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N o 9 04/2012 teilhaben-Teil werden V OICE FOR R EFUGEES Auf die Finsternis der Nacht folgt stets das Morgenrot. Der Morgen kommt und du wirst wiedergeboren in einen Tag voller neuer Erfahrungen. Er kam nicht nach Deutschland, um zu sterben. Weiter auf S.7 Weiter auf S.26 Willkommen in Eurer Stadt! Weiter auf S.11 Flüchtlinge und engagierte Freunde beim Weltgästeführertag in Würzburg Hund oder Mensch? Teil 8 Die Würde des Menschen ist unantastbar Teil 7

Heimfocus #09 - 04/2012

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Voice For Refugees teilhaben - Teil werden

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No 9 • 04/2012

teilhaben-Teil werdenVOICE FOR REFUGEES

Auf die Finsternis der Nacht folgt stets das Morgenrot. Der Morgen kommt und du wirst wiedergeboren in einen Tag voller neuer Erfahrungen.

Er kam nicht nach Deutschland, um zu sterben. Weiter auf S.7

Weiter auf S.26

Willkommen in Eurer Stadt! Weiter auf S.11

Flüchtlinge und engagierte Freunde beim Weltgästeführertag in Würzburg

Hund oder Mensch? Teil 8

Die Würde des Menschen ist unantastbar Teil 7

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Inhalt-Inside PagesEditorial .......................................................................................................................................... 3DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASTBAR ....................................................................... 7In Respekt und Freundschaft miteinander leben und lernen ............................................................ 9Farbe bekennen für ein Leben in Würde ........................................................................................ 10Willkommen in Eurer Stadt! ............................................................................................................11Exhausted Sound .......................................................................................................................... 12Eine Begegnung der besonderen Art ............................................................................................ 14Stimmungsbild unserer Weihnachtsveranstaltung ........................................................................ 16„Ziemlich beste Freunde“ – Ein gemeinsamer Kinobesuch ............................................................. 16Aub? Wo, bitte, ist Aub? ................................................................................................................. 17DIE SCHUTZFLEHENDEN ............................................................................................................ 18Die Wurzeln unseres Asylrechts im griechischen Altertum ............................................................ 19Flüchtlingsschicksale – ein Schulprojekt ........................................................................................ 21Essen vom Amt – teuer, unwürdig, unhaltbar! ............................................................................... 22Für die Abschaffung der Essenspakete für Flüchtlinge und Asylbewerber ...................................... 24„Gelebtes Integrationsangebot beim SV Oberdürrbach“ ................................................................ 25Dog or Human? – Hund oder Mensch? .......................................................................................... 26Er sehnt sich nach Freiheit – als Mensch und Künstler .................................................................... 28Sufismus ....................................................................................................................................... 29Stadt der Gesichtslosen ................................................................................................................ 30Jeder Mensch trägt einen ungeheuren Reichtum in sich ................................................................. 32„Traum vom Leben“ geht weiter! ....................................................................................................35Gesetze gegen Menschenrechte und Demokratie ......................................................................... 36Long distance to run away from home ...........................................................................................37Melodie der Integration – „eigentlich” ein leichtes Spiel ................................................................ 38Student life in Iran ........................................................................................................................ 40Behind the scene of 1979 Iranian Revolution ................................................................................. 41Flüchtlingsberatung im Bayerischen Wald ..................................................................................... 42Es geht also doch! ......................................................................................................................... 46Flucht und Asyl – KURZNACHRICHTEN ........................................................................................ 48Impressum ................................................................................................................................... 50

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304 / 2012 E d i t o r i a l

Ein außergewöhnliches Zeichen von Mut und Verantwortung lässt hoffen auf einen Wandel in der Haltung ge-genüber Flüchtlingen wie auch in der Asylpolitik. Der Würzburger Stadtrat bezieht Position für Menschenwürde und Perspektive der Flüchtlinge in der Würzburger Unterkunft. Zehn konkrete Forderungen richtet er an die Bayerische Staatsregierung, zum Beispiel Deutschkurse für alle Flüchtlinge, Privatsphäre und Ein-zelzimmer, Gutscheinsystem für Lebensmitteleinkauf, Verbesserung sanitärer Einrichtungen usw. Ohne ihre Erfüllung soll es keine Zustim-mung der Stadt Würzburg zur Ver-längerung des Mietvertrages für die Unterkunft geben. Die Medien sind mit ihren kritischen und fundierten Berichten und Kommentaren Ermu-tigung und Hilfe für diejenigen Politi-ker und Unterstützer, die sich für ei-nen Wandel in der Flüchtlingspolitik einsetzen.Dieser Wandel ist dringend notwen-dig, denn die meisten Flüchtlinge vergeuden ihre Zeit im Lager, ohne etwas für ihr Leben und für ihre Zu-kunft tun zu können. „ Es ist so lang-weilig und sinnlos, Tag und Nacht nur in der Unterkunft zu hocken, mit nichts, was von Nutzen oder von Bedeutung ist“, beklagen sich die Meisten. Manche wünschen sich einen Deutschkurs, um sich schnel-ler verständigen zu können, andere flehen um irgendeine Sinn stiftende Tätigkeit, um bei Verstand zubleiben. Und alle sehnen sich nach Integrati-on, so schnell wie möglich, nicht erst nach der langen Zeit des Hoffens auf einen Aufenthaltsstatus. Keine Chance zu haben auf Erfüllung auch nur eines dieser Anliegen mag einer der Gründe für die Verzweiflung der

Viele Stimmen für erfolgreiche IntegrationFlüchtlinge sein. Erst vor Kurzem hat sich ein junger Mann aus dem Iran in seinem Zimmer im Würzburger La-ger erhängt. Ein anderer, noch min-derjähriger Junge aus Afghanistan konnte bei seinem Selbstmordver-such in München in letzter Minute gerettet werden. Eine Ursache für diese Verzweiflungstaten mag der erzwungene lange Aufenthalt in ei-nem Flüchtlingslager sein; nach mei-ner Erfahrung sind es für viele mehr als zwei Jahre, für einige aber auch deutlich mehr. Je länger dieser Zu-stand, umso kritischer und instabiler wird die psychische Verfassung vieler Menschen dort. Dazu trägt auch die schwindende Hoffnung auf eine po-sitive Wendung bei, die immer mehr der Verzweiflung und Furcht vor Ab-schiebung weicht. Hinzu kommt die Belastung durch Isolation und eine Gefühl des Verlorenseins in einem fremden Land. Wie viel Erleichterung und Hoffnung brächte da die Aussicht auf Annähe-rung und Integration, auf ein rasches Erlernen der Sprache, um sich nicht auf Schritt und Tritt ausgeliefert und hilflos zu fühlen wie ein Kind. Für das Gastland wäre es eine nachhaltige Investition für die Zukunft, Men-schen zu Selbstständigkeit zu befä-higen und sie ihnen dann auch zuzu-trauen. Man bedenke nur die hohen Folgekosten erzwungener Passivität, durch die man verlernt, sein Leben eigenständig zu bewältigen. Ver-mittlung von Sprachkenntnissen und andere Unterstützung durch Behörden und Mitbürger wären das Sprungbrett, um Flüchtlinge so schnell wie möglich zu aktiven Mit-gestaltern der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Gastlandes des zu machen.In einer Untersuchung des UNHCR in verschiedenen europäische Ländern zu Hindernissen für eine Integration von Flüchtlingen sind die zahlreichen Problempunkte benannt worden: Schwierigkeiten wegen mangelnder Sprachkenntnisse und Kenntnis der kulturellen Unterschiede, Diskrimi-nierung und abwehrende Haltung gegen Ausländer, Mangel an Wis-

sen und Verständnis im Gastland für die spezifischen Probleme von Flüchtlingen, psychologische Aus-wirkungen erzwungener Untätigkeit während des langwierigen Asylver-fahrens, eingeschränkter Zugang zum Rechtsweg für Personen mit subsidiärem Schutz usw.Gastfreundschaft, Respekt und Of-fenheit von Behördenmitarbeitern und von der Lokalbevölkerung sind für Flüchtlinge lebenswichtig. Er-freulicherweise kommen in letzter Zeit von vielen Seiten ermutigende Signale wachsender Aufmerksam-keit und Betroffenheit. Nicht nur Eh-renamtliche und Verbände bemühen sich um Flüchtlinge in ihrer schwieri-gen Situation, sondern zum Beispiel auch eine wachsende Zahl von wei-terführenden Schulen, die ihre Türen öffnen und Räume der Begegnung schaffen. Ob die Gymnasien in Veits-höchheim und in Asbach, die Real-schule Höchberg, die BOS Würzburg oder die FOS Schweinfurt: Schüler wie Lehrer zeigen Zivilcourage und werden zunehmend aktiv für Flücht-lings- und Menschenrechte – ein sehr positives und ermutigendes Signal für alle. Leser können in den letzten und in der vorliegenden Ausgabe von Heimfocus verfolgen, wie das In-teresse der Schulen in Engagement und tolle Aktionen mündet. Auch die Mönchbergschule in Würzburg mit Kindern aus allen Nationen zeigt, wie befruchtend für alle gelebte In-tegration sein kann. Eine immer breitere Öffentlichkeit wendet sich den Flüchtlinge zu. Die Zeichen der Solidarität und die vie-len Angebote sind es wert, benannt zu werden. Ein außergewöhnliches Konzert mit einer Musikerin aus der Unterkunft, kostenlose Stadtführun-gen für Flüchtlinge, Kurzfilmpräsen-tation eines iranischen Flüchtlings im Programmkino, Solidaritätskundge-bungen und Gedenkzüge durch die Stadt, eine ganze Veranstaltungsrei-he zu Flucht und Asyl im Mainfran-ken Theater der Stadt rund um das dokumentarische Theaterstück „Die Schutzflehenden“, beliebte und be-gehrte Sportangebote im Verein und

HeimfocusRedaktion

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in der Unterkunft: das sind nur eini-ge der Zeichen von Freundschaft und Verbundenheit. Darauf kann Würz-burg stolz sein, auf die wachsende Zahl von Bürgern, die sich öffnen und engagieren für die gegenseiti-ge Annäherung und für Teilhabe der Flüchtlinge an der Gesellschaft.Wie wir immer wieder feststellen, ha-ben die meisten dieser Engagierten

vorher nicht die geringste Ahnung von der Situation der Flüchtlinge und von Asylpolitik gehabt. Aber sie hö-ren hin und sind bewegt, erschüttert, beschämt. Und sie fragen: Was kann ich tun? Die Antwort ist einfach: Es gibt viele Wege, Flüchtlingen zu helfen, Hauptsache, man geht sie, jetzt... Zeigen Sie Interesse, suchen Sie Kontakt, hören Sie zu, gewäh-

ren Sie individuelle Unterstützung, auch bei der Wohnungssuche oder um Deutsch zu üben usw. Alle diese Schritte fördern Integration und ver-kleinern den Graben der Furcht und der Vorurteile zwischen Flüchtlingen und Einheimischen. Es ist ein Geben und Nehmen, das von beiden Seiten Offenheit, Tatkraft und Willen zur Annäherung fordert.

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Many voices for successful integrationAn exceptional sign of commitment, courage and responsibility is giving hope for a wind of change in the atti-tude towards refugees and in asylum politics in general. The Würzburg City Counsel stands up for humanity and dignity of the refugees located in the GU Würzburg. Ten significant points of improvement of the refu-gee situation have been listed out for the Bavarian government, including German courses for everybody from the start, privacy and single rooms after one year stay in the camp or vouchers instead of food packages etc. The encouraging back-up by cri-tical and profound media and press reports is promoting the efforts of politics and individuals for a positive change in refugee situations.This change is badly needed, for the benefit of the whole society of this country, particularly for the refugees, because most of them still spend their time in the refugee camps by doing nothing for their future and life. Most of them say: “It is boring sitting the whole day and night in this place without doing anything important or useful. Some of them say, we need at least the language course to fasten our communicati-on skills, some say, we are hoping for any course to control our mind, and some say we need an integrati-on program even before getting the acceptance to stay here”. It is true that not having either of these chances, possibly makes re-fugees feel desperate. In recent times, a young man who came from Iran committed suicide. He han-ged himself at his refugee room in Würzburg. In addition, according to recent news from München, another very young boy refugee who came from Afghanistan tried to kill himself there. The point is, being forced to stay in the refugee camp for a long time might be one of the causes. The longer the refugees are forced to live in these stressful conditions, quite often for longer than two years, the more they are in a critical and vulne-

rable psychical situation. It is true that, instead of hoping for some-thing positive, most refugees are in despair and fear of being deported. That increases the anxiety and psy-chological problem of refugees. In addition, refugees are feeling lost in a new country. The argument is, if it is like this, an offer to participate in an integration program might be one of the solu-tions to minimize the challenges of the situation. Particularly consi-dering the demand for permanent support generated by inactivity and depression, it seems to be a wise and sustainable investment of the host country to enable refugees for personal autonomy and responsibi-lity as soon as possible. In this case, refugees will eagerly participate in all activities including economic and social development of the host country. According to UNHCR conducted as-sessments in several European Uni-on countries those numerous obsta-cles to the integration of refugees have been identified: difficulties due to lack of knowledge of local languages and differing cultures, discrimination and unreceptive at-titudes towards foreigner, slack of understanding within host societies of the specific situation of refugees, psychological impact of protracted inactivity during asylum procedures, limited access to rights for persons with subsidiary protection and etc. By understanding the difficult si-tuations of refugees, in addition to other volunteers and refugee or-ganizations, recently a lot of high school students and teachers have been very active in refugee and hu-man rights issues - very positive and encouraging for both sides. Only in our last issues of Heimfocus Magazi-ne, including this issue, we have seen more and more of this willingness and commitment, for example High schools of Veitshöchheim, Asbach, BOS Würzburg,FOS Schweinfurt, Realschule Höchberg have showed

a committed and welcoming face to refugees and a clear standing for civil courage. The Mönchbergschule, an outstanding international school in Würzburg also supporting the refugee kids from the camp, is well known and respected.Watching out for positive respon-se of the locals, a lot of endeavours and acts of solidarity have been shown recently and they are worth being strongly appreciated in this place. An outstanding concert inclu-ding refugee participation, guided city tours offered for refugees, de-monstrations of solidarity in the city, presentation of a trick film produced by a refugee, focus on asylum poli-tics in the theatre program, success-ful sports offers, to point out the variety of friendship and solidarity: in Würzburg more and more various people are getting aware of the criti-cal and unacceptable situation of re-fugees and are showing commitment and a welcoming face. Würzburg can be proud of the growing number of committed citizens. Thanks to all of you, who open your mind, your heart and hands now to reach out for new ways of community and solidarity.What we understood from our expe-rience, most of these groups previ-ously have had no idea about refugee situations and asylum politics. On the other hand, they are eager to lis-ten about the issue. As a result, they are shocked and ask what can we do? The answer is simple; there are a lot of ways to help refugees if you are willing to act right now… Offer them individual support, help them find an apartment, encourage them in their efforts to learn the language etc. All these steps are promoting successful integration and narrowing the gap of fear and prejudice between refugees and locals. That’s always a promi-sing two ways road, it needs steps of willingness and interest from both sides: a positive and open-minded attitude and activity of the locals as well as of the refugees.

Addis Mulugeta

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Er floh nach Deutschland,um Schutz und Freiheit für sein Leben zu finden,nicht um zu sterben,um so zu sterben.

Mohammad Rahsepar* 21. September 1982 im Iran# 28. Januar 2012 in Würzburg

Wir trauern mit seiner Familie.

Die Flüchtlinge der Gemeinschaftsunterkunft Würzburg,ihre Freunde und Unterstützer

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Die Würde des Menschen ist unantastbar Teil 7

Er kam nicht nach Deutschland, um zu sterben. Er hatte seine Gründe, gewichtige Gründe, warum er Frau und kleinen Sohn, Eltern, Heimat, al-les aufgegeben hatte. Als Polizist im Iran hat er sich irgendwann geweigert, Befehle zu befolgen, und es ist nicht schwer, sich vorzustellen, welche Kon-sequenzen dies in einer brutalen Dik-tatur hat. Als Mohammad Rahsepar vor acht Monaten in Deutschland an-kam, war er ein gesunder, zuversicht-licher junger Mann von 29 Jahren. Er hatte Hoffnung, er hatte Pläne für ein neues Leben in Freiheit und Sicherheit. Und er hatte ein Recht darauf, wie wir alle .Am 28.01.2012 erhängte sich Mo-hammad in seinem Zimmer in der Würzburger Gemeinschaftsunter-kunft. Ein junges Leben ist gescheitert im Dickicht von zerbrochenen Hoff-nungen und von bürokratischen Müh-len, denen es sich hilflos ausgeliefert sah. Was auch immer der letzte Aus-löser für diese Verzweiflungstat gewe-sen sein mag, es gibt eine Vorgeschich-te, und sie ist kein Einzelfall, sondern das reale Gesicht institutionalisierter Fremdenfeindlichkeit, als die man die europäische, deutsche und bayerische Asylpolitik bezeichnen muss.

Mohammad zerbrach an der Summe der vielen Nadelstiche, die gegen die Menschenwürde der Flüchtlinge ge-richtet sind und die sie zermürben. So erinnerte ihn die Unterbringung in ei-nem ehemaligen Militärkomplex aus dem Dritten Reich, hermetisch einge-zäunt, größtenteils mit Stacheldraht, mit einer vergitterten Schleuse und ei-nem automatischen Rolltor, täglich an seine Gefängniserfahrungen im Iran. Er war doch kein Verbrecher, sondern ein Schutzsuchender, wie die anderen 450 Flüchtlinge aus mehr als 40 Län-dern in der „Gemeinschaftsunterkunft“ in Würzburg auch. Dass sein Antrag auf Transfer zu seiner Schwester nach

Niemand flieht zu uns,um zu sterben

Köln „nur“ im Gewirr behördlicher Zu-ständigkeiten und Missverständnisse scheiterte, woher sollte er es wissen? Wie hätte er in seiner Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit für sich kämpfen können? Sein Selbstmord war mehr-fach angekündigt, dokumentiert auch in ärztlichen Attesten. Geholfen hat es wenig. Schließlich erwog er sogar die Rückkehr in den Iran, obwohl er wusste, dass ihm dort unter Umstän-den wieder Haft und Folter drohen. Er konnte in der Heimat nicht leben, hier ließ man ihn aber auch nicht, so nahm er seine Ausweglosigkeit wahr. Und er ist nicht der Einzige: Was trieb zum Beispiel einen 17jährigen Flüchtling am 07.03.2012 in München zu einem Selbstmordversuch? Nur in letzter Minute konnte der Jugendliche durch Eingreifen couragierter Helfer ge-rettet werden. Warum will ein Sieb-zehnjähriger, der stark und mutig ge-nug war, es von Afghanistan bis nach Deutschland zu schaffen, dann alles aufgeben, selbst sein Leben?Was Mohammad noch den Lebenswil-len raubte, was viele die - noch – leben,

innerlich zerstört, ist für jeden von uns nachvollziehbar: Es war einmal die Aussicht auf Monate, vielleicht Jahre des Stillstandes, des vergeblichen Hof-fens und Bangens, bis irgendwann sein Asylverfahren entschieden sein würde. Er sah täglich, was diese sinnentleerte, unbestimmte Zeit im Lager, reglemen-tiert und entmündigt, mit Menschen macht. Die Mehrheit der Flüchtlinge ist hier nur „geduldet“: Monate und Jahre, ohne zu wissen, wann die Situ-ation in der Heimat eine Abschiebung zulässt. Zeit ohne Perspektive, ohne Sprachkurse, ohne Integration. mit der Befürchtung im Hinterkopf, selbst das bisschen in Eigeninitiative erkämpfte Leben kann morgen vorbei sein. Man kann vieles aushalten, auch an harten Lebensumständen, aber nicht von un-begrenzter Dauer. Es ist ja auch eine Zeit des Schmerzes und des Selbst-zweifels, wenn andere Flüchtlinge, die später kamen, an einem vorbei ziehen, schneller ihren „Pass“ bekommen, ge-hen, ein freies Leben beginnen. Wa-rum sie und nicht ich, wie lange noch, und wieso wird mein Fall so schlep-pend bearbeitet? Was habe ich getan, was haben die mit mir vor? Fragen, die verzweifeln und depressiv werden las-sen. Die Ungewissheit zermürbt, und sie trifft Menschen, die sowieso schon traumatisiert sind. Gibt es überhaupt einen Flüchtling, der nicht traumati-siert ist? Wie kann man, innerlich un-beschadet, ins Ungewisse aufbrechen und verlassen, was einem alles bedeu-tet hat, die Liebsten, Familie, Freunde, Kultur, Sprache, Tradition, Heimat mit allen Orten, mit denen das Leben aufs Engste verbunden war, alles, was man sich aufgebaut hat, was die eigene Identität ausgemacht hat? Wie kann man psychisch unverletzt überstehen, was man auf der Flucht erlebt hat, die Bilder aushalten und die Albträume von Szenen, die man dabei mit anse-hen musste? Wie die Traumata ver-

© „Calais Migrant Solidarity“

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drängen, die einem selbst unterwegs widerfahren sind, Gewalt, Vergewal-tigungen, Todesangst, Verzweiflung? Auf einer Flucht, die Monate, Jahre dauern kann? Nehmen Sie einen Atlas zur Hand und fahren Sie mit dem Fin-ger nach, wie Sie von Afghanistan oder Iran, von Äthiopien oder Eritrea oder von anderen weit entfernten Ländern auf dem Land- und Seeweg nach Euro-pa kommen. Wie viele Grenzen, Flüsse, Gebirge Sie überwinden müssen, für horrende Summen von Schleppern auf LKW-Pritschen zusammengepfercht, auf monatelangen Fußmärschen, Frei-wild, fremd, ausgeliefert. Auf dem Holzkahn auf dem Meer, sehr wohl wissend, dass nur wenige von den verängstigten, angespannten jungen Menschen um Sie herum auch lebend ankommen; wer überlebt, wer stirbt in dieser Nussschale: er, sie, ich selbst? Würden wir es ertragen, das Buch zu lesen, das wohl jeder Flüchtling schrei-ben könnte? Und die ungeschminkte Realität als Dokumentarfilm aushal-ten? Wie viele Abgründe trägt also je-der Flüchtling schon in sich, wenn er es bis hierher schafft?Und wie verkraftet er, nachdem er die Flucht überlebt hat, zuallererst einer

„Zentralen Rückführungsstelle“ zuge-führt zu werden, noch bevor er seine Fluchtgründe und seinen Asylantrag vorbringen darf? Diese Behörde dient einzig dem Zweck der Rückführung ins Heimatland, wie ihr Name schon sagt. Sie offenbart in zynisch unübertreffli-cher Weise einen hässlichen General-verdacht als Grundeinstellung zu den Menschen, die bei uns um Asyl bitten: eigentlich unterstellen wir dir von vorn herein, dass du aus niederen Motiven herkommst, dass du kein Recht hast, hier um Schutz zu bitten. Noch bevor wir dir überhaupt zuhören, warum du die Flucht auf dich genommen hast, sagen wir dir: Geh! Das ist so, als wäre die oberste Prämisse unserer Recht-sprechung: Im Zweifel GEGEN den An-geklagten, und zwar ohne Anhörung! Was für ein Gesicht, das hier ein ver-meintlich freiheitlich demokratischer Rechtsstaat zeigt. Und genau dieses Gesicht zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Instanzen des Asylverfahrens, der per-sönlichen Erfahrungen und Lebensum-stände des Flüchtlings. Angekommen, nicht willkommen, ja, nicht einmal re-

spektiert in seiner Würde als Mensch. Die Erkenntnis, ich bin in dem Land, auf dem all meine Hoffnungen ruhten, ein Untermensch, das gehört wohl zu dem Schlimmsten, dem Schmerzlichs-ten, was einem Menschen widerfahren kann.

