einer „maßstabge-benden Einrichtung“ , die „die Bereit-schaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“ solle: … kein Kommentar!

Aber auch ohne diesen amtlichen Zy-nismus, sehr geehrter Herr Bischof, bleibt der bittere Beigeschmack einer sorgfältig inszenierten Begehung, die Ihnen mehr vorenthalten als gezeigt hat : Man wird nur wenig wirklich sehen, hören, begreifen können, wenn einem nach Drehbuch die Hochglanzseiten des Lagers präsentiert werden: nette Vorzeigezimmer im Frauenhaus mit ordentlichen Sanitäranlagen und gar einem Gemeinschaftsraum. Es ist ver-logen und billig, dies Besuchern wider besseres Wissen als Normalität vorzu-führen. Warum nicht ein abgenutztes Mehrbettzimmer im Männerhaus, die dortigen indiskutablen Toiletten und - welchen Gemeinschaftsraum für rund drei hundert Männer, bitte? Und hat jemand Herrn Bischof unterrichtet über die mangelhafte medizinische Versorgung, über die entwürdigende Lebensmittelausgabe, über die vielen systematischen und individuellen Per-sönlichkeitsverletzungen und Demü-tigungen in dieser Art von Unterbrin-gung?

Bauliche Sanierung ist die allerletz-te Antwort auf diese Nöte, und doch wird sie als Alibi ständig vorgebracht. Nichts als absurde Augenwischerei zur Ablenkung vom ethischen und asylpolitischen Versagen der Staats-regierung ist auch das Loblied, „eh-renamtliche Organisationen leisteten Vorbildliches“. Diese spielen die huma-nitäre Feuerwehr, nicht mehr, und sie werden den Brand in den Seelen der Menschen niemals löschen können. Verbrannte Erde statt Rechtsstaat-lichkeit dort, wo sich die Flüchtlinge neue Saat der Freiheit und Selbstbe-stimmung erhofft haben, als sie an unsere Türen anklopften: Genau das

ist es, was kaum jemand sehen und laut anprangern will. Ja, Herr Bischof, Sie haben so Recht, jeder Asylbewer-ber „muss als Mensch respektiert und behandelt werden“. Das wird er nicht, er ist oft genug so weit davon entfernt wie von seiner Heimat. Erst recht dort, wo niemals ein Besucher hin findet, in der verborgenen Einsamkeit so vieler abgelegenen, desolaten Lager.

Doch wer wirklich will, kann es be-greifen. Herzlich willkommen: Legen Sie alle Ihren Anzug, Ihr Kostüm, Ihre Soutane ab, kommen Sie unangemel-det, incognito, setzen Sie sich mitten unter die Menschen und hören Sie zu, begreifen Sie. Und dann tragen Sie das, was sie gehört und begriffen

haben, im Anzug, im Kostüm, in der Soutane zu den politisch Verantwort-lichen und weichen Sie ihnen nicht von den Fersen, bis „christliche Men-schenbildvorstellungen“ im Leben der Flüchtlinge wirklich und ungeteilt um-gesetzt werden.

In diesen Sinne, sehr geehrter Herr Bi-schof, eine Bitte an Sie: Kommen Sie bald wieder in die Gemeinschaftsun-terkunft – aber anders. Viele Flücht-linge hier und anderswo hoffen und vertrauen auf Sie.

Eva Peteler

* Alle Zitate aus dem Artikel „Bischof sorgt sich um Asylbewerber“ von Wolfgang Jung, Mainpost 17.09.2011

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46 [email protected]

Impressum 2.Jahrgang, 1.Ausgabe, 10 / 2011

Redaktion: Addis Mulugeta, Abay KirosRedaktionskontakt: [email protected]

Erscheinungstermin: 01.10.2011Erscheinungsweise: vierteljährlichAuflage: Exemplare 2500

Herausgeber: Eva Petelerc/o Ausländer-und Integrationsbeirat der Stadt Würzburg Rückermainstr.2 97070 Würzburg

Fotos: RedaktionTitelbild: RedaktionLayout: Maneis Arbab, Anette HainzDruck und Produktion: flyeralarm GmbH

Die in der Zeitschrift veröffentlich-ten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung der Redak-tion in irgendeiner Form reproduziert werden. Die Beiträge geben eine per-sönliche Meinung des Autors wieder, die nicht mit der der Herausgeber übereinstimmen muss.Die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge liegt ausschließlich beim Verfasser.

Hund oder Mensch?

No2 • 10/2010

teilhaben – Teil werden

Manche Menschen glauben immer noch, ihre Rasse sei allen anderen überlegen und habe eine Monopolstellung auf diesem Planeten … weiter auf S.24

VOICE FOR REFUGEES

VIVOVOLO - reach out your hand for refugees … cont. on p 20

Hund oder Mensch?Manche Menschen glauben immer noch, Manche Menschen glauben immer noch, Manche Menschen glauben immer noch, ihre Rasse sei allen anderen überlegen ihre Rasse sei allen anderen überlegen ihre Rasse sei allen anderen überlegen und habe eine Monopolstellung auf und habe eine Monopolstellung auf und habe eine Monopolstellung auf diesem Planeten … diesem Planeten … weiter auf S.24weiter auf S.24

04 / 2011

Hund oder Mensch? Teil 5

No6 • 07/2011

teilhaben-Teil werdenVOICE FOR REFUGEES

Stellen Sie sich vor, der Baum vor Ihrem Haus verliert sein ganzes Laub und wird zunehmend dürr und kahl …

Die Würde des Menschen ist unantastbar Teil 4Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aberwo käme man denn hin … Weiter auf S.5

Weiter auf S.34

Der Würzburger Friedenspreis 2011 geht

an Addis Mulugeta und das „Heimfocus-

Magazin – Stimme für Flüchtlinge“

Theater „Traum vom Leben“ S.38

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4710 / 2011

DER GEGENSATZ VON LIEBE IST NICHT HASS,DER GEGENSATZ VON HOFFNUNG IST NICHT VERZWEIFLUNG, DER GEGENSATZ VON GEISTIGER GESUNDHEIT UND VON GESUNDEM MENSCHENVERSTAND IST NICHT WAHNSINNUND DER GEGENSATZ VON ERINNE-RUNG HEISST NICHT VERGESSEN, SONDERN ES IST NICHTS ANDERES ALS JEDES MAL DIE

GLEICHGÜLTIGKEIT Elie Wiesel

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www.fluechtlingsrat-bayern.de

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www.bamf.de

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Stadtbücherei Falkenhaus

Bücherei Am Bahnhof, Veitshöchheim

Mainpost-Geschäftsstelle Plattnerstraße

Mainfrankentheater

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Evang. Hochschulgemeinde

Augustinerkloster, Dominikaner Platz

Ökumenisches Zentrum Lengfeld

Buchhandlung „erlesen“, Grombühl

Buchhandlung Neuer Weg, Sanderstraße

Buchhandlung Knodt, Semmelstraße

Stephansbuchhandlung, Stephanstraße

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Café Klug

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Philosoph. Fakultät I (Allg.Erziehungswis-

senschaften, Cafeteria)

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