Mohammads Tod legt ein unmensch-liches System offen, das Schutz su-chende Menschen vorsätzlich und systematisch ihres Lebenswillens und ihrer Hoffnungen beraubt und sie allein lässt. Nach Mohammads Tod zerbrach die dünne Schutzschicht bei vielen von ihnen: Ich habe Menschen zusammen-brechen sehen in Weinkrämpfen, habe erfahren von Selbstverletzungen und Übergriffen, alles als Ventil für die Not und Verzweiflung, ein letztes Mittel, um alles zu ertragen. Da kann die bay-erische Staatsregierung noch so sehr auf der vorgeblich menschenwürdigen

„adäquaten“, „bewährten“ Unterbrin-gung beharren und sich beeilen, ihre Hände in Unschuld zu waschen: Ihr eisernes Festhalten an der eiskalten Strategie der Abschreckung, ihre Po-litik der Menschenverachtung richtet sich gegen die Würde des Menschen. Damit steht sie außerhalb unseres Grundgesetzes, der bayerischen Ver-fassung und im Widerspruch zu sämt-lichen Menschenrechtskonventionen, die Deutschland mitgezeichnet hat. Daran werden keine kosmetischen Instandsetzungen und keine Geldbe-träge, die jetzt zusätzlich in die Sozi-albetreuung in den Lagern gepumpt werden, etwas ändern. Am System des Unrechts wird verbissen festge-halten, und dieses unmenschliche Sys-tem wird weiter Diejenigen brechen, die bei uns Schutz suchen.Mohammads Tod, dieses verlorene Leben, steht für sich. Es geht um Trau-er und Betroffenheit über die Tragik eines Menschen, der sein Leben hier nicht mehr aushalten konnte. Es geht aber auch um tausende von Geflohe-nen und Asylsuchenden, denen er in seinem Tod ein Gesicht gibt, in allen Lagern, überall. Diese Menschen kön-nen selbst nichts für sich tun. Sie sind uns auf Gedeih und Verderb ausge-liefert. Heute mitnichten auf Gedeih, sondern gezielt und vorsätzlich auf Verderb. Flüchtlinge sind keine Unter-menschen, wir sollten sie auch nicht so behandeln. Kein Deutscher, egal wer,

würde es jemals hinnehmen, in ein Le-ben gezwungen zu werden, das wir ih-nen zumuten. Auch und vor allem nicht die Verantwortlichen in der Politik.

Ich hoffe sehr, dass die augenblickliche Aufmerksamkeit und Betroffenheit vieler Bürger nach diesem Ereignis Fol-gen haben wird, dass sich immer mehr Menschen öffnen und engagieren. Je-der kann sich mit Gesicht und Namen dafür einsetzen, dass in unserem Land alle Menschen endlich die Unterstüt-zung bekommen, die sie brauchen, um ein eigenständiges, würdiges Le-bens zu führen. Asylpolitik, so wie sie ist, fällt genauso wenig vom Himmel wie auch Sozialpolitik. Gesetze sind der Spiegel und Konsens einer Gesell-schaft, sie sollten es zumindest sein. Diese Gesellschaft, die mitbestimmen kann und muss, sind wir. Das ist ein Glücksfall und ein Privileg, um den wir von vielen unfreien Menschen in der Welt beneidet werden.

Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind keine Zeichen von Selbstsicherheit und innerer Größe. Unsere Geschichte und Gesellschaft, unser Kulturgut und somit der ganze Reichtum unsere „deutschen“ Identi-tät ist schon immer ein Gesamtkunst-werk von Einflüssen vieler Länder ge-wesen und wird es hoffentlich auch bleiben. Wieso ducken wir uns dann so ängstlich und verbohrt weg vor dem Reichtum, den uns die Flüchtlinge aus ihren Heimatländer mitbringen und anbieten? Haben wir kein Vertrauen in uns selbst und in die Kraft der Vielfalt von Menschen mit ihrem individuellen Wert und Potenzial? Sind wir wirklich verstockte, ängstliche Zwerge, die sich nicht trauen, unsere Gesellschaft, unseren Staat so gestalten, dass hier alle dazu gehören? Damit es hier kei-ne Menschen erster, zweiter und drit-ter Klasse mehr gibt? Wir alle müs-sen es nur wollen. Die Strategie der Asylpolitik ist nicht nur aus ethischer und christlicher Sicht verwerflich, sie ist auch alles andere als klug und zu-kunftsweisend. Die Überlebensfähig-keit unserer Gesellschaft generiert sich auch aus der Dynamik und Offen-heit des Zusammenwachsens, in Zu-kunft mehr denn je.

Eva Peteler

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Das obige Motto des letzten Schuljah-res bringt unsere gemeinsame Arbeit an der Schule auf den Punkt. Es ist als pädagogischer Leitfaden zugleich Weg und Ziel im täglichen Miteinader. Solche schönen Sätze klingen gut und machen auch etwas her im Schulkon-zept oder auf der Homepage. Aber sie wecken auch völlig zurecht unser Misstrauen, denn letztendlich zählt nicht eine gelungene Formulierung, sondern deren Umsetzung im Alltag.Die Schüler aus der Gemeinschafts-unterkunft in Würzburg leisten hierzu einen unverzichtbaren Beitrag, indem sie diesen Leitsatz jeden Tag neu mit Inhalten und Leben füllen. Zur Zeit leben über 20 unserer Schüler in der Unterkunft in der Veitshöchheimer Strasse 100. An der Mönchbergschu-le haben diese Schüler eine wichtige Funktion: Auf Grund ihrer meist hohen sozialen Kompetenz prägen sie das Klima in ihren Klassen und an der gan-zen Schule positiv. Sie sind meist wach und aufmerksam und haben offene Augen und Ohren für ihre Mitschü-ler, Lehrer und Betreuer. Besonders die älteren Schüler übernehmen ganz selbstverständlich Verantwortung. Sie mischen sich ein, wo andere weg schauen und fühlen sich zuständig, wo andere gleichgültig sind. Bei Konflik-ten im Klassenzimmer oder auf dem Pausenhof greifen sie schlichtend ein und es gelingt ihnen oft, erhitzte Ge-müter zu beruhigen. Als Dolmetscher bei Elterngesprächen oder Vermittler in schwierigen Situationen ist ihr dip-lomatisches Geschick gefragt und ge-schätzt.

Sie sind durchaus keine Heiligen, son-dern ganz normale Jugendliche in der Pubertät mit all den typischen Heraus-forderungen, die diese Lebensphase für sie selber, für ihre Mitschüler und für ihre Lehrer und Betreuer mit sich bringt. Und das ist auch gut so, be-deutet es doch ein Stück Normalität in einem ansonsten ganz und gar nicht

„normalen“ Leben.

In Respekt und Freundschaft miteinander leben und lernen

Wie Schüler aus der Gemeinschaftsunterkunft das Klima an der Mönchbergschule Würzburg prägen

Diese Jugendlichen haben viel Schlim-mes erlebt: Krieg, Verfolgung, Flucht. Sie mussten ihre Heimat, ihre Wurzeln, ihre Freunde und ihr soziales Netz zu-rücklassen.Sie müssen mit dem komplizierten Le-ben in der Gemeinschaftsunterkunft zurecht kommen, das sie tagtäglich vor neue Herausforderungen stellt. In ihrer neuen Heimat sind die Jugend-lichen zwar sicher vor Krieg und Ver-folgung, doch diese Sicherheit müs-sen sie teuer bezahlen, indem sie mit der äußeren Enge, der inneren Leere, der fehlenden Privatsphäre, der Angst vor Abschiebung und dem Gefühl des Ausgegrenztseins leben müssen.

schauen und offen zu sein für andere Kulturen, von denen wir in puncto Res-pekt, Gastfreundschaft und Hilfsbereit-schaft noch einiges lernen können.

In der letzten Zeit war die Gemein-schaftsunterkunft vermehrt im Fokus der Medien. Sogar der Würzburger Bi-schof Friedhelm Hofmann besuchte die Einrichtung, um sich vor Ort ein Bild von der Situation der Menschen zu machen. Er zeigte sich sehr betroffen und kün-digte an, bei den politisch Verantwort-lichen die Umsetzung der christlichen Menschenbildvorstellung anzumahnen, wonach jeder Asylbewerber als Mensch

Vielleicht haben sie genau deshalb so feine Sensoren für das, was ein gutes Miteinander in der Schule ausmacht. Vielleicht schärft ihre Lebenssituati-on den Blick für das Wesentliche, für das, worauf es letztlich ankommt und für das, was ihnen Halt, Hoffnung und eine gute Perspektive für ihre Gegen-wart und für ihre Zukunft geben kann: In Respekt und Freundschaft mitein-ander zu leben und zu lernen.

Ich bin sehr dankbar für die Begegnung mit den Schülern aus der Gemein-schaftsunterkunft und für das, was ich im Umgang mit ihnen jeden Tag neu erfahren darf: über den Tellerrand zu

respektiert und behandelt werden müs-se. Ich wünsche mir sehr, dass er seinen Vorsatz in die Tat umsetzt und bewirken kann, die Situation der Menschen in der GU nachhaltig zu verbessern.Solange jedoch die großen Veränderun-gen ausbleiben, sind die vielen kleinen Schritte in die richtige Richtung umso wichtiger. Schön, dass es an der Mönch-bergschule so viele Menschen gibt, die sich jeden Tag neu auf den Weg ma-chen!

Renate Lahrsow,pädagogische Leitung der offenen Ganz-tagsschule an der Mönchbergschule

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10 [email protected]

Zustimmung quer durch alle Fraktionen zu klar und präzise formulierten Forderungen: Der Würzburger Stadtrat bekennt in aller Deutlich-keit Farbe und stellt sich auf die Seite der vielen hundert Flüchtlinge in der Unterkunft am Rande der Stadt. Es ist ein klares Ja zu menschenwürdi-gen Lebensbedingungen und zu Integration und ein klares Nein zur Unmenschlichkeit der aktuel-len Asylpolitik des Freistaates.

Überlegt und sachkundig reagieren die Stadträ-te in angemessener Schärfe auf die weitgehen-de Missachtung ihrer Forderungen vor knapp zwei Jahren durch die Staatsregierung. Die Flüchtlinge, die das Glück hatten, im Mai 2010 der Stadtratssitzung beizuwohnen, werden die-sen Augenblick wohl niemals vergessen, als alle Stadträte die Hand hoben für deutlichen Verbes-serung der Lebensbedingungen der Mitbürger in der Gemeinschaftsunterkunft. Als Gäste hatte zuvor der Oberbürgermeister der Stadt, Herr Georg Rosenthal, die anwesenden Flüchtlinge begrüßt und ihr Anliegen in der Sitzung vorge-zogen, um sie nicht zu lange warten zu lassen.

Die nachzuweisende Umsetzung der 10 Forde-rungen ist für den Stadtrat Vorbedingung für die Zustimmung der Stadt zur Verlängerung des GU-Mietvertrages zwischen Bund und Land.

Zehn Punkte, die es in sich haben - für Men-schenwürde und Perspektive:

• Deutschunterricht für alle und von Anfang an, bereitgestellt durch die Regierung

• eigene Wohneinheiten für Familien

• Recht auf Privatsphäre; max. 3-Bett-Zim-mer für max. ein Jahr;

danach Einzelzimmer; bei medizinisch- psychologischer Begründung sofort

• offene Gemeinschafts- und Begegnungs-räume, verfügbar für alle rund um die Uhr

Farbe bekennen für ein Leben in Würde

Respekt und Dank an den Würzburger Stadtrat• Verbesserung sanitärer Einrichtungen

• Eigenständige Lebensmittelversorgung mittels Gutscheinsystem

• Sicherung bestehender medizinischer Ver-sorgung durch Verlängerung des

Vertrages mit der Missionsärztlichen Klinik Würzburg bis 2015

• Verlängerung der Besuchszeiten werktags bis 23 Uhr, Fr/Sa bis 24 Uhr

• Zugangserleichterung für Besucher und in-teressierte Bürger

• Lärmschutzmaßnahmen, bes. an Gebäuden unmittelbar an der vierspurigen B 27.

Der Würzburger Stadtrat bekennt sich in aller Deutlichkeit und Einigkeit zu seiner Verantwor-tung für alle Bürger der Stadt, so auch für die Flüchtlinge. Er zeigt Klugheit und Weitsicht, indem er deutlich macht, dass eine solide, gute Zukunft für alle Bürger nur im vertrauensvollen Miteinander und Wertschätzung des Potenzials jedes Mitmenschen liegt. Damit setzt er Zeichen und Standards für überfällige Reformen der Asylpolitik von Bund und Land, und eine immer breitere aufmerksame und engagierte Öffent-lichkeit wie auch bedeutende Vertreter der gro-ßen Kirchen stärken ihm den Rücken. Das Be-kenntnis einer wachsenden Zahl kritischer und wacher Bürger zu greifbarer Gerechtigkeit und Solidarität macht deutlich: Die Verantwortlichen für die aktuelle Asyl- und letztlich auch Gesell-schaftspolitik in diesem Lande sind gut beraten, zum Wohle aller endlich einen zügigen Wandel in der Asylpolitik des Landes einzuleiten.

Im Namen der Flüchtlinge in dieser Stadt und da-rüber hinaus:Respekt und Dank an die Stadträte von Würz-burg für ihren Einsatz für Menschlichkeit,Würde und Integration der Schutzsuchenden.

Eva Peteler

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1104 / 2012

„Wir heißen Sie willkommen und freuen uns, Ihnen so Teilhabe an der Kultur und am Leben unserer Stadt anbieten zu können, zu der Sie alle ja auch gehören!“ Mit diesem herzlichen Willkommensgruß schloss Prof. Ulrich Sinn, ehemaliger Vizepräsident der Würzburger Universität und ein kulturell wie menschlich sehr en-gagierter und geschätzter Bürger unserer Stadt, sei-ne Eröffnungsansprache zum Weltgästeführertag am 11.03.2012. Gerichtet war sie an die vielen Flüchtlinge, vornehmlich aus dem Iran, Afghanistan und Äthiopien, die der Einladung des Würzburger Gästeführervereins zu einer kostenlosen Stadtführung gefolgt waren.

Darüber hinaus hat der Verein sein Anliegen für alle in-teressierten Bürger und Gäste der Stadt, die an diesem Tag hoffentlich zahlreich die vielen kulturellen Ange-bote in Anspruch nehmen würden, klar formuliert:

„Der Würzburger Gästeführer e.V. möchte mit den am Weltgästeführertag 2012 gesammelten Spenden Teil der Hilfsinitiativen sein, die den Menschen in der GU die Hand reichen und ihnen ermöglichen, am kulturel-len Leben der Stadt teilzunehmen. Denn während der Zeit ihrer Unterbringung dort sind sie auch unsere Mit-bürger!“

Treffender hätte das Motto des diesjährigen Weltgäs-teführertages in der Stadt, „Durch Tür und Tor“, nicht umgesetzt werden können. Hier öffneten die Würz-burger in der Tat Türen und Tore für ihre Mitbürger aus der Gemeinschaftsunterkunft, in jeglicher Hinsicht! Danke!

Heimfocus

Willkommen ineurer Stadt!So geht Integration:Altstadtführungen für Bewohner der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft

Prof.Sinn begrüßt die ausländischen Gäste

Bei der Stadtführung

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12 [email protected]

Although I have got just one life to live on earth, worry, anxiety, stress and thinking deeply are moving around me day by day. Why all these things are happening on me rather than living in peace and love? At the moment I don’t have the right to decide on my life and future. It is in the hands of somebody else. In my case, as a refugee who lives in the refugee camp for years, I have ex-perienced a lot of discouraging issu-es. In this case, the only friend whom I met in the camp and I can share my experience with, is the broken mirror. When I face myself in this mirror, a lot of images and memories are coming together in my mind. From childhood to school, from the family to the villa-ge, from friends to working place and to my country in general. In addition to that I can see my routine life in the camp, eating and sleeping, eating and sleeping... I am regularly visiting this broken mir-ror, particularly late in the evening. When I stand in front of this mirror, so-metimes I am laughing and I say wow! What a wonderful young man inside this broken mirror! But then at the same time I feel sad and exhausted. I am asking myself, is this really my life? Am I breaking my future willingly or are some other people interrupting it? On the other hand, I can see the pic-ture of my family inside this broken mirror; their expectation of their son to be happy and successful, hoping he will finally become a doctor or a lawy-er. That was my big dream before I had to run to save my life, you know. But all these are wishes and dreams. And all of them are interrupted and stop-ped in the refugee camp. I am mostly disappointed and desperate when I see my broken life inside the broken mirror.Thanks to God, I am working in the camp, earning 5 Euro per day. Lucky me, I have got this chance after wai-ting on the list for six months. I am not complaining about the job, rather I am exhausted after cleaning those stin-

Exhausted soundLooking at a broken life inside the broken mirror

king, filthy toilets and asking myself, okay, that’s your life, isn’t it? Now, af-ter work, I would like to take a shower early in the evening. That is why I am going to visit my broken mirror-friend again. It is the only one telling me how I look. For me, it is not easy to be stan-ding in front of it. I ask myself in this broken mirror, where am I going now wearing these nice clean clothes? For whom am I trying to look nice and neat? Who cares? I don’t know anybo-dy waiting for me in the city but even if I had some friends out there, it is too expensive to go out. So after a while my confidence is shattered like this broken mirror. I take off my clothes and I push myself to sit in my old sofa. That’s all, once again. I am exhaus-ted, you understand? Why people are doing that and playing on human life this way? I am not the only person feeling like this in the camp but some other refu-gees too. They are experiencing slee-plessness, inability to get along with

others, particularly in close relations-hips, having difficulty concentrating, no longer finding pleasure in previ-ously enjoyable activities and feeling helpless in this foreign country. Even if I have a big hope to sew my broken fu-ture again, the pain will remain. While other people collect positive experien-ces like saving money for their future and family, I have got a lot of things to tell my future family if they are willing to listen to hard stories like this. I know my life is far too valuable and God created me with all kinds of won-derful unique characteristics. He alone knows why He challenges my spirit and my present like this. He hopefully won’t forget me as His unique preci-ous child created of equal value as all the others. He hopefully will lift up my exhausted mind for a better, confident future.

Isaa Yakubu

Part 8

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1304 / 2012

Ich habe nur dieses eine Leben auf dieser Erde, und doch zerrinnt es, Tag für Tag, bestimmt von Sorgen, Angst, Stress und Grübelei. Warum geschieht dies alles, warum lässt man mich nicht leben in Frieden und Wertschätzung? Die Entscheidung über mein Leben ist mir aus der Hand genommen, andere bestimmen nun über mein Schicksal. Als ein Flüchtling, der bereits seit Jah-ren in einem Flüchtlingslager wohnt, habe ich viele entmutigende Erfah-rungen machen müssen. Der einzige Freund, mit dem ich sie hier im Lager teilen kann, ist der zerbrochene Spiegel. Wenn ich mich darin anschaue, kommt mir Vieles in den Sinn: Erinnerungen, Bilder aus der Kinder- und Schulzeit, von der Familie und aus dem Dorf, von Freunden und meiner Arbeitsstelle bis zu meiner Heimat im Allgemeinen. Und dann drängt sich dieses Bild in den Vor-dergrund von meinem Alltag im Lager: essen und schlafen, essen und schla-fen,...Ich besuche meinen zerbrochenen Spiegel oft, besonders spät abends.

Aus:“Stadt der Gesichtslosen“ von Chris Grodotzki( ©Text und Fotos)© 2012 Kontext:Wochenzeitunghttp://www.kontextwochenzeitung.de/no_cache/newsartikel/2011/07/stadt-der-gesichtslosen/?print=1

Stimme der ErschöpfungZerbrochenes Leben im zerbrochenen Spiegel

Manchmal lache ich laut auf, wenn ich mich darin ansehe: Wow! Was ein wun-derbarer junger Mann in diesem Split-ter von Spiegelglas! Doch dann wieder diese Traurigkeit und Erschöpfung. Ich frage mich, ist das wirklich mein Le-ben? Zerbreche ich willentlich meine Zukunft oder tut dies jemand anders? Andererseits erkenne ich das Bild mei-ner Familie in diesem Spiegelstück: Ihre Hoffnungen und Erwartungen, dass ihr Sohn es schon schaffen wird, dass er sein Glück findet und Erfolg, dass er endlich Arzt oder Anwalt werden kann. Das war mein großer Traum, wissen Sie, bevor ich um mein Leben rennen musste. Aber all das sind nur Wünsche und Träume. Und sie alle finden ein jä-hes Ende im Flüchtlingslager. So bin ich am Ende enttäuscht und verzweifelt, wenn ich mein zerbrochenes Leben in dem zerbrochenen Spiegel betrachte.Gott sei Dank habe ich Arbeit bekom-men im Lager und verdiene nun 5 Euro am Tag. Was für ein Glücksfall, nach sechs Monaten Wartezeit. Ich beklage mich nicht über die Arbeit, ich fühle mich eher erschöpft, nachdem ich die-se stinkenden, verdreckten Toiletten gereinigt und mir dabei immer wieder die gleich Frage gestellt habe: Okay, das ist wirklich dein Leben? Und dann habe ich das Bedürfnis, zu duschen. So besuche ich wieder meinen zerbroche-nen Spiegel-Freund. Er ist der Einzige, der mir verrät, wie ich aussehe. Es ist für mich nicht einfach, mich diesem Spiegelbild zu stellen. Ich frage mich in meinem zerbrochenen Spiegelbild, wohin willst du denn mit dieser frischen, schicken Kleidung? Für wen gibst du dir Mühe, gut und ordentlich auszusehen? Wen schert das? Ich habe niemanden in dieser Stadt, der auf mich wartet, und

selbst wenn ich dort Freunde hätte: Es ist einfach unerschwinglich, auszu-gehen. So zerschellt schließlich meine Lebensfreude wieder am Boden, gleich dem zerborstenen Spiegel. Ich ziehe meine schöne Kleidung aus und set-ze mich auf mein schäbiges Sofa. Das war‘s, wie immer. Ich bin erschöpft, am Ende, verstehen Sie? Warum tun Men-schen das Menschen an und spielen mit dem Leben anderer?Ich bin nicht der Einzige im Lager, dem es so ergeht. Anderen Flüchtlinge kennen es auch. Sie leiden an Schlaf-losigkeit und sie tun sich schwer, mit anderen gut auszukommen, enge Bin-dungen einzugehen. Sie können sich nur mühsam konzentrieren und sich an dem erfreuen, was ihnen früher Spaß gemacht hat. Sie fühlen sich hilflos in diesem fremden Land. Auch wenn es mir gelingt, die Bruchstücke meiner Zukunft wieder zusammen zu fügen, der Schmerz wird bleiben. Während andere Menschen sich voller Zuver-sicht ihre Zukunft aufbauen, dafür und für ihre Familie Geld zur Seite legen, werde ich meiner künftigen Familie viel zu erzählen haben – wenn sie bereit ist, diese harte Wahrheit zu ertragen.Ich weiß wohl, mein Leben ist viel zu kostbar; Gott hat mich so geschaffen, wie ich bin, mit wunderbaren, einzig-artigen Eigenschaften. Er allein weiß, warum Er mich und meine Kraft her-ausfordert durch ein solches Leben. Er wird mich hoffentlich nicht vergessen als Sein einzigartiges, kostbares Ge-schöpf, gleich viel wert wie alle anderen. Er wird hoffentlich mein erschöpften Geist stärken für eine bessere Zukunft voller Zuversicht.

Isaa Yakubu

Teil 8

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14 [email protected]

Der Anfang ist gemacht: Eine Begegnung der besonderen Art für alleDas Gymnasium Veitshöchheim lädt Familien aus der Gemeinschaftsunterkunft in

Würzburg ein

unserer Einladung, am 21. Dezember 2011 mit uns einen weihnachtlichen Nachmittag am Gymnasium Veits-höchheim zu verbringen, offenbar gerne gefolgt. Gespannt schauen sich unsere Gäste um, schütteln Hände, lassen sich die Mäntel und Jacken ab-nehmen. Bald hat jeder einen Platz an der Tafel gefunden. Auf der Büh-ne unserer Schule strahlen erstmals zwei geschmückte Christbäume um die Wette, St. Nikolaus alias Philipp Kollroß und Weihnachtsengel Klara Becker laufen zum Entzücken der klei-nen Gäste durch die Reihen, bevor es für Augenblicke ganz still wird: Unsere Band spielt und singt den einst für die Hungersnot in Äthiopien in den 80er Jahren geschriebenen Klassiker „Do they know it’s Christmas?“, die Aula nur erleuchtet im Kerzenschein wirkt fast wie ein verzauberter Ort.Wir begrüßen unsere Gäste in verschie-denen Sprachen, sind glücklich, dass sie einen Dolmetscher mitgebracht haben, der gerade auch die Menschen aus dem Iran, Afghanistan, Äthiopien,

Russland und der Ukraine in ihrer Spra-che an unserer Schule willkommen hei-ßen kann. Jetzt ist das Buffet eröffnet: Alle sollen sich bedienen, das Kulinari-sche bringt die Menschen wie überall auf der Welt ins Gespräch, öffnet Sin-ne und Herzen. Die Atmosphäre wird zunehmend lockerer und entspannter, die Kinder haben ohnehin keine Be-rührungsängste, wetteifern darum die Smarties-Tischdekoration aufzuessen, ihre Finger ins Kerzenwachs zu tau-chen und die Schokokusspyramiden zu vernichten. Und wir, das Vorberei-tungsteam unserer Schule, reiben uns die Augen und atmen zugleich erleich-tert auf, dass diese Begegnung der besonderen Art dabei ist, ein Erfolg zu werden. Die Schülerinnen und Schüler des Arbeitskreises „Schule ohne Ras-sismus – Schule mit Courage“ und der Schülermitverantwortung haben ihr Bestes gegeben, um diesen Nachmit-tag zu einem gelungenen Fest werden zu lassen. Die Spenden für unser Weihnachtsbuf-fet kamen von der gesamten Schulge-

Noch schnell letzte Hand anlegen: Teelichter und Kerzen in aller Hektik anzünden, den Kinderpunsch in Karaf-fen füllen, Servietten zurechtrücken. Und wo sind die Brezeln geblieben? Und was ist mit dem Kaffee? Hysteri-sches Gekichere. letzte Teambespre-chung - und da sind sie auch schon: Eine Horde aufgeweckter, fröhlicher Kinder mit großen Augen und lachen-den Gesichtern stößt die Türen des Haupteingangs unserer Schule auf; die Jugendlichen folgen dagegen et-was cooleren Schrittes. Schließlich stehen sie vor uns, erwartungsvoll-strahlend. Und, was einem hier zum ersten Mal sofort auffällt, diese Kinder und Jugendlichen sind von besonderer Höflichkeit, als wir sie auffordern, sich doch die schönsten Plätze in unserer festlich geschmückten Aula auszusu-chen. Auf dem Fuß folgen ihnen ihre Eltern, die Begrüßung ist herzlich, und das, obwohl wir uns zum ersten Mal begegnen. Wir spüren kein Misstrau-en und freuen uns: Die Familien aus der Gemeinschaftsunterkunft sind

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1504 / 2012

meinschaft und haben gezeigt, was alles bei einer entsprechenden Schul-kultur möglich ist: zu begreifen, dass selbst das Päckchen Tee ebenso will-kommen ist und dankbar aufgenom-men wird wie zwei Bleche mit Streu-selkuchen. Das Begleitprogramm kann sich ebenfalls sehen lassen: Unsere Le-sescouts haben im Märchenzelt einige

Geschichten vorbereitet, die davon erzählen, wie unterschiedlich Weih-nachten auf der ganzen Welt gefeiert wird, die Arbeitskreismitglieder der 10 a basteln und malen mit einer an-deren Gruppe und die SMV-Sprecher Lukas Krenz und Sophie Becker ma-chen sich mit den Größeren auf eine Expedition durch das Schulhaus. Um die Mütter und Väter aus verschiede-nen Nationen kümmern sich unsere engagierten Lehrkräfte, unser stell-vertretender Schulleiter, und einige Damen des Elternbeirats, die es sich nicht haben nehmen lassen, trotz der drängenden Weihnachtsvorbereitun-gen für die eigene Familie an diesem besonderen Nachmittag dabei zu sein. Vor allem freuen wir uns außerdem, dass der Leiter der Mönchberg-Schule, Herr Becker, und seine Frau, den Weg zu uns gefunden haben, ebenso wie die Caritas-Mitarbeiter Rainer Jäckel und Heribert Strykowski, die uns im Vorfeld tatkräftig bei der Suche nach interessierten Familien unterstützt hatten. Der Auftritt unseres Jongleurs

Timo Wagenblast bringt Jung und Alt wieder in der Aula zusammen und alle sind schließlich aufgerufen mitzuma-chen; unter großem Hallo versuchen sich vor allem die jungen Gäste am Di-abolo, Jonglierbällen und -keulen.Als gegen Ende der Veranstaltung end-lich die Bescherung beginnt, die Viel-zahl der Geschenke verteilt werden

soll, die neugierig bestaunt die ganze Zeit unter den Weihnachtsbäumen deponiert waren, wird es nochmal tur-bulent. Unser Klassenwettbewerb un-ter dem Motto „Menschen bewegen

… Menschen verändern Menschen … Menschen“, den wir Ende November in der Schule auslobten, hatte nicht nur eine Fülle von Spielzeugspenden eingebracht, sondern tatsächlich auch über 900 Euro eingebracht, so dass wir an diesem weihnachtlichen Nachmit-tag nicht mit leeren Händen vor unse-ren Gästen dastehen mussten. Für die Erwachsenen gibt es Streifenkarten für den Öffentlichen Personennahverkehr, damit sie öfter bequem die Innenstadt erreichen können. Von Eva Peteler wussten wir, dass solche Tickets unter den Flüchtlingen heiß begehrt sind. Für die Jugendlichen halten Lukas, Sophie, Angelica, Klara, Pauline, Ma-rie, Jakob, Marcel, Michelle, Dorothea, Felix und Regina Gutscheine für einen gemeinsamen Kinobesuch bereit.Zu fortgeschrittener Stunde drängt der Busfahrer Klaus Kuhn zum Auf-

bruch, er hat seinen Service völlig unentgeltlich zur Verfügung gestellt und muss nun weiter seinen Verpflich-tungen als Fahrlehrer nachkommen. Aber das Abschiednehmen zieht sich hin, ein gutes Zeichen, wie wir fin-den. Stimmengewirr, Lachen, inniges Händedrücken, Versprechen von bei-den Seiten, dass dies nicht die letzte

Begegnung gewesen sein soll … „Do they know it’s Christmas?“ – der Song, mit dem wir diesen Nachmittag eröff-neten. Wir hoffen, dass der Geist von Weihnachten in diesen Stunden am Gymnasium Veitshöchheim spürbar geworden ist, für Menschen, die sich leider oft zu Recht von uns vergessen fühlen. Bis zum nächsten Mal! Auf Wiedersehen! Good bye! Au revoir! Arrividerci! Asta luego!До свидания! خداحاف

Jutta Merwald, Arbeitskreis „Schule ohne Rassis-mus – Schule mit Courage“ am Gymnasium Veitshöchheim

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16 [email protected]

Es war so ein Einfall, eine Idee, die kam, ohne lange darüber nachgedacht zu haben.Es war Anfang Oktober beim SMV-Seminar, da ist Angeli-ca und mir beim Gespräch die Idee gekommen, die Flücht-linge aus der Gemeinschaftsunterkunft zu uns einzuladen. Es sollte ein kleines Fest zu Weihnachten werden, um den Flüchtlingen auch ein Stück unserer „Deutschen Weihnacht“ näher zu bringen und dabei vor allem die Freude, die von diesem Weihnachtsfest ausgeht, zu vermitteln.

Nach langer Planung stand dann also der 21.12.2011 bevor, der Tag, an dem wir Familien aus der GU eingeladen hat-ten, zu uns in die Schule zu kommen. Wir hatten ein kleines Programm vorbereitet und hofften natürlich, dass dieses Zuspruch finden würde (s. Artikel)! Aber unsere größte Sor-ge war, wie offen werden uns die Menschen begegnen und auch wie offen werden wir ihnen begegnen. Und ich muss sagen diese „Angst“ war im Nachhinein völlig unbegründet, denn in dem Moment, in dem die Kinder durch die Türe in die Aula stürmten, unseren Nikolaus umarmten und das Buffet bestaunten, in dem Moment hatten wir das Gefühl, wir haben alles richtig gemacht. Wir haben es geschafft

Unser Weihnachtsgeschenk für die Jugendlichen, die bei unserem Weihnachtessen waren, war ein Kinobesuch. Ausgesucht hatten wir schließlich den Film „Ziemlich beste Freunde“, der uns von vielen empfohlen wurde! Der Film hat allen sehr gut gefallen und auch das Popcorn hat geschmeckt. Wir hatten alle einen schönen Nachmittag, den man gerne auch mal wiederholen kann!

Lukas Krenz, Arbeitskreis „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“

„Ziemlich beste Freunde“ ein gemeinsamer Kinobesuch

ein kleines, fröhliches Weihnachtsfest zu schaffen und die ganze Schulgemeinschaft durch Spenden mit einzubezie-hen! So kam es auch schnell, dass wie uns gegenseitig aus-tauschten, plauderten, zusammen mit den Kindern spiel-ten oder uns mit den Jugendlichen unterhielten. Ich muss sagen, dass ich noch nicht so oft so aufgeschlossenen und freundlichen Menschen wie an diesem Nachmittag begeg-net bin!

Die Verabschiedung fiel dementsprechend herzlich aus und ermutigte uns weiter zu machen und eine solche Veranstal-tung wieder durchzuführen! Unser Weihnachtsgeschenk für die Jugendlichen – ein Kinobesuch mit uns – wurde be-geistert angenommen und wir freuen uns auf ihn! Insge-samt hat uns der Nachmittag sehr viel Spaß gemacht und wir hoffen, es hat auch allen Familien, die anwesend waren, gefallen!

Lukas Krenz, Arbeitskreis „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage"

am Gymnasium Veitshöchheim

Stimmungsbild unserer Weihnachtsveranstaltung

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Wieder einmal Freitag Nachmittag, und ich stürze, von meiner Arbeit kommend, in mein Auto, um schnellst-möglich in das kleine Städtchen Aub zu fahren zu meinem ehrenamtlichen Deutschunterricht in der dortigen Ge-meinschaftsunterkunft für Flüchtlinge. Zum Mittagessen hat es natürlich nicht gereicht, da müssen ein paar Bananen als Energiespender schon mal ausrei-chen, denn ich weiß, dass in Aub be-reits „meine Schüler“ ungeduldig ihrer Deutschstunde entgegen fiebern. Als nicht „Eingeborener“, der man ja irgendwie immer bleiben wird, muss-te ich vor der ersten Fahrt dorthin erst einmal herausfinden, wo dieses idylli-sche Städtchen überhaupt liegt: nicht gerade an den Hauptverkehrsadern der Gegend, sondern ca. 30 km in süd-östlicher Richtung von Würzburg zu finden. Es verfügt über entsprechende Vielfalt an Handel und Gewerbe sowie eine durchaus ansehnliche Vereinskul-tur, die sich jedoch einem Heimbewoh-ner der Gemeinschaftsunterkunft dort kaum sofort erschließen wird. Wie kam es nun zu meiner „Unter-richts-Außenstelle“? Im Rahmen des moslemischen Opferfestes – Aide Ghorban – das von der Würzburger Sant‘ Egidio-Gemeinde im Herbst letzten Jahres organisiert und zu dem

Deutsch-Unterricht in der Gemeinschaftsunterkunft in AubAub? Wo, bitte, ist Aub?

ich freundlicherweise auch eingela-den worden war, sprachen mich einige iranische Bewohner der Auber Unter-kunft an, weil sie gehört hatten, dass ich bereits in der Würzburger GU eh-renamtlich Deutschunterricht gebe. Sie fühlten sich in Aub diesbezüglich sehr unterversorgt und baten mich, ob ich nicht auch ihnen Deutsch beibrin-gen könnte. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es dort bereits einmal pro Woche Unterricht durch Frau Petra Brzezy-cki. Aufgrund der nicht vorhandenen Deutsch-Kenntnisse der Schüler und der natürlich genauso wenig vorhan-denen Persisch-Kenntnisse der Leh-rerin war jedoch die Kommunikation zwischen den meisten iranischen und afghanischen Schülern und ihrer Leh-rerin nahezu unmöglich, was das Ler-nen sehr erschwerte bzw. Richtung Null-Punkt brachte, trotz des nach wie vor sehr großen Engagements von Frau Brzezycki. Insofern konnte ich hier in der Tat eine bestehende Lücke schließen. Allerdings fand ich in Aub leider kein Klassenzimmer oder andere Unter-richtsmittel vor, wie sie mir in der Würzburger GU zur Verfügung stehen. Vielmehr treffe ich mich mit meinen Schülern im Keller der Bücherei in ei-nem kleinen Saal, der normalerwei-

se als Kinosaal für die Auber Kinder dient, und nachdem mir mein lieber Arbeitskollege, Herr Ludwig Brenner, eine frühere Tafel seiner eigenen Kin-der umbaute und für den jetzigen Ge-brauch herrichtete, haben wir auch in Aub eine fast perfekte Schultafel. Es geht doch nichts über gute Kollegen! Ein gutes Beispiel dafür, wie schön das Leben sein kann, wenn Einer den An-deren hilfreich unterstützt.Also heißt es nunmehr auch für meine Auber afghanischen und iranischen Schüler Grammatik pauken, Texte le-sen und verstehen sowie die neu er-worbenen Kenntnisse möglichst auch in der Praxis anwenden. Schmunzeln musste ich, als mir einige von ihnen er-zählten, wie sie bei einem Arztbesuch einige Sätze eines Arbeitspapieres, das sich mit dieser Thematik beschäftigte, sogleich umsetzen konnten. Und zu ihrer eigenen Überraschung verstand der Doktor sogar, dass sie Bauchweh oder starke Kopfschmerzen hatten. Der Erfolg bringt natürlich weitere Motivation. An dieser Stelle möchte ich meinen Auber Schülern ein besonderes Kom-pliment aussprechen. Trotz ihrer rela-tiven Abgeschiedenheit im Landkreis Würzburg sind sie absolut motiviert und immer dabei, wenn es ums Ler-nen geht. Ich wünschte mir vielleicht nur noch, dass auch mehr Frauen zum Unterricht kommen. Aber dass ihr

„Wunschland“ Deutschland keine Ge-schlechtertrennung zelebriert, werde ich auch noch in ihre Köpfe bringen. Allerdings geht die Tendenz in der Würzburger GU leider in genau entge-gengesetzte Richtung. Hier erscheinen fast nur noch die Frauen zum Unter-richt, da die iranischen Männer in der Würzburger Großstadt wohl andere Anreize gefunden haben, ihr Taschen-geld von 40 € loszuwerden. Schade um eine verpasste Chance, eigentlich um den Schlüssel zur Zukunft an sich. Eine Chance, nach der sich so viele andere vergeblich sehnen. Man muss es ein-mal erwähnen: Es sind nicht immer die anderen schuld, wenn man nicht voran kommt. Solche Entwicklungen kön-nen dann allerdings auch stark an der Motivation des Lehrers kratzen. Aber es gibt zum Glück ja auch AUB!

Navid Zabihi und Renate Stahl

Foto: Navid Zabihi mit seinen Schülern in Aub

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18 [email protected]

DIE SCHUTZFLEHENDEN

Asyl, Migration, Fremdheit, Menschenwürde, Integration als Thema einer Schauspielproduktion am Mainfranken Theater Würzburg:

Prof. Dr. Ulrich Sinn, Sterntalerweg 101 97084 Würzburg Tel: 0931-62580 ulrichsinn(at)gmx.de

Stückentwicklung von Hans-Werner Kroesinger nach Euripides

Im antiken Griechenland verfestigte sich ein von sakralen Grundvorstellungen getragenes Ritual, das Menschen Beistand in jeglicher Notsituation versprach. Altäre, Götterstatuen, selbst jedes Herdfeuer konnten Schutz vor Verfolgung und Willkür bieten. Diese Idee hielt sich über den Religionswechsel hinaus bis in die Neuzeit – allerdings ohne dem Anspruch in der Praxis auch immer gerecht zu werden. Die Diskrepanz besteht heute genauso wie im antiken Griechenland. Der akuten Not, die einen Menschen veranlasst, seine Heimat zu verlassen, folgt nur all zu oft die Entrechtung in der Fremde: Aus einem Bürger, einem Menschen, wird ein Staatenloser, ein Unbürger, ein Flüchtling. Hans-Werner Kroesinger und das Ensemble des Mainfranken Theaters Würzburg untersuchen vor der antiken Folie die Geschichte des Asylrechts und die Lebensrealität Schutzflehender in Deutschland und Würz-burg.Team: Hans-Werner Kroesinger, Rob Moonen, Ulrich Sinn Mit: Rainer Appel, Robin Bohn, Maria Brendel, Kai Christian Moritz, Christina Motsch, Klaus Müller-Beck, Damen und Herren des ‚Bürgerchors’ am Mainfranken Theater

Termine April bis Juni:

Aufführungstermine: 11., 18., 21. April 12. Mai 1., 14., 17., 22., 26., 30. Juni

19:30 Uhr: Mainfranken Theater, Großes Haus . zuvor: 19:00 Uhr: Einführung in das Stück, Oberes Foyer

16.04.2012,19:00 Uhr: Treffpunkt Schauspiel: Diskussionsforum zum Stück Moderation: Ulrich Sinn Mainfranken Theater, Oberes Foyer, Eintritt frei

Ringvorlesung:Bereits im Vorfeld der Premiere leuchten drei Vorträge von Mitgliedern der Universität Würzburg die Umsetzung der Idee eines menschenwürdigen Umgangs mit Schutzsuchenden aus dem Blickwinkel der Geschichte, der Politik und des Rechtswesens aus:

30.01.2012: Prof. Ulrich Sinn, Institut für Altertumswissenschaften: „Die Wurzeln unseres Asylrechts im griechischen Altertum - Das Schicksal einer Idee im Wandel dreier Jahrtausende“

06.02.2012: Prof.Gisela Müller-Brandeck-Bocquet, Institut für Politikwissenschaft und Sozialforschung, mit Dr. Manuela Scheuermann und Addis Mulugeta: „Menschenrechte und Politik“

05.03.2012: Prof. Eric Hilgendorf, Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtstheorie: „Menschenrechte – Geschichte und heutige Probleme“

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Um das Jahr 470 v. Chr. hatten sich in den südpeloponnesischen Land-schaften Lakonien und Messenien Männer zum Widerstand gegen die Zwangsherrschaft der Spartaner for-miert. Ihr Aufstand scheiterte. Mit ihren Familien suchten sie als Schutz-flehende Zuflucht im Zeusheiligtum auf dem Berg Ithome. Die Spartaner unterließen nichts, um sie mit allerlei Versprechungen zur Rückkehr in ihre Dörfer zu bewegen. Aus Furcht vor neuerlichen Repressalien gaben die Flüchtlinge jedoch nicht auf. Als die Spartaner merkten, dass sie gegen die Entschlossenheit der Schutzflehen-den nichts auszurichten vermochten, willigten sie in Verhandlungen ein. Als Vermittler traten die Athener auf den Plan. In zähren diplomatischen Un-terredungen wurde schließlich eine Vereinbarung geschlossen, die den Schutzflehenden das Verlassen ihrer Zufluchtsstätte ermöglichte. Die mit Athen verbündete Stadt Naupaktos am korinthischen Golf hatte sich bereit erklärt, die Flüchtlinge aufzunehmen. Dazu erteilte sie ihnen das Bürgerrecht der Stadt. Athen verbürgte sich für das sichere Geleit aus der Asylstätte in die neue Heimat.Diese Ereignisse, hier nach dem Bericht des antiken Historikers geschildert, liegen 2500 Jahre zurück. Möglicher-weise rufen sie auch die Nachrichten aus dem Spätsommer 1989 in die Er-innerung: Damals hatten Tausende

DDR-Bürger in den Botschaften der Bundesrepublik in Prag, Budapest und Warschau Zuflucht gesucht. Aus die-sem sicheren Asyl konnten sie nach Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Staaten schließlich auf gesichertem Transitweg in den Wes-ten ausreisen. Vor den 4000 Schutz-suchenden in der Prager Botschaft sprach Außenminister Genscher den im aufbrausenden Jubelschrei un-vollendet gebliebenen historischen Halbsatz „Wir sind heute zu Ihnen ge-kommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise …" Kaum einem der Beteiligten dürfte damals bewusst gewesen sein, dass Ablauf und Lösung der dramatischen Fluchtaktion auf Wegen vollzogen wurden, die in ana-loger Weise bereits vor 3000 Jahren beschritten worden waren. Das 1989 erfolgreich angewandte Prinzip, aus einer Freistatt heraus das Schicksal bedrohter Menschen durch das Rechtsmittel des Asyls in geordne-te Bahnen zu lenken, hat seine Wurzeln im antiken Griechenland des frühen 1. Jahrtausend v. Chr. Über die Zustände in jener griechischen Frühzeit sind wir detailreich durch die Erzählungen in-formiert, die wir als Homerische Epen bezeichnen. Zu den Kardinaltugenden der frühgriechischen Adelsgesellschaft zählte es, auf jede erdenkliche Art den Besitz zu mehren. Man sah es nicht als Unrecht an, einen Fremden oder des-sen Hab und Gut in seinen Besitz zu

bringen. Im Gegenteil: so zu handeln und darin erfolgreich zu sein, galt als hohe Tugend. Dieses Verfügungsrecht über den Fremden war sprachlich klar determiniert: Das gewaltsame Weg-führen von Personen und Sachen be-zeichnete man mit dem Substantiv Sylon oder auch Sýlä Im Laufe des 7. und 6. Jh. v. Chr. for-mierte sich eine Gegenbewegung zu dem als unzeitgemäß empfundenen Recht auf Sýlä. Dabei besannen sich die Griechen darauf, dass es in ihrer Lebenswelt Areale gab, in denen das Recht auf Beutenahme seit eh und je strikt untersagt war: Schon immer galt die Norm, dass Grund und Boden der Heiligtümer, mit allem was sich inner-halb der abgesteckten und markierten Grenzen befand, unter dem Schutz der Götter stand. Sich daran zu vergreifen, galt als Sakrileg. In der konsequenten Anwendung dieses bereits bestehen-den Heiligen Rechtes lag die Voraus-setzung für die Schaffung einer neuen Schutzordnung. Durch Beifügung des verneinenden Präfixes a- zur alten Rechtsbezeichnung Sýlä entstand der neue Begriff A-sylia – Asyl. Die Funktionsweise dieses durch Asylia gewährten Schutzes ist leicht erklärt. Ein gefährdeter Mensch musste ver-suchen, eine Stätte zu erreichen, die als göttlicher Besitz deklariert war. Geriet also im antiken Griechenland ein Mensch in Not, begab er sich in ein Heiligtum. Damit war er zunächst

Auszug aus dem Vortrag von Prof. Ulrich Sinn am 30.01.2012

im Rahmen der Ringvorlesung zu „Die Schutzflehenden“ nach Euripides

im Mainfranken Theater Würzburg

Die Wurzeln unseres Asylrechts im griechischen

AltertumDas Schicksal einer Idee im Wandel dreier Jahrtausende

Motiv: Falk von Traubenberg, Bernhard Stengele (Fotos), Uli Spitznagel (Montage), Mainfranken Theater Würzburg

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einmal dem unmittelbaren Zugriff ei-nes Verfolgers entzogen. Eine Lösung des ihn bedrängenden Problems war damit aber noch nicht erreicht! Was würde geschehen, wenn er den siche-ren Ort wieder verließ, während der Häscher außerhalb des Heiligtums verharrte? Mit dieser Frage kommen wir zu der entscheidenden Aktion im Vollzug des Schutzbegehrens. Um zu signalisieren, dass man Beistand be-nötigte, vollzog man ein festgelegtes Ritual: Der oder die Bedrängte setzte sich am Altar oder einer Götterstatue nieder und hielt als weiteres Kenn-zeichen einen Wollfaden oder einen frisch gebrochen Zweig deutlich sicht-bar in der Hand. Ein Faden war leicht der eigenen Kleidung zu entnehmen. Auch die Beschaffung eines Zweiges bereitete keine Schwierigkeiten, da die griechischen Heiligtümer in aller Regel baumbestanden waren.Vollzog jemand diesen Ritus, erwarb er den Status eines „Schutzflehenden“ (Hiketes/Hiketis). Nach den als unver-letzlich geltenden Regeln der griechi-schen Religionsausübung stand er nun unter dem persönlichen Schutz des für das Heiligtum zuständigen Pries-ters. Dieser war verpflichtet, sich des Schutzflehenden anzunehmen. Um eine Lösung herbeizuführen, musste der Schutzflehende seinen Namen und seine Herkunft nennen und die Gründe seines Schutzbegehrens wahr-heitsgemäß darlegen. Dem Priester war damit die Gelegenheit gegeben, den Sachverhalt durch Befragungen zu überprüfen, um auf dieser Grund-lage eine Entscheidung über das wei-tere Schicksal des Schutzflehenden herbeizuführen. Das Ergebnis musste für den Schutzflehenden keinesfalls zwangsläufig positiv ausfallen. Ausge-schaltet waren Willkür und Akte von Selbstjustiz, nicht aber das unbefan-gene Bemühen um Wahrheitsfindung und ein gerechtes Urteil. Das Gebot des Asyls entsprang, wie eingangs ausgeführt, religiösem Denken. Seine Beachtung stand und fiel mit der Got-tesfurcht unter den Menschen.Aus dem Kreis der politischen Ver-antwortungsträger allerdings sind Handlungen bezeugt, aus denen er-kennbarer Widerwillen spricht. Aus Athen liegt eine Urkunde aus dem Jahr 432/31 v. Chr. vor, in der die Finanzie-rung und personelle Ausstattung einer

Wachstation am Zugang zur Akropolis geregelt sind. Allzu offenkundig ist hier das Bestreben, das Prunkstück der athenischen Selbstdarstellung, die Akropolis mit ihren gerade vollen-deten Prachtbauten, von unliebsamen Personen freizuhalten. Wie sehr Taten und Worte eines Politikers, in diesem Falle des Perikles, auseinander klaffen gibt sich in der Rede zu erkennen, die dieser nur wenige Monate nach der Er-richtung der Wachstation vor seinen Bürgern hielt. Darin heißt es: „In Frei-heit achten wir die Gesetze. Wir be-weisen Toleranz gegenüber unseren Mitbürgern und allen Fremden.“Die Idee des Asyls war seit ihrer Ge-burt vor 3000 Jahren stets gefähr-det. Trotz aller Anfechtungen hat sie sich aber bis heute immer wieder zu behaupten vermocht. „Politisch Ver-folgte genießen Asylrecht“ heißt es in Artikel 16 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland in der Urfassung vom 23. Mai 1949. Was damals unter dem Eindruck des Versa-gens während des Nationalsozialisten Regimes und im Wissen um die Hilfe, die vielen deutschen Verfolgten im Asyl gewährt wurde, ohne Wenn und Aber formuliert wurde, hat in der Fas-sung des Grundgesetzes vom 30. Juni 1993 eine gravierende Änderung er-fahren: Wortreich wird im neugefass-ten Artikel 16a dargelegt, wer sich auf deutschem Boden nicht auf den Ein-gangssatz berufen kann.Als Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft [EU] rückte Deutsch-land 2003 noch stärker von dem heh-ren Grundsatz des Jahres 1949 ab: Mit der sog. „Dublin-II-Verordnung“ vom 18. Februar 2003 wurden die Gren-zen rund um die ›Schengen-Staaten‹ in ein nahezu unüberwindbares Boll-werk verwandelt. Die humanitären Grundsätze, zu deren Einhaltung sich 141 Staaten in dem ‚Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge’ (Gen-fer Flüchtlingskonvention) vom 4. Ok-tober 1967 verpflichtet haben, werden damit weitgehend wirkungslos.In einem am 7. April 2005 in Berlin gehaltenen Vortrag fasst Rita Süss-muth diese Entwicklung prägnant zusammen: „Die Deutschen und die EU-Europäer haben den Schutz der Flüchtlinge seit den neunziger Jahren weitestgehend eingeschränkt. ... Was liegt der deutschen und der EU-Rege-

lung zu Grunde? Ein Abwehrmecha-nismus.“ Der Vortrag schließt mit dem Appell: „So lange Menschen politisch, physisch oder psychisch lebensgefähr-lich bedroht sind, gilt es die internati-onalen Konventionen des Flüchtlings-schutzes prioritär einzuhalten.“Von der beschämenden Entwicklung und dem von Frau Süssmuth formu-lierten Appell ist die Stadt Würzburg unmittelbar betroffen. Das alte Kaser-nenareal an der Veitshöchheimer Stra-ße – es trug während der Zeit von 1938 bis 1945 den Namen ‚Adolf-Hitler-Ka-serne’ – ist vom Freistaat Bayern zu einer sog. Gemeinschaftsunterkunft [GU] für bis zu 600 Asylsuchende umgewidmet worden. Bundesweit wurden die menschenunwürdigen Zu-stände dort durch einen 2009 von der ARD ausgestrahlten Fernsehbericht bekannt. In Würzburg selbst haben sich zuvor schon Institutionen und Initiativen der unter beklemmenden Verhältnissen in der GU zusammen-gepferchten Menschen angenommen. Die Recherchen bei der Vorbereitung der Stückentwicklung »Die Schutzfle-henden« von Hans-Werner Kroesinger nach Euripides haben eine beeindru-ckende Vielfalt von humanitären Ak-tivitäten in Würzburg sichtbar werden lassen. In dieses bürgerschaftliche Umfeld fügt sich das Mainfranken The-ater Würzburg mit seiner Produktion

„Die Schutzflehenden“ ein. Wie schon in der Antike sind die Bürger gefordert, gegen bestehende Widerstände und Vorbehalte für die Funktionsfähigkeit des Asylrechts einzutreten. Wie schon das antike Theaterwesen sieht es auch unser Theater als seine genuine Auf-gabe an, daran aktiv mitzuwirken.Alle vereint nicht mehr und nicht we-niger als die Umsetzung des in seiner Gültigkeit unverrückbaren und dezi-diert alle Erdenbürger ansprechenden Artikels 1 unseres Grundgesetzes: „(1) Die Würde des Menschen ist unan-tastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Ge-walt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Ge-meinschaft, des Friedens und der Ge-rechtigkeit in der Welt.“

Prof. Ulrich Sinn

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Im Rahmen des Religionsunterrichtes berichteten Frau Eyerusalem Zeri-hun und Herr Abay Kiros, Flüchtlinge aus Äthiopien, derzeit wohnhaft in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) in Würzburg, nicht nur, warum sie ihre Heimat verlassen mussten, sondern auch ganz allgemein über Flucht und Schicksale von Flüchtlingen. Frau Hal-big, eine Lehrerin von der Mittelschule Höchberg, hatte von einem Bekann-ten das Flüchtlingsmagazin „Heimfo-cus“ erhalten und lud daraufhin Frau Zerihun und Herrn Kiros zu einem Ge-spräch mit ihren Schülern ein.Sie müs-se etwas tun, meinte sie. Auch ihre Kollegen waren dieser Meinung. Im Religions- und Ethikunterricht wurden Artikel aus dem „Heimfocus“ bespro-chen. Offensichtlich war bei den Schü-lern kaum Wissen über Flüchtlinge und Asyl vorhanden: Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse wusste nicht einmal von der Existenz der großen GU in der Veitshöchheimer Straße in Würzburg.Frau Zerihun und Herr Kiros berich-teten zunächst über ihr Leben in ihrer Heimat: Meinungsfreiheit wird von der

Flüchtlingsschicksale – ein SchulprojektSchicksal ungeklärt. Menschenrechte werden im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten. Häufig darf der Beruf nicht mehr ausgeübt oder eine begonnene Ausbildung oder ein Studi-um nicht zu Ende geführt werden. Flucht ist oft die einzige Lösung, wenn das eigene Leben oder das der Familie bedroht ist, auch wenn sie viele Ge-fahren birgt und sehr häufig lebensge-fährlich ist. Flucht in ein anderes Land bedeutet aber auch: die Familie, ja oft sogar die eigenen Kinder oder den Ehe-partner zurück zu lassen. Sogenannte

„Schlepper“ nehmen Flüchtlingen das letzte Geld ab. Sie nützen die Not der Flüchtlinge aus, verlangen horrende Summen und täuschen mit falschen Informationen und Hoffnungen. In Deutschland angekommen, erwar-tet die Menschen ein zermürbendes, kompliziertes Asylverfahren, oft ein jahrelanges Leben in einer GU wie z.B. in Würzburg. Dort leben zur Zeit 400-450 Flüchtlinge aus 40 Nationen. Es gibt zum Teil sehr strenge Aufla-gen, Privatsphäre ist kaum möglich. Die Lebensmittel werden in Form von Esspaketen zugeteilt, was wegen der kulturellen und sehr unterschiedlichen Ernährungsweisen problematisch ist. Zum Glück gibt es Menschen, die die Flüchtlinge unterstützen, z.B. beim Er-lernen der Sprache - eine der größten Hürden - oder bei Behördengängen. Die Schüler/innen folgten nachdenk-lich den Ausführungen der beiden jun-gen Asylbewerber, sie waren sichtlich nicht nur interessiert, sondern auch sehr betroffen und bewegt. Selbst als der Unterricht bereits zu Ende war, blieben die meisten Schüler/in-nen schweigend auf ihren Plätzen. Die Lehrer mussten sie auffordern: „Ihr versäumt euren Bus!“. Einige Lehrer ermunterten die beiden Referenten:

“Ihr müsst auch andere Schulen besu-chen! Was Flüchtlinge auf ihrer Flucht erleben und wie sie hier leben müssen, muss mehr Menschen erreichen, muss in die Öffentlichkeit getragen wer-den!“

Hermann Bittl

staatlichen Macht unterbunden, Re-gimekritiker leiden unter Repressalien. Werden Forderungen der politischen Machthaber nicht erfüllt, müssen die Menschen mit massiven Einschüch-terungsversuchen, Bedrohungen, Verfolgungen und sogar mit Gefäng-nisstrafen rechnen. Schlimmstenfalls werden sie entführt. Häufig bleibt ihr

Abay Kiros bei seinem Vortrag

Eyerusalem Zerihun, Herr Bittl, Frau Halbig, Abay Kiros (v.l.n.r.)

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Was wollt‘s denn, des Zeuch kamma aa im Subbermargd käff!!“, das war einer der eher freundlicheren Kom-mentare zu unserer Aktion gegen Zwangsernährung der Flüchtlinge und Asylbewerber durch Essenspakete am 28.Januar 2012 in der Würzburger Fußgängerzone. Ja, vieles, was Flüchtlingen jahrein, jahraus vorgesetzt wird, kann man in der Tat irgendwo als Billigprodukt im Supermarkt kaufen. Bis auf die Wurst vielleicht, bestehend fast nur aus Sepa-ratorenfleisch, Haut und Wasser. Man kann es kaufen – oder auch nicht. Das ist der Punkt! Man entscheidet selbst, was man isst und was nicht. Das hat viel mit Menschenwürde, mit Selbst-bestimmung zu tun, eigentlich selbst-verständlich für uns alle, oder nicht? Stellen Sie sich vor: Immer das gleiche, Ihnen fremde Essen, Wochen, Monate,

Essen vom Amt – teuer, unwürdig, unhaltbar!

Jahre: Iss oder lass es bleiben. Sie ken-nen es nicht, Sie wollen es nicht, Sie fühlen sich fremdbestimmt, aber Sie haben keine Wahl. Angeliefert zwei-mal die Woche und ausgeteilt wie beim Militär, in unansehnlichen grauen Plas-tikboxen, schön Schlange stehen und warten, was so kommt. Mal ist das drin, was Sie mühsam in der Ihnen fremden Sprache angekreuzt haben, mal etwas anderes. Mal ist das spärliche Obst und Gemüse von guter Qualität, mal taugt es eher als Viehfutter. Sie müssen alles nehmen oder nichts, auch, wenn Sie damit nichts anfangen können: Essen für den Müll, von Amts wegen. Wenn Sie fasten, und es gibt viele Gläubige in der Unterkunft, die ihre Religion ernst nehmen, dann können Sie dann eigentlich den Großteil Ihres Pakets weg werfen. Aber Sie bekommen sehr wenig von dem, was Sie wirklich

bräuchten: frisches Gemüse und Obst. Was geht in Ihnen vor in dieser Situati-on, Woche für Woche, Jahr ums Jahr? Was empfinden Sie jedes Mal, wenn Sie sich mit ihrer grauen Box und dem verhassten Bestellzettel in der Schlan-ge voran schieben, erst recht, wenn sie, wie die meisten Flüchtlinge hier, aus einer Kultur kommen, in der gutes Essen in Gemeinschaft, in der Gast-freundschaft heilig sind? In der für Sie Verantwortung, Eigenständigkeit und Auskommen durch eigener Hände Ar-beit Ehrensache und Bestandteil Ihres Selbstverständnisses sind?

Diese Art der Zwangsernährung muss man im Kontext sehen mit vielen wei-teren Nadelstichen gegen Selbstbe-stimmung und Würde der Menschen, die bei uns Schutz und Perspektive suchen. Sie ist Teil eines ausgeklügel-

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ten Systems, das von einer einzigen Zielsetzung getragen wird: Wir stel-len euch grundsätzlich und von vorn herein unter den Generalverdacht des Asylmissbrauchs und wir tun alles, da-mit ihr so bald wie möglich wieder geht. Weit entfernt von den Werten, die in

kleinen Saarland festgehalten wird. Seit vielen Jahren schon kämpfen Un-terstützer der Flüchtlinge und Asylbe-werber mit Aktionen, Petitionen und Anfragen an Politiker dagegen – bis-her vergebens. Da stellt sich die Frage, was steckt hinter dieser Blockadehal-

„Wir sind ein gastfreundliches Land. Der Gast ist uns heilig, und wenn er auf der Flucht an unsere Türen anklopft, machen wir auf. Wir finden schon eine Lösung“, so vor wenigen Tagen der Präsident des bitterarmen Niger an-gesichts der Flüchtlingsströme durch

Reden und auf Papier angeblich un-sere Gesellschaft ausmachen und tra-gen, ist es offensichtlich seit Jahren in Ordnung, wenn hier Menschen die Un-terstützung und der Respekt versagt werden, die sie verdienen – einfach als Mensch. Fremdbestimmt, kont-rolliert, zwangsernährt: Wenn dies für uns undenkbar ist, wieso muten wir es dann anderen zu? Wie kommen wir eigentlich auf die perfide Denkweise, Flüchtlinge würden anders empfinden, anders zu behandeln sein, Erniedri-gungen besser ertragen als wir selbst? Ist die Selektion in Menschenklassen, in wertvoll und minderwertig, wieder salonfähig geworden in diesem Land und keiner stößt sich daran? Es muss schon erlaubt sein, ein Sys-tem zu hinterfragen, an dem außer in den reichsten Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg nur noch im

tung der Landespolitik? Verantwor-tungsvoller Umgang mit Steuergel-dern, Umweltbewusstsein und der Wille zur Stärkung der regionalen und lokalen Wirtschaft ganz sicher nicht. Dazu mehr Erstauliches und Fragwür-diges im nachfolgenden Beitrag von Dr. H.J. Fahn (MdL, Freie Wähler). Wa-rum gilt es also nach wie vor, wider alle Vernunft und Verantwortung gegen-über den eigenen Bürgern wie auch den Flüchtlingen, stur auf einem de-mütigenden, diskriminierenden und unwirtschaftlichen System zu behar-ren? Hat es Bayern noch immer nötig, durch diese verkniffenen, ängstlichen Muskelspiele verfolgten Menschen alles Erdenkliche anzutun, um laut der Bayer. Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl § 7, Abs. 5) „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland (zu) fördern“?

den Bürgerkrieg im benachbarten Mali. Und wir, Weltmeister im Reisen, wir, die wir zur Jahreswende locker fast 120 Millionen Euro an Krachern und Feuerwerken in die Luft gejagt haben, können uns diese innere Grö-ße nicht leisten? Wir können uns nicht einmal leisten, erwachsenen, mündi-gen Menschen Geld, übergangswei-se wenigstens Gutscheine für eine eigenständige Selbstversorgung in die Hand zu geben? 132,94€ für einen ganzen Monat, von einem Betrag, der insgesamt nur zwei Drittel des Hartz-IV-Satzes ausmacht? Immerhin, die wären dann gänzlich dafür da, wozu sie eigentlich bestimmt sind und nicht auch für Verwaltung und Logistik der Essenspakete. Aber dann holen wir stets die Keule des Missbrauchs he-raus, diesen hässlichen Generalver-dacht des individuellen Unvermögens,

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Für die Abschaffung der Essenspakete für Flüchtlinge und Asylbewerber

• Essenspakete werden durch ein zentral organisier-tes Bestellsystem zusammengestellt und bayernweit durch zwei Firmen verteilt; dadurch entstehen unnöti-ge Transportkosten, Umweltbelastung (Anm: Die Wa-ren für die bayer. GUs kommen aus Baden Württem-berg) sowie unnötige Verwaltungskosten (z.B. durch die notwendige Bereitstellung und Verteilung vor Ort). Essensgutscheine hingegen können bei regionalen/lokalen Anbietern eingelöst werden, bewirken somit eine Stärkung des heimischen Einzelhandels.

• Essenspakete berücksichtigen in der Regel nicht die Essensgewohnheiten der Empfänger, die aus verschie-densten Kulturkreisen kommen. Die Folge ist, dass Es-senspakete abgeholt werden und ein Großteil der ab-geholten Waren gar nicht gegessen wird; diese Waren werden dann einige Zeit in den Zimmern „gebunkert“ und irgendwann entsorgt. Abholung ist grundsätzlich Pflicht, dennoch holen viele Bewohner der GU die Es-senspakete nicht ab. In Aschaffenburg waren dies an 7 Ausgabetagen 149, d.h. 21 pro Ausgabetag.

• Verordnete Essenspakete widersprechen den Grund-sätzen von Selbstverantwortung und Selbstbestim-mung

• Das Verfahren der Essensverteilung ist Teil eines staat-lichen Kontrollsystems: wer bei der Auslieferung der Pakete nicht anwesend ist, bekommt in den meisten Fällen kein Essen.

• Das verordnete Essen widerspricht den Grundsätzen einer gesunden Ernährung (zu wenig Obst und Gemüse, zu viel Zucker, zu wenig Ballaststoffe, zu viel Fleisch)

• Die Bestellzettel und die darauf genannten Produkte werden zum Teil von den Bewohnern gar nicht verstan-den, zum Teil auch deshalb , weil dies ausschließlich in deutscher Sprache erfolgt

• Die Staatsregierung hat sich im Rahmen einer Schrift-lichen Anfrage vom 30.8.11 geweigert, Angaben zum Wert eines Essenspakets zu machen. Des weiteren wurde auch die Frage nach den Gesamtkosten für die Bereitstellung der Essenspakete (einschl. Personalkos-ten, Verwaltung, Transportkosten) bisher nicht beant-wortet.

• Fast alle Bundesländer haben inzwischen die Essenspa-kete abgeschafft, lediglich Bayern, Baden Württem-

berg und das Saarland bevorzugen vorwiegend noch das Sachleistungsprinzip.

Durch meine aktuelle Schriftliche Anfrage vom 12.01.2012 kann man folgendes erkennen: 2010 beliefen sich die Kosten der Lebensmittellieferungen (Summe aus konkreten Lebensmitteln, Getränke + Kosten für die Lieferung der Waren ,Organisation einschl. Perso-nalkosten) auf insgesamt 9,287 Mio. €; im Jahre 2010 gab es bayernweit 8920 Bewohner der Gemeinschaftsunter-künfte (GU); dies bedeutet pro Bewohner 1041 €; bei 104 Essenspaketen pro Jahr (2 pro Woche) sind dies 10 € pro Essenspaket .In diesen 10 € sind aber noch die Kosten für die Lieferung der Waren enthalten. Nach begründeten Schätzungen(wurde auch in der Anhörung am 23.4.2009 so genannt) muss man mindestens 2 € für die „anderen Kos-ten“ abziehen, so dass in Bayern ein Essenspaket max.7-8€ wert ist. Eigentlich stehen einem Asylbewerber aber für Essen im Monat 132,94 € zu; dies bedeutet ca. 14,70 € pro Essenspaket. Mit anderen Worten: Es müsste mehr Geld für die Essenspakete bereitgestellt werden. Eine bessere Alternative ist aber die Abschaffung der Essenspakete und Ersatz mindestens durch Gutscheine; dann entfallen auch die gesamten Beschaffungskosten (Fahrtkosten, Organisa-tion, Personalkosten).

Fazit: Jeder Asylbewerber müsste also für Essen pro Monat 132,94 € zumindest Form von Gutscheinen erhalten. Dies hätte nur Vorteile für alle, für unsere Bürger und auch für die Flüchtlinge und Asylbewerber:

• Stärkung der lokalen/regionalen Wirtschaft• Abbau von Bürokratie• Reduktion der Umweltbelastung durch Warentrans-

porte• Vermeidung von Verschwendung nicht gewollter Le-

bensmittel • Menschenwürde und Selbstbestimmung der Empfän-

ger

Dr. H. J .Fahn (MdL, Freie Wähler)

als ob die Flüchtlinge noch nie eine Münze in der Hand gehabt hätten, als ob sie daheim nie Verantwortung getragen hätten. Es stört uns nicht, dass wir dann eigentlich sämtliche staatlichen Transferleistungen, auch für Deutsche, mit der gleichen Unter-stellung auf Sachleistungen umstel-

len müssten – als ob Missbrauch nicht die Ausnahme, sondern die Regel sei. Welches verächtliche, diskriminieren-de, von feindseligem Misstrauen ge-prägte Menschenbild offenbart diese Haltung?Und was sagt sie über uns selbst?Essen vom Amt: Teil des menschenun-

würdigen Systems, das Menschen de-mütigt, klein und krank macht.Essen vom Amt: teuer, unwürdig, un-haltbar. Es gehört abgeschafft. Wir bleiben dran!

Eva Peteler

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„Gelebtes Integrationsangebot beim SV Oberdürrbach“in Zusammenarbeit mit dem „Lokalen Aktionsplan Würzburg“ (lap) und dem Programm

„Integration durch Sport“ des Bayerischen Landes-Sportverbandes e.V. bietet der SV 1959 Oberdürrbach e.V. Asylbewerbern, die momentan in der Gemeinschaftsunterkunft in der Dürrbachau beheimatet sind, die Möglichkeit an, an zwei Vormittagen in der Woche in der Dürrbachtalhalle in Oberdürrbach unter fachkundiger Betreuung Fußball und Volleyball zu spielen.Dies soll nur der Auftakt sein zu einer längerfristigen Kooperation, die im nächsten Jahr erweitert werden soll auch auf andere Sportangebote, speziell auch für Frauen und Kinder. Ziel soll sein, auch durch gemeinschaftliche Aktivitäten mit deutschen Sportlern, diesen Menschen die Integration in unserem Land zu erleichtern und das gegenseitige Verständnis füreinander zu fördern.

Auch soll dieses Projekt dazu beitragen, dass Vorurteile abgebaut werden und ein bereicherndes, multikulturelles Gemeinschaftsleben in Würzburg entsteht.

Auch dank der Unterstützung mehrerer Firmen konnten wir den ca. 40 Teilnehmern, die vor allem aus dem Nahen Osten kommen, ein „Startpaket“ zur Verfügung stellen(Duschhandtusch, Duschdas, Faltsporttasche, Mineralwasser …). Da einige der Teilnehmer nicht einmal Sportschuhe oder Sporthosen hatten, haben wir allen Sportlern aus den Fördermitteln Hallensportschuhe und den Volleyballern Knieschoner zur Verfügung gestellt werden, was mit großer Dankbarkeit angenommen wurde – sehr verständlich, da diesen Menschen im Monat nur 40,- € Taschengeld zur Verfügung stehen.

Mehrere Teilnehmer haben schon Interesse bekundet, die regulären Trainingsmöglichkeiten des SVO zu nutzen - zwei Volleyballer haben dies auch schon in Anspruch genommen

- ein erster Schritt zu einer wirklichen Integration !

Michael Stöhr, 1. Vorsitzender SVO

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Part 8

The night is always followed by the dawn. Morning is coming and you will be born again into a new experience. You will find enthusiasm and love again. That would be my refugee advice to this refugee who recently hanged himself in Würzburg refugee camp. Not only him, as a refugee living in some refugee camp in Bayern, most of us have expe-rienced the feeling of depression. Anxi-ety is intense and everything is so dark, the question is, is there a way out of this misery? Being refugees knocking at you door for support and friendship, is that the choice we have, coming here to die or live the rest of our life this way?The reality is, all people, each and eve-ry single man, woman and child on the face of the Earth, were born with the same unalienable rights to life, liberty and equality. However, people have lost these rights one way or another. For instance, one of the difficult life si-tuations or tough times are when dicta-tor governments are persecuting peo-ple and taking their rights. In this case, people are in great danger because of their governments, and if they flee in the hope of saving their life elsewhere, they again face very complicated prob-lems on the way including torture, rape, kidnap, imprisonment and also an un-welcoming face by the locals where ever they knock on the doors. Finally reaching the host country as a refugee, hoping a new future is coming to begin, the negative experience continues in the first refugee arriving place. We are struggling with multiple barriers inclu-ding the language barrier. That was what I experienced in my first refugee arriving place in Zirndorf. Can I ask you a question? Thanks! Which event you don’t forget the most in your life? The death of a beloved one, loss of

a job, serious illness or serious accident or what? In my case, as a refugee, I don’t forget two things so far. One, when this official in Zirndorf told me in the face: “I do not have the time and energy to talk to you and to respond your immediate questions right now because I want to save my time and energy to play with my dog” and secondly, when I heard the news that one refugee who came from Iran hanged himself in Würzburg refugee camp. As a refugee, that was a shocking news. I felt like a sense of uncertainty. Immediately, I was thin-king of my life experience. I felt his problem much stronger than the local people, medias, refugee organizations, officials and politicians. I was not okay for three days, the death angels were moving around me. We heard in our place, he has been in the camp for seven months waiting for a decision in his asylum process. Well, in my case, I have been living in a refu-gee camp for nearly 3 years now wit-hout any decision, hope or perspective. Surprisingly speaking, there are a lot of refugees who live in different refugee camps especially in Bayern for years. The question is what kind of dying are you going to advice us in addition to hanging oneself? I am telling you the truth, we are already dead inside. Our body is already weak, our mind no more able to think of anything. For refugees, there is no difference between day and night, just waiting for the weekly food pick up, eating and sleeping, watching TV, that is all. No future, just watching out what is coming from the Bundes-amtSo just tell me, if you put yourself in my or this poor Würzburg guy’s place: How long could you bear an underdog life like this, with your mind imprisoned in

chains of despair and emotional num-bing? How long do you think it takes to be attracted by thoughts of darkness finding no way out except...

Abasi Kibwana

Human?

Dog or

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Teil 8

Auf die Finsternis der Nacht folgt stets das Morgenrot. Der Morgen kommt und du wirst wiedergeboren in einen Tag voller neuer Erfahrungen. Du wirst für dich Begeisterung und Liebe ent-decken. Das wäre meine Ermutigung gewesen für den Flüchtling, der sich vor kurzem in der Würzburger Unter-kunft erhängt hat. Er war nicht allein, die meisten von uns, die in einem der bayerischen Flüchtlingslager wohnen, kennen das Gefühl der Depression. Die Ängste sind so übermächtig und alles ist so finster; die Frage drängt sich auf, gibt es überhaupt einen Ausweg aus diesem Elend? Haben wir als Flüchtlin-ge, die an eure Türen klopfen mit der Bitte um Unterstützung und Freund-schaft, nur die Wahl, zu sterben oder unser restliches Leben so zu verbrin-gen?

Es ist Tatsache, dass alle Menschen auf der Erde, jeder Einzelne, ob Mann, Frau oder Kind, mit denselben unver-äußerlichen Rechten geboren wur-den, Rechten auf Leben, Freiheit und Gleichheit. Vielen Menschen sind die-se unabdingbaren Rechte auf die eine oder andere Weise abhanden gekom-men. Eine bedrohliche Lebenslage und harte Zeiten müssen beispielsweise Diejenigen durchstehen, die von einem diktatorischen Regime verfolgt und ih-rer Rechte beraubt werden. Wenn aber solche Menschen angesichts der vita-len Bedrohung durch ihre eigenen Re-gierungen fliehen, machen sie unter-wegs oftmals Schreckliches durch wie Folter, Vergewaltigungen, Verschlep-pung, Inhaftierung und Feindseligkeit der Lokalbevölkerung, wo auch immer sie anklopfen. Schließlich als Flüchtling am vermeintlich sicheren Ort ange-kommen und voller Hoffnung auf ein neues Leben, setzen sich die negati-ven Erfahrungen jedoch bereits in der Erstaufnahmeeinrichtung fort. Viele Hürden machen uns dann zu schaffen, auch die Sprachbarriere. So war auch meine Erfahrung im Erstaufnahmela-ger für Flüchtlinge in Zirndorf.Darf ich Sie etwas fragen? Dankeschön! Welches Erlebnis werden Sie niemals mehr vergessen, solange Sie leben? Den Tod eines geliebten Menschen, den Verlust Ihres Arbeitsplatzes, eine schlimme Krankheit, einen schweren Unfall oder was? In meiner Lage als Flüchtling sind es zwei Ereignisse, die ich niemals vergessen werde. Zum Ei-nen , als mir dieser Behördenmitarbei-ter in Zirndorf ins Gesicht sagte: „Ich habe weder Zeit noch Energie, mit Ih-nen zu reden und Ihre Fragen gleich zu beantworten, weil ich meine Zeit und Energie für das Spiel mit meinem Hund aufheben will.“ Und dann wird mir für immer die Nachricht in Erinnerung blei-

ben von diesem iranischen Flüchtling, der sich im Würzburger Flüchtlingsla-ger erhängt hat. Das war für mich als Flüchtling eine entsetzliche Neuigkeit. Mir schwankte der Boden unter den Fü-ßen. Augenblicklich kamen mir Bilder meines eigenen Lebens in den Sinn. Ich konnte mich in ihn viel besser einfühlen als Einheimische, Medien, Flüchtlings-organisationen, Behördenangestellte oder Politiker. Drei Tage habe ich mit mir und meinem Schicksal gerungen und spürte die Todesengel um mich herum. Wir haben im Lager mitbekom-men, dass der junge Mann sieben Mo-nate in der Unterkunft gewesen sei und auf die Entscheidung in seinem Asyl-verfahren gewartet habe. Was mich angeht, ich lebe nun fast drei Jahre in einem Flüchtlingslager, ohne Entschei-dung, Hoffnung oder Perspektive. Es ist tatsächlich so, dass in verschiede-nen Lagern mehr als genug Flüchtlinge lange Jahre leben müssen, besonders in Bayern. Ich frage Sie, welche Todes-art empfehlen Sie uns dann noch außer Erhängen? Um ehrlich zu sein, tief in uns sind wir bereits tot. Unsere Körper sind nur noch schwach und unser Ver-stand kann an nichts mehr denken. Für Flüchtlinge gibt es keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht, nur das War-ten auf die wöchentlichen Essenspa-kete, essen, schlafen, fernsehen, das war‘s. Keine Zukunft, nur warten auf Nachrichten vom Bundesamt. Sagen Sie mir also, wenn Sie sich in meine Lage versetzen oder in die des armen Flüchtlings aus Würzburg: Wie lange würden Sie das Leben eines Un-termenschen wie dieses ertragen, mit Ihrem Verstand in Ketten der Verzweif-lung und Erstarrung? Wie lange, glau-ben Sie, braucht es, um von Gedanken der Finsternis heimgesucht zu werden ohne Ausweg außer...

Abasi Kibwana

Hund

Mensch?oder

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Was Maneis Arbab in seiner Heimat Iran ein Berufsverbot eingebracht hat wurde nun im Central Programmkino in Würzburg gezeigt. Den animierten Kurzfilm „Iranian Instruments“ woll-ten so viele Besucher sehen, dass der Kinosaal fast bis auf den letzten Platz gefüllt war.Einleitende Worte wollte der Künstler nicht sprechen, die Zuschauer sollten den Film unvoreingenommen auf sich wirken lassen. Auf der Leinwand ent-standen mit schwungvollen Strichen Bilder von Musikern, untermalt von orientalischen Klängen. Die Musiker spielten am Ende zusammen und be-wegten sich zum Himmel. Die Zuschauer applaudierten und Maneis Arbab war sichtlich erfreut, denn in seiner Heimat er für seine Ar-beit – er illustrierte auch Kinder- und Schulbücher – vor allem in den letz-ten Jahren vor seiner Ausreise 2009 vom Regime bedroht und verfolgt worden. Professor Ulrich Sinn, der im Mainfranken-Theater mitverantwort-lich für das Stück „Die Schutzflehen-

Er sehnt sich nach Freiheit – als Mensch und Künstler

Maneis Arbab und sein beeindruckender Kurzfilm haben uns allen viel zu sagen

den“ ist, sprach einige Worte zum Film und zum Thema Asyl. Mit Hilfe eines Dolmetschers erklärte Maneis Arbab, dass es sich bei den Musikern um Su-fisten handelt, eine mystische Strö-mung des Islam, die im Iran verboten ist. Die Zuschauer stellten vor allem die Frage, warum man wegen solch schönen Bildern ein Berufsverbot be-kommen kann – hier in Deutschland unvorstellbar. Weitere Wortmeldun-gen beschäftigten sich damit, wie man dem Künstler helfen könne. Unter-schriftenlisten für seine Anerkennung als politisch Verfolgter wurden vorge-schlagen, denn Maneis Arbab kämpft immer noch darum, nicht in den Iran abgeschoben zu werden, wo ihm Haft oder sogar die Todesstrafe drohen. Außerdem wurde vorgeschlagen, eine Ausstellung zu veranstalten, bei der er seine Bilder und Karikaturen, die sich kritisch mit dem politischen System im Iran befassen, verkaufen könne. Der Künstler bedankte sich, betonte jedoch, für ihn als politisch verfolgten Menschen stünde die Freiheit , per-

sönliche und künstlerische Freiheit, an erster Stelle.Der große Traum von Maneis Arbab ist es, den Film, der momentan aus 16 Ein-zelzeichnungen besteht, auf 500 Bilder zu erweitern. Diese Version befasst sich ausschließlich mit einer Gruppe Menschen, die etwa ein Volk, zum Bei-spiel das iranische, symbolisieren, die durch ihre Melodien unsterblich wer-den. Er möchte jedoch noch andere Musikrichtungen und Charaktere ein-bringen, den Film internationaler ma-chen, verschiedene Völker dadurch ver-einen. Da sich sein Arbeitsbereich auf sein kleines Zimmer in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft beschränkt und auch die finanziellen Mittel knapp sind, hofft er auf Unterstützer, die ihm ermöglichen, seine große Vision ei-nes friedlichen Zusammenlebens aller Menschen künstlerisch auszudrücken und einer internationalen Öffentlich-keit vorzustellen.

Beate Spinrath

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SufismusSufismus bezeichnet die mystische Richtung des Islam. Su-fis ist es nicht genug, mit den fünf Säulen und dem Befol-gen der islamischen Gesetze die Hingabe an Gott zu erfül-len, sondern ihr Ziel ist es, das Ego zurückzulassen, sich mit Gott zu vereinigen, sich im göttlichen Prinzip aufzulösen und so die Wahrheit bereits in diesem Leben zu erfahren, nicht erst im Jenseits.Auf dem spirituellen Weg der Sufis oder auch Derwische spielen Musik, das meditative Tanzen im Kreis und das stun-denlange Rezitieren des Gottesnamens eine wichtige Rolle.Seit dem 12. Jahrhundert sind die Sufis in Orden organi-siert.Viele Sufis sind der Meinung, dass allen Religionen eine tie-fe Wahrheit zugrunde liegt und diese verbindet. Für einige steht die Mystik, die der Sufismus lehrt, sogar über der Re-ligion, also auch über dem Islam.

Hilde Stübler-Vittmann

Die Meinung von Groß-Ayatolla Khamenei über den Sufismus: Frage: Darf man an Veranstalltungen und Sitzungen von Sufisten teilneh-men?

Antwort: Es ist nicht erlaubt und ist besser für die, die an den Koran und an die Regeln des Islam glauben, sich von solchem Verhalten zu trennen und sich an die großen Mehrheit der Muslime anzuschliessen.http://kawar.mihanblog.com/2010

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Man sieht sie nur, wenn man weiß, dass sie da sind. Doch sie sind die Kehrseite unseres privilegierten Kontinents, die Kratzer im Bild des „in Vielfalt geeinten“ Europa. Junge Menschen aus Eritrea, Palästina, dem Iran oder dem Sudan, die auf der Suche nach einem besseren Leben alles riskieren. Das kleine Häufchen derer, die es ins Herz der „Festung Eu-ropa“ geschafft haben: geflüchtet vor den Diktatoren ihrer Heimatländer, Kriegen und Bürgerkriegen oder schlicht vor der Armut. Ohne Wasser oder Nahrung lange Tage durch die brennende Hitze der Sahara, über Grenzen und Zäune, via Boot über das Mittelmeer oder tagelang unter Lastwa-gen geklemmt. Sie sind sechzehn und wirken wie dreißig – junge Männer, die viel zu schnell altern mussten. Sie haben sich in verfal-lenen Industriebaracken eingenistet oder in sogenannten Jungle Camps – improvisierten Zeltlagern in den Dünen. Frauen und Kinder sieht man unter ihnen kaum, die Be-dingungen in Calais sind für die meisten zu rau. Denn in der Vorzeigestadt mit Fährhafen und Eurotunnel wird viel Wert aufs Image gelegt. So ist in der Stadt dauerhaft eine Kompanie der Bereitschaftspolizei-Einheit CRS stationiert, deren Hauptaufgabe es ist, Menschen anderer Hautfarbe in den öffentlichen Anlagen auf gültige Papiere zu kontrol-lieren und Razzien an den bekannten Aufenthaltsorten der

„Sans Papiers“ zu machen. Ein Aktivist erzählt, dass Poli-

Stadt der GesichtslosenSie sind viele. Doch fristen sie ein Schattendasein in Calais. Flüchtlinge aus ganz Afrika,

dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Asien stranden auf ihrem beschwerlichen Weg nach Großbritannien in der Stadt am Ärmelkanal.

zisten in letzter Zeit wiederholt Schlafplätze der „Africans“ durch Pfefferspray und Urin unbewohnbar gemacht hätten. Der Dritte-Welt-Slum mitten in Europa - Kein fließend Was-ser, keine Toiletten, keine medizinische Versorgung.Die Fotogalerie konzentriert sich auf den „African Squat“, eine hauptsächlich von Sudanesen und Eriträern besetzte, verfallene Möbelfabrik und ihre Bewohner. Eine dritte Welt mitten in der ersten, Menschen in menschenunwürdigen Situationen, fragwürdige Polizeimethoden, aber auch stille Helfer. So kommen einige junge Aktivisten aus Frankreich, Deutschland und Großbritannien, wann immer sie können, nach Calais, um die Flüchtlinge zu unterstützen und Polizei-razzien zu dokumentieren. Willkommen in Europa, im Land des Wohlstands und der Freiheit – für alle mit den richtigen Papieren. Der „African Squat“ und ein weiteres besetztes Gelände in Calais wurden Ende Juni 2011 von der CRS und der französi-schen Grenzpolizei PAF endgültig geräumt.

Chris Grodotzki ( ©Text und Fotos)

© 2012 Kontext:Wochenzeitunght tp:// w w w.kontex t wochenzeitung.de/no _ cache/newsartikel/2011/07/stadt-der-gesichtslosen/?print=1

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Eva Peteler vom Heimfocus-Maga-zin im Gespräch mit Burkhard Hose, Hochschulpfarrer der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) in Würz-burg sowie Mitglied des Ombudsrates gegen Rassismus und Diskriminierung bei der Stadt Würzburg.

Heimfocus:Herr Hose, in der KHG hat sozialpoli-tisches Engagement eine lange Tra-dition. Eine der ältesten und größten Gruppen ist dort der Asyl-Arbeitskreis. Er begleitet und unterstützt Flüchtlin-ge in ihrer schwierigen Lage. Die Hoff-nungen der Menschen in der Gemein-schaftsunterkunft (GU) sind groß. Sie brauchen Unterstützung in vielerlei Hinsicht. Was kann denn eine Studen-tengemeinde da überhaupt leisten?

Burkhard Hose:Die größtmögliche Unterstützung, die wir hier geben können, ist es, junge Menschen zu fördern, die sich persön-lich in der GU gut überlegt, sinnvoll und reflektiert engagieren wollen, z.B. in der Teestube, beim Frauenfrühstück oder in Patenschaften. Wir schaffen dazu den Rahmen und stellen die Be-gleitung für dieses Engagement. Mit Kollekten in unseren Gottesdiensten versuchen wir, Projekte zu unterstüt-zen. Medizinstudenten haben auch die Möglichkeit, sich mit ihrer Fachkom-petenz in der medizinischen Versor-gung der Flüchtlinge einzubringen und so auch ihren Horizont zu erweitern. Für viele von ihnen wird es auch für ihren weiteren Berufsweg von Bedeu-

einen ungeheuren Reichtum in sich

Jeder Mensch trägt

tung sein. Für mich ist es auch wichtig, dass Studierende lernen, sich politisch zu positionieren, nach Einflussmög-lichkeiten zu schauen, damit sich die Verhältnisse grundlegend verbessern. Dazu gehört auch die Mitarbeit des Asyl-AK in der Projektgruppe Asyl.

Heimfocus:Wir denken meist an humanitäre Un-terstützung, wenn unsere Hilfe gefor-dert ist; Spenden sind in der Regel der Reflex, mit dem wir auf Elend und Not reagieren. Das ist in akuten Notlagen geboten, aber genügt es? Kann Wohl-tätigkeit nicht auch kontraproduktiv sein für notwendige strukturelle und politische Veränderungen, für Schritte zu mehr Gerechtigkeit?

Burkhard Hose:Es braucht beides: Es gibt berechtig-te akute Hilfestellungen. Sicherlich besteht aber auch die Gefahr, dass wir ein System stabilisieren, welches wir eigentlich verändern wollen, wenn wir allzu bereitwillig die Lückenbüßer-Rolle übernehmen. Der Schwerpunkt liegt für mich darin: Es muss sich etwas an der Politik in unserem Land ändern. So sind Flüchtlinge beispielsweise in der Politik wie auch in der öffentlichen Meinung von vorn herein belegt mit dem Pauschalverdacht, sie kämen aus Unrecht zu uns und es ginge in erster Linie darum, dies aufzudecken und sie in ihre Herkunftsländer zurück zu füh-ren. Um ein Bild zu bemühen: Ich halte nichts davon, Suppe an Arme auszu-teilen, ohne danach zu fragen, warum

ihre Situation so ist und was an deren Ursachen verändert werden muss.

Heimfocus:Was sagen die biblischen Erzählungen zu Flucht und Asyl? Ist die Bibel, ist Christsein nicht auch politisch? Nächs-tenliebe, Gerechtigkeit, Widerstand gegen Unrecht: Sind dies nicht klare und unmissverständliche Maßstäbe für christliches Handeln, insbesonde-re auch im Blick auf Flüchtlinge und Schutzsuchende?

Burkhard Hose:In meinem biblischen Verständnis gibt es nur ein optionales Verhalten als Christ: Ich muss mich entscheiden, auf welcher Seite ich stehe. Das heißt nicht, dass ich nicht nach Dialog und Verständigung suche. Die Bibel spricht in ihren Erzählungen, die ja im Grunde Beschreibungen von Erfahrungen des Menschen mit Gott sind, immer von einem Gott, der auf einer Seite steht. Gott ergreift Partei. Die Grunderfah-rung des Volkes Israel war über weite Strecken hinweg, im Exil gewesen zu sein; das war theologisch auch die kre-ativste Phase des Volkes Israel, nicht die in der Heimat. An diese Urerfah-rung, "wir waren fern unserer Heimat", knüpft die ganze Theologie des Volkes Israel an, bis hinein ins Neue Testa-ment. Die zweite Erfahrung ist die propheti-sche Linie: Die Propheten treten in der hebräischen Bibel immer dann in Er-scheinung, wenn irgendwas faul ist im Staate, wenn zum Beispiel eine Fröm-

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migkeit gelebt wird auf Kosten der so-zialen Gerechtigkeit, wenn sich Herr-schende bereichern auf Kosten einer großen armen Schicht im Lande ; die Propheten treten auf und kritisieren Könige. Sie haben eine ganz wichtige Funktion in der Geschichte Israels. In der neutestamentlichen Tradition ist für mich wichtig, was Jesus von Nazareth ausgelöst hat in seiner Art, wie er auf Menschen zugegangen ist, auf wen er zugegangen ist. Das waren Menschen, die sozial nicht angesehen waren, das war nicht die Oberschicht, sondern Zöllner, Sünder, Dirnen. De-nen hat er einen besonderen Platz gegeben. Das muss auch heute unsere Perspektive als Christen sein, wenn wir heute in die Gesellschaft schauen: Wo sind die Menschen, die wir in den Blick nehmen müssen. Dazu gehören auch die Menschen, die Flüchtlinge sind und die hier in unserer Gesellschaft in vielerlei Hinsicht den letzten Platz ein-nehmen. Das hat für mich nichts zu tun mit einer herablassenden Barmherzig-keit. In der neutestamentlichen Tradi-tion, so beispielsweise im Galaterbrief (Gal 3, 28,"... denn wir alle sind Einer in Christus") geht es im Grunde um eine Statusgleichheit. Da sind wir als Chris-ten noch sehr am Kämpfen, dies um-zusetzen. Das bedeutet ja, Menschen, die in einer benachteiligten Situation sind, nicht von oben herab anzuschau-en, sondern als Ebenbürtige. Ich muss begreifen: Ich kann von dir etwas Wertvolles bekommen, was ich selbst nicht habe und umgekehrt.

Heimfocus:Die Würde des Menschen ist unan-tastbar, das ist Fundament unseres Grundgesetzes und vieler Deklarati-onen. Wie ist diese Würde des Einzel-nen biblisch begründet? Und was be-deutet das konkret? Wie passt das zur brutalen Abwehr der Flüchtlinge, zur Beschneidung ihres Menschenrechts auf Asyl und zu ihren entwürdigenden Lebensbedingungen vor Ort? Wie zur Missachtung ihrer individuellen Per-sönlichkeiten und zur Verschwendung ihres Potenzials und ihrer Begabun-gen?

Burkhard Hose:Für mich ist eine wesentliche Be-gründung dieser Würde gegeben im ersten Schöpfungshymnus in Gene-

sis 1, in dem es heißt, Gott schuf den Menschen als Mann und Frau, als Sein Bild schuf Er sie. Nicht als Ebenbild, sondern in der hebräischen Bibel aus-drücklich als Bild Gottes: Das ist von der Schöpfungstheologie her die Be-gründung der einmaligen Würde, die jeder Mensch hat, und das ohne Unter-schied. Die Würde ist dem Menschen von seiner Natur her mitgegeben, die hat ein Mensch und niemand kann sie ihm nehmen oder streitig machen. Es geht darum, dass er diese Würde le-ben kann. Das wird in der Bibel oft sehr konkret ausgestaltet: Weite Teile der heb-räischen Bibel sind ja eigentlich So-zialgesetzgebung. Da hat man den Zusammenhang erkannt: Wenn das Zusammenleben von Menschen ge-regelt verläuft, so dass alle gut leben können, dann hat das etwas mit Gott zu tun, dann ist das eine zutiefst reli-giöse Frage. Da wird nicht getrennt zwischen Politik und Religion, son-dern das gehört zusammen, bis dahin, dass man in Israel gesagt hat: Wenn es funktionierende Gerichte gibt, ein gerechtes Rechtssystem, dann ist das ein Anzeichen für die Anwesenheit Gottes. Wenn es nicht gegeben ist, dass alle Menschen gleich behandelt werden, dann - und das wurde ganz konkret formuliert - dann ist Gott ab-wesend. Da muss ich nicht lange über-legen, um kritische Anfragen auch an

unsere Asylgesetzgebung heute zu richten, wie Menschen vor dem Recht hier behandelt werden. Da gibt es ein-fach ganz offensichtlich verschiedene Klassen. Das Gesagte ist für mich eine theologische Begründung, dass das so nicht sein darf und dass man da-gegen angehen muss. In dieser Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen liegt natürlich auch mit begründet, dass jeder Mensch etwas Göttliches in sich trägt, was er auch zur Entfaltung bringen darf. Wenn Menschen durch Lebensumstände daran gehindert werden, dann wird auch etwas von diesem Göttlichem in ihnen letztlich beschnitten.

Heimfocus:In jeder Stellungnahme behauptet die für die Lebensbedingungen der Flüchtlinge verantwortliche bayeri-sche Landespolitik, die jahrelange Un-terbringung in Lagern, Essenspakete, Residenzpflicht usw. verstießen alle-samt nicht gegen die Würde des Men-schen. Wie ist Ihr Standpunkt dazu?

Burkhard Hose:Mit dem Bild, das ich von der Wür-de des Menschen habe, ist das Sys-tem schon in seinem grundlegenden Ansatz nicht vereinbar. So auch die Unterstellung, dass diejenigen, die hierher kommen, es zu Unrecht tun; dass man den Menschen nicht in sei-ner grundlegenden Geschichte, nicht in seiner Not ernst nimmt, mit der er hierher kommt. Die Unterbringung in einem Lager mit allem, was dies be-deutet, mit der beschnittenen Mobili-tät, damit, dass man es nicht gestattet, sich der eigenen Kultur entsprechend zu ernähren, das sind ja alles Verlet-zungen dieser Würde.Natürlich ist der Begriff "Würde" sehr weit, aber ich glaube, ihre Verletzung setzt sich zusammen aus vielen klei-nen Nadelstichen. Da ist dann die Ausgabe von Essenspaketen für sich vielleicht noch nicht die große Verlet-zung der Menschenwürde, aber es ist ein Beitrag dazu, dass jemand nicht so leben kann, seiner Persönlichkeit und wie es seiner Würde entspricht. Da kommt vieles zusammen, was sich dann in der Summe gegen die Würde der Menschen richtet.Und für mich gehört zur Würde auf jeden Fall dazu, dass jemand gesund

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sein darf. Ich glaube, das ist das Grund-legendste. Ich finde es sehr besorgnis-erregend, was wir immer und immer wieder hören, dass die Art und Weise, wie die Menschen in den Lagern un-tergebracht sind, krank macht. Das ist eigentlich das grundlegendste Recht, das der Mensch hat - die körperliche Unversehrtheit.Die Weichen, ob ein Mensch würdig behandelt wird oder nicht, werden ganz klar politisch in München gestellt. Ich möchte niemandem, der eine Un-terkunft leitet, unterstellen, dass er von sich aus etwas gegen die Men-schenwürde tut, das ist eine politische Grundentscheidung und die Verant-wortung dafür liegt bei denen, die die Asylgesetzgebung ausgestalten.

Heimfocus:Gerade in Bayern, aber eigentlich über-all in Deutschland, hätten die großen Kirchen genug Einfluss und Gewicht, um sich in biblischer Tradition öffent-lich und entschieden für einen Wandel in der Asylpolitik einzusetzen. Stellen sie sich dieser Verantwortung?

Burkhard Hose:Ich habe den Eindruck, dass hier Eini-ges in Bewegung gekommen ist. Das Thema ist jetzt sehr präsent, und es ist wohl auch angekommen, dass es ein Thema ist, das uns als Kirchen, als Christen, sehr wohl betrifft, zu dem wir nicht schweigen können. Es mag sein, dass bisweilen noch die Diplomatie auf Kosten der Deutlichkeit geht, aber es gilt manchmal abzuwägen, was der Sa-che, dem Vorankommen dient, damit man sich nicht selbst aus der Diskussi-on abhängt. Ich habe durchaus Hoff-nung, dass da etwas gerade in Gang gekommen ist. Dazu gehört für mich auch das Interview, das der Bischof nach dem Suizid von Mohammad in der hiesigen Gemeinschaftsunter-kunft gegeben hat. Hier weicht er für mich gerade in seinen Forderungen, z.B. nach dem Erwerb von Sprach-kenntnissen, deutlich ab von dem, was die Linie der Staatsregierung ist, wo nämlich der Zugang zu Deutschkennt-nissen als nicht erwünschte Integrati-onsmaßnahme gewertet wird. Dessen ist sich der Bischof auch bewusst. Inso-fern habe ich Hoffnung.

Die Ultima Ratio, die letzte Möglich-

keit für mich, als Kirche Einfluss zu nehmen, ist und muss es auch blei-ben, Kirchenasyl zu gewähren. Nicht, weil wir da etwas gegen die Behörden unternehmen wollen, sondern weil wir damit dem Grundanliegen des Asylrechts eigentlich zur Geltung ver-helfen wollen. Dort, wo wir sehen, da gewährt der Staat nicht den Schutz, den er eigentlich gewähren müsste, da treten wir dann als Christen und als Kirchen bewusst ein.

Heimfocus:Fremdenangst, Diskriminierung und Rassismus in allen Schattierungen sind hier Realität, quer durch alle ge-sellschaftlichen Schichten. Was sind Ihre Erfahrungen als Mitglied des Om-budsrates gegen Rassismus und Dis-kriminierung?

Burkhard Hose:Meine Erfahrung ist, dass es tatsäch-lich noch viel mehr Fremdenangst und Rassismus in unserer Gesellschaft gibt, als wir öffentlich wahrnehmen. Das zeigt sich auch darin, dass der Om-budsrat zunehmend angefragt wird, dass immer mehr Fälle von im Alltag erlebter Diskriminierung an uns her-angetragen werden. Wir sehen uns vor allem dann gerufen, wenn Menschen solche Erfahrungen in Zusammenhang mit Behörden machen, mit Einrichtun-gen, in Diskotheken usw. Da gibt es in der Tat genug Vorfälle. Wir stehen erst einmal als Ansprechpartner zur Verfü-gung. Wir nehmen die Beschwerden ernst und dokumentieren sie. Dann versuchen wir zunächst, mit der Stel-le Kontakt aufzunehmen, wo sich die Menschen diskriminiert gefühlt ha-ben, zu klären, was da vorgefallen ist, ins Gespräch zu kommen. Wenn uns trotz aller Versuche eine Klärung nicht gelingt, steht ganz am Ende unserer Handlungsmöglichkeiten auch die Öf-fentlichkeit.

Was Behörden angeht, haben wir es uns zur Devise gemacht, wir arbeiten nicht gegen Behörden, sondern wir gehen davon aus, dass die Verant-wortlichen selbst daran interessiert sind, ihre Arbeit zu optimieren. So sind wir im Dezember auch nach Kassel ge-fahren und haben die dortige Auslän-derbehörde besucht, die als eine gut funktionierende Behörde in Deutsch-

land von sich reden gemacht hat. Wir haben uns die herausragende Arbeit dort angeschaut und hier darüber be-richtet. So hatten wir ein Gespräch mit dem Würzburger Oberbürgermeister, der dafür ja sehr offen ist. Demnächst treffen wir uns mit den Verantwortli-chen der hiesigen Ausländerbehörde und erhoffen uns, dass auch hier et-was von dem, was uns in Kassel beein-druckt hat, umgesetzt wird. Es geht also auch und vor allem um einen po-sitiv motivierenden Schub.Seit letztem Jahr gibt es den sog. Lo-kalen Aktionsplan auch hier in Würz-burg, ein Unterstützungsprogramm des Familienministeriums. Dieses un-terstützt lokale Initiativen, die sich vor Ort engagieren, Menschen verschie-dener Kulturen zusammen zu bringen und damit präventiv der Fremden-feindlichkeit , die häufig in sehr großer Unkenntnis begründet ist, entgegen zu wirken.

Heimfocus:Ausgehend von Ihren persönlichen Erfahrungen und Begegnungen mit den Menschen in und aus der Gemein-schaftsunterkunft: Was berührt Sie persönlich am meisten?

Burkhard Hose:Was mich immer wieder berührt, zum Beispiel auch von den Abenden her, die wir gemeinsam hier in der KHG hatten wie Afghanistan-Abend oder Äthiopien-Abend, ist, wie viel Reich-tum jeder Mensch, egal, woher er kommt, in sich trägt.Was mich dann wirklich schmerzt, ist, wenn diese Menschen in unserer Gesellschaft nur defizitär gesehen werden oder gar als Belastung. Für mich tun sich in diesen Begegnungen immer neue Horizonte auf, wenn ich jemanden kennenlerne aus einem anderen Land, mit einer anderen Geschichte. Selbst wenn das eine leidvolle, schmerzliche Geschich-te ist, ist es etwas, das bei mir etwas weitet. Diese Begegnungen berühren mich am meisten und auch die Über-zeugung, dass jeder Mensch, gleich wie schwierig seine persönliche Situ-ation auch ist, Reichtum, ungeheuren Reichtum in sich trägt.

Herr Hose, die Heimfocus-Redaktion dankt Ihnen herzlich für dieses Ge-spräch.

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Durch den Erfolg des Stücks „Traum vom Leben“ zählt die Flüchtlingsthea-tergruppe zu den bekanntesten Initia-tiven der Würzburger Gemeinschafts-unterkunft. Jenes Stück, produziert im Frühsommer 2011 in Kooperation mit dem Mainfranken Theater Würzburg, entstand aus zahlreichen vertrauens-vollen Gesprächen mit Flüchtlingen und kontrastierte deren Erinnerungen an die Kindheit mit traumatischen Erlebnissen von Krieg, Folter, Flucht und Vertreibung. Dabei setzte die In-szenierung ganz auf die Authentizi-tät der Laiendarsteller aus Äthiopien, Afghanistan, dem Iran und dem Irak. Kein Bühnen-, kein Kostümbild waren notwendig, kaum Requisiten. Im Mit-telpunkt stand rein der Mensch. „Das, was auf der improvisierten Bühne prä-sentiert wird“, schrieb der Bayerische Rundfunk, „geht direkt ins Herz“.

Nun wird ein weiteres größeres Stück vorbereitet, das den eingeschlagenen Weg fortsetzen soll. Das neue Projekt möchte dort ansetzen, wo „Traum vom Leben“ schloss: an den Grenzen Euro-pas. Die Flüchtlingstheatergruppe, die für alle Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft offen steht, möchte auch hier kulturelle Brücken schlagen von Mensch von Mensch, ein Podium bilden für die berührende Dar-stellung eigener Hoffnungen, Sehn-süchte und Ängste und so zum Forum für Debatten werden.Das Projekt wird künstlerisch geleitet von der Regisseurin Barbara Duss und dem Dramaturgen und Autor Alexan-der Jansen. Der regelmäßige Theater-treff findet jeweils samstags im Caritas-gebäude der Gemeinschaftsunterkunft statt (Beginn: 17:30 Uhr).

Kommende Auftritte der Flüchtlings-theatergruppe (Auswahl):

Freitag, 4. und Samstag, 5. Mai 2012„Traum vom Leben“Aufführung und Workshop im Rahmen der „Welt-Uni 2012“ unter dem Thema

„Traum vom Leben“ geht weiter!Flüchtlingstheatergruppe offen für neue Mitglieder

„Land in Sicht? Migration und Flucht. Hintergründe, Chancen und Herausfor-derungen“Nürnberg, Caritas-Pirckheimer-Haus

Montag, 14. Mai 2012, 20 Uhr„Traum vom Leben“Stadttheater Aschaffenburg, Studio-bühne

Sonntag, 20. Mai 2012, 16 Uhr„Märchen der Völker“

Würzburg, BBK-Galerie im Kulturspei-cherDie Flüchtlingstheatergruppe wird un-terstützt von dem Asylkreis der KHG Würzburg, dem Verein Vivovolo sowie dem Freundeskreis für ausländische Flüchtlinge im Regierungsbezirk Un-terfranken e.V.

Weitere Informationen und Kontakt: [email protected]@rocketmail.com

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Kennen Sie ein Land, in dem es den Bürgern nicht gestattet ist, in Gruppen, auch einfach zusammen mit ein paar Freunden, auf der Straße zu laufen oder sich in einem Café oder Restaurant zu treffen? In meiner Heimat Äthiopien ist es so. Was geschieht dann mit einer Ge-sellschaft, in der Gastfreundschaft und Geselligkeit traditionell ein tragender Teil des Lebens sind? Wie ungezwun-gen und offen können Menschen noch einander begegnen und miteinander umgehen, wenn überall Beobachter und Spitzel vermutet werden müssen, um das Versammlungsverbot zu über-wachen? Wer kann noch wem trauen? Wie schleichendes Gift zersetzt dann Misstrauen und Distanz die Gemein-schaft, traditionelle Strukturen und na-türlich auch jedes gesellschaftliche und politische Engagement.

Die Welt, insbesondere die westliche Welt, scheint noch immer nicht sehen und begreifen zu wollen, dass in Äthio-pien nicht einmal die Wahlen demokra-tisch sind, geschweige denn die politi-sche und gesellschaftliche Struktur des Landes. Unter dem Deckmäntelchen der Demokratie verschlechtert sich die Lage der Menschenrechte in Äthi-opien dramatisch, besonders seit den heftigen und blutigen Unruhen nach der umstrittenen Wahl von 2005. Eine Reihe restriktiver Gesetze wurde be-schlossen, die darauf abzielen, die letz-ten Reste von Meinungs-, Versamm-lungs- und Pressefreiheit endgültig zu eliminieren: Das Anti-Terror-Gesetz ermächtigt

Gesetze gegen Menschenrechte und Demokratie

das Regime zu drastischer Verfolgung praktisch eines jeden, ob Individuum oder Organisation, die sich in irgendei-ner Weise kritisch äußern. Das Regime wendet dieses Gesetz insbesondere gegen Journalisten und kritische Op-positionelle an. So hat der autokratisch herrschende Premierminister Meles Zenawi kurzerhand auch die gesamte äthiopische Opposition unter den Gene-ralverdacht der Teilnahme an terroristi-schen Aktivitäten gestellt. Eine syste-matische Verfolgung und Anwendung von Gewalt und Folter gegen Kritiker des Regimes ist von Amnesty Interna-tional, Human Rights Watch sowie vom Anti-Folter-Kommitee der Vereinten Nationen dokumentiert, beispielsweise gewaltsames Einspritzen von HIV-Ma-terial, Genitalverstümmelungen und wochenlange Isolationshaft in völliger Finsternis. Die umfassende repressive Anti-Terror- Gesetzgebung führt zu drastischer Einschränkung der Grund-rechte wie Meinungs- und Versamm-lungsfreiheit und natürlich besonders der Pressefreiheit. Massive Zensur und Verfolgung durch die Staatssicherheit trifft, wie gesagt, infolge der neuen Anti-Terror-, NRO- (Nicht-Regierungs-Organisationen) und Mediengesetze von 2008-2010 neben Oppositionspo-litikern und Menschenrechtsaktivisten mit aller Härte vor allem unabhängige Journalisten.Wie auf www.nazret.com berichtet wird, stellt Frank La Rue, Sonderbe-auftragter für das Recht auf Meinungs-freiheit, fest:“Journalisten gebührt die

Schlüsselrolle, Beamte und Behörden zur Rechenschaft zu ziehen, indem sie die Hintergründe von Menschenrechts-verletzungen aufdecken und die Bürger darüber aufklären.“ Und er fügt hinzu:

„Die Journalisten dürfen nicht krimi-nalisiert und verfolgt oder gar brutal bestraft werden für ihre legitime Ar-beit.“ Alleine in den letzten Monaten sind jedoch mehr als 100 Mitglieder der Opposition und sechs Journalisten fest-genommen worden für die Ausübung ihres Menschenrechts auf Meinungs- und Pressefreiheit, unter ihnen der in-ternational renommierte und bereits mehrfach inhaftierte und gefolterte Journalist Eskinder Nega:

Gerade vor wenigen Tagen wurden drei Journalisten und zwei Oppositi-onspolitiker zu Freiheitsstrafen von 14 Jahren bis Lebenslänglich verurteilt auf Grundlage der sogenannten „Anti-Terror-Gesetze“. Bereits im Dezember 2011 wurden zwei schwedische Journa-listen zu Gefängnisstrafen von 11 Jah-ren verurteilt, wie der Hohe Kommissar für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen berichtet. Weitere 24 Inhaf-tierte erwarten in Kürze ihren Prozess, allesamt beschuldigt eines Vergehens

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gegen das Anti-Terror-Gesetz; Etlichen von ihnen droht die Todesstrafe. Laut der Organisation “Reporter ohne Gren-zen” nimmt Äthiopien unter den afrika-nischen Ländern in der Zahl der inhaf-tierten Journalisten den Spitzenplatz ein. Ferner hat Äthiopien weltweit eine der höchsten Zahlen von Journalisten im Exil.Die sogenannten „Anti-Terror-Gesetze“ sind offensichtlich der Todesstoß für jegliche demokratischen Bestrebungen in Äthiopien. Sie werden beliebig und willkürlich instrumentalisiert gegen die Grundrechte der Menschen, gegen legitime freie Meinungsäußerung und Berichterstattung, gegen Kritik oder Opposition. Die deutsche Bundesregie-rung bezeichnet dies in ihrem neuesten Bericht zur Menschenrechtspolitik als

“Teil einer umfassenden politischen Strategie” der in Äthiopien herrschen-den EPRDF-Partei zur Durchsetzung staatlicher Autorität und Kontrolle weit über den Rechten der Einzelnen.

Das Regime hat neben einem dichten Netz von Spitzeln und Denunzianten ein System der Unterdrückung und Gleichschaltung aufgebaut: Die junge Generation wird beim Schul- oder Stu-dienabschluss massiv zu einem Beitritt zur herrschenden Partei gedrängt un-ter Androhung von Sanktionsmaßnah-men, die für den weiteren Lebens- und Berufsweg entscheidend sein können. Die zumeist bitterarme Landbevölke-rung ist in der Zuteilung von Ackerland, Saatgut und Dünger, aber auch von Ge-treide und Lebensmitteln der ausländi-schen Hilfslieferungen, völlig abhängig von der Willkür der örtlichen Parteika-der. Auch hier entscheidet die Kollabo-ration mit oder die Mitgliedschaft in der herrschenden EPRDF-Partei. Das Land gehört der Regierung, nicht dem Volk, und wird so zu einem starken Druck-mittel. Von den besten Böden wer-den die armen Bauern im großen Stil vertrieben, um riesige Landstriche an mächtige Investoren aus dem Ausland

zu verpachten oder zu verkaufen. Diese Tragödie und Vernichtung der Lebens-grundlage tausender armer Bauern und ihrer Familien findet in internationalen Medien und Politik kaum Beachtung.

Äthiopien ist ein wunderbares Land mit einer uralten Kultur, beeindrucken-der Schönheit der Landschaften und freundlichen Menschen. Ich trauere um dieses Land, das so viele seiner Kin-der verliert, die ohne Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit und ohne Perspektive keinen anderen Ausweg sehen als Flucht in die Fremde. Hunderttausende äthiopischer Flücht-linge leben außer Landes, jeder von ihnen verlorenes Potenzial für dessen Zukunft. Als einer von ihnen erhoffe ich mir für meine Heimat einen Wandel hin zu Frieden, Freiheit und Respektierung der Menschenrechte.

Addis Mulugeta

The distance between Ethiopia and Germany is thousands of kilometres. As a refugee here in Germany, it is completely a new world for me. Its culture, way of living, language, religi-on, infrastructure and politics etc. are different from my country, Ethiopia. Now, it is widely believed that edu-cation plays an indispensable role for the betterment of the society and the development of its democratization process. In this case, in the history of my coun-try, students have been playing a pivo-tal role in Ethiopian politics. However, in Ethiopia intellectuals who are belie-ved to play a great role are deprived of Human Rights. Many scholars have very limited freedom of speech and press and biased access for farther education. They are often excluded from participation of elections. In ad-dition to that, they are restricted to support and to organize a new inde-pendent political party. When we are talking about the con-tribution of intellectuals to Ethiopian

Long distance to run away from home

politics, for instance, many university and high school students and acade-micians had played a great role to over-come the era of King Haile Sellassie in 1966. The same is true in the time of Dictator Mengestu Haile Mariam re-gime; many students have been killed in the 1970s. On the other hand, even during the current regime, the roles of students are remarkable. In this case, graduated students like me who refused to be member of the current regime party are restricted from job and forced to flee their family, job and country. As a university graduated stu-dent, I also was very active in demons-trations against the government. At the moment, the Human rights si-tuation of my country is very poor. In fear of torturing and prison, many uni-versity students, scholars, prominent politicians, famous activists and many journalists are already in exile. Some of them are kept in inhuman situations in prison. Torture and ill-treatment are being used by Ethiopia’s police, milita-ry, and other members of the security

forces.According to the US department of state, as of 2006, there are more Ethi-opia-trained doctors living in Chicago than in the entire country of Ethiopia. In this case, a lot of Ethiopian intellec-tual people are also coming to Germa-ny as a refugee. Even in the camp whe-re I live at the moment, there are many Ethiopian refugees. Bad and poor go-vernance, the absence of fairness and justice, undemocratic and corrupted leadership and unequal distribution of wealth are the main reasons why Ethiopia is still facing serious problems and the society is deprived of human and natural rights.In addition to the bad dictator govern-ment in our country, Ethiopia is one of the oldest civilizations in the world with rich history and culture of 3000 years. It is the only African nation and one of very few countries in the world at all which has its own calendar, al-phabet and numerals.

Abay Kiros

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Netsanet Mulugeta, Asylbewerberin aus der Würzburger Gemeinschafts-unterkunft, zeigt stellvertretend für so viele Flüchtlinge: Integration geht leichter als gedacht, wenn man bereit ist, aufeinander zuzugehen und einan-der in seinem persönlichen Reichtum und Potenzial zu schätzen: Sie gehörte zu den Künstlern, mit denen Muchtar Al Ghusain, Musiker und Kultur-Sport- und Schulreferent der Stadt Würzburg, sein innovatives musikalisches Experi-ment “Eigentlich nichts” am 18.Februar 2012 im Würzburger Spitäle aufführte.

“Eigentlich nichts” war “eigentlich” sehr viel: das anspruchsvolle, von Virtuo-sität der internationalen Musiker und von ihrem sichtbaren Vergnügen an gemeinsamem Musizieren und Auspro-bieren getragene Konzert wurde vom Publikum begeistert gefeiert. “Tradi-

Melodie der Integration - “eigentlich” ein leichtes Spiel

Kulturellen Reichtum schätzen und teilen ist ein Gewinn für alle.

tionelle Konzertrituale aufzubrechen, um so auch neue Sichtweisen und neue Formen der Begegnung zu etablieren“, so Herr Al Ghusain, „war zunächst ein Experiment, weil sich die Beteiligten vorher nicht kannten. Ihre spontane Offenheit und die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, waren für mich um-werfend und beglückend.“Für Netsanet Mulugeta, als Flüchtling in einem Lager lebend, war dieser Abend ein unvergessliche Erfahrung. In ihrer Heimatstadt Addis Abeba, der Haupt-stadt von Äthiopien, absolovierte sie an der Yared Musikhochschule der Univer-sität ihr Studium im Fach Violine. Da-nach arbeitete sie als Musiklehrerin in verschiedenen Privatschulen der Stadt und zeigte, gemeinsam mit anderen Musikern, ihr Können in verschiedenen internationalen Hotels der Metropole.

Zunehmend empfand sie die politische Situation in ihrer Heimat als unan-nehmbar: Die Demokratie in Äthiopien, so Netsanet Mulugeta, existiere nur in der Theorie. Das Land wird seit mehr als 22 Jahren mit eiserner Hand nur von einer einzigen Partei regiert; Journalis-ten werden verfolgt und ohne Gerichts-verfahren ins Gefängnis geworfen, Oppositionelle werden gefoltert und inhaftiert. Als Netsanet auf Grund ih-rer politischen Aktivitäten und regime-kritischer Äußerungen ihr Lebensziel, eine Spitzenmusikerin zu werden, ver-wehrt wurde, sah sie sich gezwungen, ihre Heimat, Familie und Freunde zu verlassen.Schließlich landete sie als politischer Flüchtling und Asylbewerberin in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft, wo sie seit nun mehr als zwei Jahren auf

(v.l.n.r.): Salah Eddin Maraqa, Netsanet Mulugeta, Muchtar Al Ghusain, Navid Zabihi

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den Ausgang ihres Asylverfahrens war-tet. “ Diese lange Zeit hatte ich weder Hoffnung noch Perspektive für mich gesehen; es war mir unmöglich, meiner Leidenschaft für die Musik und meinem Beruf nachzugehen”, so fasst sie ihre bedrückende Sitaution zusammen. “In Äthiopien hatte ich als Musikerin viele Kontakte, aber als Flüchtling ist es hier sehr schwer. Zum Glück bin ich im Lager einigen Menschen begegnet, die mein Leben verändert haben. Ich danke Eva Peteler, Alexander Jansen, Muchtar Al Ghusain, meiner Deutschlehrin Caro-lin Seitz und der Familie Günthert mit ihrem Freundeskreis. Manche Augen-blicke werde ich niemals vergessen, so auch den Tag , als mir Herr Al Ghusain privat eine Leihgeige besorgt hat. Ich stand da beim Geigenbauer und konnte es nicht fassen. Da habe ich geweint.”

“Im Lager zu leben und Geige zu üben, das passt eigentlich gar nicht zusam-men. Tag und Nacht auf engstem Raum mit so vielen anderen Flücht-lingen zu leben, auch in dem eigenen kleinen Zimmer zu zweit, ist eine gro-ße Hürde für das erforderliche intensi-ve Üben”, beschreibt Netsanet die für Einheimische völlig ungeahnten Her-ausforderungen. “Wenn ich üben will, sehen andere gerade fern oder Kinder im hellhörigen Nachbarzimmer schla-fen usw. Zum Glück unterstützt und fördert mich Frau Christine Gaillard als Musiklehrerin sehr.“Wie viele andere Flüchtlinge bringt Netsanet den ganzen Reichtum ihrer Kultur, viel Wissen und Können mit und leidet an der Perspektivlosigkeit des Lagerlebens. “Manchmal braucht es nur wenig, um Hölle in Himmel zu verwandeln”, so Netsanet unter Trä-nen, als sie ihre Leihgeige zum ersten Mal im Arm gehalten hat. “Manchmal braucht es einfach nur jemanden, der dich aufrichtet und dir die Möglichkeit gibt, zu zeigen, wer und was du bist, als wertvollen Menschen mit vielen Bega-bungen und Potenzial, das du zeigen und anbieten willst.”Eine dieser Möglichkeiten, sich als hochbegabte Musikerin zu präsentieren, war das herausragende musikalisch-literarisch-kulinarische Experiment von Herrn Al Ghusain, alles andere als

“Eigentlich nichts”. In ihrer traditionel-len äthiopischen Kleidung trug Netsa-net auf ihrer Geige Melodien aus ihrer Heimat vor. Sie wurden vom Publikum

hervorragenden Tonbakspiel (persiche Handtrommel) und natürlich die virtu-ose musikalische Vielfalt des Initiators Muchtar Al Ghusain mit Klavier, Flö-te, Gitarre und Gesang. Zum Gelingen dieses ganz besonderen künstlerischen Experiments haben auch der Musikwis-senschaftler und Komponist Siavash Beizai aus dem Iran sowie mit der ku-linarischen Abrundung Michael Schlirf beigetragen.

Addis Mulugeta

Wichtig ist mir, den Menschen mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen. Ausgangspunkt ist, dass jeder einzelne Flüchtling eigene Fähigkeiten, Bega-bungen und Interessen mitbringt. Ich möchte jedem auf Augenhöhe begeg-nen und ihm so ermöglichen, das eigene Potenzial zu zeigen und einzubringen. Die Menschen in der GU befinden sich in einer Phase, in der sie existentielle Notlagen durchlebt haben und noch immer verunsichert oder traumatisiert sind. Umso mehr braucht es von uns die Fähigkeit zu Neugier und Zurückhal-tung zur gleichen Zeit. Es braucht Empathie – was hätten wir getan in ver-gleichbarer Situation? Und schließlich: es ist nicht nur freiwillig und ehrenwert, wenn wir uns diesen Menschen öffnen. Es ist schlicht unsere Bringschuld – un-ser Grundgesetz, die europäische Menschenrechtskonvention, unser Glaube, unser Humanismus verpflichten uns dazu.“

Muchtar Al Ghusain als Antwort auf die Frage, wie wir Einheimischen Flüchtlinge unterstützen und ih-nen Wege in unsere Gesellschaft ebnen können.

Muchtar Al Ghusain

Salah Eddin Maraqa, Muchtar Al Ghusain, Navid Zabihi

Netsanet Mulugeta

genauso begeistert angenommen wie die virtuosen Darbietungen von Mi-chael Ehlers auf der E-Gitarre, Salah Eddin Maraqa aus Jordanien auf sei-nem Quanun, einer arabische Zither, Navid Zabihi aus dem Iran mit seinem

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40 [email protected]

All of you who know the atmosphere of universities especially those of you who have studied have good or bad memories from that. University is not only the place for studying lessons but is an opportunity for students to learn the art of living together despite cul-tural, religious and ideological diffe-rences. These new connections with various people and new mentalities teaches the students some new things which help them to have a better re-cognition about their environment and new phenomena of scientific, political, economical, ideological and other kinds. But how is this paradise for students in other countries? How is the freedom of students there? If this particular country is supposed to be an Islamic country with a dictatorship like Iran, what is going on in those univer-sities?We approach the entrance of a given university in Iran. Security buildings are seen on both sides of the entran-ce: one building for checking the appearance of female students and the other buil-ding for checking the ap-pearance of male students to be according to Islamic laws in Iran. The male sec-tion makes sure that nobody has modified Western-style or long hair or that hair gel has been used. It is forbidden for men to wear tight garments or short sleeve shirts too.The female section controls that no-body of the girls has got nails polish and make-up. The female students must wear an Islamic veil and under-neath they have to wear a long coat and a wide pant. All of this in order to hide the body of female students from hairs of their heads down to their ank-les including a scarf, too. The security also has the permission to inspect the ladies‘ bags. Only after all of these in-spections students are permitted to enter the university campus and to go directly to the given building to check

Student life in Iran

in the class program board for finding their classrooms. You will see two class program boards: one for female and the other for male students. The distance between these two boards is approximately 10 meters in order to avoid any contact and relation bet-ween male and females students.In the universities of the Islamic Irani-an system all students from all bran-ches of science must take and pass some religious units. In these courses asking questions about Islam which challenge Islamic ideology can cause to summon the student to the Dis-ciplinary Committee which also can deport the student from university. Between classes students have some rest. If they decide to spend it in the

restaurant of university the face se-parate rooms for males and females. Even in the park of the university there is gender segregation. Not respecting the rules means serious problems with the Disciplinary Committee. Basically this group in each Iranian university is formed of high-rank officials of each university, representatives of the lea-ders of the Islamic regime and of the security forces affiliated with the Is-lamic regime of Iran. They control the Islamic conduct of universities and students activities. The focus of this committee is put on students who cri-ticize the Iranian government policies, on liberal students and students from religious minorities. Basically, the Isla-mic control of universities insists that

students must think and act according to the given gui-delines of the Iranian regime. The Disciplinary Committee even summons the students because of participation in some private parties outside the campus and they are being deported from their universities because of this

“crime”.In 1999 the Islamic Iranian regime even attacked Uni-versity dormitories for ex-ample in Tehran and in Tabriz in order to suppress the libe-ral students; at least 5 stu-

dents were killed and more than 200 students arrested, some of them inju-red by bullets, chain, knife and batons. Ten years later, after the Presidential Election won by Mahmud Ahmadine-jad, the University dormitories again became the base of student protes-ters. And once more some students were killed any many more arrested, tortured, raped and harassed. What a brain drain and loss of potentials for a country, all those students and well educated intellectual people see-ing no other options for themselves by these experiences but to flee the country and seek for asylum abroad all over the world.

Toomadj Avazzadeh

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11th February 2012 was the 33rd anni-versary of the Islamic Revolution in Iran which was the beginning of a nightmare for many Iranians. For the majority of the Iranian people living abroad now, the repercussion of this revolution has been the beginning of a tragedy named emigration, exile and seeking asylum during the past 33 years. Me for examp-le, I used to work in the academic sec-tion as a university lecturer in Iran; but now I have become an asylum seeker with a doubtful and unclear future. I do not understand and cannot believe that the current situation could have been the aim of 1979 Iranian revolution. Mil-lions of people have been condemned to life under the most reactionary and brutal social system, a society based on terror, poverty, and lies in which hap-piness is forbidden, being a woman is a crime, living is torment and escape is impossible. An entire generation, per-haps more than half the population, has been born in this hell and has no other recollection than this. And for many others, the most living memory is that of the unforgettable faces of admirable human beings who have been slaughte-red. Wasn’t 1979 - the year of revolution

- the beginning of this nightmare?If history is the story of change, then real history is the history of the move-ment and people who still want and are struggling for change, the history of those who are not willing to bury their ideals and hopes of a human society, the history of people and movements that are not at liberty of choosing their prin-ciples and aims and have no choice but to strive for improvements. In the histo-ry of both the victors and defeated, the 1979 revolution is a step for the rise of Islam and Islamism and the cause of the current situation in Iran.In real history, however, the 1979 revo-lution was a movement for freedom and prosperity, which was smashed. People were right to reject the monarchy and the discrimination, inequality, oppres-sion and degradation that went with it and rose up in protest. People were right not to want a king, SAVAK (the se-cret police), torturers and torture cham-bers at the end of the 20th century. Peo-

Behind the scene of 1979 Iranian Revolution

ple were right to take up arms against an army, which massacred them at the earliest manifestations of their protests. The 1979 revolution was an act for free-dom, justice and human dignity. The Islamic movement and the Islamic government were not the result of this revolution, but they were rather a deli-berate means of suppressing the revolu-tion, and brought to the fore when the fall and failure of the Shah’s regime was confirmed. Contrary to commonly held views, the Islamic Republic did not pri-marily owe its existence to the network of mosques and the swarm of petty mullahs. The source of this regime was not religion’s power among the people; it was not Shiism’s power, people’s lack of interest in modernism and their hat-red of Western culture, excessively ac-celerated urbanization and lack of ‘prac-ticing democracy’, etc. Those forces which were supporting the Shah’s re-gime and training the SAVAK until the last day then brought the Islamic cur-rent to the fore of the 1979 revolution. Lots of money has been spent for the

‘Islamisation’ of the Iranian revolution, thousands of people, from Western dip-lomats and military attaches to the ever honorable journalists of the world of democracy, have worked intensely for months, until a backward, marginal and isolated tradition in the political history of Iran was turned into the ‘revolution’s leadership’ and a ruling alternative for the urbanized and newly industrialized society of Iran in 1979. Mr. Khomeini did not come from Najaf and Qom and as the head of a swarm of donkey-riding mullahs from en-route villages but from Paris via air. The 1979 revolution its-elf was a manifestation of the genuine protests of the deprived people of Iran

but the ‘Islamic revolution’ and Islamic regime were the result of the Cold War, the result of the most modern political dealings of the world at the time. The architects of this regime were the strategists and policy makers of Wes-tern powers. The entire Western econo-mic, political and propaganda resources have been pulled together for months before and after February 1979 in order to establish and maintain this regime. The very fact that this social engineering became possible in Iran, however, owes itself to the situation and condition of the political and social forces within Iran. Islamic currents existed in all countries of the region. Until the events in Iran, however, this movement did not at any point become a notable political force and a main player on the political scene of these countries. The Islamic counter-revolution was built on a corrupt anti-modernist, anti ‘westernization’, xe-nophobic and Islamic-ridden tradition dominant in a majority of the intellectu-al and cultural segments of the society in Iran, which shaped the initial environ-ment of the youth and student protests. Khomeini triumphed not because super-stitious people saw his reflection on the moon, but rather because the traditio-nal opposition and corrupt nationalist and regressive culture saw him - who was the most imported and manufactu-red personage of Iranian contemporary political history - as ‘made in Iran’, anti-Western and one of their own. The Is-lamic counter-revolution was the result of the fact that the modernist-socialist oil industry and big industries’ workers lost the initiative in the protest scene to the traditional opposition of Iran. It was them who received Khomeini’s persona-ge and the Islamic revolution scenario from the West and sold it to the protes-ting mass of people.Despite all this, the new movement of Iranian people, especially the youth generation called Green Movement in the past two years showed that the dy-namics of the revolution is still there. It showed that people come to and remain at the fore for freedom and social pros-perity and not for Islam.

Arash Zehforoush

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Seit Juli 2011 bin ich als hauptamtli-cher Berater beim KCV Regen / Migra-tionsdienst für die Asylunterkunft in Böbrach zuständig, seit Oktober 2011 auch für das Heim in Schöllnstein.In beiden GUs leben nach meinem ak-tuellen Kenntnisstand derzeit ca. 70 Flüchtlinge, in Böbrach ausschließlich Männer, in Schöllnstein auch verein-zelt Familien. Die GU Schöllnstein be-findet sich im Landkreis Deggendorf in einem kleinen Dorf, das sehr einsam gelegen ist. Die GU Böbrach befindet sich auf einer Waldlichtung außerhalb des Ortes Böbrach im Landkreis Re-gen, zu erreichen über einen Feldweg, der von der Landstraße wegführt.Über viele der negativen Seiten dieser Unterkünften wurde bereits sehr viel berichtet, so dass ich für einen diffe-renzierten Bericht an dieser Stelle auch etwas Positives erwähnen möchte: In Böbrach funktioniert die Zusammen-arbeit mit dem Großteil der Regener Behörden sehr zufriedenstellend. Zu den Behörden in Deggendorf kann ich noch nichts sagen, da ich erst seit kur-zer Zeit für Schöllnstein zuständig bin.Nach einem Vortrag zur Situation von Flüchtlingen sind die Schüler der BS / BOS / FOS Regen sehr interessiert an der Fluchtthematik und besuchten auch die Unterkunft der Asylbewerber. So gab es in der jüngeren Vergangen-heit soziale Kontakte und die Schü-ler setzten sich auch dafür ein, den hier untergebrachten Migranten ein besseres Leben zu ermöglichen. Her-vorzuheben ist das Engagement der Gemeinde Böbrach, die den Heimbe-wohnern auf eigene Kosten einen In-ternetzugang geschaffen hat. Derzeit gibt es einen von der Caritas gestell-ten Computer, mit dem die Flüchtlin-ge E-Mails checken und News aus der Heimat erfahren können. In Böbrach gibt es also wenigstens einen Internet-zugang, in Schöllnstein nicht, wobei für die Flüchtlinge in Schöllnstein die Möglichkeit besteht ein kommerzi-elles Internetcafe in Deggendorf zu

Flüchtlingsberatung im Bayerischen Wald

Erfahrungsbericht eines Berufseinsteigersbesuchen, wenn sie es sich leisten können. (Erwachsene Flüchtlinge ver-fügen über 40,90€ Taschengeld im Monat, Anm.d.Red.) Ob wenigstens die Satellitenschüsseln noch funktio-nieren, wenn die Receiver von analo-gem auf digitalen Empfang umgestellt werden, ist fraglich. Fernsehen bietet eine der wenigen Möglichkeiten zur Zerstreuung und um Neuigkeiten aus dem Heimatland zu erfahren. Meine persönliche Erfahrung zeigt auch, dass die Ausrichtung des Mobilfunknetzes vor Ort suboptimal verläuft.

Mit einem lachenden und einem wei-nenden Auge sehe ich das Engagement der ehrenamtlichen Helfer: In beiden Unterkünften gibt es motivierte Ein-zelpersonen, die Deutschkurse anbie-ten. In Böbrach unternimmt die ehren-amtliche Deutschlehrerin zusätzlich Freizeitfahrten mit den Flüchtlingen. Auch in Schöllnstein wurden von Eh-renamtlichen bereits Treffen zum Kaf-feetrinken mit den Familien vereinbart. Dies ist der positive Aspekt des Ehren-amts. Leider gibt es davon abgesehen wenig weitere ehrenamtliche Tätigkei-ten. Eine entsprechende Unterstüt-zung wie in vielen Großstädten ist lei-der nicht gegeben. Sehr viel wichtige Arbeit bleibt daher unerledigt, da ich nicht über die zeitlichen Kapazitäten verfüge, alle anfallenden Probleme der Flüchtlinge lösen zu können.Auch die Freizeitmöglichkeiten sind in den GUs sehr eingeschränkt. Die wenigen Möglichkeiten, wie ein Tisch-fußball, Sportgeräte oder viele der TV-Geräte werden meist über Spen-den und via Caritas an die Unterkünfte weitergereicht. Die Regierung von Nie-derbayern sieht sich als Heimbetreiber offensichtlich nicht dazu veranlasst, den Menschen in ihrer isolierten Lage mit minimalem finanziellen Aufwand auszuhelfen. Die abgeschiedene Lage der beiden Unterkünfte wirft auch folgende Probleme auf: Wer Freunde und Verwandte in Deutschland hat,

kann diese nur solange legal besuchen, wie seine Befreiung von der Residenz-pflicht nach Ermessen der Ausländer-behörde (max. 10 Tage im Monat für 10 € pro Erlaubnis) erlaubt. Wer noch keine Freunde in Deutschland hat, wird sich auf diese Art sicher nicht leicht tun, neue Leute (auch Landsleu-te) kennenzulernen.

Für viele Flüchtlinge ist das Leben dort in der Abgeschiedenheit nach eigener Aussage eine Zumutung, besonders für die vielen Flüchtlinge, die das Le-ben in Metropolen gewohnt sind. Bei-de Unterkünfte sind ca. 10 – 20 km au-ßerhalb der Kreisstadt angesiedelt und über bergige und kurvige Fernstraßen zu erreichen. Insgesamt ließen sich die Beschwerden der Flüchtlinge hin-sichtlich des Unterbringungsortes in drei Kategorien unterteilen:Ein Teil der Flüchtlinge will nach Möglichkeit in einer Großstadt leben. Ein Teil wür-de gern wenigstens in der jeweiligen Kreisstadt leben, einige würden sich auch in Böbrach wohlfühlen, hätten aber gern eine Unterkunft im Ort und nicht außerhalb.Neben der psychischen Zusatzbelas-tung durch die fehlende Ablenkung, sind auch viele alltägliche Unterneh-mungen sehr schwierig zu bewerk-stelligen. Montags fährt ein kostenlo-ser Shuttlebus die Bewohner der GU Böbrach nach Regen, mittwochs fährt ein kostenloser Bus die Bewohner der GU Schöllnstein nach Deggendorf. An den anderen Tagen, müssen die Be-wohner mit öffentlichen Verkehrsmit-teln fahren.

Zur Illustration beispielsweise eine Fahrt von Böbrach nach München: Es ist einer der vier Linienbusse zu neh-men, die wochentags nach Bodenmais fahren. Von dort muss man mit der Bahn weiterfahren und einmal umstei-gen, um nach Regen (z.B. zu Behörden) zu fahren und ein zweites mal in Platt-ling, wenn man nach München weiter

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möchte. Möchte man ein Bayernticket nutzen, kann man frühestens mit dem Linienbus gegen 14:00 Uhr fahren. Für Fahrten zum BAMF ( Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) sind daher oft zwei Tage und Übernachtung zu organisieren. Häufig sind Taxifahrten notwendig, um z.B. zu z.T. weit ent-fernten Fachärzten zu fahren. Die da-durch entstehenden Mehrkosten sind von den Sozialbehörden zu tragen. Eine derartige Unterbringung ist m.E. daher auch aus ökonomischer Sicht nicht sehr sinnvoll. Neben den Ärzten sind auch die Behörden außerhalb der

„Bustage“ kaum erreichbar. Hier sind die Kosten sind für den ÖPNV zudem üblicherweise selbst zu tragen! Auch eine Arbeitsstelle ist schwer zu be-kommen.Viele Anwälte sind verzweifelt, da sie kaum in der Lage sind, Gespräche mit ihren Mandanten zu führen und guten Kontakt zu halten. Häufig geschieht dies ausschließlich über uns und z.T. bekommt der Mandant den Anwalt nicht zu Gesicht. Das zuständige Ver-waltungsgericht liegt in Regensburg und ist auf eigene Kosten schwer zu erreichen, wenn das Gericht die Kos-tenübernahme eines Zugtickets zum

Gerichtstermin verweigert.Sehr viel von meiner Arbeitszeit geht leider dadurch verloren, dass hier viele Aufgaben, v.a. hinsichtlich Erreichbar-keit, die in den Großstädten vernach-lässigbar sind, mit einem deutlichen administrativen Mehraufwand orga-nisiert werden müssen. Dazu gehört auch die mobile Beratung. Derzeit fahre ich einmal pro Woche nach Schöllnstein (Fahrtweg ca. 45 – 60 Min einfach) und Böbrach (ca. 20 – 30 Min einfach). Während die Klienten in Böbrach auch montags in mein Haupt-büro kommen können, ist dies für die

„Schöllnsteiner“ faktisch unmöglich.Mein Büro an der GU Böbrach verfügt nicht über Internet oder Drucker und nur über eingeschränkte Mobilfunk-fähigkeit sowie einen alten Kopierer. In Schöllnstein nutze ich einen leeren Schulungsraum statt eines Büros und habe nur mein Handy, die Akten und ein Telefonbuch, um vor Ort zu helfen. Vieles muss sehr umständlich nach dem GU Besuch in meinem Hauptbü-ro ohne Beisein des Klienten abgear-beitet werden. Daher kann ich leider nur die Feuerwehr für die schlimms-ten Brände sein statt angemessene sozialpädagogische Beratung für

sehr hilfebedürftige Menschen an-zubieten. Auch die Organisation von Dolmetschern ist hier sehr schwierig, die Flüchtlinge können nicht einfach einen Landsmann mitbringen, da die meisten keine Landsleute in der Ge-gend kennen.

Persönliche Bewertung:Sollten die Flüchtlinge absichtlich hier untergebracht werden, um ihre Rück-kehrbreitschaft zu fördern, wäre dies absolut inhuman und unsozial.Werden die Asylbewerber hier unter-gebracht, weil man keinen anderen Platz für sie gefunden hat, glaube ich, dass es notwendig ist, sich mehr dar-um zu bemühen, adäquatere Quartie-re zu finden.Die Menschen müssen unter diesen Umständen leiden. Manch abgelehn-ter Asylbewerber muss seit Jahren un-ter diesen Umständen leben...Hilfeleistung ist nur eingeschränkt möglich. Die hohen Zusatzkosten für die Kommunen wären vermeidbar. Diese Wertung spiegelt meine persönliche Meinung wieder.

Christian Bumes, Sozialpädagoge (B.A.)

Böbrach ist eine Gemeinde im niederbayerischen Land-kreis Regen. Sie hat ca.1600 EinwohnerInnen. Die Gemein-schaftsunterkunft hat eine Kapazität von 80 Personen. In dem Lager wohnen derzeit ca. 70-80 Personen. 4-7 Per-sonen müssen sich ein Zimmer, Badezimmer, Toilette und eine Küche teilen. Da das Lager sehr abgeschieden im Wald liegt, fühlen sich die BewohnerInnen isoliert und können diese Isolation nur schwer bewältigen. Sie haben kaum Kontakt zur einheimischen Bevölkerung und keine vernünf-tige Verkehrsanbindung. Zitat eines Bewohners: „Being in such a condition like mine is really frustrating, at times, I feel like I am at the end of the world.“http://www.fluechtlingsrat-bayern.de/boebrach.html

Schöllnstein: Im Vergleich zu manchen Asylbewerber-Unterkünften in anderen Regierungsbezirken ist das Haus in Schöllnstein gut in Schuss. Jedem Flüchtling stehen sie-ben Quadratmeter Wohnraum zu, und das sei in Schölln-stein gewährleistet. Je fünf von ihnen teilen sich ein Zim-mer, fünf bis acht benutzen gemeinsam eine Toilette, ein Bad und eine Küche. Sorge bereitet es dem Flüchtlingsrat, dass das Haus so abgelegen ist. Nur selten fährt ein Bus, oft gehen die Bewohner zu Fuß bis Iggensbach. Mit ihren Familien haben sie keinen Kontakt, denn an die richtigen Telefonkarten zu kommen und diese zu aktivieren, ist sehr aufwendig. Auch Behördengänge oder der Kontakt zu Rechtsanwälten sind von Schöllnstein aus schwierig. Bayerns. Infos unter www.fluechtlingsrat-bayern.de. Karin Wittler, Quelle: Deggendorfer Zeitung:Gut in Schuss, aber abgelegen, 23.10.2010

Bilder aus Böbrach und Kurzinfos zu den Unterkünften:©Bayerischer Flüchtlingsrat

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Since July 2011, I have been working as a full-time counsellor in charge of the KCV Regen/ Migration Service for the refugee relocation camp in Böbrach and also, I have been responsible for the camp in Schöllnstein since Octo-ber 2011.According to my knowledge, there are about 70 refugees living in both relo-cation camps : mainly men in Böbrach and some families in Schöllnstein. The refugee camp in Schöllnstein is loca-ted in the administrative district of Deggendorf in a small village , which is situated in a very isolated area. The camp in Böbrach is located in a forest glade just outside Böbrach in the ad-ministrative district of Regen. It can only be reached via a country lane that leads off from the main road.A lot of negative points have already been reported many times regarding these two camps, and so I wish to mention some positive aspects in this report to differentiate them from the others. This includes the very satisfac-tory and co-operative working attitu-de of the majority of the Regen public authorities and the camp in Böbrach. I can not say anything regarding the public authorities in Schöllnstein, as I have not been there long enough to evaluate this.After hearing a talk about the situati-on of refugees, pupils from the Regen BS/BOS/ FOS ( technical schools and colleges) were very interested in the subject of refugees and visited the relocation camps for asylum seekers. So recently, there has been more so-cial contact and the pupils have been campaigning for better living condi-tions for the migrants here in the area. Especially noteworthy is the commit-ment of the Böbrach community, who are paying for the internet access in the camp. At the moment, a compu-ter has been provided by Caritas to allow refugees to check their emails and hear the news from their home abroad. So, there is at least one pos-sibility to get on the Internet in the

Refugee Counselling in the Bavarian Forest AreaA Field Report

Böbrach camp, however not in the one in Schöllnstein. The refugees the-re have only the possibility to go to an internet café in Deggendorf at their own personal cost, if they can afford it (adult refugees receive 40.90 € pocket money per month) . Whether the sa-tellite dish will work when the reciever changes from analoge to digital is ano-ther question. Television offers one of the only possibilities of distraction and to learn of any news from their home land . My personal experience shows that the alignment and signal strength of the mobile communication network is also poor.With joy and tears in my eyes, I see the commitment and help of the vo-lunteers in both camps . There are motivated persons, who offer Ger-man courses. One volunteer German teacher offers free-time activities for the refugees in Böbrach. Volunteers in Schöllnstein also meet the families for coffee. These are the positive aspects of the volunteer work. Unfortunately, there is not much else other than the-se volunteer activities. An adequate support, similar to that offered in lar-ger towns or cities is sadly not availab-le. A lot of very important work is not done, as I am unable to deal with and solve all the problems of the refugees in the time given to me.The free-time activities in the camps is also very limited. The few possibi-lities, such as table football, sports equipment or video games are mostly donated by private persons or via the Caritas for use. The government of Lo-wer Bavaria does not seem to see itself as an operating agent of the camps to provide these people with a minimum of financial input to help their isolated situation. The remote location of both camps causes another problem: those who have friends or relatives in Ger-many can only visit them legally if they have been exempted from the residen-cy obligation which is given according to the discretion of the public authori-ty responsible for aliens ( max.10 days

per month at a cost of 10 € per permit). Those that have no friends in Germa-ny will not be able to get to know new people (including Germans) easily.Life in seclusion is for many refugees, especially those from big cities , an inacceptable demand, as they are not used to a remote rural setting. This has been said by many. Both camps are located 10-20 km from the main town which is reached via mountai-nous and winding roads. With regards to the complaints about the location of the camps made by the refugees ; they can be divided into three catego-ries: a proportion of the refugees want to live in a city, others would want , at least, to live in the district town and some would even feel better in accom-modation in Böbrach but not outside. As well as the additional psychological burden of not having anything to do, many everyday activities are very dif-ficult to manage. A shuttle bus for free goes from the camp in Böbrach to Re-gen on Mondays and on Wednesdays a shuttle bus service goes from the camp in Schöllnstein to Deggendorf. On the other days , the refugees have to take public transport.Taking a trip from Böbrach to Munich, as an example: there are four bus ser-vices available that go to Bodenmais during the working week. From there one must take the train, change once in order to reach Regen ( e.g. to go to the authorities) and then change again in Plattling, if one wishes to go to Mu-nich. If one wishes to use the Bavari-an regional train pass ( Bayernticket), then one can only take the bus that goes at 14.00. Therefore, in order to get to the BAMF ( Department of Mi-gration and Refugees ) a two day jour-ney with an overnight stay is needed. Taxis are often necessary too, for ex-ample in order to get to specialist doc-tors, who are situated far away. These additional costs are paid by the social service authorities. From an economic point of view ,on my part, it does not make sense to house these people un-

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der these remote conditions. Going to the doctor or even to the authorities is hardly possible other than on the “Bus Day” On other days, the costs have to be typically paid by themselves for the ÖPNV. To find a job is also difficult. Many lawyers are in desperation be-cause they are not in a position to have proper discussions and contact with their clients. This is normally done via ourselves as sometimes the client is unable to see his lawyer in person. The administration court responsible is in Regensburg and it is difficult for them to get there at their own cost, if the court rejects the acceptance of travel expenses for a train ticket .A lot of my time is wasted on these duties regarding accessibility, which takes a significant amount of admi-nistrative effort that would not be present in a city environment. This includes mobile counselling and sup-port activities. At the moment , I travel once a week to Schöllnstein ( a 45-60 minute one-way journey) and Böbrach ( a 20-30 minutes: one-way ). While

the refugees from Böbrach can easily come to my office on Mondays for ad-vice, it is virtually impossible for those from Schöllnstein to consult me due to the long distance.I do not have Internet access or a prin-ter in my office in Böbrach and there is only an old photocopier available. The poor signal quality for the mobile tele-phone network also affects my work. I use an empty classroom as an office in Schöllnstein and only have my mobile phone, my files and a telephone book to support those who come to me for help. A lot of work has to be then finis-hed in my main office in Böbrach wi-thout my clients, which is very labori-ous and cumbersome. Therefore, I can only offer acute help by “putting out the fire” instead of providing appro-priate social-pedagogical support for people in need of a lot of help. Even the organisation of translators is very difficult here, as the refugees can not simply bring a fellow countryman be-cause there are very few of them in the area.

Personal AssessmentIf the refugees are housed here purpo-sely in this manner in order to encoura-ge their willingness for return back to their home country, then this would is absolutely inhuman and unsocial.If the refugees are housed here be-cause there is no other place to be found, then I believe it is necessary to make an urgent effort to find adequa-te accommodation for them.The people are suffering under the conditions here. Some rejected asy-lum seekers have to tolerate these conditions for years.Help and support is only possible in a limited form. High additional costs for the communities would be avoidable.These judgements reflect my own personal opinion.

Christian Bumes, social-pedagoge ( B.A.)

adapted and translated by Janet Dehmer

Karikatur von Maneis Arbab

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Am 9. Dezember 2011 stellte Prof. Dr. Martin Gillo seinen Bericht „Mit-menschen im Schatten - ´Heim-TÜV` 2011 über das Leben in sächsischen Gemeinschaftsunterkünften“ in einer Pressekonferenz vor. Erstmals und bundesweit einmalig werden mit die-sem Bericht die Unterbringungsbedin-

Es geht also doch!Der Sächsische Ausländerbeauftragte:

„Vergrämungspolitik passt nicht zur Menschenwürde!“

Pressemitteilung 19/2011 vom 09.12.2011

gungen von Asylsuchenden transpa-rent und vergleichbar dargestellt. Der Bericht wurde dem Landtag als Druck-sache 5/7446 übergeben. Die entscheidenden Kriterien bei der Bewertung der Unterkünfte sind dabei die Wahrung der Menschenwürde und die Mitmenschlichkeit im Umgang mit

den Asylsuchenden. „Transparenz ist die Grundlage jeder Verbesserung.“ sagte der Sächsische Ausländerbeauftragte, der in den vergangenen anderthalb Jahren alle Gemeinschaftsunterkünfte in Sach-sen zweimal besucht und bewertet hat. Dazu hat er einen „Heim-TÜV“ für Gemeinschaftsunterkünfte entwi-

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ckelt, mit dem die Gegebenheiten in den Heimen systematisch erfasst und ausgewertet werden können. „Unser oberstes Kriterium bei der Beurteilung der Gemeinschaftsunterkünfte ist die Menschenwürde. Die Unterbringung von Asylsuchenden soll mehr vom Ge-danken der Humanität und der sozia-len Fürsorge geleitet sein als vom Ge-danken der Abschreckung. Das ist eine grundgesetzliche Verpflichtung und entspricht unseren eigenen humanitä-ren Werten.“ Alle 30 Heime werden über ein Ampel-system von grün für angemessen bis rot für unangemessen eingeschätzt, und es werden Anregungen für kon-krete Verbesserungen in den Heimen gegeben. Die Betrachtung des Ge-samtsystems der Unterbringung zeige, dass viele Probleme systemischer Na-tur seien, es also nicht nur eine Lösung oder eine Ursache gäbe. „Wir suchen nicht nach Schuldigen. Wir haben das gesamte System der Unterbringung im Blick und zeigen Wege zu Verbes-serungen, die langfristig im Interesse aller sind.“ Repression und Vergrämungsstrategie seien mit einem menschenwürdigen Umgang nicht zu vereinbaren. Außer-dem führten sie bei den Bewohnern zu Desorientierung und gesteigerter Ag-gression gegen sich selbst, gegen an-dere und gegen die Gesellschaft. Die Zuwanderungsströme nach Deutsch-land liegen heute 90 % unter denen der 90er Jahre. „Vergrämung passt nicht in unsere Zeit. Sie zerbricht Menschen und ist gegenüber unseren europäi-schen Nachbarn unsolidarisch. Es ist Zeit, Europas Initiativen für einheitli-che Standards im Umgang mit Asylsu-chenden zu unterstützen“, so Gillo. Gillo stellte außerdem 20 Anregungen vor, die aus den besten Ansätzen in sächsischen Gemeinschaftsunterkünf-ten resultieren. „Wir brauchen das Rad

nicht neu erfinden. Es gibt viele gute Beispiele in Sachsen, von denen wir lernen können.“ Grundsätzlich bestand Gillo auf einer Neuorientierung im Umgang mit Asyl-suchenden. „Asylsuchende sind unse-re Mitmenschen. Sie haben ein Recht auf soziale Inklusion in unserer Gesell-schaft, so lange sie bei uns leben. Sie sollten die Gelegenheit bekommen, sich als Menschen in unsere Gesell-schaft einzubringen, ob als Eltern in der Schule, als Mitglieder in Migran-tenbeiräten, gemeinnützigen Verei-nen oder anderen Aktivitäten. Das ist nichts Neues – das ist zum großen Teil schon gelebte Praxis.“, so Gillo. Er schlug die Einführung eines neuen «Wartetitels» vor, der den Betroffe-nen bereits nach einem Jahr einen direkten Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen soll. Das sei vor dem Hintergrund langer Verfahrensdauern und des unsicheren Aufenthaltsstatus von Geduldeten nicht nur eine Frage der Teilhabe und der Menschenwür-de, sondern auch im Interesse unserer Gesellschaft. „Wer arbeiten darf, der kann sich konstruktiv einbringen. Er erhält seine Fähigkeiten, kann für sich selbst sorgen, und hilft gleichzeitig unserer Gesellschaft“, so Gillo. Gillo plädierte weiterhin dafür, den Zugang zur Bildung und zur deutschen Sprache zu erleichtern. „Die Zuwei-sung zu den Gemeinschaftsunterkünf-ten erfolgt unter Bildungsaspekten rein zufällig.“ Dabei gäbe es in Sach-sen bereits vorbildliche Bedingungen für die schulische Integration. Aller-dings würde der Zugang bei isoliert liegenden Heimen deutlich erschwert und würde zu zusätzlichen Kosten für die Landkreise führen. Deshalb sollten Asylsuchende dort untergebracht wer-den, wo sie ihre mitgebrachte Bildung weiterführen können. Gillo kennzeichnete die Ausgrenzung

Asylsuchender von Deutschkursen als kontraproduktiv. Deutsch sei Amts-sprache. Behördenmitarbeiter und auch die Gesellschaft erwarten es, dass sich Asylsuchende auf Deutsch verständigen können. Außerdem ha-ben Eltern ohne Deutschkenntnisse keine Möglichkeit, ihre Kinder bei ihrer schulischen Integration zu unterstüt-zen. „Wir wollen, dass alle Kinder bei uns die gleichen Chancen auf Bildung haben. Aber gleichzeitig verhindern wir, dass manche Eltern ihre Kinder unterstützen. Das ist nicht im Sinne unserer Bildungspolitik.“ Ein wesentliches Kriterium für die angemessene Unterbringung in Ge-meinschaftsunterkünften ist eine qua-lifizierte soziale Betreuung, so Gillo. Qualifizierte Sozialarbeit sorgt in den Heimen für mehr Sicherheit, für eine adäquate Begleitung der Bewohner und vermittelt auch zwischen den Be-wohnern und der Nachbarschaft. Auf das Kostenargument entgegnete Gillo: „Qualität bei der Unterbringung muss keine Frage des Geldes sein.“ Viele Landkreise würden zusätzliche Mittel investieren – aber mit unter-schiedlichem Erfolg. Auffällig sei, dass vor allem jene Heime, die von der öf-fentlichen Hand geführt seien und in der Zuständigkeit der Sozialbehörden lägen, besser abschneiden würden als andere. „Qualität ist vor allem eine Frage der Haltung.“ Gillo dankte aus-drücklich den vielen Initiativen und Vereinen, die sich für die soziale Inklu-sion der Asylsuchenden einsetzen. Der Bericht zeigt, wie der „Heim-TÜV“ auch von Behörden, Initiativen und Vereinen genutzt werden kann, um Gemeinschaftsunterkünfte zu beur-teilen. www.offenes-sachsen.deAnsprechpartner: Dr. Ute EnderleinTelefon: 0351 493 5175

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08.03.2012:Suizidversuch eines Asylbewerbers Vorfall in Münchner Unterkunft – Erinnerungen an Würzburger Tragödie Ein minderjähriger Flüchtling hat am Mittwoch in München versucht, sich das Leben zu nehmen. Dem Eingreifen mehrerer Sozialbetreuer der Inneren Mission München und des Wachdienstes sei es zu verdanken, dass das Leben des 17-jährigen Afghanen gerettet werden konnte, teilten die Innere Mission und die Regierung von Oberbayern mit.http://www.mainpost.de/regional/bayern/Suizidversuch-eines-Asylbewerbers;art16683,6659699

20.02.2012: Bayern hält an Irak-Abschiebeplänen fest CSU und FDP lehnen Antrag auf Abschiebestopp im Petitionsaus-schuss ab. Bayern forciert derzeit die Abschiebungen in den Irak, dies obwohl die meisten IrakerInnen seit vielen Jahren in Deutschland leben und arbeiten. Mit einer Petition an den Bayerischen Landtag forderten der Bayerische Flüchtlingsrat, die BI Asyl Regensburg und das Regensburger Flüchtlingsforum einen Abschiebestopp in das Bürgerkriegsland. Die Peti-tion wurde nun abgelehntwww.fluechtlingsrat-bayern.de

25.02.2012: Viele suchen in Bayern Asyl Süddeutsche Zeitung: Seit 2008 hat sich die Anzahl der Asylbewerber mehr als verdoppelt - von 3389 Personen auf 7020 im Vorjahr. Dieser Trend wird auch weiterhin anhalten, teilte Sozialministerin Christine Haderthauer am Freitag mit. Prognosen zufolge könnten 2012 bis zu 9000 Asylbewerber im Freistaat eine Un-terkunft benötigen. Im Vorjahr kamen die meisten Flüchtlinge aus Afghanistan (22,6 Prozent), gefolgt von Irakern (21,1) und Iranern (5,7).www.fluechtlingsrat-bayern.de

29.02.2012: Bayern startet Abschiebungen nach Afghanistan Das Bayerische Innenministerium hat die Ausländerbehör-den in einem aktuellen Rundschreiben dazu aufgefordert, mit den Abschiebungen nach Afghanistan zu beginnen. Als einen der ersten trifft es Ismail Afzali (21), der vor drei Jahren nach Passau kam und jetzt bereits in München Stadelheim in Abschiebehaft sitzt.www.fluechtlingsrat-bayern.de

13.02.2012: Abschiebungen nach Serbien trotz Kälte-Notstand In vielen serbischen Gemeinden wurde aufgrund des har-ten Winters der Notstand ausgerufen. Dennoch sollen am morgigen Dienstag wieder Menschen nach Serbien abgescho-ben werden. Die Abschiebungsmaschinerie der EU lässt sich von den kalten Temperaturen nicht aufhalten: Am morgigen Dienstag sollen über 80 Menschen von Düsseldorf aus mit einem Frontex-Sammelabschiebeflug zwangsweise nach Serbi-en gebracht werden – darunter vor allem Roma, denen auch ohne Kälte und Schnee in Serbien Not droht. Soziale Ausgren-zung, Diskriminierung und Armut machen besonders Roma und den Angehörigen anderer Minderheiten das Leben in Ser-bien zur Hölle. Nicht ohne Grund gehört Serbien zu den Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden in Deutschland, auch wenn die deutschen Behörden so gut wie alle Asylanträge serbischer Roma als „offensichtlich unbegründet“ abweisen.www.proasyl.de

20.02.2012: Straßburger Menschenrechtsgerichtshof rügt Asylschnellverfahren In einem Urteil vom 2.. Februar 2012 kri-tisiert der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das „Schnellverfahren“, da es das Recht auf effektiven Rechtsschutz im Asylverfahren verletze.Der sudanesische Schutzsuchende, der irregulär nach Frankreich eingereist war, hatte zunächst keine Möglichkeit, sein Asylgesuch vorzutragen. Noch bevor die Behörden seinen Asylantrag registriert hatten, wurde bereits eine Abschiebung gegen ihn angeordnet.

Auch das deutsche „Flughafenverfahren“ ist als Schnellverfahren ausgestaltet. Innerhalb von zwei Tagen nach der Stel-lung des Asylantrags wird direkt am Flughafen entschieden, ob der Asylantrag abgelehnt oder die Einreise zum normalen Asylverfahren erlaubt wird. Lehnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag innerhalb von zwei Tagen als offensichtlich unbegründet ab, wird dem Antragsteller die Einreise verweigert.www.proasyl.de

Flucht und Asyl – KURZNACHRICHTEN

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13.12.2011: UNHCR veröffentlicht Grundsatzpapier zur deutschen FlüchtlingspolitikDas UNHCR mahnt Deutschland, sich für ein europäisches Asylsystem einzusetzen, die Residenzpflicht abzuschaffen, Flüchtlingen Rechtsschutz gegen Dublin-Abschiebungen zu gewähren und das Kindeswohl zu achten. Bislang hat sich Deutschland vehement gegen die Vorschläge der EU-Kommission gewandt, die auf eine Harmonisierung des Europäi-schen Asylrechts abzielten.Dringenden Handlungsbedarf mahnt das UNHCR auch bei der Durchführung des sogenannten Dublin-Verfahrens an, in dem entschieden wird, welches Land für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Weiter rät das UNHCR, dass eine kostenlose, qualifizierte Verfahrensberatung vor der Durchführung der Asyl-Anhörung zur Qualität und Effizienz des Verfahrens substanziell beitragen könne. Und nicht zuletzt fordert das Hohe Flüchtlings-kommissariat Deutschland auf, die Residenzpflicht, die die Bewegungsfreiheit von Schutzsuchenden in Deutschland ein-schränkt, aufzuheben. www.unhcr.de

... trotz allem

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Impressum 2.Jahrgang, 3. Ausgabe, 04/2012

Redaktion: Addis Mulugeta, Abay KirosRedaktionskontakt: [email protected]

Erscheinungstermin: 01.04.2012Erscheinungsweise: vierteljährlichAuflage: Exemplare 2500

Herausgeber: Eva Petelerc/o Ausländer-und Integrationsbeirat der Stadt Würzburg Rückermainstr.2 97070 Würzburg

Fotos: RedaktionTitelbild: RedaktionLayout: Maneis Arbab, Anette HainzDruck und Produktion: flyeralarm GmbH

Die in der Zeitschrift veröffentlich-ten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung der Redak-tion in irgendeiner Form reproduziert werden. Die Beiträge geben eine per-sönliche Meinung des Autors wieder, die nicht mit der der Herausgeber übereinstimmen muss.Die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge liegt ausschließlich beim Verfasser.

Hund oder Mensch?

No2 • 10/2010

teilhaben – Teil werden

Manche Menschen glauben immer noch, ihre Rasse sei allen anderen überlegen und habe eine Monopolstellung auf diesem Planeten … weiter auf S.24

VOICE FOR REFUGEES

VIVOVOLO - reach out your hand for refugees … cont. on p 20

No2 • 10/20102010

teilhaben – Teil werden FOR ROR ROR EFUGEES

VIVOVOLO - reach out your hand for refugees … cont. on p 20

VIVOVOLO - reach out your hand for refugees … cont. on p 20

04 / 2011

Hund oder Mensch? Teil 5

No6 • 07/2011

teilhaben-Teil werden

VOICE FOR REFUGEES

Stellen Sie sich vor, der Baum vor Ihrem

Haus verliert sein ganzes Laub und wird

zunehmend dürr und kahl …

Die Würde des Menschen ist unantastbar Teil 4Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber

wo käme man denn hin … Weiter auf S.5

Weiter auf S.34

Der Würzburger Friedenspreis 2011 geht

an Addis Mulugeta und das „Heimfocus-

Magazin – Stimme für Flüchtlinge“

Theater „Traum vom Leben“ S.38

Hund oder Mensch?

teilhaben-Teil werdenEFUGEES

Stellen Sie sich vor, der Baum vor Ihrem

Theater „Traum vom Leben“ S.38

Theater „Traum vom Leben“ S.38

Theater „Traum vom Leben“ S.38

Theater „Traum vom Leben“ S.38

Theater „Traum vom Leben“ S.38

Hund oder Mensch? Teil 6

No 7 • 10 / 2011

teilhaben-Teil werdenVOICE FOR REFUGEES

Ich bin weder Psychologe noch Arzt, son-

dern einfach nur ein Flüchtling. Seit Jah-

ren schon lebe ich in einem dieser Lager

in Bayern, ohne Hoffnung,

Die Würde des Menschen ist

unantastbar Teil 5

Die Gummikarottenstory oder : Soviel Luxus wie Hartz IV muss wirklich

nicht sein... Weiter auf S.5Weiter auf S.20

Von Flüchtlingen für Flüchtlinge Weiter auf S.36

Der Bischof in der GU

Stellen Sie sich vor, der Baum vor Ihrem

Haus verliert sein ganzes Laub und wird

zunehmend dürr und kahl …

Weiter auf S.5

Weiter auf S.34

Stellen Sie sich vor, der Baum vor Ihrem

Haus verliert sein ganzes Laub und wird

Hund oder Mensch? Teil 6

Ich bin weder Psychologe noch Arzt, son-

dern einfach nur ein Flüchtling. Seit Jah-

ren schon lebe ich in einem dieser Lager

in Bayern, ohne Hoffnung,

Die Würde des Menschen ist

unantastbar Teil 5unantastbar Teil 5unantastbarDie Gummikarottenstory oder : Soviel Luxus wie Hartz IV muss wirklich

nicht sein... Weiter auf S.5Weiter auf S.20

Von Flüchtlingen für FlüchtlingeVon Flüchtlingen für Flüchtlinge Weiter auf S.36

Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU Der Bischof in der GU

Hund oder Mensch? Teil 7

No 8 • 1 / 2012

teilhaben-Teil werdenVOICE FOR REFUGEES

Eins, zwei, drei …einfach nur Zahlen …

Die Würde des Menschen ist unantastbar Teil 6

… denn in der Herberge war kein Platz für sie … Weiter auf S.5 Weiter auf S.32

Where is my home!?S.18

Vertrauen ist wichtiger als Worte … S.12

© Falk von Traubenberg

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5104 / 2012

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5204 / 2012

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